Skip to main content

Full text of "Blüthezeit der Romantik"

See other formats


Riaraa  I)ucb 

BJütbezeit  der  Romantik 


■"i^ 


i^^^ifp 


.MS' 


'ip-s 


^«''»ilr^K** 


^^^SB 

^^^^^M 

^^m 

^H 

iBlütticicit  öcr  ;lioitiiintif. 


X<on 


Slfittjeäeit  ber  D^ömantiL 


Sßon 


aitcaröa  ^udi- 


Sei^ätg  1899. 
Sterin g   üon  §.  §aeffel 


(g§  finb  je^t  gerabe  ^unbcrt  ^a^xt  f^tx,  ha'^  eine 
®etfte§ri(^tung  fid^  in  Seutfc|Ianb  gu  entroideln  begann,  gu 
ber  hk  in  ber  jtrieiten  ^älfte  nnfere§  3a^r()unbert§  l^err- 
fd^enbe  einen  ©egenfa^  bilbet,  bie  aber  feit  etuia  gioei  ^a^r« 
je^nten  einer  SBiebergeburt  entgegenjugeljen  fd^eint.  ®e§- 
l^atb  bürfte  in  unferer  ^eit,  wo  man  nad^  einer  üoran* 
gegangenen  gänsIidEien  Slbme^r  ber  romantifd^en  Sbeen  fie  um 
fid^  ^erum  öon  9^euem  aufleben  fielet,  ein  grö^ereg  S3erftänb= 
ni§  bafür  möglid^  fein,  aU  eine  früljere  Generation  ^ben 
fonnte.  Sn  biefer  SJieinung  ^aht  idj  ba§  üorliegenbe  $8ud§ 
gef(^rieben,  ba§  fic^  ben  über  benjelben  ©egenftanb  bereite 
befte^enben  2Ber!en  nid;t  an  bie  (Seite  ftellcn,  gefd^meige 
benn  fie  öerbrängen  foH.  SDenn  idt)  beabfic^tige  nur  ben 
@tnn  ber  9tomantif  barsuftellen,  ba§  S)enfen  ber  9tomantifer, 
tüie  e§  auö  i^rem  SBefen  I)eröorging,  unb  \)abt  h^^^aih 
öerfuc^t,  ein  93ilb  ber  SJJenfc^en,  bie  in  93etrad^t  fomnien, 
gu  geben,  unb  bann  ifirer  ^htm. 

Tleint  Cuetlen  n^aren  einjig  bie  SBerfe  ber  9?oman= 
tifer,  ibre  33riefe  unb  fonftigeg  SSiograpl^ifd^e  mit  ein= 
gefcf)toffen. 


IV  58ombe. 

SSä^renb  ber  öorltegenbe  93anb  ba§  (Sntftel^en  unb  (5r= 
blühen  ber  ü^omantif  jum  65egenftanbe  ^at,  tuitl  icE)  in  einem 
folgenben  öer[u(f)en,  t|r  Steifen  unb  Stblüelfen  bar^uftellen. 
(Sr  yott  bie  fogenannte  jüngere  romantifc^e  @c|ule  umfaffen 
ober  beffer  gejagt,  alle  biejenigen  ©rfc^einnngen,  hie  bie  an* 
geregten  romantifclen  S^'een  toeitergefü^rt  ober  irgenblote 
tnner()alb  berfelben  gelebt  unb  getüirft  ^aben;  ft)obei  e§ 
mein  S3e[treben  fein  n)irb,  nid^tä  2BefentIic^e§  5U  überfeinen. 

^d)  i^offe,  biefen  93anb  nad^  SSerlauf  eine§  ^afireS 
öoHenbet  ju  ^aben. 


3nl)alt 


©eite 

®ie  ©ebrüber  ©dilegel 1 

Caroline 27 

®a§  5lt[)enäum 44 

9JoöaU§ 64 

StpoKo  unb  ®tom)|oö 83 

®er  romantiicf)e  (5f)arafter 119 

atomantifc^e  ^^iIofop£)ie 154 

®te  neue  ^Religion 183 

(5d)illev  unb  ©oet^e 204 

Seben 226 

Diümantifdie  Siebe 253 

3iDmanttfd)e  Ironie 283 

3tomantijd)e  'BM)n 302 

Sa§  9Jfärc{)en 822 

©ijmboUjd^e  fi'unft 337 

S)te  alte  ^Religion 356 

%ob       376 


Sic  @c0vüÖcv  Sc()(ctjcL 

(Sine  ©d^aar  junger  SQJänner  itnb  grauen  flürmt  ^er- 
obernb  über  bie  breite  träge  Ma\ie  S)eutfc^Ianb§.  Sie 
fommen  wie  öor  3a^rt)unberten  bie  blonben  germanifd^en 
Stämme  ber  2Banberung:  abenteuerlid;,  [iegeSgeluiB,  ^eilig 
erfüfft  oon  i^rer  ©itte  unb  t§rem  Seben,  mit  übermüt^iger 
S3erac|tung  bie  alte  morfd^e  ^'ultur  über  ben  ."paufen  tuerfenb. 
Sßon  ber  fc^euen  S^rfurc^t  öor  überlegener  ©elualt,  bie  bie 
feine  3lu§bilbung  be§  9tömi]c^en  '3idd)e§  Iro^  aUebem  ben 
barbarifc^en  Gröberem  einflößte,  empfanben  freiließ  bie 
9tomantifer  nidjt».  @ie  ftanben  ben  eigenen  SSorfo^ren 
gegenüber,  beren  ©d^luät^en  fie  burc^  unb  bur(^  fannten, 
unb  bereu  SSorjüge  tljnen  üjenig  tm)3onirten;  ttire  i8e- 
lüunberung  griff  in  entlegene  SSür5eit  jurücf,  Wo  fie  hie 
©igenart  t§re§  ©tamme§  rein  aulgeprägt  ju  finben  glaubten. 

®a§  fonnige  ©länjen  junger  loanbernber  ©ieger  liegt 
blenbenb  über  bem  fleinen  furc^tlofen  3;rupp.  2(ber  am 
meiften  gleidEien  fie  gerabe  jenen  Stämmen  ber  $8ölfer=' 
n^anberung,  ben  btüijenbften,  genialften,  bie  in  ber  grcmbe, 
wo  fie  Jieimifc^  jn  n}erben  gebadeten,  frü]^  untergingen,  hie 
grud^t  i|rer  Slämpfe  Späterfommenben  übertaffenb.  ©ie 
t3erbrauc^ten  i^re  Gräfte  in  ber  mut^milligen  S^erfc^wenbung 
be§  erften  ©turme§,  ünbifc^  unb  forgIo§  fc^iuelgten  fie  in 
leichten  ©iegen  über  fd)iuä(i)Hd^e  ©egner,  bie  fie  öerad^tcten, 
öerfpri^ten  i^r  fc^äumenbe§  Slut  ol^ne  S^otl),  au§  Suft  be§ 
Sämpfeng  unb  9iingen»,  l^ieüen  i^ren  SSefi^  nic^t  ju  Mai^e 

^ud),  SRomontiter.  1 


2  ®ie  ©ebrüber  ©cljlegel. 

unb  bauerten  ntd^t  au§.  lieber  ber  freubigen  ^rad^t  ii^rer 
3;riump^e  liegt  fd^itier  fc^attenb  ber  frütie,  nic^t  ruljoitofe, 
aber  ä»"äcJ^|"t  erfotgtofe  SluSgang  unb  mai^t  fie  ju  tragijd^en 
©rjd^  einungen. 

^erienige,  ber  al§  gü^rer  be§  ftreitbaren  ^äufc^en§ 
angefe^en  tuirb,  SBüftelm  ©c^Iegel,  mar  fein  {^elb£)errngenie, 
!ein  |>errfd^er  öon  (Sjotteg  Knaben,  üor  beni  fid^  SttteS 
nieberiüirft,  uniuiUfürlid;  einer  elementaren  Tlaä)t  ^ulbigenb. 
@r  loar  ein  9Jienfd^  öon  ^eKem  unb  lueitem,  aber  faft  aul- 
fd^Iiefelid^  äußerem  SSerou^tfein,  öon  Umfielt  unb  ^larlieit; 
e§  Ujar  fein  Sobern  aHgemaltiger  Seibenfc|aft  utn  xifti  i^er, 
aber  ein  öielfarbige§,  reijenbeS  9iafetenfprül)en  bemegtii^en 
®eifte§  bligte  au§  feinen  5(ugen.  Seicht,  elegant,  freunblid^, 
ritterlich,  al§  immer  bereite  SSaffe  in  ber  |)anb  ben  an»^ 
mut^ig  geformten  ®old^  l^aarfcliarfen  SBtijeg,  fo  muffen  totr 
un§  fein  S3itb  ausmalen,  wie  er  in  guter  ©tunbe  mar. 
„S)a§,  roa§  id^  am  9J2eiflen  an  SDir  liebe",  fd^rieb  i^m  fein 
äärtlid^er  Sruber,  „ift  am  ©td^tbarften,  menn  SDu  glücEüc^ 
bift."  Sung  ^ätte  er  fterben  fotten,  in  ber  gütte  be§  ®e= 
tingen§;  ba§  mar  bie  Sragif  be§  eifernen,  folgerid^tigen 
(Sd§icffal§  für  i^n,  ha^  er  fo  lange  lebte  unb  ba§  3lÜer 
erfuhr,  ha^  er  fein  Seben  lang  mit  aljuenber  Slngft  ge= 
fürchtet  ^atte.  ®ie§  fic^  51nflainmern  an  tit  S^genb  mar 
nid^t  etma  äJJangel  on  gäf)igfeit  ober  gutem  ä'iiillen,  bie 
S)inge  ernft  ju  nefimen.  2lu§  bem  tänbeinben  Jüngling 
mürbe  fogar,  menn  er  arbeitete,  ein  geletjrter  ^|5ebant,  aU 
meldjer  er  \a  auc^  in  ber  (Srinnerung  ber  fpäteren  ®e= 
fc^Ied)ter  fortlebte,  bie  für  hk  „übermütt)igen  ©ötlerbuben", 
mie  SBielanb  bie  33rüber  ©d^legel  nannte,  fein  il^erftänbni^ 
me^r  Ratten,  ^e^t  immer  nod)  feunt  man  i!^n  liauptfäd^lid^ 
aB  ben  grünblidtien  gorfd^er,  ben  unermüblid^en  Ueberfe^er, 
ber  öon  fic^  felbft  fagte:  „Sm  ©tetju,  im  ®e^n,  im  SSüd;en 


Sie  Ö5ctnübcr  ©djlegel.  3 

unb  im  S3ette,  auf  Steifen  felbft,  mie  unter'm  ©cEiu^  ber 
Saren,  ftet»  bic^tenb."  Xiefe  etgent£)ümli^e  SJJifd^ung  non 
3(nmut6,  Dberf[äd;tic^!eit  unb  ^ebanterie  Beruht  auf  betn 
9J?angeI  an  &tmd)i.  (S§  fehlte  i^m  an  9}?affe,  an  bem 
unbeiuufsteu  ^ern,  ber  bie  ©runblage  be§  iUcenfd^en  Bttbet. 
2ttte§  läBt  fid^  baraug  eiKären:  in  feinen  Segietjungen  311 
ben  grouen  W  Unfä{)ig!eit,  gro^e,  flätige  Seibenf^aften  ju 
erregen  unb  gu  empftnben.  (Sr  fud)te  unb  fanb  öiet 
!Oceigung  ber  grauen,  lieBen^iüürbig,  me  er  luar,  mit  bem 
feud^ten  ©c^tmmer,  ber  feine  glänjenben  braunen  klugen  fo 
anjielenb  machen  fonnte;  aber  nur  gautelnbe^  @(f)metter= 
Iing§glü(f,  alle  Sieblid^feit  eine§  fpielenben  3üngting§Ieben§ 
mar  i£)m  befd^ieben,  niemals  ba§  fatte,  ftolje  ©enügen  einer 
fraftöollen  Statur.  SSon  ber  einsigen  grau,  für  bie  er  ein 
ecfitel,  erufte§  ®efüt)I  ^atte,  foweit  er  ba§  ^aben  fonnte, 
öon  S^aroline  mu^  man  luoJ)!  fagen,  ba^  fie  il^n  niemals 
luafjcfjaft  geliebt  [)at  ^n  feinem  fünfunbstuanjigften  Seben§= 
ja^re  fd^rieb  i[)m  fein  jüngerer  Vorüber  Juarnenb:  „^d^  luünfd^te 
nidjt,  ha'^  ®u  bie  ^^eit  deiner  S'igenb  unb  ba§  ^ugenblid^c 
in  2;einer  Siebe  aU  Sein  ganjeS  Seben  anfä^ieft  .  .  . 
SSarum  njoüteft  ®u  bal  (Snbe  ber  jugenblid^en  Siebe  aU 
ha^  Gnbe  5)etner  -"perrlidjfeit  be»  Seben§  überall  betrad^ten? 
Sie  füllte  eigentlid^  nur  ben  (Sntl)nfia»mu§  in  ©einer  ©eele 
ftar!  unb  oofltommen  gemacE)t  |aben,  beffcn  (Segenftonb  aU= 
bann  im  männlidjen  5Uter  ber  SBiKe  unb  bie  ©ebanfen 
2)eine§  eigenen  befferen  Selbft  fein  fönnte."  —  „Sa§ 
fannft  Su,  lüenn  2)u  luiUft",  fui^r  griebrid)  fort;  aber 
ber  unglüdüc^e  9iarciffu§,  ber  fein  beffereS  ©elbft  über  I 
bem  sitternben  ©piegelbilb  ber  unftäten  SBetten,  in  ha§'  er 
öerliebt  loar,  öerga^,  ^ätte  ha^  ni^t  einmal  lüoHen  tonnen. 
2Benn  er  nic^t  ber  junge,  blonbe,  mut^iüifüge  ©d^roärmer 
fein   fonnte,   toofltc   er   nic^t   leben.     (£r    mar    gan^    oljue 

1* 


4  ®ie  ©eBvüber  ©d)IegeL 

Öirö^e  unb  baruni  oline  gä^igfett,  ha§  ©ro^e  ganj  gu  er- 
fennen,  gu  lieben,  511  uioHen.  ®a§  tft  ber  S'ern  all  ber 
garten  unb  liebeöoUcn  (Srmal^nungen,  bte  grtebrtd^  an  i|n 
rtdjtete:  luenn  er  i^n  üor  3er[treimng  n^arnt,  bie  ber  Sob 
oller  ®rö§e  fei.  —  ©rö^e  fei  nur  mit  ©oncentration  aller 
Gräfte  tierbunben  möglief);  tuenn  er  iljn  bittet,  er  möd)te 
fid^  bie  SSegeifterung  nicEit  fd^minben  laffen,  iuenn  er  fürd^tet, 
e§  möd^te  eine  gemiffe  un^ufriebene  ^älte  hd  iJ)m  ^errfc^enb 
merben.  2öilf)elm'§  „uralter  Sjalß  gegen  bie  SSernunft" 
fctibete  einen  fceftänbigen  ©treitpunft  jmifd^en  ben  SSrübern, 
„feine  Sbioft)n!rafie  gegen  bie  SSernunft,  ha^  SDenfen",  bie 
e§  it)m  unmögtic^  machte,  tuie  griebric^  fugte,  ba§  ©ro^e, 
5. 33.  in  ©dE)iIIer'§  ^erfon  5U  öerfte^en.  Unter  SSernunft 
begriff  uämlicf)  griebric^  ha§  SSermögen  ber  ^beale;  er 
nannte  fie  einen  ©runbtrieb,  ben  iiad^  bem  ©tüigen.  SSenn 
uun  auc|  2Bitt)e(m  bicf)tete: 

„Scf)  luonte  biefeS  Seben 
®urcf)  ein  imenblid)  (Streben 
3vtr  (Sinigfeit  erl)öt)'n", 

fo  fcefagt  ha^  nid^t§  2lnbre§,  al§  ba^  er  gefd^macfDoll  unb 
!Iug  genug  mar,  um  gu  luiffen,  was,  nion  ttjun  unb  fein 
muffe.  (SJrunbtriebe  aber  befafe  er  gar  nic^t,  ha%  wax 
eben  haS'  (Sin  unb  2ltte§,  iüa§  i§m  fel)lte.  3luc^  bie  ^ein= 
Iidf)e,  flet§  öerle^te  (Sitelfeit,  §u  ber  er  berbammt  icar,  ^atte 
in  biefem  3JJangel  i^ren  (Srunb.  @§  ift  cigentl)iimlid^,  niie 
alle  eiteln  9}ienfc^en  ben  (Sinbruc!  einer  großen  inneren  Seere 
eriüeden.  Qn  bem  bunfeln  (SJefü^I,  feinen  näljrenben  ^ern 
im  Innern  ju  ^ben,  hungert  e§  fie  beftänbig  nad^  anberu 
SJienfd^en,  an  benen  fie  jeljren  fönnen.  @ie  gefjören  nid^t  ju 
ben  guten  HJienfd^en,  öon  benen  ©alonion  in  ben  ©prüd^en  fagt, 
t)a^  fie  bon  fid^  fetber  gefättigt  tuerben.  ®itelfeit  erfe^t  ha^ 
©etbftbetüu^tfein;  fie  ift  luie  ein  ©orfett  ober  ©erabe^atter, 


3)ie  ©cDvüber  Scf)Iegc[.  5 

ber  (Stnem  ba»  5tnfeljen  eine§  aufredeten,  flarfen  9}?enfc^en 
geben  foff,  eine  2(rt  3hito=®uggeftton:  iuenu  ber  ©d^mad^e 
fic^  nic^t  überfc^ä^te,  unirbe  er  au§  S[RangeI  an  ®e(b[t= 
öertrauen  gufammenbrec^en.  diejenige  ©elbftltebe ,  bte 
griebridj  meinte,  nienn  er  fcfirieb:  „SBer  fic^  felb[t  liebt, 
ber  ift  auf  bem  SBege,  etipa§  ©roBf^  äu  ftierben",  bie  fehlte 
SBil^efni.  Gr  mar  mte  ein  (Schiff  o[]ne  ^Baffaft,  nur  auf 
einem  fleinen  ruhigen  (SJeiuäffer  5U  fptelen  gemacht. 

Sn  ben  5tugenbliden,  tüo  er  ba§  i^erj  ^atte,  gang  el]r= 
lid^  5U  fein,  geftanb  er  fii^,  ba§  i|m  in  ber  ^unft  ber 
fd^önfte  ^ranj  oerfagt  bleiben  muffe.  ®ann  branbmarfte 
er,  roie  griebric^  fagt,  feine  Jlraft,  in  hit  tnnerfte  ©igen- 
tfiümlic^feit  eine§  großen  ®etfte§  einsugetjen,  unmut^ig  mit 
bem  Dramen  „Ueberfe|ertalent".  2öa§  für  eine  reizbare 
©mpfänglic^feit  für  ha^  ©djöne,  iDelc^e»  55erftänbntB  für 
frembel  ®enie,  nm^  für  ein  erftaunlic^eg  (Sprachgefühl  unb 
©eböc^tni^  mit  angeftrengtem  gleite  ^ufammenfonimen 
mußten,  bamit  bie  unfterblic^e  ©^afefpeare-Ueberfe^ung  ent= 
fielen  fonnte,  bay  fann  nie  genug  f)eroorgef)Dben  luerben. 
Unb  bennoc^  —  lieft  man  bartn,  fo  empfinbet,  fo  benft 
man  an  @f)afefpeare,  nidit  an  2öilf)elm  'Sd)IegeL  2)e§ 
^i(^ter§  ^erföntid^feit  !ann  man  nur  in  feinen  eigenen 
2Ber!en  fuc^en.  @c^Ieger§  ®ebid)te  belebren  un§  in  feinfter 
SBeife  barüber,  inte  aller  gute  (S^efd^mad  unb  alleö  SBtffen 
üon  bem,  raa§  fd^öu  unb  nic^t  fd^ön  ift,  bte  ge|etmniBt)oII 
mirfenbe  S?raft,  bie  blinb  ha^  ®ute  ^erüorbrtngt,  nid^t  ju 
erfe|en  üermögen.  2Bie  Ifar  fa^  er,  morauf  e§  anfommt. 
„Unfer  2)afein",  fagt  er  gelegentlich,  „rn^et  auf  bem  Un» 
begretflid)en,  unb  bie  ^oefte,  hk  aug  biefen  liefen  ^eröor- 
ge|t,  fann  biefe§  nid^t  rein  auflöfen  motten.  Xa^jenige 
SSoIf,  mofür  e§  fi^  ber  SRüfie  üerlofint,  ju  biegten,  £)at 
I)ierüber,    wie    über   Siie(e»,    bie  natürlidje   ©efinnung  bei» 


6  3)ie  ©eln-über  ©c^Iegel. 

be()alten;  2IIIe§  öerftef}en  b.  f).  mit  bem  SSerftanbe  Iiegreifen 
UioIIen,  tfl  geiüiB  ein  fe^r  unpopuläres  Segefjren.  33et|piete 
Uierben  bie§  einleudbtenb  inai^en.  SDte  S3tbel,  lüie  fie  gegen» 
tüärtig  in  ben  .s!>änben  be§  SSoIfe§  ijt,  tütrb  nur  jefir  un- 
öotlfommen  oerftanben,  ja  bielfälttgft  mi^Oerftanben,  unb 
bennod^  ift  fie  ein  anwerft  populäre^  $8uc^.  S3on  unfern 
neueren  (Sj:egeten  sum  atlgenieinen  SSerftänbniffe  jugertc^tet, 
tüürbe  fie  unfei)(6ar  if)re  Popularität  gro^enttjeüS  ein= 
bilden,  ^ie  alten,  befonber§  fatfjolifc^en  ^ir^entieber,  öolt 
ber  fü^nften  5tIIegorie  unb  SO^ljftif,  maren  unb  finb  fjöc^ft 
populär;  bie  neuen  bilb»  unb  frfjmunglofen,  oernünftig  ge- 
meinten unb  tüafferftaren,  bie  man  an  i§re  Stelle  gefegt 
'^at,  finb  e§  ganj  unb  gor  ntcf)t.  Unb  tüarum  finb  fie  e§ 
nicf)t?  2BeiI  in  i()rer  cfelu  (Sinförmigfeit  uicl^t§  bie  Stuf* 
merffamteit  luecft,  nic^t§  \)a^  @emüt|  plö^Iic^  trifft  unb  e§ 
in  bie  SJcüte  beSjenigen  öerfet^t,  loa§  i^m  burd^  förmlid^e 
S3ele^rung  ntc^t  sugänglid^  tuerben  inürbe.  äRit  einem 
SBorte,  raer  für  ha^  ^olt  etiüa§  fcfireiben  tüiH,  ha^  über 
beffen  iröifc^e  SSebürfniffe  tjinauSgefjen  foU,  barf  in  ber 
tüeifjen  SJJagie  ober  in  ber  fünft  ber  Offenbarung  burcö  SBort 
unb  3eicf)en  nidjt  unerfahren  fein." 

5lber  er  felbft  \mx  fein  aJiagier.  (5§  war  ni(f)ty,  gar 
nichts  ^ämonifc^eS  in  i(}m.  J^n  feinen  SiebeSgebic^ten  fep 
ber  füfje  ©ctimelj  ftorfer  @inulid)feit,  unb  nur  fein  un= 
beftec^Iidjer  ®efrf)mac!  beirairte  iiin  baöor,  anftatt  beffen 
tüi^iger  Süfternt)eit  9taum  5U  geben,  bie  bagegen  in  feinen 
fatijrifc^en  ©c^er^gebic^tcn  gern  bcroortritt.  ©eine  ©c^iuefter 
ef)arIotte  traf  ganj  ba§  atic^tige,  tt)enn  fie  i§n  mit  Sielanb 
berglid;,  inbem  fie  fagte,  bie  befte  unb  luirffamfte  .^ritif 
eines  2iutor§  fei  ifjrer  SDJeinung  uac^,  in  eben  bem  (^aä)t 
ein  befferer  (Sc^rififteller  ju  fein,  unb  fie  traue  233il£ietm  ju, 
ouf   biefe  Strt   gegen  SBIelanb   ju  gelbe  gietjen  ju  fönnen. 


Sie  G)c6i"über  Scl)(egcl.  7 

gaft  niemall  fe^tt  if)m  ©rajie,  bie  frctltd^  511  elegant  tft, 
um  bie  ©raste  einel  9tatur!tnbe§  gu  fein.  9^ic|t  "bit  2ln= 
mut§,  bie  aii§  straft  I)erüorge^t,  befeett  feine  (S)ebid)te;  aber 
e§  ift  tod)  etma»  ©d^uiebenbel  in  ilinen,  njie  raenn  bie 
9Jaturtrtebe  mit  ber  ©c^mere  i^re»  9)iüffen§  nic^t  auf  i§n 
n}irften.  S^^^^>  ^i"  ^opf  entftanbene  (Smpfinbungen  £)aud^en 
leicht  oorüber;  man  tann  luo^I  unmutf)ig  luerben  über 
tit  felfenblafenarttge  ©lätte  unb  Seere  biefer  angeblichen 
Seibenfc^aften;  bafür  fenfen  fic^  bie  SSerfe  aud^  nie= 
mal§  mit  fd^uiüler  ©djinermutf)  betaftenb  auf'§  ©emüt^, 
be§  S)ic^ter§  ©eifteSunfreiiieit  üerratf)enb.  iDlan  möd^te  i|m 
einen  (Srgu§  ()eiBen  irbifdien  58Iute§  in  hk  albern  metir 
Jrünfd^en,  er  ift  inie  eine  lofe,  flatternbe  33fume,  in  bereu  ä{er= 
liefen  ©tengel  bie  ©iifte  ber  @rbe  nicf)t  (jtnaufftrömen  fönnen. 

92ur  einmal  ift  er,  luie  aud^  ©oet^e  urt£)eilte,  über  fic^ 
fetbft  f)inauögegangen:  in  ber  3'icignung  be§  SrauerfpieB 
„9tomeo  unb  ^iiüa",  an  Caroline  gerichtet,  bie  bamalä 
enblic^  feine  ?^rau  gemorben  mar.  SJJag  i()m  (}ier  and) 
feine  innige  $ßertraut^eit  mit  ber  Sichtung  5U  &uU  qe- 
fommen  fein,  fo  ift  e§  bod^  ha^  nic^t  allein;  inbem  er 
fein  bie  poetifc^e  2Bei§fjeit  ©^afefpeare'g  red^tfertigt,  bie 
9tomeo  unb  ^ulia  gerabe  be§t)alb  auf  ber  ^öf)e  be§  ©lüde» 
unb  ber  Siebe  fterben  lä^t,  bamit  nid^t  fie  —  ein  lüett 
^erj.^erreifeenber  Untergang  —  tljre  Siebe  überleben,  mochte 
er  bie  ©efa!§r  mit  bunfler  23e^mut!^  afjnen,  bie  in  feinem 
eigenen  SBefen  unb  ©efc^id  lag.  ^ein  feinblid^er  5[nblid 
fd^redt  Siebe,  im  Kampfe  fc^iüillt  if)r  WuÜ),  fie  fd^aubert 
nic^t,  bei  lobten  fid)  5U  betten  — 

„5(d),  jdjlimmer  bvof)n  i[)r  läd}e(ube  65efaf)ren, 
SG3enn  fie  be§  3"ii'l'3  Jücten  üOenuanb. 
58ergnnglid)fcit  mufj  jebe  95(ittl)'  erfahren: 
Sqü\  aller  iölütfjcn  33lüt^e  nic()r  53ei'tanb? 


8  S)ie  (Sebrübci  6d)Iegel. 

Sie  wie  burcf)  gfii'^cr  feft  9ejd)Iungen  maven, 
Soft  &IM  unb  5Juf)  unb  3^'^  '"^t  (eifer  C^anb, 
Sld),  jcbem  fremben  SiUberftanb  entronnen 
©rtränft  fid)  Sieb'  im  $Bed)er  eigner  Sonnen." 

(£§  liegt  eine  ma^re  unb  feufd^e  Sirauer  in  ben  S3er[en. 
2)0^  gebämpfte  .'pei^ö^^opf^"  ci"^^  furc^jamen  2Be^mut|  über 
bie  eigene  ©ebrec^Iid^feit  unb  SSergängti(i)feit,  ba§  ift,  it)a§ 
er  am  SBaljrften  unb  3:ief[ten  in  fid^  burc^Iebte,  unb  überall, 
rto  ba§  onÜingt,  berührt  un§,  toenn  auc§  nur  gang  leife, 
ber  geöeimni^üoUe  3öubcr,  ber  au§  ben  Elementen  ber 
5Jiatur  unb  bei  SJJenfi^en  bringen  tann: 

„'Dcidit  bloß  bie  33Iume  loetft,  ba§>  Suftgeroebe 
2er  iS'XÜijt  reifet,  entf(ief)t  beö  Senje^  prangen, 
5Jid)t  bloü  erbleidjen  junge  jRofeninangen, 
3)em  föeift  aud)  broI}t'§,  hai^  er  fid)  überlebe. 
23te  fü^n  er  erft  auf  freien  g-lügetn  fd)iuebe, 
®umpf  g'nügfant  bleibt  er  balb  am  S3oben  [)angen. 
C  nnf]t  Sf)!-'  für  fein  grenjcnloS  SSerlangen, 
Sfijeif'  ober  Sichler,  feinen  2;rant  ber  §ebe?" 

S)ie  TläxiQd  in  SBiI^eIm'§  9Zatur  fd^Ioffen  freiließ  a\id) 
gro^e  JBorjüge  ein.  ^lild)  unb  fräftig  befaßte  er  fid^  nid)t 
mit  ^fijc^ologie,  fc^rieb  einmat  Carotine,  lüal  f)ier  aU  ent- 
fd^iebenel  Sob  gemeint  ift;  er  jerfaferte  nic^t  'i)a§  innere, 
Jüie  e§  bamat§  bie  S)arfte(Iung§uieife  ber  mobernen  (Sd^rift- 
fteller  tüurbe,  benen  e§  babei  nur  feiten  gelang,  eine  gonje 
6rfd;einung  lebenbig  öor  bie  ?Iugen  ju  ftetten.  „Su  bift 
gewaltig  bei  gi^onunann'§  getobt  morben",  fdirieb  fie  i^m 
ein  anber  SJ^al,  „®u  tönnteft,  \va^  S)u  luollteft  unb  tpteft, 
IDOS  ®u  tönnteft  unb  h)äreft  ein  ^leinob  öon  ^Rec^tlid^f eit. " 
3a,  ba§  ^r anflicke,  Unbeftimmte,  in'l  ©renjentofe  S(u§= 
fctitoeifenbe  ber  meiften  übrigen  Diomantifer  log  nid^t  in 
feinem  2Befen.  S((Ie§,  ft)a§  er  fd^rieb,  lüenn  e§  aud^  tiefer 
unb  bebcutenber  i)ätte  fein  fönnen,   mar  boc^   ein  ©anjeg. 


S)ie  ®e6rüber  @(^(egel.  9 

abgerunbet,  fjatte  t^o^^m.  (Sr  öerfügte  über  bal,  lrQ§  man 
SJiac^e  ober  S^irtuofität  nennt.  (£tne  geiuiffe  33e^enbtg!ett 
be§  §anbeln§  unb  2(u§füf)ren§  madjte  t^n  im  praftifd^en 
Seben  ben  ©efäfjrten  überlegen,  bie  |ic^  §utn  S^etf  mit  bcr 
Unermeßtid^teit  i^rer  ^läne  begnügten,  ©o  njurbe  er  ber 
5)ireftDr,  2Bortfüf)rer,  Herausgeber,  5(norbner,  §{ntret6er; 
fo  ift  er  noc^  je^t  al§  ha^  ^anpt  ber  romanttfc^en  ©^ule 
belannt.  2((»  Jßorfömpfer  be§  ©uten,  Svenen  unb  Sefämpfer 
be§  ©c^fed^ten  in  ber  Siteratur,  I)at  er  iebenfall§  unter  allen 
ha^  SOfeifte  geleiftet,  ber  unermüblid^e  Sinfer  im  Streit. 

Xie  9ieinöeit  unb  ©d^ärfe  feinet  S3eri"tanbe§,  feine  un» 
fefjlbare  Srnpfinbung  für  ba§  ©d)öne,  tüie  für  t>a§  öäB^ic^e 
unb  Säd^erlic^e,  fein  Ttiit^,  feine  fc^neibige  ^'ampfluft 
machen  üiele  feiner  frttifd^en  Schriften  §u  fteinen  ^unft« 
werfen.  (5r  felber  fagte  in  fpäteren  Saline",  jirifc^en  ©ruft 
unb  ^conie,  öon  feinen  Seiftungen  auf  biefem  ©ebiete: 
„Ser  ^'ritifer,  au§  beffen  Schriften  man  ^ier  eine  2tu§iüa^I 
gefornmelt  finbet,  ftanb  in  feinen  jüngeren  S<i^^en  in  üblem 
5Hufc.  Tlan  f^i(^erte  iljn  luie  einen  Söüt^erid^,  einen 
Öerobeg,  ber  an  einer  SU^enge  unfdjulbiger  Sücfier  nid^t§ 
Geringeres  all  einen  bet^te^emitifd^en  Sinbermorb  üerübt 
^abe.  Tlan  ^at,  loie  mic^  bünft,  bem  SJJanne  Unred^t  ge«= 
t^an.  (£r  !^at  fein  läftigeg  2(mt  mit  aJJö^tgung  unb 
©c^onung  öeriüaltet."  Unb  luirflic^  ratrb  man  in  feinen 
fc^ärfften  Eingriffen  faft  nie  bie  §öflt(f)feit  beS  SBettmannS 
tjermiffen,  ber  fic^  felbft  §u  ^od^  f(^ä|t,  um  grob  ober 
ptump  §u  njerben.  ©ein  2Si|  ift  gu  anmut£)ig,  um  nic^t 
bie  SBeleibigung  burc^  bie  fpietenbe  ^orm  ju  milbern.  Unb 
bie  unerbitt(id)e  ©c^örfe  bem  ©c^Iec^ten  gegenüber  ift  be* 
fonberS  nai^brücflic^,  lüenn  haS^  ©d^led^te  überfc^ä^t  mirb 
unb  unöerbiente  Sor beeren  erntet:  er  fnd^te  fic^  gern  mächtige 
®egner,  er  machte  eS  fic^  nicfit  leicht.    SBaS  aber  feine  Stn^ 


10  3)te  ©cbviiber  ©c^lecjcl. 

grtff§Iu[t  um  |o  fd^ä^enSluert^er  mac^t,  t[t  [ein  ritterttc^eä 
©inftei^en  für  ha^  «Sdiöne,  ba§  i^m  nie  entging.  (Sr  Ijatte 
genug  'SRnÜ)  unb  Zutrauen  5um  eignen  Urtl^eil,  um  ber- 
borgene,  namenlofe  S^alente  ju  entbecfen,  nerungltm^fte  ju 
t)ert:^eibtgen;  luar  er  hoä)  ber  (Sr[te,  ber  ben  jungen  Siecf 
ermunterte  unb  anpries,  ber  (Sin5tge,  ber  fic^  be§  unglücf» 
tid^en  Bürger  gegen  @d^i(Ier§  affsu^arte,  üerftänbni^Iofe 
^rittf  annahm.  @o  erfreutid^  aber  auä)  biefe  ern[te 
SSürbigung  eine§  großen  Siebten  t[t,  am  ßietungenften  finb 
bo(f)  feine  ü6ermüti)igen  ©treifjüge  tn'§  feinblit^e  ^ijüifter» 
loger.  ^ter  öor  Willem  finbet  [idi  hit  Urbanität  unb  geftiöi- 
iät  be§  ©tt)te§,  um  bie  grtebric|  feinen  83ruber  fo  fe!§r 
beneibete,  tüö^renb  er  ,,sententiae  vibrantes  fulminis  instar" 
üermilte. 

(Sigent^ümlid^  ift  e§,  ha^,  wmn  man  noä)  eben  biefe 
9]or§üge  SBiUjelm'g  aufiic^ttg  beiininberte,  einem  bod)  luteber 
ein  SlnSfpruc^  bon  feiner  ©c^irefter  d^arlotte  ©ruft  in  ben 
©tun  fommen  !ann,  hie  einmal  an  ^JioöaliS  über  i^re  58rüber 
fc^rieb:  „SSenn  fie  fid^  red^t  ftrenge  felbft  prüfen  luoriten, 
fo  mürben  fie  finben,  ba^  nic^t  allein  bie  reine  2klt  gum 
©Uten  unb  2öaE)ren  i^re  Slriebfeber  ift,  fonbern  ha'i^  etriia§ 
3Jhjtt)mi(Ie  5U  ©runbe  liegt  unb  eine  (Sitelfeit,  tt)re  brillant 
mi^igen  ©infälle  ntd)t  unterbrücfen  511  fbnnen."  2)tefe  (Site!* 
feit  ift  bieffeic^t  ju  allgemein  menfcEjIid^,  um  nid^t  boHfommen 
entfd^ulbbar  5U  fein,  unb  bod^  ift  e§  fo:  man  mei^,  e§  mar 
i;^nen  ernft;  fie  fagten  il^re  Uebergengung,  aud^  menn  e§ 
gegen  i[)ren  SSort^eil  mar,  unb  trot^bem  em))finben  mir  nid^t 
bie  Sßemunberung  unb  ©l)mvati)ie,  bie  mir  für  ein  mutl)= 
boIIe§  unb  uneigennü^igeS  Setrogen  l)oben.  S3ielteidjt  t)ängt 
e§  mit  bem  ®efü^(  gufommen,  aU  'i^äikn  fie  nic^t  fo  ^on^ 
beln  muffen,  aU  fei  3tbfid)t  bobei  gemefen;  unb  mon  fc^ä^t 
nun  einmal  ben  blinben  Sirieb  jum   ©uten  i^ö^cr  aU  bie 


S)ie  ©ebrüber  Scf)IegeI.  11 

Iöbric^[le  mficit.  G^artotte'S  %aM  Be^ie^t  fidj  auf  betbe 
33riiber;  SBil^etm  allein  eigen  —  fogar  im  ©egenfa^e  ju 
grieörid^  —  i[t  eine  (Sigenfc^aft,  bie  nodj  ärgerlicher  berührt, 
aU  äRutliüiHe  ober  (Sitelfeit;  bie  Sorreftf)eit,  bie  über  fein 
ganseg  SBefeu  nnb  alle  feine  §anb(nngeii  auSgegoffen  mar. 
Sc|on  feine  äußere  (5rfc|einung  mar  peinlid^  correft,  „oHer- 
liebft  gepult  nnb  gefalbt",  luie  Caroline  nedenb  fagte;  aber 
and)  ba§  jebenfatt§  nic^t  äuöiet.  (Sbenfo  menig  mar  jemals 
etma§  an  feinem  Setragen  auä^ufe^en.  Db  Caroline  i^m 
einen  ^orb  gab  ober  feine  |)ülfe  beanfpruc^te  ober  fid)  öon 
if)m  fcbeiben  laffen  mollte  —  er  mar  immer  gleich  ijöftid^, 
ofjne  fic^  megjnmerfen,  gefaxt  unb  entgegenfommenb,  o^ne 
friool  5U  fein;  t|at,  mal  in  feiner  d^lad^t  flanb,  um  fie  gu 
fd)Dnen,  o^ne  §u  3i3gern  noc^  and)  ju  überftürjen,  fomol)! 
obne  ©djmäc^e  mie  ofine  ©emaltfamtcit.  (Singig  in  einer 
gemiffen  ©d^ärfe  be§  SSefen§  üerrietl;  fi(^  jumeilen  feine 
Ungiifriebeu^eit.  (Sbenfo  im  brüberlid^en  S^erl^ältnifs:  (^rieb= 
rid^  bat  i^n  nie  umfonft  um  (Selb,  er  mar  immer  f)ülf§bereit, 
unb  gmor  o^ne  feine  &abt  burd^  mel^r  S3ormürfe  unb  @r= 
mafjnungen  aU  nöt^ig  maren  gu  üergälTen;  obwohl  er  üiet 
5U  üerftänbig  mar,  um  üerfd)menberifd^  ober  auc^  nur  be- 
fonber§  freigebig  gu  fein,  ^ätte  man  if)n  hod)  nid^t  beret^nenb 
nennen  fönnen.  SJJuflergüItig  mar  aud^  fein  33ene§mcn  gegen 
literarifd^e  geinbe  unb  5tngrcifer:  er  bebiente  fidt)  nur  el^r* 
lid^er  SOiittel  im  ^ampf,  nie  mar  er  fatfd^  ober  ^interliftig, 
bie  Geringeren  beachtete  er  faum,  fonbern  ftürmte  neuen 
Seinben  entgegen.  2tnbrerfeit§  at^meie  aitd^  bie  ermähnte 
(S^renrettung  93ürger'§  öoHenbete  S;abeIIoftg!eit  an§.  ^urj 
man  mn§  immer  loben,  mie  er  Ijanbelte;  nnb  bod^  ift  üiel» 
teid)t  biefe  einmanbfreie  (Sorre!t(}eit  gerabe  tta^,  ma§  if;n  ber 
mörniereu  Zuneigung  om  mciften  entriidt. 

2Bie    gang    anber§   griebric^,    an   beut  feinem   (^reunbe 


12  Sie  ©ebrüber  Schlegel. 

©c^Ietermac^er  bte  „Seid^tigfeit,  mit  ber  er  fic^  btSiuetlen 
einem  imrec^tlic^en  SSerfa^ren  in  feinen  5(ngelegen^eiten 
näl^erl",  auffiel.  „(gc^Ieciel  ift  ober  eine  t)o^t,  fittlic^e  DIatur", 
fe^te  ©d^Ieiermad^er  öoH  3(nerfennung  ^injn,  nnb  e§  fd^eint 
faft,  aU  ob  bem  ernften,  unbeftec^tid^  ted^tltdien  (Seiftlid^en 
biefe  SJiifc^ung  öon  Rotier  ©ittltc^feit  unb  mordifd^er  dlaä)' 
läffigfeit  fe()r  gefallen  ^abe.  SSieötel  mef)r  QkW  unb  grennb= 
fc^aft  erfui^c  ber  ftet§  incorrefte  j^rtebric^  aU  fein  S3ruber! 
SBenn  2BiI[)eIm  ber  Seid^te  mar  —  jterltc^  unb  beiDegtid^, 
aber  o^ne  ®rö§e  —  fo  roar  ©c^raere  griebrid^'g  SSefen. 
@r  fei,  fagte  feine  @attin  ^orot^ea  öon  i£)m,  roa§  bie  Drgel 
unter  ben  ^nftrumenten,  bie  Drangenbliit§e  unter  ben  Slumen, 
bie  ^ftrfid^  unter  ben  glückten;  pd^ft  d^arafteriftifcEie  S3er=» 
gletcfie  für  biefen  9}ienfd&en  bon  imponirenber,  aber  nur 
f(^iuer  benieglt(^er  SJiaffe,  ber  erfüllt  roar  oon  ©ebanfen 
unb  Öiefu^Ien,  öon  finnlic^-geifttgen  ©d^ä|en,  bie  aber,  allju 
tief  in  hm  Ö)runb  feine»  SBefen»  eingeroü^It,  nur  feiten, 
nod^  ben  mäc^tigften  (Srfc^ütterungen,  gegen  bie  Dber= 
f(äd^e  ftiegen.  SSä^renb  man  2Bif|eIm  beffagen  mu§,  ha^ 
er  nid^t  me£)r  mar,  möchte  man  griebric^  öorroerfen,  ha^  er 
nic^t  meljr  lüurbe.  ®enn  hit  Sefttmmung  5ur  ©rö^e  mar 
in  i^m  unb  l^atte  feinen  anbern  t^einb,  aB  feine  meibifd^* 
träge  ©innlic^feit.  SSemege,  tummle  hiö),  fc^offe,  Ijanble, 
mö(f)te  man  i^m  immer  jurufen,  ber  nii^t  biel  SInbrel  t^at 
a(§  lefen,  lefen  unb  lefen.  @r  Ia§  fo  öiel ,  mte  Söill^elm 
fc^rieb.  Unobläffig  öermel^rle  er  feine  Senntniffe,  Raufte 
Sbeen  auf  ^been,  bie  feinen  fdEimerföHigen  (Steift  belafteten. 
(S§  fei  feine  Öefa^r,  fagte  einmal  ^Dorot^ea,  ha^  er  iemolä 
an  ©e^alt  §u  ®eifte§merfen  öerarme,  attetn  bie  (5)efa^r  fei, 
bo^  er  an  feiner  ^beenmaffe  erftide.  ^n  feiner  ßonftitution 
lag  eine  ^'Jeigung  5um  förperlidjen  unb  geiftigen  ^^ettmerben. 
©ein  grofaer,  runber,  priefterticEier  ^opf  mit  ben  etmaS  fd^lueren. 


®ie  ©ebmbei-  ©rfilegel.  13 

finnenben  5(iigen  unb  bem  Dollen  njetd)Itc^en  ßinn,  ta§  ^id) 
ju  einem  boppelten  aii§bilbete,  jefgt  einen  bebeutenben,  aber 
bequemen  unb  ftnnlic^en  9JJenfc^en.  „®ie  9}JännIi(i)feit  feiner 
©eflalt  offenbarte  fic^  nic^t  in  ber  ^erüorgebrängten  ^raft 
ber  3JJu§fe(n.  '>i>ielme|r  ttiaren  bie  Umriffe  fanft,  bie  Öilieber 
öoll  unb  runb,  boc^  mar  nirgcnb§  ein  Ueberflu^.  ^n  I)ellem 
Sic^t  bilbete  hie  Dberf(äc£)e  überall  breite  HJJaffen";  fo  be- 
fd^reibt  er  felbft  mit  SSoljfgefallen  feinen  betjaglid^en  Körper. 
SSenigeg  flingt  fo  au§  feinem  ^tx^tn  gefommen,  Xüit  feine 
Sobpreifungen  be§  3}ZüBiggang§.  „D  SJiüBiggang,  3JJü^ig= 
gang,  bu  bift  bie  Seben§Iuft  ber  Unfc^utb  unb  ber  Segeifte» 
rung;  bid^  at£)men  bie  Seligen,  unb  feiig  ift,  wn  hid)  ^at 
unb  t)egt,  bu  IjeiügeS  ^(einob,  ein5tge§  gragment  üon  (Sott= 
ä^nlic^feit,  hav  un§  nod^  au§  bem  ^arabiefe  blieb."  2)a§ 
@prect)en  unb  93i(ben  fei  nur  ^cebcnfac^e  in  allen  fünften 
unb  SBiffenfd^aften,  ba§  Söefentlid^e  fei  ba§  Xenfen  unb 
2)i(i)ten,  unb  ha^  fei  nur  burc^  ^afftoität  möglic^.  ^t  fc^öner 
ha^  Klima,  befto  paffiocr  fei  man.  9^ur  bie  ^tafiener  tüiffen 
ju  ge^n  unb  bie  £rienta(en  ju  liegen,  am  ^arteften  unb 
©ü^eften  ^abe  fid^  ber  ©eift  in  ^nbien  gebilbet.  5)a§  mar 
nid^t  nur  önmor  ber  Uebertreibung;  er  begnügte  fic§  linrf=^ 
lid^  mit  bem  Senfen  unb  2;ic^ten  unb  öerad^tetc  ha^^  Silben 
unb  ^{u^fütjren,  er  ^at  jebenfatlä  mirftic^  un5ä§Iige  WaU 
„'mit  ein  nac§benfli(^e§  SKöbc^en  in  einer  gebanfenlofen  8^0= 
manje  am  Sac^"  gefeffen,  „gleich  einem  Söeifen  be§  Crientg 
derfunfen  in  f)eitige§  ^iubrüten  unb  ru^igeS  2lnf(^auen  ber 
ewigen  ©ubftanjen."  (är  erinnert  an  einen  jungen  SJJann, 
uon  bem  @teffen§  in  feinen  Seben§erinnerungen  er5ä^It,  er 
fei  fo  faul  geinefen,  ba^  er  ein  förm(id^e§  ©tubium  barauf 
üerloenbet  i^abt,  auf  luelc^e  SBeife  man  am  Sängften  im 
©tu§Ie  fi|en  fönne,  o^ne  feine  ©teftung  311  oeränbern. 

S)iefem  Prägen  tjatte   fein   (Senium    eine   bef(^lüerlid§e 


14  S)ie  föebvüber  (2d)IcgeI. 

Seben§6af)n  auSgefuc^t,  ahn  er  berftanb  bte  luetfe  Stbfid^t^ 
benu^te  ben  25?tnf  ntc^t.  SBomöglid^  Ite§  er  immer  5(nbre 
für  fic^  arbeiten.  Unb  er  fiatte  eine  getüiffe  jut^untid^e 
Sinblid)feit  an  fid^,  bie  machte,  ta'^  e§  t^ätige  9J?enf d§en 
natürticfj  fanben,  etiuaS  für  i|n  ju  t!^un. 

Sie  Süngling§ia^re,  bie  2BiI|eIm  \o  leidet  nnb  geräufd^» 
Io§  abliefen,  öerbrad^te  er  nnter  peinöoHen  ^ucfungen  unb 
Krämpfen  feinet  Innern.  (£r  litt  unter  einem  beftänbigen 
3Jii§fIang,  ben  er  in  jic^  füllte,  unb  beffen  Ie|te  Urfad^e 
lüor,  ta'^  er  fein  §inreic^enbe§  ÖJegengen)td^t  befo^  für  fein 
ungeheures  S)enfoermögen,  für  feine  Steceptioität.  S)a§  SSer-- 
mögen  unb  bie  Suft,  :^ert)or5Ubringen  unb  ju  ^anbeln,  tüorin 
fein  aufgefpei(^erter  ^beenftoff  ftd§  f)ätte  Verarbeiten  fönnen, 
tt)ar  SBil^etm  allein  5uget[jeilt.  @o  gut  ipie  griebrid^  fid§ 
feinet  mäcEitigen  S3erftonbe§  bemüht  lüar,  luufete  er,  ba^  i^m 
etn^a»  @ro^e§  fehlte,  tücld^e»  @ttua§  er  öerfd^ieben  benannte, 
fe§r  pufig  aber  Siebe,  bie  «Seele  ber  Seele.  ?iic^t  um 
SSerftanb  möd^te  er  65ott  bitten,  fonbern  um  Siebe.  2)te 
ftet§  rege,  5llle§  burc^fd^auenbe  ^ritif  feine§  S3erftanbe§  er= 
fd^njerte  i|m  haS'  unbefangene  Sieb^aben,  roonad^  er  bod^ 
fd^mad;tete.  ^e  nadEibem  ob  er  bie  reic^  au§geftattete  ©eite 
feines  2öefen§  geno§  ober  hit  öerfümmerte  entbehrte,  lued^felte 
ein  gerechtfertigtes  @efü!^I  öon  Ueberlegen^eit  mit  einem 
@efü^I  üon  O^nmac^t  unb  (Stnfamfeit,  ma§  it)n  fdöetnbar 
unöermittelt  jnjifd^en  ben  t)öc|ften  ^öben  unb  ben  tiefften 
2:iefen  auf^»  unb  abfc^manten  Ite^.  (Sr  lebte  in  einem  U" 
ftänbigen  SSed^fel  öon  ©c^tuermutl)  unb  SluSgelaffen^eit,  fagt 
er  in  ber  „Sitcinbe".  9tüf)renb  ift  eS,  luie  er  §u  fein  ober 
ouf  bie  9JJenfd^en  ju  toirfen  nninfdf)te,  nömlid^  fo,  „ha^  üon 
meiner  3fiec^tfd^affen£)eit  immer  mit  2ldC)tung,  üon  meiner 
SiebenSmürbigfeit  oft  unb  btel  mit  SBärnie  gerebet  luürbe. 
S3on   meinem  ©eifte  braud^te  gar  nid^t  bte  9iebe   gu   fein, 


3Me  ©ebvübev  ©d)(ege(.  15 

ober  ^örfjfteniS  foHte  man  mtd^  oerftänbtg  ftnben.  ^ebermann 
füllte  mtd^  gut  nennen,  wo  id)  fiintrete,  follte  \id)  5lIIe§  er»- 
Reitern,  ^eber  ftc^  nad^  fetner  3trt  an  mic^  fd^miegen,  unb 
bie  \iä)  iua§  bünfen,  mid^  gnäbig  antäi^eln.  Stber  längft 
fiabe  ic^  bemerft,  lueld^en  (Sinbrucf  id)  immer  mac^e.  'SRan 
ftnbet  mtc^  intereffant  unb  ge^t  mir  au§  bem  SSege.  2Bo 
id^  ^intomme,  fliegt  hk  gute  Sänne,  unb  meine  S^o^e  brürft. 
2lm  Siebften  befielet  man  mid^  ou»  ber  gerne  tüie  eine  ge^» 
fä^rüd^e  9farität.  ®en)i§,  Managern  ftö^e  id)  bitteren  SBiber- 
n;illen  ein.  Unb  ber  ©eift?  ®en  S[Reiften  ]^ei^e  ic^  bod^ 
ein  @onberIing,  ba§  I;ei§t  ein  ^axx  mit  @eift." 

2Bie  beutlid^  fieljt  man  ^ier,  lüa§  er  tüar  —  fing,  geift= 
rcic^,  tüi^ig,  intereffant,  bebeutenb  —  unb  \va^  er  nic^t  mar: 
unbefangen,  Iieben»H)ürbig,  Reiter,  [jer^Iid^.  (Srftaunlic^  ift  ' 
e§,  mit  luelc^er  Schärfe  er  feine  ßirö^e  unb  feinen  unerfe|«= 
liä)m  9}JangeI  fal):  ha'i^  er  nid^t  lieben  fonnte,  tüeber  5(nbre  i 
nod^  ]id)  felbft.  „^d)  uiei^,  ta'^  id^  gar  nid^t  leben  fann, 
luenn  id^  nidjt  gro^  bin,  b.  ^.  mit  mir  5uf rieben.  ®enn 
mein  SSerftanb  ift  fo,  ta^  iuäre  Slffeg  ii)m  gleich  unb  ^aT= 
monie  in  mir,  fo  märe  id)'§  fd^on." 

S)o§  Sbeal  feinet  2öefen§  fa§  er  in  |)amlet.  dlid)t,  ta'^ 
er  e§  auHbrüdlid^  fagte;  aber  feine  "üdiffaffung  ^amlet'g  ift 
fo  perfönlic^,  n^ie  man  einen  fremben  (X^arafter  nur  üer=> 
mittele  feineg  eigenen  fa^t,  meil  man  mit  feiner  ©eele  lebt, 
ober  mag  ba^felbe  fagen  luill,  i^m  bie  eigene  ©eele  gum 
Seben  leitjt.  Xer  @runb  ju  |)amlet'§  innerer  ^^i^rüttung, 
fagt  er,  liege  in  if)m  felbft,  in  bem  Ueberma^  feine§  S5er- 
ftanbe§  unb  bem  SJiangel  oerl^ältni^niä^iger  ^taft  ber  SSer* 
nnnft.  SBäre  er  weniger  gro^,  fo  mürbe  er  ein  ^erD§  fein. 
(Heine  Unentf(^Ioffent)eit  rüfire  baljer,  baf?  er  eine  jafjlfofe 
SJJcnge  öon  i^erl^ättniffen  überfeine.  „®urd^  eine  munbcrbare 
©ituation  toirb  alle  ©tärfe  feiner  ebefn  9Zatur  in  ben  Jßer^» 


IG  ®ie  Gkbrüber  Scljlegel. 

ftanb  §ujainmengebrängt,  bte  tl^ätige  Straft  ober  gang  ber« 
nicktet,     ©ein  ©emütl^   trennt  fid^   tüxt  auf   ber  goIterBanf 
nad^   entgegengefe^ten  9?id^tungen    au»etnanber    geriffen;  e§ 
jerfäHt  unb  get)t  unter  im  UeBeri(u^  üon  müßigem  ^erftanb, 
ber  i|n  jelbft  nod^  peinlid^er  brüdt,  aU  Stile,  bie  ii)m  na^en. 
@§   gibt  öieHeid^t  feine  üonfommenere  S)ar[leIIung  ber  un- 
auflöslichen SiS^ormonie,  wdä^t  ber  eigentlid^e  ©egenftonb 
ber   p^ilofoplifd^en  Sragöbie   ift,    aU    ein   fo    grenjenlofe^ 
9Jii§t)erI}äItni§  ber  benfenben  unb  ber  tl)ätigen  S'raft,  irie 
in  ^amUt'§  ®^ara!ter.     ®er  Sotaleinbrutf  biefer  Sragöbie 
ift  ein  äRajimum  ber  SSerjuieiftung.    Sltle  (Sinbrürfe,  lüeld^e 
einsein  gro^  unb  irid^tig  f (feinen,  öerfd^tüinben  al§  triöial 
üor  bem,  lüa§  l^ier  al§  haS^  Ie|te  einzige  9tefultat  alle§  ©ein§ 
unb  ®enfen§  erf(f)eint,  üor  ber  ewigen  foloffaten  Siffonanj, 
\vdd)t  bie  3}Zenfd)^eit  unb  ta^  ©c^icffal  unenblii^  trennt." 
(Sjanj    ebenfo    erfdiien    griebric^    bamats    feinen   greunben: 
„■^Deine   urtlieilenbe  Qbee   ftel)t  mit  ©einer   genie^enben   im 
9}Jif3t)er|äItni^",  fc^rieb  i^m  9^oöati§.     9lur  barau§,  ba^  er 
fic^  ein§  mit  §amlet  füllte,  !ran!  nn  berfelben  unheilbaren 
S)i§^armonie,  lä^t  fic§  feine  SJJeinung  erftären,  bie  Sragöbie 
fönne  unter  Umflänben  augenblic!li(^en  ©elbftmorb  üeranloffen. 
®iefe  Umftänbe  luaren  eben  bie  feinigen.     „SBenn  iä)  ouf 
bem  SSege,   ben  id^  in  ©öttingen  ging,  beftänbtg   mit  bem 
Sßerftanbe  §u  genießen   o^ne  §u  ^anbeln,  blieb,  fo  :§ätte  er 
mid)  in  ^'urjem  jum  (Selbftmorbe  gefüljrt.     S)ie  Siebe   gu 
einem  ©egenftanbe,  ber  Stampf  mit  ^inberniffen  unb  bie 
greubc  be§  erfömpften  ß)elingen§  mu^  unfern  eilenben  ©eift 
aufhalten;    benn   fonft   wirb  biefem  ^uräfidjtigen  bie  SBelt 
balb  gu  flein."     ©elbftmorb  mar  benn   aud^  lange  Qdt  fein 
tögltc^er  ©ebanfe,  unb   er  luäre,  wie  er  felbft  fagt,  biefcn 
(Sntfd^tuB  auSjufül^ren  raot)t  fäl)ig  gewefen,  „wenn  er  über- 
^aupt  5U  einem  ©ntfc^Iu^  ^ötte  lommen  fönnen." 


3)ie  ®c6vüber  @d)Iegel.  17 

3d^  Jüirt  anfü£)ren,  luie  er  felbft  ben  quatoorten  3"[tani> 
btefer  ^a^re,  luo  er  „iint|ätig  unö  mit  jic§  unein§"  war, 
fc^tlbert: 

„ßine  i}ie6e  ofine  ©eiienftanb  brannte  in  if}m  unb  zerrüttete  fein 
5nnere§.  5^et  bem  geringften  9(nlaf!  t)racf)en  bie  g-Ianimen  ber 
Seibenjc^aft  anS;  ober  balb  fcliien  bieje  au§  ©tolj  ober  ©igeni'iun 
il)ven  (Megcnftanb  jelbft  ,^u  iier)c[imä()en  unb  manbte  ficf)  mit  uer^ 
boppciteni  ß3rimmc  smüc!  in  fiel)  nnb  auf  i[)u,  um  ba  am  Waxk 
be§  öer^cnS  ju  sefu'en.  ©ein  63eift  luav  in  einer  beflänbigen  ®äfi= 
rung;  er  erwartete  in  jcbcni  ^Jtugenblict,  eö  muffe  i^m  ettüa'ä  5tuf5cv= 
ovbentIid)e§  begegnen.  '-?iid)t§  mürbe  if)n  befvembet  Iiaben,  am 
•il'iJenigfteu  fein  eigenei  Untergang.  Cbne  ©efdjäft  unb  ot)ue  >^\vQd 
trieb  er  fid)  nmlier  unb  unter  ben  llienfd)en  luie  ßiner,  ber  mit 
5(ngft  etma§  fud}t,  movau  fein  ganjeg  ©lud  bangt.  9nie§  fonnte 
i{)n  rei,^en,  nidU§  mod}te  ibm  genügen.  —  Gr  fonnte  mit  53efonnen* 
beit  fd)nielgen  unb  fid)  in  ben  Wennf;  gleid)fam  oertiefen.  5lber  meber 
bier  nod)  in  ben  nutndicrlei  i^iebbabeveien  unb  Stubien,  auf  bie  fid) 
oft  fein  jugenblid)er  Gntbnfia§mu§  mit  einer  gefräßigen  'iiMflbegier 
marf,  fanb  er  bo§  :^obe  ©lud,  ha^i  fein  ^oerj  mit  llngeftüm  forberte. 
Unb  fo  nermilberte  er  benu  immer  mebr  uub  mebr  au§>  unbefriebigter 
Sebnfudit,  umrb  finulid)  auö  'i^ersmeiflnng  am  ©etftigen,  beging  nn= 
finge  .sjanblnngcn  an§  Jrot^  gegen  bay  Sd)idfal  uub  uuiu  mirflid) 
mit  einer  ^Irt  oon  Sreuljeräigfeit  unfittlid)." 

O^ne  3'uetfel  :^ättc  er  fic^  ^erau§rei^en  fönnen.  „ß» 
ift  Srägfjeit,  \va^  un§  an  peinltd^e  ^uftänbe  fettet",  jagt 
9ZooaIi§.  5I6er  träge  trat  er  eben;  ber  ©(afttcität  fetne^^ 
greunbe»  5^oOn(iö  gegenüber  tvax  er  lute  ettüo  eine  ^ii£),  üor 
beren  Stugen  eine  Serd^e  pfeilfc^nett  in  bie  SSoIfen  fteigt. 
SÜSa»  für  gotbene  SSorte  um^te  er  feinem  93ruber  über  ben 
9iu^en  eine§  bürgertid^en  ^.Jlmteg  ju  jagen:  ein  DoHfornmener 
Cuerpfetfer  erfülle  boc^  fein  3.1'efen,  nämlic^  bie  Guerpfeiferei; 
lüenn  er  einen  guten  ''^sftff  t()ue,  tonne  er  ebenfo  5uf rieben 
mit  fic^  fein  luie  6)ott,  tnenn  er  eine  SBelt  gemalt  {)abe. 
^urd)  fein  gan.^eg  Seben  f)inburc^  jie^t  fid)  ber  Sunfc§,  ein 
^mt,   einen  feften  Seruf  ju  ^aben,   feinem  §ange  gum  be- 

§ud),  Sfornantiter.  2 


18  3)ie  ©ebiüber  Sdjlegel. 

quemen  @t(f)get)enla[fen  ganj  entgegen;  unb  boc^  tutcf)  er 
gern  au§,  uienn  fid^  etn§  bieten  luottte.  2Benn  er  feinem 
Vorüber  ;)rebigte:  „(5l  fommt  nur  auf  btd^  an,  ein  großer 
2Jienf(^  5U  luerben"  ober  „Sa^  hoä)  \a  nid^t  bie  ©ott^eit 
au§  beiner  Söruft  au§  2;rägl)eit  attmältg  entJretc^en"  ober 
er  fotte  fein  &IM  für  feine  S3ortreffItc^!ett  nüljen,  fo  er- 
mahnte er  bamtt  eigentlid^  me^x  ft(^  fclbft  a\§>  SBil^elm,  für 
ben  biefe  öe^ren  gar  nidjt  paßten  unb  faiim  öerftänblitf) 
fein  mod)ten.  ^lopftocf,  ©dritter,  Sut^er,  3i(^te,  9}iänner 
t)on  frif(f)er  2;t)atfraft,  uiaren  bie  äRufter,  bie  er  auffteüte, 
bie  er  gro^  nannte.  5tn  ©infic^t  fonnte  e§  i^m  bei  feinem 
umfaffenben  Sserftanbe  ntdjt  fehlen;  aber  er  mar  mie  bie 
jünger,  benen  ß:^riflu§  jurief:  „könnet  i£)r  benn  nid;t  eine 
©tunbe  mit  mir  tt)ad^en?  ©ie^e,  ber  ©eift  ift  tüiHig,  aber 
bQ§  Steife^  ift  \d)mad)." 

®a§  '^tu^erorbentlidie,  iiü^^  er  fo  lange  bunfel  erluartet 
^atte,  gefdiaö:  er  lernte  S^aroline  fennen,  unb  bie  Siebe,  bie 
§errüttenb  in  iljm  gebrannt  |atte,  nieil  i^r  ber  (Segenftanb 
fehlte,  begrüßte  entjüdt  bie  enbtic^  ©efunbene.  Qm  2111= 
gemeinen  Joaren  i^m  bie  grauen  5U  platt  —  benn  fie  n)ären 
noc^  )jlatter  al§  bie  9Jtänner,  fagte  er  —  um  ftc^  mit  il^nen 
abjugebeu.  ^a^  er  auf  biejenigen  mit  bem  (Seifte  f)erabfa^, 
bie  feine  ©innlic^feit  mächtig  anzogen,  luar  ftet§  bie  Urfad^e 
gu  quotenben  donftiften,  loenn  er  mit  ^^rauen  in  $8crü^rung 
!am.  ®amal§  meinte  er,  er  fei  reiner  Siebe  ft)o:^l  nur  ju 
9Känneru  fä^ig.  Unb  W  Seibenfd^aft  ju  einer  grau,  bie 
er  aU  ©tubent  in  Seip^ig  burdjmadjte,  loar  aüerbing»  eine 
berma^en  oerserrte  „armfetige  JRaferei",  ha^  man  il^re  ®e- 
fc^id^te  in  feinen  53riefen  nid^t  o^ne  d'fel  unb  9JätIeiben  lefen 
fann.  Caroline  ergriff  i^n  ganj.  ®a  gab  e§  feine  ©paltung 
in  feinem  ©efül^I,  tuie  e§  feine  in  iljrem  SBefen  gab:  feine 
greunbfdjaft,  feine  93eluunberung,  fein  Urtljeil  gef)örten  i^r 


2)te  ©cbvüber  ^sdjlei'jef.  19 

irie  feine  bitnbe  Zuneigung.  3lber  tiibem  er  [id)  feine 
fd^ranfenlofe  Siebe  geftanb,  fd^linir  er  fid^  ,^ugteid)  (Sntfagung; 
benn  btefe  einzig  oere^rte  grau  Wax  bte  ©eltebte  SStlöelm'^, 
feine»  heißgeliebten  S3rnberä.  9tie  erfd^eint  t^i^iebrid)  lieben»- 
loert^er  al§  bama(§,  wo  er,-  ftiH  nnb  anfprud)»Io§  ner^ic^tenb, 
fic^  banfbar  be§  ®Iücfe§  freute,  ber  Ijeimtid)  beliebten,  hk 
§ugteid^  greunbin  feineS  S3rnber§  wax,  bienen  ju  fönnen, 
beo  ®(ücfe§  ju  lieben  über£)aupt.  SDurc^  Caroline  fütilte  er 
fic^  bem  Seben  luiebergegeben;  in  ber  Siebe,  bie  eine  pofittüe 
S^ätigfeit  beg  (5iemüt^e§  ift,  fanb  er  ha-i  ®egengeiüid)t  gegen 
ben  negatiöen  S^erftanb. 

SSon  bem  ^^itpunft  an,  wo  bie  Siebe  ber  beiben  33rüber, 
burd)  ha^  Öiefü^I  für  biefelbe  '^lau.  nid^t  anfgelöft,  fonbern 
er|ö|t,  einen  fo  fd^önen  S^riumpt)  feierte,  ging  fte  i|rem 
9iiebergange  entgegen.  @o  langfam  atterbtngg,  ha'^  ha§ 
S3erl}ältni§  burc^  eine  9leil)e  t3on  3ii}i^en  uod)  nnneränbert 
blieb,  ia  fogar  in  ootlerer  S3Iütf)e  5U  fteljen  fd;ieu.  53eibe, 
SBitljelm  folpo^l  n^ie  griebrid^,  fonnten  glauben,  je^t  bem 
^ö^epunfte  be§  Ö^lüdes  na^e  5U  fein.  2öa§  er  fo  lange 
»ergeben?  erfel;nt  Jiatte,  greunbfdiaft  unb  Siebe,  fanb  gctebrtc^ 
reic^tic^  in  Berlin,  luo^in  er  fid^  a(§  fünfunbjiuan^tgjätjriger 
junger  SJJann  begab:  bie  {^reunbfc^aft  ©d^Ieiernmd^er'ä,  bie 
Siebe  oon  ®orot[}ea  33e{t,  ber  Stodjter  üon  9J?ofe§  9JienbeI?= 
fo^n.  ©in  33itb  ^o^er  grennbfdiaft  i^atte  it)m  immer  tjor 
ber  Seele  gefd^iuebt;  er  ^iett  fidE)  für  geft^offen,  e§  ju  öer- 
loirüid^en.  „^d)  bin  nun  einmal  eine  uneublid;  gefcHige  unb 
in  ber  t5reitnbfd)aft  unerfättlic^e  ^eftie",  fagte  er  üon  fic| 
fetbft.  @r  fonnte  burcbau»  nid^t  allein  fein,  nic^t^  allein 
treiben;  er  brandete  ^emanben  ^um  (Sgmpf)i(ofop^iren,  jum 
@t)mfautten;)en,  furj  §um  @l)mej:iftiren  —  eine  d^arafte= 
riftifd)e  SBortbilbung,  bie  er  fid)  erfunben  ^atte  unb  gern 
gebraucl)te.     „9JJittl)eilung,  2l)eilnal)me,  ^2lrm,    an   bem  bu 

2* 


20  5)ie  ©ebrüöer  ©d){egc(. 

manbelft,  ba§  mtrb  bir  fe|(en,  unb  tütvb  bir  fehlen,  lüte  e§ 
deinem  fe^It",  fc^rieb  i^m  9JoöaIiä  einmat,  aU  er  nad)  einer 
anbereu  ©tabt  üfcergefiebelt  war,  rto  er  9Ziemanben  !annte. 
5tber  ber  „gute  innige"  ©d^tegel  t)atte  einen  %tü\d  in  \\d), 
ber  t^m  bie  liebfteu  greunbe  mut^millig  unb  bösartig  oer=' 
fd^eud^te.  @o  jagte  er  9ZooaIt§  gerabeju  in'§  ®e[ic^t,  ha^ 
er  i^n  juiüeifen  oerac^te,  unb  begriff  taiim,  ha'^  ber  $8e- 
leibigte  biefe  (Srfinrung  nid^t  mit  feinem  3Ba!^r!^eit§brange 
ober  feiner  ©igenl^eit  „^old^e  ju  reben",  inenn  e§  hk  ©es 
legenl^ett  mit  fid^  brad^te,  entfc^utbigte.  Später  freilid^  50g 
fid^  ber  S^^\i  luieber  ju;  griebrid^'S  „^auberfraft  auf  menfcfi- 
lic^eu  ®eift"  luar  fo  gro^,  feine  finblid^e  Dffentjeit  unb  Um= 
gangSluft  fo  berfö^nlid^,  tta'^  feine  greunbe  t|m  nid^t  leicht 
@ttüa§  nacf)trugen.  S>amal§  aber  füt}rte  \)a^  Seben  t|m 
@d)(eierma(^er  gu,  ber  oon  atten  SDfönneru,  bie  t^riebric^ 
na^t  traten,  it)m  bie  äö'-'tiif^fte  unb  bauernbfte  9Jeigung  ge» 
fd^enft  J)at. 

SJiit  feinen  lebliaften  Stugen,  ber  @rf)ärfe  feine§  Slicfel, 
bie  fogar  etma»  3"i'üdftofeenöe§  l}aben  fonnte,  mit  feinen 
ftrcng  gefrf)Ioffenen  Sippen,  immer  überlegt  unb  befonuen, 
tüai  ©dileiermad^er  ein  beftimmter  ©egenfat^  ju  bem  n^eidjen, 
be^agti(^  trägen  ©cblegeL  SDiefer  SSerfc^ieben^eit  tuaren  fte 
fic^  aud^  wo^I  bemüht  unb  nannten  ii^r  iöer^ättni§  fd^er,^- 
toeifc  eine  @^e,  in  ber  ©c^Ietermad^er  bie  grau  \vax.  dMt 
njeibltc^er  ^nnigteit  ^ing  ber  fleine,  jarte,  ettuaä  öertüad^fene 
Jüngling  an  bem  fc^önen,  ftattlidjen  ^^reunbe.  i^riebrid^'S 
^inblicEifeit  unb  D^aioetät,  bie  g)eftig!eit  feiner  SKünfd^e, 
5^eigungen  unb  5(bnetgungen,  ja  fogar  feine  Seid)tfertigfoit 
entjücften  il^n.  Slde^^  loag  ©i^Ieiermad^er  fehlte,  ^ntte 
griebric^  im  Ueberma^.  ©in  gro^e§  SKort  I)abe  ^^riebric^ 
einmal  oon  if)m  gefagt,  fdireibt  ©c()Ieiermac^er,  „nämlidj  ic^ 
muffe  au§  allen  Gräften  barauf  arbeiten,  mirf)  immer  frifd^ 


®ie  ®e6vüber  ©djlcgel.  21 

unb  lebenbtg  511  erlialten.  9^temanb  tft  bem  S^ertüelfcn  unb 
bem  2;obe  immerfort  fo  naf)  aU  id)."  e^ricbricE)  mar  e^er 
in  (5)efaf)r  be§  ©r[ltcfen§  ober  bem  Sobe  burd^  Ueberfütterimg 
na^e.  ^s^xen  35er[tanb  Berounberten  jie  gegenfeittg.  Unb 
n)enn  griebric^  burc^  feine  Siatnr,  burd^  bie  SSnrf)t  feiner 
^erfönlii^feit  imponirte,  geftanb  er  felbft  luiebernm  ©cfileier» 
mad^er,  obiuofit  er  ber  jüngere  mar,  eine  geunffe  Ueber= 
legen^eit  jn,  bie  i^ren  (SJrunb  in  feiner  grü^reife,  Scfonncn* 
I)eit,  3tet^eiiiuBtÖeit,  feinem  t^ätigen  S'Ictfe,  feinem  Grnft  batte. 
5riebri(^  l^atte  ein  ftnnlic^eg,  ©cE)(eiermadöer  ein  moraIifcf)e§ 
Uebergetüic^t.  S)nmit  feing  'ufammen,  ha"^  ©c^Ieiermarfier 
ganj  unfünftlerifc^  toar,  ira§  aber  nic^t  ftürenb  empfunben 
luarb;  benn  @t^if,  ^ft)rf)oIogie,  9teIigion,  fur,^  bie  2Biffen= 
frf)aft  mar  ein  fo  gro§e§  ©ebiet  gemeinfamen  ^ntereffe§,  baf5 
e§  an  ©toff  5U  enblofem  „@l)mpf)iIofopöiren"  nii^t  fefiÜe. 
Sie  greunbfc^aft^efte  l^inberte  aber  beibe  ^öeitne^mer 
ntd^t,  auc^  granenliebe  gu  fud^en.  2öäf)renb  ©c^Ieiermadfier 
einen  eigent^ümlid)  geiftig=:^er3li(f)en  SSerfef)r  mit  ber  be= 
rühmten  ©d^önJicit  .Henriette  ^n^  Pflegte,  ftürjte  fic^  griebric^ 
in  jügellofe  Seibenfcfiaft  jn  ber  i)äJ3ti(f)en  Sorot^ea.  2luc^ 
S)orot£)eo  ergänzte  ©d^Iegel:  fie  mar  immer  t()ätig,  gefd^icft 
511  aller  3lrbeit,  ebenfo  be^enbe  jum  Schreiben  unb  ©d;affen, 
mie  er  fc^merfättig.  t^xdüä)  gab  cl  in  i^r  aucö  nic^t  ent- 
fernt fo  öiel  ©e^alt  ju  üerarbeiten.  ®ie  galt  für  fing  unb 
bebeutenb;  and)  bürfte  man  nid^t  ba§  ©egentlieil  öon  i^r 
behaupten;  aber  meber  logifd^  noc^  tief  §u  tenkn  mar  ibre 
©acEie.  jDafe  fie  leb^ft,  leicht  unb  üiel  fprac^,  eine  rafc^e 
gaffung§gabe  befa^,  aud^  gefc^eibt  genug  mar,  um  nidit§ 
SDummeg  §u  fagen,  9?ic^tmiffen  einjugeftelien  unb  mo  e§  an- 
gebroc^t  mar,  ju  fd^meigcn,  liefe  fie  geiftooller  erfd^einen  ol§ 
fie  mar.  @o  felbftänbig  fie  im  ^anbeln  fein  fonnte,  im 
2)cnfen  mar  fie  burc^au»  abl)ängig.     ©rabe  tia^^  macl)te  fie 


22  ®te  ÖJebrüber  Scf)(egel. 

ju  einer  bequemen  j^rau  für  griebrid^.  2öä|renb  fie  aUeS 
^rafttfcCie  für  x'i)tt  beforgte,  fo  biel  aU  möglich  für  i^n 
arbeitete,  orbnete  fic^  i^r  5Jerftanb  bem  feinigen  üötlig  unter, 
unb  ba  i|re  lueiblid^e  Eingebung  feine  ^renjen  fannte,  rourbe 
er  ber  ©ott  biefer  unfc^önen,  aber  liebeöoHen,  ftrebfamen 
unb  temperamentöoUen  grau,  ber  gegenüber  fein  9}iifetrauen 
unb  feine  ©mpfinblid^feit  i§n  balb  üerlie^en.  @ic^  fo  be= 
bingung§Io§  angebetet  5U  füllen,  ba§  tvai  e§,  tüa§  ii)m  immer 
gefeJ)It  l^atte;  boB  fie  i|m  ha§>  gab,  §og  i()n  ^auptfäc^üd^  ju 
i;^r  ^in;  bei  i^m  nertraten  atlmälig  SDanfbarfeit,  S3equem=» 
lic^feit  unb  ©eipöi^nung  bie  ©teile  ber  Siebe,  fotreit  fie  nicbt 
nur  (SinnlicEifeit  mar.  @§  ift  begreiflich,  baf?  faft  aUe  greunbe 
f^riebrid^'S  fid)  üon  biefem  IßerljältniB,  auf  ha?,  Xoxoti^ta 
fo  ftoI§  toar,  peinlich  berührt  füllten,  '^a,  öielleid)t  l&aben 
jj)ieienigen  nic^t  Unrecht,  bie  fie  fpäteri)in  feinen  böfen  2)ämon 
genannt  |oben.  SDenn  mit  i§rer  blinben  UnterJoürfigteit 
fonnte  fie  nic^t§  aU  feiner  Sräg|eit  SSorfd^ub  leiften.  @ie 
fiatte  iene  31ffenliebe  für  i^n,  bie  9J(üttern  aU  @ünbe  an= 
gerechnet  loirb;  e§  tuar  md)t  fein  guter  ®eniu§,  ben  fie  in 
i^m  erfannte  unb  liebte.  ®a§  ^Temperament  feine§  2Befen§, 
feine  gemütl^Iic^e  <(?inblid^feit,  bie  oüjmpifc^e  3tu|e,  bie  er 
Ijaben  tonnte,  Ratten  i^n  nac§  jioei  «Seiten  führen  fönnen: 
jur  l^eiteren  Ueberlegen{)eit  be§  SBeifen  unb  ©(ücftid^en  ober 
jur  immer  ftumpfer  inerbenben  Se^äbigfeit  eine§  §arem§« 
meibe».  D^ne  e§  ju  a^nen,  trieb  i^n  SDnrot^ea  ben  böfen 
2öeg  ablüärtS.  ©ein  burd)  ibre  geiftigc  Unterorbnung  ge- 
tälimter  ^ntetteft  trat  me^r  unb  mefir  in  ben  5)ienft  feiner 
ftärfer  anfcf)UieIIenben  materieHen  ©eite.  Sie  f)ätte  i^n  be= 
flügeln  foflen  unb  jog  i^n,  in  ber  9J?einung,  fein  2BoJ)t  ju 
beforbern,  mit  ftartem  ®elui(f)t  jnr  (Srbe. 

SBie   anberg,   loie   förbernb    luirtte  Caroline   burd^   bie 
Ueberlegen^eit  if)re§   ®eifte§   ouf  bie  SJfänner  ein,  bie  i^r 


Sie  65c6vüber  (5cf)(cgel.  23 

nafieftanben,  obmoftt  fie  ntd^t  lüenigcr  tljätig  itnb  ttebeöoH 
tüüx.  aJJan  fann  fi(^  eine§  meljmüt^tgen  2äc^eln§  nid^t  ent= 
galten,  luenn  man  ]\<i)  erinnert,  luaS  für  ®rnnbfä|e  griebrtrf; 
in  S3e,^ug  an[  grennbi'c^aft  unb  Siebe  ijatte.  SSon  feiner 
anbern  motlte  er  etroa§  n)i[fen,  aU  hu  auf  gegenfeitiger 
^Inregung  jur  ©tttlic^fcit  beruhe.  'HIB  Caroline  ha^  erfte 
Wal  $EBiI^eIm'§  Eintrag  surücfgeluiefen  ^atte,  tröftete  er  ben 
betrübten.  SBrnbev,  inbem  er  t^m  riet!^,  feinerfeit§  fie  ^u  ber- 
werfen  nnb  fid^  baburd^  über  ben  SSerluft  binluegsufe^en: 
„SDetne  Siebe  ju  il^r  irar  nur  SKittel  gu  einem  ^of)en  3^üecff 
ben  ba§  WiM  gu  gerflören  bro^t.  ®u  ^oft  fie  nur  ge- 
braucht, unb  mit  Ütec^t  luirfft  ®u  fie  n^eg,  ha  fie  ®ir  fc^äbüc^ 
tt)irb.  Ober  njei^t  ®u  etwa  nic^t,  ha'^  ®u  in  ti)r  ©ein 
eigene?  ^beal  bcr  ®ri3^e  liebteft?"  Unb  über  i^r  eigene? 
brübertic^e?  SSerI)ciIlni^  fdjrieb  er  an  2BiI§eIm:  „Sei)  fage 
S)ir  aber,  ha'^  xd)  e§  fo  mit  bir  f)atte,  föie  Saoater  mit 
(5^riftu§,  ber  ii)m  gerabegu  erüärt,  ba^,  icenn  er  ein  noc^ 
beffere?  äRebium  mit  ©olt  finbet,  er  ben  erften  ^Ia|  räumen 
muJ3."  2((g  er  .'»Carolinen  fennen  lernte,  entfagte  er  bem 
©lücf,  „aber  er  befc^Io^  e§  ju  öerbienen  unb  |)err  über 
fic^  felbft  5U  tüerben." 

^e^t  beraufc^te  er  fid^  in  bem  ©cnu^,  beffen  ©ntbeljrung 
fo  peinlid^  an  i|m  ge^e^rt  ^atte.  9^un  ^atte  er,  ma?  er 
Dor  Sauren  aU  ba§  SSünfc^engiuert^efte  I)ingeftetlt:  bie  Siebe 
5U  einem  ©egenftanbe,  ben  ^ampf  mit  ^inberniffen  unb 
bie  greube  be§  erfämpften  (5JeIingen§;  benn  ha  ©orotlea 
oerleitat^et  n?ar,  fef)Ite  e§  nid^t  an  SBiberftanb  unb  ©c^föierig- 
feit  üon  öden  «Seiten.  ®a  bie  „2But()  ber  Unbefriebigung" 
gefüllt  rvai,  njurbe  er  Iieben§iinirbiger,  juöerfid^tlicfier,  froi^er. 
ÜJ?utf)ig  unb  ftotg  fa^  er  tn'§  Seben;  niemat?  örrl^er  l^atte 
er  eine  fo  rege  unb  frudf)tbare  S;^ätig!eit  entfallet.  33i?  baf)in 
f)atte   er    mit   einer  SOhi^feligfeit    gearbeitet,    bie  nn  einem 


24  ®ie  föebrüber  ©dilegel. 

9Jfenfcf)en,  ber  fid)  felbft  gum  ©c^riftfteller  befttmmt,  ettra§ 
Äomtfc^e^  Öttt.  SDaS  elegante,  lieben^irürbige  ©id^au§[trömen 
2SiI^eIm'§  £)atte  iEini  al§  Sbeal  öürgefc|mebt,  lüieipo^l  er 
fid^  ^aI6  unb  ]^alb  feiner  gebtegeneren,  förnigercn  (Stgenart 
ntd^t  o^ne  ©enugt^uung  beiüufet  \vax.  Se|t  glaubte  er  fetne§ 
Sruber§  (SJefc^metbtgfeit  mit  feiner  ^'raft  unb  ^tefe  öer= 
einigt  ju  ^aben.  2Bir!tid^  öolleubete  er  mehrere  2(uffä^e 
öft^etifrfjen  Snf)att§  üdH  neuer  6Jefid§t§pun!te,  originaler 
^been,  lüeiter  ^tulfic^ten.  @r  lub  einmal  etraag  ab  öon  bem 
großen  Raufen  angefommelter  ©nttüürfe. 

SSon  langer  SDauer  mar  inbeffen  btefer  Sluffc^ftiung  ni(i)t. 
92ac^bem  ber  ^ampf  öorüber  ipar  unb  ha^^  &IM  gefiebert, 
fanf  griebrid^  tiefer  aU  üor^er  in  feine  2;räg^eit  jurüc!;  eine 
june^menbe  ^Ijpoc^onbrie  inar  bie  ^^olge.  „SBirb  er  aber 
fc^lüer  über  ben  ©ingen",  erjäfilte  S)Drot£)ea,  „ober  bie 
S)inge  fd^tüer  über  i^m,  ba§  ift  nid^t  ju  entfd^eiben,  aber 
gerai^  tft,  ha^  bo§  Seben  i^m  fauer  ttnrb";  unb  in  fomifd^em 
inneren  (Xonflift  glüifc^en  |3raftifc^er  (£infic|t  unb  mife= 
Oerftanbenem  Sbea(i§mu§:  „griebrid^  n)irb  ba§  Söic^ten 
immer  leichter,  bafür  aber  —  foll  id^  (etber  fagen?  —  ha§ 
eigentlid^e  5trbeiten  unb  alle§  ©efc^äft  immer  fc^toerer." 
^n  (Srunben  für  feine  Unt^otigfeit  fe:^Ite  e§  i^m  nie.  9hir 
bli^artig  inaren  bie  Slugenblicfe  einer  fo  ftaunenSmertfien 
©elbftertenntnifs,  bie  tl)n  einmal  gu  SSilbelm  fagen  Ite^: 
„5Bufeteft  S)n  nid^t,  ha^  iä)  ben  SOiangel  an  innerer  ^raft 
immer  burd^  ^läne  erfe^e?"  (5)etPöl}nHd^  fdjob  er  Me» 
auf  bie  Ungunft  feiner  materiellen  Sage,  (^twi^  ift  e§,  ba^ 
für  jeben  Slrmgeborenen  ber  ^ampf  um'§  ®afein  befto  ^ärter 
ift,  je  me|r  er  einem  ibee(I=geiftigen  Seben  jugettjan,  unb 
nid^t  D^ne  Sßitterfeit  fann  man  bie  äußere  ^efd^ränttfieit  im 
Seben  eine§  fo  tjod^begabtcn  Tlen\ä)tn  mit  anfeilen.  Stber 
ino    blieben   in  fpäterer,    befferer  Qeit  bie   großen  S^Ijaten, 


©ie  ©elivüber  Scl)IegeI.  25 

btc  fommen  füllten,  luenn  nur  etninat  "öa^f  ©efpenft  be§ 
älJangel»  unb  ber  ©orge  öon  ber  ©d^iüelle  oerfcEieud^t  loäre? 
9}?u§  man  nidöt  ^aroItnen§  flaren  S3Iicf  betinmbern,  bie 
jagte:  „®enn  Tland)e  geöei^cn  in  ber  Unterbrücfung,  bat)tn 
gehört  grtebrtd^;  e§  tüürbe  nur  feine  befte  (Sigent^ümlid^feit 
jerftören,  lüenn  er  einmal  bie  üoHe  ©lorie  be§  ©ieger§ 
genöffe." 

©eil  Caroline  unb  5)orot^ea  neben  ben  58rübern  ftanben, 
fing  ha?-  alte  fefte  SSanb,  burd^  t)a§  fie  fid^  untrennbar  öer* 
einigt  glaubten,  locfer  gu  njerben  an,  unb  ha§  ift  tvol}!  ba§ 
S;raurigfte,  iüa§  fie  erleben  mußten.  Stnfänglid^  föar  j^riebrid^, 
ber  fed^§  ^alire  jüngere,  ber  unbebingt  5(uffc|auenbe  unb 
SSere^renbe  gelüefen,  aflmälig  aber,  a(§  ber  Sieii^tl^um  unb 
Umfang  feinel  ©eifte»  gur  Geltung  fam,  änberte  fic^  bn§ 
SSer^ältniB  unb  SBilljelm  empfanb  i^n  al§  ben  ©tärferen, 
ben  2;onangebenben.  ^n  biefem  ^erfe^r  ein5ig  ttJar  (i;itel= 
feit  gang  auggefd^toffen,  lüo  beibe  gegenfeitiger  Stnerfennung, 
ja  33eiDunbernng  gemife  tüaren,  fid^  übert)au|)t  ol»  Sinei  ^älften 
eine§  lüürbigen  ©anjen  füf)Iten.  Sie  mürben  inne,  niie  fie 
einanber  ergänjten  unb  lüurben  nid^t  mübe,  e§  einanber  5U 
fagen  unb  fic^  biefer  SSIutSfreuubfc^aft  unb  ©emeinfamfeit 
ju  freuen,  ©ie  fc^lüelgten  in  gemeinfamen  Gntlüürfen  unb 
befonberS  griebric^  mar  finblid^  befeligt,  menn  er  i^re  beiben 
5Jamen  nebeueinanber  gebrurft  unter  ii^ren  brüberlid^en  SBerfen 
lefen  fonnte.  Unb  biefe  (Sinljeit  unb  (ginigfcit  imirbe  an» 
getaftet,  nid^t  burdE)  5einbIicJ)e§,  beffen  fie  fid^  hätten  er= 
lüe^ren  fönnen,  fonbern  burc^  grauen,  bie  aud^  5lnt^eit  an 
t^nen  Ratten,  bie  i§rem  ^ergen  na^e  ftanben,  im  ©runbe 
alfo  burc^  fid^  felbft.  216er  leidet  fonnten  fie  oon  bem 
Sraume  iörer  Unüberlöinblid^feit  im  ^uf^mmenirirfen  nid^t 
raffen.  „3t)r  feib  ein  einjigeÄ  unt^eitbare«  SBefen",  fdjrieb 
9ioöali§  an  griebrid^  5U  ber  ^ett,  a(»  ber  ©amen  ber  @nt' 


26  2;ie  föebrüber  ®d)Iegel. 

jiüeiung  fd^on  gefät  war.  9Jitt  ängftttd^er  ©e)'orgnt^  ^teilen 
fie  t)a^  ^leinob  feft,  ba§  für  fie  einen  Sali§man  bebeutete: 
ben  ©tauben  an  bte  innere  9Jot^menbigfeit,  ben  S^aturjtüang 
i^rer  Siebe.  5)ie  roinanttjd^e  ©d^ule  felb[t  ift  ein  Senfmat 
biefer  Qkht.  Ser  gennc^tige  griebrid^  tüar  ber  SUJagnet, 
ber  bie  begabten  e^reunbe  anjog,  SBitt^elm,  ber  Stül^rige, 
Öelle,  2Bact)e,  toie  Ü^^aroline  i^n  nannte,  organifirte  fie. 
§offnung§öoÜ  ftanb  er  am  ©tranbe,  um  auf  feiigen  unfein 
ein  neues  5Reic§  ber  ^oefie  5U  grünben: 

SSerbrüberte  ©efäfjrten  fe^'  \d)  id)n)e6en. 
2Sa§  jd)rectte  mid),  baß  iö)  ba^inten  bliebe? 
®§  leuchten  ntilbe  ©lerne,  broI)t  tein  SSettev. 

©0  (eif,  0  fuße  ^oefte,  mein  öeben! 

3)11  Sugenb  in  ber  Qugenb,  Sieb'  in  Siebe, 

^i^atur  in  ber  9?atur,  ®Pttf)ett  ber  ©ötter! 


2Benn  über  einen  S3erftorbenen  t)a^  Urt^eif  ber  ^ett» 
genoffen  au§etnanberge|t,  |)aB  unb  Qitht  luettetfern,  fein 
5BiIb  iebe§  in  feinen  Farben  auSjumalen,  bann  münfc^en 
n)ir,  äffe  bie  luiberfprecöenben  ^eugniffe  einmal  üergeffen 
unb  anftott  beffen  einen  Sficf  in  'iia^  3(ntlt|  t§nn  unb  ein 
SBort  au^  bem  9)iunbe  üernc^men  ju  fönnen,  bie  ber  itob 
au§gelöfc^t  i)at,  bamit  n^ir  ba§  ©eijeimntB  ber  Seele  barau§ 
abläfen.  2Bie  mar  fie  benn  in  SBa[)r^eit,  biefe  Caroline, 
bie  ber  gro§e  @d^if(er  ^ame  Sucifer  nannte  unb  tie  fo 
Dielen  3{nbern  bie  (Sinnige,  Unöergleic^Iid^e  mor,  bie  nn= 
ttjiberftel^ücf)  Stile  anjog,  auf  hit  ber  lüorme,  finge  S3Iicf 
tf)re§  liebeonllen  2Iuge§  fiel?  SBenn  mir  fie  felber  fragen 
fönnten,  tüürbe  fie  gemi^  ftolj  unb  freimüt^ig  unb  flar 
über  fic^  5(u§!unft  geben,  unb  öieHeicfit  toürbe  fie  mit  lieb-- 
tic^er,  Eiatb  fc^er^enber  2Be(jmut§  fagen:  @e^t  S^r  e§  mir 
benn  ntd^t  an,  ha'!^  mein  ^erj  gut  ift? 

@te  mar  nid^t  eigentlich  ein  romantifd^er  S{)arafter  mit 
fonberbaren  9J?ifc^ungen,  ^Dämmerungen,  9tät^fetn,  fonbern 
i^r  SSefen  mar  bie  ©ic^er^eit  unb  3?uf)e  ber  Harmonie, 
unb  e§  lie^e  fic^  auf  fie  anmenben,  ma§  i^riebrid^  ©d^tegel 
in  feiner  „Cucinbe"  üon  ber  Heinen  SBil^elmine  fagt:  „SDer 
ftärtfte  iöemeiS  für  i^re  innere  95oIIenbung  ift  i^re  ^eitere 
©elbftsufrteben^eit." 

Sie  mar  bie  Stod^ter  be§  ©öttinger  ^rofefforS  3Jlid)adi^ 
unb,  im  ^a^xe  1763  geboren,  faft  no(^  ein  Slinb  be§  anci<-n 


28  Caroline. 

regime,  aufgeflärt  unb  öerftänbtg,  in  tl^rer  frühen  3»9enb 
fogar  ein  menig  fentimentat.  2ßie  fie  in  einem  Sßrief  an 
t^re  greunbin  Suife  ©otter  t^re  SSerloBung  nnb  ^od^jeit^» 
feier  befd^reiBt,  bei  melc^er  ®elegenf)eit  man  ha^  junge 
^aar  in  befranste  unb  mit  SSerfen  gefd^mücfte  Sauben  führte, 
ba§  mnttiet  iüxt  .^lopftocf  unb  SBielanb  an.  '^Iber  menn 
einmal  öon  3eit  su  S^^^  ein  öeüer,  ftarfer  S^aturlaut  bur(^= 
bricht,  fo  fpürt  man,  iia^  biefe  SJierfmale  eine§  auSge^enbcn 
^eitalter§  i^r  nur  angeflogen  finb  burc^  58ei[piel  unb  Sitte, 
hie  auf  einen  :^armDnifcJ)en  (S^arafter  ftar!  gu  tuirfen  |)ffegen. 
@D  bic^tete  ja  ber  junge  ©oettje  feine  5tnfänge  gan^  im 
@efd)ma(fe  fetner  3eit  unb  mu^te  erft  öon  |)erber  auf  vt' 
öotutionäre  Sahnen  geführt  h)erben. 

Karoline  begann  it)r  Seben  al§  Srau  be§  93ergmebi!u§ 
$8ö^mer  in  K(au§t§at,  eingeengt  in  SBätber  unb  S3erge, 
jurücfgejogen  in  einen  befcfiränften  Kreis,  luo  fie  fic^  nie= 
mat§  ^eimifd^  füllte.  (S§  njar  nid)t,  ba§  fie  großortigere 
SSer^ättniffe  erfelint  ]§ätte;  aber  i^re  ftarfe  Statur  Verlangte 
unbemufet  nad^  QJefc^icfen,  bie  fte  bilben  unb  enttoicfeln 
fönnten;  benn  ber  65eniu§  be§  SJJenfc^en  lüitl  immer,  liia§ 
i|n  förbert,  unb  bringt  fogar  Unglüd  ^erbei,  tt)enn  ber 
SCRenfc^  e§  broud^t  unb  ba^er  ein  5lurec^t  barauf  f)at.  Sie 
n^ar  nidfit  baju  anget^an,  über  fic^  felbft  nac^jugrübeln 
unb  fid^  hmd)  mirfliduie  ober  eingebilbete  innere  ©ouflifte 
einen  ^eitoertreib  ju  oerfcftaffen;  aber  fie  füllte  beutlic^, 
ba^  tk  9iui^e  unb  ©emäd^üc^feit  il)r  nid^t  gut  tfiaten,  unb 
eine  leife  2Ingft  n\vad)U  in  il}r,  tit  „eble  2:^ätig!eit"  möchte 
gan§  erlahmen,  fie  fönnte  träger  unb  träger  luerben  in 
i^rer  SUJeeregftifle  unb  ,^ule|t  abfeit§  liegen  bleiben  mit 
ftocfenben  Kräften,  ©ie  mar  auc^  be§megen  frei  boöon, 
fic^  ber  ©c^luermut^  ^injugeben,  tüeil  bie  i^r  natürliche 
2BeItanfd)auung  niar,  ber  93Jenfd^  fei  beftimmt,  5U  genießen, 


itavüline.  29 

me^r  all  jebe^  anbre  ©efc^öpf,  unb  öerfe^Ie  feinen  3>üecf, 
menn  er  e»  nic^t  t^ue.  ©lücflic^  gu.fein  festen  t^r,  menn 
fie  e»  nt^t  üon  felbft  war,  eine  ^flicf)t,  unb  fie  öerfuc^te 
el  immer  njieber  unb  lüieber,  luie  aud)  bie  Urnftänbe  e§ 
i|r  erfc^iperen  mocfiten.  Seic^lfinn  ober  ©enu^fuc^t  war 
ta§>  nicöt  —  rate  e§  fic^  benn  um  ein  ro^  materielle^  ®e- 
nie^en  natürlich  nic^t  ^anbelle  — ,  öielme^r  eine  gro^e, 
feltene  ©erec^tigfeit:  raenn  fie  un5ufrieben  raar,  fuc^te  fie 
niemals  hk  @c^u(b  anbersrao  aU  in  fic^.  2)a§  bie  SBelt 
fc^ön  fei,  öoftec  ®aben  unb  «Segen,  raar  i^r  unumftöBlic|e§ 
©efü^I;  raenn  i^r  iölüt|e  unb  ^xndjt  nidjt  anfielen,  machte 
fie  e§  fic^  ^ur  Sütfgabe,  an  einem  o^^eigfein  ober  33Iatte 
fro!^  gu  raerben.  Unter  gebämpften  5:^ränen  läc^elnb,  fucf)te 
fie  fic^  Reiter  ju  erhalten  sraifc^en  ben  ernften,  .graben, 
fc^raarjen  ober  oerfc^neiten  Sannen  be§  ^av^e^,  mit  benen 
fie  nid)t§  ansufangen  raupte,  Ia§  unb  Ia§  in  ben  ^-Büd^ern, 
bie  bie  ©cfiraefter  i^r  au§  ber  ©öttinger  S3ibüot^e!  burc^ 
bie  33otenfrau  ^inüberfc^icfte  —  Stomane,  9)?emoiren,  2BeIt= 
gef(f)ic^te,  Derfi^oÜene  ^^itofop^ie  unb  Seben^raei^fieit  — 
unb  fteHte  fic§  lüo|I  auc^  inmitten  ber  brücfenben  (Sinfam= 
feit  oor  ben  ©piegel,  nicfte  itjrem  betrübten  Silbe  §u  unb 
rief  eä  ermunternb  an:  (5)räme  bid^  nid;t  attäufei^r,  ßaro" 
linc^en! 

5|re§  SOJanneä  9tec^tlid^feit  achtete  fie,  unb  bie  blinbe 
3ärttic6feit,  bie  if)r  junges  liebefudjenbeg  ®emüt^  auf  if)n 
geraorfen  ^atte,  ^ielt  fie  ängftlic^,  raie  jum  @e(bftfcf)U^,  in 
itirem  öerjen  §ufammen.  'üind)  Sc^raäc^e  mag  man  es  oon 
einem  anbern  8tanbpunfte  au»  nennen,  biejenige  ©c^raäd^e, 
bie  i^r  eigenfteS  SBefen  au§mad)te  unb  §uglei(^  i^re  ©tärfe 
mar,  baB  fie  nämlic^  o|ne  Siebe  nict)t  fein  tonnte.  2)a  er 
nun  einmal  ii)r  ©efii^rte  raar,  raoüte  fie  nic^t  raiffen  unb 
fe^en,  fonbern  liebhaben,  liebhaben,  treil  fie  of)ne  ha^  md)t 


30  Caroline. 

I^ätte  at^men  unb  fein  fönnen.  ®a  er  aber,  mt  ea  fc^etnt, 
öiel  luenicjer  Umfang  be§  SSefen§  f)atte,  aU  fte  Stebe§füIIe 
befa§,  überfd^üttete  fie  mit  allem  Ueberf[u|  ii^reg  ^ersenS 
bie  .<^inber,  hit  fie  be!am,  fo  ha^  man  !§ätte  meinen  fönnen, 
bie  9JJutterf(f)aft  märe  il^re  einzige  S3eftimmnng  getüefen. 

Ueber^aupt  tft  ba§  be|onber§  an  i|r  ju  \d)ä^m,  bafs  fie 
aUe  ^pic^ten,  bie  ba§  Seben  mit  fic^  brai^te,  unb  aUe  ®e- 
Iegen!^eiten,  fid^  gu  bet^ätigen,  hjenn  e§  aud^  geringfügige 
§an§l}alt§angetegen^eiten  luaren,  grünblic^  ergriff,  unb  hd 
Qdem,  U)a§  fie  borI)atte,  fo  fe^r  mit  ganzer  6eele  inar,  ba^ 
man  jebegmal  ^ätte  meinen  fönnen,  grabe  bie§  fei  für  fie 
bie  |)auptfad^e  unb  grabe  bafür  fei  fie  geft^affen.  Sie 
Meine  Slugufte  freilid^  tuar  unb  blieb  in  Söa^r^eit  bie 
^auptfac^e,  ha^  feltfame  ®ef(^öpfd)en,  unfcfiön  guerft,  aber 
öon  immer  5une^menbem  Siebreij,  tuie  e§  hd  ben  SJienfcfien 
ber  gall  ift,  an  bereu  ©cfiönl^eit  ber  fid^  entmidEelnbe  ©eift 
großen  5lnt^eil  ^at,  altflug,  finbifd^,  nait),  frühreif,  triffen^- 
burflig  unb  oergnügunggfüd^tig,  ein  ftaunenerregenbeg  Surc^= 
einanber,  mit  bemfelben  järtlic^  tüeirf)en  ®efi(^t  unb  ber 
blumeuüiaften  Steigung  be§  S'opfe§,  luie  e§  ber  9}iutter  eigen- 
tljümlicö  lüar.  2)ie  anbern  ^inber  ftarben  frü^,  balb  nad^ 
bem  Sobe  iljreS  9J?onne§,  ber  nad^  öierjätiriger  (S^e  ftattfanb. 

©0  rau!^  lüurbe  fie  au§  bem  ©efängni^  ibrer  finblicfien 
^ugenb  erlöft  unb  feinen  anbern  ©ebraud;  fonnte  fie  gu^ 
nä(i)ft  tton  i^rer  greit)eit  madjen,  aU  ha^  fie  ben  fleinlid^en 
^'anipf  mit  aUtäglid^en  gamilienfümmeruiffen  unb  über« 
flüffigen  Diörgeteien  aufnatjm;  fie  fe^rte  nämlit^  gu  if^rer 
gamilie  nad)  ©öttingeu  jurüd.  2Bie  eng  unb  flein  bie 
bortigen  SSerIjättniffe  auc^  luaren,  empfanb  fte  e§  bodj  at§ 
eine  SSonne,  frei  ju  fein  unb  bie  glügel  lueit,  fo  meit  fie 
iDoHte,  augfpannen  ju  fönnen,  unb  erinnerte  fii^  mit  ©rauen 
an  iiit  bitmpfen  ^at)x^  in  ftlauätfial.     ^e^t  erft  geftanb  fie 


iEaroIine.  3 1 

fid^,  ba^  fie  fid^  iote  tu  einen  ^»finge^  etngefd^Ioffen  gefütjlt 
l^atte.  %bn  faiim,  ha^  [ie  e§  recfit  inne  geworben  tüar, 
begab  fic§  bie  Ung(ücf(ic§e  freilindig  in  neue  ©ffaöerei. 
S;a^  mal  eben  i^r  gluc^  —  une  üielfeic^t  aud^  i^r 
©egen  — ,  ba§  [ie  nid^t  frei  fein  fonnte,  ba^  iljr  ^erj  bie 
5Ibi)ängigfeit  fud^te  üon  ettüa§  5lngebetetem.  jr)iefer  §ang 
t^re§  ^erjenS  fonnte,  luie  fie  jelbft  Juol)!  lüu^te,  fogar  für 
eine  Zeitlang  ibren  gellen,  fonft  unbefted^Iid^en  ®eift  t)er= 
blenben,  obiüotjl  fie  e»  immer  biinfel  in  fid^  a^nte,  lüenn 
fie  auf  ^rnuegen  umr. 

S)er  SJ^ann,  bem  fid^  i^re  Seele  nun  mit  blinber, 
fc^ranfenlofer  |)ingebung  üertraute,  fd^eint  ein  problematifc^er 
ß^arafter  getuefen  ju  fein.  5)er  ftarfe  Snftinft,  ber  fie  fo 
fic|er  mad^te,  fehlte  tl^m.  @r  mu§  fie  tüoll  auf  feine  Slrt 
geliebt  |aben  unb  tvax  jebenfallg  ein  S3elDunberer  ibrer 
SSorjüge;  aber  e§  loäre  möglich,  ha'^  hu  ©tärfe  iE)rer 
Statur,  bie  er  on  t£)r  liebte,  i^n  jugleic^  beängftigt  ^ätte; 
benn  er  griff  ni(^t  ju,  um  fie  feftjui^alten,  bie  iljm  mit  bem 
ganjen  Stolje  unb  ber  gansen  greubigfeit  i^rer  Siebe  ent- 
gegenfam. 

Dh  er  fic^  i|r  nic^t  gemai^fen  füi^Ite  unb  bee^alb  ben 
Tlüt^  nid^t  ^atte,  fie  befi|en  5U  njollen,  ober  ob  er  über* 
|aupt  unfähig  luar,  ^u  Heben,  unb  nur  al§  ein  fd^iräc^Itd^er 
(Sgoift  eine  Seile  mit  Iialbiual^ren  ©efü^Ien  fpielte,  bange 
öon  fic^  felbft,  feiner  SÜSürbe  unb  ^equemlid^feit  ein 
Stücfd^en  ju  bertieren  —  turj,  er  üe^  fic^  iljre  unermüb^ 
lid^e  Siebe^iuittigfeit  unb  ©üte  gefallen,  reifte  fie  tpo^l  oud^ 
gar  unb  blieb  babei  bod§  in  einer  fpröben  3»i^ücf^a(tung. 
9Jiit  i^rem  öollen  ^er^en  füllte  fie  fic^  fä^ig,  glürflid^  ju 
madfien,  unb  lüollte  ben,  ben  fie  fic^  erforen  l^atte,  ju  feinem 
©lücfe  gluingen.  §eirat^§anlräge,  bie  i§r  gemacht  Juurben, 
fc^Iug  fie  um  feinetmiKen  au§. 


32  Caroline. 

damals  machte  fie  bte  S3e!anntfc^aft  be§  ivmgen  Söit^elm 
©c^tegel,  ber  im  Umgange  mit  Bürger,  bem  einfamen, 
Dergeffenen  Greife,  feine  erften  bi(^teri[(f)en  ©tubien  mod^te, 
unb  el  Iä§t  fic^  benfen,  ha^  ber  regfame,  oorurt(jeiI§freie 
Jüngling  eine  erquidenbe  ©cfrfieinung  für  fie  toax  inmitten 
ber  bnmpfen  §erfömmlic§!eit  ober  öorfic^tigen  8teift)eit  ber 
©öttinger  Honoratioren,  daneben  freitid^  fü^tte  fie  fic^ 
t|m  grünblic^  überlegen,  unb  tia^  nidEit  nur,  toetl  er 
fe(^§  ^aiiu  jünger  aU  fie  mar.  gür  bie  moberne  9ttd^tung 
tu  ber  öiteratur  mit  i^rem,  mie  man  jel^t  fagen  n)ürbe, 
nerööfen,  fenfittöen  Seben  J)atte  fte  of)nebie§  feinen  (Sinn; 
ber  altmobifc^e  (Sotter,  ber  SOiann  i^rer  {^reunbin  Suife, 
mar  für  fie,  ma§  man  nur  Don  einem  orbentlid^en  Siebter 
»erlangen  !ann.  9JJit  allem  Uebermutt)  i^rer  ftarfen,  ju» 
öerfic^tlicf)  ba§  ^öc^fte  begeJ)renben  ^erfönlic^feit  U)ie§  fie 
ben  jungen  ©d^öngeift  ab,  ja,  niiiit  o^ne  jene  ©raufamfeit, 
bie  nur  SSerliebte  ^aben,  menn  fie  ööHig  in  ben  geliebten 
©egenftanb  öerfunfen  finb. 

äJian  barf  fic^  nun  aber  ntd^t  üorfteüen,  fie  l^citte  jemals 
über  einen  geliebten  9)?ann  mirflid^  fic§  unb  bie  ganje 
SBelt  öergeffen.  ®a§  brauchte  man  faum  ^eroor^ul^eben 
unb  nod^  tüeniger  gu  rül^men.  @§  möchten  leidet  me^r 
grauen  5U  finben  fein,  benen  bie  ükhe  SI(Ie§  mar;  fie 
unterf treibet  ba§  grabe  üon  ben  meiften,  'Da'^  fie  über  i{)re 
Siebe,  fo  gro^  unb  ^ingebenb  fie  auc|  luar,  bod§  bie  Söelt 
niemals  öerga^.  ^^x  aufmertfamer  ®eift  blieb  i^rer  blinben, 
elementarifcf)en  Seibenfc^aft  ebenbürtig.  9lie  öerlor  fie  hk 
benfenbe  S^eilna^me  an  ben  SJlenfc^en  unb  it)rem  Stf)un. 
2Bie  flar  mar  aber  aiic^  ber  ©pieget  i!§rc§  geiftigen  SlugeS, 
mit  bem  fie  bie  Silber  it)rcr  3sitgenoffen  auffing,  ©ie 
fonnte  auc§  SSater,  SJiutter  unb  ©efd^mifter  mie  grembe 
feljen  unb  f(f)ilbern,  nur  bafj  il)r  Siebe  ober  ^ietät  immer 


Äavoline.  33 

gur  ©ette  ftanben  unb  iuenn  nid)t  i[jr  Urt^eit,  fo  bod)  hm 
3tu§brucf  t()re§  Urtljetl^  beeinffu^ten.  Sn  tfjren  5reunb= 
fc^aften  mit  grauen  wai  ntdjt»  ©c^tnärmerti'd)e§  unb  SSer= 
fttegene§,  öielmefjr  lag  eine  geiüifje  Unerbtttlic|feit  in  ber 
Slrt,  ipte  fie  bie  greunbin  gan§  na()m,  luie  fie  luar,  ofine 
je  ju  tbenU[iren;  aber  trenn  jie  auc^  nic^t  burd)  ©d)metd)elei 
üeriuötjnte,  fo  beglüdte  fie  umfomefjr  burd^  SSerftänbniB, 
richtige  Sdiä^ung  unb  uniuanbelbare  5ln|änglic^feit.  ^ene 
ec^te,  geniale  ^unft  beg  3beaÜfiren§  öerftanb  fie  aber  bod), 
bafe  fie  nämlid)  bie  SD^enfdjen  al§  ©anseä  fe§en  fonnte,  i^r 
SBefen  ber  gerftüdelnben  3eit  entreiBenb  unb  fd^öpferifd)  ju- 
fammenfaffenb.  3)a[]er  ^aben  iljre  ©^itberungen  üon  ^^er- 
fönen,  bie  luentgen  ?}älle  aufgenommen,  loo  perfönlidie 
Seibenfdiaft  t§ren  93Iid  er^i^te,  W  äRilbe  parteilofer 
SBaf)r§eit,  ber  man  unbebingt  (Stauben  fc^enft. 

2Bie  beutlic^  tritt  bie  ©eftalt  3:§erefe  Sorfter'g  au§  ben 
lurjen  33emerfungen  ^erüor,  hk  fie  in  ^Briefen  über  fie  ge= 
mad^t  l}at:  ber  glüdserflörenbe  ®eift,  ber  in  iljrer  ganjen 
gamilie  luo^nt,  i|re  Ungliuf§fuc^t,  hk  fic|  biejenigen,  bie 
fie  liebt,  burc^au§  unglüdltc^  oorftetten  mu^,  luie  fie  überall 
93ittere§  finbet,  lüie  unerquidüc^  fie  für  W  9}ienf(^en  im 
5ttlgemeinen  ift,  lüie  unenblic^  biet  fie  Senigen  fein  fann, 
^^^  3h  d^^  ®rö^e,  i^re  Energie  unb  fiü^ntieit.  SBie  fein 
unb  gut  ift  e§,  ba|  fie  in  StHem,  lDa§  an  2§erefen  abfiö^t, 
bie  „conöuIfiDifd^en  ^öeluegungen  einer  großen  ©eele"  er= 
fennt.  SBte  Caroline  tt)ar  X^erefe  bie  3;oc^ter  eine§ 
©öttinger  ^rofeffor§,  be§  angefeljenen  ^f)itoIogen  |)ei)ne, 
unb  tinirbe,  nad)bem  i^re  SSejiel^ungen  ju  bem  jungen 
Sßil^elm  bon  ^umbolbt  gelbft  waren,  bie  grau  ht§  Statur- 
forfd^er»  ©eorg  gorfter.  gür  feine  grau  fiatte  Caroline 
jemals  ein  ftärfere§  ^ntereffe.  ©rabe  ha"^  biefe  ringenbe 
unb  unflare  Seele  t)on  i^rer  Harmonie  unb  ©üte,  hie,  nad) 

$ucf),  3iomantiter.  3 


34  5lnvoIine. 

i^rem  eigenen  ^lu^örucf,  mit  folc^er  ©icfierfieit  am  $8ufen 
ber  Statur  ru^te  unb  t^r  in'ö  5luge  fai),  fo  berfcEiieben  lüor, 
ma^te  fie  i|r  merftüürbtg  unb  onjteljenb.  Qn  tf)re  traten«» 
lofe  @infam!eit  fam  eine  (Stniabung  biejer  greunbin,  ju  if)r 
nad^  äRainj  überjufiebeln,  ba§  fid)  elben  ber  neuen  fran- 
Söfiff^en  3fteput)Iif  angefd)Io[fen  .  Ijatte.  S)a  \vai  ba^  dk' 
ment,  in  bem  fie  atljmeu  fonnte:  Seben  unb  §aublung! 
SBte  eine  ©rlöfung,  lüie  ein  9tuf  be§  ©ctitcffalg  mu^tc  il)i 
bieje  5(ufforberung  erfd^einen,  t^r,  hk  fid^  fäfjig  füf)tte, 
„SBunber  ^u.  tljun  unb*  ein  loiberftrefienbeS  @dE)icffa(  bur^ 
ein  glüfjenbeS,  überfüllte§,  in  ©djmerj  unb  in  greuben 
jc£)lüelgenbe§  .S^erj  gu  be^tuingen",  unb  bie  feine  anbre 
5(ufgai)c  öor  fic^  fa^,  al§  bie  (Srjiefjung  eine§  fleineu  gut» 
artigen  33?äbd^en§,  überfliiffige  gefeHige  ^flid^ten  unb  2Iuf- 
tieiterung  einer  mipergnügten  gamilie.  ^Iden  SBarnungen 
auc^  ber  geliebteften  H)JenfdE)en  gum  Xxo^  50g  fie  mit  itjrem 
^inbe  in  bie  aufgeregte  ©labt,  in  ha§  frampf^afte  treiben 
etne§  großen  SSoIfe^  f)inein,  tüo  bie  inoljlmeinenben  greunbe 
ein  fo  Ieibenfc|afllic£)e§,  Iiebebebürftige§  ©efc^öpf  oüerbingä 
für  gefäfjrbet  Italien  konnten,  ©te  inbeffen  pffegte  fid^  auf 
ben  3"g  t^re§  ^erjenS  ju  öerlaffen.  3}ät  üoHem  Seiuu^t' 
fein  t(}at  fie  e§,  e§  mar  ii)r  (Stolj  unb  iljre  (Sicher [)eit. 
(Sie  tüu^te,  ba^  fie  ficf)  irren  fonnte,  nie  aber  fic^  felbft 
üerlieren.  «Sie  befa^  ben  glücftidfjen  ^nftinft  ber  dlaä)t' 
tuanbler,  bie  nid^t  ftürjen,  luenn  man  fie  nur  rufjig  gefjen 
lä^t.  %iid)  bie  t5ef)Itritte,  hk  fie  tfjat,  unb  bie  ^rrloege, 
hk  fie  Jüäljite,  mußten  ifjr  bienen.  Um  ni(^t§  I)ätte  man 
fie  me^r  beneiben  bürfen,  aU  um  bieg  S:alent  §ur  S3itbung 
be»  Seben§,  lüenn  man  btefen  5tu§brud  gebrauchen  fann, 
ha^  in  jebem  Scfiicffat  ^u^ei^fit^t  öerteiljt,  meil  man  im 
©runbe  um  ben  testen  §luägang  nic^t  beforgt  ift.  „5SieI- 
Ieid)t    bin    id^    h)irfli(^    fc^mer   ju   einer   (£ntfc§eibung   ju 


.tavoline.  35 

bringen",  jagte  fie  einmal,  „atteiu  id)  iiabe  jie  noc^  [teil 
gefaxt,  ef)e  e§  gu  fpät  tvar,  unb  mi(f)  unberrücft  an  i^r 
genauen,  ^d)  fage  ntc^t  f)eute,  id)  luill  bie»  t§nn  nnb 
morgen,  id)  roiK  ein  Slnbre»,  unb  jebeömal  fo  guuerfic^tlid), 
aU  njcnn  e§  emig  gelten  luürbe  —  nein,  e§  malt  fic^  wot)! 
fe[}r  beut(t(^  in  meinen  3leu^erungen,  ha^  id)  md)t  tüd% 
toa§  id)  t^nn  foH  —  bi»  ber  SD'Jomcnt  !ommt."  @d§arf 
prägt  ftd^  in  biegen  Söorten  eine  "^atut  öon  benen  aü§, 
bie  ftet§  me^r  I)atten,  al^  fie  oer[prec^en,  bie  ju  flar  bc= 
n)u^t  ftnb,  um  fid^  felbft  belügen  §u  fönnen,  unb  beren 
retner,  ftarfer,  nid^t  ju  mipzntenber  Snftinft  fie  fc^üejilid^, 
njenn  e»  nöt^ig  ift,  ju  Ijanbeln,  ba^  für  fie  3lngemeffcne 
tl^un  lä^t. 

@§  mochte  nic^t  leidet  für  Caroline  fein,  junfclien  ^^-orfter 
unb  S;i^erefe  ju  leben,  bie  in  entgegengefetjter  SBeife  ibr  ^nter- 
effe  in  5lnfpruc^  natimen;  i^r  5ßerftanb  erfannte  5:^erefe'l 
gro^e  Mutagen  an,  aber  i^r  ®emüt£)  iiuirbe  immer  meniger 
bur^  fie  befriebigt;  bagegen  mißbilligte  i^r  ^opf  gorfter, 
„ben  fcE)inäc^fteit  aller  äJJenfc^en",  iüä£)renb  i^re  meiblid) 
mütterliche  ^ärtlid^feit  t!)m  öielleid^t  grabe  luegen  feiner  Un- 
fuaft  nid^t  anberg  aB  tiebeöoK  begegnen  fonnte,  beffen  ^lu 
telligenj,  93efd^eibenl}eit  unb  großmütliige  ©efinnung  außerbem 
ibr  ^erj  berounberte.  ®a§  5ßer()äItniB  mürbe  baburd)  nod) 
oeriuidelter,  baB  gerabe  um  biefe  ^eit  bie  @f)e  fid)  t)oftenb» 
auflöfte,  inbem  ^|erefe,  hit  je^t  behauptete,  i^ren  SJiann 
etgentlid)  niemat§  geliebt  ju  ^aben,  fic^  gänjlid^  |)uber  ^n^ 
inanbte,  bem  ef)emaligen  greunbe  ©diillerg  unb  Bräutigam 
ber  ©d^mägerin  ^örner'S,  3o^fl""a  ®tod.  gorfter  (}örte 
bi§  äum  Stöbe  nid^t  auf,  feine  grau  ju  lieben  ober  mit 
Ä'oroline  nii^t  o^ne  ©eringfc^ä^nng  e§  befd)rieb,  „man 
mürbe  feine  Siebe  tobten  tonnen,  aber  feine  Stntjängli^feit 
nic^t".     ®r  ^abt  nid)t  bie  ßvaft,  fic^  logjureifeen,  erjä^Ite 


36  .Caroline. 

fie,  lebe  üon  5lttenttonen  unb  fd)maii)te  nad)  Siebe.  9kd^= 
bem  ^^erefe  t§r  .f)au§  öerlaffen  iiattt,  raurbe  Caroline  bte 
S:röj'tertn  be§  Unglüdüc^en.  ^ur§e  ^eit  fierim^  traten 
furctitbare  (Sretgntffe  ein;  äJiatnj  ujurbe  üon  ben  ^eutfc^en 
belagert  unb  erobert,  gorfter  entffol^  nac^  ^art§  unb  Slaroline 
fiel  ben  ©iegern  in  bte  .^lönbe. 

SDte  befangenen  n)urben  o(§  ©eifeln  auf  eine  Seftung 
gebrad^t  unb  mit  auSgefuc^ter  9toJ)|eit  unb  3^ic^tacl^tung  i^rer 
xed^tmä^igen  t^orberungen  befianbett.  ^aroline'g  jarte  ®efunb= 
:^ett  unb  bte  2(ngft  um  if)r  Sinb,  ba§  fie  bei  fic^  ^atte,  mad)ten 
i|r  alle  Seiben  unb  ©ntbeljrungen  bop^^eü  empfinblidf).  2Bag 
mar  aber  ha^  gegen  bie  Tlavkm,  bie  i^rem  jarten  unb 
ftoläen  ^erjen  jugefügt  n)urben!  9^iemanb  t)atte  i^r  S3er= 
loetlen  in  SJloinj,  ttjren  ®ntljufia§mu§  für  bie  franjöftfc^e 
grei^eit  unb  i^re  X^eilnai)me  für  gorfter,  ben  SSertreler 
berfelben,  gebilligt,  man  tiatle  il^r  im  (Seifte  bie  rDt:^e  9Kü^e 
ber  Safobiner  aufgefegt  —  unb  melc^er  ©d)teii|tig!eit  ^ielt 
man  S^fobiner  nic^t  für  fäbig?  Heber  bie  Unglüctlidie  unb 
SßeJirlofe  ergo^  ftcf)  bie  5SerIeumbung:  fie  fottte  bie  beliebte 
be§  fransöfif^en  (Seneral§  Ciuftine  geiuefen  fein,  i^re  greunb^ 
fc^aft  mit  j^orfter  lüurbe  nidE)t§beftoiüeniger  aU  SiebeS* 
öer^äÜni§  aufgefaßt,  i^r  ©c^iuager  Sö:^mer,  ber  auf  Seiten 
granfrei(i)§  lüar  unb  eine  guieibeutige  3ioIIe  gefpielt  i^atte, 
h)urbe  für  i^ren  9)iann  gefjalten.  (Sie  fonnte  nic^t§  tdun, 
aU  ftolj  unb  entrüftet  tt)re  Unfdfiulb  betl^euern,  aber  fie  tl^at 
e§  mit  bem  @efüJ)I,  ba|  ber  ©cfiein  gegen  fie  mar.  ®enn, 
rote  faifct)  au(^  bie  5Intlagcn  maren,  bie  gegen  fie  üorgebrac^t 
rourben,  etma§  $ßert)ängniBöoHe§  war  gefd^e^en:  fie  erwartete 
aKutter  eine§  ^inbeg  ju  merben,  ol^ne  mit  bem  Sßatcr  be§- 
felben  reditlirf)  berbunben  ju  fein,  ja,  n)a§  erft  ha^  eigent= 
lic^e  Unglücf  ausmachte,  of)ne  fic§  i^m  innerticö  üerbunben 
ju  füllen. 


.Caroline.  37 

SKan  §ätte  nitt)t§  gewonnen,  tüenn  man  mit  ©td^ertieit 
ermitteln  fönnte,  iper  ber  Tlann  wav,  bem  fic^  bie  ©infame 
fo  unbefonncn  unb  freublog  (eingegeben  Ijalte.  ^a^  fie,  bie 
^Infd^miegfame,  öon  einem  9}?anne,  ber  fie  ju  feffeln  föu^te, 
^ingeriffen  luerben  fonnte  unb  um  jeinetunHeu  SSernnnft  unb 
5>orfic^t  fitntangefe^t,  ift  lüenigcr  überrafd^enb,  aU  bafe  Seiben= 
f(^aftlic^!eit  ii^re  fetten  5(ugen  fo  umflorte,  "Da^  fie  bie  Un= 
tt)ürbigfeit  be§  £iebf)aber»  nic^t  erfannte  ober  überfaf);  unb 
üielleid^t  !^ätte  e§  bod^  nid^t  gefc^e^en  tonnen,  luenn  ntcE)t 
öorfjer  bie  $etn,  einen  Tlann  ju  lieben,  ber  fie  niemals 
ganj  an  fid^  jog  unb  bod)  auc§  niemat«  entfdjieben  bon  fi(^ 
ftie^,  fie  überreizt  unb  im  ^er^en  !ranf  gemacht  Ijätte. 

2)a  fie  nun  aber  allein  in  bie  entfeljlidiften  2?erl)tiltntffe 
!^inau§geftofeen  loar,  fanb  fie  i|re  gange  Ueberlegent)eit, 
©eelengröfee  unb  ^ol^eit  loieber.  jDa§  loar  eä  gerabe,  tva^ 
t^rer  (Sd^umd)t)eit  ha§  SSeräc^tlic^e  nal^m,  ba§  fie  bei  aller 
2BeicE)§eit  hk  eble  männlid^e  Gigenfd^aft  befa§,  nad^  einem 
Sturje  unöerle^t  aufftc!^en  unb  ebenfo  ftarf  unb  fidEier  loie 
üor^er  i^re§  2[Bege§  loeiterge^en  ju  fönnen.  Ta^  fie  Siebe 
gegeben  J)atte,  für  etlua^,  ba§  fie  für  Siebe  genommen  Ijatte 
unb  haSi  eg  aud^  roo'ijl  geinefen  ujar,  loenn  and)  öon  (Seiten 
etne§  ©(^Riäd^(ing§,  loar  ii)r  bor  fid^  felbft  nidEit;;,  beffen  fie 
fic^  gefd^änit  ^ötte.  SBa§  in  i^r  öorging,  luar  i()rem  ftarcn 
93eiou§tfein  immer  gan^  überfid^tlid^  unb  burc^fic^ttg ,  ba§ 
»erlief  i:^r  ba§  Unfd)uIb§gefül^I  berer,  bie  hmd)  feine  Süge 
in  fid^  befledt  finb,  unb  geftigfeit  in  fc^tranfenber  Seben§- 
lage,  toäljrenb  SInbre  oft  felbft  bann  fdfilüanfen,  toenn  ber 
©oben  unter  il)nen  feft  ift.  2Bie  fie  immer  5U  tl)un  pflegte, 
ertannte  fie  3lIIc»,  lüa§  gefd^e^eu  n^ar  unb  loag  fie  getrau 
^atte,  in  feiner  t^olgeric^tigteit  unb  ertrug  ta^  ^lottjtoenbige, 
o^ne  ein  au§er  if)r  befinbli(^e§  ©d^idfal  nnjuttagen.  ^^x 
Mütt)  unb  it)re  Slroft  tonc^fcn  mit  ber  ©efatjr.    SD^an  n)ei§ 


38  ,<iavoIinc. 

ntc^t,  mit  fte  e§  auf naljin,  ha^  ber  SDknn,  ber  \o  lange  ber 
©tern  geiuefen  mar,  auf  ben  fie  gehofft  i^atte  unb  bem  feine 
(Steflung  el  am  erften  ermöglicht  ptte,  i^r  §u  nullen,  fid^ 
äurücf^og,  mie  e§  ben  Slnfd^ein  l^at  au§  feiger  S^orfid^t,  um 
fid^  nic^t  burd^  33e5tef)ungen  ju  ber  oerfolgten,  Ijolitifd^  an» 
rüc^tgen  i^xan  blo^jufteden;  möglicf)  ift  e§,  baB  fie  fd^on 
oorlier  mit  biefem  Slraume  abgefd^Ioffen  l^atte.  ©tmas 
Sittere§  mu^  e§  für  fie  gel^abt  I)abcn,  ha'^  berjenige,  ber 
fid^  am  unermüblicfiften  tl)rer  nnnaljm,  2öilf)elm  6d§IegeI 
mor,  ben  fie  in  glücfüd^en  2;agen  fo  übermüt^ig  üeriuorfen 
Ijattt.  ^orreft,  mte  er  im  (Smpfinben  unb  |)ant)eln  gu  fein 
|3f(egte,  ritterlii^  unb  öertiebt,  fprang  er  o^ne  S3ebenfen  für 
fie  in  bie  ©d^ranfen.  9?ad^bem  burdC)  ha?'  3uföinn^enmirfen 
mehrerer  gceunbe  unb  namentlid^  il}re§  jüngeren  S3ruber§ 
il^re  Befreiung  erhielt  mar,  übernatim  er  e§,  ma§  faft  nod^ 
fd^mieriger  mar,  für  il^re  fernere  @ic^er!^eit  ju  forgcn.  ^n 
oöHiger  5lbgefd^iebenl)eit,  in  ber  9^äf)e  öon  Seip^ig,  ermartete 
fie  bie  ©ntbinbung  imn  il)rem  öaterlofen  l?inbe.  ^ier  lernte 
?^-riebric^  (3c£)teget  fie  fennen,  ber  fie  gemifferma^en  al§>  Se= 
tjodmäd^tigter  unb  au  Stelle  feine§  33ruber§  befudjte,  ber 
einzige  QJaft,  ber  il^re  (Stnfamfeit  unterbradj.  griebrit^ 
fiinnte  Caroline  fc^on  au§  t^ren  S3riefen  an  SBil^elm,  unb 
feine  refleftirenbe  ^fiantafie  ^atte  fid)  fo  gut  mit  it)r  be« 
fd^äftigt,  ha^  er  fd^on  i^r  Semunberer  mar,  aU  er  jum 
erften  Tlal  öor  fte  Eintrat.  9^un  aber  übermältigte  i^n  ibre 
^;]3frfönlid^feit  öoUftänbig;  er  Dermodjte  nid^t§  ©injefneS  utel^r 
ju  tabeln,  er  empfanb  fie  felbft  al§  (Sanjel  unb  mürbe  ganj 
öon  i^r  ergriffen. 

SBeld^en  Sinbrud  mu^te  fie  aber  aud^  gerabe  bamal§ 
machen:  in  einer  fo  |3einlid^en  Sage  bod)  öoK  natürlicher 
SBürbc,  ol)ne  öngftüi^e  ©ebrüdtl^eit,  Ui  beftänbigen  för<3er= 
lid^en  Seiben   bod^  ftet»   munter,    ju  Sd^erj    unb    geiftigen 


.Caroline.  39 

®enu§  geneigt,  aitcft  ben  @rn[t  unb  Iebi^a[te[ten  ©d^mcrj 
burd^  4'^umor  ober  fluge  33elrac!^tuiig  mä^tgenb.  (Sbenjü 
Ikbüd)  wie  im  ®Iüd,  \o  groft  uub  rül^renb  wax  [ie  im 
Unglücf. 

2Bie  ein  SBunber  erfrf;eint  e§  an  bem  fetbftbeiDu^ten 
igüngling,  ha^  er  t^ren  SSerftanb  al§  bem  jeinigen  überlegen 
ad^tcte,  bnju  aber,  fagte  er,  iiabe  fie  ba§,  \va§  if)m  fe^Ie, 
nämlid^  bie  ©eele  ber  Seele:  Siebe,  ^mmer  unb  immer 
roicber,  ^ai)xe  fpäter,  al§  S3itterfett,  (Si[erfuc^t  unb  30^iB= 
öer[länbniffe  ha^  urfprünglid^  fo  reine  unb  fd)öne  S3er- 
{)ältni§  getrübt  £)aften,  rü(}mte  er  an  t^r  ba§  latent  jur 
Siebe,  mit  bem  fie  jebe  @ntfrembung  überbrücfen  fönne  — 
tnetin  fie  molte.  !3n  ber  Sucinbe  ^at  er  bie  grau,  „hit  ein= 
jig  uiar  unb  bie  feinen  (Seift  jum  erften  SWale  ganj  unb 
in  ber  SJiitte  traf",  folgenbermaf^eu  gefc^ilbert: 

„Ueber^aupt  tag  in  i^rem  2Befen  jebe  ^o^eit  uub  \t'iit 
3ierlic^teit,  bie  ber  tueiblic^en  Statur  eigen  fein  fann,  jebe 
©ottä^ulid^feit  unb  jebe  Unart,  aber  ^Ille»  war  fein,  gebilDet 
unb  tüeiblid^.  grei  unb  träftig  entinicfelte  unb  äußerte  ftcJ) 
jebe  einselne  ®igent)eit,  aU  fei  fie  nur  für  fid^  allein  ha, 
unb  bennod^  raar  bie  reid^e,  lüi)m  9}iif(f)ung  fo  ungleicher 
jDingc  im  ßiaujen  nid^t  öernuirreu,  benu  ein  ®eift  befeelte 
e§,  ein  lebenbiger  ipaud^  t)on  |)armonie  unb  Siebe,  ©ie 
fonnte  in  berfelben  ©tunbe  irgenb  eine  fomifc^e  2ltberul)eit 
mit  bem  SJJutljraiO'en  uub  ber  geinf)eit  einer  gebilbeten 
«Sc^aufpielerin  naiiiatjmen  uub  ein  erljabeneg  (SJebic^t  Dor=» 
lefen  mit  ber  ^inreifienbeu  SBürbe  etne§  funfitofen  ®efange§. 
93alb  lüoUte  fie  in  ©efellfd^aft  glänjeu  unb  tänbeln,  balb 
toar  fie  ganj  33egeifterung  unb  balb  Ijatf  fie  mit  9iat^  uub 
Z^at,  ernft,  befc^eiben  uub  freunblid^  wie  eine  järttid^e 
SJiutter.  (Sine  geringe  ^egeben()cit  war  burd^  i^re  2trt, 
fie  ju  erjagten,  fo  retjenb,  wie  ein  fdjöneS  9.1tärc^en.     5lIIe§ 


40  5?aroline. 

umgab  [ie  mit  ©efü^I  unb  23i^,  fic  l^atte  @inn  für  5ttte?, 
unb  Sitten  tarn  öerebelt  au§  t|rer  bilbenben  i^anb  unb  öon 
t^ren  fü^  rebenben  Sippen.  9itd^t§  ©utel  unb  ®ro^e§  war 
ju  ^eilig  ober  gu  atigemein  für  i^re  leibenjd^aftlic^fte  X^nU 
na^me.  ©ie  oerna^m  jebe  ^nbeutung  unb  fie  ermiberte 
aud)  bie  S^age,  bie  nid^t  gefagt  föar.  ߧ  mai  nic^t  mög= 
lic^,  Sieben  mit  i^r  311  galten;  e§  würben  öon  felbft  ®e= 
fpräc^e,  unb  tüä^renb  bem  fteigenbcn  ^ntereffe  fpielte  auf 
itjiem  feinen  ©eftd^te  eine  immer  neue  $Kufif  öon  geifttiollen 
ißücfen  unb  lieblichen  äRtenen."  ^um  ©d^Iuffe  aber  ^ebt 
er  l^eroor,  ha^  biefe  j^rau  OoH  §arter  ^oefie,  bei  jeber  großen 
©elegenbeit  ^raft  unb  ^Jcuti)  gum  ©rftaunen  gegeigt  t^aht. 
(£§  ift  beÜagenStoertf),  t)a^  auf  hk  ^öd^fte  Entfaltung 
ber  menfd^Iidfjen  ®eifte§fräfte  mit  9fot^inenbig!eit  eine  (Sr-» 
fc^Iaffung  folgen  muf3,  trie  benn  auc^  Caroline,  nad^bem  fie 
eben  aU  Uebern^inberin  i^rer  ©(^iräd^e  unb  ber  S^Jot^  ber 
SSett  triump^irt  f)atte,  gerabc  biejenige  ^anblung  beging, 
um  beretiinden  man  t^r  am  e^eften  ernftlitf)  jürnen  möd^te: 
ba§  fic  nämlid^  bie  (Sfie  mit  SSil^elm  ©d^Iegel  einging. 
®enn  abgefe^en  baoon,  ba§  fie  in  fpäterer  3ett  felbft  er* 
flärte,  i!^n  weniger  au§  Siebe  ge^eirat£)et  5U  ^aben,  al§  auf 
ben  SBunfd^  iJirer  aJJutter  ^in  unb  um  fid^  unb  il^rem  ^inbe 
eine  gefidEjerte  SebenSfteHung  gu  geben,  toie  fönnte  man 
glauben,  ba§  fte  ben  SJiann  roirflid^  liebe,  öon  bem  fie 
fedi§  Satire  borl^er  gefagt  I)atte:  „©c^Iegel  unb  id£)!  ic^  tadje, 
inbem  id)  e§  fd^reibe!  9fJein,  ba§  ift  fidler  —  au§  un§ 
wirb  nid^t§!"  ^a,  felbft  wenn  man  betonen  wollte,  Weld^e 
SSeränberungen  fed^§  ^al^xt  im  SJJenfd^en  ^eröorbringen 
tonnen,  wieöiel  bie  ^eit  |ier  wirftid^  üeränbert  ^atte;  ha^ 
bie  ß^e  fü  balb  fid^  wieber  auflöftc,  beweift  bod),  ha^  eine 
innere  3»fflQimengef)örigfeit  fid)  nidf)t  ausgebilbet  ^atte.  Sid) 
aber  Ijolb  au§  fpielenber  S3erliebti)eit,  |alb  au§  SScquemlid^- 


^avoltne.  41 

fett  in  Siebe  :^inein3iitügen,  i[t  boppett  jiinbtjaft  für  eine 
grau,  bie  fid^  ha^  9ied)t  nimmt,  bem  ^nftinfte  i^re§  ^erjenä, 
h)ie  menn  e§  eine  ^eilige,  unbefted^Iid^e  Stimme  märe,  jic^ 
anjuöertrauen,  \va^  and)  ha^  Urt^eit  ber  SBelt  bagegen  [agen 
möge,  ^m  ®e£)eim[len  tvax  fie  fic^  biefeS  Unrec^tg  auc§ 
hJO^I  betüu^t,  benn  ade  t^re  5{euf3erungen  über  i^re  ^tt' 
lobnng  ben  greunben  gegenüber  fc^eint  ein  ßJefü^I  Don  SSer= 
legentieit  ju  lähmen. 

SBa§  5I(Ie§  anbrerfeitS  i^ren  (Schritt  entfcl^utbigen  unb 
erHären  fann,  ift  fo  felbftüerftänblic^,  ha^  id)  e§  nur  flüd^ttg 
anjubeuten  brauche.  @ie  J)atte  llrfac^e,  SBil^elm  bantbar 
ju  fein,  ber  fid^  fo  umfic^tig,  fo  tl^atfräftig,  fo  felbfttoS  i()rer 
angenommen  t)atte,  unb  ©anfbarfctt  mac^t  ba§  ^erj  für 
Siebe  empfängtid^.  2)te  Sage  iDcr  fo,  ba§  fie  bie  33ebrängte 
unb  ^ülflofe,  er  ber  33efd^ü^er  Ujar,  luaS  i^m  ein  'iJInfe^en 
öon  größerer  SJiännltc^fett  unb  Ueberlegen^eit  öerltet),  a(§ 
er  in  SSirfüc^feit  befaß.  Saju  fam  nod^  Siferfuc^t  auf  bie 
^oHänbifcfie  ©op^ie,  beren  Siebe  2ötU)e(m  über  ^aroline'g 
|)ärte  getröftct  fiatte,  ineld^eS  ßJefüI)!  er  utc^t  o^ne  fo!ette 
©|)röbigfetl,  üieHeic^t  auc^  feinerfeit§  au§  (Siferfucfit  auf  ben 
Sßater  be§  neugeborenen  ^inbe§  reifte.  9JJau  braud^t  nidjt 
§u  begioeifeln,  baß  fie  in  ben  „anmutt)igen  greunb",  ber  fo 
jung,  t)übfc^  unb  unterneiimenb  wnr,  fi(^  öerltebt  fiabe;  ber 
unetgcnnü|tge  griebrid^  beljauptete  „foloffatifc^  öerliebt". 
5)ic  ^auptfad^e  roar,  ha^  fie  oi^ne  Qkhe  nid^t  fein  fonnte, 
unb  baß  ber  Üied^te  ni(^t  jur  ©tette  ««ar. 

(S§  foKte  fi(^  aber  an  i|r  räd^en,  tia'^  fie  ou§  gurc^t 
öor  bem  3lIIeinfein  unb  öor  bem  ^ompfe  be§  2zhtn§>  eine 
Sßerbtnbung  gefc^Ioffen  [)atte,  in  ber  man  fein  ganjeg  ©clbft 
auf'§  @^iel  fe^t.  Sie  lebte  nun  in  ©emeinfd^aft  mit  einem 
SJJanne,  ben  fie  Iro^  aller  feiner  latente  unb  geiftigen  S^or= 
5Üge  Überfall,  nidjt  baß  fie  üüger  ober  ebter  ober  öerftänbiger 


42  Caroline. 

gcirefen  luäre,  fonberii  bitrc^  i^re  allgemeine  SBefenSretfe,  bie 
Oorgerüdfter  mar  aU  feine.  Unb  aU  nad)  fur5er  Qdt  ein 
SJiann  in  iliren  Slrei§  trat,  Don  bem  aud^  luir  gnm  er[ten 
dJlal  iia^  fiebere  @efiil)t  Iiaben,  ha^  er  t^r  not^menbig,  i^r 
befümmt  mar,  (Sc^eKing,  mar  fic  ge[e[felt  nnb  fanb  fic^  burc^ 
eigene  Unbefonneni^eit  unb  ©c^mäc^e  in  fc^redlirfie  äufsere 
unb  innere  Gonffifte  üerftricft.  Sei  aKebcm,  mie  erfreut 
man  fid)  gerabe  bann  an  ber  unbejroingliclien  grifc^e  i^rer 
5yjatur,  bie  fein  ^lueifcl  on  fic^  felbft  unb  ber  ilöafir^eit 
tf)rer  ©m^finbungen  anfränWte.  5ln  bcn  um  i|re  gä^igfdt 
5ur  Streue  fi^  forgenben  grennb  frf)ricb  fie: 

„Bpottt  nur  nid^t,  3)u  Sieber,  iä)  mar  boc^  gur  Streue 
geboren,  id)  märe  treu  gemefen  mein  Seben  lang,  menn  e§ 
bie  (Spötter  gemollt  Ijätten,  unb  ungeachtet  ber  5l^ubung  üon 
Ungebunbenljeit,  bie  immer  in  mir  mar,  l^ot  e§  mir  hk 
fd^merjtic^fte  äJiü^e  gefoftet,  untreu  gu  merben,  menn  man 
ba§  fo  nennen  mill,  benn  innerlid^  bin  iä)  e§  niemall  ge- 
mefen. SDiefe§  Semu^tfein  aber  öon  innerli(|cr  Streue  !^at 
mic!^  oft  böfc  gemadit,  i^at  mir  ertaubt,  mir  magenb  gu  er- 
lauben; id)  fannte  ha^  emige  ©leidjgemic^t  in  meinem 
^erjen.  konnte  mic^  etma§  2tnbre§  üor  bem  Untergang 
in  meinem  gefaljrDoIIen  Seben  bemaljren,  aU  biefel  §öc§fte? 
Unb  menn  id^  mir  SSerjmeiflung  bereitet  Ijätte  in  ber  S3er= 
jmeiffung  ber  oon  mir  ©eliebten  —  ja,  id^  mürbe  im  Sdimerj 
barüber  t^erjmeifeln ,  im  ©emiffen  nid^t,  niemals  fönnf  ic^ 
mie  Sa!ob  ausrufen:  ^^erkffe  bid^  nid^t  auf  bein  ^erj.  Qc^ 
mü^te  mid^  üerlaffen  auf  mein  i^erj  über  9Jot^  unb  Sob 
]^inau§  unb  ^^ätte  e»  mid;  in  5notl)  unb  %oh  geleitet." 

Wan  füf)It,  baB  e§  feine  9leben§arten  finb;  ba§  glaubt 
man.  ©ie  mor  treu,  meil  fie  fidE)  felbft  treu  mar  unb,  ma§  für 
Ummege  fie  aud^  einfd^hig,  hk  rechte  9tid§tung  unerfdjütter« 
lid^   im   ©inne  beljielt.     @o   befommt   man  ein   95ertrauen, 


^Tavoline.  43 

ta'^  wdU  Qud;  hk  Umiuei^e  notlitüenbtg  unb  511  tvgenb  etiün§ 
nü^Iid)  itnb  bienltd^  luaren. 

^abm  aber  alle  SBorte  STaroline  (ebertbig  iiiadjen  fönneu, 
fo  une  fie  mar?  2Bo  tft  ii;)r  ftfiaUi^after  aJJuttjtuiUen,  ta^ 
iinfel)Ibave  (Sd)tcf(ic^^eit§ge[üljl,  mit  bem  fie  ha§  (Srnfte,  ba§ 
feinen  ©c^er^  ertrug,  ernflljaft  bef)anbelte,  wo  bie  fd)Iidjte 
SBürbe,  mit  ber  [ie  jebe  SSerteumbiing  unb  jebe§  SSorurt^eil 
ber  UebetiPoUenben  ober  jd)Iec^t  Unterrichteten  entn^affnete, 
bie  finge  S3efd^eiben^eit,  mit  ber  fie  bie  ©renjen  il}rer  ^Jcatur 
erfannte?  9cid)t»  öon  5Ulem  ift  "ood)  fo  munberDoH,  lüie  bie 
Unfd)ulb  i|re§  ©elbftbcmu^tfein?,  ba§  auf  ber  siueifeltofen 
Ucber5engung  öon  ber  nrfprüngtid)en  @üte  it)re§  .'perjeng 
berubte.  @g  ift,  n^enn  fie  öon  bem  fünften  äRut^e  i^re§ 
^erjenl  f^rid^t,  ber  fie  megtrage  über  bie  bunfetften  ©tunben 
unb  bro^enbften  ®efii!^ren,  aU  freue  fie  fic^  banfbor  eine§ 
fd^önen  treuen  (äefeffen  in  ii^rer  33ruft,  be§  (jolben  ®enin§, 
ber  i^r  innen)ol)nte.  Siac^bem  fie  ben  größten  (Sc^mcrj 
t^re§  Sebeng  erfahren,  if)r  ß'inb  bertoren  iiatte,  Ia§  fie  einmal, 
"ta^  im  Isomer  bie  SSorte  borfommen  füllten:  ®te  ^erjen 
ber  (55uten  finb  i^eilbar,  unb  bat  itjren  3}?ann,  ob  er  nid^t  bie 
©teile  für  fie  auffud^en  iDoIIe.  „Senn  im  ferner",  f(^ricb 
fie,  „I)abe  iä)  t^a^  niemals  gefunben,  blü§  in  meinem  eigenen 
^er^en." 


^a§  5lt^cttäum* 

Ser  Sßuc^ftob'  ift  ber  ecfite  3au6erftQ6. 
grtebr.  ©d)(egel. 

3n  bem  Itebltd^en  X^aU  ber  ^<i)rvax^a  !^atte  fic^  im 
(Sommer  1799  ber  junge  9fJoriüeger  (Steffen^,  ©tubtrenber 
ber  9^aturlüi[fenf(^aft,  ber  ^()t(D[op|te,  ber  Stteratur  unb 
alle§  9ieuen  unb  ©c^önen,  gelagert  unb  Ia§  gic^te'S  SBtffen« 
fc^aft§tef)re  unb  ba§  @d^Ieger[d^e  21tljenänm.  Sa§  Sichte 
unb  ®oetf)e  hk  Srennpunfle  ber  neuen  3cit  feien,  ^aik  er 
im  Slt^enäum  gelefen;  @oetl)e  tüar  ber  ®eniu§  jetner  ^ugenb 
getüefen,  j^id^te  aber  iijm  16i§  bo^in  unbefannt  geblieben. 
S^iun  öertiefte  er  fid^  in  hk  It'unft  be§  abstraften  ®enfen§, 
lüa§  i^m  aud^  nai^  einiger  S3emü£)ung  fo  too^  gelflug,  ta^ 
er  fic^  im  S3annfreife  be§  [id^  [elbft  fe^enben  ^<^  jiemlic^ 
t)eimifc^  füllte.  5lber  fettfam  lüar  e§  i^m  boc^,  lüenn  er 
aufblidte,  ba§  (SJebirge,  bie  S3äume,  bie  SSögel  unb  bie  Sonne 
in  i£irem  ftraf)Ienben  unnjiberleglic^en  Safein  ju  je^en.  9tid^t§ 
ertüäfjnt  er  Oon  einem  jolc^en  @5egenfa|  ber  S^Jatur  gum 
Slt^enäum,  toienjo^I  e§  burdEiauS  ein  ©ejc^öpf  be§  belüu^ten 
©eifteg  i[t:  ha^  ri^  if)n  i)in  unb  j^ar,  toie  er  fagt,  burd^ 
ben  mäd^tigen  ©eift  ber  (äini^eit  be§  gangen  S)afein§,  ber 
\ük  ein  frifcEier  Seben§[trom  barin  Jüe|e  unb  alle  2Siffen= 
fd^aften  in  eine  5UJammen5ufaffen  fud^e. 

„®er  93tlbung  ©tra^Ieu  aiV  in  ßin§  511  faffen, 
•        SSom  ^ronfen  ganj  511  5cf)eiben  ba§  ®e}unbe, 
S3e|'tvebtcn  wir  un§  treu  im  freien  lÖunbe" 


3)Q§  5ltf)enäum.  45 

fagte  gnebrtc^  ©d^tegel  in  bem  ©ebtd^te,  ba§  er  ha§i  2lttie» 
näum  betitelte;  51101  Seiüeife,  ba§  bie  Seibenfrfjaft  gur  (5tn=u' 
f)eit  lüie  bie  (Seele  ber   ganjen  Siomantif  jo   aiid)  bie  be» 
?lt^enäum§  mar  ober  fein  foKte. 

SBer  bie  tiergilbten,  altfränfifc^en  $Bänbe  be§  Stti)enäuni§ 
au§  einer  58ibIiot^ef  fic^  J)oIt  unb  Don  aiifsen  betrachtet, 
fann  e§  fid^  faum  oorftetlen,  ba^  ein  Süngting,  im  fü|Ien, 
fommerlic^en  Söatbe  fi|enb,  ]id)  au»  biefen  53Iättern  einen 
Diaujc^  ber  $8egeifterung  Ia§;  ha'iß  fie  einmal  fo  mobern  unb 
anffe^enerregenb  inaren  luie  je|t  etraa  bie  „^ugenb",  nein, 
ötel  met)r:  eine  ?^af)ne  ber  Sieöolution,  oon  jungen,  iüage= 
mut^igen,  ^offenben  äJienfc^en  unter  Sachen  unb  ^uhd  ge» 
fd^lüungen.  2)a§  foHte  mit  einem  9)?ate  eine  Sücfe  reifjen 
in  bie  2J?auern  ber  ^^ilifterburg!  Unb  bann  luottten  fie 
linterbrein  ftürmen  unb  fid^  erobernb  in  bie  bämm'rige, 
bumpfe  ööfile  toerfen.  SBie  geuerbränbe  foHten  hk  p^an= 
taftifdjen  Sinfäfle  in  bie  fteifen,  breitfpurigen  ®affen  fliegen 
unb  §ünben. 

S53er  ba»  au§ge^ecft  fjatte  unter  unjäpgen  anbern  @nt= 
trürfen,  ba§  mar  natürlid^  griebrid^,  loä^renb  er  in  Serlin 
nac^  langem  Sarben  ber  erften  Sugenb  in  greunbfc^aft  unD 
2itht  fc^melgte.  83on  feinem  faulen  greunbe  in  ^open^agen, 
für  ben  bie  bequemfte  «Steflung  ein  ©tubium  mar,  erjäfilt 
Steffen^,  baB  er  ber  geiftig  Stngeregtefte  unter  i^nen  Sitten 
gemefen  fei;  au§  feiner  förperlic^en  Unbemeglic^feit  öerauS 
^aht  er  ftet§  bie  ganje  ©efettfdjaft  in  5lt^em  ge!^alten. 
©benfo  Oer^ielt  e§  fid^  mit  f^riebric^;  bamals  aber  namentlich 
mar  er  bur^  unb  burc^  oon  Segeifterung  befeelt,  oon  einer 
grünblid^en,  nad^brücftic^en,  maffen^aften  Segeifterung.  $DJitten 
in  feiner  pf)ilofop(}ifc^  -  äft^etifd^en  5(b^anbtung  über  ta^ 
©tubium  ber  griecf)ifc^en  ^oefie  unb  in  einem  Stuffalj  über 
Seffing  ftecfenb,  erübrigte  er  3eit,  ben  ^lan  für  bie  neue 


46  3)a§  9(tfienäum. 

^eitfd^rift  ju  entiueifen  unb  einen  9?amen  ^\i  er[tnnen  für 
bie  I)etrlid)e  SSaffe,  bte  fie  j(^mteben  moHten.  |)er!u(e§  follte 
fie  leiten,  fei  e§  lüegen  ber  ©(^langen,  bie  ber  ^eroS  in  ber 
SBiege  erwürgt  ober  toeil  er  ben  SlugiaSflalt  gereinigt  ^atte, 
bann  lieber  fi^Iug  er  2)io§fnren  öor  ober  ©c^Iegeleuni;  benn 
ber  üerbrüberte  (Seift  öon  SBil^elm  unb  f^riebric^  follte  ba§ 
©anje  regieren.  9Iber  gro^ljerjig  entfagungSnoH,  loie  man 
ift,  tt)eun  e§  fid^  um  bie  Sertoirflicfiiing  einer  Sieblingsibee 
fianbelt,  gab  er  nac^  unb  lie^  fid^  ba§  Slt^enäum  gefallen. 
S'Jun  aber  galt  e§,  ben  eigenen  (Sntf)ufia§mu§  bem 
Sruber  einsuftö^en,  ber  bem  fremben  ^tane  gegenüber  gar 
nic^t  fo  rührig  ipar,  trie  er  fonft  ju  fein  pflegte,  aud^  biel- 
Iei(^t  ein  nii^t  unbegrünbete§  SJli^trauen  gegen  (5rtebricf)'§ 
©ntluurfSfieber  ^tte.  @tma§  S^eueS  unb  (5irünblic^e§  über 
Seffing  loar  grtebrid^  felbft  im  93egriff  511  fd^reiben;  ein 
entfdfieibenbeS  2Bort  follte  über  ©oet^e  gefagt  toerben;  2Bie^ 
lanb  fjinjurid^ten  follte  SBilljelm  übernefjmen.  2lber  cor 
allen  Singen  eine  güüe  öon  Sbeen!  2!3ir  finb  je^t  ge- 
lüoljnt,  in  jeber  3:age§*,  SBodjen-  unb  SJJonatS^eitung  eine 
güüe  oon  5lpl)ort§men  gu  finben,  meiften»  Sücfenbü^er,  bk 
einen  allgemeinen,  rao^lbefannten  (Sebaitfen  nett  gugefpi^t 
au§brücfen  unb  fo,  üertraut  unb  bod^  überrafd^enb,  bequem 
eingel^en.  2)ama(§  loar  ha^  d\va§  S'Jeueä  unb  griebrid^ 
glaubte,  bie  2tnma^ung,  bie  barin  ju  liegen  fd^ien,  ent- 
f(^ulDigen  ju  muffen,  ©an^e  Söerfe  5U  fc^reiben,  fagte  er, 
fei  freilid^  ungleidö  befd^eibener,  toeil  fie  ja  luo^l  blof;  au§ 
anbern  SBerfen  §ufamntengefe|t  fein  f bunten,  unb  meil  ben 
©ebanfen  im  fd^limmften  gall  bie  ^uflud^t  bliebe,  ber  ©ac^e 
ben  SJorraug  5U  laffen  unb  fid^  bemütbtg  in  ben  2Bin!eI  ju 
fteHen.  Slber  ®eban!eu,  einzelne  ©ebanfen  feien  ge^iuungen, 
einen  SBert^  für  fid^  ^aben  ju  ttjollen  unb  müßten  Slnfprud^ 
barauf  mad^en,  eigen  unb  gebacfit  ju  fein. 


Sa§  5(tf)enäum.  47 

(Sigen  unb  gebacfit  lüaren  feine  ^been  Jt)trf(irf),  bie 
„gcuertuft  aii^  griebric^  ©c^Iegel'»  Saboratorium",  lüie 
©oet^e  einmal  fagte;  feine  angeflogene,  fc^idernbe  Einfälle, 
fonbern  Ijavtfcfialige  92üffe,  bie  man  oft  mü^fam  auffnacfen 
unb  obfd^älen  mu^te,  eif  man  fie  genießen  fonnte.  <3ie 
tvaxm  haS'  (Srgebnifj  langen,  grünbdd^en,  |j^i(üfopt;)ifci^cn 
$JJac^benfen§  unb  oJine  energifi^e»  SQJitbenfen  beg  Sefer§ 
burd^auS  nicf)t  gu  oerfte^en.  '^axin  liegt  iljr  ^Rei^.  Tlan 
fielet,  e§  ^at  \id)  ba  ein  Genfer,  um  fid^  ben  5ßorrat^  feine§ 
S3eiuu§tfein§  flar  unb  überfid^tlicE)  ju  machen,  eine  Steige  öou 
SIiiÄbrüden  gefc^affen,  bte  man,  burc^  grünblidjeS  ©tubium 
ober  beffer  burd^  eine  gemiffe  SSertuanbtfc^aft  ber  5(nfdjau« 
ung,  tu  fic^  erleben  mu§,  uienn  mau  fie  gauj  luürbigen  iniff. 

@»  ift  anffattenb,  wit  ha^  gragmeut  bie  für  griebrid^ 
geeignete  gfrm  ju  fein  fc^eint.  Tlan  fann  fagen,  bie  güHe 
feiner  Sbeen  fei  5U  fc^tüer  gemefen,  ober  feine  ®eftaltung§= 
fraft  i)abt  nidjt  aulgereic^t,  eine  größere  3}?affe  ju  formen. 
Senffaiil  luar  er  feineltpeg§;  aber  e§  tuar  i^m  bequem,  fein 
bIofee§  teufen,  rot),  unüerbunben,  luieber  §u  geben,  neben* 
einanber  geftetite  Steine,  bamit  loer  Suft  ^ahe,  \iä)  ein  öau§ 
barau§  baue.  SSegen  btefe§  Ranges,  fic^  fragmcntarifc^  au»== 
jubrüden,  liebte  er  ben  S^ergteic^  mit  Seffing;  Seffing'fd^e? 
(Sat§  foEten  feine  Sbeen  fein  gegen  bie  geiftige  gäulni^  — 
9ianbgIoffen  jum  S^e^le  be§  Zeitalter».  2lber  Seffing'^  ^rag* 
mente  timren  Splitter,  bie  bei  einer  3tiefcnarbeit  abfielen; 
griebrid^'y  gragmente  finb  @(^ni|eleien,  ouf  bie  er  fein 
£)öd^fte§  können  üerioenbete.  ®a»  fe^t  freiließ  bie  ^xao,- 
mente  felbft  nic^t  |erab;  al§  eigen  gebadjte  ©ebanfen  ^aben 
fie  tfire  Unfterblidjfeit. 

SSon  ber  umgebenben  S5?elt  gauj  abgefoubcrt  unb  in  fi(^ 
felbft  öottcnbet  »nie  ein  Qgel  foflten  tk  gragmente  fein, 
fagte  griebric^  unb  cEiarafterifirte  bamit  allertiebft  feine  be== 


48  S)a§  5Üf)enäinn. 

rüdfittgten  ^araboi'en.  Wan  mit^  jebeS  aU  ein  Steid^  für 
fic^  neljmen,  öoll  ©tackeln,  aber  inineiibtg  fd^ßn  auSgeflattet, 
fauber  unb  tr)ot}nItd^.  2Bü|eIm  unb  Caroline  gingen  beim 
gru^[tüd  bie  tjielen  C")unberte  f^riebrid^'fc^er  Qbeen  burc^, 
bie  er  itjnen  jur  ©inficfit  fdjtdte,  unb  Ijielten  e§  für  nöt^tg, 
wenn  itinen  etma§  gar  gu  paraboj:,  ftniiielig  ober  fd^mer- 
üerbaulid^  fd^ten,  ba§  SSeto  einjnlegen,  511  bem  bie  beiben 
©rünber  berechtigt  lüaren.  (Sr  ^at  hk  SSetofc^eu,  fagten 
fie,  aU  er  balb  barauf  über  ^ranffein  flagte.  Sei  aller 
(g^rlic^feit  unb  Unerfd^rocfentieit  im  ^ampf  i)ielt  SBil^elm, 
ot§  ^rofeffor  in  S^na,  eine  geiuiffe  3Sorfic|t  unb  Sftürffid^t 
bocf)  für  geboten;  Caroline  wav  of)ne§in  nie  für  ba§  @j;treme. 
griebrid^  Juar  empfinblic^  unb  entrüftet;  lüenn  man  eine 
SJieinung  tiabe,  folle  man  fie  unterbrücfen,  meil  man  nic^t 
fidler  fei,  ob  @oet^e  läd^eln  ober  bie  @tirn  runjeln  luerbe? 
Snbeffen  oerfprac^  er  um  be§  ®elingen§  2BtIIen  fc^Iie^Iic^ 
5lIIe§:  e^  foltte  geiuiffenl^nft  toermieben  lüerben,  raa§  „an 
©c^ilter  grenjte",  nic^t  einmal  über  2tgne§  üon  Sitten,  ben 
Sioman  feiner  ©c^mägerin,  foUte  ein  SBort  fallen,  dagegen 
mu^te  Caroline  alle  feine  frütieren  Söriefe  burdf)Iefen,  um 
„fittlic^e  Fragmente"  gu  fuc^en,  rtjoran  e§  nod^  mangelte, 
ebenfo  i^re  eigenen  unb  bie  feine§  58ruberg.  SDenn  nid^t§ 
lag  griebricE)  ferner,  aU  ettoa  ha§>  5ttt)enäum  mit  feinem 
©eift  allein  be!§errfc^en  §u  lüoUen:  e§  fottte  eine  grof]e 
©i}mp!^onie  tjertuanbter  6)eifter  fein.  Db  er  felbft  einfai), 
ha^,  lüie  SBil^elm  unb  Caroline  fagten,  ber  Frederic  tout 
pur  unöerbaulicf)  loäre,  jebenfatlS  mar  er  ber  erfte,  ber 
auf  esprit  de  2BiIt)eIm,  esprit  de  Caroline,  esprit  de 
©(i)Ieiermad^er  brang,  bamit  jene  Unit^erfalität  entfiele,  t>k 
er  in  jeber  (Srfd^einung,  ouf  jebem  Gebiete  furf)te.  (Bein 
greunbfc^aft^^unger  Ijatte  bie  Siomantifer  gefammelt;  uner- 
mübticJ)  betonte  er  bie  Dfiot^loenbigfcit,   ha^  bie  ©ebilbeten 


5)a§  9(t()etüium.  49 

\id)  ^ufammentl^un  unö  eine  unl'id^tbare  Sirene  bilben  müfjten, 
t^a  ber  (Sinselne  nt^t§  @)rDBe»  ausrichten  fönne.  2)ie 
^ünftler,  fagt  er  in  ben  Fragmenten,  foHen  jufammentreten 
aU  (gibgenoffen  jum  etuigen  S3ünbni^;  eine  ^anfe  bilben 
lüie  hie  ^auf(eute  im  9JJitteIalter.  S^m  felber  entiutcfelten 
fic^  bte  ©ebanfen  nor^üglii^  im  ©efpräc^  unb  im  S3rief- 
luec^fel.  Neffen  luar  er  ftd^  belüu^t;  o^ne  bte  grennbe 
glaubte  er  ni(f)t§,  mit  tbnen  2l(Ie§  Iei[ten  ju  fönnen.  ^'iecf, 
9^ot)aIi§  unb  ©c^Ieiermad^er  führte  er  feinem  S3ruber  jiu  unb 
marb  fie  jum  SD^itmirfen  am  Slt^enäum  nn.  S^oöalil  füllte 
p|iIofop§ifrf)e  unb  c^emifc^e  33eiträge  geben,  Caroline  pti^ 
fönliifie,  ©(^leiermad^er  et^ifdje,  SBil^etm  äft^etifd^e.  Unb 
fo  tft  benn  ha^  ?lt[)enäum  föirüic^  ein  3ufanimenflang  ber 
oerfd^iebenften  Qnbiöibuen  geujorben,  bie  nur  barin  @in§ 
waren,  ha'B  fie  bie  3Ba£)r§eit  fuc^ten  unb  an  ben  ©eift 
gtaubten.  Salb  feigen  un»  bie  reinen,  f^arfen  Stugen  ©c^Ieier»' 
mad^er'^  bfirnu»  an,  balb  hk  jum  |)immel  fc^märmenben 
be§  frommen  SfJoDaliä.  S^on  ifjm  fagte  griebrid^,  er  bid^te 
in  Sltomen.  ©eine  2tu§f|)rüdE)e  fc^lueben  luie  SeudEitfugelu 
auf  in  fd^önem  ©d^iuunge,  eine  fanfte  ij^elligfeit  über  ben 
bunfetn  |)immet  Oerbreitenb  unb  füH  auSat^menb,  elje  mau 
fid^  itjrer  beutlic|  bemüht  gelüorben  ift. 

„SSir  finb  bem  ^tufiuad^en  no^e,  luenn  toii  träumen, 
ta^  roir  träumen." 

„Ser  3:0b  ift  eine  ©elbftbefiegung,  bie  tuie  alte  ©elbft- 
überminbung,  eine  leichtere  (£jiften5  öerfd^afft." 

9Jian  a^nt  einen  unergrünblic^en  ©e^aft  in  ben  SSorten 
unb  mö(^te  t§n  f äffen;  aber  jugleic^  f)aud^en  fie  eine  SJJufif 
au§,  ber  man  fi^  mit  gefc^Ioffenen  3lugen  Eingeben  möd^te, 
o^ne  ju  unterfuc^en. 

Schärfer  unb  beflimmter  tfl,  mal  (Sd^teiermac^er  giebt; 
faft  StKeS  berü[)rtba§  ^fi)c§oIogiftf)e,  n)ie  fein  burd^bringenber 

SönA),  OJomantitcr.  4 


50  ®a^3  9lt[)eunum. 

Slicf  e§  5u  Sage  förberte.  Tlan  erfreut  fid^  an  ber  feinen 
^Beobachtung,  an  ber  unbeugfamen  3Sa!^r^ett§Iiebe,  mit  ber 
er  gotgerungen  gte^t  unb  feinem  ©ctiluffe  ait§ipei(^t;  aber 
ba  ift  feine  jitternbe  Dberftäd^e,  unter  ber  unermeßliche  S:iefe 
lodt,  feine  blaue  eherne,  fein  füße§  SDunfel,  ta^  ge^eimniß* 
oollen  Uriüolb  anfünbigt.  „2Ba»  oft  Siebe  genannt  toirb, 
ift  nur  eine  eigene  3Irt  öon  äTtagneti^mug.  (g»  fängt  an 
mit  einem  befcömerlid^  fi^elnben  en  rapport  @e^en,  befielet 
in  einer  Segorganifation  unb  enbigt  mit  einem  efel^aften 
^ellfetjen  unb  öiel  ©rmattung  (S)eiuöt)nti(^  ift  aucf)  (äiner 
babei  nüchtern." 

'an  i[)rer  gierlic^en  ®efc^liffenl)eit  unb  ber  SBeltlid^feit 
t£)re§  3n]^alt§  erfenut  man  2BiI§eIm'g  ^ut^aten.  @r  bejie^t 
fic^  niemol^,  luie  bte  eigentlichen  9iomantifer  ju  ti^un  pftegten, 
auf  ha^  Unenblic^e;  fonbern  bef darauf t  fid^  auf  ein  beftimmteS 
SBerf,  irgenb  eine  beftimmte  ©rfc^einung,  hu  er  ridCitig  unb 
pbf(^  beteuertet,  ©eine  lueltmännifc^e  Sorreftfieit  unD  Ur- 
banität öer^inbert  i^n,  in  ©efeHfc^aft  fid^  anberg  aU  allgemein 
tjerftänblic^  unb  nermittelnb  auÄ^ubrüden. 

griebric^'g  @eift  ift  im  Slt^enäum  ber  üerbinbenbe  (SJoIb- 
grunb  be§  farbigen  ®emälbe§.  ^eben  angebeuteteu  ©ebanfen 
öerfolgt  er  bi§  in  feine  äußerften  Solgen  unb  fammeft  alle 
5U  @t)ftemen  ober  iiienigften^  @tjftem='^roj[eften.  d)lan  er- 
fährt ^ter  bie  anregenbe  ^raft,  mit  ber  er  lebenb  fo  Sßiele 
an  ftd^  feffelte,  unb  bie  öiedeid^t  ^auptföd^tid^  barin  befielt, 
ha^  fein  geiüaltiger  i^ang,  fid^  über  bie  SBelt  ftar  §u  tuerben, 
un§  lüie  ein  langfam  ftießenber,  aber  ftarfer  Strom  ergreift 
unb  mitreißt;  tvk  ©d^ioärmereien  fid;  e|)ibemifd[j  mitt^eiten, 
fo  entjünbet  feine  ^tiilofop^ifd^e  3But()  feine  ^u^örer  5um 
^reujjuge  nac^  bcm  fieiligen  ©rabe  be§  S23elträt|fe(§. 

(Sin  maieftätifc^er  ^bealiSmug  ift  bte  2BeItanfc^auung, 
bie  bo^  ^It^enäum  |3rofIamirt.    ^2ln  allem  2leußerIidE)eu,  bo# 


Sa§  5U[)enäitm.  51 

bcr  SJ^e^rjal)!  ber  ajJenf(i)en  md)tic\  bünft  unb  fie  befc^äfttgt, 
tuirb  mit  großartiger  Siacöläffigfeit  öorübergegangen,  ober 
ba§  tnnerlid^e  SSefen  JütrD  baraul  ^eröorgefuc^t  unb  baburc^ 
bte  Mtägtic^feit  i^ren  35ere^rern  entfrembet  nnb  auf  eine 
^o^e  @tufe  gerüdt.  „yJic^t  in  bie  politifc^e  Si^ett  oerfc^Ieubre 
bu  ©laubeii  unb  2kbc,  aber  in  bie  göttliche  SBelt  ber  2Bi[fen= 
fc^aft  unb  ber  ^unft  opfere  bein  ^nnerfteg  in  bem  t)eüigen 
geuerflrom  einiger  58i(bung." 

SBiffenfc^aft  unb  Sl'unft  luerben  oon  j^rtebric^  einmal 
gertibeju  ben  Göttern  unb  ber  Unfterblid^teit  gleid^gefe^t. 
Siiiv  ber  ^öc^fte  S^orjug  ber  ^eutfc^en  tuirb  i^r  5?bealiömu§ 
I)tnge[tellt.  „9Jici^t  .V)ermann  unb  SBoban  finb  bie  9iationaI- 
götter  ber  Seutfc^en,  fonbern  bie  ^unft  unb  bie  SBiffenfc^aft." 
SSa^  für  ein  ^oc^fc^luettenber  üaterlcinbifc^er  ©tolj  liegt  in 
biefem  S3efenntniß;  loie  fern  aber  öon  eitler  Uebertjebung; 
benn:  „e§  giebt  nur  wenige  ^eutfc^e,"  5tber  ber  ßtjaraüer 
ber  großen  beutfc^en  ^ünftler  aller  ßeit  fei  recfitltc^,  treu=  i 
^erjig,  grünblic^,  genau  unb  tteffinnig,  babei  unfc^utbig  unb 
etiüa§  ungefc^icft;  nur  ber  ©eutfd^e  treibe  bie  ^unft  aU  eine 
Stugenb  unb  al§  9fietigion.  '•21I§  bie  größten  S^ertreter  beutfdjer 
Xlunft  unb  Söiffenfcfiaft  ää^It  griebridj  auf:  S^cpler,  ®ürer,  'Jß^ 
Sut^er,  ^alob  33ö|me,  Sefftng,  SSinfelmann,  ©oet^e  unb  gidlte, 
atleä  SJJdnner,  bie  hmd)  ®eift  unb  G^arafter  jugteirf)  ()erüor- 
xagen.  2luc§  mirb  abfic^tlic^  fein  Unterfc^ieb  gemacht  siuifd^en  j 
^ünftlern  ober  ©enfern  unb  großen  DJJenfcfeen;  raufest  boc^ 
baä  SJiotto:  (Sin§eit  unb  ©anj^eit  beftiinbig  bem  marfdjireuben 
§eere  üoran  une  eine  äJiufif  oon  trompeten  unb  3;rommeln, 
fin  ^eroif(^e§  5elbgefd)rei. 

„Unioerfülität  ift  SBec^felbet^ätigung  aller  goroien  unb 
Stoffe."     @o  »üurbe  ta^  ®emeinfc^aft(irf)e  in   ben  ücrfc^ie- 
benen    fünften    gefud^t,    im    Öiegenfa^    ju   Seffing,    beffen        i 
fonbernber  ißerftanb  i^re  ©renjen  feftfteHte.    S"  i'er  ®re6- 


52  5)a§  'Jltf)enäum. 

bener  ©alerie  Ijatten  SBil^elm  unb  Caroline  33etrad^tungen 
über  bie  bübenben  fünfte  angeftellt,  bie  fie  gu  einer  ®abe 
für  ba§  2lt^enäum  unter  bem  %itd  „bie  ©emälbe"  anmut^ig 
tjerarbeiteten.  S)a  ^ei^t  e§:  „Unb  fo  foHte  man  bie  fünfte 
einanber  mieber  näliern  unb  Uebergänge  au§  einer  in  hit 
anbere  juc|en.  SSilbfäuIen  beleben  jic^  t3ielleid)t  ju  ©emälben, 
©emälbe  luerben  ju  ©ebid^ten,  ©ebic^te  ju  SJJufif,  unb  föer 
raei^?  jo  eine  Ijerrlidje  Slird^enmufif  fliege  aud)  einmal  n^ieber 
üU  ein  Xempel  in  bie  Suft."  Unb  nod^  einmal  in  einem 
gragment  berührt  SBil^elm  benfelben  ©ebanfen: 

„^n  ben  Söerfen  ber  größten  ®id^ter  al|met  nic^t  feiten 
ber  @eift  einer  anbern  ^unft.  (Sollte  ba§  nirfit  aucf)  hei 
SJJalern  ber  i^aU  fein?  Tlalt  nicJit  SWic^elangelo  in  geiuiffem 
©inne  n?ie  ein  S3ilb^auer,  fRapfioel  föte  ein  3Ircf)iteft,  Korregio 
n^ie  ein  SRufifer?  Unb  getui^  mürben  fie  barum  nic^t  ineniger 
ajJater  fein  aU  Xx^ian,  lüeil  biefer  blo^  SJ^aler  lüar/' 

3tud)  ha^  fü^ne  unb  fc^öne  S3itb  öon  ber  Slrd^iteftur 
alä  einer  gefrorenen  9}?ufif,  je^t  beino^e  gemein|3lö|ig  ge» 
n)orben,  t)at  Söil^elm  ^uerft  gebraucht. 

S)a§  Sneinanberüberf(^tüanfen  üon  HJJufif  unb  ^oefie  unb 
^  SJialcrei  umrbe  ein  Siebling§tt)ema  bon  Subung  2;ied.  „SBie?" 
fagt  er  in  ber  SBevfeljrten  SSelt,  „e§  loäre  nic^t  erlaubt,  in 
Sönen  ju  benfen  unb  in  SSorten  unb  ßiebonfen  5U  mufijiren? 
D  lote  fd;(ed^t  luäre  eg  bann  mit  un§  ^ünfllern  beftellt! 
2Bie  arme  ©pracfie,  une  ärmere  93cufit!  ®enft  il)r  nic^t  fo 
mancfie  ®eban!en  fo  fein  unb  geiftig,  ha'^  biefe  fid)  in  SSer- 
jiueiflung  in  3Kufif  £)ineinretten ,  um  nur  9iu^e  enblid^  ju 
finben?  9ld),  iljr  liebe  Seute,  ba§  SJieifte  in  ber  SBelt  grenst 
njeit  me^r  an  einanber,  aU  i^r  e§  meint." 

S)a^  er  im  ^erbino  bie  glöten  fagen  lä^t:  „Unfer  (Seift 
ift  Ijimmelbiau,  fütjrt  bid^  in  bie  blaue  gerne"  i)at  man  in 
nac|romantifd)er  3eit  täd)tüiä)  gemad;t,  n)äl;renb  man  je^t 


®a§  9(tf)enöum.  53 

anfängt,  bte  SSerttianbtfc^aft  jtüifc^en  ben  üerfcöiebenen  @inne§= 
empjinbungen  lüiffenfc^aftlic^  ,^u  iinterfuc^eu. 

SBie  nun  in  aflen  fünften  ein  einziges  ®runb)3rtn;^ip 
geal^nt  wirb,  fo  foHen  and)  alle  SSiffenfc^aften  auf  eine 
SBtffenfc^aft  surüdgefü^rt,  \a  fc^tiefeltrf)  Slunft  unb  Söiffen- 
fc^aft  (Sin§  toerben. 

„m^  ^unft  fott  SBiffenfc^aft  unb  alle  SI?iffenfc^aft  foft 
^unft  werben;  '!]Soef{e  unb  ^I)itofop^ie  feilen  Bereinigt  fein." 

Unb  eben  btefe  ^oefie,  hie  auf  ti^rem  [}öc^ften  ©ipfel 
(£in§  mit  ber  SSiffenfd^aft  ift,  ift  bie  romantifdje,  bie  Uni» 
tierfalpoefie,  hk  Werbenbe,  bie  ^^oefie  ber  ^^^oefie.  2)ie  buntein 
Söorftedungen,  bie  bie  meiften  ajJenfcfien  öon  ber  romantifcfeen 
^oefic  i)at)en,  al§  ftel^e  fie  in  einem  unöerföl^nlid^en  ®egen* 
fa^e  5u  ber  fogenannten  !Iaffifcl^en,  al§  fei  fie  bie  ü6er= 
fc^menglicfie,  pftantaftifcfie,  bertttorrene,  finb  Weit  ah  öon  ber 
großartigen  ^het,  bie  ben  ronmntifcfien  5left^etifern  oor- 
fd^mebte:  jebeS  unpoetifc^e  (SIement  foH  au§  ber  Stiiitnng 
nulgefcftieben  werben,  5ltle§  aber,  \va§:  ber  @inn  aufnel)men, 
ber  ©eift  erfennen,  ba^  ©emüt^  al]nen  fann,  foCC  bie  all= 
umfaffenbe  in  fi(^  begreifen.  Silier^  foll  poetifirt  Werben. 
9?ici^t§  ift  5u  gering  ober  5U  groß  für  bie  ^oefie;  benn  aud^ 
bie  fleinfte  ©rfclieinung  öer^ütlt  ein  Unenblidie?^ 

®§  f(^eint  bem,  ber  fid^  in  ta^  '!>tt^enäum  oertieft,  aU 
gäbe  e§  auf  ber  2BeIt  nic^i§  all  ©unft  unb  SSiffenfc^aft, 
unb  aU  ob  infofern  ber  SSorWurf  gered)tfertigt  wäre,  alle§ 
bie§  t)ahe  nur  für  gelehrte  ^ünftler  unb  fünftlerifc^e  ®e=» 
lebrte,  alfo  für  einen  fel)r  tieinen  ^^rei§  oon  SJienfc^en, 
S3ebeutung.  Unb  atlerbing§  gehörten  ja  bie  SBenigen,  hit 
l)ier  p  SSorte  famen,  einer  $anfe  an,  fül)lten  ficö  ftolj  at§ 
9}?itglieber  einer  unfiditbareu  ^irdje.  Mit  fübler  unb  flarer 
S.^erad^tung  reben  fie  oon  ber  großen  ©egenpartei  mit  il)rem 
2BaI)Ifpritd^:  oernünftig,  aber  bumm. 


54  S)o§  ^ff^cnöum. 

„(5§  gtetit  red^tltc^e  unb  angenel^me  Seilte,  bte  ben  9J?en= 
fd^eii  unb  ba§  Seben  fo  betrad^ten,  a.U  ob  üon  ber  beften 
©c^afjud^t  ober  öom  kaufen  ober  SSerfaufen  ber  @üter  bie 
9?ebe  iDÖre.  @§  finb  bie  Defonomen  ber  9)?oraI  unb  eigentltci^ 
bel)ä(t  Uid{)I  alle  Tloxal  o|ne  ^t)itD[D;3t)te  einen  getüiffen 
tffibernlen  unb  öfonomifd^en  Stnftrtdfi  ...  (S§  giebt  ö!o» 
nomtfrfie  ©d^luärmcr  unb  ^antfjetften,  bie  utd^t§  ad^ten  aU 
bie  ^yiottiburft  unb  fid)  über  uid^t§  freuen,  aU  über  i^re 
S'JülItc^feit.  2Ö0  fie  fjinfommen,  tuirb  5tlte§  ptatt  unb  ßanb= 
lüerf§mä^ig,  fetbft  bie  9ieItgion,  bie  2l(ten  unb  bte  ^oefie, 
bie  auf  il^rer  ^red^felban!  nichts  ebler  ift  aU  g(ad^§^e(f)etn." 

SSon  ber  fogeuaunten  guten  (SefeÜftfiaft  lüirb  gefagt,  fie 
fei  eine  SD^ofai!  öon  gefc^tiffenen  ^arrifaturen.  Ober:  „S)ie 
meiften  SJienfc^en  finb,  wk  2eibni^en§  mögliche  SSelten,  uur 
gtetc^bered^tigte  ^rätenbenten  ber  ©inftenj.  (£§  giebt  tüenige 
S^iftenten.^'  Unb  fann  man  einen  ejHufioeren  ©tanbpunft 
:^a6en  aB  ben,  ba^  felbft  in  ben  äu§erlic|en  ß)ebräud^cn 
ber  2eben§art  bie  ^ünftler  fid^  Oon  ben  anbern  aJienfc^en 
unterfd^eiben  follten?  ®ie§  ift  bie  ariftofratifd^e  ©ette  be§ 
Sltf)enäum§.  9Iuf  bie  ^lage  be§  ^ubtifumS,  bie  beutfc^en 
5lutoren  fc^rieben  uur  für  einen  f leinen  ^rei§,  ja  oft  nur 
für  fid^  felbft  unter  einanber,  ermiberten  fie  tro^ig,  bo§  fei 
/gut  fo,  „bnburd^  irirb  bie  beutfd^e  Siteratur  immer  me^r 
^  ©eift  unb  e^arafter  belommen."  ®ie  ^ünftler  finb,  fagen 
fie,  unter  ben  9Eenf(^en,  n)a§  bie  SJJenfd^en  unter  ben  anbern 
95ilbungen  ber  ®rbe.  ©ie  finb  $8rat)minen,  eine  p^erc 
^ofte;  aber  —  unb  nun  fommt  ein  Q\i'\a^,  ber  ben  ganjen 
9(u§f)3rud^  Ulieber  bemofratifirt  —  fie  finb  nid^t  burdt)  ©e* 
burt,  fonbern  burc^  freie  ©elbfteintreiljung  geabelt.  Un= 
ermüblirf)  lüirb  betont,  baf3  e§  eine§  ^eben  83eruf  unb 
^flic^t  ift,  Tlex\\d),  tünftler,  ®ott  ju  tücrben.  ©o  baben 
h)tr  £)ier  biefelbe  9}?ifd)nng  öon  Popularität  unb  ^friftofra- 


5)a§  ^[t^enciitm.  55 

li§mu§    lüte    im    ß^riftentfium:    SSiele    finb   Berufen,    akr 
tüenige  finb  ou§ertüäf)It. 

Surc^  ba§,  n)a§  bie  JRomantifer  unter  bem  SSegrtff 
„^ünftter"  fic^  backten,  tüirb  bte  SBürbe,  bie  auf  einen 
fleinen  ^rei§  tefc^ränft  fc^ien,  auf  bie  gan^e  9)ienfc^^eit 
erweitert:  „^ünftler  ift  ein  ^eber,  bem  e§  S'^d  unb  9Jiitte 
be§  ®afein§  ift,  feinen  ©inn  gu  bilben."  ^J^ur  auf  ben 
©ntfd^Iu^  fommt  e§  an,  „ficf)  auf  einig  üon  allem  ß^emeinen 
abjufonbcvn."  5lber  no(^  auf  anbre  Söeife  Jnirb  bie  Wöq- 
lic^Ieit  barget^an,  ba^  ein  Sf^e^^  fi<^  erfolgreich  bem  pd^ften 
3iele  5uUienben  fönne.  „®enie  ift  ber  natürliche  Buft^m^ 
be§  äRenfc^en."  2Ber  anber§  aU  ber  überfcfitüengücö  fü^ne 
©eift  §arbenberg'§  njagte  fo  ju  benfen  unb  fo  fid^  5U  äußern? 
S)a§  grij^te  ^unftttjer!,  fo  |3^iIofop^irt  ber  @cf)üler  gierte'», 
erf(^afft  bte  unbeliniBte  ^^antafie  be§  SJJenfc^en,  inbem  fie 
au§  eigner  ^raft  bie  2BeIt  fic^  aufbaut;  ber  Stebenbe,  ber 
bie  beliebte  tjergöttert  unb  ein  anbetung§n)ürbige§  S3ilb 
fie^t,  ba§  nic^t  ift;  ber  Sßilbe,  ber  bie  Sprache  fc^afft  aU 
ein  bilbfameg,  nac^  einigen  ©efe^en  tuanbetbareS  ©tjmbol 
für  bie  erfc^eiiienbe  SBelt  unb  beineglicfien  Körper  für  bie 
ßiebanfen,  fie  finb  mt  ^ünftler  üon  ®Dtte§  ©naben,  unb 
e§  ^anbelt  [id)  für  ben  9JJenfd^en  nur  barum,  fi(f)  auf  ba§ 
®enie,  ha^  in  i§m  ift,  5U  befinnen,  e§  in  feine  ©en^alt  gu 
befommen. 

„3eber  ungebilbete  9J?enfc^  ift  bie  ^nrrifatur  öon  fic^ 
felbft."  ^arau§  folgt,  bafe  fid^  bilben  ^ei^t:  fein  eigene^ 
Sbeal  werben.  51lle§  Voa^  in  biefem  ©ebanfen  liegt  unb 
fic^  barau§  folgern  lä^t,  faf3t  griebric^  in  ben  SSorten  gu» 
fammen:  „^eber  gute  StRenfc^  luirb  immer  me^r  unb  me^r 
©Ott.  ©Ott  lüerben,  Tlcn\ä)  fein,  fic^  bilben  finb  3lu§brüde, 
bie  einerlei  bebeuten."  ®iefe  93ergötterung  be§  Sc|  ift 
i^immelmeit  entfernt  öon  ber  unfrud^tbaren  ©iteifcit  bcrjenigen, 


56  2)a§  ?(t[)enäum. 

benen  i^r  eigenes  ©elbft  ber  ^flod  i[t,  tüoran  fte  mit 
hirjem  ©tricE  feftgebunben  finb  unb  um  ben  fie  fid)  imaiif- 
Ijörlic^  breljen.  SDenn  unter  bem  ©ottuierben  ift  öerftanben 
(Srlueiterung  ber  eigenen  ^erfönlidjtcit  jur  3lufna!^nie  öon 
uncnblicfi  bieten,  „^ein  SJienfd^  i[t  fc^lcd)tl)in  d^len\(i),  fon- 
bern  !ann  unb  folt  tütrftid;  unb  in  5!Bat)röeit  auä)  bie  ganje 
9JJen|(^t)eit  fein."  2ßenn  tvxi  nun  noc^  ®ott  einen  SIbt)[fu§ 
öon  ^"'^iöibuatität  genannt  ftnben,  ben  einzigen  unenblid^ 
^sollen,  fo  fetien  lüir  ein  OietigionS^rojeft,  ba§  gricbric|'§ 
©e^rnge  trägt,  bem  gic^te'S  ®ei[t  aU  Stern  im  D[ten  ge= 
leuchtet  l^at. 

2Bie  ber  golbne,  5lIIe§  burdjbrtngenbc  Stetiger  nmpllt 
bie  ^Dce  ber  Steligion  t)it  ganje  ©ebanfeniüelt,  bie  |ier 
oulgebreitet  liegt.  (Einer  Sanbfc^aft  gleid^t  fie,  in  bereu 
«S^^intergrunbe  ein  ungeheurer,  2llle§  überragenber  S3crg  mit 
fd)immernbem  ©ipfet  lagert,  ben  mnn  r»on  jebem  ^la^e  au§ 
fe^en  fann  unb  beffen  unbertitgfcaren  Umri^  man  nod^  atjnt, 
tütxm  it)n  filberne  ^Dünfte  ober  grauet  9tegenn)etter  üer= 
fc^Ieiern. 

„9^ur  burd^  Sfteligion  lüirb  au§  Sogit  Iß^ilofop^ie,  nur 
ba^er  fommt  Sltleä,  iüa§  biefe  mcljr  ift  aU  2Biffenfc|aft. 
Unb  ftatt  einer  elüig  öoUen,  unenblidien  ^ocfic  tuerben  )üir 
otiue  fie  nur  S^omane  ^aben  ober  bie  ©pttlerei,  bie  man 
je^t  bie  fdjöne  ^unft  nennt." 

„^ie  9?eIigion  ift  ni(^t  blo^  ein  S:^eil  ber  33ilbung, 
ein  Öilieb  ber  SLRenfd^^eit,  fonbern  ba^  Zentrum  aller 
Uebrigen,  überall  ha^  (Srftc  unb  !Qöd)'\ic,  'i)a§  fc^ted^ttiin 
Urfpüngtid^e." 

2öa§  ber  (Srunbgebanfe  öon  ©d^Ieiermadjer'»  9teben 
über  bie  Stettgion  mar,  ha'ß  nämlid)  9ieIigion  nid)t§  anbre§ 
fei  aU  33e5iet)ung  beS  (gnblidien  auf  ha^  Unenbüdie,  (Sefüljt 
be§  Unioerfum§,   ha^  finbet  fic^   Iner   im  S^eime,    in  bli^- 


S)a§  ?(tf)ennum.  57 

artigen,  [traff  sufammengefaBten  5tu§jpriic^en ,  bie  auf  ben 
S^erftänbniBüDlIen  ftärfer  tuirfen  at§  @rf)Ieiermac^er'^  etit)a§ 
öenuäfferteg  Sieben,  ma»  freüid^  befttmmt  rvax,  öon  Sßieten 
eingenommen  unb  begriffen  5U  luerben  unb  feinen  Swcd 
aud^  erfüllte.  5l6er  inniger  aU  bort  füi)tt  man  {)ier,  lüie 
eine  auffeimenbe  Steligion  f($on  ben  ^immel  be§  Zeitalters 
färbt  aU  öer^eifsungäoolle  SJJorgenrot^e.  ^unbertfad^  n)irb 
mit  bem  „3aubetftab  be§  33iid^ftaben§"  an  'i^a^  ßJeI}eimni§ 
ber  öerfünbigten  @onne  gerüf)rt,  haii  3?ät^fel  ber  3tät^fe( 
burd^  öermitteinbe  ß^Ieid^niffe  bem  ©inn  na^e  gebrad^t,  lüie 
toenn  man  ben  ß^Ianj  be§  feurigen  ®eftirn§,  ber  bem  menfc^- 
lic^en  5luge  unerträgltd^  ift,  bämpft  unb  beriranbelt,  inbem 
man  e§  burdEi  farbige  ©läfer  betrad^tet. 

(Sine  tröftltd^e  ®eliii|fieit  i)at  ber  ©trcbenbe:  „®etn  3iel 
ift  ^unft  unb  Söiffenfd^aft,  bein  Seben  Siebe  unb  58ilbung. 
^u  bift  ot)ne  e§  ju  lüiffen  auf  bem  SBege  gur  9f{eIigion. 
©r!enne  eg,  unb  bu  bift  ftd^er,  bein  S^^^  5"  erreid^en." 
SSon  biefem  ©tanbpuntte  au§  ift  e§  begreifitdf),  hal^  SSübung 
al§  ba§  p{^fte  (5)ut  unb  ha^  aKein  9f?ü^Ii(^e  gepriefen  ipjrb. 

2)iefen  Segriff  oon  9ieIigion,  hit  „ben  ®eift  be§  fitt= 
Itd^en  9D^enfd)en  überaß  umfliegen  füll  n^ie  fein  ©lement", 
muffen  tvh  gegeniüärtig  tjaben,  um  bie  3lu§fprüd)e  über 
9J?oraI  5U  oerfte^en,  hie  Elftem,  »üa§  man  bisher  barunter 
begriffen  ^tte,  entgegengefe^t  n^aren.  3uoi  S3eifpiel:  „9J?an 
l^at  nur  fo  t)iet  SDZoral  aU  man  ^^itofoi^^ie  ober  ^^^oefie 
l^at."  Dber:  „Sie  erfte  Siegung  ber  ©ittlid^feit  ift  £)ppo= 
fition  gegen  bte  pofittüe  ©efc^IidEifeit  unb  conüentionene 
9ted)tlt(^feit  —  eine  grengenlofc  Stei^barfeit  be§  (SJemüt§e§." 

(£g  ift  berfelbe  ßampf,  ben  ber  Slpoftel  ^aulu§  gegen 
ha§  ®cfe^  fämpfte  im  9Jamen  ber  Siebe,  welche  er  be§ 
(SJefel^eS  ©rfütlung  nannte.  2(IIerbingÄ,  fagte  er,  mu^,  loer 
haS'  ®efe^  umiinrft,  üom  ®eifte  regiert  fein,   ober,   mte  e^ 


58  5)a§  9(tf)enäum. 

W  9?omonttfer  au§brücfen,  er  mu^  im  Unfid^tbaren  teBen, 
fein  Seben  mu^  Siebe  unb  93 Übung  fein;  jebenfaHS  fann 
man  infotern  ben  Stomantifern  mie  iebem  Sbeattftcn  unb 
jebem  (Sfiriften  ben  SSortüurf  matten,  ha%  fie  eine  |)errfc^aft 
angriffen  unb  §u  erfrf)üttern  fuc^ten,  um  bafür  eine§  9letc^e§ 
SBürger  5U  merben,  ba§  für  ben  SRenfcfien  elptg  ein  kommen* 
be§  ifi,  ttite  föir  ja  auc^  beten:  bein  Steic^  fomme. 

^m  2It£ienäum  liegt  ber  ^eim  ju  5Iüem,  ft)a§  bie  9f{o= 
mantit  bringen  fottte.  5)er  93egriff  ber  S^^onie,  ber  ein  fo 
h)id^tiger  ©runbfa^  ber  romantifc^en  5leftf)ettf  war,  ift  oiet^ 
fad§  gu  beftimmen  öerfuc^t.  ®ie  gange  ^JJaturpiiilofop^ie 
liegt  angebeutet  in  ben  Söorten:  „SBillft  bu  in'§  ^nn^J^c 
ber  ^S^i^fif  bringen,  fo  laffe  bicf)  eintt)eiben  in  bie  9J?t)fterien 
ber  ^oefie."  5(ud^  bie  ©ntbedung  ber  orientatifd^en  ^oefie 
mit  il)rem  gelDattigen  SinfCuf?  berettet  fic^  bor:  „5?m  Orient 
muffen  n^ir  ba§  ^öd^fte  3?omantifd^e  fuc^en."  „Söeldf)  eine 
Ouelle  an  ^oefie  fönnte  un§  au§  ^nbien  fliegen." 

@taunen§lt)ert^  ift  für  bie  Sefer  unfrer  3eit,  trie  un= 
öeraltet  biefe  Slätter  finb  Ungö^Iigen  GJebanfen  begegnen 
h)ir,  bie  fic^  in  unfern  klagen,  i^rer  S^eul^eit  unb  SSer* 
einjelung  benju^t,  faum  fo  frei  unb  inut£)ig  Jierbormagen, 
mie  fie  bort  auggefprocfien  finb.  SDJan  fann  fid^  nid^t  rabi- 
faler  über  bie  (Smanjipation  ber  thronen  auSfpred^en,  aU 
e§  Sc^teiermad^er,  ein  ^rebiger,  in  feinem  ^otec^i§mu§  ber 
SBernunft  für  eble  grauen  ttiat,  tüo  j.  93.  fofgenbe  ©ebote 
gegeben  finb: 

„S)u  foüft  bon  ben  |)eiligt^ümern  ber  Siebe  auc^  nid^t 
ba§  ßleinfte  miPraud^en:  benn  bie  n)irb  i^r  gartet  @efü|I 
rertieren,  bie  i|re  ®unft  entn)eit)t  unb  ftd^  t;ingiebt  für 
©efc^ente  unb  ©aben,  ober  um  nur  in  Stu^e  unb  ^rieben 
aKutter  ju  ftterben." 

„2)u  foUft  nidE)t  falfd^  3fU9"iB  ablegen  für  bie  aJZänner; 


®n§  9(t^eitäum.  59 

bu  foHft  t^re  iöarbaret  nic^t  befd^öntgen   mit  255orten  unb 
SBerfen." 

(Sine  nod^  beutlic^ere,  fc^Iogenbere  (Sprache  fü^rt  bQ§ 
©laubcnSbefenntnife: 

1.  Sc^  glaube  an  bie  unenblicf)e  9}?enfcf)|eit,  bte  ba 
mar,  el^e  fie  bie  ^üHe  ber  SJJännlid^feit  unb  ber  SEeiblid^feit 
annahm. 

2.  ^d)  glaube,  ba^  tc^  nidjt  lebe,  um  ju  gcf)ord^en  ober 
um  mid^  ju  jerftreuen,  fonbern  um  5U  fein  unb  ju  tüerben; 
unb  id^  glaube  an  bie  SO^ac^t  bc§  SSifIen§  unb  ber  93ilbung, 
mic^  bem  Unenblic^en  luieber  gu  nähern,  mid^  au§  ben 
{^efieüt  ber  SJiiPilbung  §u  erlöfen  unb  mic^  üon  bcn 
©c^ranfen  be§  ®ef(^Ied^t§  unabhängig  ju  machen. 

9JJit  ebenso  fcEineibenber  9tücflid^t§Io[ig!eit  faßt  t^tiebric^ 
ba§  Urt!^eil  über  bie  @^e: 

„{^flft  alle  @^eu  finb  nur  Sonfubinate,  (Stjen  an  ber 
linfen  ^anb,  ober  üielme^r  proötforifc^e  SSerfucbe  unb  eut= 
fernte  5(nim^erungen  ^u  einer  lüirfltd^en  @§e,  beren  eigent» 
Iic^e§  SSefen,  nid^t  nac^  ben  ^arabo^-en  biefe§  ober  jene§ 
@t)ftem§,  fonbern  nad^  allen  geiftlic^eu  unb  lüelttic^en  9tecE)ten, 
barin  befielt,  ha^  me{)rere  ^erfonen  nur  eine  iDcrben  foüen. 
SSenn  aber  ber  ©taat  gar  bie  mi^glücften  S^eöerfud^e  mit 
©etoalt  jufammen^alten  toitl,  fo  ^inbert  er  baburcf)  bie 
SDJögtid^feit  ber  @!^e  felOft,  bie  burd^  neue,  tiielletc^t  glü(f= 
lid^ere  SSerfuc^e  beförbert  toerben  fönnte." 

?ll§  noc6  üiel  moberner  berührt  un§  aber  bie  S3emerfung, 
hie  eine  me^r  nü^Iid^e  a(§  erfreuliche  SBa^r^eit  genannt 
mirD,  ba§  fogar  bie  befte  @^e,  ja  bie  SJJütterlid^feit  felbft, 
tüelc^e§  beibe§  bod^  geluö^Iic^  aU  iia^  einzige  3iel  ber  {5rau 
betrad£)tet  5U  n^erben  pftegt,  nur  aüju  leidet  hk  '^lau  ^tvah' 
giel^en  fönne,  foba§  fie,  mit  ben  Sebürfniffen  ber  ®rbe  üer» 
ftridt,  il^re§  göttlid^en  Urfprung§  unb  (SbenbitbS  nid^t  met)r 


'/^p^^ 


60  2)a§  ?(tf)enänm. 

eingeben!  bleibe.  2Borau§  frcific^  feine§lücg§  ber  ©d^IuB 
gejogen  tütrb,  'tia'^  bie  grau  fid^  ber  Siebe,  @^e  unb  a)Jutter= 
fd^aft  ent§ie:^en  fotte. 

5ßon  ber  mobernen  2et)re  üom  Uebermeiiic^en  finbet  fic^ 
ein  SSorflang  in  ben  Söorten:  „(5§  ift  ber  3Jienfd)^eit  eigen, 
ba^  fie  fid^  über  bie  SJZenfc^^eit  erl^eben  mu§."  Sflf'fogi^ 
ie  beinah  to(Ifü|n  erfcfjeinenbe  33e^auptung,  bie  in  neuefter 
^eit  aufgetaud^t  ift,  nid^t  Vxt  ^unft  rid^te  fid^  nac^  ber 
9?atur,  fonbern  umgefe:§rt,  irirb  in  einigen  flüchtigen  SSorten 
berührt,  n)0  e§  ^ei§t,  t>^^'^  ber  menfd)Iic^e  (5Jei[t  ber  um= 
gebenben  2Sett  feine  (Sefe^e  üorfd^reibe  unb  fie  nad^  fic^ 
fd^affe  unb  moble. 

Stuf  Sttd^arb  SBagner  unb  bie  ie|ige  Programm-  unb 
©ebanfen  -  9J?ufif  fd^eint  fotgenbeS  gragment  propbetifc^ 
]^in§utüeifen: 

„@§  pffegt  ajJand^em  feltfam  unb  läd^crlid^  aufjuf allen, 
luenn  bie  9}iufifer  Don  ben  ©ebanfen  in  itiren  ©ompofitionen 
reben;  unb  oft  mag  e§  nud^  fo  geji^e^en,  tia'^  man  ma()r» 
nimmt,  fie  ^aben  mebr  ©ebanfen  in  ber  W\x\\l  aU  über 
biefelbe.  2Ber  aber  ©tun  für  bie  munberbaren  Slffinitäten 
atter  fünfte  unb  SBiffenfcftaften  bat,  luirb  Vit  @ac^e 
Ujenigftenä  nid^t  au§  bem  platten  ©efic^t^punft  ber  fo- 
genannten  S^iatürlid^feit  betradjten,  nac^  luetc^er  bie  9Jiufif 
nur  btc  ©pradEie  ber  @m|3ftnbung  fein  foE,  unb  eine  geroiffe 
Senbenj  aller  reinen  ^nftrumentalmufif  jur  ^bilofopl^ie  an 
ftd^  nid^t  unmöglid)  finben.  9Jiuf3  bie  reine  ^nftrumentat* 
mufif  fic^  nid)t  felbft  einen  %tii  erfc^affcn?  unb  mirb  ^a^ 
%\)m\Ci  in  t^r  nicfit  fo  entmicfelt,  beftätigt,  öariirt  unb 
contraftirt,  raie  ber  ©egenftanb  ber  9J?ebitation  in  einer 
pbilüfop^ifc^en  3i>eenrei^o?" 

2Ba§  für  ein  ibeatiftifcbe§  Zeitalter,  in  toetc^em  eine 
Seitf^rift  Sefer  fanb,  bie  feinen,  aber  aud^  gar  feinen  blofeen 


Sas  §ltf)enäum.  61 

Ilnter^attungöret§  bot;  hk  me^r  ftubirt  aU^  geiejen  fein 
luottte.  Sänge  freiließ  fonnte  ha§  Sd^enäum  \iä)  ntc^t 
fialten.  (£§  erfc^ien  in  bcn  Saferen  1798—1800.  ^m 
bemühten  ©egenfat^e  jur  großen  9J?enge  mar  e§  auf  ben 
^ampfpla^  getreten;  e§  njar  be»f)a(b  nic^t  5u  oermunbern, 
ha^  „'üa^  platte  $ßoI!  öon  Hamburg  big  nad^  @d)tuaben" 
einen  Schrei  ber  Gntrüftung  au§  beni  üertuunbeten  öerjen 
erf(f)allen  lie^.  21ber  auc^  bte  S;^eilna§me  ber  ©ebilbeten 
mar  geringer,  ale  man  erluartet  ]§atte.  dJlan  flagte  über 
bie  Unoerftänblic^feit  namentlich  öon  griebric^'g  Fragmenten, 
tva^  nid^t  unberget^Iic^  ift,  menn  man  5.  33.  lieft:  „^arri= 
fatur  ift  eine  paffitje  ^erbtnbung  be§  9kioen  unb  ®rote»fen. 
2)er  2)ic^ter  fann  fie  ebenfoiuot)!  tragifc|  al§  fomifc^  ge* 
brauchen."  Ober:  „Urbanität  ift  ber  2Bi^  ber  l^ormonifc^en 
Unioerfalität,  unb  biefe  ift  bog  (gin§  unb  5irie§  ber  ^iftorifc^en 
^^ttofop^ie  unb  ^^lato'l  f)üi^fte  aJJufif.  ®ie  |)umaniüra 
finb  bie  @t)mnaftif  biefer  ^unft  unb  2öiffenfc|aft." 

Tlan  mu^  gefielen,  ta'^  bie  33equcnilicf)feit  beg  burd^- 
fd^nittli(^  ©ebitbeten  fid^  in  ber  9teget  öon  einem  fold^en 
3been==3get  äurücf§ie£)en  rotrb,  an  bem  fein  ©eift  fi(^  fo 
ri|en  fann,  bi§  er  fid^  i|m  offenbart  ^ot.  ©ine  Strt  öon 
©e^eimfprad^e  —  ein  gemiffer  ÜJ?l)fti5i§mu§  be§  3tu§brud§, 
löte  griebrid^  fagt  —  bitbet  fic^  leicht  au§,  menn  mehrere 
9}ienfc§en  fic^  oft  über  biefelben  ©egenftänbe  i^reg  gemein» 
famen  ^ntereffe»  unterreben;  unb  aul  Unterfialtungen  S3e- 
freunbeter  ift  ia  im  ©runbe  ba§  ^ttienöum  entftanben. 

Sn  einer  munberöotlen  fleinen  Selbftöertfjeibigung,  tuo 
Saune  unb  ©ruft  fi(^  reiäöotl  mifd^en,  beantlüorttte  griebrid^ 
bie  SSoriüürfe  unb  klagen  über  feine  Unöerftänblid^feit.  2(n 
feinen  53ruber  fd^rieb  er,  ob  e§  nic^t  gut  fein  föürbe,  fünftig 
mit  jebem  §eft  ein  ©tüd  §onigfud^en  grätig  augäut|eiten. 
dx  tvav  umfome|r  entrüftet,  aU  er  fic|  e^rltc^  uub  leiben* 


62  ®a'5  5ttl}enäum. 

fc^aftltc^  be[trebte,  populär  511  fein,  ja  iogar  ta^^  SBort 
Popularität  l^äufig  mit  SSo^Igefallen  im  DJJunbe  füfirte,  er 
öer  in  ber  Unfunbe  feineg  finblic^en  gürfic^lebeng  ber  be= 
fc^äftigten  SBelt  feine  lüeltferne  ^erfönlic^feit,  ben  „Fredeiic 
tout  pur"  fo  o|ue  2Beitere§  jumut^ete! 

SESie  bem  auc^  fei,  an  ber  Unüerftänbtid^feit  ging  tia^ 
?lt^enäum  ju  ©runbe.  Ser  fc^metternbe  Sufielton,  ben  hit 
.^erolbe  ber  fommenben  golbnen  3eit  in  bie  SBelt  gebtafeu 
Ratten,  oerflang  im  (55emü£)I,  ba§  fie  ntd^t  achteten.  ®enn  ba§ 
ift  ha^  ©c^önfte  an  biefem  Suc^e  unb  ha^  Ä^ünftlerifi^e:  U^ 
Stimmung,  bie  bie  einzelnen  X^eile  fraftooff  jufammenfa^t, 
eine  freubige  (Stimmung  üon  SJIenfd^en,  bie  iüiffen,  t)ü^  fie 
ba§  Diei^te  trollen  unb  glauben,  bafe  t>a^  Steckte  fiegen 
mu|,  tpeil  fortfc^reitenbe  (Sntiüicfelung  ba§  ©efeg  ber  '^dt 
ift.  2)ie  blitienben  Slugen  auf  bie  3u^unft  gerichtet,  auf 
bie  @pi|e  be§  ©erges*,  überfa^en  bie  51nftürmenben,  lüa§ 
im  2Bege  l)inberte  unb  brofjte.  „3m  19.  Sa^i'^u'^bert  mirb 
jeber  hk  Fragmente  mit  öiet  Se^agen  unb  iöergnügen  in 
ber  SSerbauunggftunbe  geniefsen  fönnen  unb  auc^  gu  ben 
^ärteften,  uuoerbauüc^ften  feinen  ^Ju^nacfer  beöürfcn",  fagt 
gctebric^,  tüo  er  fein  .Sperj  auSfd^üttet  über  hie  Unoerftänblid^- 
!ett,  bie  man  iiim  t)orgen)orfen  i^at.  „®ie  neue  ^eit  fünbigt 
fic^  an  aU  eine  fd^neüfüBigc,  fotjteubeflügelte;  bie  iOiorgen- 
rijt|e  ^at  ©iebenmeilenftiefel  angejogen.  Sänge  i^at  e§ 
geiuetterleucfitet  am  ^ori^ont  ber  ^]5oefie,  in  eine  mächtige 
SBoIfe  war  aCte  ®eiüitterfroft  beä  §tmmel§  jufammengebröngt, 
je^t  bonnerte  fie  mächtig,  jo^t  festen  fie  ftc§  gu  oerjie^en 
unb  bli^te  nur  au^  ber  gerne,  um  balb  beflo  fc^recflic^er 
tüieber^u'fe^ren:  balb  aber  wirb  nid)t  me^r  oon  einem 
einzelnen  ©emitter  bie  Siebe  fein,  fonbern  e§  tütrb  ber  gange 
|)tmmel  in  einer  ^^tamme  brennen,  unb  bann  njerben  eud^ 
atte   eure   fteinen   33(i^ableiter  nic^t§  meljr   Reifen,      ©ann 


S)a§  9ltf)enäum.  G3 

nimmt  ha§  19.  Saljrt)unbeit  in  ber  S^at  feineu  Slnfang,  unö 
bann  mtrb  anc|  jeneS  fleine  Siät^fet  ber  UnüerClänblic^feit 
be§  2ltt)enäum»   gelöft  fein." 

®a§  ^al^r^unbert,  an  luelc^el  biefe  ^(ppeKation  gerirfjtet 
n)urbe,  ift  haih  üorüber  unb  überliefert  fie  einem  neuen 
9tid)ter;  benn  e§  t)at  fic|  im  Saufe  feine§  2Bad^§tfjum§  Oüu 
benen,  bie  feine  ©eburtäljelfer  uub  5;^aufpat^en  inaren,  un- 
banfbar  uub  oerfeunenb  abgelüanbt  uub  ift  itjnen  bie  @nt= 
fc^eibung  fc|ulbig  geblieben. 


Du  fdjleneft,  loSfleriffcn  Bon  ber  Srbe, 
2Ktt  leichten  ©etftertrltten  fcfioii  ju  »üanbclit, 
Unb  o^ne  Sob  ber  ©tcrbllcfttelt  geiiefen. 
SSllöetm  ©(Riegel  an  SRoöQliö. 

$8on  t§m  muffe  man  fagen,  er  fei  ein  ©enie,  nid^t  er 
^aht  (Senie,  fd^riet)  fein  greunb,  ber  ^reieamtmann  ^ufl; 
tüeil  er  nid^t  ettoa  eine  befonbere  Sefätjigung  gu  irgenb  einer 
©unft,  3Siffenfd^aft  ober  ^antirung  gefjabt  f)nbe,  fonbern  ein 
©leid^gelpid^t  aller  Gräfte,  fo  'ba'$  er  in  allem,  toa^  er  auc^ 
ergriffen  Ijaben  möd^te,  fic^  au^gejeid^net  i^aben  icürbe. 

@r  lüar  2)id^ter  nur  infofern  er  9)Jenfc^  njar,  ein  foldjer 
^ünftler,  trie  bie  3fiomantifer  meinten,  baB  ieber  SJienfd^  fein 
fönne  ober  bo(^  foHe.  (5§  lag  it)m  aud^  burc^aug  fern,  at§ 
SDic^ter  auftreten  5U  lüoKen,  ja  üon  feinen  t^reunben  luünfc^te 
er  augbrüdttc^  in  erfter  Sinie  at§  3}?enfd^  betrachtet  unb 
be^anbelt  gn  toerben.  „®ie  ©d^riftfteUerei"  fc^rieb  er  an 
^uft  „ift  eine  Siebenfache.  Sie  beurtl)eilen  mid^  mel)r  biüig 
nac|  ber  .<pauptfa(^e  —  bem  praüifctien  Seben.  SBenn  xä) 
gut,  nü^Iicl),  tljätig,  liebeöoH  unb  treu  bin:  fo  laffen  Sie 
mir  einen  unnü|en,  unguten,  garten  @a^  paffiren. ...  ^d) 
betjanbele  meine  ©(^riftftellerei  nur  aU  S3ilbung§mittel.  ^c^ 
lerne  ®tiüa§  mit  ©orgfalt  burd^benfen  unb  bearbeiten  — 
ba§  ift  3tlle§,  n)a§  ic^  baoon  »erlange,  ^ommt  ber  S3eifolI 
eine§  fingen  e^reunbe§  no(^  obenbrein,  fo  ift  meine  (SrlDar= 
tung  übertroffen.  9Jac^  meiner  9J?einung  mu^  mnn  jur 
tJoUenbeten  33ilbung  mand^e  Stufe  überfteigen;  ^ofnieifter, 


9?obaIi§.  65 

1]Srofe[for,  ."ganbiüerfer  füllte  man  eine  ^ett  lang  luerben  mte 
©c^rtftfteffer."  ®o  mar  er  in  bemfelben  Sinne  nnb  fogar 
in  nod)  ftöfierem  @rabe  aU  ©oet^e  ®elegen^eit§btc6ter;  benn 
luenigi'ten?  in  einem  geföiffen  Sllter,  namentlicj^  feit  feiner 
58efanntfd^aft  mit  Schiller,  fing  Qj^oetfie  an  ju  biegten,  um  ju 
bid^ten,  §.  33.  um  gemiffe  ^unftprobleme  §u  löfen.  5lIIe§ 
uia§  9?oöati§  gefc^rteben  (jat,  fönnte  mau  5:ageMd^er  nennen, 
tüorin  aud^  bie  ©d^lüäc^en  feiner  ^rofnlnerfe  liegen.  ®er 
oollfommenfte  3JJenfc§  unb  ßünftler  njürbe  hjo^l  ber  fein, 
beffen  2age=^  unb  SebenSBüdier,  fo  toie  er  fie  natürlich  nteber= 
f(^riebe,  jugleid^  bie  fd^önften  ^unftmerfe  timren. 

©eine  ©c^önl^eit  mar  don  ber  5lrt,  bie  ber  ilfenge  nid^t 
auffädt,  nur  bem  Kenner  fic^tbar  ift  aU,  lüie  Sied  Don 
9loöan§  fagt,  „bie  reinfte  unb  lieblid^fte  33erförperung  eine§ 
]^o^en  unfterbfid^en  ®eifte§."  diejenigen,  bie  i§n  fannten 
unb  öerftanben,  fonnten  tk  fc^Ianfe  (Seftalt  mit  ben  bot" 
neljmen  ©eberben,  bie  5Iugen  tiott  ät^erifc^er  ©tut^  in  bem 
jartgebilbeten  ©efic^te  nid^t  öergeffen.  Sbenfo  lüenig  lag  in 
feinem  2Befen  ha^  ,öeröDrftec^enbe,  roa^  man  gu  J)äufig  genial 
nennt;  benn  abgefel^en  baoon,  baB  er  fid^  nur  gonj  Eingab, 
menn  er  tiericaubte  ©eifter  fic^  entgegenfommen  füf]Ite,  luar 
er  5U  einfach  unb  oijne  3tffeftation ,  um  auf  Ungeübte 
einen  überrafd^enben  ©inbrud  ju  machen.  S3ei  feinen  großen 
Senntniffen  unb  reid^em  ©eifte  mar  er  bod)  nic^t  ^od^mütljig, 
er  liebte  ^armlofen  Sdjer,^  in  ber  ®efellig!eit;  meil  aud^ 
ta^  (äeringfte  t^m  bebeutenbe  ^been  tüecfte,  fonnte  er  leidet 
burc^  ©efpräc^e  über  fd^einbar  unbebeutenbe  ©egenftänbe  bie 
Srmartung  ber  megr  öom  ©toffe  2lbt)ängigen  enttäufc^en. 
S)nrin  beftanb  eben  feine  bemunbern§mürbige  Äunft  be§ 
Umganges,  ta^  er  mit  allen  au§  allem  etma§  gu  machen 
mufite.  25?ie  er  erfd^einen  fonnte,  menn  er  einem  üerftönbnt|» 
ooHen   ®eifte    begegnete,    ha^    erfäljrt    man    au§    griebric^ 

§ucf|,  SRomaiUlfet.  5 


66  9JoöaIi§. 

©d^IegeB  ©c^ilberung,  iiac^bem  hk  beiben  Jünglinge  fic^ 
fennen  gelernt  ()atten:  feine  fd^iDoqen  9Iugen  feien  öon  ^ert- 
lichem 5lu§brucf,  j^rieb  ©djiegel  feinem  Sruber  SBilfietm, 
tüenn  er  mit  ?5euer  —  unbefc^reiblid)  üiel  geuer  —  öon 
etroa§  ©d^önem  rebe;  er  rebe  brei  ^al  me^r  unb  brei  Mal 
fd^neller  al§  ein  Stnberer;  nie  l^abe  er,  @rf)tegel,  fo  bie 
§eiter!eit  ber  ^ug^n^  gefe|en. 

ViU  er  in  bie  SBelt  !^inau§trat,  trar  er  ein  Jüngling, 
bem  e§  beftimmt  fd^ien,  bie  gütle  aller  ©rbengüter  gn  ge= 
niesen;  benn  einer  öorne^men,  tüo^Ifituirten  gamilie  ange- 
prenb,  fehlte  e§  i|ni  für  feine  Soufba^n  nid^t  an  ben  beften 
5lu§fid^ten,  er  ^atte  eine  einne^menbe  (5rfd;einung,  eine  ^er= 
fbnlic^feit  alle§  anänjietien  unb  ^erj  unb  ©inn  alle§  ju  ge- 
nießen, ©in  SSed^fetüer^äÜniß  befielt  smifc^en  bem  5Dtenfd^en 
unb  ber  SBett,  baß  fie  bemjenigen  liebeöott  entgegenfommt, 
ber  fie  mit  aufrichtiger  Siebe  fuc^t.  9^id)t  bie  Siebe  be§ 
Sbealiften  511  ben  SJienfd^en  unb  S)ingen  ^atte  S^bbaliS,  bie 
in  bittere  SSerad^tung  umfdjlägt,  luenn  bie  überirbifc^en 
Sraumbilber  \\d)  ni^t  pünftlid)  öeriüirflid^en;  bielmeJir  ba§ 
orglofe  i^utrauen  eine§  gutartigen  ^inbe§,  \)a§>  mit  einem 
^erjen  boK  l^eimlid^er  ©lüdfeligfeit  in  feinem  fteinen  ©arten 
ein  ^arabieg  unb  in  feinen  ©träud^ern  unb  S3üfd^en  blü^enbe 
SBunber  fie^t.  „3:able  nichts  ä)knfd)Iic^e§"  fagte  er;  „mt^ 
ift  gut,  nur  nid^t  überall,  nur  nid^t  für  alle."  ©iefer  2lu§- 
fprucl  feiner  fpäteren  ^af^xt  beftätigt  fd^ön  bie  S^eorie,  bie 
er  ot§  nodE)  nid^t  20jä{)riger  Jüngling  gegenüber  bem  tüdU 
unb  menfd^enfiaffenben  griebrid^  ©dEiIegel  öerfod^t:  ha^  e§ 
nid^tS  Söfe§  auf  ber  SBett  gebe.  2)a§  tüar  nirfit  bie  Uner- 
fal)renl)eit  fioffenber  Sugenb,  fonbern  e§  ift  bejeid^nenb  für 
ben  Iiarmonifc^en  äRenfdjen,  beffen  SSerftanb  h)o(jI  bie  ®iffo- 
nanjen  fief)t,  aud§  nid^t  etwa  bie  Singen  baüon  ablrenbet, 
ber   aber  ^raft  genug  l)at,  bi§  ju  i£)rer  Sluflöfung  borju»- 


9?oöaIi§.  6  7 

bringen.  3n  feinem  ^em|)eramente  log  bie  9?eigung  ju 
biefem  fc^önen  unb  tiefen  —  !etne§tueg§  flad^en  Dptimi§« 
mu§,  ber  aii§  ber  Drbnung  bc§  eigenen  Innern  fic^  unbelpufit 
bie  ®elüi^I)eit  ber  Drbnung  au§er  f{(^  fcJ)öpft,  ber  an  ben 
(Steg  be§  ®uten  glaubt,  tueit  er  bie  Slraft  jum  ®uten  in 
fid^  fiat;  eine  (^ä^igfeit  §um  (SJIütf  lag  barin,  ber  äußere 
Unfälle  nid^t  an§  Seben  fönnen:  tüie  eine  (SJeiftererfd^einung 
bo^rt  fid^  einem  fold^en  SJ'Jenfd^en  ha^  ©d^merjenSfc^mert 
mitten  burd^  bte  33ruft,  o^ne  ju  tobten. 

®a^  er  äußerte,  er  lüoITe,  um  alte  bie  ^errlid)!eiten  ber 
©rbe  ju  genießen,  eine  reiche  ^eiratt)  mad)en,  tltngt  an« 
mutt)ig  fomifd)  im  9}Junbe  eine§  STcenfc^en,  beffen  geflügeltej 
@eele  ber  Stnjieliung  ber  SD^aterie  fo  mentg  untertuorfen' 
njar,  ha'^  fie  fi(^  faft  in  iebem  5lugenblicf  l)inimeI^ocö  über 
bie  @rbe  auffdEuiiingen  fonnte.  @r  gel)örte  eben  nict)t  ju 
jenen  S^'ealiften,  bie  bie  5lugen  an  ben  ©ternen  l^ängenb 
mit  ben  ?}üBen  bitrd^  ben  ©nm^f  ttiaten,  im  ©egent^eil 
pflegte  er  nod^  9Irt  be§  guten  Diealiften  me^r  ju  leiften  aU 
er  Derfprod^,  inbem  feine  Sleußerungen  über  fid^  felbft  fid^ 
immer  nur  mit  bcm  S^äd^ftliegenben  befd^äftigten,  rt)a§  er  in 
fid^  erlebt  l^atte  unb  niofür  er  einfielen  fonnte.  (So  fd^rieb 
er  5.  83.  al§  Jüngling  an  S'X^iebrid^  Sd^legel,  feine  S3eftim- 
mung  fei  bie  ]^äu§Iid^e  ber  ganiilie,  toälirenb  Schlegel  nadE) 
3tufgang  ber  Sonne  ge^e,  gel^e  er  ben  getoö^nlid^cn  SBeg 
nad^  SBeften;  tva§  einen  feltfam  berührt,  wenn  mon  bie 
Sebeninjege  ber  beiben  j^i^eunbe  öergleic^t:  tvk  ber  @d^legel§ 
in  ben  9^ieberungen  ^au§bacfener  Sinnlirfiteit  fid^  berflad^te, 
njö^renb  9JoOali§  immer  mel)r  bem  morgenrotljen  |)immet 
fid^  gu  näl^ern  fi^ien.  Scl)leget  erfe^nte  immer  bie  äußerften 
$)'ö^m,  aber  ein  irbifc^er  |)ong  liefe  i|n  in  bequemer  ^än^" 
tic^feit  fid^  felbft  unb  feine  Sc^lüungfraft  öertieren;  einfädle 
Sl^ätigfeit  im  traulid^en  gantilienlreife  mar  immer  9Joi)ali§ 


68  92onaIi§. 

Sbeal,  toä)  lie^  fein  QientuS  e§  i§n  nie  erreid^en  unb  ent»» 
rücfte  il;n  ben  Slugen  ber  SJienfd^en,  e!^e  feine  leidsten  gü^e 
jemolS  feft  auf  ber  (Srbe  getjaftet  i^atten. 

Ser  erfle  ©egenftanb  feine§  Ranges  unb  feiner  ^raft  ju 
üere^ren  tvax  (Sd^iHer,  beffen  33orIefungen  er  aB  ©tubent 
in  Sena  fcefud^te.  2Ba§  9cooati§  fo  mäd;tig  ju  ©dritter 
l^injog,  h)ar  feine  fittlic^e  ©rö^e,  bie  traft,  mit  ber  biefer 
i^eroifd^e  SD^enfd^  ben  Sßiberftanb  be§  S^^bifd^en  üBerlninben 
fonnte,  nic^t  feine  ^oefie,  für  luelct)e  9ZooaIi§  bamat§  nod^ 
tüeniger  ^ntereffe  unb  SSerftäubni^  i)atte.  S)a§  er  in  ©dritter, 
o^ne  e§  511  tttiffen,  fein  eigenes  ^Öeal  öerförpert  fafi  unb 
liebte,  fie£)t  man  beutlid^  au§  bem,  tt)a§  er  oorjüglid^  an 
if)m  rühmte:  „biefe§  2iSett6ürgerf)er5,  bo§  für  me^r  al§ 
SKenfdEi^eiten  fd)Iägt  unb  bod^  biefe  ibeaüfc^e  Siebe  auf  reine 
©eelen  um  fid^  überträgt  unb  uidEit  ben  einjelnen  entgelten 
läfet,  lüoS  bie  Statur  minber  für  fie  aU  für§  gan^e  ®ef(f)Iec^t 
tt)at,  eben  ba§  nid^t  auf  (ärben  ,<peimifi^e  unb  bod^  ^wfi^tebene, 
nicE)t  tiagenbe,  .'peilige,  9tefignirenbe;"  benn  gerabe  ha^,  auf 
ber  @rbe  nid^t  |eimifc^  unb  bod^  auf  it)r  glücftid^  ju  fein, 
be^eid^net,  mag  fo  ganj  fein  eigene^  SBefen  Ujerben  foHte. 

®eft)iB  öerbiente  ©dritter  biefe  ioingebung;  aber  ebenfo 
n)ie  für  t^n  nimmt  e§  für  ben  Jüngling  felbft  ein,  njenn 
er  fdfireibt:  „S^jn^  ä«  gefallen,  iljm  ju  bienen,  nur  ein  HeineS 
Qntereffe  für  mid^  bei  i^m  ju  erregen,  luar  mein  3)i(^ten 
unb  ©innen  bei  Sag  unb  ber  le^te  ©ebanfe,  mit  n^elc^em 
mein  33en)U^tfein  5lbenb§  erlofrf).  @ine  Ö^eliebte  l^ätte  id^ 
für  ifju  U'einenb  au§  bem  ^n^tn  geriffen,  ttjenn  bie  SSor- 
fe^ung  ein  fo  §arte§  £)^fer  »erlangt  :^ätte,  meinem  liebften 
Safjre  taug  gehegten  SBunfd^c  am  diantie  feiner  ©rfülfung 
entfagt;  benn  ba§  Seben  ift  nid^t  ba§  ftärtfte  Opfer,  lün§ 
@ntl)ufia?mu§  unb  Siebe  it)rem  angebeteten  ©egeuftanbe 
bringen   tonnen,    benn    tuir   fü[)Ien   ni(i)t    feinen    SSerluft." 


5«oüaIi§.  69 

9)?erfiuürbtg  tft  ba§  rebnerifc^e  Ißatfiog  in  ^cobali^'  Briefen, 
an  unb  über  (Sdjider,  \)a§  jonft,  feinem  @Ü)I  burc^au§  ent= 
gegengefe^t,  fic^  nirgenbs  Bei  if)m  finbct. 

Wit  biefem  Sebürfni^,  ^u  üere^ren,  ja  fic^  aufjuo^fern 
t)ätte  er  ein  etüig  fid^  nm  anbere  fd^Juingenber  S^robant,  mit 
bie[er  ISmpfänglid^feit  ein  9Ja(^a£)mer  unb  ^nem|)finber,  mit 
biefer  Suft  alleg,  tva^  er  fo  innig  füllen  unb  öerftef^en  !onnte, 
ju  genießen  ein  jerftreutec,  oietgefdjäftiger,  liebenSluürbiger 
aber  oberfläc^üi^er  ©c^toärmer  toerben  fönnen.  'ahn  er 
l^atte  toeit  me^r  Kraft  unb  geftigfeit  a(§  feine  ^öit^eit  »er- 
mutigen lie^.  SBenn  er  auc^  au§  ben  3Serfucl^ungeu  be§ 
©tubentenleben^  nic^t  unberührt  l^eröorging,  benn  er  öer= 
ftridte  fic^  IeicE)tfinnig  in  (Sd^ulben,  fo  blieb  bodi  ba§  fd^öne 
©leic^geiüid^t  feine§  Innern  ungeftört  ober  ftellte  fic^  rafi^ 
tt)icber  ^er.  ©ine  geföiffe  Keufc^f)eit  ber  (Sm|3finbung,  üon 
ber  griebric^  ©c^Iegel  fagte,  ha'^  fie  i§ren  ®runb  in  feiner 
(Seele  nid)t  in  Unerfa§ren£)eit  ^aU,  belua^rte  i^n  Oor  folc^en 
2tu§fd^reitungen,  hk  511  ^rt^iefpa^t,  @fel  an  ber  eigenen  9catur 
unb  hänflid^em  Ueberbru^  füljren.  Kurj,  rcie  aiicf)  ber 
Seid)tfinn  feiner  Qüngüngäjafire  befc^nffen  gettjefen  fein  mag, 
fein  elaftifc^er  ®eift  mar  nid)t  ju  jerbrüden,  fonbern  ftrebte 
immer  unb  immer  lüieber  empor,  feine  SSernunft,  föie  er 
felbft  fic^  aii§brüdte,  er()ielt  ba»  entfc^iebene  Uebergeloid^t 
über  @inn(id)teit  unb  ^fjantafie.  S)a§  entmideüe  fic^  nic^t 
nur  fo  üon  ungefähr,  ol^ne  fein  ^ut^un,  fonbern  unter  ber 
5Iuffid)t  feineg  58emu§tfein§.  ®r  ^atte  bie  Sugenb  ber  93c=» 
fonnenfieit,  jene  ^lar^eit  unb  leiste  ©egenn^ärtigfeit  be§ 
®eifte§,  bie  alle  ^anblungen  lüie  eine  fanfte  9J?ufif  begleitet 
unb  c\üd)  bie  milbeften,  mit  ber  gaiijen  Sünb^eit  be§  S"= 
flinftö  einftürmenben  burd)  if)ren  9tt)t^mu§  ää^mt  unb  er» 
leitert.  Sitten  anbern  ^Romanttfern,  @d)teiermac^er  etn3a 
aulgenommen,  loar  er  burd^  biefe  Kraft,  fid^  felbft  ju  [äffen 


70  9^ot)aIi§. 

^  unb  5U  lenfen,  überlegen;   aber  ©c^Ietcrmadier,  menn  man 

t^n  überljaupt  unter  bie  Siomantifer  red^nen  raitt,  (}atte  nieit 
itieniger  ©innlid^feit  unb  ^ijantafie  ju  bänbtgen.  ?Iud^ 
9ioöaIi§  ^atte,  lute  %mt  unb  SBadenrober  unb  bie  ©c^Iegel 
unb  un5äf)Iige  2)i(f)ter  älterer  unb  neuerer  Qeit,  bie  natür= 
Ii(f)e  Slbneigung  gegen  bie  ^rorfenlieit  eiueS  Seru[e§;  aber 
nid)t  nur  au§  SBiUfä^rigfeit  gegen  bie  SSünfd^e  feines  Sater» 
unb  @(^iller§  @rmai)nungen,  fonbern  ebenso  fef)r  au§  ge= 
junbem  <Sinn,  angeborenem  2;rtebe  5ur  Stiätigfeit  unb  ber 
(Stnfic^t,  meldten  ^iu^en  fein  (Sfiarafter  barauS  fc^öpfen 
roerbe,  ttjibmete  er  fic^  ber  praftifd^en  Saufba()n  etneS  33erg* 
baubeamten.  ©erabe  in  ber  5trt  unb  Söeife,  Juie  er  ben 
©toff,  ber  t^m  in  ben  äußeren  Sebengumflänben,  ^unäd^ft 
im  Seruf,  geboten  mürbe,  benii^te,  beirie»  er,  ha^  ber 
3}Jenfc§  tuirflic^  jener  SD^agier  ift,  ber  fic|  feine  SBelt  er« 
fdiafft  unb  ©taub  burd^  feine  93erü!^rung  in  63olb  t)er= 
manbeln  fann.  (S§  ift  feine  ^unft,  fid),  loenn  man  nur 
@imi  bafür  ^at,  in  fdöönen  ®id^tungen  5U  berauf d^en;  aber 
in  monotoner,  bireft  nur  ben  SSerftanb  ober  praftifc^e  5ä^ig= 
feiten  ange^enber  33efcf)äftigung  ha§  allgemein  ^ntereffante 
unb  görbernbe  ^eraugjuftuDen,  ba§  jcigt  inneren  9teic^t]^um 
unb  unenblid^e  @ntluicfelung§fäf)igfeit  an.  2l(Ie§  erntebrigt 
ben  9J?enfdf)en,  mag  er  gejmungen  tf)ut,  ober  mit  SBorten 
üon  9JooaIi§  felbft:  „@in  äRenfd^  fann  2(tle§  baburc^  abeln, 
feiner  loürbig  mad^en,  ba^  er  e§  tüiU."  9}Jit  bem  ^nftinft 
bei  greigeboreneit  mad;te  er  fic^  atte§,  wag  er  für  notf|= 
trenbig  erfannte,  lieb,  fo  ba§  er  aul  freier  Söa^I  ju  t^un 
fd^ien,  ja  fc^Iie^lic^  t^at,  loaS  anfangt  feiner  Steigung  fo 
fern  gelegen  ^atte.  2(u§  jebem  ©teine  tunkte  er  Seuer  ju 
I  fcl)lagen.  2lCte§  (Sinjelne  mufstc  er  an  5lllgemeine§,  alle§ 
\        Stbifc^e  an  ."pimmlifcliey  anjufnüpfcn. 

3n  ber  Siegel  pflegen  pl^antafiebegabte,  fünftlerifd^  üer= 


9(ütialiö.  71 

anlagte  SDienfc^en  eine  befonbere  ^(bnetgung  gegen  bte  Wlati)t' 
iitatiE  5u  j^aben,  \o  ha^  fie  gern  oötlige  Untauglic^feit  für 
bie§  ®ebiet  öorfd^ü^en  unb  fogar  ftolj  auf  biefe  angebliche 
fiücfe  ftnb.  S^on  btefer  @infeitigfeit  »uar  S'iooalig  föeit  ent= 
|ernt,  ber  in  jeber  (Sin5eüuiffenfcf;aft  ben  ®runbri§  511  einer 
jiffumfaffenben  SSiffenfi^aft  fii(^te,  in  jebem  gefe^mä^igen 
^erlauf  ein  ©leic^nifj  ber  -öarmonie  be§  51U§  fa^.  9äc^t 
nur,  baf?  er  mit  @ifer  SOZat^ematif  ftubirte,  er  poetifirte  fie' 
lüie  alles,  luomit  er  ficf)  befc^äftigte,  burc^brang  fie  mit  feiner , 
lebenbig  roarmen  ©eele;  man  lefe  nur  feinen  ^tjmnuä  an 
bie  aJiat§ematif,  lüie  man  bie  S^tge  feiner  Betrachtungen 
barüber  nennen  fann.  2)iefer  i3i;mnu§  beginnt  mit  ben 
SBorten: 

SDie  9}Jatt)ematif  ift  ec^te  SSiffenfc^aft,  föeil  fie  ge-» 
machte  ^enntniffe  enthält,  ^robufte  geiftiger  @elbft= 
t^ätigfeit,  lueil  fie  mel|obijc^  genialifirt.  @ie  ift  aud^ 
^unft,  lüeil  fie  genia(ifc^e§  'iJerfa^ren  in  Siegeln  gebracht 
^at,  ftjeit  fie  le^rt  ®enie  ^u  fein,  meit  fie  bie  Siatur  burc^ 
SSernunft  erfe^t. 
@r  fteigert  fic^  im  Sßerlaufe  fo: 

2)a§  Seben  ber  ©ötter  ift  SJJat^ematif. 
'äüe  göttlichen  ©efanbten   muffen  SJiat^ematifer  fein. 
Steine  3J?at^ematif  ift  Steligion. 
Qüx  ä)cat^ematif  gelangt  man  nur  burc^  eine  Sf)eo= 
:|3  Ironie. 

®ie  SRat^emattfer  finb  bie   einzig  ©lücflic^en.     S;er 

9}?at^cmatifer  ipei^   aUeS.     (Sr  fönnte   e§,   tuenn   er  e» 

nic^t  lüüßte. 

3)a§  er  fic^  ben  S^iaturiülffeufd^aften   mit  einer  genjiffen 

Seibenfd^aft  ergab,  fe^t  lueniger  in  ©rftaunen,  ha  fie  ha^ 

Stebling§ftubium    ber    ^^it    luaren,    'i)a§:    aud)    bie    übrigen 

9tomantifer  mit  me^r  ober  lueniger  2)itettanti§mug  betrieben. 


72  9JoüaIi§. 

§eute  tüirb  man  ben  ©c^inung,  lüomit  er  ^ier  öoit  §t)po^ 
t^efe  511  §t)pot§efe  ftürmte,  DteHetdjt  uniinffenjd^aftlid^  nennen; 
jebenfallg  genügten  feine  Senntniffe  ben  ©eleörten  feiner 
^eit,  bie  feine  Se^rer  lüaren,  erregten  fogar  nid^t  feiten 
i^re  S3en)unberung.  S(m  meiften  ift  aber  ba§  ju  rü:^men, 
ba§  er  ficf;  and)  in  ber  S^eriimttung,  in  ber  praftifc^en 
@eite  feines  58ernfe§,  |erbortf)at.  2öte  erftaunte  ber  ^tei§- 
amtmann  ^uft,  ber  iljn  in  bie  ©efcfiäfte  einführen  foHte, 
ha'^  biefe  ©efd^äfte  unter  ber  ungeübten  ^onb  be§  jungen 
5)en!er§  fo  intereffant,  fo  (efienbig  mürben;  ha^  ber  ®efi(i)t§= 
frei§,  innerljdb  beffen  er  lebte,  fid^  fo  unenblid)  eriueitern 
Iie§.  ßr  geftanb  fic^,  't)a^  fein  ©cfiüter  i§n  öiel  meiir  unb 
oiel  3Bid^tigere§  lehren  fonnte,  qI§  er  ii)m  ju  geben  im 
©taube  niar. 

(gr  felbft  befinirte  ^§iIofop§ie  aU  ^eimlue^,  STrieb 
überall  511  |)aufe  5U  fein.  31I§  ein  fold^er  ^^itofo|3^  tcar 
9ioöaIi§  geboren,  ©ein  |)ang,  bie  Singe  in  ber  2Irt  ^u 
betrad^ten,  ba^  er  fi(f)  t)on  Urfadje  §u  Urfai^e  taftete  unb 
fid^  baran  h)ie  an  einer  ©tridleiter  in  i^re  -tiefen  ^erab- 
Iie§,  niadit  ben  eckten  ^£)iIofop^en.  Sin  ber  Slu^enfeite 
eines  S)inge§  ^aften  5U  bleiben,  mar  i!^m  burc^auS  un- 
möglich; ein  ätf}ertfd^er  ßi)rper  brängte  fein  ©eift  fid^  überall 
in  ha^  Snnerfte  f)inein.  ©0  mar  er  ^tiilofop^  immer,  in 
jebem  Slugenblicf,  mit  allen  ilräften,  fooiel  toie  er  9}fenfd^ 
mar,  meSmegen  e§  iJ)m  nid)t  |ätte  begegnen  tonnen,  hal^  er 
eine  St^eorie  öerfodfiten  unb  i^r  im  Seben  sumiber  ge^anbett 
ptte.  ©eine  ^^itofo^^bie  mar  mie  feine  ^oefie  fein  Seben: 
erlernt  im  Seben  unb  barin  angemanbt. 

©ein  größtes  (SrIebniB  mar  ber  9?erlauf  feiner  Siebe  ju 
@opt)ie  ö.  ft^ün.  „^eber  geliebte  ©egenftanb  ift  ber  äRittel- 
:|}unft  einel  ^^arabiefeS;"  't)a§  ^atte  9iooaIi6  an  fid^  felbft 
erfal^ren.      (Sr    ^atte    biefe§    breiäe|nj[ä^rige    SDtäbdjen    jum 


SJJtttelpunft  feiner  Sßelt  gemacht,  mit  SSeiDU^tfein  unb  Slb» 
fi^t.  Stuf  Sitte»,  iua§  bie  ®rbe  9}ienfcfjen  bieten  fann,  t)ätte 
er  mit  f)er5lic^em,  ja  mutljnjitligem  Säd^etn  SSerjidit  tjet^an: 
biefe  mar  i^m  not^menbig,  ber  9J(tttter  für  bie  ©otttjeit, 
tk  er  fonft  nid)t  faffen,  ot)ne  bie  er  nid^t  fein  fonnte.  (E§ 
finb  oiele  S^ac^rid^ten  überticfert  öon  ber  j^rü^reife  unb  bem 
Räuber  @op^ien'§,  ben  fie  ausgeübt  t)abe;  ^JJoüatiä  fetbft  ^at 
it)re  lüedjfetnbe  S3acff{fct)feete,  auf  tk  er  fo  ftot^  tvax,  forg- 
fättig  serlegt  unb  gefc^itbert.  2Ba§  ^ilft  un§  ba§,  ba  nic^t§ 
Don  Stftem,  nid^t  aud;  öon  tjunbert  anbcren  SJiäbd^en  gefagt 
luerben  fönnte?  Wöä)k  fie  auä)  fo  ober  fo  geluefen  fein, 
iot(^lig  ift  nur,  \vai  fie  i^m  wat,  unb  ha§  ift  lüeit  me^r 
in  t^m  al§  in  t()r  5U  finben.  2tl§  fie  franf  mürbe,  ift  e§ 
erftauntid^  5U  feigen,  Juie  er  ganj  menfd)Itc§e  SSerjmeiftung 
unb  ^ugteic^  gan,^  Sefonnentieit  mar;  er  mar  immer  ebenfo 
tief  barin  mie  t)od^  barüber.  ytidjt  nur  ba^  fein  SSertrauen 
in  ben  metobifc|en  ®ang  ber  S5?ett  unb  inftinftioe  £eben§= 
guüerfic^t  i^n  bation  äurüdijietten,  bie  SSermirftid^ung  eine§ 
\ol<ijti\  ^^obeSfc^merjeg,  mie  i^r  Sterben  ttjm  gemefen  märe, 
für  mögtid^  gu  Ratten,  er  glaubte  al(e§  @rnfte§  burd^  bie 
^raft  feinet  2BiIIen§,  biefe  magifd^e  ^raft,  bie  iSSetten  auf= 
bauen  unb  oerntc^ten,  hk  S3erge  öerfe^en  fann,  e§  öer- 
linbevn  gu  fönnen.  (Sr  bebadite  ntd)t,  ^a'ß  eg  t^r  —  un= 
bemühter  —  SötUe  mar,  ber  fid^  bem  Sobe  juneigte.  ©0 
erging  bie  Prüfung  über  i^n,  üon  ber  er  nic^t  für  mögtic^ 
getjalten  ^atte,  ha^  fie  it)m  gugemuttjet  luürbe:  ©op^te  ftarb. 
.  S3ebenft  man,  ba^  fie  'i)a§'  ©eftirn  gemefen  mar,  um 
ba§  feine  SBett  fic^  bemegt  ^atte,  mu^  man  bar  auf  gefaxt 
fein,  ha'^  eine  fo  jarte,  aud^  gu  frühem  S;obe  oorbeftimmte 
3lat\xt  in  fic^  jufammengebrod^en  märe.  „@^  ift  Stbenb  um 
mid^  gemorben",  fc^rieb  er  brei  5:age  nac^  i^rem  S;obe, 
„mä^reub   td)   noc§   in  tias,   9}?orgenrot^   tjiueinf at}."     S)a| 


74  9?üüaü§. 

fein  Seben  mit  i^retn  Qehtn  erlofdien  fei,  ftanb  i!^in  feft. 
©§  lag  aber  eine  foWje  ^Inmut!^  in  feiner  ^J^atur,  bie  burc^ 
unb  hüxä)  erfüllt  toar  oon  bem  fcJiiuebenben  (Slement  feinet 
@eifte§,  ha'Q  er  ftd)  nie  bi§  jur  iöemuBtIofigfeit  unter  bem 
©c^idfal  frümmte.  ©elbft  mo  er  fic^  in'§  .^er^  unb  §u  Sobe 
getroffen  füllte,  blieb  fein  ^aupt  frei  unb  immer  feiner 
mächtig.  „(Sinfam  lüte  nod^  fein  ©infamer  toar,  üon  un= 
fägtid^er  Slngft  getrieben,  troftlog,  nur  ein  (Sebanfe  be§ 
(SIenbg  noc^"  gab  er  bod^  feinen  greunben  niemals  ha§> 
93ilb  ber  Serjtüeiftung  unb  ^cJ^i^üttung,  fonbern  feine  feufd^ 
erhaltene  ^tage  ging  fogleid^  über  in  ruljige  S3etrac§tung 
ber  Sebeutung  feine§  ©c^idfatg.  ®enn  in  feinem  roa^r^aft 
frommen  ©emüt^e  toar  ber  ©taube  an  eine  ^tmmlifc^e 
Drbnung  in  jebem  Seben  nic^t  bauernb  erfd)üttert.  2tm 
19.  äJ^ärj  1797  toar  ©op^ie  geftorben,  am  28.  fc^rieb  er 
an  bie  grau  beg  S!rei§^auptmann§  Suft:  „®eiüi^  i)ah  id) 
ju  fefjr  fc^mer  an  biefem  Seben  get)angen  —  unb  ha  ift  freiließ 
luot}!  ein  gemaltfame§  (Sorrectif  nöt^ig"  unb  noc^  einige 
2Boc|en  fpäter  mar  e§  i^m  flar  gemorben,  ha'^  i^r  'Xoh 
ein  ^immlifd^er  Qn'jaU  gemefen  fei,  ein  munberbar  fc^icftid^er 
©d^ritt.  „ÜJieine  Siebe  ift  jur  gtamme  gelüorben",  fc^rieb 
er,  „bie  alle§  Si^t'tftfje  nac^gerabe  oerjei^rt."  Unb  loeiter: 
„SKeine  Strafte  i^aben  me^r  gu  al^  abgenommen  —  idf) 
füt)Ie  e§  je^t  oft,  luie  fd^icflid^  e§  ^at  fo  fommen  muffen, 
aufrieben  bin  ic^  gan^  —  Ut  ^raft,  bie  über  ben  Xoh 
ergebt,  |obe  iä)  gan§  neu  gemonnen.  Gnn^eit  unb  ©eftalt 
t)at  mein  SSefen  angenommen  —  e§  feimt  f(^on  ein  fünftige§ 
®afein  in  mir."  ©ein  bie  ß^onfequen^  über  alle§  liebenber 
©eift  fd^öpfte  S3erut)igung  barau§,  ba^  er  {Jolgeric^tigfeit 
unb  SSernunft  in  feinem  ©d^idfal  erfannt  §u  ^aben  glaubte, 
ta'Q  er  e§  fic§  erftären  founte.  9?ad^  feiner  Sluffaffung  be- 
.yuecfte  i^r  SSerluft  feine  Säuterimg  unb  SoSlöfung  öom  Seben. 


Tlan  ^at  e§  für  eine  finbifd^e  @(f)iyärmerei  angefel^en, 
bic  man  nac^fic^tig  entfc^ulbigen  muffe,  ha'^  er  mit  bem 
S^age  t^re»  Sobe»  eine  befonbere  Zeitrechnung  einfüljrte  nnb 
ben  ©ntfc^lu^  fa^te,  i^x  nac^jufterben.  S)a§  ift  furjfic^tig 
ober  oberfläcfilic^  geurt^ciü.  Slann  man  fic§  etroa§  (5r* 
^abenereS  benfen,  al§  luenn  ein  9Jienfc^  feinem  ßjeifte  W 
^raft  jutraut,  fic^  affmätjlic^,  au§  freier  SBiüfür,  ou§  @e^n- 
fu(^t  nad^  bem  Ueberirbifc^en  Oom  jungen,  genu^fä^igen 
Körper,  oon  ber  geliebten  (Srbe  loSjuIöfen?  @o  innig  er» 
Ubtt  er  ben  ^beatt^mu»  an  ftd^,  ha^  er  fein  ^d^,  ha^  un» 
fterblid^e,  §u  biefer  :^öc^ften  grei^eit  unb  Unfterblic£)fett  gu 
cr^ie^en  firf)  getraute.  2Sie  unenbli(^  ütel  füEiner,  ftotjer  unb 
menfcf)Itcf)er  luar  biefer  ^(an  a(§  hu  ro^e  ^Ibtöbtung  be§ 
gleif(f)e§,  burc^  lüeld^e  mittelalterliche  .'peilige  hit  @rbe  ju 
überroinben  fnc^ten.  2Seit  entfernt  loar  er  ja  bte  fc^öne 
SBelt,  auf  ber  er  fid^  ein  fo  unerfc^öpflit^eS  ©lücf  geraünfc^t 
!^atte,  äu  f)affen.  „^ie  (Srbe  ^atte  tc§  fo  lieb",  fc^rteb  er 
loenige  Sage  nad^  @op^ien§  2:obe  an  eine  greunbin,  „tc^ 
freute  mic^  auf  bie  lieben  ©cenen,  bie  mir  beüorftanben." 
(Sr  liebte  tu  Sonne,  aber  ha  hu  ^ad)t  unöermeiblit^  bem 
Sage  fic§  anfc^Iic^t  unb  Sob  ber  5(u§f(ang  a(Ie§  Seben§  ift, 
I  entfc^toB  er  fic^  mit  einem  ftoljen  5Iuffd^tDung  feiner  ©eele 
bie  9?ac^t  unb  ben  Sob  grensenloS  5U  lieben,  ä^nlic^  wie  er 
ben  gorbifc^en  knoten  be§  2Betträt^feI§  bem  Silbe  §u  ^ai^ 
gegenüber  löft.  „Unb  ioenn  fein  Sterblicher,  nac6  jener  Qn- 
fc^rift  bort,  ben  «Sd^leier  ^ebt,  fo  muffen  mir  Unfter blicke 
gu  werben  fachen."  Unioürbtg  wäre  e§  ben  Sob  ju  fliegen, 
unmöglich  i^n  5U  Oerad^ten  —  au^er  wenn  man  mit  ^ei^efter 
2{nftrengung  tt)n  an  Seben  anfnü^^fte,  in  Seben  oenuanbelte. 
I'üii^  gum  Ueberwinber  be§  Sobe§  betete  91oöali§  fortan  mit 
j  neuem  SSerftänbniB  gu  S^riftu§;  aU  bie  mefentlic^  tob= 
^lüberiüinbenbe   3ieItgion    würbe    i^m    ba§    St)riftcnt^um,    in 


76  9?oüoIt§. 

bem  er  erjogen  wax,  eine  neue  (grrungenfd^aft.  2öa§  btc 
^flitofop^ie  i^m  fagte,  ba^  ba§  ^d^  unüergängüc^  fei,  n^ie 
aud^  ber  2lugenfdEiein  bagegen  jeuge,  ha^  gab  ii^m  nun  ber 
Hinbe,  jd^reienbe  «Sc^merj  um  ein  geliebte§  SSefen  aU  gc- 
banfenlofe  Ueberjeugung  ein,  ha^  fie  ntd^t  tobt  fein  bürfe, 
nid^t  tobt  fein  !önne,  biefe  junge  @ee(e,  beren  Sßotlcnbiing 
gu  förbern  hit  pd^fte  ßrone  feiner  Siebe  gemefen  mar. 
®a§  (Engagement  mar  nidEit  für  biefe  SSelt  getoefen,  mie  er 
fagte;  ntd^t  in  biefer  gorm,  nic^t  auf  biefer  Stätte  ^atte  fie 
reifen  f ollen,  unb  auc^  i|m,  fo  glaubte  er  feft,  fei  e§  ni(^t 
befd^ieben.  ©eine  ©eele  ftrebte  mit  mübem,  fefinenbem 
glügelfc^Iage  nac|  ber  ^eiligen  ^üfte,  tuo  fie  hn  ber  SSer* 
lorenen  ru^en  fönnte.  ®ama(§  mag  in  i£)m  jenes  raunber= 
bare  2uh  entftanben  fein  mit  ben  SSerfen: 

9(0(1)  luenig  3^^*^"' 
©0  bin  id)  Io§, 
Unb  liege  tnmfen 
3)er  Sieb'  im  ©c^o^. 
Sd)  fiitjle  be§  SobeS 
Sßerjiiiigenbe  g-IutC), 
3u  83alfnm  unb  5(et^er 
58eviuanbelt  mein  93(ut. 
^ct)  lebe  bei  Sage 
58on  fölauben  unb  Wut^, 
Unb  fterbe  bie  9aic^te 
Sn  beiüger  fölutt). 

§öd^ft  cf)ara!teriftifc^  ift  e§  nun,  mie  er  feine  innerlid^e 
unb  natürüd^e  3lblöfung  üom  Seben  ^u  beineriftettigen  bad)te, 
nämlid^  nid^t  etroa  fo,  ha^  er  fic^  ööUig  öon  ben  SJJenfd^en 
unb  il^ren  SSergnügungen  jurücfgelalten  ^ätte.  Dljne  fie 
gerabe  aufjufud^en,  öermieb  er  boc^  feine  gomitie  unb  feine 
i^reunbe  nid^t,  ^eigte  fic^  immer  l^eiter  unb  mitgenie^enb, 
fo  aber  rote  etroa  ein  an  frembe  ^^üften  öerfc^Iagener  t^remb= 


g?omIi§.  77 

ling  bte  Sitten  be§  Sanbe§  au§  ebler  ©efödigfeit  mitmacht, 
beffen  ©eele  bod^  immer  unb  immer  in  bcr  geliebten  §eimat^ 
öermeitt.  'an  greunben,  bie  i^m  feine  Srauer  gerne  letzter 
gemad^t  i)ätten,  fetjlte  es  tljm  m<i)t 

(Sin  fonberbareg  33er^ältni§  beftanb  jiutfc^en  i^m  unb 
griebric^  ©c^Iegel,  einem  feiner  älteften  greunbe.  gaft  mit 
feinem  anbern  mar  ber  geiftige  S3er!e^r  fo  anregenb  unb 
frud^tbar,  mit  feinem  fonnte  er  beffer  fi)mp^iIofop:^iren. 
S^re  beiben  ^nteüefte  liebten  e§  jufammen  fpajieren  ju 
ge§en  unb  i§re  (Srtebniffe  auSjutaufc^en.  5lber  griebric^, 
fo  fein,  mächtig,  umfaffenb  er  aud^  backte,  backte  nid^t 
]^er5tic§  wie  9JooaIig.  Unb  SJotiatig'  fc^Ianfe,  gefc^meibige, 
feufdE)e  ?iatur  fc^eute  manchmal  tjor  t5riebri(^§  frfiiüerfäniger 
Ueppigfeit  jurürf.  @§  wax  mt  lüenn  ein  Grbgeift  unb  ein 
Suftgeifl  miteinanber  öerfetjrten.  gi^tebri^  fpürte  ben  reinen, 
ftarfen,  befeelenben  ^^and),  ber  üon  9^ooati§  ausging,  unb 
liebte  i^n  mit  einer  gan,^  tieinen  unb  fei^r  rü^renben  Sei- 
mifc^ung  üon  ^emut^;  9ZoöaIi§  mod^te  roo^I  feine  leidste 
@efta(t  gern  einmal  an  W  unterfe^tere,  irbifcf)breite  be§ 
greunbe§  fc^miegen.  SebenfaII§  üerga^  er  getnife  nid^t,  iüa§ 
er  a(§  21  jähriger  an  griebric^  gefrfirieben  ^atte:  „gür 
mic^  bift  bu  ber  Dberpriefter  öon  ßleufiS  geU^efen.  3<^ 
'ifobt  burc^  bic^  ^immel  unb  §ötle  fennen  gelernt,  burd^ 
bic^  oom  33aume  be»  @rfenntniffe§  gefoftet." 

2BiI§e(m  empfanb  in  9coiiaIi§  etiuaS  gerneg,  5rembe§ 
unb  @d^öne§,  tiaS:  er  nid)t  ol^ne  @t)rerbietung  umiuarb;  unb 
luie  £)ätte  Caroline  biefe  i)armonifd^e  ©rfc^einung  nid^t  lieb 
^aben  foHen?  5lber  fie  hnht  maren  für  i|n,  tt)a§  man 
öietteic^t  am  füräeften  511  n)enig  romantifd^  nennen  fönnte. 
„(Sr  fprad^  tüte  au§  einer  tiefen  SSergangen^eit  be§  ®eifte§ 
l^eraul",  fagt  Steffens  öon  ^iooatis,  wo  er  in  ben  Seben§= 
erinnerungen  feiner  gebenft.     ^n  biefe  Ijetmlic^e  ^nnenluelt, 


78  9cotiaU§. 

WO  er  am  Itebflen  tüeilte,  fonnten  fie  nid^t  mit.  ©ie  liebten 
t|n,  luie  man  ben  liebt,  ber  au§  einem  fernen,  ge^eimni|« 
Hoffen  Sanbe  fommt,  beffen  ©prad^e  einen  jeltfamen,  nie- 
bernnmmenen  9lccent  !^at,  ber  im  ©pred^en  93itber  ge6raucE)t, 
bie  einer  Sanbfcfiaft  üon  nnbefanntem,  unerhörtem  9teij 
entnommen  gu  fein  fc^einen.  Ser  liebftc  unter  ben  9ioman« 
tifern  n^ar  i^m  %kä,  ber  i^m  an  ^lar^ett  be§  ®eifte§, 
^raft  unb  5lu§bauer  tvdt  nad^ftanb,  feine  5arte  ©mpftnbung 
aber  auf§  Snnigfte  tfjeitte.  Sie  lernten  fid^  aber  erft  §tüei 
^a^re  fpater  fennen. 

^(nfängtic^  mifd^te  er  fid^  nur  au§  ^fCid^tgefü^I  in  btc 
©efefffc^aft  ber  Uebrigen,  ri^  er  fid^  nur  ungern  ürn  feinen 
S:obe§betrad^tungen  Io§.  SIber  affmälig  loirfte  bod§  hu 
©d^toerfraft  ber  @rbe  auf  bte  leidet  fd^reitenbe,  jum  ©c^muuge 
bereite  ©eftatt.  ©erabe  lüeil  ha^  Unfid^tbare  mit  bem  ©id^t- 
baren  fo  enge,  für  un§  unjertrennlid^  öerbunben  ift.  ^e 
tiefer  mon  in  bie  ©rfc^einungen  einbringt,  befto  lieber 
merben  fie.  SBenn  e§  auc^  bie  SBiffenfc^aften  n)aren,  bie 
il^n  sunäd^ft  in  i^ren  ^rei§  ^ogen,  fo  mar  ha^  bod^  oud^ 
mit  ^rbifd^em  öerfnüpft.  (Sef|)räd^e  barüber,  befonber§  mit 
griebrid^  ©d^tegel,  brad^ten  t^n  in  eine  angeregtere  Saune, 
aU  er  für  feine  Sage  möglid^  unb  fd^icEüc^  geJialten  l^atte. 
@r  glaubte  be§f)atb  fid^  gerabeju  Dor  bem  Umgang  mit 
biefem  t^i^eunbe  |üten  §u  muffen;  benn  2lffe§,  rt)a§  an  9JJut^= 
Jrtffen,  ©c^ers  unb  eleftrifc^em  treuer  in  i^m  mar,  entlub 
fid^,  inenn  er  mit  i§m  in  93erü^rung  !am. 

9Jiit  einem  leifen  S3angen  füllte  er  fid^  untüiberftel^Iid^ 
öom  Sebenbigen  angezogen.  ®ann  öerfud;te  er  gemaltfam 
fic^  in  Ueberirbifc^cS  gu  berfenfen,  on  ©opl^ieng  ©rabe 
fi^enb  fid^  i^r  SBefen  unb  5n(e§  ma§  fie  i§m  njar  redE)t 
greifbar  unb  entjünbenb  bor  bie  ffüc^tige  ©eele  ju  fül^ren. 
Unb   mit  einem  finblid^en  ©tolje,    ber   rül^renb    unb   bod^ 


9iot)aIi§.  79 

jugletc^  ergaben  i\t,  jetd^nete  er  auf,  luenn  e§  i^m  gelungen 
uiar,  bte  j^-(ügel  tüteber  auSjubretten  unb  mächtig  in  bie 
jen[etttge  gerne  be§  dlad)ti)xmmtU  einjubringen.  9J?an  !önnte 
ben  SSerlauf  btefe§  Sttngenl  eine  umgefei^rte  Sragöbte  nennen: 
mit  gur^t  unb  9)iitlcib,  aber  boc^  mit  SBonne  erfüllt  e§ 
5U  fe^en,  lüie  ba§  Seben,  öon  bem  ber  ©ntfagenbe  im  erften 
9lfte  Slbfc^ieb  genommen  ^at,  bnrdö  feine  einfädle  ll'raft  unb 
©c^ön^eit  i^n  luieber  in  feine  3J?iitterarme  lodt  unb  im 
legten  Slfte  ben  fd^am^aft  ©lül^enben,  93efiegtcn  lüieber  an 
fein  ett)ige§  ^n^  brücft.  ®er  ©ieg  mürbe  bem  Seben  nic^t 
leidet,  unb  nid^t  o^ne  fic^tbare  (Srfd&ütterung  ging  hk  lXm= 
fe^r  in  feinem  58ufen  t»or.  Sienn  er  machte  bie  entfe^Iic^e 
unb  rät^feli)afte  @rfal}rung  on  fic^,  ba^  ba§  roal^rfte,  reinfte 
unb  ^ingebenbfte  ©efüljl,  n:ienn  ber  Stnbltcf  be§  geliebten 
@egenftanbe§  bie  t^^amme  nic^t  nöi^rt,  erlöfd^en  !onn,  ha^ 
ba»  treumeinenbfte  ^lerg  ber  Untreue  fätjig  ift-  Tian  fpürt 
ba§  SBanfen  feines  .^oer^enS  an  bem  ^Jiad^brucf,  mit  bem  er 
fid^  öorliätt,  n^ie  er  burd^  fein  freiunllige§  ©treben  ober 
9iefignation  be§  S^ebenä  ber  SSelt  bie  SJiöglidfjfeit  ber  Streue 
über  ben  ^ob  ^inau§  beraetfen  muffe,  ^n  l)öd^fter  5lngft 
ruft  er  bie  {formet  au§:  S^riftu§  unb  ©optici  (S§  tüor 
t^m  ein  @Iauben§fa^  geföefen,  \)a^  fie  bie  |>älfte  feinet 
SBefenS  ifar,  ha'iß  er  bereinft  ben  S3unb  mit  i^r  erneuern 
muffe,  bie  burd^  bie  2Bei§tjeit  einiger  ©efe^e  i§m  je^t  bon 
ber  ©eite  geriffen  iüar.  c<patte  er  fi^  bod^  öorgenommen, 
hjenn  er  in  ber  „alten  löngft  befannten  Urinelt"  fie  tüicber= 
finben  ttJÜrbe,  i^r  5U  er5ä^Ien:  „Sd^  träumte  bon  bir,  i(^ 
5ätte  bid^  auf  ber  (ärbe  geliebt  —  bu  glid^ft  bir  aud^  in 
ber  irbifd^en  ©eftatt  —  bu  ftarbft  —  unb  ha  tüä^xtt  e§ 
nod^  ein  ängftlid^e§  SSeild^en,  ba  folgte  id^  bir  nad^." 

SIber  e§  mar  itjm  nid^t  mögtid^  ©d^atten  ju  lieben,    ^n 
greiberg,  too^in   er  firf)  nadE)  bem  2Bunfc^e  feine§  S8ater§ 


80  'DionaliÄ. 

begab,  um  an  ber  93ergafabemie  511  lernen,  öerlobte  er  fid^ 
mit  ^ulie  ö.  (5§arpentier,  bte,  tüte  e§  fc^etnt,  t^m  Siebe 
entgegenbrachte  unb  baburci^  bie  fetnige  tuerfte.  ©teffenä 
fdjilbert  [ie  al§  ^^oi^gebilbet,  jd^ön,  toeid^,  mit  einem  tre^^ 
mütf)igen  ?tn§bru(f. 

Dh  er  fie,  tük  gefagt  luirb,  Weniger  letbenfc^aftücf)  liebte 
al§  @opJ)ie,  ift  n)o|I  jd)tüer  ju  entfd^eiben,  aber  unina^r» 
fd^einlicl);  benn  e§  tnar  nid^t  feine  Slrt,  im  gül^Ien  ober 
§anbeln  ^aI6  5U  fein.  ®a§  fretltd^  ift  nid^t  5U  bejtüeifeln, 
ba^  W  (Srinnerung  an  feine  Siebe,  bie  ftärfer  at§  ber  Xoh 
|atte  fein  foUen  unb  e§  nic^t  geroefen  inar,  5U»üeiIen  be» 
engenb  fic^  auf  bie  greube  feine§  neubelebten  ^er^en^ 
legte,  (är  gab  and),  tro^  5lIIem,  bal  S5erl§ältni§  5u  ©op^ie 
feine§rtieg§  auf.  ©eine  Siebe  mar  i^m  9?eIigion  gelüorben. 
(Seine  Streuloftgfeit,  ba  er  fid^  bod^  treu  raupte  unb  fül^Ite, 
feine  ^oppelliebe  tuurbe  ba§  Problem,  mit  bem  fic^  feine 
©ebanfen  immer  befd^äftigten.  (£r  löfte  e§  in  feinem  9toman 
',  „|)einridE)  öon  Dfterbingen"  in  ber  SBeife,  bo^  ©opbie  unb 
'^Sulie  nur  in  ber  Söelt  ber  @rf(^einungen  jroei  finb,  einft 
ober,  im  Sanbe  ber  Erfüllung,  ino  aUeg  @ef(^iebene  ftd^ 
oereinigt,  al§  eine  unb  biefelbe  fid^  offenbaren.  @r  ^ätte 
an  fic^  felbft  öerämeifeln  muffen,  nienn  er  fein  früheres 
©efü^I,  ba§  fo  ftarf  unb  ec^t  in  i^m  geiuefen  njar,  auf= 
gegeben  ^ätte;  be»§atb  fud^te  er  e§  fid§  ju  beluabren  unb 
mit  bem  neuen  nüjftifd^  ju  öereinigen.  3ebenfaII§  fal^  er 
l^offenb  unb  liebenb  in  bie  ^ufwnft  unb  fa§te  fein  SSer« 
l^ältni^  grabe  fo  metapl}i)fif(f)  auf  tüie  e^emall  ha§  mit 
©op^ie,  n)ie  au§  ben  ©tropfen  an  "^uüe  511  fe^en  ift: 

„Saf]  icl)  mit  naiiicnlü)er  g-reube 
®efäf)vte  betnc§  2eben§  bin 
Unb  miri)  mit  tiefgeviU^vtem  ©tnit 
5(m  SBunber  bcinev  SBilbung  tueibe  — 


^a\]  luir  Qujy  ^""iöl'te  üevmä^It 
llnb  icf)  bei-  2)etne,  bu  bie  2JZcine, 
S)ai5  id)  noi-  ':?l(Iem  nur  bie  (Sine 
tlnb  bieje  Giue  inid)  getun^ft, 
®a3  banten  luiv  bem  füfeen  Sejen, 
®a§  fid)  un§  üebeüolt  erlejen." 

2)QmaI§,  a(§  S^oöaltS  bte  Slrme  nai^  bem  2;obe  qu§= 
ftredte,  umfing  t{)n  ba§  Seben;  nun  er  ben  fiöc^ften  ^ranj 
beg  Se6en§  bid^t  über  jetneu  Soden  tüä^nte,  ftaub  ber  Sob 
neben  feinem  Seite,  ixt  fürchtete  iJ)n  je^t.  ©r  ^Ite 
Stimmungen  gehabt,  in  bereu  einer  er  ben  fc^tüermüt^igen 
Stu^fprud)  getrau  ^atte:  „Sebeu  ift  eine  ^ranf^eit,  ein 
Ieibenfcfiaftlic^e§  %])im."  Stber  e§  ftammt  boc^  auc§  ber 
^räc^tige  $ßer§  öon  t^m: 

„'3iniy  ift  ®i3ttent  nur  gegeben, 
S^nen  5iemt  ber  Uebcrflufj, 
2(ber  un§  ift  .S'ianbeln  hieben, 
Sßlad]t  ju  üben  nur  föenu^." 

Sm  (Saujeu  gef)i3rte  bie  Sln(jänglid)feit  au  ta^  Seben 
mit  ju  feiner  grömmtgfett,  ba  boä)  ba§  Seben  bie  einzige 
un§  befannte  g^orm  ift,  in  ber  U)ir  un§  entluicfetn  fönnen. 
llnb  er  njor  bo^  ^üuftter:  (Sr  lebte  fo  gern  im  Sanbe  ber 
©iune,  tüie  er  naä)  bem  SeridEit  be§  ßrei§amtmann§  Quft 
felbft  fagte,  rüenn  and)  nic^t  in  bem  ber  ©inntic^feit.  ^n- 
beffen  gtüeifelte  er  bod^  nic^t  Daran,  ta'^,  tüie  unb  tüo 
immer  e§  aud^  fein  möge,  jeber  9)?enfd^  audf)  nad^  feinem 
för|)ertic§eu  Sobe  bem  QkU  feiner  SS'oUfommeufjeit  lüciter 
nad^ftrebeu   bürfe.     @r    glaubte,  ba§   uid^t§   gefd^e^e,   lüa§  | 

nid^t  5u  feinem  33efteu  fei.  ?Ufo  tuaubte  er,  ein  ©terbenber, 
feine  tneic^enbe  ^raft  baju  ouf,  gelaffen  unb  Reiter  5U  fein 
unb  fid^  5U  fügen.  (Sr  litt  tjiet  unter  förperlid^en  93e^ 
ängftigungen,   unb    rütjrenb    ift  e§  in  feinem  2;agebud§  ju 

§ut^,  Slomantiter.  6 


U^ 


82  9lotiaIi§. 

tefen,  lute  er  btefer  Slngft  beijufommen,  i^r  SSefen  ju  er- 
grünben  unb  mit  (Sinfic^t  unb  gutem  SBillcn  ju  überiinnben 
fliegt.  Sa^  man  f)i§  jum  Sleii^erften  feine  ^flid^t  ju  ti^un 
^abe,  mar  i^m  felbftöerftänbüi^;  man  tonnte  fagen,  ein 
nngeBorene§  ©c^icflic^feitlgefütjl  ^aht  i^n  öer^inbert,  fic^ 
ge^en  ju  laffen.  lieber  hix§  SJer^öItni^  oon  ®Iücf  unb 
^flic^t  t)at  er  einmal  etlna§  <Sd^öne§  gefagt;  nämlid^  ber 
fogenannte  @nbämoni§mu§  fei  ein  eigentlid^er  Unftnn:  „Sn 
ber  S^at  ift  e§  feinem  nac^bentenben  DJienfd^en  in  ben 
@inn  gcfommen,  ein  fo  flü(^tige§  SSefen  lüie  ©lücffeligfeit 
jum  ^öd^ften  3^ecf,  gteiiifam  alfo  5um  erften  S^räger  be§ 
geiftigen  Uniöerfumg  ju  mad^en.  ©benfo  tonnte  man  fagcn, 
ba§  bie  SSelttörper  auf  2Iet§er  unb  Sic^t  ruijten.  SBo  ein 
fefter  ^unft  ift,  ha  fammelt  ]xd)  Stetiger  unb  Sic^t  üon  fetbft 
unb  beginnt  feinen  ^immltfd^en  Sieigen;  too  ^flic^t  nnb 
^ugenb  —  5lnaIoga  jener  feften  fünfte  —  finb,  ta  ttJtrb 
jenes  flüchtige  SBefen  t)on  felbft  ein=  unb  auSftrömen  unb 
jene  falten  9legionen  mit  belebenber  5ttmofp^äre  umgeben." 
Slul^ig  richtete  er  fid^  für  hk  9JiögIic^feit  ein,  ba^  ber 
SBunfd^  feinet  §er5en§  fic^  erfülle  unb  er  bemnäc^ft  §od^- 
äcit  mit  Julien  t)alten  fönne,  gugteid^  aber  aud^  für  bie 
anbere,  ha'^  feine  Slranffjeit  e§  nid^t  geftatte;  für  ipetd^en 
%aQ.  er  fid^  eine  9iei^e  oon  5)ingen  uornafim,  mit  benen 
er  fid^  befc^äftigen,  bie  er  ftubiren  luottte.  2Ba§  i^m  auc^ 
befd^ieben  fei,  er  moHte  e§  für  feine  58ilbung  nu^en.  ©ein 
fc^mar^eS  (Seifterfeljerauge  fa|  bem  Seben§gange  ju,  ben 
fein  ©eninS  i^m  Juä^Ite,  unb  beleud^tete  ben  2Beg  mit  fanft 
burd^bringenbem  Siifit.  Ob  eg  fidE)  nid^t  bod^  mit  3:^ränen 
füttte,  al§  e§  erfannte,  ha'^  c§  ber  SSeg  be§  2:obe§  mar 
unb  nid^t  ber  ber  Siebe? 


Sie  leife  Seionncn^eit  be»  ai^joKo  unb 
bie  ßöttlic^e  Stuntenljeit  bc5  Xion^foS. 
griebr.  gc^leget. 

5Sif)en  ift  bc§  ®[au6en§  ©tcrn, 
Stnbac^t  alleä  SäJiffen^  Sern. 

griebt.  ©(^legel. 

5)ic  Stomantifer  maren  bte  Sntbeder  bei  Unbetüu^ten. 
^nbienfud^enbe  Träumer,  fanblen  fie  t§re  @eele  au^  nad) 
htm  uralten  SSiinberlanbe,  öon  bem  tit  9JJär(^en  ber  SSor- 
§ett  erjä^Üen.  2)üfte,  33Iumen,  bte  abgeri[fen  im  SBaffer 
floffen,  üerfüubeten  ben  einfamen  ©c^iffern  oft  bie  9M^e  ber 
blü^enben  ^ü[te.  2Bie  ^otumbug,  mußten  fie  nid^t,  \va§>  fie 
^efunbeit  f)atten.  ^enn  nic^t  'ba^  entfernte  3)Httela(ter  ober 
irgenb  ein  lounberbare»  Xraumlanb  irar  e§,  fonbern  in 
i^nen  felbft  öffnete  fic^  ba§  unenblic^e  l^iacfibarlanb  i^re§ 
Reifte»,  hk  entgegengefeite  Scheibe  be§  bcfeelten  ^(aneten, 
Jüie  einer  öon  ti^nen  bte  oer^ütlte  ipälfte  beg  mit  fid^  felbft 
unbefannten  SJJenfc^en   nennt,   ^atte  fic§  t^nen  sugeiuenbet. 

Sm  ^a^re  1807  fd^rieb  9titter,  nad^bem  er  eine  ®om- 
nambule  beobad)tet  tiatte,  an  53aaber:  „Sine  ©ntbecfung  üon 
2Bicf|tig!eit  benfe  id^  bnrd^  bie  eineS  |)affioen  Seuni^tfeinl, 
bie  be§  UnmiHfürtic^en,  gemad^t  ju  ^aben.  @»  n^irb  burd^ 
grage,  5(ntn)ort  erregt.  .  .  .  ^ier  neue  Stuffd^Iüffe  in  ber 
SKagie.  S)ann  Sfieorie  ber  ^raft  ber  ^(jantafie.  Stffeg 
S^orgeftetlte  ift  itjirflic^,  eben  be»^alb  aber  [)at  e»  nur  bie 
|)älfte   feiner   SSirflic^feit,    eine   ^albiüirflic|feit,   für   un§, 

6* 


84  5(potlD  unb  Sionljios. 

getabe  \vk  \ä)Dti  jeber  dritte  un§  tod)  nid)t  \o  tüirfüd^  ift, 
aU  loir  un§  jelbft.  gerner  f)ier  S^^eorte  be§  @ett)iffen§, 
tnbem  aftiöeS  93eiüu^tfein  fid^  öon  :paff{oem  nur  baburc^ 
unterfc^eibet,  ha'i^  bort  bie  Silage  mit  ber  2(ntlrort,  unb  ^ter 
bte  blofee  ^Intmort  §um  S3ett»u^tfetn  fommt.  Stile  unfre 
reinen  ^anblungen  finb  fomnambultftifd^,  Slntföort  auf  grage; 
UJir  bie  Si^ager.  ^eber  trägt  felbft  [eine  ©omnombule  bei 
fic^  unb  ift  felbft  ber  äRagnetifeur  üon  i£)r.  —  gall  tt)o 
bie  grage  hk  Stntmort  felbft  erröt:^,  ober  eigentlid^  tk  be- 
nju^te  Untüillfurlic^feit  felbft.     ®ott  im  fersen." 

SSon  biefer  empirifd^en  (Sntbecfung  eine§  ^)affioen  S8e- 
n)u|tfetn§,  ba§  öon  bem  fonnentoac^en  Seföufstfein  oer- 
f Grieben  unb  nit^t  mit  bem  ®e|irn,  fonbern  mit  bem  fo» 
genannten  f9m|)at^ifd^en  S^eroenfijflem  oerbunben  fein  foHte, 
nju^ten  bie  jungen  "i^ü^m  ber  3ftomantif  noc§  nid^ts.  Saliner 
|)flegt  ber  (Srfafirung  ein  blinber  ^rop^et  ber  2Ba^r|eit  öor* 
au§5uge^en.  Uebrigeng  tvav  'i)a§'  ®efüi)I,  ha^  bem  2JJenf^en 
gnjet  ©eelen  in  ber  S3ruft  tt)ot)nen,  !aum  jemals  unbefannt, 
unb  jeber  fann  33eobac^tungen  über  i^r  SSer^alten  gu 
einanber  aufteilen.  3m  Seben  be§  ^inbe§  giebt  e§  eine 
furge  (Spoc^e,  too  e§  fid^  nur  al§  Dbjeft  empfinbet  unb  oon 
fi^  in  ber  britten  ^erfon  rebet;  e§  ift  §um  @elbftbeiiiu§tfein 
noc^  nic^t  eriuac^t.  SlUmälig  töfen  fid^  bie  beiben  ©eelen 
t)on  einanber  ab  unb  trennen  fid^  immer  me^r  —  ebenfo 
n)ie  fid^  bie  SJienfd^^eit  in  eine  männlitfie  unb  eine  rodh" 
lic^e  §älfte  fpaltet  — ,  lüorau§  bie  I)ei§en  kämpfe  ber 
reifenben  Sugenb  ju  erftären  finb,  oon  benen  nur  loenige 
2J?enfd^en  garni(^t§  erfahren.  9?un  fteHt  bie  mac^e,  fe^enbe 
©eele  ®efe|e  unb  ^heak  auf,  benen  bie  fi^loerföllige  blinbe 
nic^t  folgen  fann,  ober  umgefe^rt,  ba§  überfd^n)än gliche 
©efü^I  ber  blinben  brängt  ju  Stliaten,  benen  bie  berec^nenbe 
fic§  n)iberfe|t.     SBenn  bie  SiiQenb  ju  &ntt  ge|t,  mirb   ber 


5(|3orfci  ittib  3)iom)fo§.  85 

^tüeifampf  fo  ober  fo  cntf trieben,  f)äufiger  burd^  Ue6er= 
tuältigung  ber  einen  ober  burd^  ein  fd^tt)äc^Iic§e§  @id^= 
miteinanberabfinben,  at§  burd^  SSerfö^nung. 

^n  ber  SSöIfergcfd^id^te  ittieber!^oIt  fic^  berfelbe  SSorgang. 
Äein  ^ampf  ift  im  Innern  ber  Spiere,  tuo  ber  Minbe  Sn= 
fünft  nod^  unangestneifett  tierrfd^t;  abgefetjen  üon  gewiffen 
^au§tf)ieren,  in  benen  unter  bem  (Sinfluffe  ber  äJ'Jenj'd^en 
bie  erften  ^eime  be§  ©etbftbeiüu^tfeinS  [ic^  entfalten  mögen. 
?Iud§  bei  ben  futturtofen  SSöIfern  fann  bie  fc^raad^e  Stimme 
ber  ©infic^t  nod^  nic^t§  angrienten  gegen  bie  nngcbänbigte 
SÖSilbljeit  be§  3n[ttn!t§.  S)er  reine,  ^armonifc^e  ajienjc^  be§ 
gotbenen  3eitalter§  ^at  nie  gelebt;  eine  optifd^e  S^äufd^ung 
ber  menfd^tic^en  ^fjantafie  oerfe^te  i^n,  tnie  ben  perfönlid^en, 
feerou^ten  ©ott,  bie  beibe  am  (Snbe  aller  ©efd^id^te  [te(}en, 
an  i^ren  5tnfang.  5(IIerbing§  lebten  bie  (Sried)en,  tuie  n3enn 
un§  ein  SSorbilb  gefegt  fein  foHte,  nad^  bem  luir  ftrcbenb 
un§  5U  richten  l^ätten;  l^ier  tjerrfd^t  eine  innere  Ueberein- 
ftimmung  toie  bie  jmifc^en  Debipu§  iinb  9(ntigone:  bie  finb- 
licfie  {^ü^rerin  f(f)miegt  fic^  in  öertraulid^em  ©e^orfam  an 
ben  blinben,  reiferen  SSater.  S)a§  ©t)ri[tenti)um  Uiar  bie 
erftc  5tufle^nung  gegen  bie  $;t)ranni»  be§  SlriebeS.  S)a§ 
S3erften  ber  (Srbe  unb  ha^  Stunden  be§  5Sorbang§  im 
2;empel  luaren  bie  erften  SSor^eid^en  ber  beginnenben  ©eelen= 
fd^Iad^t  im  9J?enfd§en. 

SBie  im  Seben  be§  Ginjelnen  Sage  ober  3^^^^»  luo  er 
fianbelt  unb  lebt,  auf  fotd^e  folgen,  njo  er  fi(^  auf  fid^ 
felbft  befinnt,  ired^feln  aud^  bie  3ftten  in  ber  SBeltgefc^id^te 
mit  einanber  ab;  tt)äl)renb  t^a^^  Snnenbeum^tfein  rul^t,  fteigen 
bie  großen  S;naten  gerüftet,  entfd)toffen  au§  ber  2;{efe  be§  Un= 
beiüu^ten  empor,  ©o  löften  aud^  im  5lRitteIaIter  innerlid^e 
unb  äuBerüc^e  Reiten  einanber  ab;  aber  bie  ^nnerltd^teit 
gab  ber   ganjen  ©pod^e  i^ren  Gijarafter.     3Sie  eine  gro^e 


86  ^(potto  imb  ®ioni)ioa. 

Ü^ebolutton  bie  neue  3ctt  eröffnete,  ift  fie  huxä)  eine  anbre, 
bie  fran§öfifd^e  befd^toffen,  Jüä^renb  gteid^jettig  bte  9iomantif 
ein  erneute»,  erl)ö|te§  SJJittelalter  ^crauffüljrte. 

(S§  giefct  feine  intereffantere  unb  furdEitbarere  S^^tf  al^ 
ta§  frül^e  SJJittetatter,  wo  ber  SJJenfc^  fic^  im  Innern  einem 
©ämon  gegeuüberfa^,  ber  i^m  fein  eigenfte§  9iei(f)  flreitig 
maä)tt,  ben  er  fürd^tete  unb  l}a§te  unb  beffen  er  fid§  bo^ 
nid^t  entlebigen  fonnte,  mit  bem  er  n>ie  mit  einem  3>üilling?= 
leibe  öern^ad^fen  raar,  unb  ber  borfi  etrig  nad^  entgegen» 
gefegter  S^lid^tung  brängte.  (£r  lini^te  fidf)  ein§  unb  füJ)Ite 
fidE)  boc^  snpei,  tt)a§  einen  lt)o|I  franf  unb  ujafjufinnig  mad^en 
fann.  SSergebenS  fud£)ten  bie  ^riefter  bie  bofen  ©eifter  au& 
hm  Sefeffenen  aufzutreiben  unb  bur(^  SSefd^iüörungSformeln 
bei  ber  ^aufe  ben  Teufel  au»  bem  neugeborenen  ft'inbe  gu 
bannen.  Salb  tüä^nte  man  in  ber  ebelften  93egierbe  be§ 
äRenfd^en,  ber  nad^  (Srfenntni^,  bie  frembe,  feinbfelige 
SBirfung  ju  f puren,  balb  in  ben  natürlirf)en  Seibenfc^aften; 
nnbänbiger  {freuet  luedEifelte  ab  mit  I)elbenmä^igen  D^jfer- 
t^aten  unb  h:)eltüberminbenber  ©ntfagung.  ®urd)  bie  be= 
ftänbige,  Wenn  aud)  feinbfelige  S3erü()rung  mit  bem  Un= 
beUJu^ten  n)ud§§  ha^  SSelüu^tfein  mäd^tig;  bem  5lntäu§  gteid^, 
bem  au§  ber  mütterlidfien  @rbe  bie  ^raft  einftrömt. 

5(uf  einer  inneren  3ii^eif)eit  berul^t  bie  3)?ögli(^teit  be§ 
(SeIbftbeiuuBtfein§  überhaupt;  je  beutlid^er  ficf)  jene  ausprägt, 
befto  fc^ärfer  fann  auc^  biefe§  n^erben.  (ginige  5tu§fprü^e 
ber  9iomantifer  follen  jeigen,  bo^  fie  bie  S)oppeIerfd)einung 
be§  S^  f^fl^  erfannten. 

9^0  0 ali§:    SDenn   9Jiemanb    fenut   fic^,   infofern    er 
nur  er  felbft  unb  nid^t  aud^  5ugWd^  ein  anbrer  ift. 

(Sine   nirf)t   fijutiietifd^e  ^erfon  ift  eine  ^erfon,  bie 
meljrere  ^erfonen  jugleii^  ift,  ein  (55eniu§.    Qebe  ^erfon 


5^.10^0  imb  ®iLimjlD§.  87 

ift  ber  fieim  ju  einem  unenbtid^en  ß5entu§.   Sie  nevmag, 
in  mefirere  ^erfonen  gettjetlt,  bod^  auc^  eine  jn  fein. 

S)te  fjödjfte  Stufgabe  ber  23ilbung  ift,  fid^  feine§  tran§- 
cenbenten  S«^  ä«  bemäc£)tigen,  ta^  S<^  fetne§  ^d^g  §u- 
gleid^  ju  fein. 

Unfer  SDenfen  ift  alfo  3^uiefprad^e  uub  unfer  ©mpfinben 
©t)mpat(jie. 

Sebe  ^erfün,  bte  an§  ^erfonen  befteljt,  ift  eine  ^erfon 
in  juieiter  ^otenj  ober  ein  @eniu§. 

grtebr.  ©erleget  in  ber  Sucinbe:  SJur  in  ber  Slnt- 
tüort   feineg   ®u    fann  jebeS  ^ä)   feine   unenblid^e  @in^ 
:^ett  gans  fül^Ien.    Sann  triH  ber  SSerftonb  ben  inneren 
ßeim   ber   ©ottäfinlic^feit   entfalten,   ftrefct   immer  mel)r 
nad^  bem  Qide  unb  ift  fo  öotl  Grnft  bie  @eele  ju  Silben, 
tüte   ein   ^ünftler  ha§'   eigene   geliebte   Söerf.      ^n    ben 
SDZ^flerien  ber  SBilbung  fd^aut  ber  (Seift  haS^  ©piel  unb 
bie  ©efe^e  ber  SBirtfür  unb  be§  2eben§.     ®a§  Sßerf  be§ 
^t}gmaIion  betnegt  fid),  unb  ben  überrafc^ten  ^ünftler  be- 
legt ein  ©d^auer  im  S3elüu^tfein   eigener  Unfterblic[)!eit, 
unb  tüte  ber  Stbler  ben  (Siant^mebeS  reifet  i^n  bie  gött- 
lid^e  Hoffnung  mit  mäd^tigem  gittid^  jum  Dltjmp. 
9iic^t  me^r  fremb  unb  feinbfeüg  alfo  ftel)en  bie  9J?enfd^en 
t|rem  ®u  gegenüber;  feit  fie  fic^  il^m  gelüac^fen  füllen  unb 
e§    beffer    erfennen,    feigen    fie    bie    SJJöglid^feit    einer   SSer»« 
ftänbigung,  \a  ha^  erfte  ©djaubern  liebenber  S'ceigung  über- 
läuft fie.     93iit  gutem  ©runbe  fprid)t  man  :^ier  öon  Siebe, 
ba  bie  SBefenS^ätften  be§  SJJenfc^en  fid^  tnie  bie  i^olften  be§ 
SJienf(^engefc^Ied)t§  pofitiö  unb  negatiü,  männtid^  unb  Jüeiblic^ 
5U  cinanber  üertialten, 

Safe  has,  ©rfennen  bag  lueibtidie  ^rinjip  fei,  liegt  in 
einer  ber  älteften  Sagen  be§  9JJenfd^engef(^Iec^te§:  (Söa  loar 
e§,    bie    ben    üerljängnifeüoKen    5tpfel   ppüdte.      Merbing^ 


88  SlpoHo  uiib  2)ioni)iD§. 

fteüen  eine  9J?enge  grauen,  btelleic^t  fogar  bie  ÜJJcl^räa^I, 
ef)er  ein  entgegengefe^teS  ^^rinjip  bor.  ®iefe  bergegen* 
Jiiärtigen  ben  Urti)pu§,  in  bem  bie  ©efc^Ied^ter  nod^  un^- 
öermifd^t  Bei  einanber  lüaren.  SJian  fann  i^n  nid^t  anbrogt)n 
nennen,  ba  er  nid^t  männlid^  unb  n^eibtid^  tvax,  fonbern 
h)eber  ba§  eine  nod^  ha§  onbre,  ein  c£)aotiici^e§  S^eutrum. 
Ser  sodann,  ba§  po[itioe,  t^ätige,  fc^öpfcrifc^e  ^rinjip  ri^ 
fiel  juerft  Id§  unb  eilte  öoran,  bie  grau  folgt  i^m  §tüar 
langfam  nad),  aber  fie  bertritt  ha^  ifö'tjnt,  luenn  auc^  o^ne 
t^n  ohnmächtige  ^rin5ip.  X^aM^üä)  inbeffen  beretüigen 
biele  grauen  nod^  ben  Urtt)pu§  in  fetner  fd^tüerföHigen, 
mütterlichen  Xräg^eit.  @r[t  in  neuerer  ^eit  tbirb  bie 
©iffereuäirung  be§  aJZännlicElen  unb  SBeiblic^en  immer  fcJ)ärfer 
unb  bilbet  fid^  ber  rein  lüeiblic^e  S;t)pul  ^erau§.  2lud| 
fteCCen  bie  mobernen  ©d^riftftellerinnen  ben  a32ann  mit  S3or- 
liebe  at^  ben  gutartigen,  etloaS  rofien  unb  etrt)a§  toi» 
:|3atfd^igen  58ären  t)in,  ber  mit  fdjtoercr  Xa^t  naä)  ber  feinen, 
necfifc^en  grauen 'SibeUe  greift,  bie  i^n  umfc^ioirrt.  ^t 
ftörfer  bie  Siffereuäirung  fic|  ausprägt,  befto  heftiger  loirb 
bie  Stuäie^ung  §tüif(^en  ben  ©cfc^ted^tern:  ber  pi)l}[ioIogifd^e 
©runb,  loarum  bie  Siebe  in  ben  neueren  Seiten  eine  fo  biet 
größere  "äoUt  fpielt  aU  im  2tttertl}um.  @§  ift  angunetjmen, 
boB  bie  Siebe  it)ren  ßJiaraÜer  loieber  änbern  luirb,  luenn 
einft  ein  bem  llrtt)pu§  analoger  SD^eufc^  entftetit,  in  bem 
fiel  a)iönntic|e§  unb  2BeibIicI)el  bereinigt,  o|ne  in  einanber 
unteräugetjen. 

5)iefer  Umftanb  atfa,  baB  e§  sttjei  grauenttipen  giebt 
unb  ferner,  ba^  e§  iDeiblic^e  93Mnner  unb  mänulictjc  grauen 
giebt,  je  nad^bem  lüeld^eS  ^riujti)  gerabe  ftärfer  entlüirfelt 
Ujcrben  foU,  finb  bie  Urfac^e,  ba^  bie  grau  bon  ben  SOZännern 
meiftenl  al§  SSertreterin  be§  Unbctpu^ten  t}ingeftent  tbirb, 
tt)ä|renb   boc|   gleic|5eitig    bie   iueibüc|e  9Zeugier,  ©itelfeit, 


^fpollü  iinb  T}ion\)fD§.  89 

(SJefaHl'uc^t,  grü^reife,  ©cfjlaii^eit,  $8oä!^cit,  58ett)u|3tf)eit  in 
91  der  SOiunbe  tft.  ®aB  bie  S^Jeugter,  ba§  SBiffenuiotten,  lüetb= 
lic^e»  (Srbtetl  ift,  ift  attbefannt.  ^n  ber  8prac^e  ber  9?oman=' 
tüer  fönnte  man  jagen:  bie  grau  ift  eine  'potenjirung  be§ 
9}ionneg,  t[t  ber  romanlifirte  Tlann,  ha^^  I}ei§t  ber  bemüht- 
tuerbenbe.  S)ie[en  @inn  tüirb  man  in  folgenben  2(u§)prüd;en 
öon  9^oDaIi§  über  bie  ^mu  finben: 

®ie  ^oi^tol^ie  unb  ber  Diamant  finb  ein  ©toff  — 
unb  bod^  XüU  üerfc^ieben!  (SoHte  e§  \nd)t  mit  SJJann 
unb  2Seib  berjelbe  gall  fein?  SSir  finb  2:§onerbe  unb 
bie  grauen  finb  SBeltaugen  unb  ©apl^ire,  bie  ebenfal(§ 
aul  2;]^onerbe  beftei^en. 

®a§  S3eiiüefen  be§  9J?anne§  ift  ha^  ^auptiuefen  ber  grau. 
Ungel^euere  SSerftef[ung§gabe,  95erbergung§gabe  ber 
Söeiber  übcrt^aupt.  S^r  feiner  33emerfung§geift.  Me 
S23eiber  f)aben  ba§,  um§  ©d^Iegel  an  ber  fc^önen  (Seele 
tabeft.  ©ie  finb  ooHenbeter  al§  tüir.  greier,  aber  ge= 
tüö()nti(^  finb  njir  beffer.  «Sie  erfennen  beffer  aU  mir. 
S^re  3?atur  fc^eint  unfre  ^unft,  unfre  9?atur  i^re  ^unft 
5U  fein.     @ie  finb  geborene  ^ünftlerinnen. 

2lf[e§   forbert   üon    ber  grau  unbebingte  Siebe  jum 

erften  beften  ßJegenftanbe.   25?etd^  ^o^e  9)ieinung  bon  ber 

freien  QJemalt  unb  ©e(bftfc^ö))fung§traft  if)xt§  ®eifte§  fe|t 

ba§  nic^t  borau§. 

StIIel  bie§  unb  ba§  ®oetI)e'fc^e  3Bort,  ha^  ba§  (äiuig- 

SBeiblid^e  un§  l^inanjiele,  fielet  mit  bem  SWt)t:§o§,   ba^  ba§ 

SBeib   ben   ©ünbenfalt   öeranla^t   iiabe,   nur   fc^einbar  im 

Söiberfprudj.     Wan  ift  lei^t  geneigt,  bie  Statur  um  i^re 

©ic^erbeit  unb  Unfc^ulb   ju  beneiDen;    bie  forglofe  2eben§- 

tüonne  ber  S;^iere,   i^re  förperlid^e   Unbefangenheit,   ^raft 

unb  S3eftimmt^eit  erf(^eint  un§  üorsüglic^er   aU  unfer  äu= 

fammengefe^teS   SSefen,    unb    luir    bebauern   e§,    menn  ber 


90  51|ddI(o  unb  l5ioni)io§. 

ünbttc^e  grol^finn  n^ilber  SSöIferjifiaften  bei  S3erü^rung  mit 
ber  Kultur  in  Stngft,  Unfic^eri^eit  unb  Sorge  untergeht. 
Unb  tod)  !önnen  bie  S:^iere  nid^t  lachen;  ein  3"9  9^o^' 
artiger  S^raurtgfeit  ift  in  tfiren  (deficitem,  ha  wo  öon  ®e- 
fid^t  unb  ®efic^t§au§brucf  übertiaupt  bie  SfJebe  fein  !ann. 
Sie  2{ng[t  ber  Slreatur  fie|t  au§  i^ren  fle|enben  3lugen. 
(Sbenjo  erfennt  man  an  ben  öollen,  fd^tceren,  gefenften  Sippen, 
an  einer  Beftänbigen  unlüillfürlid^en  ©c^tuermut^  bei  5Iiige» 
ben  @fIaoen'5D?enfd}en,  ber  noc^  nn  ber  ^ette  be§  ^nftinftel 
liegt.  ®aB  jebe§  ®ef(f)öpf  5ur  greifieit  geboren  unb  öon 
ebler  5lrt  ift,  betretft  bie  unbeiDu^te  Srauer  über  bie 
<Bä)maä)  ber  Untert^änigfeit.  ©elbft  bie  n^unberbollen 
griec^ifd^en  ©ötter«  unb  ^elbengeftalten,  ob  fie  nn§  nun  in 
ber  ^lafttf  ober  in  ber  ^oefie  begegnen,  J)aben  bei  all  iljrer 
^rad^t  eine  ftolje,  üerl^altene  ©c^ftiermutl^  in  ben  Bügen, 
aU  Wären  fie  bom  ©efd^Ied^te  be§  Santalul  unb  trügen 
ha?'  efierne  S3anb  um  W  (Stirn,  ha^  berbunfelt  unb  feffelt; 
bie  öer^äÜniBmä^ig  niebrige  «Stirn  in  bem  formfd^önen, 
frafttioHen  2tntli|  ift  ber  fid^tbare  ^lulbrud  baöon.  Unb 
bie  5rö]^Iid^!eit  bei  9?aturmenfd^en  ift  feine  anbre  all  bie 
bei  ^inbel,  bie  jeben  5tugenbltc!  grmiblol  in  bie  öu^erfte 
5:rübfelig!eit  umfd^Iagen  fann.  |)äufiger  ®enu^  oon  58e- 
raufifiunglmitteln  mu^  i^m  ben  bumpfen  STrurf  bei  fieben- 
müffenl  erträglid^  macfien:  ber  9tauf(^  giebt  i^m  t>k  gtügel, 
bie  ber  ©eift  i^m  noc^  nid^t  geben  !onn. 

5JJur  Seuiu^t^eit  oerlei^t  ec^te,  bauernbe  ^eiterfeit.  Wa§ 
ift  beni  ^inbe  fein  ®Uid,  um  bal  tt)ir  e§  beneiben;  bem 
(Schmetterling,  bem  (Schläfer,  bem  5:obten?  Sie  Solange 
^atte  3RedE)t  mit  i^rer  ^er^ei^ung:  eritis  sicut  deus  scientes 
bonum  et  malum.  Sie  gried)ifc^e  9Jit)t^e  erjä^It,  ha^  Beul 
ben  9}?enfd^en  bal  2id)t  ^aht  oorentlialten  irolten,  bamit 
fie  nid^t  ben  Göttern  gteidE)  lüürben,  unb  lüie  luirflic^  bal 


?(pDl(D  unb  Sioni)i"D§.  91 

Sid^t  S3ringer  bcr  Kultur  mürbe,  ©benfo  tük  ^[Qc^e,  beren 
©ünbe  tüie  ©tia'g  im  ©e|en=,  ba§  ^ei^t  SBiffentüoITen  be= 
ftanb,  na^  oielen  erbulbeten  Dualen  an  ber  §anb  be§ 
(geliebten  ai^^  ©ötltn  in  ben  DIt)mp  eingebt.  5;teffinniger, 
lüenn  auc^  nic^t  jo  abgefd^Ioffen  unb  üoHenbet,  ift  bie 
biblifc^e  ^arftellung.  2öir  feigen  ba,  irie  W  (Srfenntni^ 
bal  bi^£)er  öeranttüortungöfrete  ©efd^ö^^f  sunädift  in  ©cfiulb 
üerftridt.  „D^ne  'i)a§'  ®e[e^  toax  hk  ©ünbe  tobt",  jagt 
^aulus,  2Bir  n^nen  ben  3fttefenfam^f,  ben  ber  tüerbenbe 
©eift  gegen  bie  9?atur  n)irb  fämpfen  muffen,  bi§  er  i|r 
gleich  unb  frei  öon  iljr  gelnorben  ift.  2Bir  berne^men,  boB 
ha§  burc|  einen  SEJienf^en  öerlorene  ^arabie§  burd^  einen 
SD'Jenfi^en  tüiebergeluonnen  lüirb.  Sieben  ber  tiefften  -S^erab- 
ttjürbigung  be§  S5?etbe§  in  (Süa  fte^t,  nac^  einem  ge(egent- 
tic^en  Söorte  Saaber'^,  i^re  ^ö(f)fte  SSerfierrlic^ung  in  9}?aria. 
Sm  SJ^ärc^en  ift  e§  bie  ^rinjeffin,  hit  ben  burc|  eine  Apejre 
in  einen  gifc^  ober  Sären  Oerinanbelten  ^rinjen  burif)  einen 
freiroiHigen  Ste6e§!uB  erlöft. 

jDie  JRomantifer  Ratten  hai^  SSerbienft  einsufe^en,  ba^ 
bk  (Srfenntni§,  bie  bie  Stn^eit  ber  9?atur  jerftörte,  bennod^ 
i^r  |)eil  unb  ta^  Wütd  ^u  einer  SOBicberOcreinigung  auf 
^ofierer  (Stufe  ift.  ®al  bebeutet  iiio|I  bie  flüchtige  S^ottj 
öon  9^DbaIi§:  „5tbam  unb  @oa.  2Ba§  buvd^  eine  Steootution 
beroirft  föurbe,  mu§  burc^  eine  9iebo(ution  aufgeI)oben  merben 
(2I|)ferbife)." 

3n  einer  bramatifc^en  ^icfitung  Xiecf'§  begegnet  ^erbino 
bem  2iebting§f)elben  ber  Stomantif,  ©^afefpeare.  5Iuf 
feine  Srage,  toas  man  auf  ßrben  bon  i^m  fage,  antlüortet 
3erbino: 

„9^un,  man  fiält  bid^  für  einen  milben,  erhabenen  ®eift, 
bcr  bIo§  bie  DJatur  ftubirt  i^at,  fic^  gang  feiner  gurie  unb 
SSegeifterung  überläfjt  unb  nun  bar  auf  Io§  bid^tet,  tun§  e§ 


92  ,      ^fpotTo  unb  S)ioiü)fo§. 

gtebt,  gut  unb  fc^ted^t,  erl^aben  unb  gemein  burd^  einanbcr." 
SSorauf  ©^fefpeare  antnjortet: 

„©rüfee  betne  S5e!annten  üon  mir  unb  fag  i^nen,  ha'^ 
fie  ft(^  irren.  SSerfünbtge  i|nen,  ba^  bie  ^unft  immer  meine 
(Göttin  Joar,  bie  ic^  anbete." 

@§  tt»ar  bie  Entgegnung  be§  SiomantiferS  auf  bie  Se^re 
bcr  (SJenie§eit,  ba^  bie  ^oefie  eine  53Iume  fei,  bie  fid)  nur 
be§  9^ac^t§  erftfilieBe  unb  bufte.  3^ac^bem  eben  bie  (Stnfid^t 
gelüonnen  irar,  ba^  nid^t  bie  @ele()rten,  fonbern  ba§  SSoIf 
bie  fd^önften  ©id^tungen  ^erüorgebrad^t  ^atte,  fing  man  an, 
bie  ^robufte  eine§  gebilbeten  unb  unterrid[)teten  SWenfd^en 
mit  2)JiBtrauen  5U  betrad^ten.  D^iid^t  benfen,  nid^t  lernen, 
bamit  bie  Unfc^ulb  be§  ^nftinftS  nic^t  jerfe^t  werbe,  liefern 
fteinmüt£)igen  ^effimiämu§,  ber  bem  tulturmenfc^en  nur 
bie  SSa^t  laffen  lüoHte,  enttoeber  fein  ftol^el  Erbe  ber  ^aijX' 
l^unberte  ober  bie  Kraft  ber  ^unft  auf§UDpfern,  f(^leubertc 
9^oüaiig  mit  reüolutionärem  Uebermut^  bie  grage  gu:  ^ann 
man  ©enie  lernen?  um  fie  ju  bejahen. 

„^ann  man  ©enie  fein  unb  werben  tuollen?  @d  mit 
bem  2Btf,  bem  (SJIauben,  ber  9teligion  u.  f.  lü.  (£§  ]§at  in 
93e5iei^ung  auf  ba§  ®enie  bisher  beinahe  ha^  ^räbeftination§' 
f^ftem  gei^errfc^t.  Sie  gum  2;^eit  watjre  Beobachtung  liegt 
ju  ßirunbe,  ha^  ber  SBitte  5tnfang§  iingefc^icft  Wirft  unb 
ba§  3^aturf|5iel  ftört  —  Stffeftation  —  unb  einen  un= 
angenehmen  ©inbrucf  mac^t  —  im  Einfang  biirc^  3:§eilung 
ber  ^raft  —  bei  ber  5tufmer!]amfeit  —  ficft  felbft  unter- 
gräbt unb  au§  mangelhaftem  9lei5  unb  mangelljafter  (Sapa- 
cität  ba§  nid^t  5U  leiften  oermag,  wag  er  bunfel,  infttn!tartig 
beaOfid^tigt." 

^er  oormaltge  lächerliche  5(bergtauben,  ©ete^rfamfeit 
fönne  ÖJenie  erfe^en,  üerwanbelte  fid^  in  ben  froren  (Stauben, 
baf?  SBiffen  bem   ®enie  förberlic^   fei,    an  bie   SJJöglid^fcit 


SUpoüo  itnb  5)iomjfü§.  93 

etne§  unenblid^en  gortfc^itttS  in  ber  ßunft.  „(Slaubt  ifir 
tiid^t",  lä^t  %kd  feinen  S)ürer  jagen,  „ba^  e§  ben  fünfttgen 
Reiten  möglich  fein  trirb,  (Sacfien  barjufteUen  unb  @e= 
fc^ic^ten  unb  (Srfinbungen  au^subrücfen,  auf  eine  Slrt,  öon 
ber  mir  je^t  nid^t  einmal  eine  SSorfteUung  laben?" 

©ern  fpracfien  bie  3f{omantifer  öon  ber  abfid^t^öoHen 
Söeil^eit  be§  2)ante,  ßeroanteS  unb  @|afefpeare,  bie  g-riebric§ 
©d^Iegel  ben  ©reiflang  ber  romantifrfjen  ^oefie  nannte.  2(n 
®oet§e'§  SJieifler  Ijob  er  |auptfärf)Iic|  ^eroor  „hit  geheimen 
Slbfid^ten,  bie  er  im  ©titten  öerfolgte,  unb  beren  luir  beim 
©eniug,  beffen  Snfttnft  ju  SBidfür  geworben  ifl,  nie  ju  öiel 
öorau§fe|en  fönnen." 

Unter  ben  bilbenben  Slünftlern  mar  ein  Siebling  ber 
9iomantifer  Seonarbo  ha  SSinci  mit  feiner  überfc^auenben 
Sutelligens,  mit  feiner  gewaltigen  ^^antafie,  hk  fic^  bennoc§ 
unter  bie  Seitung  be§  grübeinben  ^opfe§  beugte.  „Uebrigen§ 
tft  man  bei  Seonorbo  uid^t  in  ®efa|r,  einen  ju  tiefen  «Sinn 
in  feine  2Ber!e  §u  legen.  (5r  backte  fic|  getuiß  immer  noc§ 
oiel  meJir,  aU  er  au§5ufü§ren  im  ©tanbe  inar.  ®iefe 
Ueberlegen^eit  be§  9?erftanbe§  über  ta§>  auSübenbe  S3er- 
mögen  giebt  er  felbft  aU  ^ennjeic^en  be§  eckten  l?ünftler§ 
an.  @r  i)ätte  einer  immer  erneuten  ^ugenb  beburft.  ©ein 
bieliäj)rige§  Seben  toar  5U  furj  für  feine  (SJebanfen,  ber  Sob 
ri^  i^ren  Iabt)rint|ifc§en  gaben  ah,  S3ei  i|m  f)ielt  ta^ 
(Streben  nad^  2Ba|r|eit  mit  bem  ^unfttrieb  nid§t  nur  gtetcEien 
©c^ritt:  beibe§  |atte  fid^  gegenfeitig  burc£)brungen  unb  toax 
cin§  geiuorben.  ©ein  gorfc^ungSgeift  lüar  bur(f)au§  roman- 
lif^,  bijarr  unb  mit  ^oefie  tingirt,  unb  er  »erfolgte  |in- 
njieber  bie  gorberungen  ber  Slunft  mit  ber  ©trenge  ber 
SBiffenfc^aft  ober  ber  ^flic^t." 

2)iefe  ©teile  fommt  in  bem  ©efpräd^e  2BiI|eIm'§  unb 
Saroline'ä  über  bie  ©emälbe  oor,  ha^  fie  für  ta^  5tt§enäum 


94  SlpoIIo  unb  SiouijjoS.  . 

f Gerieben;  ötettetc^t  Ratten  [ie  bie  Stnrcgung  ju  biefcr  9(uf* 
faffung  Seonarbo'§  au§  SKadenrober'g  §er§en§ergte^ungen 
gefc^öpft,  lüo  ber  ^(oflerbruber  mit  anbetenbem  Staunen  öor 
bem  ungeheuren  SJJanne  ftel^t,  ber  3uglet(^  fd^affen  fonntc 
unb  benfen,  iua§  er  fc^affte.  tiefem  flaren  Reifte  [teilt 
SBacfenrober  ben  pt)anta[ttf(^en  SJJaler  ^iero  bt  Sofimo 
gegenüber  unb  befd^Iie^t  feine  53etrac^tungen  mit  ben  a^nungS» 
üollen  SBorten: 

„®a§  .^un[tgenie  foK,  mie  id)  meine,  nur  ein  brauc^- 
bare§  SBerf^eug  fein,  bie  ganje  D^atur  in  fi(^  ju  empfangen, 
unb,  mit  bem  ©eifte  be§  SJlenfd^en  befeelt,  in  fd^öner  $ßer= 
tüanblung  Uiieber§ugebären.  ^ft  er  aber  ou§  innerem  Qn« 
fünfte  unb  au§  überflüffiger,  luilber  unb  üppiger  ^raft  emig 
für  fic^  in  unruhiger  Strbeit,  fo  ift  er  ni(^t  immer  ein 
gefc^icfte§  SEerljeug,  üietme^r  möd^te  man  bann  i£)n  felber 
eine  'äxt  üon  Sunfttüerf  ber  ©i^öpfung  nennen." 

Wan  irrt  fic^,  luenn  man  aunimmt,  e§  fei  ben  9ioman= 
tifern  nur  in  iinüarer  SSeriüorren^eit  luo^I  gelüefen;  ouf 
bie  fogenannten  älteren  menigften§  trifft  haS^  burc^au§  nid^t 
ju.  $JJooaIi§  nennt  e§  im  (Segentl^eif  {^olge  einer  franf- 
l^aften  Konftttiition,  (Sinfeitigfeit,  ha^  ba§  ©enie  bi§£)er 
metften§  o^nt  fein  SBiffen  tuirfte;  ber  SJJangel  an  S3elüu^t»= 
fein  fei  fdiulb,  ha^  e§  immer  nur  glüdlic^e  Slugenblicfe 
Ijatte.  „®a§  erfte  ©enie,  ba§  fic^  felbft  burd^brang",  fagt 
er,  „fanb  i)ier  ben  tl)piftf)en  Seim  einer  unenblid^en  2BeIt; 
e§  machte  eine  (Sntbediing,  tüelc^e  bie  merfmürbigfte  ber 
SBettgefd)i(^te  fein  mu^te,  benn  e§  beginnt  bamit  eine  ganj 
neue  ©poc^e  ber  5menfc^t)eit."  2)a§  SBcrt  „a«e^r  Sid)t", 
ba§  ©oet^e  nid^t  gefprod^en  £)aben  foK,  irar  hod)  jebenfQlIg 
tüie  au§  feinem,  fo  auc^  au§  bem  ©eifte  feiner  jünger 
gefprod^en.  @§  ift  be5eitf)nenb,  ba§  9Jooali§  einen  Xraftat 
üom  Sid^te   ju   fc^reiben   beab fi(^tigtc.     „ßid^t  ift  ©t)mboI 


9(poffo  unb  3)ioin)fo§.  95 

ber  ed^ten  ©efonnen^ett",  jagt  er  einmal.  „?il[o  ift  Sic^t, 
ber  ?lnaIogte  uad),  5(!tion  ber  ©e(6[tberüf)rung  ber  SJJaterie. 
®er  Tag  ift  alfo  ha^  93eiüu^tfein  be»  2Banbe([terne§,  unb 
njö^renb  bie  ©onne  tüte  ein  ®ott  in  eluiger  ©elb[ttt)ätig=> 
feit  t)k  SJJitte  befeelt,  tfjut  ein  planet  nac^  bem  anbern 
auf  längere  ober  fürjere  3ett  ba»  eine  5luge  ju  unb  er» 
quicft  in  fü^Iem  Schlafe  fic^  ju  neuem  Seben  unb  Stnfd^auen. 
5l{fo  aud^  ^ier  9teIigion.  ^Denn  ift  ha^  Seben  ber  ^(aneten 
etwa»  2(nbre§  at»  Sonnenbienft?" 

©djelling  fa^  im  Sic^t  unb  in  ber  (Scf)lt)ere  bie  Urbualität 
ber  9^atur;  wenn  man  atfo  „ben  B^^u^erftab  ber  '5>lna(ogie" 
gcbraudit,  müfjte  man,  luie  bem  Sic^t  ha^  33ett)u^tfein,  ber 
©d^luere  ben  bunfeln  Srteb,  ba§  Unbeiüu^te  gleic^fe^en. 
©mpfinbet  man  nic^t  aud^  eine  Seibenfc^aft,  ber  man  tro^ 
allen  Dringen»  md)t  §err  Sterben  fann,  al§  Schwere  in 
fic^?  ^m  ®egenfa|e  gu  ben  @turm=  unb  S)rang'9JJenfct)en, 
bie  mit  SSorliebe  in  ber  ®eiüitterfdE)rt)üIe  ber  Seibenfc^aft 
otf)meten  unb  nur  in  i^ren  trampfliaften  2(eu§erungen  ßraft 
fatjcn,  feierten  bie  atomantifer  ben  elaftifc^en  ®eift,  ber  bie 
unbänbige  SÖilb^eit  ber  ^^riebe  gebänbigt  ()at  unb  lenft. 

„2)er  Stbel  be§  ^c^  befielt  in  freier  (Sr^ebung  über  fid^ 
felbft  —  Safter  ift  eine  einig  fteigenbe  Dual,  5lbf)ängig!cit 
com  UniDiHfiirlic^en,  S^ugenb  ein  eiuig  fteigenber  ®enu^, 
Unab^ängigfeit  üom  ^ufäüigen." 

®ie  gefc^meibige  ^üngtingSfraft  be§  S^oöaliS'fc^en  ®eifte§ 
ift  in  biefen  SSorten  nic^t  ju  öerfennen;  ein  @eift,  ber  roie 
Saöib,  furchtlos  unb  fromm,  ein  fünftiger  Äönig,  ben  Stiefen 
^erauäforbert.  (äl  gab  eine  ^cit,  ttio  man  bie  got^ifc^en 
ßat^ebraten,  bie  mit  einer  5lrt  bon  9tafererei  allen  ^atux" 
gefe^en  treten  ju  tuoHen  fcfiienen,  barbarifdf)  fanb  unb 
5Ric^t§  gelten  lie^  a(§  ben  finblic^  an  öatn  unb  SBatb  ge= 
fc^iniegten    griec^ifc^en  Tempel.     SIber  hk  Stomantifer   t)cr- 


96  JCpoCo  unb  ®ioni)ioS. 

ftanben  ben  fc^aurigen  Sro^,  mit  bem  ber  mttteldterlid^e 
©eift,  bte  ©c^iuerfraft  be§  ®eftein§  im  Sliefenanlauf  über- 
minbenb,  leidet  unb  mäd^tig,  titanenfjaft  gegen  ben  §immel 
anftürmt;  if)r  reisbareS  Dijx  Dernaljm  ben  fteinernen  Striump^* 
fd^rei,  bie  foto[fa(e  §erau§forberung  be§  9)Zenfd^en  an  ben 
alten  92aturgott.  SBie  ©oet^e  früher  geti)an  ^atte,  üer= 
^errltc^te  ^iecf  ben  ©tra^urger  9JJünfter  in  feinem  ©tern" 
balb:  „@§  i[t  gum  ©ntfe^en,  ha^  ber  ajJcnfd^  au§  getfen 
unb  SIbgrünben  fic^  einjeln  bie  Steine  ^erüor^olt  unb  nid^t 
raftet  unb  rul}t,  bi§  er  biefen  ungeheuren  (Springbrunnen 
üon  lauter  gelfenmaffen  ^ingeftellt  tjat,  ber  fid^  eiuig,  eiüig 
ergießt  unb  tvk  mit  ber  Stimme  be§  S)onner§  Slnbetung 
Dor  un§  felbft  in  un[er  fterblid^e»  Seben  ^ineinprebigt." 

3)a^  ©clbftbeiüu^tfein  be§  5[Renjc^en  redt  fid§,  bie  Sölüen- 
natur  ju  jäfimen.  ©ieg  über  bie  Srfiipere  ift  feine  Sofung. 
@§  ift  fein  SSunber,  ta'Q  bie  (Srfinbung  ber  j^Iugmafd^ine 
eines  ber  SieblingSprobleme  ber  mobernen  9}?enfd^§eit  ift; 
ein§  öon  ben  öielen  $8eifpie(en  moberner  ^^antaftif,  in  ber 
fid^  trocfene  SBiffenfd^aft  unb  Sec^nif  mit  fd^iüärmerifd^er 
©inbilbungSfraft  mifd^en.  Strieb  in  ^unft  5U  üerlüanbeln, 
\)a^  Unbetuu^te  in  SSiffen,  toar  \)a§  ©tubium  ber  3?omantifer. 
Man  fönnte  au§  i^ren  Söerfen  hk  intereffanteften  ^ufötnoien" 
ftetlungen  barüber  machen.  SBäi^renb  9^üöali§  tieffinnige 
2tnbeutungen  über  bie  ^unft  be§  (SffenS  mad^t,  Ie:^rt  2;ied, 
ha^  jebe  2;ifd^unterf)altung  ein  Sunftttjerf  fein  füllte,  „'oa§ 
auf  gehörige  2trt  \)a§  Tla^l  accompagnirte  unb  in  richtigen 
@eneralba§  mit  i§m  gefegt  UJÜrbe/'  ®ie  Unter£)altung 
ber  greunbe  im  ^f)antafu§,  bie  toie  ©lumengeluinbe  bie 
t)erfc^iebenen  9Jiärd£)en  unb  (Sr§ä^(ungen  umrat^men  unb  t)er=» 
!nüpfen,  befteljen  J^auptfäd^Iic^  in  SSerfud^en,  fid^  über  Sn= 
fünfte  ftar  §u  merben  unb  bie  uniüiHfürlid^en  ©efüble  ju 
ergrünben;  lüoburd^  biefe§  f)anbIung§Iofe   ©elbftgefprnd^   fo 


?lpDfIo  unb  Tioni)jo§.  97 

unerfrfppfüd^  unb  an§tet)enb  tütrb.  ®a  luirb  über  bie 
„^tefe  unb  ^snntgfett"  be§  ®e[d)macfe»  gef^uorficn,  ber 
garbenfinn  bebanbelt:  „2Bie  luunberfam,  [ic^  nur  in  eine 
garbe  aU  blo^e  garbe  rec^t  ju  öertiefen.  2Bie  fommt 
e§  benn,  ba^  ba§  f)elle  ferne  S3(qu  be§  §imniel»  unfre 
©e^ni'uc^t  erlDcdt,  unb  be§  2Ibenb§  ^urpiirrot^  un§  rü|rt, 
ein  ^elle§  golbeneä  ®elb  un§  tröftcn  unb  beruljtgen  fann, 
unb  iro^er  nur  biefe§  unermübete  (Sntjüden  an  fvifdiem 
®rün,  an  bem  fid^  ber  2)ur[t  be»  5luge§  nie  fatt  trinfen 
mag?"  ^mmcr  näljer  unb  näfier  fc^Ieid)!  ber  S)id)tor  bem 
5lbgrunb  be§  Unbeiinifeten,  eine  fc^aurigc  Siift  be§  ©c^iuinbel^ 
lorft  t^n,  jid)  ganj  über  ben  fd^iimr^en  "Sc^Iunb  ju  beugen 
unb  ben  in  9?ebel  umtlenben  ©eburten  unb  ®e[tatten  JU' 
3u)e^en,  bi§  if)n  ein  unnennbare^  ßjefütjl  öon  ^ngft  auf= 
fc^redt  unb  5urüdtreibt.  ©aS  fie^t  man  üor  fic^,  n^enn 
man  il)n  in  feinen  Schriften  beobad)tet.  „®ie  ^unft  ^at 
biefe  ®e()eimniffe  tt)o|I  unter  t^ren  öielfarbigcn  Tlawtd  gc* 
nommen",  jagt  er  int  ^f)antafu§,  „bafjer  bie  lüilbe  S^er» 
jiüeiflung  in  ber  Suft  mandjer  bacd^antifd^er  Stditer.  —  ©o 
uioHten  lüilb  fc^märmenbe  CIort)banten  unb  ^rtefterinnen  ein 
Unbefannteä  in  9?aferei  entbeden,  unb  alle  Suft,  bie  über 
bie  ©renje  fdjiüeift,  nippt  üon  bem  ^elc|  ber  5(mbrofia, 
um  5(ngft  unb  SSuttj  mit  ber  t^reube  laut  tobenb  gu  »er- 
mirren.  '^üic^  ber  Siebter  lüirb  nod)  einmal  erfd^einen, 
ber  bem  ©raufen  unb  ber  luilben  ©efjnfud^t  mel;r  bie 
3ungen  löft."  SJJit  unmübli(^er  9iüftigfeit  unb  f^rifc^e  6?=' 
fämpft  S3aaber  ben  ^acobifdien  empfinbfamen  ©a^,  ha^ 
Tenfen  bem  güfilen  fc^abe.  2öenn  S^cobi  fagt:  ^er  @ott, 
ber  gen)ufet  irerben  fönnte,  njöre  gar  fein  ®ott,  entgegnet 
58aaber:  ber  ©ott,  ber  D|ne  ®ott  gen)u{3t  lüerben  fönnte, 
märe  feiner;  er  erinnert  baran,  ha^  d^riftuS  nid;t  gefagt 
:^ot:   i^r  werbet  bie  2Ba§rt}eit  füllen  ober  a^nen,  fonbern: 

§u(f),  JRomntititer.  7 


98  9t^DllD  unb  ®tonl)jo§. 

t^r  werbet  fie  erfennen.  (£r  üerfud^t  eine  SBt[[enfc^aft  ber 
Siebe  ju  begrünben  unb  unterfd^eibet  bie  freie  Zuneigung  — 
Siebe  —  bie  öom  ©rfennen  ausgebt,  öon  ber  Seibenfifiaft, 
bie,  öon  einem  9^ic§tgebad^ten  auygef)enb,  ein  unfreies  58e=» 
njegtfein  ift:  „ber  9}?enfd)  luei^  in  biefem  feinem  blinben 
(finflern)  ©etriebenfein  nic^t  eigenttid^,  iraS  er  rviü  unb 
ti)ut,  unb  feine  SBetüegung  ift  infofern  feine  lebenbigc,  n)eil 
fie  nid^t  üon  feinem  Snnerften  ausgebt."  ©anj  ä^nlid^  fagt 
9ioOaIi§:  „Steigungen  finb  materiellen  UrfprungS;  5(n- 
§ie5ung§=  unb  5(bftr^ung§fräfte  finb  !§ier  n)irffam.  SDie 
9?eigungen  macfien  un§  5U  5JJatur!räften.  ©ie  ^^erturbiren 
ben  Sauf  be§  äJienfdjen,  unb  man  fann  tion  leibenfd^aftlicfjen 
äJJenfc^en  im  eigentlic^fteu  Sinne  fagen,  ba^  fie  fallen." 
91n  @(i)Ieger§  Sucinbe  ift  bie  SBad^famfeit  unb  ftete  ®egen= 
niärtigfeit  be§  2)id^ter§  ba§  9J?erftt)ürbigfte,  tk  i{)m  inmitten 
be§  @innenroufc^e§  ermöglid)t,  „mit  fü()Ier  S3efonnen|)eit 
auf  jeben  leifen  ^ug  ber  grcube  ju  laufc^en." 

SBie  bie  Siebe  foll  aud^  bie  Stcligion  ein  freiem  ®ef(f|ö).if 
be§  S3euiu§tfein§  luerben,  unb  in  ©oet^e'S  33e!enntniffen 
einer  fi^önen  @eele  finbet  ©c^Iegel  biefen  ®runbfa|  fünft- 
lerifd^  bavgeftettt.  „^a^  aud^  bie  Steligion  ^ier  aU  an- 
geborene Siebijaberei  bargefteUt  mirb,  W  fid^  burc^  fid^  felbft 
freien  ©pielraum  fd^afft  unb  ftufenlueife  jebe  ^unfl  öoUenbet, 
ftimmt  üotlfommen  ju  bem  fünftlerifc^en  ©enuffe  be§  ®an§en 
unb  e§  tuirb  baburd^,  mie  on  bem  auffaHenbften  SBetfpiele 
gejeigt,  bnfj  er  5Itle§  fo  beljanbeln  ober  betjanbelt  luiffen 
möd)te."  ©a^  ber  ganje  SJJeifter  eigentlich  nidEit  fotuol)! 
bie  ^unft  be()anbelt  at§  „bie  Slunft  atter  «fünfte,  bie  ^imft 
511  leben",  ^atte  griebrid^  ©c^tegel  betüiefen  unb  gerülimt. 
©ittlic^feit  befinirt  9?oöaIiö  al§  bie  ^unft,  unter  ben 
SOlotiüen  5U  ^anblungen  einer  fitttic^en  S5>ee,  einer  ^unftibee 
a   priori    gemä^   ju   iuä()Ien   unb    bie   älZaffe   innerer   unb 


9lpono  nnb  Stom))o§.  99 

äußerer  .Staublungen  ju  einem  tbeali[c^en  ©anjen  5U  orbnen. 
„5)ti(^t  nur  SJienfc^  luerben,  tft  eine  ^unft",  fjat  er  gefagt, 
Jonbern  bie[er  unerfc^rodenfte  unb  äitgleid^  feinfle  ber 
romantifdjen  Genfer  fpric|t  fogar  üon  einer  ßun[tle§re  ber 
Unfterblic^feit. 

®ie  erften  Stomantifer  ^aben  benn  auc^  unermüblid^ 
gelernt  unb  ha^  ©riernte  benfenb  jum  S3efi^  if)re§  S3e- 
lnuf3tfein§  5U  mad^en  gefud^t,  ja  fie  alle  lüoren  äugleic^  | 
Äritifer  ber  Slunft,  bie  fie  ausübten.  dliemaU  glaubten  fie, 
toxt  bie  mobernen  ^ünftler  ju  tfjun  pflegen,  fie  lüürben  bie 
glücfüc^e  ^raft  ber  ©efunbljeit  be§  bunften  Sttfttnfte§  ha^ 
burc^  lüieberfinben,  ha^  fie  \iä)  in'§  ®unfel  ber  Umuiffentieit 
öerftecften.  hierin  toie  über^au|)t  toar  §erber  ein  SSorlöufer 
ber  Ütomantif,  ber  bie  ^oefie  llultur  gum  ©d^önen  nennt, 
tk  S3efanntfc|aft  ber  neuen  ^oefie  mit  ber  SÜSiffenfcfjaft 
freubtg  begrübt,  lüeit  fie  baburdCj  on  bem  gortfrfiritt  unb 
2Sa(^§tf)um  be§  menfd^Itc^en  @eifte§  tt^eilneiimen  lüerbe,  ber 
5ur  befonncnen  S^ac^aijmung  anbrer  S3ölfer  aufforbert  unb 
aU  bie  3Kufe  be§  beluunberten  Sriten  hie  9ief(e£ton  be-»  "^ 
geid^net.  @»  ift  befannt,  ime  Öioet^e  beinat)e  ^jebantifd^ 
feine  ^enntniffe  gu  eriüeitern  unb  Drbnung  in  bem,  mag  er 
mu^te,  5U  (galten  fud^te,  tük  er  fogar  nad^  SJiuftern  ober 
Sbeen,  \a  guUieiten  um  ©i-empel  §u  ftatiiiren,  bic^tete. 

S)a§  aber  fjaben  (Sc^iHer  unb  ötele  9(nbre  aud;  getljan, 
unb  äftiar  gerabe  fold^e,  bereu  ärgfte  t^einbe  bie  Stomantiter 
n)aren.  2Benn  ba§  2Biffen  unb  S3eiuufetiiierben  aHein  ben 
9lomantifer  madjte,  luie  luäre  e§  möglidj,  ba&  fie  mit  gutem 
©eiuiffen  ben  großen  .'ilrieg  gegen  bie  ^2luf!(ärung  t)ätten 
führen  fönnen,  bafs  jeber  beim  Söorte  9?omnntif  an  ben 
geljeimni^üotteu  laufc^igen  SBalb  be§  3)iärd^en§  unb  ber 
(Sage  benft,  in  ben  fie  bie  9J?enfc^en  tüieber  eingeführt 
laben;  ba|  in  i£)rem  ©efolge  ber  ^an^e^»  ^ie  9Jiagte,  ha§ 

7* 


100  ?(pLiUo  \mb  2)iom)fD§. 

9?ätt)fel,  bte  ©e^nfuc^t  —  aüe  bte  üerf(f)Ieierten  ©eftdten 
be§  Unbertju^ten  erfcfieinen?  jDa§  tft  eben,  luaS  man  nie= 
maU  bergeffen  barf,  ba^  ba§  93elnuf5tfetn  be§  5Romanttferl 
mit  bem  Ö^ei)aüe  be§  Unbeinu^ten  erfüClt  tft;  ba§  Stior, 
ba§  bte  betben  9ieic^e  trennte,  t[t  nid^t  metir  gefc^Ioffen, 
fonbern  nur  angelel)nt,  unb  langfam  ftrömt  tia^  Sid^t  öon 
ber  einen  Seite  in  bie  iualtenbe  f^infterni^,  löfcn  fid^  öon 
ber  anbern  Seite  bie  bunffen  Silbnngen  im  Sichte  auf. 
93aaber  fü()rt  einmal  folgenbe  ©teile  au§  einem  atten 
©(^riftfteßer  an:  „5)ielueil  ©tubiren  unb  Semen  eine  @r= 
tüecfiing  ift  be§,  ba§  in  mir  ift,  nämlic^,  ba^  ic^  erfenne 
unb  gelüaljr  n)erbe  be§,  ha^  in  mir  ift  unb  in  alten 
SJJenfd^en  öerborgen  liegt,  benn  ba§  ^limmlifc^e  unb  S^i^tfd^e 
liegt  in  mir  üerborgen.  ^annentjero  and)  bie  '»^tatonici  ge- 
fagt:  diseero  esse  reminisci."  SKit  folrfiem  ©ic^erinnern 
unb  ©i(f)befinnen  tuar  alle§  Sernen  ber  Stcmantifer  ücr= 
bunben.  ®er  unbelrufjte  9JJeufd^  luirb  fid^  feine»  inftinftioen 
Sebeu§  nur  baburc^  beuiu^t,  ba^  e§  lüirft;  in  imgeftörter 
©tiHe  reifen  feine  (Sefül^re  |eran,  bi§  fie  auf  einmat  al§ 
^anblungen  an'§  Qid)t  treten;  fein  ®enfen  ift  luei^eg  Sic^t, 
erft  burdj  ba§  ^ri§ma  be§  Setuu^tfein»  inirb  e§  in  bie 
Stegenbogenfarben  jerlegt.  Sem  bemühten  9J?enfdjen,  ber 
feine  ©efü^Ie  im  Sid^te  ^erfel^t,  feljü  leiber  oft  bie  gormcl, 
fie  tüieber  ganj  unb  lebenbig  ju  mad^en,  fo  ba^  man  fageu 
!ann:  ©er- unbeluufste  9[Renfc^  ^at  bie  ©efü^Ie,  aber  fennt 
fie  nid^t,  ber  beUJU^te  fennt  fie  siimr,  aber  ^at  fie  uidEit, 
ber  ^armonifd^e  3ufiinft§menfc^  tjat  unb  !ennt  fie. 

Tian  fann  fid^  ben  Sßerfefjr  stüifdjen  ben  beiben  SBelten 
ctUJO  fo  üorftellen,  aU  göbe  e§  eine  i^Iappe,  bie  bie  obere  Don 
ber  unteren  trennte.  53ei  bem  gemeinen  2)urd^fd6nitt§menfc^en 
öffnet  fid^  biefe  klappt  niemals  Hon  felbft,  au^er  t)ieüeidf)t 
im  Traume.     @§  fann   and)  l-^ti  biefen  9>iele§  unb  ®ro§e§ 


5(pono  unb  SiomjfoS.  101 

]id)  unterirbifd^  entiuicfetn,  aber  e§  tritt  ntd)t  iii'ä  33eiüu§t- 
fein,  fonbern  je|t  ficö  in  Strbeit  um.  ®§  finb  bie  ein- 
fadien,  T^anbelnben  9}ienf(^en,  bie  5(tbeit5tl;icre,  aber  and) 
foI(f)e,  bie  im  ©taube  finb,  (jeroifdje  Saaten  ju  tl^un.  Tlan 
fönnte  biefen  ben  dauern*  ober  ben  9tömer-Si)pu»  nennen, 
ober  dniad)  ben  männlid^en.  5l(»  SJac^t^aJJenfcfien  fönnte 
man  fie  beseic^nen,  infofern  fie  unbeJou^t  (janbeln,  aU  %ac\= 
S)Zenfd^en,  tnfofern  il^r  33en)u§tfein  ber  äußeren  2öelt  nie 
burd^  ^Kebel  au§  bem  Qnnern  geftört  luirb;  toenn  man 
ntc^t  unter  Xag=9}ienfc§en  biejenigen  üerftel)en  loill,  benen 
ba§  Unterirbifcöe  überijaupt  fe£)It  unb  bie  in  golge  beffen 
in  biefe  Setradjtung  nic^t  gel^ören. 

9tun  fommen  bie  SJJenfd^en,  bei  benen  bie  ^iappt  immer 
offen  fte{)t,  ober  eine  ©palte  ift  barin.  (S§  ift  gerabe,  tvk 
föenn  ein  9ti^  in  einer  2)ampfmafc£)tne  möre,  bie  nidjt 
arbeiten  fann,  ftieU  ber  ®ampf  entiüei(^t  unb  feinen  ®rutf 
me[)r  ausübt.  2)enn  meil  bie  2;riebe,  elöe  fie  \id)  anfammeln 
unb  bifben,  in'§  ^Beinu^tfein  eintreten,  fönnen  fie  fic^  nicf)t 
in  ^anblnng  umfe^en  unb  nadj  au^en  lüirfen.  ®ie§  ift 
ber  n^eiblii^e  ober  artiftifc^e  2;t)pu§.  S)iefe  S[Renfc^en  finb 
ni(^t  gro§  burc^  i^re  |)anblungen,  faum  giebt  e§  übert)aupt 
eine  5(u§enluelt  für  fie,  hit  ganj  burc^  bie  unentberfte  5$nneu- 
hielt  in  5lnfprucf;  genommen  finb.  SSorjügtid^  $DJufifer  ge= 
^ören  ^ier£)er,  2)ic£)ter,  Sdjaufpieter,  alle  Slrten  üon  Slünftler=' 
naturen  unb  Safenten,  nur  nid^t  bie  ganj  ©ro^en,  bie  ha^ 
93teibenbe  fc^affen.  Studj  @d)iiiärmer,  Qbeatiften  unb  ^ritifer, 
ttit  Sttteg  beffer  n)iffen,  ober  9Jic^t§  beffer  madjen  fönnen, 
finb  unter  biefen.  SJJan  fann  fie  an<i)  Uebergangä»  ober 
!3)ämmerung§menfd)en  nennen. 

5)er  britte  |)auptti)pu§  ift  ber  bie  beiben  früheren  t)er= 
einigenbe,  ber  mannnjeibüc^e.  liefen  ^t)pu§  trögt  ba§ 
®enie.    |)ier  ift  hie  i^erbinbung  jmifdjen  ben  beiben  SBelten 


102  ?(pDlfD  uiib  3)iom)fo§. 

burd^  eine  geber  geregelt.  Ungeftört  ge^t  tie  ©nttütdelung 
ber  Gräfte  im  Unterirbtfd^en  üor  fic|.  ©inb  fie  aber  reif, 
JD  lieben  fie  bic  Mappe  unb  Betreten  ha^  Stc^treii^.  (2ie 
fönnen  fotool)!  nad^  au^en  tßk  nad^  innen  n)irfen.  ^iefe 
9Jienfd)en  muffen  fid^  nicE)t  felbft  gerftören,  um  ftd^  felbft  5U 
fennen.  «Sie  broncfien  nic^t  beS^alb,  lüeit  fie  triffen,  auf 
ha^  ^anbeln  unb  ©d^affen  511  öer^ic^ten.  ©ie  fönnen  ^U" 
tvdlen  mit  ben  9Jienf(^cn  ber  elften  Maffe  üeriuec^felt 
toerben,  lüie  benn  ha^  ©enie  oud^  oft  au§  primitioen  Greifen 
^eriiorge{)t.  @ie  fönnen  einfad^,  ja  unbebentenb  erfd^einen, 
unb  e§  fann  ba§  Stnfe^en  tjaben,  a.B  bräditen  fie  ta^,  ©ro^e, 
lt)a§  fie  leiften,  nur  5ufäIIig  I)erüor. 

gür  jeben  2J?enf(^en  ift  ba§  @id)öffnen  ber  Mappe  — 
tüenn  id§  hti  bem  elementaren  58ilbe  bleiben  barf  —  etlüaS 
(Srtoünfd^teg,  ba§  er  ^erbei5ufiU)ren  ftrebt:  3?aufc^  im 
njeiteften  ©inne,  bie  Ijöd^ften  9}lomente  be»  Seben§.  ©§  ift 
ha^  2(uf(öfen  be§  geften  unb  ©d^tueren  im  SWenfc^en,  \ve^= 
iüegen  aud^  bie  58eraufd^ten,  5ßegeiflerten  fid^  fo  leicht  fügten, 
aB  flögen  fie.  Man  fönnte  e§  aud^  SetuuBttoerben  ober 
9iomantifiren  nennen,  ©ine  alte  d^emifd^e  9?egel  ^ei^t: 
Corpora  non  agunt  nisi  soluta;  bie  Sl[d^t)miften  gingen  be§- 
^alb  barauf  auö,  eine  ©ubftanj  ju  finben,  bie  jeben  Körper 
löfte:  ^llfaljeft  nannten  fie  bie§  ^tipot^etifc^e  ^mittel.  5tudj 
ber  3J2enfd^  luirtt  nur,  wenn  t^a^»  Unbeiou^te  iti  ii^m  fic^ 
löft,  fo  "Qa^  er  l^anbelt  nad^  aufsen  ober  nadj  innen,  ©eine 
SöfungSmittel  fiub  bor  allem  Sugenb,  Siebe  unb  SBein  — 
bie  ©riechen  nannten  5)ioni)fo§  ben  Söfenben  —  furj 
SBärme.  Sie  fübIicE)en  SSöIfer  gebraurfien  weniger  SBein 
aU  bie  nörblidjen,  toeit  bie  Mappe  ftd^  mit  Seid)tig!eit,  faft 
aUjuteictit,  Oon  felbft  öffnet.  ®iefe  unb  bie  ®äninierung§' 
menfc^en,  bei  benen  bie  Mappe  immer  offen  fte^t  ober  einen 
9ti§   ^at  —  fold^e   giebt  e§   meljr  im   3iorben  —  fiub   bie 


StpLißo  unb  !DiDiti)iD2.  103 

^mmerberau^c^ten;  ein  SHfa^eft,  ha^  norf;  ha^n  fommt,  loirft 
fie  ganj  über  ben  §au[en.  ^u  feinem  ©ternbalb  läfjt 
Zitd  ben  2ufo§  b.  Serben,  ben  er  aU  fc^(ic^ten,  iinermüb- 
lic^  tljäticjcn,  me^r  fd^affenben  al§  benfeiiben  Tlamx  fc^ilbert,  nm 
liebften  nad)  Zi'\d)t  arbeiten,  luenn  er  üom  SBein  erf)i^t  tft; 
n)ä§renb  ber  finnige,  p^antafieüolle  Sürer  fagt,  ba^  er  im 
©egentl^eil  nur  nüchtern  malen  fonne:  „benn  mir  fteigt  ber 
SBetn  in  ben  ^opf  unb  öerbunfelt  mir  ben  ©ebanfen." 
^unftgenu§  tüirft  ni(^t  auf  Me  löfenb.  3e  seiftiger  ta^ 
5tlfaf)eft  ift,  beffcn  ber  -njenfc^  bebarf,  um  ficf)  fetbft  ju 
genießen,  befto  Ijö^er  fte^t  er.  ©inft  lüirb  e»  gan^  über»' 
flüffig  luerben:  bann  leben  bie  3"funfi§nienfc^en,  Oon  benen 
9?oöali§  fagt,  ha^  fie  immer  ^ugleic^  luac^en  unb  fdjfafen 
tüerben. 

S)ie  meiften  5Romantifer  maren  tueiblid^er  Strt,  ®ämme- 
rung§menf(^en,  aber  fie  ftrebten  nacf)  Harmonie,  ©elbft  oft 
einfeitig,  liefen  fie  hoä)  nie  hk  (Sini^cit  unb  ©an^Ijeit  au§ 
ben  2(ugen;  in  iljr  &ihet  an  bie  Sonne  füngt  bie  berü{)mte 
.'peraufbefc^ttJörung  ber  monbbegInn,')ten  ^^ubernac^t  ttjie  eine 
J)armonifc^e  Begleitung  einftimmiger  2)Je(obie  hinein. 

Snfofern  al§  ba§  tt)acl^fenbe  ©clbfibelDufetfein  beftönbig 
mit  {Fragmenten,  mit  in  ber  (Juttuicflung  unterbrochenen 
Organismen  ju  tl)un  i)at,  bringt  e§  franf^afte,  derjerrte 
Grfd^einungen  ^eröor.  5)ie  romantifc^e  Literatur  ift  reic^ 
baran.  t^riebrid^  ©erleget  fagt  fogar  gerabe^u,  Qcan  ^aul 
fte^e  fo  1^0^  über  8terne,  all  er  franf^after  fei  al§  biefer. 
Slber  t^r  ^ntei^effe  am  ^ranff)aften  n^ar  nic^t  etma  blafirter 
Ueberbrufj  am  ©infamen  unb  Schönen  ober  überreizte  ©ud^t 
nad^  bem  no(^  nie  ^agetoefenen,  fonbern  bie  ©infid^t  in 
ba§  SBefen  be§  ^ranf^aften  atl  <2t)mptom  ber  beginnenben 
(Sntiuicftung,  al§  ein  notI)tüenbige§  Uebergang§ftabium,  ha^ 
mit  greuben  begrübt  luerben  mu^,  meil  e§  bemeift,  ha}^  ber 


104  'ütpotto  uub  Siünl)io§. 

^auipf,  r()ne  ben  ber  ©teg  nid^t  jein  fann,  nun  boc^  im 
©ange  ift.  S<^  ^iK  einige  barauf  6eäüglic£)e  Semerfungen 
öon  9^oöaIi§  anführen: 

„^ranffieit  gel^ört  ^ur  ^nbioibnatiiu-iutg.  (5§  gilt  I)ter, 
löie  aud^  bei  ben  menf(^(ic§en  ©emüt^ern,  gerabe  ha^,  \va^ 
in  ber  bitbenben  Ä'un[t  öon  bem  2)üri)p!^orug  ober  bem 
ßanon  gitt." 

„^ranffieiten  jeid^nen  ben  9}?enjcf)en  öor  ben  ^jTanjen 
unb  2:^ieren  au§.  3iini  Seiben  ift  ber  HJtenfd)  geboren. 
Sitte  ^'ranffjeiten  gleichen  ber  ©ünbe  barin,  ha^  fie  XxanS" 
cenbenjen  finb.  Unjre  ^'ranff^eiten  jinb  ade  ^^änoncme 
einer  er^öljten  ©enfatton,  bie  in  p^eve  ^raft  iibergeiien  n)ttt." 

„^e  nie^r  ber  9JJenfd)  feinen  ©inn  für'g  Seben  fünfUerifc^ 
au§bi(bet,  befto  me(}r  intcreffirt  iE)n  aucE»  bie  2)i§Ijarmonie  — 
niegen  ber  Sliiflöfung." 

S)a^  e§  immer  nur  „tuegen  ber  5(u|töfung"  ift,  barf  nie 
öergeffen  loerben.  Unb  ttjte  üerfc^ieben  hk  ©ntmicfhing  öor 
fid^  ge^en  fann,  geigt  hc\§  S3eifpiel  ber  Aktionen.  S3et  ben 
r om anif d^en  S^öltern  bifbet  fic^  ber  Stoff  be§  ®efc^e£)en§ 
attmälig  im  Unbeluu^ten  unb  brid^t  ptöt^Iid^  in  fnrd)tbaren 
Steüolutionen  Ijeröor.  33ei  ben  germanifd^en  SJöIfern  geljt 
bie  ©ntiuicflung  in  f feineren  SBettenbetoegungen,  tangfamer, 
juraeilen  öerjraeifelt  langfam,  aber  fie  ift  intereff anter, 
rei(f)er  unb  ötel  umfaffenber,  befonnener.  ^n  ben  @ng- 
lönbern  üereinigt  fic^  bie  |)ormonie  unb  ^raft  be§  Uu'» 
beraubten  mit  ber  gülle,  ^iefe  unb  SStelfeitigfeit  be§  S8e- 
rauf3ten. 

®ie  fd^önfte  S3erf)errlid^ung  ber  „bunflen  ®cfü[)(e"  mu^ 
man  bei  SBodenrober,  bem  liebüc^ften,  bem  öerträumteflen 
9iomantifer  fuc^en.  ©eine  ^crjen^ergiefsungen  eineS  fünft- 
liebenben  ^tofterbruberl  finb  eine  fdjraärmerifrfie  SSer- 
fünbtguug    be§    ©laubenC^,    baf;    !(?*unft    nict)t^    (Srlernbare^, 


5()iono  unb  ®ionl)fo§.  105 

fonbern  götllid^e  Gtngebiing,  Djtentnriing  fei.  ®a§  Suc^ 
i[t  Jüie  ein§,  bal  lange,  lange  Sfllj^c  in  einer  ßirc^e  ge» 
legen  |at,  ein  ^[dterium  mit  golbnen  unb  jTammenben 
Ornamenten  jmifc^en  ben  mt)ftifcf)en  (Sefäiigen  unb  burc^ 
unb.burd^  jü^  öon  bem  SSeitjraud^,  ber  e§  6e[tnnbig  um- 
Jüölft  l^at.  3^n  ängftigte  hav  Sid^t,  toeti  er  nie  oödig  au§ 
bem  @d)Iafe  erloac^t  mar:  jein  ganjeS  Sebeii  lüar  tüie  ba§ 
Slufjd^recfen  eine§  müben  ©djlaferg,  ber  blinjelnb  in'§ 
9JJorgenItrf)t  fie^t,  au§  ben  umld^Iingenben  53Iumenranfen 
feine§  SraumcS  fidE)  nid^t  losreißen  fann  unb  fict)  luitlig 
üon  i^nen  in  ben  ©d^Iummer  jurücftocfen  lä^t.  „®ie  SScIt^ 
ft)eii'en",  fagt  er,  „finb  au§  einem  an  fic^  löblid^en  (Sifer 
für  bie  SSat)r§eit  irre  gegangen;  fie  l^aben  bie  @e[)eimniffe 
bc§  ^immet^  aufbecfen  unb  unter  bie  irbifc^en  jDinge,  in 
irbifdie  SBeleud^tnng  fteüen  luotten  unb  t)U  bunflen  ©efü^Ie 
oon  benfetben,  mit  fü^ner  SSerfedjtung  i&re§  3fie(^lc§,  an§ 
tt)rer  33ruft  öerfto^en.  SSermag  ber  fdituadje  SJJenfc^  bie 
(^eljeimniffe  be§  §immel§  aufjufiellen?  (Glaubt  er  üerluegen 
an'»  Sic^t  jieljen  ju  fönnen,  toaS  ©ott  mit  feiner  ^anb  be= 
bedte?  3)arf  er  lüot)I  bie  buufeln  ©efii^te,  luelc^e  lüie  öer= 
pUte  (Sngel  ju  un§  ^ernieberfteigen,  t)oc^müt^ig  üon  fic| 
föeifen?  ^d)  e^re  fie  in  tiefer  ^emiit^;  benn  eä  ift  grof5e 
©nabe  öon  ßiott,  baß  er  un§  biefe  ed)ten  ^fHQf"  ber 
SSa^rljeit  ^erabgefenbet.  ^ä)  falte  bie  §änbe  unb  heit  an." 
SSeil  er  mit  SBorten,  ber  Sprache  be§  ^eimifetfein§,  bie 
buntlen  ®ifü[)(e  nid^t  offenbaren  fann,  bie  fo  überiuöttigenb 
au§  bem  ©runbe  feineg  S^neru  it)n  überftrömen,  ftüdjlet 
er  äur  SJJufif.  @ie  fönnte  iljn  au§  feiner  Sßebrängnifj  er= 
löfen.  2:er  gan^e  ©trom  üon  ©dimerj  unb  SBonne,  ber 
fi(^  au§  ben  S:önen  iiber  ha^'  luiberftanbelofe,  bebenbe  ^erj 
ergient,  roufdjt  unterirbifc^  unter  feiner  ©prad)e. 

„Unb  fo  erfüJine  id^  mic^  benn,  au;?  meinem  ^nnerften 


106  5{poI[o  imb  3)iom)fD§. 

ben  tütt^ren  «Sinn  ber  Stoiifunft  auSjufpred^cn  unb  fage: 
SSenn  alle  bie  inneren  ©d^tuingungen  unfrer  ^erjenSfibern 
—  bie  jitternben  ber  grenbe,  hk  flürmifd^en  be§  ©ntjücfenS, 
bie  J)od^!top[enben  ^nlfe  üerjelirenber  ^Inbetnng  — ,  luenn 
aHe  bie  ©pradEie  ber  SBorte,  aU  ba§  ß^rob  ber  inneren 
ijerjenStunti),  mit  einem  Stugruf  jerfprengen:  bann  gelten 
fte  unter  frembem  ^immel,  in  ben  ©ifiluingungen  lolbfeliger 
|)arfenjatten,  n^ie  in  einem  jenseitigen  Seben  in  üerflärter 
©d^ön^eit  ^eröor  unb  feiern  al§  ©ngelgeftalten  ifjre  2luf= 
crfte£)ung." 

Unermüblid§  tönt  feine  n)o{)IIautenbe  Slage  über  bie 
fatten  SSernünftler,  bie  ba§  „ftumme  ©ingen,  ben  bermumm^ 
ten  3:an§  ber  nnfid^tbaren  ©eifter  in  i^rem  Innern"  an 
ba§  Sid^t  jerren  tuollen;  bie  fid^  nid^t  Begnügen,  ben  üer- 
becften  ©trom  in  ber  Siefe  i^re§  ßJemütp  öon  ferne 
ranfd^en  gu  l^ören.  Unermüblid^  lobt  feine  melobifi^e  3iinge 
bie  göttliche  ^raft  ber  9JJufif,  bie  un§  ha^  unenblid^e  Sieb, 
ha%  lüir  ha  unten  gel)ört  ^aBen,  auf  bejauberten  ©aiten 
fc^öner  luieber  öorfingt,  bi§  5ule^t  feine  SKorte  in  S^ränen 
fiel  auftöfen.  „?Iber  ma§  ftreb'  iä)  S^öric^ter,  bie  SBorte 
äu  Sönen  5U  jerfi^meljen?  @§  ift  immer  nid^t,  mt  id^'g 
fü^Ie.  ^ommt,  i|r  S:öne,  jietiet  ba^er  unb  errettet  mic|  au§ 
biefem  fd^merjlic^en  irbifc^en  ©treben  nac|  SBorten,  tuidelt 
mic^  ein  mit  euren  taufenbfad^en  ©tral)Ien  in  eure  glän= 
genben  SBoIfen  unb  I}ebt  mic|  Ijinanf  in  bie  alte  Umarmung 
be§  atlliebenben  §tmmel§!" 

2Bie  ein  feimenbe^  ^flänjc^en,  ba§  unter  ber  tt^interlicfien 
93Iätter^üae  alläulange  ber  ©onne  entjogen  Umr  unb  nie- 
mals frifc^  unb  fröftig  toerben  tann,  fe^nt  er  fic|  immer 
in  ben  bunfelu  ©c^oB  ber  ©rbe.  5iber  bennocö,  unb  oijne 
biefen  ^ug  tnäre  er  fein  echter  Siomantiter,  graut  e§  i§m 
gmueilen   üor   ber    „freöelljaften  Unfc^ulb,    ber  furchtbaren, 


?(poI(ü  unb  ®ionij|o§.  107 

orafelmä^tg-jtnetbeutigen  'Sunfel^eit"  ber  Wai']it.  9^arf)bem 
er  eine  ©timp^onie  in  SSorten  qu  fid^  üorübergejanbert  i)at, 
fc^Ite^t  er  fo:  „2)Qnn,  luenn  id)  in  ftn[terer  Sttde  noc^ 
lange  ^orc^enö  ba[i^e,  bann  ift  mir,  at§  i^ätt'  icf)  ein  2;raum= 
gefielt  ge^bt  non  allen  mannigfaltigen  menfd^Iic^en  ^^(ffeften, 
Jute  fie,  geftaltlog,  ju  eigener  Suft,  einen  feltfamen,  ja  fo[t 
nm^nfinnigen  pantomimifd^en  ^^anj  5U|ammen  feiern,  rok 
fie  mit  einer  furchtbaren  SBittfür,  gleich  ben  unbefannten, 
rät^felljaften  ,3aubergöttinnen  be§  ©d^ictfalg,  fred^  unb  freOel« 
]^aft  burc^  einanber  tanjen." 

®§  ift  bie  leife  ©eiuiffenSangft  be§  Sräumer?,  ber  bie 
l^eilige  (Sriöferfraft  be§  Siebtes  a^nt  unb  e§  boc^  fliegt. 
SSoriiü^ig  :^at  er  ba§  Z^ox  jum  ^a\)t§  feine§  Innern  auf- 
geriffen,  unb  nun  fc^iueben  bie  bleichen  ©chatten  i^m  nad^, 
umbrängen  i§n  unb  tjerlangen  Seben.  ^ätte  er  fie  in  ta§ 
Sic^treic^  feine§  Seiou^tfeinS  gefüfirt,  fo  lüären  fie  entineber, 
n)ie  man  au?  üielen  äJiärd^en  lüeiß,  augenblic!(id^  jerflattert 
ober  in  Slfc^e  .verfallen,  ober  aber  ber  mächtige  ©traljl  ^ätte 
i^re  Seiber  tjerftärt  in  Jslunft.  9^un  aber,  ta  fie  jurücf  nic^t 
fönnen,  luerben  fie  in  ifjrer  Sobesnot!^  ju  3Sampl)ren  unb  fangen 
ifjm  bi»  auf  ben  legten,  jitternben  Kröpfen  'i)a§'  junge  S3Iut  au§. 

@»  ift  ber  ^rrt^um  ber  meiften  mobernen  ^ünftler,  ha'^ 
fie,  tueil  fie  if)r  SBertJu^tfein  mit  ben  ©eftalten  ber  Unter- 
luelt  äu  beDöIfern  begonnen  ^aben,  nun  aul  ber  Oberiuelt 
ein  fHiid)  ber  ginfterni^  ju  mad^en  fud^en,  mä^renb  fie 
grabe  be§  Sid^teS  am  meiften  bebürfen.  ^^xt  Unterwelt 
entöölfert  fid^,  ein  Schaffen  im  Unbeiou^ten  ift  für  fie  un- 
möglich geworben,  aber  fie  fönnten  basfelbe  im  93ert)u§tfein 
erreichen;  benn,  fagt  Ü^oöalil,  ber  ooHtommen  S3efonnene 
Reifet  ber  @ef)er.  ö»  ift  Jua^r,  baf3  fie  junäc^ft  burd^  bie 
5lu§^ö£)Iung  bei  unterirbifd^en  5Reic^e§  fcf)Uianfenb  itnb  un- 
fräftig  luerben,   aber   burd^  S5erbreitung  fünfllii^er  ^unfef» 


108  51^d[(o  uiib  3)iDiU)iD§. 

f)eit  fönnen  fie  e§  ntc^t  loteber  auffüllen.  Sied  wax  öon 
biefer  ©c^mäc^e,  aud^  bem  33etüu^ten  ben  «Schein  be§  Un- 
Beiüu^ten  auf^u^lünigen,  nic^t  frei.  SSiele  fetner  ®ebt(f)te 
finb  in  einem  S?;on  be§  ©tammeln§  unb  2alten§  gel^alten, 
ber  nic^t  finblid^,  fonbern  albern  ift.  ^utfeiten  mad^t  e§ 
ben  @inbrucf,  al§  Ijahe  er  glücfticö  fein  aufmerffame§  33e= 
lun^tfein  ^alblüegg  eingefd)Iäfert  unb  bemiUje  fic^  nun  eilig, 
el^e  e§  luieber  §u  fic|  fommt,  fo  üiel  SBorte  mie  möglid^ 
^eröorsufprubeln;  ober  al§  fneife  er  bie  5(ugen  5U,  um  fid^ 
einfcilben  ju  fönnen,  er  träume.  jDa»  33eftre6eu  immer, 
„au§  bem  Snnerften  5U  reben",  tt)ie  e§  bie  9^omantifer 
unter  fid^  uannten,  tierfütjrt  5U  Simili- Offenbarungen.  2ln 
ben  affeftirten  gafeleien  feiner  9Jac^aIjmer  erfannte  S;tecE 
mit  ©(^reden,  tüot)in  feine  5lrt  führen  founte,  unb  er  |at 
in  bem  ©d^lran!  „2)er  Stator",  in  ber  ©cene,  lüo  ber  S3e» 
iDunberer  bem  5(utor  feine  ßJebic^te  üoviefen  mitt,  ein  atler= 
Iiebfte§  njarnenbeS  S3eifpiel  baüon  gegeben. 

5tutDr:    Sie  brücfen  fiel)  abev  -furioie  au§. 
33en)itnbevev:    (S§  mu\]  immer  au§  bem  inuerften  ©emütf)  I;evaü§, 
Hub  oft  iuitl  e§  nicl)t  meicl)en  imb  loanfen, 
Oft  fe^fen  luo^I  felbev  bie  ©ebanfen, 
'3)a  mufj  man  bie  (Spnidje  recljt  bei  ber  SBur^el  friegen, 
9lU)§  bem  ^nnerften  iprcd)en,  eö  mag  bred)eu  ober  biegen, 
«So  ift  eö  mir  )d)on  oft  gelungen, 
3u  geratfjen  auf  treffiidje  95orftelIungen. 

SBorauf  er  foIgenbeS  65ebic§t  öorträgt: 

©titte,  ftiae 
2Bie  bie  SSelle, 
^n  ben  Seen 
33Iumen  ftedcn, 
5(u  bem  9iaube 
©anfle  5Banbe, 
Unb  c§  flimmern 
2iu  ben  Sd)imnu'ru 


^tpoHü  unb  2^toni)io§.  109 

8iil5e  Jone, 
91  d)  luie  jdionci 
jlomin'  unb  fröne 
3}cein  Sscilangen, 
S'enu  bein  Santjen 
Sl't  fo  feine 
5Sie  bie  Sterne, 
Siebe^blicfe 
91 U  mein  ®Iücfe, 
SBinben  (vlammen 
Sicf)  jujamnieu, 
®nf3  fie  id)Uiammen; 
9lrf)  bie  fd)öne  3eit, 
^eit!  weit! 

£)b  löir  nun  in  ber  9ionmntt!  balb  auf  ein  Stulfd^luetfen 
in  bnnüen  ®efüt)Ien  treffen,  balb  anf  SSergötterung  be§ 
^nnftoerftanbe»  unb  ber  Sl'ritif,  ha^^  mörfite  ic^  eben  öor 
eitlem  betonen,  baß  ba§  3bea(  ber  romantifcben  5left^etif 
eine  S?eretnigung  üon  gü^Ien  unb  S5?iffen  irar.  ®a§  luiff 
auc^  bie  lange  Srflärung  ^riebricf)  ©c^Iegel'g  fagen,  üon 
berief  nur  ben  5(nfang  |ier  anführen  njill: 

„Si^ie  romantifdie  ^oefie  i[t  eine  progreffioe  Unioerfaf- 
poefie.  St)re  Seftinimung  ift  nid^t  bloB,  alle  getrennten 
Gattungen  ber  ^oefie  tüieber  5U  vereinigen  unb  bie  ^oefie 
mit  ber  ^t)iIofop^ie  unb  9töetorif  in  $8erü^rung  ju  fegen. 
Sie  toid  unb  fotl  auc^  ^oefie  unb  ^rofa,  (Genialität  unb 
Slritif,  ßunftpoefie  unb  Siaturpoefie  batb  öermifcfien,  balb 
oerfd)me(5en." 

S)a§  SBort  „romantifiren",  ha^  befonber§  bei  91oüati§ 
I)dufig  oorfommt,  !ann  man  gunjetfen  burd^  „Seluu^tmerben" 
ober  „SelüuBtmad^en",  balb  burd)  „Unberou^tiücrben",  „Un» 
beipufetmac^en"  überfegen.  ?(u§  ber  ^^üUe  ber  biefe  2Infid)t 
beleuc^tenben  5lp^ori§meu  fann  td^  nid)t  unterlaffen,  nocf) 
einige  ^ier  jufammenjuftellen. 


110  5lpo[Io  unb  SionljfoS. 

„®ente  tft  jtüar  ntd^t  @ac^c  ber  Sßillfür,  ober  bod^  ber 
grei^ett,  tüte  2Bi^,  Siebe  unb  ©lauben,  bie  einft  fünfte 
unb  2i3iffenj(f)a[ten  luerben  muffen.  SJian  fod  Hon  ^eiin' 
mann  ©enie  forbetn,  aber  ot)ne  e§  5U  ertüarten.  @tn 
Kantianer  iDürbe  bie§  ben  fategorifd^en  Smperatiö,  bie 
Genialität  nennen." 

„Sn  jebem  guten  Öiebicfit  muß  Me§  5lbfic^t  unb  me^ 
Snftinft  fein.     S)aburc^  h)irb  e§  ibealifc|." 

„®ie  ganje  ÖJefc^icJ)te  ber  mobernen  ^oefie  ift  ein  fort* 
laufenber  Kommentar  gu  bem  furjen  Segte  ber  ^§iIofop§te: 
atte  ^unft  foll  SBiffenfc^oft  unb  alle  Söiffenfc^aft  fott  ^unft 
werben;  ^oefie  unb  ^()iIofD^f)ie  foüen  geeinigt  fein." 

„S)ur(f)  ^unft  allein  tüirb  ber  SJlenfi^en  5U  einer  teeren 
gorm;  burc^  5)Jatur  allein  luiib  er  toilb  unb  liebloS." 

„®a§  33orrecl)t  ber  Statur  ift  gülle  unb  Seben;  ba§ 
SSorrerfit  ber  ^unft  ift  (Sinl)eit." 

„9f{eine  Siebe  ift  fc^lec§t|in  arm;  alle  t^re  gülle  ift  eine 
(Bäht  ber  9iatur.  Steine  9iatur  ift  nichts  cl§  gütte;  alle 
|)armonie  ift  ein  (S^efc^enf  ber  Siebe,  ^^reunblic^  begegnen 
fi(f)  i^re  beiben  Unenblid^fetten  unb  bilben  ein  neue§  ©anjeg, 
n:)elc^e§  aU  bie  ^rone  be§  Seben§  greifieit  unb  ©d^icffal 
bereinigt." 

liefen  2Iu§fprüc^en  üon  ^yriebric^  Sc^tegel  füge  ic^  noc^ 
einige  Oon  3ftoüaIi§  ^in§u: 

„®ie  Statur  tüirb  moralifd)  fein,  tüenn  fie  au§  echter 
Siebe  jur  ^unft  fie|  ber  ^unft  t)ingiebt,  t|ut,  lüo§  bie 
S?unft  tüitt,  bie  i^unft,  hjenn  fie  au§  ed;ter  Siebe  5ur  9Jatur 
für  bie  9^atur  lebt  unb  mit  ber  5Katur  arbeitet.  SSetbe 
muffen  e§  jugleic^  au§  eigner  2öal)I,  um  i^rer  felbft  tüiHen, 
unb  au§  frember  2Bal)l,  um  be§  Slnbern  tüillen  tl)un.  @ie 
muffen  in  fic^  felbft  mit  bem  Slnbern  unb  mit  fic^  felbft 
im  Slnbern  gufammentreffen." 


9lpoI(o  unb  ®iomjfo§.  111 

„^iae§  Unlinnfürtic^e  fort  in  2öt(lfürltc^e§  geluanbea 
lücrben." 

„®te  2:rennung  üon  ^£)tIo[oprj  unb  5)i(f|ter  ift  nur 
fd^einbar  unb  jum  !:)tad)t^etl  fieiber.  (£»  ift  ein  ^eic^en  einer 
^ranf^eit  unb  franff)aften  (Sonftitution." 

„Se^t  ift  bcr  ©eift  au§  Snftinft  ÖJet[t,  ein  D^aturgeift, 
er  foH  ein  5öernunftgeift,  au§  ^efünnenl)eit  unb  burc^  ßunft 
®ei[t  fein." 

Unter  biefem  ©ebantenf^ftem  ^at  ^^i^iebri^  @(i)(egel  in 
feinem  bebeutenbften  SuS^nbluerf,  über  ba§  ©tubium  ber 
griecf)if(^en  ^oefie,  bie  antife  unb  moberne  ^unft  in  i^ren 
Unterfc^ieben  betrad^tet.  @r  bebient  fic^,  um  ta^  Unbelüu§te 
unb  33eir)u§te  ju  bejeic^nen,  geiüö^ntic^  ber  5lu§brüc!e  Srieb 
unb  Slbfic^t,  julpeilen  and;  für  Srieb  be§  fpäter  burd^ 
(Sd^open^auer  geläufig  gelüorbenen  äöilTen.  ©c^on  Qafob 
S8ö^me  nannte  ben  organifc^  luirfenben  ^rieb  SSitten  unb 
leitete  ha§  Söort  ah  üon  bem  Stallen  bei  immer  fc^iuangeren 
@eifte§,  beffen  t^unftion  e§  fei,  bie  innere  ©eburtägeftatt 
mit  unb  in  feinem  Seibe  barjuftellen.  Xie  antife  ^^^oefie 
nun,  fagt  ©d^Iegel,  fei  eine  «Schöpfung  be§  Sriebel,  hie 
mobeine  eine  ©(^öpfung  ber  Slbfic^t.  2Ba§  ber  S;rieb 
^eröorbringt,  prangt  in  organifc^er  S3of(enbung  unb  ?}ülle; 
e§  fei  baran  nid6t§  ju  tabcht,  luie  jebe  ^ftanje  in  i|rer 
5(rt  ift  e»  fc^ön.  5Jiid^t  genug  fann  ©d^Iegef  hit  reijenbe, 
feiige  SSoUfommen^eit  jener  9laturfunft  rühmen,  hit  hnxä) 
bie  „d^^mifd^en  Serfuc^e"  be§  SSerftanbe*,  fein  nnUfürlicEiel 
©d^eiben  unb  SJJifc^en,  nur  5errüttet  mirb.  5lber  nid^t§- 
beftoiueniger  n^enbete  er  fid^  gegen  ta^  allgemeine  S3orurt(ieit, 
el  fei  bie  ^unft  nic^t§  aU  eine  grüi^tingSbtüt^e  ber  ^Jfenfd^" 
^eit,  beftimmt,  ju  blühen,  5U  reifen  unb  ju  roetfen,  nichts 
aU  ber  unmillfürlid^e  (Srgu^  eine»  leibenfd^aftlii^en  ^erjenS 
ober  eine§  unbeluu^ten  9Jaturmenf(fjen,  nid^tS  aU  ein  fü^er 


112  ?().->onD  unb  Sioni)iD§. 

^inbertraiim,  ber  im  Sichte  ber  23ilbung  unb  SBiffenfc^aften 
jerflie^en  muffe,  ^k  ^unft  §tnar,  bte  ber  unbeitnt^te  2:rteb 
fieroorbringt,  öergel^t  tute  jebe  S3ilbung  ber  9Zatur;  afcer  e§ 
gtebt  eine  anbre,  luelc^e  einen  fe^enben  gü^rer  f^at  „@o 
iine  e§  eine  ^oefie  giei)t",  fagt  Saaber,  „W  a^nenb  unb 
träumenb  bem  ©ebanfen  öorange^t,  fo  giebt  e§  eine  beffere 
^oefie,  lüeld^e  bem  flaren  ©ebanfen  fiel  gugefeHenb,  i^m 
bienenb  folgt."  e^ür  btefe  luerbenbe  ^oefie,  bie  ha^  SSc» 
tuu^tfein,  tangfam  ^toax  unb  auf  ^rrlüegen,  ber  SSeröott* 
fommnung  entgegenfü^rt,  giebt  e§  ben  ^Jatur^iüang  be§ 
©intens  unb  53erge^en§  nid^t,  tüdi  e§  feine  ©c^ranfen  be§ 
?5ortfd;rttt§,  ber  SBeiterentroirflung  für  fie  giebt.  ^n  @oet§e'§ 
Grfc^einung  erblicfte  ©erleget  eine  S3ürgfd§aft,  ha'^  bie  burd^ 
ba§  33eiüuBtfein  öerlorene  @(f)ön]^ett  mit  33en)u§tfein  lüieber" 
gewonnen  werben  tonne,  unb  jtüar  aU  eine  untiergänglic^e. 
tiefer  SlbIer  =  Dptimt§mu§  mit  ber  2)et)ife  ,,Asrondam" 
mai^t  bie  Siomantit  fo  etüig  jung  unb  l^errlic^.  Sie 
ätt)eifelten  nidft,  ba^  fie,  tüenn  auc§  ^unbert  Tlai  gebtenbet 
unb  gelähmt,  ein  Tlat  ba§  Slntli^  ber  ©onne  berühren 
lüürben.  Unerfcfiütterlicf)  mar  ii)x  ©taube,  ba§  alle  ®e- 
fpenfter  unb  ©c^reden  ber  SJiitternac^t  fid^  im  ^age?Iic£|te 
in  fc^öne  2Birt(ict)!eit  oeripanbeln  müßten,  ha^  jeber  ©d^merj 
be§  £eben§  nur  auf  einer  ^'äufc^ung  be§  nod^  umflorten 
3tuge§  beruhe.  Sie  moberne  ^I^antafie  benft  fic|  it)re 
Siebter  nic^t  blinb,  loie  bie  bitten  ben  |)Dmer  unb  2)emo= 
bofog.  ©c^tegel  erinätint,  e§  fei  nad^  ^inbor  eine  alte 
©age,  „ta'^  ber  Sid^tcr,  n)enn  er  auf  bem  ©reifufe  ber 
S)Jufen  fi^e,  nid^t  bn  ©innen  fei,  fonbern  mte  eine  Cuelle 
aUeS  ^itftrömenbe  lüittig  öon  feinen  Sippen  ffie^en  taffe." 
©emotrit  foll  bie  befonnenen  5)ic|ter  bom  ^arna^  üerbannt 
laben.  Unb  fc^tie^tid)  fagt  ber  platonifd^e  ©otrateS  im 
^^t)äbro§:    „2öer   fid)    aber    o^ne    9iaferei   ber   SOiufeu    ber 


9(|5o((o  uiib  5?toni)io§.  113 

Pforte  ber  ^oefie  nähert,  in  ber  9JJetnung,  bte  ^unft  atlein 
fönne  if)n  fc^on  jum  Siebter  machen,  ber  bleibt  unüottftäubig 
unb  gelangt  nidjt  in'^  ^etligttjum;  er  unb  bie  ^oefie  be§ 
S^üc^ternen  finb  nid^t»  gegen  hie  ^oefie  be§  Üiafenben."  2tm 
ou§brü(IIic^[ten  öerrät§  hk  Sliiffaffiing  ber  (Sriec^en  bie 
(Sage,  bn^  ^uno  ben  Seirefia§  blinb  mad^te,  ei^e  fie  i|m 
bie  @abe  ber  2Bei[[agung  öerliet>  2Barnm  hk^?  ®a§ 
Setüu^tfein,  ba§  bem  gried^ifd^en  Siebter  tieri)ü(It  tüerben 
mu^te,  luenn  er  fingen  joHte,  tuar  onberS  aU  bn§  unfrige. 
(5§  mar  nur  öon  ber  äußern  SSelt  erfüllt.  @r  richtet  fein 
Singe  fo  unüeriüanbt  auf  biefe,  bafj  e§  ifem  geiüaltfam  nad^ 
innen  gefe^rt  Uierben  mu§,  bamit  c§  bie  ^tvdk  §älfte  ber 
SSelt,  bie  innere,  loa^rnimmt.  S)er  moberne  Wm\d),  in  / 
beffen  SeiüuBtfein  ba»  Unbemu^te  fic|  aufjuröfen  beginnt,  ■ 
ift  üon  9?atur  ber  biDnt)fifc^e;  aud^  nüd^tern  eiütg  berauf d^t 
üon  ben  betäubenben  2)ünften,  hk  burc^  bie  ©palte  c^x^ 
bem  '^QxÜQvdtWti  be§  (Srbinnern  auffteigenb  fein  ^oupt  um- 
fd)n?eben.  @r  mu§  ^porio  anrufen,  ho!^  bie  ßlar^eit  be§ 
(Sonnengottes  fein  üertnorrene^^  Stammeln  orbne.  (Sine 
SelSptatte  bebedte  bie  oerfiängni^ooUe  Spalte  im  Innern 
bc§  antifen  SJ^enfd^en;  ungetrübte  Sid^t^eÜe  ^errfcfite  in 
feinem  opoHinifi^en  Raupte.  (Sr  mu^te  5U  ^iont)fo§ 
flcl^en,  ba^  er  mit  ber  traft  feine§  ®ötterrauf(^e§  ben 
(Stein  föegiüätäte  unb  bie  fefte  ©rbe  erfd^ütterte,  \^\%  bie 
magifd^e  ®eburt  fid^  au§  i^rem  Sc^oo^e  löfte  unb  nac^ 
oben  ftieg. 

®a§  2Ber!  eine§  biont)ftfc^en  ®ic^ter§  tuirb  ftd^  burd^ 
(Stimmung,  SReic^t^um  unb  güUe  auS^eid^nen,  aber  föäj^renb 
man  fid^  im  Sefen  an  taufenb  Sinjel^citen  erfreut,  toirb 
man  am  önbe  n^unberlid^  enttäufc^t  fein;  gegen  ba§  ©anje 
hJtrb  fid^  ber  etiuaige  Sabel  richten.  %tx  apoHtnifc^e  SDic^ter 
ift  ärmer  unb  fälter,  aber  er  ^at  bie  gorm  in  fetner  ©e-» 

jQuc^,  Siomantifcr.  8 


114  St^oHo  unb  2)ionl)fo§. 

toali,  unb  beS^alb  tüirb  fein  2Ber!  bie  ^terjen  im  erften 
Slugenblid  Jüentger  ent^ünben,  aber  e§  Jüirb  leben  unb 
bauern.  ®te  gorm  t[t  ba§  Drgantfc^e  unb  n^irb  au§  bem 
UnbeiDU^ten  |erau§  gefd^affen,  bie  feinste  SSitbung  unb  güHe 
be§  ®eifle§  fann  fie  nid^t  geben;  ber  Körper  mit^  au§  bem 
^ör|3erli(f)en  geboren  tüerben.  ^n  ber  @l)mboIif  ber  griec^i»» 
fd^en  9)Zl)t!§oIt)gie  bebeutete  5Ipolto  W  CSin^eit,  ®iDnl)fo§ 
bie  $ßieli)eit. 

^n  ben  füblii^en  Sänbern  folgen  Xüq  unb  S^ac^t  einanber 
o^ne  Uebergang.  5lm  Steige  ^errfd^t  befpotifc^  bie  un» 
gemilberte  ©onne,  erft  in  ber  9kdE)t  roagt  fid^  ba§  Seben 
^eroor,  S^^iere  unb  9J?enf(f)en  breiten  il^r  ©emütf)  öertrauen§= 
üoU  gegen  ben  üerbunfelten  ^immel  au§.  Sn  ben  nörb» 
lid^eren  breiten  giebt  e§  ga^Kofe  Uebergänge.  Unb  felbft 
im  I)ei|eften  ©ommer  ift  ber  %aQ  bod^  bie  ^eit  be§  5lr= 
beiten§  unb  2Sad£)ene,  ber  ©d^Iaf  fäUt  immer  in  bie  S^ac^t. 
®er  Sag  fd^miljt  allmälig  in  bie  'tflad^t  iiinüber,  bie  9cac^t 
in  ben  %aQ.  ^n  unfern  S)ämmerung§träumen  !önnen  tt)ir 
a^nen,  toie  e§  fein  mag,  toenn  toir  einft,  lüie  9ioüaIi§  fagt, 
immer  gugletc^  fd^Iafen  unb  load^en.  SSer  bie  norbifd^e 
Sommernacht  fennt,  Juo  fid^  gtuei  Wttxe  oon  ©onnenfd^ein 
unb  9}?onbfd^ein  gegenübernpogen,  ol^ne  ha^  ein§  im  anbern 
erlifc^t,  fann  fid^  OielteidC)t  nod^  ein  beffere§  SSilb  öon  biefem 
9}Jt)fterium  mad^en. 

S)aä  3iüie(id)t  ift  e§,  ha^  ben  3^orben  jur  ^eimat  ber 
3flomantif  mad^t.  Unb  bie  ®efat)r  be§  mobernen  ^ünftlerg 
liegt  barin,  bo^  er,  öon  ber  Dämmerung  t)er5ärtelt,  ben 
Sag  ni(^t  me^r  ertragen  fann.  (Sr  öergi^t,  ba^  rüftigeS 
©d^affen  nur  am  Soge  möglid^  ift.  ^tniiier  ftärfung§= 
bebürftig  fd^lie^t  er  oor  bem  Sage  bie  5(ugen  im  5S3a()ne, 
't)a^  bann  3^ac^t  fei.  9lber  bie  baIfomif(^en  Duellen  be§ 
©ternen^immel§  betrauen  i^n  nid;t;   fd^Iaff  unb  ücrbroffen 


9(pD[(o  nnb  '4)iüm)io§.  115 

crmac^t  er  au§  feiner  tünftlid^en  ytac^t  unb  finbet  fic^  un- 
fähiger aU  giioor. 

SBie  hu  9Jad^t  S^röfterin  unb  jugleid^  Sntfe^en  ber 
SJienfd^en  ift,  fo  ift  e^  mit  bem  Unbenju^ten.  2)al  Un- 
beuui^te  ift  ha§  ©ämonifc^e.  SlJJan  fann  einen  Haffifc^en 
unb  einen  mobernen  2)ämDnilmu»  unterf (Reiben:  ber  belDuf5te 
9}Jenfd^  ift  bämonif^,  menn  ba§  Unbelru^te  in  i^m  erfd^eint, 
ber  unbeiDu^te,  lüenn  e»  in  il^m  tüixlt.  (Seluö^nUd^  nennt 
man  nur  ben  erfteren  bämonifd^,  in  bem  ha^  öerfunfene 
9x{)eingoIb,  ba§  Bei  anbern  SJJenfc^en  ungefe^en  in  ber 
unjugänglic^en  5;iefe  ru§t,  beftänbig  in  fcfiiuebenber,  fc^man- 
fenber  53eiuegung  nac^  oben  ift,  fo  baf3  ein  bunte»  Sli^en, 
glimmern  unb  gunfeln  üon  (Söelfteinen  burcö  ha^  tüedifelnbe 
©elüäffer  ber  Seele  gucft;  benn  ha^^  bämonifd^e  SBefen  ber 
naiöeren  SD^enfd^en  tüirb  nid^t  erfannt,  bi§  einmal  au§  itjrem 
immer  ru|eootIen,  fpiegelglatten  ®emüt[)e  unoorbereitet,  un- 
geaJint  eine  befeligenbe  ober  öernic^tenbe  S^^at  fpringt,  tüie 
au§  bem  fc^Iummernben  SJJärc^enfee,  Joenn  bie  ©eifterftunbe 
gefommen  ift,  ber  fd^leierlofe  2eib  ber  S^üje  glängenb  ^er- 
öorfteigt, 

2lu§  ber  SSec^feltüirfung  jlpiff^en  bem  33eiüu^tcn  unb 
UnbettJuBten  entf:prtngt  bie  9}iagie.  9iein  t^eoretifc^,  burd^ 
bie  ftürmifd^e  donfequeng  feine§  ©enfenl,  beftimmte  5RoöaIi§ 
ba§,  tüa§  wir  je^t  aU  |)t)pnoti§mu§  fennen.  2)a§  ^Se« 
^errfc^trterben  be§  UniuiUfürli^en  burc^  ba§  Semu^te  n^ar 
fein  Xogma.  5(ud^  ber  belou^te  ©eift  be§  SFJenfc^en  I)at 
feine  förperlic^e  @rfd^einung§form,  bn§  Serebralft)flem,  aber 
fein  25?irfen  ift  nic|t  an  förperlid^e  SSermittfung  gebunben, 
fonbern  fprtngt  über,  n)ie  ein  eleftrifc^er  gunfe,  auf  anbre 
©eifter.  „Mk  geiftige  33erü|rung  gleid^t  ber  S8erüf)rung 
cine§  3aut)erftabe».  9lIIe§  fann  jum  ^fluberiuerfseug  werben." 
23aaber  fü^rt  einmal  aU  Ciitat  au§  einem  „übrigen^  :|3offir- 

8-^ 


116  5{|3ono  imb  ®tom}iD§. 

lid^en  ©(^riflftclter"  bte[e  merfmürbtgen  SSorte  an:  ha% 
tvex  nur  t)e§  ®etj"ie§  genug  in  fic^  ^ätte,  nm  i^n  ouc^  in 
frembe  Sei6er  jpebiren  gu  fönnen,  biefe  Seiber  öon  innen 
I)erau»  bemegen  lüürbe,  iDte  feinen  eigenen.  —  2Ba§  ie|t 
erfüllt  ift,  fe^te  3ioüaIi§  aB  logifd^  not^tuenbig  öorauS  nnb 
folgerte  tueiter,  ha^  nid^t§  aU  unfre  eigene  ©(^luäc^e  nnb 
Unfertigfeit  biefer  SBirffamfeit  be§  ®eifte§  auf  bie  9Jatur 
eine  «Scfjranfe  fe|e.  ^od)  fönnen  mir  meber  unfre  eigene 
©omnambule,  norf)  bie  ber  Slnbern,  nod^  bie  eine  gro^e 
(Somnambule  Statur  ööUig  magnetifiren;  aber  er  meiffagt 
eine  ^eriobe  ber  3JJagie,  n^o  ber  Körper  ber  ©eele  ober  ber 
©eifteriüelt  bienen  loerbe.  „^er  p^ijfifcfie  9)?agu§  n)ei§  hit 
^ainx  §u  befcelen  nnb  iDittüirltd^  loie  feinen  Setb  ju  be- 
^anbeln."  21I§  folc^en  a«agu§  fc^ilbert  bie  Sßlbel  ©ott, 
ber  fpradfi:  e§  njerbe  Sidfit!  unb  e§  iparb  Sid^t.  SDaS  !ommt 
einem  in  ben  «Sinn,  menn  man  bie  merfiuürbige  ^oü^  üon 
3^oOaI{§  lieft:  „(S^efä^rlti^e  ©ebanfen.  ^^iä^ern  fid^  ettua 
manche  ©ebanfen  ber  magifd^en  (Strenge?  SSerben  manche 
de  facto  UJO^r?"  ®elüt§  £)at  e§  ^eber  fd^on  in  ftd^  erlebt, 
ha'^  er  irgenb  einen  bunüen  auftau(^enben  ©ebanfen  rafd^ 
erbrücfte  in  bem  plö|lid^en,  ma^nfinnigen  2lngftgefü(}(,  er 
!önnte  mit  ein§  tuirflic^  werben. 

Sa  nun  ber  ®eift  fo  nnab!^ängig  üom  Körper  ift  ober 
ein  lann,  fo  mu^  er  aud^  unob^ängig  öon  i§m  leben  unb 
erfc^einen  fönnen.  SSenn  er  in  ein  frembcg  58en)U§tfein 
überget)t  unb  öon  bort  au§  einen  fremben  Körper  regiert, 
erfdieint  er  ja  gelriff ermaßen  fd^on  in  biefem;  man  ^at  oft 
beobachtet,  ba^  Tlaim  unb  grau,  bie  ja,  iDenn  fie  in  inniger 
©eelengemeinfdfiaft  leben,  fic^  gegenfeitig  ^l^pnotifiren,  einanber 
ä^nlid;  merben.  ^ann  er  atfo  fic^  in  einem  fremben  menfdfi= 
lid^en  Körper  materialifiren,  lüie  hit  jetügen  ©piritiften  e§ 
nennen,  fo  barf  man  bie  Folgerung  nic^t  au^f^Iie^en,  bafs 


Sf^joHo  itnb  SDionijioS.  117 

er  e§  in  jebem  beliebigen  (Stoffe  gu  tijim  fä()ig  fei.  ^te§ 
etwa  mag  ber  ©ebanfeiigang  3loüali6'  geiuefen  fein,  aB  er 
golgenbeg  nieberfc^rieb:  „®a§  unHfürIid;fte  5Sorurtfjeit  ift, 
M^  beut  9}?enfc^en  boo  SSermögen,  aufeer  fid^  ju  fein,  mit 
iöelun^tfein  jenfeit»  ber  (Sinne  ju  fein,  öerfagt  fei.  ®er 
93Jenfc§  öermag  in  jebent  Stugenblicf  ein  überfinnli(^e§  Söefen 
ju  fein.  D^ne  ta^  tuäre  er  nid^t  SBettbürger,  er  umre  ein 
Sfiier.  greilicl  ift  bie  S3efDnnen()eit,  Sid^fdbftfinbung  in 
biefem  ^uftanbe  fe^r  fd^iüer,  'öa  er  fo  unauf^örli^,  fo  not^* 
n^enbtg  mit  bem  SBec^fel  unfrer  übrigen  ^uflänbe  berbunben 
ift."  —  „SDie  ©eifteriüelt  ift  nn§  in  ber  S^at  fcfion  auf" 
gefi^Ioffen,  fie  ift  immer  offenbar!  SSürben  loir  plö^Iic^ 
fo  elaftifd^,  üU  e§  nöt^ig  märe,  fo  fällen  luir  un§  mitten 
in  ii^r.  Unfer  je^iger  mcingel£)after  ^uft^nb  ma^t  immer 
eine  ^cilmetl^obe  nöti^ig,  fie  beftanb  eljema(§  in  gaften  unb 
moraüfd^en  Steinigungen,  je|t  märe  dielleic|t  bie  ftärfenbe 
äJJet^obe  nötJ)ig."  5)a§  ()ei§t:  et)emal§  mu^te  man  ha§ 
llnberou^te  bämpfen  unb  ba§  Semu^tfcin  ^eben,  fe^t,  tnie 
ha§  S3emu§tfein  fid^  burc^  Stufna^mc  be§  Unbeiuu^ten  unb 
auf  feine  Sloften  erweitert  Ijat,  mü§te  man  umgeW;rt  oer= 
fahren. 

(So  traten  bie  Stomantifer  bie  erften  Sd^Iäge  an  bie 
^Pforte  Der  ©eifterföelt,  an^  lüelc^er  balb  ha^  unheimliche 
9iad^tüolf  in  ©c^aaren  lerborftrömen  fotite.  2)ie  güfjrer 
maren  nic^t  fc^ulb  an  ben  SSerirrungen  unb  SRiBöerftänb^ 
ntffen  ifjrer  jünger;  fte  fonberten  gmar  SJatur  unb  ®eift, 
aber  fo  ei-trem  fie  auc^  it)re  5lbftra!tionen  bcrfolgten,  be* 
hielten  fie  hod)  i|re  (£ini)eit  im  Sinne  unb  modten  nie  ta^ 
(Sine  o^ne  ba§  2tnbre. 

9)Jan  fann  fi^  bie  »Stabien  be§  Seiou^tfeinS  an  einem 
matt)ematifd^en  Silbe  flarmadien.  2)er  £rei§  mu^  un^  bie 
üollftänbige  Unbemu^tEiett  öorfteUen,  lüo  bie  beiben  ^lälften 


118  5t|3one  unb  ®toni)Jo§. 

be§  ^d)  nod^  unsertrennt  finb:  ber  ^rei§  tft  eine  GCttpfe, 
in  ber  bie  betben  Srenn|3un!te  jufammenf allen.  S)te  @IItpfe 
ttiäre  bann  bie  gorm  be§  üoHenbeten  @elbftbeli)u^tfein§,  mo 
jeber  ©tra^I,  ber  bon  bem  einen  @ee(enbrenn^unft  auSgel}!, 
nad^  bem  anbern  refleftirt  tütrb.  Slu§  ber  ©ttipfe  aber 
h)irb,  njenn  man  hu  2)urci^fc^nitt§ebene  be§  Greife?  jo  bre|t, 
ba^  fie  fetner  ©ettenlüanb  |)arallel  tüirb,  bie  ^arabel,  ba§ 
t)et^t,  ber  eine  33rennpunft  rüdt  in'§  Unenblii^e,  bie  un= 
bemühte  (Seele  bereinigt  \iä)  mit  ber  9Jatur.  S)a§  !önnte 
man  ba§  Mbeföu^tfein  nennen.  Seber  ^unft  ber  Unenb- 
lic^teit  ift  SSrennpunft  für  ba§  ^ä)  gelt)orben;  fein  @traf)I 
gel)t  bom  Unenbli(^en  aü§>,  feiner  bom  ^d),  ber  ni(^t  nac^ 
^ier  unb  bort  refleftirt  ibürbe.  Sre^en  mx  bie  Sbene  nun 
nbd^  tüetter,  bi§  mir  luieber  beim  Jllreife  angelangt  luören,  fo 
I)ätten  ibir  ein  58ilb  be§  romantifirten  UniberfumS,  be§  be- 
wußten ßf)ao§. 


Scr  vomauti)c()c  (ii}avaUn\ 

SBJct  etiDQ§  UneiiB(tcfic§  \mü,  ber  lueift 
tücf)t,  luaä  er  luiU;  aber  umfcßrcn  läfet 
ftd)  Blcier  ©qI>  iiicfjt. 

Öriebr.  ©^(egelj^ 

C  wie  iued)ielnb  ift 
S)Dd)  mein  ©emütf),  jo  luanbelbav  ueränbevlid) 
3l"t  nid)t§  mef)r  in  ber  weiten  Söelt:  beim  balb 
SBin  id)  fo  glüdlid),  jo  uon  ^erjen  Ixot), 
<Bo  in  mir  felber  groß,  ba)!  id)  mit  g-red)f)ett 
Sie  Steine  pflüden  mi3d)te  unb  mie  Slitmen 
3um  Ätanje  für  mein  4'>flupt  jujammenjledjtcn. 
©in  Stugenblid,  jo  med)jelt  bieie  g-lut^, 
Sie  tritt  äurüd  nnb  mad)t  bav  Ufer  nadt, 
Unb  ärm(id)  büntt  mir  bann  mein  gauseS  ^nn're. 
S)aun  tonnt  tc^  mit  bem  33ettler  taufd)en,  jterben, 
Sn  fenie,  nie  befudite  ^LUjIen  tried)en, 
^n  ewiger  33etrad)tung  meine§  ^"'"'"ei'3 
©in  Iange§,  qualenuoüey  ilibtn  fd)madjten. 
®ann  jef)'  id)  i()ren  33Iid,  ein  i!äd)eln  grü^t 
S)cn  eingefrümmten  ®ei[t,  unb  5(l(e§  ift 
SBergeffen,  mir  ge()i3rt  bie  ganje  5BeIt. 

®a§  ift  ber  romantifc^e  ß^arafter,  lüte  er  träumertfd^, 
bie  2(ugen  in  ben  SBoIfen,  burd^  bie  SBerfe  ^iecf'g  unb 
feiner  ©efö^rten  icanbert,  i§r  eigener  Doppelgänger;  ber 
belüu^tlüerbenbe,  ber  moberne,  in  bem  (Steift  unb  ^atux,  t)on 
einanber  geriffen,  ficö  immer  iuieber  berühren  unb  5U  Oer^» 
mifc^en  ftreben,  um  Ijeftiger  aug  einanber  ^u  fliegen;  ber 
"ba^  ftarfe  S3anb  nic^t  ^at,  ba§  fie  trennt  foiuoi)!  luie  der» 
einigt.     2Ba§  i^m  fetjlt,  ift  (S^arafter  unb  Harmonie,  aber 


120  ®ei-"  i"omantiid)e  Gf;avafter. 

er  Ijat,  luenn  man  ben  23erü^rung«puuft  be§  Unbetuu^ten 
unb  58elüu§ten  fo  nennen  barf,  ©eele.  (5r  ^at  einen 
Körper,  in  bem  ha^  an^gelaffene  ^erj  Balb  gu  gefi^iuinbe, 
balb  äu  träge  üopft,  ein  ©efidEit,  nu»  bem  un§  fnc^enbe, 
a^nenbe  fingen  öolf  ®e|eimnt§  anfet^en. 

2)er  2(u§fpruc^  5riebric§  ©c^Iegel'l:  „5n?on  nennt  ötete 
Kün[tter,  bie  etgentttc^  Kun[tlüer!e  ber  9ktur  finb",  tft  auf 
tit  meiften  Stomantüer  anjutüenben;  Ujeil  [ie  feI6[t  im 
«Strome  be§  ©eftattetmerbenS  flutteten,  tonnten  fie  nic^t 
geftalten  unb  lüollteu  e§  bod^,  rvtii  fie  beffer  aU  ein 
gertiger  tunkten,  vok  e§  babei  jugel^t.  ©ä  tft  erftaunlic^, 
i,-'  bi§  5U  ttjeld^em  ©rabe  e§  S:iecf  mißlang,  9)ienfd^en  gu 
fd^affen.  ®ie  unjäi^Iigen  ^erfonen,  bie  in  feinen  $8üc§ern 
auftreten,  finb  nid}t§  aU  bunte  Figuren  einer  Lateina 
magica,  bte,  auf  eine  SBanb  geluorfen,  marionettenortig  mit 
judenben  iöeluegungen  an  bem  ^Befc^auer  üorübergleiten. 
(Sie  fpringen  in  erftaunlic^er  güHe,  mü§elD§,  au§  feinem 
^Dpfe;  eben  Jueil  e§  nur  lopfgeburten  finb,  o^ne  gleifd^ 
unb  Sein,  „(gg  gtebt  älüei  5lrten,  SJJenfd^en  ju  fc^ilbern", 
fogt  9bbati§,  „bie  poetifd^e  unb  bie  lüiffenfd^aftltd^e.  S^ne 
gibt  un§  einen  burd^aug  inbiüibnellen  Quq  —  ex  ungue 
leonem  — ,  biefe  bebucirt  doKftänbig."  Xkd'§>  5lrt  ift  hk 
luiffenfd^aftlidfie,  unb  infofern  ^aben  feine  äRenfd^en  ein  un= 
enblicf^ea  ^ntereffe.  Tlan  mu§  il^nen  bie  aufgelebten  (Stt- 
quetten  abreißen  unb  fie  aUefammt  Sublyig  3:iecE  nennen; 
benn  in  2öal)r£)eit  finb  fie  nur  Srec^ungen  biefe§  einen 
Stra^Ieg.  SIu(^  finb  tnir  i[)m  für  feine  Strt  §u  fdjilbern 
bantbar;  benn  e§  märe  fc^abe,  einer  fo  Üinftlid^en  Spielul^r, 
U)ie  e§  ber  romantifd^e  GfjaraÜer  ift,  nur  jusupren  unb  fie 
tiid^t  auc§  einmat  aufäumatf)en  unb  im  Snnern  arbeiten  ju 
fet)en  —  voir  ce  qn'il  y  a  dodans,  fagle  ein  Keiner  Sunge, 
e§e  er  fein  Spieljeug  gerbrad^. 


S)er  romantifcf)e  (5f)arafter.  121 

Sn  bem  i)armDni[cf;en  SOJenfd^en  enttütdeln  fid^  bie  beiben 
SöefenSljälften,  2JJann  iinb  2Beib,  Xljter  unb  ©ngel,  glcic^«' 
mä^ig,  fobafj  fie  in  guter  Slanierabfc|aft  neben  einnnber  aiig« 
I)alten  Bnnen,  liue  bte  alten  germantfc^en  |)etbengötter  nie 
o|ne  ein  eble§  S|ier  erjc^ienen,  ba§  {I)nen  gemö^  mar;  ber 
romantifrfie  9)?enf(^  tjt  eine  ^erfonificirte  unglücEIid^e  (S^e 
unb  9Jii§l)eirat() ,  geipöljnltd^  be»uiegen,  lueil  bie  grau  fic^ 
bem  9J?anne  überlegen  füljü,  mauc^mat  audj  tueil  jie  i^m 
ni(f)t  geiüa(f)fen  ift,  unb  ringt  ni{^t  in  i()m  unterjugeljen, 
ober  benn,  i)a^  fie  \i(S)  nun  einmal  nid^t  üerfteiien  fönnen: 
gegenfeitige  unüberiüinblid^e  5Ibnetgung.  Slber  bie  @;^e  be§ 
9J?enfd)en  mit  fid^  felbft  ift  luirflic^  ein  (Saframent,  unauf«= 
U^üä),  5um  Swtde  gegenfeitiger  (Srgielung,  eine  oft  qual* 
üoHe  33iIbung§fcE)ute.  9Jieiften§  ift  ber  Üicmantifer  ber 
tüerbenbe  (Suget,  ber  bie  9}?enfcE)ti(f|feit  ^a^t,  bie  i()n  noc^ 
mit  ber  ®rbe  öerbinbet.  SSie  ba§  unglürfüd^e  Dpfer  ben 
Sei(^nam,  mit  bem  fein  Reiniger  e§  jufammengebunben  Ijat, 
um  bie  S^obelqual  gu  öerfdjärfen,  möchte  ber  ^nteüeft  ben 
SBiften  bem  fic^  fto^en,  ber  bcd)  ber  feinige  ift:  „@in  (Suget 
barf,  ein  9}'ienfc^  mag  ic^  nid^t  fein,  nur  bie  ^öde  bleibt 
bem  Unbef riebigten  übrig",  biefer  S3er§njeiflung§fd^ret  auö 
%kd'§  ^Ibbatla^  ift  ba§  2;[}ema  enbIo§  )D^antafirenber  flogen. 

„D  ba^  id^  mid^  ftürjen  fönnte  in  ha§  SJJeer  ber  un= 
erme^üd^en  @öttlid^feit!  ®iefe  taufenbfad)en  ©c^ä|e  in 
meinen  Sufen  f äugen!  Slönnt'  id^  fie  feffeln  unb  eluig  tvaä) 
erl)atten  in  metner  Sriift,  biefe  göttlichen  (Sefü^te,  bie  ie^t 
burcE)  meine  ©eele  §ittern!  5tdE)  ha'^  ber  ©efang  bur(^  bie 
Saute  raufd)t  unb  nad)^er  üerftummt!  ^ä)  ^öre  ha§>  ^od^en 
meines  ungebulbigen  ©eifteä:  luag  ift  biefe  unnennbare, 
unauSfüHbare  Seere,  hk  mid)  ftet§  im  ©eniiffe  fo  !alt  unb 
tobt  ergreift?  ©in  frembe»  ©treben  ringt  mit  meiner 
SBegeiftcrung   unb  lüirft  fie  nieber.     ^d)  fd£)iuinble  auf  ber 


122  2^ei'  vomanttfc^e  6t)ara{ter. 

greiibe  I)öc^ftem  ©ipfel  unb  ftürge  in  ben  ©taub  betäubt 
5urücf." 

„D  ha'^  ber  9}ienfcl^  in  feinem  S3u[en  einen  unöerfö^n- 
Ii{|en  geinb  mit  fic^  i)erumtragen  mu^,  ber  i^n  unabläffig 
quäft!  S)a^  ha§  ^eillofe  drängen  imjrer  ©eele,  ba§ 
©treben  gegen  hk  Unmöglid^feit  un§  ben  ®enu^  unfrei 
®a[ein§  raubt  unb  un§  gegen  un§  felbft  üerberblid^e  Söoffen 
in  bic  §anb  giebt!" 

„SDie  Seele  ftei)t  tief  |inab  in  einem  bunfeln  ®ett)ölbe 
in  einem  bunfeln  ^intergrunbe  unb  lebt  im  tueiten  ©ebäube 
für  fid^,  lüie  ein  eingeferferter  Gngel;  fie  ^ängt  mit  bem 
^ör^er  unb  feinen  öielfac^en  2;^eilen  ebenfotüenig  jufammen, 
h)ie  ber  SSerbred^er  mit  ber  ©tabt,  in  ber  er  gefangen  ft^t. 
—  —  2Bo§  fann  ic^  alfo  für  meine  ©eele  t{)un,  bie  n)ie 
ein  unaufgelöfte§  ^Röt^fel  in  mir  h?D()nt?  ®ie  bem  f{dit=> 
baren  SDienfc^en  bie  größte  SBiUfür  lä^t,  n^eil  fie  i§n  ouf 
feine  SBeife  befjerrfc^en  fann?" 

Mit  einem  anbern  Silbe,  ba§  baSfelbe  bebeutet,  ^örte 
tc^  S^manb  feine  S^iatur  mit  einem  n)ilben  ^ferbe  öer- 
gleid^en,  ba§  fein  @eift  nid^t  bänbtgen  unb  lenfen  fönne." 

©d^Iii^ter  al§  Sied,  aber  finblid^  rü£)renber  erjä^tt 
SBadenrober,  wie  fein  ^afob  33erglinger  an  biefer  9JiiB= 
I)eIIig!eit  ^u  ©runbe  ge§t;  wk  e§  i^n  anftiibert,  bie  Seute 
auf  ber  ©tra^e  fd^lüa^cn  unb  lad^en  ju  feigen,  toenn  er  in 
überfinnlid^em  (5nt§iifia§mu§  au§  bem  ßoncerte  fommt,  unb 
luie  er  fid^  bonn  üor  fid^  f eiber  fd^ämt,  wenn  er  e§  fid^ 
beim  (äffen,  im  Greife  alltägtic^er  S3efannter,  tuo^Ifd^metfen 
tö^t.  (Sin  unauf^örlid^er  Äam^f,  nur  unterbrodEien  burd^ 
erzwungene,  äu^erlid^e  SSerf5|nungen. 

3Iud^  Sf^oüaliS'  (Sieift  fd)Wang  fid^  oft  ^od^  über  feine 
Statur  empor,  aber  er  fe{)rte  immer  gern  unb  freunblid^  5U 
i^r  gurüd.     (£^  war  eine  Siebe,  ntd^t   wie  bie  ber  ^eiligen 


Ser  romantifc^e  Sfiara!ter.  123 

^aare  be»  93ZttteIaIter§,  bie  ©ott  gelobt  Ijatten,  fic^  niemal§ 
gu  berüfjren,  fonbern  eine  fold&e,  beren  Setbenfcf)aft  511  einer 
reinen  glamme  oer!(ärt  tvax:  ebenfo  lüilltg  ju  ^uB  unb 
Umarmung,  lüie  ju  2;rennung  unb  Sfjätigfeit,  ec^te  5i^ei()eit. 
Stnberä  i[t  e§,  luenn  ber  ^ntetteft  fid)  bem  Söillen  ^ingiebt, 
ben  er  im  ©tiden  fürchtet  unb  '^a'^t  Um  bie  geheime  2lb* 
neigung  §u  betäuben,  unfähig,  bem  finnlidjen  9teij  ju  tüiber» 
[teilen,  ftür5t  er  fid^  blinbling§  in  fc^melgerii'c^e§  ©enteren, 
bi§  5ur  (grfd^öpfung  unb  Zerrüttung.  9^ic§t  (S^e  ift  e§, 
Jonbern  S3ut)If(^aft,  unb  alle  golgen  eineS  unreinen  unb 
uniuai)reu  SSer^äItniffe§  fnü^fen  fid^  baran.  „2)a§  ©d^tuelgen 
an  ben  Gräften  be§  (5Jemüt^§  i[t  bie  unerlaubte[te  aller 
SSerfc^iüenbungen,  bie  f(f)Iimm[te  alter  ^Berberbt^etten",  t)a^ 
ivax  dm  (Srfa^rung,  bie  Siecf  an  ficfj  felber  gemacf)t  batte. 
5tll  er  einmal  einen  Ijalben  Sag  unb  eine  9iaci^t  buri^  o^ne 
Unterbred^ung,  feine  (Srregt^eit  felbft  abfid^tlic^  fteigernb, 
einen  bamaB  beliebten  ©c^auerroman  gelejen  tjatte,  befam 
er  luirflicf)  einen  Einfall  öon  SBal^ufinn,  ben  feine  lüfternc 
^liantafie  ilim  fdiou  fo  oft  öorgefpielt  Ijatte.  SDurd)  einen 
großen  S'JatureinbrucE,  ben  er  balb  barauf  föä^renb  einer 
^arjreife  empfing,  fü^tte  er  fid^  gerettet.  5(ber  feine 
Sffettung  gab  e§  für  SSadenrober,  ber  lueit  unfd^ulbiger 
lüar  als  Siec!,  aber  fd^iüäd^er.  ©ein  @eift  luar  toie  ein 
partes  SD^äbi^en,  ganj  S)emut:^  unb  Eingebung,  bie  bem 
©trome  üon  Seibenfc^aft,  ber  auf  fie  einbringt,  nur  mit 
einem  bangen,  f(ef)entlic^en  58l{c!  5U  hpe^ren  öermag,  föä^renb 
i^r  fünfter  Seib  fid^  il)m  fi^on  guneigt. 

S)a§  ©eiouBtiüerbcn,  bie  beftänbigen  ^Berührungen 
groifdjen  Statur  unb  ®eift,  benen  nie  eine  gänjtid^e  SSer- 
einigung  folgt,  bie  aufregenben  ©tellbidfieiue  in  ber  Däm- 
merung finb  bie  Urfac^en  jener  grcnsenlofen  ©e^nfudjt, 
jenes  iinerfättlic^en  S3erlangen§,  woran  ber  ^Romantüer  fid^ 


124  ®e>-'  vonmntijcfie  Gtjaratter. 

oufsefirt.  ®ie  SButfi  ber  Unfeefriebigung  ^at  e§  ^^nebrid^ 
©erleget  einmal  genannt.  SBer  I)ot  nti^t  ba§  ©e^nen  be§ 
^ergen^  in  fid^  gefüllt,  beüemmenb  aber  fü^,  ta^  ber  er[te 
S^aunnnb  be§  Saf)re§  ober  bie  Bacd^antifc^e  ©terBeluft  be§ 
^erbfte§  ein6au(f)t'?  ©in  leifer  3w9f  Qian  lpei§  nid^t  Iüd= 
^in,  Oielleid^t  nad^  einer  fernen,  fernen  Sßalbluiefe,  auf  ber 
ein  atterfd^önfte§  $8ilb  auf  un§  wartet,  fei  e§  Siebe  ober 
S;ob,  SBiUfommen  im  ollmäd^tigen  Slicf.  SBa§  aber  hei 
ben  meiften  9J?enfd)en  nur  ein  flüd)tige§  SD^itgittern  ber 
(Saiten  in  ba§  gro^e  |)arfenfpiel  ber  Statur  ift,  ba§  ift  ber 
©rimbton  be§  romantifcfjen  ß{)nrafter§,  fein  2J2er!maI,  fein 
|)au^töermögen,  feine  @c§ön!§eit,  fein  ^tud^.  S)a§  fie  biefe 
jel^renbe  ©eJinfud^t  nid)t  fannte,  mad^te  bie  ©rö^e,  ©d^ön» 
^eit  unb  SSoEenbung  ber  Stntife,  aber  tfire  33egren§t6ett 
liegt  auct)  barin.  2tu§  ber  ^erriffenljeit  be§  mobernen 
SOienfd^en  Juäd^ft  fie  t)erau§,  eine  ?Jcarterbtume  mit  tiefem, 
blutenbem  ^eld^e,  au§  bem  ftd^  feelenberaufc^enbe  S)üfte  un= 
obläffig  in  bie  Unenblidifeit  ergießen. 

SSarum  6cf)macl)ten? 
SSarum  £ct)nen? 
5nie  Sfjräncu 
^lä)  fie  h-QcI)ten 
9fa(^  ber  g-erne, 
SSo  fie  joäf)ncu 
©c[)ön're  Sterne! 

5)a^  fie  e§  nur  iräl^nen,  tia^  ift  e§  eben.  jDa§  blanfe, 
locfenbe  ©ternbitb  ift  eine  gata  ?JZorgana,  bie  üor  bem 
9^iä^erfommenben  ttjeid^t,  eine  l'uft-Dafe,  bie  niemals  ben 
brennenben  Surft  löf d^t.  9tiemanb  Ijat  luie  Zkä,  mit  fo 
güngelnben,  ftacfernben,  lobernben  {5euerbud)ftaben  hk  @l)mp^ 
tome  biefer  ^ranf^eit  gefd^ilbert,  bie  ©efc^idjte  ber  ^o,  bie 
ber  ©tad^el  be§  Söal^nfinnS  raftlog  burc^  alle  2BeIt  jagt. 


3)er  romantifc^e  d^aratter.  125 

„5(6er  tra»  tft  e§,  ita'^  ein  ©emif?  nie  unfer  öer^  ganj 
au»fiitlt?  SBelc^e  unnennbare,  toeijmüt^tge  8e^nfuc^t  t[t  e§, 
bie  mic^  ju  neuen,  ungefannten  greuben  brängt?  ^m  öollen 
©efü^I  meine»  ©lücfe»,  auf  ber  ;^öc^[ten  ©tufe  meiner  336«= 
geifterung  ergreift  mid^  falt  unb  geiualtfam  eine  91ücl^tern= 
^eit,  eine  bunfle  5l^nung  — •  lüie  foU  id^  e§  befc^reiben  — 
luie  ein  feudaler,  nüchterner  9J?orgenn)inb  auf  ber  ©pi^e 
be§  S3erge§  nac^  einer  burd^ioad^ten  '3lad)t,  tt)ie  ba§  Sluf« 
fal^ren  au§  einem  fd^önen  3:ranm  in  einem  engen,  trüben 
3immer.  fö^ebem  glaubte  ic^,  biefe§  Beflemmenbe  ©efü^I 
fei  ©e^nfuc^t  nad^  Siebe,  ®rang  ber  (Seele,  fid^  an  ©egen» 
liebe  ju  üeriüngen  —  aber  e§  ift  nid^t  ha^;  and)  neben 
SImatien  quälte  mic^  biefe  tt)rannif(^e  ©mpfinbung,  bie, 
luenu  fte  .s^errfd^erin  in  meiner  @eete  mürbe,  mtd^  in 
einer  emigen  ^erjenSleerl^eit  bon  ^ol  gu  ^ol  jagen 
tonnte.  (Sin  folc^e^  SBefen  mü^te  ha^  elenbefte  unter 
®otte§  §immel  fein:  jebe  greube  fliel^t  tjeimtücfifcf)  jurürf, 
inbem  er  banad^  greift,  er  ftei^t  tüu  ein  öom  Srf^icff at 
üerfjö^nter  SantaluS  in  ber  9latur  ha,  une  Si'ion  lütrb 
er  in  einem  unauf^örlidjen,  marterDoIIen  2BirbeI  ]§erum= 
gejagt;  auf  einen  foldjen  fann  man  ben  orientalifd^en 
Sluöbrucf  anlüenben,  ha^  er  t)om  böfen  geinbe  oerfolgt 
föirb." 

„^^  möchte  in  mandfien  ©tunben  öon  |ier  reifen  unb 
eine  fellfame  D^atur  mit  il^ren  SSunbern  auffuc^en,  fteitc 
gelfen  ertlettern  unb  in  fc^luinbelnbe  Stbgrünbe  ^inunter= 
friec^en,  mid^  in  §ö§Ien  uerirren  unb  ba§  bumpfe  Staufd^en 
unterirbifd^er  Sßäffer  üerne^men,  ic^  mi3c^te  ^nbien§  feltfame 
©efträuc^e  befe^en  unb  au§  ttn  glüffen  SSaffer  fdjöpfen, 
bereu  9Jame  mid^  fd^on  in  ben  ^inbermäri^en  erquicfte; 
©türme  möd^te  id^  auf  bem  9J?eere  erleben  unb  bie  ägt)p- 
tifc^en  ^^ramiben   befud^en  —  o  9tofa,    Juotiin  mit  biefer 


126  ^ei-'  rDmantiicI)e  6f)amtter. 

Ungenügfamfeit,  unb  trürbe  fie  mir  nid^t  felbft  gum  Drfu§ 
unb  im  Glijfium  folgen?" 

Sie  gelben  alter  romantifd^en  93üd^er  finb  fa[t  fceftänbig 
auf  ^Reifen:  2)ott  Ouijote  \o  gut  tüie  Söil^etm  SJJeifter  unb 
alle  ii^re  ^J^ad^fommeu.  Sie  Siebter  liefen  i]^re  ®Dppet= 
ganger  an  i^rer  ©teile  auf  bic  erfe^nte  SBanberfc^aft  ge^en. 
5ltle§  locft  unb  sie^t: 

23ie  mit  füfjeit  g-Iötenftimmen 
9iufen  alle  golb'nen  Sterne; 
SSett  mn^  mandje  ^öoge  jd)iutinmen, 
^eine  Sieb'  ift  in  ber  g'^nie. 

Sft  fie  e§  trirllic^?  j^inben  fie  fie  jemals?  ^eimlici^ 
loiffen  fie  e§  tool^t,  ba^  ein  5tuf§ören  ber  Sel^nfuc^t  Stuf- 
l^ören  be§  Seben§  tuäre: 

Sie  ?cacf)tiga[[  fingt  au§  weiter  g-ern-: 

2Bir  locfen,  bamit  bu  lebe)t  gern. 

3)a^  bu  bid)  nod)  un§  fe^nft  unb  immer  matter  fefjnft, 

Sft,  iDa§  bu  tt)öric^t  bein  Seben  iuäf)nft. 

©in  moberner  Slomantifer,  ber  ®äne  Stt^o&fenf  ^it  üoll- 
enbeter,  al§  bie  öor  100  ^a^J^cn  e§  fonnten,  im  9JieI§ 
S§Qne  bie  ®efd)id)te  einer  fold^en  9?eifeluft  erjä^It  unb 
mit  ber  ^er55erreiBenben  ©infic^t  beenbigt,  ba§  nid^t»  ^r- 
bifd^e§  fie  füllen  fann.  ©eelenüoKer  t^ieKeid^t  unb  tröftlic^er 
Iä§t  Siecf  fca§felbe  feinen  ©ternbalb  em^finben  in  einer 
uie^müt^ig  feiigen  dlaä)t: 

„Sie  <Bä)nhi  be§  SJ?onbe§  ftanb  feinem  ^ammerfenfter 
gerabe  gegenüber,  er  betra^tete  i^n  mit  felinfüd^tigen  Singen, 
er  fud^te  auf  bem  glänjenben  9iunbe  unb  in  ben  gleden 
Serge  unb  Söälber,  munberbare  ©c^loffer  unb  sauberifd^e 
©arten  ooH  frember  S3lumen  unb  buftenber  58äume;  er 
glaubte  (Seen  mtt  glänjenben  ©rfituänen  unb  jie^enben 
©d^iffen  tüa^rjune^men,  einen  Sl'a^n,  ber  i^n  unb  bie  ©e* 


/In^'- 


a 


%tx  romantifd^e  CS^aratter.    .  127 

liebte  trug  unb  um|er  retjenbe  SJJeeriueiber,  bie  auf  frummen 
9JZufc^eIn  dliefen  unb  SS?af[erblumen  in  bie  93arfe  ^inein= 
reichten.  %^  bort!  bort!  rief  er  ait§,  ift  öteaeidjt  '^xt  §ei= 
matf)  aller  Se^nfuc^t,  aller  S5?ünfc^e;  barum  fättt  aud^  iuof)! 
fo  füfee  ©c^ttjermutl) ,  fo  fanfte§  (gntjücfen  auf  un§  ^erab, 
lüenn  \i(!A  ftiüe  Sic^t  öott  unb  golben  ben  ^immel  herauf* 
fd^mebt  unb  feinen  filbernen  ©lanj  auf  un§  ^ernieber  gie^t. 
Sa  er  erlüartet  nn§,  er  bereitet  un§  unfer  ®Iücf,  unb  barum 
fein  tüe^müt^igee  |)erunterblicfen,  ba^  tuir  noc^  in  biefer 
5)ämmerung  ber  (Srbe  öer^arren  muffen." 

©g  ift  aber  natürlid^,  \i<x^  bennoc^  bie  Säufd^ung  — 
unb  öieHeid^t  ift  e§  gar  feine  —  immer  lüieber  !ommt,  al§ 
muffe  biefe  fc^merj^afte  Seere  auf  (Srben  au§gefü((t  irerben 
füunen.  Siebe  fann  e§:  unfehlbar  fi^er  füfjlt  baä  jeber 
SJienfd^.  3«nä(^ft  aber  luödift  unb  iräc^ft  nur  \iQi^  SSer- 
langen,  unerträgltd^,  bi§  enbüc^  im  E)öd^ften  ©euuB  ber 
Siebe  W  etüig  ftac^elnbe  ^ein  untergeht,  ©in  SCugenblirf 
i^immlifc^er  9tut)e,  bann  iäf)e§  SCuffc^recfen:  \iQi^  atfo  tüor 
bie  Söfung  be§  unergrünblic^  fc^einenben  StätljfeB! 

5ltte  biefe  ©eelenmarter,  bie  ()immelftüräenben  2:itauen« 
gebanfen,  ba§  9^ütteln  on  ben  S;f)oren  ber  (ärfenntni^  tuar 
nur  ein  Krampf  ber  ©innlic^feit.  9iic^t  in  ben  ^immel  ber 
^bcate,  an  bie  Sruft  eine§  beliebigen  9J?äbc^en§  mu^te  er 
ftc^  Pesten,  um  für  bie  ^o|e  Ungenügfamfeit,  „ber  Sonne 
unb  SJJonb  §u  irbifc^  finb",  93efriebigung  ju  finben.  Sitter- 
bingg  nur  für  einen  Siugenblicf;  bonn  ftö|t  ber  Ernüchterte 
feinen  5(bgott  üon  fid^.  5Iber  menn  lieber  ein  grauenfteib 
i^n  ftreift  ober  ein  ttiarmer  33ncf  if)n  berührt,  fommt  bie 
Hoffnung  tüieber  unb  n)ieber  bie  ©nttäufd^ung,  h\^  er  ft(^ 
fc^Iie^Iid^  ni(^t  einmal  nief)r  felbft  betrügt,  fonbern  beinu^t 
au§  einem  fRaufc^  in  ben  anberen  taumelt,  ©o  Iä§t  Stecf 
feinen  Sooett  finfen,   finfen  unb  immer  rafc^er  ftür^en;   e§ 


128  Seic  romnntiidjc  6:f}arafter. 

ift  lüunberüoH,  mie  man  in  bem  engel»reinen,  [d^raärmerifc^en 
Siingüng  bie  fraffe  ©enufsle^re  fid^  au^bilben  fieljt.  2)ie§ 
ift  feine  Seben§iüei§^eit: 

„^uiüd)  ift  SBoIInft  ha^^  gro^e  ßie^eimni^  unfre» 
SBefen§,  freilid^  inill  aud^  bie  retnfte,  inBrünftigfte  Stc6e  fid§ 
in  biefem  Sörnnnen  lüijkn,  fie  foU  eben  fterben,  bamit  wix 
fiiljlen,  ba^  wir  äRenfc^en  finb,  ha^  wix  üon  täufd^enben 
^^antomen  erlöft  werben,  bie  un§  aU  ©ngeisgeftatlen  be- 
fnd^en  unb  hoä)  gurien  werben,  wenn  fie  ta^  gtänjenbe 
©ewanb  fallen  laffen.  S)enn  fd^Iäft  nic§t  bie  wilbefle  SSer»- 
jroeiflung,  bie  grö^tic^fle  5lngft,  ber  blutigfte  ^a^,  Selbft-- 
morb  unb  aUe  ©räuel  im  Innern  biefe§  ©efii^lS?  .... 
®a|  wir  ©innlid^feit  ^oben,  ift  feine§weg§  öcräc^tlid^  unb 
fann  e§  nicC)t  fein,  unb  boc^  ftreben  wir  unaufhörlich  fie 
un§  felber  abjuleugnen  unb  fie  mit  unfrer  SSernunft  in 
@in§  §u  fc^meljen,  um  nur  in  jebem  ber  öorüberftiegenben 
®efüt)Ie  un§  felbft  achten  gu  fönnen.  S)enn  freili(^  ift  nidE)t§ 
al§  ©innlic^feit  t)a§  erfte  bewegenbe  3?ab  in  unfrer  5D?a=» 
fd^ine,  fie  wäl§t  unfer  S)afein  öon  ber  ©teUe  unb  mad^t  e§ 
fro^  unb  lebenbtg  —  2lIIe§  wo§  wir  aU  fd^ön  unb  ebcl 
träumen,  greift  ^ier  f)inein.  .  .  .  ©innlid^feit  unb  SBoIIuft 
finb  ber  ©eift  ber  9Kufif,  ber  9}iaterei  unb  aller  fünfte, 
atte  SBünfdje  ber  ajJenfi^en  fliegen  um  biefen  ^ol  wie 
WMtn  um  ba§  brennenbe  Sic^t.  @d^önl)eit§finn  unb  ^unft- 
gefüljl  finb  nur  anbre  ®iale!te  unb  9lu§fprac^en,  fie  be- 
5eidl)nen   nichts   weiter    at§    ben   2;rieb    be§   SJJenfd^en   5ur 

SBolluft ^d)  l^alte  felbft  bie  9lnbac§t  nur  für  einen 

abgeleiteten  ^anat  be§  rol)en  ©innentriebe§"  —  unb  5um 
(Sd)lu^  fommt  hk  alte  ^lage  —  „id^  barf  fein  (Sngel  fein, 
aber  ungeftört  will  id)  aU  Tlmid)  baljinwaubeln." 

SBenn  Soöell  in  feieren  ©ebanfenoerirrungen  fid^  öer- 
wicfelte  unb   erwürgte,  barf  man  nid^t  folgern,   fo  fei  e§ 


^er  romantti^e  G^avafter.  129 

%itd  ergangen.  (Sr  glaubte  an  SteBe  unb  ©fürf,  aber  er 
faf;  ein,  bafj  bn§  „um§  ben  9J?enfc^en  gans  befriebtgen  foff, 
fein  (55efü|I  unb  feinen  SSerftanb  sugleid^  auSfüflen  mu|." 
Unb  in  iijm  waren  ßjefü^l  unb  ^öerftnnb  „jniei  neben  einonber 
laufenbe  «Seiftänjer,  bie  fid^  eiuig  i^re  ^unflftücfe  nad^a^men, 
einer  öeradEitet  ben  anbern  unb  rtiH  i^n  übertreffen." 
SDariim  ift  ber  romantifc^e  ß^araüer  ber  ®efa|r  in  "^u^' 
fc^Jöeifungen  fid^  ju  öeriuüften  um  fo  öiel  nietjr  au§gefe|t 
aU  ein  anbrer;  benn  nur  im  9?aufd^,  fei  c§  ber  Siebe 
ober  be§  SBeinel,  Wenn  bie  eine  §älfte  feine!  2Befen§,  ba§ 
Söeumfetfein,  betäubt  unb  eingefc^Iäfert  ift,  fann  er  bie  Söonne 
genießen,  um  bie  er  jebe!  St^ier  beneibet:  fid^  ein§  5U  fül^Ien. 

„£)  SBein!  bu  ^errlid^e  (S^abe  be§  §immel§!  fliegt  nid)t 
mit  bir  ein  ©öttergefü^t  burc^  alle  unfre  Slbern?  gtie^t 
bann  nic^t  2lIIe§  jutücf,  rva^  m\§>  in  fo  mancher  unfrer 
falten  ©tunben  bemüt^igt?  SSir  burd^fc^auen  tuie  mit  «Selber* 
blirfen  t>k  2BeIt,  loir  bemerfen  bie  i^iu^t  in  unfern  Qöt" 
banfen  unb  SDJeinungen  unb  füllen  mit  tarfienbem  SBoI)t- 
be^agen,  lüit  teufen  unb  gü^Ien,  2;räumen  unb  ^l^ilofop^iren, 
luie  alle  unfre  Gräfte  unb  -iTfeigungen,  afle  triebe,  2Sünfd^e 
unb  ©enüffe  nur  (Sine,  (Sine  glänjenbe  Sonne  auSmad^en,  bie 
nur  in  un§  felbft  juiueiten  fo  tief  iiinunter  finft,  ba^  iDir  i^re 
üerfd^iebene  @tra|tenbred^ung  für  unterfc^iebene  getrennte 
SSefen  lalten." 

^ie  @ine,  (Sine  glänjenbe  ©onne,  ba§  ^d),  ta^  nid^t 
me^r  jerf^aitene,  bie  (Sin^eit  be§  eigenen  SBefen§,  ha^  ift  1 
im  (Srunbe  ha§:  ^tel  atter  ©e^nfud^t;  man  fann  e§  nid^t 
beutlid^er  unb  fd^öner  fagen,  a(§  %kd  ^ier  getl^an  |at. 
©ein  ^d)  ift  ba§  Söilb,  ha§i  er  unermüblic^  jagt,  ha§  Sanb, 
nad^  bem  er  aufjie^t,  ber  |)immel,  nacfi  bem  er  fid^  fe^nt. 
©ic^  felbft  fuc^en  ift  t)k  Strbeit  feine!  gan5en  SebenS.  geft 
gebannt  ift  er  an  ben  5Ibgrunb  feine!  ^nnern  unb  ftarrt 

^uc^,  SRomamifer.  9 


130  ®ci-'  vomautifdje  (£^ara!ter. 

bezaubert  in  \)a^  lüadenbe  G^ao§.  „^enn  ex  fo  in  fein 
beiuegteS  ®emüt§  falj",  er^ä^It  S;iec£  oom  ©tcrnbatD,  „jo 
tvax  e§,  al^  lüenn  er  in  einen  nnergrünblid^en  ©trubel 
l^inabf^aute,  wo  SBogc  on  ^Boge  brängt  iinb  fc^änmt,  unb 
man  toä)  feine  SBede  fonbern  fann,  wo  otte  glut^en  fic^ 
beriüirren  unb  trennen  unb  immer  lüieber  burd^  einanber 
njirbeln,  o^ne  ©tillftanb,  ofine  Sinlje,  luo  biefelbe,  SWelobie 
fic^  immer  tüieber^olt  unb  boc^  immer  neue  ^(bmed^felung 
ertönt:  ^ein  ©tidftanb,  feine  S3emegnng,  ein  raufi^enbeS, 
to[enbe§  9tätbfe(,  eine  enblofe,  enblofe  5S3utf)  be§  erzürnten, 
ftürsenben  Elementes."  Unb  babei,  ba§  ift  auffaHenb,  fe^rt 
immer  bie  ^(age  luieber,  ha'^  er  fic^  felb[t  nid)t  fenne;  eben 
ber  9it)mantifer,  ber  öiel  me^r  oon  feinem  Innern  n^eiB  al§ 
ein  anbrer  SJienfc^,  ift  fid^  felbft  ein  3fiät^feL  (£§  ift  im 
©runbe  leidet  §n  erflären.  (Sine  geiftreic^e  S)ame  fd^ilberte 
mir  einmal  ben  ^ufiönb  i[)re§  inneren,  inbem  fie  fagte, 
an  ber  ©ren^e  il}re§  S3eiiuiBtfein§  ftäuben  öiele  ^oliäei^ 
folbaten  unb  Zollbeamten,  bie  jebeS  au§  bem  UnbeiDufeten 
auftauc^enbe  Ö^efü^l  fogleii^  confiScirten;  e§  märe  in  golge 
beffen  ein  ganzer  Sei(f)enl)ügel  oon  ®efü|t§embrl)onen  in 
i^rem  ^o^jfe  aufgeftapett.  ®an5  äüintic^  fagt  Xiecf,  ha^  roir 
oft,  lüie  SKörber  ängfttic^  hm  nod)  ^alh  belebten  Seid^nam 
mit  Srbe  bebecfen,  ©mpfinbungen  Oerfd^arren,  bie  fid^  in 
un§  gum  S3emuBtfein  empor  gearbeitet  :§aben.  Defter§  l)at 
er  biefen  gel^eimni^oollen  ä^organg  fo  anfc^aulic^  gefd)ilbert, 
ba^  tüir  ben  getfterfiaften  SSerfe^r  jioifclen  ätoei  unficf)tbaren 
Söelten  mit  5tugen  511  feigen  glauben. 

„SSenn  id)  mandC;mat  in  ber  2(benbbämmerung  fi|e  unb 
finne,  ba  ift  e§,  aU  fd^ioingt  fic^  mir  etioa§  im  |)er5en 
empor,  ein  ©efü^I,  ba§  mic^  überrafc^t  unb  erfc^recft  unb 
babei  boc^  fo  ftitt  unb  feiig  befrtebtgt:  icf)  greife  bann  mit 
bem  ©ebäd^tnil   loie  mit  einer  §anb   banac^,  um   e§   mir 


S)ev  romantiicrje  K^arafter.  131 

felber  nufsubeiiml^ren.  SIber  fonberbar,  e§  tft  in  mir  unb 
öerfd^luinbet  mir  bann  boc^  gänjltd^  juieber,  fo  ba)l  id^  feiner 
nic^t  öab^aft  iperben  fann.  5ltte  meine  ©ebanfen  fielen  mir 
5U  ©ebote,  alle  meine  Erinnerungen  unb  2ln)d^auungen,  aber 
ha§i  i[t  ein  ©efü^I,  ba§  fetner  unb  geiftiger  ift  aU  ?ttle§ 
übrige;  aber  mag  ift  e§  unb  luo^er  fommt  e§  unb  tuo^in 
ge^t  e»,  menn  e§  ntdjt  mefir  in  un§  bleibt?"  .  .  . 

„5lu§  meinen  Slinberjal}ren  falten  mir  mand^e  S^age 
ein,  11)0  i(f)  unauf|örlid^  etma§  ®räuli(i)e§  unb  @ntfe^Iid^e§ 
benfen  mufete,  Wo  id)  ftatt  meiner  ftiffen  ©ebetc  ®ott  mit 
ben  grä§ücf)ften  glüd^en  läfterte  unb  barüber  meinte,  unb 
€§  bo(^  nic^t  unterlaffen  fonnte,  wo  e§  mic^  nnauf^örtic^ 
brängte,  meine  ©efpielen  §u  ermorben,  nnb  iä)  mi(^  oft 
fd^Iafen  legte,  btofe  um  e§  nid^t  ju  t^un.  ®ama(§  mar  id) 
gemiH  unfd^ulbig  unb  unöerborben,  unb  bod^  mar  biefe  (Snt- 
fe^Iid^feit  in  mir  einfieimifc^  —  ma§  mar  e§  benn  nun,  ba§ 
mic^  trieb  unb  mit  gräfelid^er  ^anb  in  meinem  ^erjen 
uniötte?  ?Jfein  SSiHen  unb  meine  ©mpftnbung  fträubte  fic^ 
bagegen,  unb  boc^  gemährte  mir  biefer  ^uftanb  luieber  innige 
STöoIIuft." 

2Bie  ber  flüd^ttgc  @c^etn  einer  früJieren  (Si-iftenj,  ber  in 
feine  ^linberjalire  ^inetnfpiegelte,  fd^ienen  i^m  biefe  fremben, 
unerflärlid^en  Silber,  bie  nac^  eigener  SSidfür,  feinem  (Sin= 
flufe  entgegen,  in  feinem  ^nnern  ^eimifd^  maren.  SSenn  e§ 
möglid^  märe,  fi(^  bnrc^  Slnfd^anungen  be§  inneren  fennen 
5U  lernen,  müßten  fold^e  SJienfd^en  fidE)  !ennen.  '?(ber  bort 
finbet  man  nur  ba§  aJZenfc^enmöglic^e,  niifit  ha^  ^nbioibuelle. 
9^ur  an  feineu  §anbliingen  erfennt  man  fid^.  Unb  mo  finb 
bie?  ^n  ienem  8eic^en()ügel  oon  @mbrl)onen  liegen  fie  be» 
graben;  barau§  Ratten  fie  Werben  foKen.  ^Ii>ie  fie  au§fe()en, 
menn  fie  aul  ber  ungeftalteten  ®efüt)I§maffe  fid^  bilben  unb 
beteben,  mei^  ber  9tomantifer,  aber  reif  merben  fie  Hjm  nun 

9* 


132  2)er  romantifdje  (It)ara!ter. 

ntd^t  mefjr.  Tlan  tueife,  ha'^  man  bte  'SRxld)  rttc^t  anrHf)ren 
barf,  trenn  fie  im  ^rojeB  be§  (Srftarren§  ift;  fonft  tpirb  [te 
nidit  btd.  <So  f)at  er  bte  (Snttüidelung  fetner  ß5efü^te  unter- 
brochen; nun  fönnen  fie  nic^t  me^r  aU  äutierfic^tli(^e,  gnnje 
gro^e  .<panblungen  in'§  Seben  greifen.  ®a§  tft  fein  tüe^eöoHfteg 
Seiben:  niemals  ein  einiget,  ftarfe«,  Iebenbige§  ß^efü^I  ju 
^aben,  ha^  einen  untüiberftefitic^  :§ier()in  ober  bort^in  riffe,  fid^ 
niemals  in  ber  ©turmeS^anb  eine§  (5Jeniu§  gu  fü|Ien,  mit 
beffen  ©ötterftimme  man  ol^ne  S3efinnen,  freubig,  fiege^geJüiB, 
SD^enfc^en  unb  ©eftirnen  §um  S;ro^  fagt:  l^ier  fte^e  ic^,  icf) 
fann  nic^t  cinber§,  ®ott  lEielfe  mir,  Stmen.  Stnftott  beffen 
öerbammt  immer  an  fic^  5U  gtueifeln,  auf  ben  unentfd^Ioffenen, 
gögernben,  freubtofen  SSerftanb  aU  SBegtüeifer  angetinefen, 
immer  nur  ?^ragmente,  ©plitter,  @efül)te  öon  ®efül)len. 
51I§  ^van^  ©ternbatb  nac^  jahrelanger  5Ibtuefen^eit  gu  feinem 
fterbenben  SSater  !ommt,  möchte  er  iljm  gern  alle  feine 
gtü^enbe  Siebe  geigen;  aber  anftatt  beffen  mufe  er  an  ©e« 
mdlbe  öon  Traufen,  üon  trauernben  ©ö^nen  unb  tvt^- 
flagenben  SJJüttern  benfen-,  unb  ebenfo  ge^t  el,  at§  ber 
Sßater  nun  ftirbt;  in  Betrachtung  be§  ©d^merseä  oerloren, 
fü!^It  er  ben  ©d^merj  nid^t,  lec^jt  nad^  Sttjränen  unb  finbet 
feine.  „58in  id)  njaljufinnig  ober  n)a§  ift  e§  mit  biefem 
tpric^ten  .f)er§en?  SBelc^e  unfic^tbare  §anb  föl^rt  fo  järtlid^ 
unb  graufam  gugleic^  über  alle  Saiten  in  meinem  ^nnern 
^inloeg  unb  fd^eud)t  alte  S;räume  unb  SBunbergeftatten, 
©eufjer  unb  SE^ränen  unb  öer!(ungene  Sieber  au§  i|rem 
fernen  .'pinter^att  ^erüor?  D  mein  (Steift,  id)  füllte  e§, 
ftrebt  nac^  bem  Ueberirbifc^en,  ba§  feinem  SJJenfc^en  gegönnt 
ift!  SD^it  magnetifd^er  ©elüatt  giel^t  ber  unfic^tbare  |)immel 
mein  ^erj  an  fid^  unb  beinegt  alle  9lf)nbungen  burd^  einanber, 
bie  längft  auSgetoeinten  Seiben  unb  unmöglichen  SBonnen, 
bie  Hoffnungen,  bie  feine  Erfüllung  jutaffen.     S)a^er  aber 


2)ev  vomanttfc^e  (Sf^arafter.  133 

gebrt(^t  mir  bte  ^raft,  bte  ben  ü6rtgen  9)^enic^en  öerliel^en 
ift,  unb  bie  un§  gum  Sefien  nottjinenbtg  bleibt,  i^  matte 
mid^  ab  in  mir  felber  unb  feiner  ^at  beffen  ©etninn,  mein 
aRutI)  oerje^rt  fic^,  ic^  njünfc^e,  \va§  id)  felb[t  nicfit  fenne. 
SBie  ^atob  fel^e  xd)  im  Sraum  bie  Himmelsleiter  mit  i^ren 
öngeln,  aber  ic^  fann  nid^t  felbft  binauffteigen.  ..." 

®a§  Unbeum^te  ift  lüie  eine  ?Jcaffe,  bie  bem  SJJenfd^en 
ba§  nötfjige  Ö5elüi(f)t  giebt,  feinen  SaHaft,  bamit  er  nic^t 
ben  Sßtnben  unb  22eüen  ein  Spiet  luirb.  Söenn  ey  fic^ 
ouflöft  unb  tüie  ein  beraufc^enber  SSein  in  ben  ^'opf  [teigt, 
üerliert  er  ta^  ©leic^geunc^t  unb  ben  i)alt,  er  baftet  nic^t 
me{)r  am  Soben.  9Znn  luirft  bie  Sraft  ber  Statur  nirf)t 
me^r  in  iljm,  niemals  fü|It  er  i()ren  luarmen,  feuchten, 
frud^tbaren  ^aud^  in  |id^  lueben,  niemals  i^ren  treibenben, 
fcf)tuellenben  ©oft  in  fid^  auffteigen.  D^ne  ^ujammen^ng 
mit  ber  (Srbe  ift  er  toie  eine  märrfien^afte  gieberblume,  bie 
fid^  nur  öon  Sic^t  nä^rt,  n^ie  ein  Io§gerifjene§  Slatt,  haSi 
beiueglid^  auf  eioig  benjegten  Sßellen  fc^raanft.  ^n  bem 
Satine  ebenfo  gut  bo§  eine  Juie  ha^  anbre  t()un  ^u  fönnen, 
ebenfo  gut  ja  tote  nein  fagen  ju  fönnen,  fütilt  er  fid) 
(^arafter(o§  unb  fd^eint  e§.  ®arin  liegt  bie  Unmännlic^feit, 
tit  ben  meiften  Siomantifern  eigen  mar.  Sie  j^aben  nie 
eine  fefte  Ueberjeugung,  e§  ift  ttjuen  niemals  gan§  ©ruft; 
lüenigftenS  fd^eint  e§  fo.  2;iecf  erjäpe  in  fpäteren  Salären 
feinem  Sreunbe  ©olger,  luie  er  fic^  in  ber  ^"9^«^ 
mit  „freoeltiaftem  Setcbtfinn"  in  bie  üerfd^iebenften  ®eifte§- 
ftrömungen  getüorfen  Ijahe:  „erinnere  id^  mic^,  burd^  meld)e 
glutt)  raec^fetnber  ©ebanfen  unb  Ueberjeugungen  idj  ge- 
gangen bin,  fo  erfc^recfe  id^  unb  mir  fällt  önme'g  S3et)aup= 
tung  ein,  tta^  bie  Seele  nur  ein  (StmaS  fei,  an  bem  fic^ 
im  gtu^  ber  3ett  oerfc^iebenc  (I-rfd)einungen  fid^tbar  machten." 
SBenn  Sied  felbft  fo   über   feine  Unfic^crljeit   unb  Unjuoer* 


134  2)£i-"  vomantijcfje  d^arafter. 

läf [{gleit  bad)te,  tft  e§  5U  begreifen,  raenn  Semanb  auber§, 
eg  wax  iiarotine,  einmal  üon  it)m  fagte,  er  fei  im  ®runbe 
ni(^t§  aU  ein  mürbiger  unb  anmut^iger  Sump;  ira§  freiließ 
aud^  cum  grano  salis  ju  öerfte^en  tft.  yinx  ^anbelnb  unb 
lüirfenb  fönnte  ber  romantifd^e  SJienfc^  für  ha§  S3erIorene 
©rfa^  geiüinnen  unb  bann  boppelt  reid)  fein;  aui  feinem 
Söeuni^tfein  ftiürbe  fid^  ein  9^ieberfct)(ag  bilben,  eine  neue 
SJtaffe,  (ärfenntni^  in  Qnftinft  üerluanbelt.  „&müi)n^tit  tft 
eine  5ur  Siatur  geworbene  ^unft.  5Raturgefe|e  finb  ©e^» 
rt)o]§nf)eit§gefe|e."  Söie  fott  aber  ettpaS  @rlernte§  anber§ 
gur  (SJeiPoi^n^eit  unb  jlueiten  9^fatur  lüerben  aU  burcf)  fleißige 
Hebung?  Unb  ber  romantifd^e  ß^arafter  ift  faul  unb  ftol^ 
auf  feine  gaul^eit.  9iur  9looaIt§  mar  ein  5Romantifer  mit 
3fiiefenarbeit§fraft  unb  »Suft.  Xkd  gelang  e§  niemals,  feine 
Slbneigung  gegen  mett)obifc§e§  Strbeiten  ju  überminben.  5lud^ 
©ternbalb  iinb  SoöeH  finb  im  (SJrunbe  nic^t  tiid  me^r  at§ 
gebilbete  SSagabunben.  9?ege(mä^ige  S8eruf§tptigfeit  fc^eint 
t^nen  untimrbig  unb  erniebrigenb,  ber  ®efd^äft§menf(^,  ber 
alltägtidf)  feinem  SSerbienft  nad^ge^t,  öeräd^tlid^.  @r  fü^Ü 
feine  2lrbeit§frf)eu  aU  S3ürgfc^aft,  ha'^  er  ju  §ö^erem  ge= 
boren  fei.  5JioüaIi§  iiat  ein  ftrengeg,  aber  nid^t  unbillige^ 
SBort  barüber  gefagt:  „2Ber  nid^t  öorfä|Iidf),  nac^  ^lan  unb 
2(ufmer!famfeit  tl}ätig  fein  fann,  üerrät§  ©d^luäc^e.  ®ie 
(Seele  mirb  burtf)  bie  ^ei^fefe^ng  §u  ftfi^acf)  —  oft  ift  SSer« 
ttjöbnung  baran  frfiulb.  ®a§  Drgan  ber  5lufmerffamfeit  ift 
auf  ^'often  be§  tljätigen  Drgan§  geübt  —  oorauSgcbilbet, 
gu  reijbar  gemad^t  raorben.  ^Jun  jie^t  e§  ade  üia\t  an 
fic^,  unb  fo  entfielet  biefe  ©igproportion." 

S)aB  e§  (5d)roäd)e  imi,  ahnten  fie  im  (StiUen  gut  genug 
unb  litten  fcfimer^Iid^  barunter.  @»  ift  ergreifenb,  wie  bie§ 
Söemufetfein  überall,  balb  aB  Weljmüt^ige  ©rtenntni^,  balö 
all    bitteres    ©c^amgefüt)t    burd^bric^t.     ^m   ©ternbalb   ift 


®er  romantifd)e  G^arafter.  I35 

imtner  unb  immer  trieber  üon  bem  „emjigen  gleite"  Slürer'g 
unb  be»  Sufa§  ü.  £et)ben  bie  $Rebe;  unb  ber  müfeig  fc^luär« 
menbe  granj  a^nt,  bei  oHern  jc^üd^ternen  ©tolj  auf  feine 
übcrirbif($e  ©efü^lStüelt,  ha%  gerabe  btefer  prunflofe  bürger» 
lid^e  %U\%  bie  ^ünftlerjc^aft  jener  bciben  ©ro^en  üollenbet, 
ta^  fein  eigener  Unffei^  mit  bem  liefften,  oeri^ängni^öoHcn 
SJJangel  feiner  dlainx  jufammenpngt.  9JJit  berfelben  a^nuiigä'» 
üoKen  ©c^eu  berid^tet  SSacfenrober  öon  bem  unermüblicfien 
2(rbeit*eifer  ber  großen  Slünftler  ber  SSergangenfieit,  unb 
fein  ^atoh  Sergtinger,  ber  nid^t  ^(rjt  fiatte  Inerben  föollen, 
tt)ic  ber  S3ater  njünfc^te,  franft  an  bem  „unbe|agü(^en  SBe« 
mu^tfein,  ta'^  er  mit  aUem  feinen  tiefen  ®efüf)I  unb  feinem 
innigen  ^unftfinn  für  bie  2ßelt  nid^t§  nü|e  unb  tueit  ineniger 
n)ir!fam  fei  ai§>  ieber  §anbtper!§mann."  2Benn  er  bie  SBelt 
fämpfen  unb  ringen  fielet,  fommt  er  felbft  ftc^  bor  tüie  ein 
„lüfterner  (Sinfiebter,  ber  nur  innerlich  an  fc^önen  §armo- 
nieen  fangt  unb  ftrebt,  bie  Secferbiffen  ber  gc^ön^eit  unb 
(gü^igfeit  ^eraugjufoflen",  SIngft  unb  (gd^am  übcrtüältigt 
i^n,  er  möchte  ein  a^fetifc^er  Tläxit)xtx  lüerben,  um  mit  ber 
leibenben  SSett  in'§  ©letd^geföicfit  ju  tommen.  5{u§  berfelben 
Cuerte  ftieBt  ba§  überreiche  2«itgefü()I  Gmil'g  in  3:iecf'§ 
Siebegjauber,  ber  fid^  an  feinem  ^oc^jeitätage,  Jüeil  er  ein 
93ilb  fd^mu^iger  5{rmut^  gefe^en  |at,  fc^Iuc^^enb  auf  bie 
@rbe  tt)trft  unb  fterben  möchte.  „Empfange  mid^  balb,  bu 
freunblid^er  ^goben,  oerbirg  mid^  in  beinen  füblen  5(rmen 
üor  ben  njilben  Sfiieren,  bie  fic^  SOienfd^en  nennen!  D  ®ott 
im  §immel,  ipie  tierbiene  id^  e§,  ha^  ic^  auf  ^Daunen  ru^e 
unb  ©eibe  trage  —  0  jetjt  üerfte^  id^  euc^,  i^r  frommen 
^eiligen,  iJ)r  Sßerfc^mäf)ten,  i^r  ^öerl^ö^nten,  bie  i^r  SlfleS 
hi^  auf  euer  ©elranb  ber  ?{rmut^  auSftreutet  —  fetbft  eleub 
föurbet  ii)x,  um  nur  biefe  ©ünbe  be§  Ueberfluffe§  öon  euc^ 
äu  merfen."     Unb  biel  n^aren  boc^  Stiecf'g  (Smpfinbungen, 


136  ~£^'  vomantifdje  C£f)arattcr. 

be§  ^anbn:)erfer[o^ne§,  ber,  aU  er  jo  fc^rieb,  beftänbig  mit 
9iaf)rungyforgen  gu  lämpfen  ^atte.  9lur  ha§>  Semu^tfein, 
einen  ernftlicEien  ^ampf  nm'§  2)afein  niemals  befielen  gu 
fönnen,  jeber  flraffen  Slrbeit  fleinmüt^ig  auSjuipeicEien,  liefe 
tljn  ]xä)  fo  jc^ulbig  füf)Ien  gegenüber  ben  ajJiUjfeligen  unb 
33elabenen. 

©djetling'g  (Sr[d^etnung,  aU  er  in  ben  ®rei§  ber  9ioman' 
tifer  trat,  lutrfte  im|3onirenb  auf  fie,  fa[t  üerblüffenb.  äJJan 
fai)  i!§m  an,  bafs  er  \\d)  auf^  ^errfcJien  öerftanb.  ®r  tiatte 
bie  ftarfen  ^nftinfte,  hk  blinben  3'i"  »nb  5lbneigitngen,  um 
bk  jene  ben  S^alurmenfc^en  beneibeten.  2Iber  tvn  burd^ 
Snftinfte  J)errjd^t,  fann  aud^  i(jr  ©flaöe  merben;  unb  barin 
tnaren  fie  i^m  überlegen,  ta'i^  fie  biefer  ®efat)r  nic^t  aus- 
gefegt loaren.  Sie  ®eifte»frei^eit,  bie  fie  fdEimiidte,  luar  nur 
be§iüegcn  nid^l  bie  f}ö(i)fte,  iiieil  fie  bie  Solge  eine§  äRaugeB 
luar.  ©injig  in  9'ioüaIi§  erfd^ien  fie  ganj  aU  ©tärfe,  unb 
ba§  tüor  oielleid^t  bie  Urfac^e,  lüarum  ©cfieHing  ii)n  nie- 
mals leiben  fonnte;  il}m  gegenüber  luar  er  tüie  ber  Söiüe, 
ber  uniüitlig,  mit  ©eberbcn  üerljaltener  SSut^,  öor  bera 
9}ienfd^enauge  in  fic^  jurüdfried^t.  UebrigenS  aber  ftaunte 
er  bie  Seic^tigfeit  unb  gefd)meibige  33eii)egtid^feit  biefer  ©eifter 
an,  bie  für  bie  2öuct)t  unb  ©djinerfälligfeit  feiner  ©c^iuaben- 
natur  unerreid)bar  iror. 

©ben  jener  Seic^tfinn,  ber  julüeilen  an'S  t^reüelljiafte 
grenzte,  ift  bie  ©tärfe  biefeS  ß^arafterS.  (Sr  öerfd^afft  t^m 
ßutritt,  lüü  immer  bie  ©enien  be§  ©d^erjeS  unb  3)Zutt)= 
lüiltenS  unb  ber  JoItf)eit  fic^  jum  ^an5e  treffen.  Unb  luenn 
ber  9iomantifer  fein  feftgegrüubete»  ^au§  für  feine  ©eele 
i^at,  fo  toeifj  fie  gelenfig  burc^  bie  fd^malfte  Sti^e  in  frembe 
SBol^nungen  einjufdjiüpfen  unb  bort  fid^  ju  tummeln  unb 
um^ufc^auen.  @r  befi|t  jene  „"J^reif^eit  unb  33l(bung",  bie 
?5riebric^  ©c^Iegel  üerlangte,  fid)  felbft  nad)  S3elieben  p()iIo- 


®er  rDmantifrf}e  ßtjaraftev.  137 

fop^ifi^  ober  pljilologifc^,  antif  ober  mobern  fltmmen  ja 
fönnen,  „ganj  luiltfürlid)  luie  man  ein  Snfi'^iiöifiit  ftlmmt." 
Unb  ebenfo  fann  er  fid^  in  nnb  auf  jebe  ^erfon  ftimmen. 
^iefe  jÄ^tgfeit,  [td^  ju  ftimmen  unb  fic^  in  anbre  S^araftere 
j^tneinjutäiifd^en,  mac^t  ben  ©diauf^ieler;  unb  e§  ift  nid)t 
jiifäHig,  ha'^  bie  ©urfit  be§  S^eaterjpielen^  im  Zeitalter  ber 
9tomantif  cpibemtfc^  auftrat.  Siecf  fagt  im  ^^antafuS: 
„®a  unfer  ganzes  Seien  au§  bem  boppelten  S3eftreben  be- 
fte^t,  un§  in  un§  fetbft  ju  oertiefen  unb  un§  fetbft  ju  öer» 
geffen  unb  au§  un^  Ijerau^juge^en,  unb  biefer  SSedifel  ben 
9tei5  urfre§  ®afein§  auSmai^t,  fo  t)at  e§  mir  immer  ge= 
fcfiienen,  ba^  bie  geiftigfte  unD  lüi|igfte  ©ntiuicfetung  unfrer 
Gräfte  unb  unfrei  ^nbibibnumg  biejenige  fei,  uu§  felbft 
gau§  in  ein  anbre§  SSefen  I)inein  nerloren  ju  geben,  inbem 
mir  e»  mit  aller  5tnftrengung  unfrer  geiftigen  «Stimmung 
barjufteHen  fud^en:  mit  einem  SBort,  tuenn  mir  in  einem 
guten  ©d^aufpiel  eine  3ftoIIe  übernehmen." 

dlüd)  bem  Urt^eit  5111er,  hk  iljn  ^aben  fpielen  fe|en, 
^ätte  %ud  ber  größte  ©djaufpieler  feiner  3eit  merben  fönnen. 
find)  2Bi(i)eIm  unb  j^riebric^  Oerfuc^ten  ficE)  bariu,  mie  ^ehn^ 
mann;  aber  griebridf)  glänjte  nur  in  gemiffen  9?oC[en,  bie 
i^m  entfprac^en.  %kä  Ijingegen  fonnte  ithe  benfbare  ^^erfon 
mit  einer  eigent{)üm(irf)en  unb  für  fie  l^affenben  ©eele  be- 
leben. Dttemaub,  bem  jene  ißorlefuugeu  nic^t  ^^i^^e^cnS  im 
©ebä(f)tni^  blieben,  mo  er  ©ramen  nicfit  fornoi)!  tjortrug  aU 
burc^  hk  ©eiualt  feiner  aIlau»brucf§t)otten  Stimme  oorfpielte. 
S)a§  (5rftaunüd)fte  fdjilbert  ©teffenö:  mie  er  eine  ganje  oon 
Uebermut^  unb  Saune  funtelube  ^offe,  auf  ein  gegebene^ 
3:;^euia,  improöifirte.  Uebertjaupt  ift  e§  fc^mer  gu  entfc^eiben, 
ob  er  me()r  ^Qipi^oüifator  ober  STicEiter  mar;  biefe  reijenbe 
gefelltge  &dbt  £)at  i£)n  um  ben  l^öc^ften  Sorbeer  gebrad^t. 
(Sr  bic^tete   ganj  mie  9lubotf  im  ©ternbalt),   oiine  5tnfang 


138  ®ei^  rDinantiic()e  ß^arafter. 

unb  ^ä)\u%  über  5ttte§  unb  5yJi(f)t§,  wie  loenn  er  nur  eben 
ben  ^ol^n  öffnete  unb  fliegen  lie^e,  bi§  S^iemanb  me^r 
Irinfen  fann. 

S)o§  Sücferfi|en  he^  ©etfleS  erleicf)tert  ben  Umgang; 
man  füljlt  ben  ^loang  unb  jDrud  fetner  S^Jatur  ntc^t,  man 
fie^t  fic§  gleic^fam  felbft  5U,  line  man  gelponbt  unb  äterlic^ 
tk  Pantomime  ber  @efellf(f)aft  aufführt.  @§  liegt  jirar  in 
biefer  (Sigenfd^aft  auc|  ber  (Srunb  ju  aller  Ziererei,  'äfjd- 
iation,  furj  äffifc^em  Sßefen,  föie  S:iecE  e§  auSbrüdte.  3SteI 
gefä^rlid^er  aber  noc^  ift  bie  2lngelüö^nung,  auc^  im  n)irf= 
liefen  Seben,  n)enn  e§  ©ruft  gilt,  ^Rotten  gu  fpielen.  (5§  ift 
in  SoöeH  meifter^aft  bargefteKt  gu  fe]^en,  mie  fic^  auf  biefcm 
SBege  eine  naiö  freche  Sügenfiaftigfeit  ^erau§  bilben  fann. 
SSenn  Sodett  ein  Wähdjen  oerfü^ren  toill,  beflamirt  er  i^r 
juerft  in  beiuu^ter  SSerfteHung,  £)eimlid^  fie  unb  fic^  üer«» 
lac^enb,  feine  Siebe  Cor;  altmälig  aber  entjünben  feine  ^Ijan" 
tafie  unb  feine  «Sinuc  \\ä)  an  bem  bengalifcfien  geuer,  unb 
er  fd^iüärmt  i^r  enbli^  feine  3)Jeineibe  mit  Eingebung  unb 
nic^t  o^ne  Sireu^erjigfeit  oor.  ^öd^ft  merfiüürbig  ift  2;iecf'§ 
SSerfuc^,  ben  ©fiarafter  ©romtüeU'»  au§  biefer  greifieit  unb 
Seföeglic^feit  be§  ®eifte§  ju  erflären;  lüie  er  nämlid^  ent» 
berft  ijaU,  hal^  ber  (SntJ)ufiagmu§,  ber  i^m  2lnfang§  natürlich 
gemefen  fei,  beffen  er  aber,  um  fein  3ic(  gu  erreichen,  öfter 
benöt^igte,  aU  ber  ^rieb  i^n  brachte,  fid^  aud^  beJüufst  ^erbei= 
lorfen  laffe,  luooon  er  benn  häufigen  ®ebrau(^  gemad^t  Ijobe: 
„auf  bie  5lrt  mu^te  bem  großen  S)taune  balb  jiüeifel^aft 
Werben,  \üa§'  in  i^m  ma^r,  iüa§  falfc^,  tt)a§  ®rbi(^tung,  \va§ 
Ueberjeugung  fei;  er  mu|te  ftd)  in  mandjen  ©tunben  für 
einen  S3etrüger,  in  anbern  luieber  für  ein  au§geU)äJ)Ite§  9tüft- 
§eug  be§  |)erru  l^olten."  S^iecf  erlebte  ba§  beftäubig  in  fic^ 
felbft;  balb  erzeugte  ta^  S3eiDU§tfein,  jebe  SMgung,  jebe  Sin« 
ficf)t  nad^  93elieben   oon  fic^   luerfen   unb   gegen  eine  anbre 


5)er  rDniontifd}e  G^arafter.  139 

oiiltaufd^en  511  fömien,  f:prü^enben  Uebermutl)  in  ii)m,  bann 
roithex  ^ft'fifff»  ©eiuiffensiangft  unb  öeqiueifelte  Un[ic^eröett. 
Gebern  9JJenfd§en  liegen  eine  SJJenge  HJföglirfileiten  be§  |)an* 
beln§  äur  Stuötualil  cor ,  a\id)  5U  üeriüerflic^em  3:^utt 
tommen  ©inlobungen,  bie  nirf)t§  oB  ein  unuu(lfürli(^e§  Huf* 
land^en  öon  Erinnerungen  finb,  mecJ)anij'(i)e§  Umbre^en  ber 
©ebäc^tnilliüdje,  lüie  e§  oucE)  im  3:raum  gejd^ie|t.  derjenige 
nun,  ipeld)er  ben  Unterfd^ieb  jiuifd^en  einem  genügenben  Strieb 
jur  |)anblung  unb  ber  S3orjtetIung  baöon  nic^t  fennt,  nimmt, 
nja§  nur  3>uifc^enaft§mufif  ift,  für  iiaSi  ©lücf  felbft  unb  red^net 
fic^  mit  oeriiängni^üoKer  SSermecfifelung  geträumte  ^^aten  an. 
21I§  Soöell,  nod^  ein  ßnabe,  mit  feinem  greunbe  einen  Serg 
befticg,  locfte  e§  i^n  unii)iberflel)lic|,  ben  9lrgIofen  öon  einer 
fc^n)inb(igen  ^li^j^e  i)inunter5uftD§en,  bi§  er,  um  ber  SJinrter 
ein  (Snbe  ju  machen,  i^n  unter  i^eftigen  2;I;ränen  an  feine 
S3rnft  riü,  luorauf  ber  S3unb  für'^  Seben  gefrf)Ioffen  ruurbe; 
nad)  3a(}ren  aber  fud)te  er,  au§  Üiad^fuc^t  unb  (Selbftquälerei, 
bem  greunbe  baburd^  eine  töbtlic^e  ^ränfung  ju  üerfe^en, 
ba^  er  ii)m  biefen  S3organg  offenbarte,  um  ju  beraeifen,  bie 
fi^einbare  (^-reunbfc^aft  fei  nicf)t  au§  Qkbt,  fonbern  öielmel^r 
au^  |)a^  unb  SJiorbluft  ^eroorgegangen.  9Jfit  ä^nlid^en  (Sr= 
lebniffen  5erf(eifc^te  %ud  \id)  ^äufig,  befonberS  in  feinen 
^inber«  unb  Sugenbja^ren.  @r  mad)te  fic^  in  SBa^r^eit 
für  jebe  unibe  Siegung  feiner  aufgeregten  Sräume  öerant= 
n)ortItc^  unb  f^auberte  oor  feinem  eigenen  ©elbft  jurücf, 
njenn  feine  (£inbilbung§traft  e§  t|m  öerjerrt  oorgefpiegelt 
^atte.  S)a§  Selou^tfein,  ein  ^eimlic|er  ÜJiiffet^äter  ju  fein, 
brücfte  i^n  nieber  unb  tonnte  iJin,  ben  65efe(Itgen,  menfd^en= 
fc^eu  machen;  bann  f^Iiii  er  mit  bem  ©efü^I  ^erum,  ha^ 
fürd^terlic^e  Ö^ei^eimnifj  feiner  erträumten  S^erbrec|er=Drgten 
»ergraben  ju  muffen,  beffen  ©ntbecfung  i^n  in  ©ct)mac^  unb 
©c^anbe  ftürjen  loürbe.     2)ie  fc|önere  Seite  biefer  ©igen» 


140  ®ei^  vcimautiid)e  Gfjaraftcr. 

t^ümlic^feit  t[t  ha^  inarme,  freiließ  aud)  quätenbe  9)?ttgefü^( 
für  jeben  {^reüler;  benn  „lüo  tft  ber  33öfeiuic^t,  ber  nid^t 
jum  ©ngel  lüürbe,  Wenn  er  ben  5Rid)ter  in  bie  ge!§etme 
2Berf)"tätte  feiner  Seele  führen  fönnte?"  unb  e§  liegt  ja,  n)ie 
S:iecf  an  anbrer  @teKe  fagt,  giuifcfien  gut  unb  böfe,  gmifd^en 
iJreub'  unb  Seib,  ^ietiften  unb  ©otteäläfterer,  bem  Patrioten 
unb  Sanbe§öerrätf)er  nur  eine  ©efunbe. 

2öä§renb  ber  boUfommen  unbelt)uf3te  3J?enfd^  nur  einen 
2Beg  be§  ^anbetng  fie^t,  ben  feinigeu,  überfielt  ber  öoll* 
fommen  berou^te  eine  unenblic^e  SRenge,  aber  nid^t  o£ine  einen 
öon  Slnfang  an  aU  ben  feinigen  ju  erfennen;  beibe  ^aben 
eine  richtigere  (Sc§ä|ung  öon  fic^  unb  5tnbern,  ^tntx  freiließ 
fein  SSerftänbnig.  S)er  betüuBtiuerbenbe,  ber  jDämmerung§« 
nienfc^,  mit  feinem  @ingeJ)en  in  5Inbre,  feinem  ^(uffd^Iucfen 
ber  fremben  ^erfönlid^feit,  feinem  2Iufge|en  in  i^r,  ift  ber 
geborene  35ertraute  ber  äRenfdj^eit,  Künftler  ber  greunbfd^aft. 
Ser  inftinftiöe  ^"9  "nb  ©c^iuung  be§  ©efü^I»,  ber  bie 
gelben  ber  Siebe  mac^t,  fehlte  ben  9iomantifern  meifteng; 
in  ber  feinen,  fpielenben  Slunft,  ®eift  an  ®eift  ju  reiben  unb 
ju  entjünben  lüaren  fie  SOieifter.  ^m  ^^antafuS  |at  2:iecf 
ein  S3ilb  ju  geben  gefu(^t  öon  biefer  garten,  Iieben§iuürbigen 
©efettigfeitSfc^iüa^erei.  9iirgenb§  tritt  ha^  SBeiblid^e  ber 
JRomanti!  me^r  ^eroor.  SBürben  äRänner,  bie  nid^tl  all 
SJJänner  finb,  mit  fo  biet  ©ragie  ftunbenlang  über  ben 
^unbertften  2beil  ber  Safer  einer  ©mpfinbung  reben,  p(au- 
ttxn  unb  plaubern  au§  lauter  Sanjluft  be§  ®cifte§,  tieute 
burd^  S)tcf  unb  S)ünn  eine  S3ef)auptung  Dert^eibigen,  um  fie 
morgen  auf'§  33Iut  ju  befämpfen  —  „o  33rüber,  (Sngel5- 
^erjen,  tuieoiel  tt}öric^te§  SeuQ  rtiollen  luir  mit  cinanber 
fd^ioa^en!"  ^ierf  ^atte  oon  Slßen  taS'  größte  Salent  jur 
greunbfc^aft.  Gr  ^atte  für  S^ben  SSerftänbui^ ,  Seber 
fonute  glauben,  oödig   mit  il)m  übereiuäuftimmen;   loa»  in 


Ser  rontantifcf}e  ßfjaratter.  141 

bem  ^(ngenbltcf  fic^  aud^  fo  üert)iett.  Sein  (Sinflu§  auf  bie 
9)Jen)($en  fanb  f^auptiöc^Iic^  biirt^  perfönltc^e  ©egentüart 
ftatt.  G§  tljat  fo  iPD^I,  fid^  in  feinem  empfänglichen  ©eifte 
tt)iebergefpiegelt  ju  fe^en;  aber  aüc  Spiegel  befommen  i^ren 
eigentlichen  SSert^,  n)enn  man  batior  fte^t,  ja  fie  finb  im 
®runbe  nur  ©tirag,  infofern  fie  etn^aS  5tufgefangene§  iuiber= 
ftrai)Ien.  ®ie§  ©efüljf,  oudö  luieberum  Don  benen  abhängig 
ju  fein,  benen  er  fo  biet  gab,  mag  5U  ber  rü^renben  ^tetät 
beigetragen  l^aben,  mit  ber  er  ha^  5(nbenfen  ber  alten  ^teunbe 
feft^iett,  njä^renb  fic§  beftänbig,  bi§  an  fein  Seben^enbe,  neue 
um  t^n  fammelten.  5(1§  er  eine  5(u§gabe  feiner  Si^erfe  ber» 
anftaftete,  ^atte  er  ben  Sinfalt,  jeben  33anb  einem  greunbe 
gu  njibmen  mit  3Borten,  au§  benen  eine  feine,  geiftige  unb 
barum  unroanbelbare  ^iirtlic^feit  fpric^t.  jDe§  f^reunbeg 
(Sigenart  efiren,  fic^  öon  ^ebem  befonber§  ergänsen  laffcn, 
mar  bie  @runbte^re  feiner  greunbfc^aftsfunft:  man  fann 
ütelTeic^t  öor  bem  ©inen  ©e^eimniffe  !^aben,  bie  man  mit 
einem  n)eniger  Sßertrauten  t^eilt,  luenn  bie  ^JJatnr  berfelben 
^enem  unjugänglidjer  ift.  „Verarge  bod^  bem  greunbe  nid^t, 
vocixn  bu  a^nbeft,  ha}i  er  bir  (ättnaS  üerbirgt;  benn  bie§  ift 
ja  nur  ber  S3ett)ei§  einer  järteren  Siebe,  einer  (Sd^eu,  bie  fic^ 
ängfllic^  um  bid^  betoirbt  unb  fittfam  an  bid^  fc^miegt";  n^ie 
fc^ön  ift  |ier  ber  befc^eibene  ©eift  ber  greunbfdiaft  (^ara!te= 
rifirt  im  SSergleic^  jur  t^rannifd^en  Siebe.  5tud^  ©(^leiermadber 
unb  j^riebrid^  p^ifofop^irten  über  greunbfc^aft,  namentlid^ 
griebric^  Jiatte  Unerhörtes  mit  ber  unfid^tbaren  Sirene,  mit 
ber  neuen  ^anfe  oor.  5Iber  gerabe  er  rtiar  biet  ju  maffib 
für  biefe  ät^erifc^e  (Smpfinbung  unb  t)atte,  tro|  aller  leiben- 
fc^aftüc^en  5lbfic^t,  fein  &IM  bamit.  2Benn  Zkd  unb 
SBacfenrober  "äxm  in  ?lrm  am  ©iebic^enftein  über  ber  ©aale 
fafeen  unb  bie  23e(t  l^inter  ixd)  berfinfen  liefen,  ober  burd^ 
ba§  alte  S^ürnberg  mit  einanber  fd^loeiften,  trunfen  bon  gemein« 


142  3)er  vomanttii^e  (S^arafter. 

jomer  58egetfterung,  (ätner  bitrc^  ben  Stnbern  beglücEt  unb 
gehoben  —  ha^^  wax  romantifd^e  j^reuiibfc^aft;  romonttfd^ 
aud)  babiird^,  ba§  bie  öeri^üKte  ©eftalt  be§  3::obe§  bid^t  tüic 
xili  ©djatten  ifinen  nad^jog.  (5tn  langes  Seben  öoll  ^ranf- 
]§eit  roar  bem  ©inen  beftimmt,  SBacfenrober  ein  iä^e§  (Sterben 
in  ber  ^ugenb. 

Sßarfenrober:  ein  9)?enf(^  öon  fofd^er  Steblic^feit,  ba§  ba§ 
§artefte  SBort  jn  :plump  fd^eint,  um  fein  3Befen  gu  bejeic^nen; 
unter  ben  übrigen  9Wenfd^en  )x)ie  Daniel  unter  ben  Söioen, 
aber  o^ne  be[fen  er!^abene  ©ic^erfieit.  S)enn  er  roax  jc^eu 
unb  nie  o^ne  öerljaltene  SIngft  üor  bem  Seben,  oor  bem 
^uöiel;  befonber?  üor  bem  ^uüiel  be§  ©tüdeS.  SBenn  %kä 
t^m  feine  glü^enbe  (5^eunbf(^aft  bet^euerte  unb  tüie  er  nid^t 
p^ne  i^n  leben  fönne,  erfc^raf  er  faft  me^r  aU  er  fid^  freute, 
unb  h)enn  S^iecE,  t3on  itjm  getrennt,  ein  2Bieberfe£)en  unb 
längeres  3ufat"Qienteben  üorfc^Iug,  mehrte  er  fogar  mit  in* 
ftänbiger  Sringlid^feit  ah:  ba§  flopfenbe  ^tx'^  möchte  ben 
liebften  SBunfc^  fo  gerne  f äffen  unb  Ijdten,  irenn  eS  nid^t 
gu  gerfprtngen  fürd^tete,  bie  ^rone  beS  (5ilü(fe§  fd^eint  gu 
f(f)irer  für  t)a^  bemüt^ige  §aupt.  @r  mic^  au§,  lüenn  ha^ 
t^üll^orn  be§  UeberfluffeS  fid^  i^m  juneigte,  lüeit  er  nid^t 
nju^te,  lüie  er  l^ernad^  ba§  (Sntbe^ren  ertragen  foltte.  'Jtber 
tt)enn  has,  (Simone  bod^  fam,  empfing  er  eS  banfbar  unb  feiig. 
©in  geiüiffer  überirbifd^er  (Srnft  fd^eint  i^n  niemals  nertaffen 
gu  Ijaben,  menigftenS  mu^te  er  bei  ben  gemeinfamen  S^^eater* 
auffü^rungen  ber  f^reunbe,  als  ber  am  meifteii  ba5U  geeignete, 
bte  ^aifer  unb  Könige  barftellen.  SlflerbingS  tüar  eS  tl^m 
onjumerfen,  ha^  er  in  einem  unfid^tbaren  Königreiche  lebte 
unb  \id)  niemals  in  ber  ©rbenregion  jured^tfinben  fonntc, 
Wo  er  auf  einmal  als  ein  geiuölinlic^er  Untert^an  mit  ber 
förperlid^en  SBelt  ^antiren  follte.  @r  gab  fid)  gro^e  SJJül^e 
bagu  unb  litt  beftänbig  unter  9}ii|erfolgen.    Um  baS  gelpalt- 


®er  romanttfdje  Sf)araftcr.  I43 

l^üttge  9}?enf^enöoIf  ntd^t  511  üerle^eu,  luagte  er  [id^  mit 
feinen  'ißrin5enibeen  nic^t  Ijeröor  unb  quälte  fid^  bod^  mit 
©eiuiffen^biffen  ükr  fold^e  Unet)rticf)feit  unb  f^etgtjeit.  ©r 
fd^Iep))te  fid)  luunb  unb  mübe  an  ber  2a\t  be§  33erufe§,  ben 
fein  SSater  i^m  aufgejtnungcn  ftatte,  am  ©tubium  ber  Surig= 
prubenj,  unb  !onnte  bod),  hn  ader  ^od^ac^tung  öor  ber 
SBiffenfrfjaft,  feinen  SBiberiuiHen  gegen  einfeitige  S:|ätig!eit 
be§  fritifc^en  5ßerftanbe§  nid^t  überiuinben.  ©r  beneibete 
bie  ^riefter  barum,  ha'^  i^r  einziges  ®ef(^äft  SSere^rung 
unb  5In6etung  mar.  Unb  ta^  tft  ju  bettjunbern,  lüie  ftreng, 
fdfiarf,  fritifc^  er  fein  fonntc,  tüenn  e§  galt,  Xkd'^  erfte  poe^ 
tifc|e  5ßerfud^e,  bie  er  mit  übermütt^iger  S^iac^Iöffigfeit  5U= 
fammenfc^rieb,  gu  beurt|eilen;  er  liefe  bem  greunbe,  an  beffen 
^ic^terberuf  er  glaubte,  nid^ty  9}JitteImäfeige§  |inge§en. 

S3on  grauenliebe  fdjeint  er  ntd^t§  geujufet  gu  ^aben; 
%kd  gehörte  bie  ganje  gülle  feine§  järtlid^en  ^ergenS. 
93ieIIeic^t  a^nte  er,  bafe  er  fic^  an  ber  S3ranbfa(fel  ber  Siebe 
fogteid^  oerjei)rl  !^aben  ipürbe.  S^oII  Setbenfdjaft  unb  ©inn«= 
lic^feit  mar  er  unb  £)älte  öieHeic^t  ein  luitber,  auSfcfimeifenber 
9)?enfc^  tücrben  fönnen,  luenn  nid^t  in  feinem  Innern  (£t>ua§ 
entjtpei  geiuefen  märe:  id)  meine  ben  5Rife  in  ber  (Scheibe» 
manb  jtüifd^en  bem  Semußtfetn  unb  bem  Unbelüufeten.  9?un 
ftrömte,  loaS  fid)  fonft  öieHetc^t  in  furd)tbaren  önlfanifd^en 
5(u§brüd^en  entlaben  ^ätte,  al§  betäubenbe§  ©ampfgemölf 
an§  Sic^t  unb  mad^te  i^n  jum  |3t)antaftifc^en  STräumer.  ®em 
@cifte,  in  bem  feine  @innlid;feit  fid^  aufgetöft  Ijatte,  l^eitte 
fie  all  ii)r  ©üfee§  mit.  ®en  9JebeI  aufzufangen  unb  §u  der« 
lf)eilen,  ^atte  bie  «Sonne  feine§  SSemufetfeinS  nid^t  bie  ft\aft, 
unb  fo  mar  ein  mogenber,  bämmeriger  ©d^teier  über  feinem 
@eifte»Ieben  —  eine  bezauberte  9;)cärd^enlanbfc^aft,  bereu 
reijenben  Umrife  man  nur  a^nen  fann,  jumeilen  bred^en 
(Strahlen  burc^  unb  e§  fc^eint  Har  ju  merben,  auftatt  beffen 


144  S)ei^  vomanttfc^e  G^arafter. 

aber  lütrb  ber  ^Jlefcel  btd;ter  unb  bunüer  unb  Iö[d^t  ba» 
liebe  S3tlb  au§. 

9tm  S3e[ten  ^at  fic^  SBadenrober  felb[t  gefd^übert  in  feinem 
^o[e^I}  S3ergltnger:  „'\tix\e  ©eefe  glid^  einem  sarten  SSäum«' 
c^en,  beffen  8amenforn  ein  SSoget  in  ha§  ®emäuer  ober 
3?uinen  faden  tie^,  lüo  e§  jtüifc^en  garten  ©leinen  jung- 
fräulid)  Ijeröorfc^ie^t . . .  5Iber  fein  ^nnereS  f(f)ä|te  er  über 
2tlle§  unb  l^ielt  e§  öor  5lnbern  ^eimlid^  unb  öerborgen.  (So 
ijäü  man  ein  @cf)a^fäft(ein  »erborgen,  ju  treld^em  man  ben 
©d^Iüffet  9^iemanb  in  bie  §anb  giebt.  —  (5§  genügte  if)m 
nidjt  bie  bloBe  ©efunb^eit  ber  Seele,  unb  ba^  fie  i^re 
orbentltd^en  ©efd^äfte  auf  (Srben,  aU  Slrbeiten  unb  ®ute§ 
lf)un  berrid^tete  —  er  lüollte,  ta^  fie  auc^  in  ü|Dpigem 
Uebermuttie  ba^ertanjen  unb  5um  |)immet  al§  ju  i^rem 
Urfprunge  ^inaufjaud^äen  foHte." 

Unb  mit  aufbli^enber  ©rfenntni^  fagt  er  am  Sd^Iuffe 
ber  Seben^befd^reibung,  traS  man  al§  30^otto  über  bie  2Ber!e 
fo  mancf)e§  9tomantifer§  fetten  fönnte:  „^d^,  ha'^  eben  feine 
J)o|e  ^{)antafie  eg  loar,  bie  il^ii  aufrieb!  ©oft  id^  fagen, 
ba§  er  oielleid^t  me^r  baju  gefd^affen  lüar,  ^unft  5U  genießen 
aU  aiiSjuüben?  ©inb  biejenigen  öielleid^t  glüdlic^er  ge»- 
bilbet,  in  benen  bie  llunft  ftiH  unb  :^eimlid§  tt)ie  ein  oer» 
l^ütlter  ®eniu§  arbeitet  unb  fie  in  i^rem  ^anbeln  auf  (Srben 
nic^t  ftört?  Unb  mu^  ber  Soimet;begeifterte  feine  ^o^en 
^^antafien  bod^  auc^  öielleic^t  at§  einen  feften  (Sinfc^fag 
fü£)n  unb  ftarf  in  biefe§  irbifc^e  ßeben  einfd^tagen,  ipenn  er 
ein  echter  ^ünftler  fein  miH?  ^a,  ift  biefe  unbegreiflidje 
©c^öpfungSfraft  nirf)t  ettra  überl)au|3t  ganj  etnja§  5lnbre§ 
unb  —  lüie  mir  je^t  erfdjeint  —  etinaS  nod^  SBunberOoHereS, 
nodi  Göttlicheres  nt§  bie  ^raft  ber  ^s|antafie'?" 

S)a^  Genie  Qualität  fei,  fintten  beitfenbe  9tomantifer 
crfannt.    S[)a§  S3erfd)tüimmen  be§  93eH)uBten  unb  UnbeiuuBfen, 


3)er  rDinantifd)e  (S^arafter.  145 

bcr  beiben  ^erfonen  be»  ^d)  in  etnanbet,  aljo  ni(f)t  fd§arf 
genug  aufogeprägte  2;ualttät  tft  bie  Urfac^e,  luarum  bte 
^ünftler,  bie  tcf)  ^\n  bie  romantifc^en  im  engeren  ©tnne 
genannt  tjahe,  feine  fd^affenben  fein  fonnten.  ^^tifiologifc^ 
tt)ürbe  e§  ©cfielling  aU  ungehemmte  ^robuftiüität  bejeic^nen. 
®cnn  hit  Statur,  jagt  er,  tft  in  einer  unenblid^en  ß-öolution 
begriffen,  unb  niemals  lüürDe  ein  ^robiift  entftefien,  lüenn 
bie  ett)ig  ftrömenbe  ^robuftiöität  nic^t  gehemmt  luürbe.  S)a§ 
gefdiie^t  burc^  bie  9?efIeinon:  „bie  9Zot§liienbigfeit  ber  9tefIeyion 
auf  unfer  ^anbeln  in  jebem  9}?oment  (bie  beftiinbige  5)upli» 
cität  in  ber  ^bentität)  ift  ber  gefieime  ^unftgriff,  lüoburi^ 
unfer  ® afein  ®auer  erhält."  2)ie  reine  ^^robuftiöität  gei^t 
auf  ©eftaltlofigfeit ,  eine  entgegengefe^te  Tladjt  mu§  ben 
^lü^  auf f) alten,  bamit  er  geftattet  erfc^eine.  „^ie  9iatur 
^ängt  einmal  nad^  bem  SSerluilbern  ^in,  unb  barum  mu^ 
man  3:og  unb  D^a^t  bagegen  arbeiten",  fagt  ber  alte  ©ärtner 
im  Sobell,  unb  ^iecf  ift  auf  biefen  ©ebanfen,  ber  i^m  befon= 
ber§  bebeutung§üDff  erfc^ienen  fein  mag,  fpäter  au§fü^rlid^er 
jurücfgefcmmen. 

9Jac^  ©c|elling'§  Se^re  ergießt  fic^  bie  ^raft  ber  ytatxix 
im  (Strome  i^rer  ßntiüicfetung  über  brei  Stufen:  Sfieprobuf« 
tionSfraft,  Irritabilität  unb  «Senfibilität,  bon  benen  hie 
(Senfibilität  bie  l^öc^fte  unb  le^te  ift.  SDa  fie  hk  gä^igfeit 
ift,  ®inbrücfe  aufjunel^men  unb  ^i^ittabilität  bie  ©egenmirfung 
gegen  biefelben,  fo  fteJ)en  biefe  beiben  Gräfte  im  SBe(f)feI=» 
öerbältni^  unb  bilben  sufammen,  lüaS  man  gelüö^ntid^  <Su 
regbarfeit  ober  3fieiäbarfeit  nennt.  2öo  bie  a^eprobiiftioni- 
fraft  ba§  Uebergetoic^t  ;^at,  tüie  dwa  beim  Söluen,  finb  bie 
Stei^barfeitiSäu^erungen  feiten  unb  fd^tüer,  aber  fraftöoH;  Wo 
(Senfibitität  Ijerrfc^en  lüirb,  nehmen  fie  an  Seic^tig!eit  ju, 
föofür  fie  aber  frnftlofer  tüerben.  ®er  mobernc,  retjbare 
ajienfd^  ift  ha^  ©egenftüd   be§  Sümen:   föä^renb  biefer  ein 

§uc^,  SRomantiter.  10 


146  '^^^  romantifcfje  Gtjavaftcr. 

Uebergelind^t  nad)  unten  'i)at,  !§at  jener  e§  nad^  oben;  e§  ift, 
h)ie  wenn  bie  ^robuftiüttät  beim  Sömen  nic^t  in  5Iu§  föme, 
beim  romantifd^en  Tltn\ä)tn  fid^  nirgenb  ftaute.  @r  ift 
be[tänbtg  befd^äftigt,  ouf  bie  sa^tlofen  Steijungen,  bie  er 
empfängt,  ju  reagiren,  fein  |)er5,  (Si|  ber  Irritabilität, 
mattet  fid^  ah  in  biefem  Kampfe  unb  jagt  baö  S3Iut  mit 
^eftig!eit  burd^  ben  Drgani§mu§  bi§  §u  !raftIofer  @r- 
fc^öpfiing,  an§  ber  neue  Steige  e§  aufftören.  Sötuennatur 
mit  ber  Steijbarfeit  eine§  romantifc^en  SJienfc^en  tiereinigt 
tüürbe  ben  größten  ^ünftler  mad^en. 

2Bie  tiielfagenb  ift  e§  nac^  biefem  ©ebanfengange,  tüenn 
^ied  ben  ®eift  be§  S)id^ter§  —  einc§  foIcEien  Uiie  er  Ujar, 
natürlich  —  mit  einem  elüig  beiuegten  ©trome  tiergteic^t, 
beffen  murmelnbe  SJielobie  in  feinem  Hugenblide  fdE)tüeigt, 
ben  jeber  §aud^  rüljrt,  ber  jeben  Sidf)tftrat)I  wiberfpiegelt. 
'^ad)  immer  neuen  Silbern  greift  feine  ^£)antafie,  um  bie 
luollüftige  ^ein  biefeg  unermüblid^en  9Iuf  unb  2(b  in  ber 
S3ruft  5U  fd^ilbern.  „Tldn  Seben  ift  ein  raftIofe§  S^reiben 
ungeftümer  SSünfd^e",  fogt  Sotiell,  „luie  ein  SBafferrab  tiom 
tieftigen  ©trome  umgeluäl§t,  je^t  ift  haS'  unten  mo^  eben 
nod^  oben  luar,  unb  ber  ©c^aum  ber  SBogen  raufd^t  unb 
lüirbelt  burd^  einanber  unb  mac^t  ben  33ti(f  beg  93etrac^tenben 
fd^lüiuDtig." 

©iefelbe  grage  mieber^ott  granj  ©ternbatb:  „SSenn  nur 
ba§  elüige  ?luf=  unb  5lbtreiben  meiner  (SJebanfen  nic^t  märe! 
SBenn  bie  $Ru^e  bod),  hk  mid^  mand^mal  nur  im  SSorbei- 
fluge  fü^t,  bei  mir  eiul^etmifc^  luürbe,  bann  fönnf  td^  üon 
(BIM  fagen,  unb  e§  unirbe  oieHeid^t  mit  ber  ^eit  ein  ^ünftter 
au§  mir  ...  3l(f)  xd)  fet)'  e§  ein,  nod^  me^r  füljt'  td^  e§, 
ba§  luirb  mir  emig  nic^t  gegönnt  fein.  Z^d]  fann  nid^t  bafür, 
td^  fann  mic^  nic^t  im  Qamn  tialten,  unb  ade  meine  ®nt* 
tuürfe,  Hoffnungen,  mein  Zutrauen  gu  mir  gc^t  öor  neuen 


5?cr  rDmanti)d}e  dljarafter.  147 

©mpfinbungen  unter,  unb  e§  luirb  leer  unb  \vü'\i  in  metner 
©eele,  tüte  in  einer  raupen  Sanbfd^aft,  tüo  bie  Srücfen  üon 
einem  luilben  SBalbflrom  §njammengeriffen  finb." 

^ied  felb[t  f tagte  noc^  im  Sttter  barüber,  ha'^  auf  bie 
ipertobe  bei  „Seidötfinnl"  immer  longe  Reiten  ber  SJ?eIan» 
c^olie,  3)hiti)Ioftgfeit,  ja  S^erjlueiflung  folgten,  Jüo  er  ftumpf 
unb  unempftnblicf) ,  burc^aul  unfähig  fei  irgenb  etloaS  5U 
unternehmen  unb  ätuerfloS  inl  Seere  brüte. 

3n  Söacfenrober  biefelbe  ^rnnf^eit:  „S<^  fomme  mit 
mir  felber  nid^t  auf  feftel  Sanb.  9Jietne  (Sebanfen  über- 
uml^en  unb  überfugeln  fic^  unauftprlid^.  —  Unb  fo  lüirb 
meine  Seele  luot)!  lebenslang  ber  fc^luebenben  Steollljarfe 
gleidien,  in  bereu  ©aiten  ein  frember  unbefannter  ^auc^ 
ttje^t  unb  med^felube  Süfte  na^  ßJefaden  |erumtiiü^teu." 

®aB  bie  „feltfamfteu  5Ibfprüuge  öon  ber  ^öc^ften  §ö|e 
5ur  tiefften  Siefe"  feinem  @efut)Ie  fo  geiüö^n(ic|  maren,  fanb 
griebrid^  ©d^Iegel  ai§>  Jüngling  am  meiften  an  fid^  5U  tabeln. 
€§  t)erfte|t  fid^  öon  felbft,  'i)a^  er  biefe  Einlage  feinem  Quliul 
in  ber  Sucinbe  lei^t,  öon  bem  er  erjätilt:  „Samt  beraufd^te 
er  fid^  in  SSilbern  ber  Hoffnung  unb  Erinnerung  unb  Iie§ 
fi(^  abfid^tlid^  öon  feiner  eigenen  ^tjantafie  üerfül^ren.  Qeber 
feiner  SBünfc^e  flog  mit  unermeßlicher  ©d^nelligfeit  unb  faft 
o^ne  ^mifd^enraum  öon  ber  erflen  leifen  Stegung  jur  grenjen^ 
lofen  Seibeufd^aft.  Sitte  feine  ©ebanfen  nahmen  fic^tbare 
©eftalt  unb  93eiüegiing  an,  luirtten  in  t^m  unb  luiber  ein= 
anber  mit  ber  finnitcbften  ^(arfieit  unb  ©einalt.  ©ein  ®eift 
ftrebte  nii^t,  bie  3^9^!  ber  Selbft^errfcbaft  feft  5U  Ijalten, 
fonbern  luarf  fie  freimittig  meg,  um  ftd^  mit  Suft  unb 
UebermutI  in  bie§  C£t)aD§  oon  innerem  Seben  ju  ftürjen." 
dMt  ber  i^m  eigentl)ümlic^en  ©rünbltd^feit  t)at  er  biefe  für 
bie  SO^enfc^en  feiner  ^eit  fo  d^arafterifttfc^e  @rfd)einung 
unterfudE)t  unb  bcgiitarfjtet  unb   tarn  ju   bem  @d)Inffe,    ha'^ 

10* 


14,8  ®^^'  i-'omantijd)c  6f}arafter. 

3flet5l6arfett  bQ§  gefäfjrlid^fle  tüte  ba§  fc^öttfte  ®e[c|ett!  ber 
® Otter  fei.  „@e^t  in  einetn  ©etnüt^  bie  ©mpfängtid^fett 
fe^r  gering,  bie  Steijbarfeit  fo  grengenloS,  ha^  bie  leifefte 
93erü^ritng  if)re  gan5e  ©d^nelüraft  anregt;  bie  ©elbftt^ätigfeit 
fei  fo  ftor!,  bofe  fie  bie  ^errlid^feit  be§  Set)en§  mit  ber 
Sfteijbarfeit  ti)eile.  «Sein  ®afein  irürbe  ein  ftete§  ©d^tt^anfen 
fein  tt)ie  bie  ftürmifc^e  SBoge,  eben  fielen  fie  no(^  bie  emigen 
©ternc  ju  berühren  unb  f^on  ftür5t  fie  in  ben  furd^tbaren 
Slbgrunb  be§  3Jieere§.  ®iefem  ©ernüt^  fiel  au§  ber  Urne 
be§  2eben§  ba§  ^ödifte  unb  ha^  tieffte  2do§  ber  93Jenfc^f|eit; 
innigft  üereint  ift  e§  bennod^  gang  getrennt  unb  im  Ueber= 
fTu^  öon  Harmonie  unenbtic^  jerriffen." 

©0  mödjten  fie  Me  ha^  ®anaergefd^enf  bod^  nid^t  miffen 
unb  finb  ftotj  auf  ta^,  \va^  fie  aU  i§r  Unzeit  empfinben. 
Mit  beiüunbernStüert-^er  ^Iar|eit  er!annte  %itd,  ha'Q  hk 
SReiäbarfeit  ber  (Stachel  mor,  ber  i^n  nie  baju  fommen  lie^, 
ein  ruf)ige§  objeftiöeS  Urt^eil  gu  getoinnen:  feine  ©inne, 
bie  ©aufler,  lüie  er  fie  nennt,  f droben  immer  neue  (S^egen- 
ftänbe  giinfdjen  i^n  unb  ta^'  beobachtete  S3ilb,  bi§  e§  gonj 
üerjerrt  unb  jerriffen  tvav.  Unb  hod)  mad^te  e§  i|n  glücflid^, 
tüenn  i^m  immer  neue  (5)ebanfen  unb  ©efü^Ie  „loie  fd^ie^enbe 
(Sterne  Durc^  hk  ©eete  flogen  unb  einen  btaugolbnen  ^fab 
l^inter  fic§  machten"  unb  er  !annte  nid^t§  (5dE)önere§  ot§  ein 
®urrf)einanber  oon  ©efü^ten,  «Stimmungen  unb  Stnflängen, 
ha§  ben  ajJenfd^en  tüie  mit  einer  glamme  burrf)fd^immert. 
ebenfo  flammert  fid^  ©ternbatb,  oblüo^I  er  beftänbig  flagt 
über  fein  Sittern,  (Sd^manfen  unb  Sd^raeben,  ba§  i^n  am 
fräftigen  Schaffen  ^inbert,  an  biefe  ^ranf^eit,  biefen  9iaufd^, 
biefen  2Bat)nfinn  aB  an  fein  $8efte§  unb  @cf)önfte§  feft;  unb 
boc^  fielet  ^ürer,  al§  ber  9JJäcf)tige,  gro^  unb  unantaftbar 
im  ^intergrunb,  unb  e§  Hingt,  aU  tüolte  er  mit  Ujenigen 
fc^Üc^ten  SSorten  feine  felbftöerftönblic^e  Ueberlegenfjeit  er= 


®er  vomanttictje  G^arafter.  149 

!(ären,  tucnn  er  fagt:  „9Kir  §ot  ber  |)immel  ein  gelaffenel 
33rut  gefc^enft." 

^lar,  fcf)ar[  unb  feinen  perfönlid^en  ?(nt£)eil  oerrat^enb 
ift,  \va§  S^oöalil  über  hie  Steiäbarfett  gefagt  §at: 

„Slffju  gro^e  geiflige  Semegltc^feit  unb  «Senfibilität 
beutet  auf  3Jianget  an  (lapacität.  ©ie§e  bie  pl^antafiereidien, 
atjuuugSöoden  SJ^enfcl^en." 

„Söer  eine  reijbare  ©eele  ^ot,  bei  beni  Ujecft  ganj 
natürlid)  hk  ©egeniuart  eine§  Ungtüif  bie  gange  @c|aar 
be§  anbern  Unglü(f§  auf,  unb  nun  ge^t  im  Sturm  unb 
gittern  5tIIea  bunt  burd^  einanber,  o^ne  S5erftanb  unb  Ueber* 
legung." 

„(Sine  reijbare  95ernunft  ift  eine  fc^mäcfilic^e,  §cirttt(^e; 
baJ)er  bie  äJJoroliften  unb  93emer!er  oft  fo  fd)Ie(^te  ^raftifer." 

®ie  3ieijbarfeit  gab  ben  9tomantifern  ha^  eioig  3üng= 
lingl^afte;  benn  bie  ^iigenb  ift  bie  ^eit  be§  fd^äumenben 
S3Iute§,  wo  nuc^  bem  ®e(affenften  luo^I  einmal  hk  3ügel 
au§  ber  |)anb  fallen.  ®§  ift  ntd^t  bie  runbe,  unfc^ulb^« 
öotte,  ftaunenbe,  nid^tl  öon  fid^  lüiffenbe  ^inbIicE)feit,  W 
naioc  SJienfc^en  aud^  im  SUter  |aben  fönnen;  eS  giebt  aud^ 
frül^reife,  fdjmate  ^inbergefii^ter  mit  großen,  erfc^rocEenen 
Slugen,  bie  mef)r  föiffen,  al^  fie  faffen  unb  ertragen  !önnen, 
bie  nid)t  orbnen  fönnen,  n)a§  5l(Ie§  auf  fie  einftürmt,  unb 
beäiüegen  nid^t  au§  unb  ein  lüiffen  in  bem  üeriüidelten 
£eben. 

„Gin  ttrtb  üoU  ÜSe^mittt)  unb  üoE  2;reue, 
SSerftofjen  in  ein  fvenibe§  2anb"  — 

fo  ^atte  9?oüati§  feinen  greunb  %kd  angerebet.  S^iecE  er<= 
jä^Ite  in  fpäteren  ^a^i^en,  luie  er  at§  f leinet  ^'inb  mit  feiner 
2Bärterin  auf  bem  ©cf)(ü§p(a^e  in  ^Berlin  gemefen  fei  unb 
^erjlic^  öergnügt  bie  Dielen  ©egenflänbe  um  fid^  |erum  be- 
trad^tct  §abe,  unb  loie  ba  bie  Söärterin,  üon  it)m  unbemerft, 


150  ®ei-'  vomantii(f}e  Gf)arofter. 

gum  ©dierj  fid^  l^tnter  einem  Pfeiler  öerftedt  l^aBe;  ha 
ergriff  it)n  jum  erften  Tlal  bQ§  Öiefü^I  öon  S3crlaffenfetn 
fo  fd^rerflic^,  ba^  ba§  !(etne,  berfc^üc^terte  @emüt^  fid^  gar 
nid^t  lüieber  tuoHte  Iröften  laffen.  Ttt^v  aU  cnbre  SJJenfc^en 
^at  ber  romantifd^e  ßfjarafter  Ö^rauen  öor  ber  Sinfamfeit 
unb  ein  an  ©d^ipöd^e  gren5enbe§  S3ebürfni§  nad^  ©efetlfd^aft 
unb  befreunbeter  UmgeBung,  unb  bei  allem  ^ang  unb  aller 
Qöabt  5ur  greunbfd^aft  erf^toert  gerabe  i§m  feine  9?eij6arteit 
ben  5ßer!el^r  mit  SJJenfdEien  itnenblid^.  ^the  Slbtceid^ung 
öom  Sbeal,  öon  bem  Silbe,  bo§  feinem  fc^ön]^eit§füd)tigen 
3Iuge  öorfd^tüebt,  ftört  i^n  unb  fann  i|n  gu  erbittertem  Un- 
njillen  reiben,  „©ein  greunb  §u  fein,  ift  bie  5Iufgabe  aller 
Sluf gaben;  benn  er  ift  fo  reijbar,  ha'^  man  nur  l)uften, 
nid^t  ebel  genug  effen  ober  gar  hu  ^ö^ne  ftod^ern  barf, 
um  tl;n  töblicl)  ju  beleibigen."  ©elbft  nid^t  ^armonifd^  l^at 
er  ein  Ieibeufd^aftli(^e§  93erlangen  not^  Harmonie  in  2tnbern. 
'^üx  SSenige  iniffen  bie  Siebe  jum  SoHfommenen  mit  5)ul- 
bung  be§  noc£)  UnnoHenbeten  gu  oereinigen,  unb  bod^  ift 
jene  nur  mit  biefer  grofel^erjigen  S^lad^fid^t  oerbunben  fdEiön 
unb  gut.  „Zittau  heftige  Unleiblic^teit  be§  UnooHfommenen 
ift  (S^lüäc^e",  fagt  9^oOali§. 

®er  einzige,  ben  bie  3?omantifer  ol^ne  SSorbe^alt  üer= 
ehrten,  tvax  ®oet|e.  @r  mar  für  fie  etma§  ber  antifen 
^oefie  (^tei(^3uftettenbel:  ein  ©innbilb  ber  @d)öu^eit,  ber 
fie  juftrebten.  ©benfo  tüie  bie  moberne  ^oefie  im  ©egenfa^ 
jur  antuen  irar  i^r  ßf)ara!ter  uic£)t  fc^ön,  fonbern  intereffant: 
intereffant  bebeutet  3>uifd^enfein,  alfo  SSerben.  5llle§  gilt 
öon  t^nen,  tva^  S^iebric^  ©c^legel  gum  Sabel  unb  jum  9iu^m 
ber  mobernen  .^unft  fagte:  bie  ^erüorbringenbc  ^raft  raftto§ 
unb  unftät,  bie  ©mpfinblid^feit  immer  ebenfo  unerfättlid^ 
luie  unbefriebigt,  SSenuorrenljeit,  (Sefe^lofigfeit,  ©fepticilmug, 
öielfeitige  Gljarafterlofigfett  —  'äUt^  in  Willem   ein  e^ao§. 


5)er  roniantijcfie  G^arafter.  151 

Win  au§  bem  Gf}ao§  f^uf  ber  fc^önfte  ber  ©ötter,  ®ro§, 
eine  SBelt. 

SBenn  nun  ba§  S^ao?,  um  einen  5(u«brucf  bon  griebric^ 
®d)(egel  ju  Juieber^olen,  nur  auf  bie  ©erü^rung  ber  Siebe 
lüartet,  um  eine  :§armonii'c^e  SBelt  fieroorjubringen,  fo  er- 
innert ^a^  an  bie  5Iu|ic^t  üon  9^ot)a(ic>,  jebe  SSerbefferung 
unüonfommener  (Jonftitutionen  laufe  barauf  ^inau§,  ba^  mau 
fie  ber  Siebe  fähiger  mac^e.  Unb  nierfiüürbig  ftimmt  bamit 
bie  SeJire  überein,  bie  ber  alte  2)?ann  in  S:iecf'ä  Sftoman  bem 
©ternbalb  giebt,  baf3  \ia^  i^öd)fte  tuaS  ber  SJJenfc^  erlangen 
fönne,  3ufriebenl)eit  mit  fic^  felbft  fei.  „9Jtit  fic^  guf rieben 
fein",  rief  ber  Sdte,  „mit  allen  5^ingen  §ufrieben  fein,  benn 
algbann  tjermanbelt  er  fic^  unb  5tIIe§  um  fic^  ^er  in  ein 
]§immlifcl^e»  ßunfliuerf  unb  läutert  \\6)  felbft  mit  bem  geuer 
ber  ©ott^eit";  unb  einbringlicf)  fnüpft  er  bie  ©mpfe^Iung 
on  ben  Jüngling  baran,  feine  ^^unft  unb  fic^  felbft  ju  lieben 
unb  5u  oeretiren,  \a  fetner  nad^t^eiligen  ©elbftüerai^tung 
Zugang  ju  geftatten.  9Jian  fonnte  eg  für  fe^r  lüunberUc^ 
galten  —  roeiin  man  nic^t  gar  Ziererei  barin  fie^t,  —  ba^ 
eine  (Sd^iuierigfeit  barin  liegen  foll,  fic^  felbft  5U  lieben. 
Unb  bocl  tuar  es  feine  5tffeftation,  tuenn  fo  otele  ber  Stoman»' 
tifer  nac^  btefem  fo  natüilid;en  Sriebe  mü^fam  rangen 
aud^  griebric^  ©c^Iegel  betjauptete,  baB  bie  Unfä^igfeit  fic^ 
felbft  5U  lieben  i^m  bie  33abn  jur  ©röfec  öerfdjtie^e.  5Ib- 
gefeben  baöon,  bofi  bie  betben  ^erfonen,  bie  ba§  ^c^  bitben, 
übeteinftimmen  muffen,  luenn  fie  fic^  lieben  fotlen,  mu§ 
man  bebenfen,  'ha%  bie  ßunft  tl^atfäc^Iic^  barin  liegt,  ben 
richtigen  ®rab  ber  ©elbftliebc  ju  treffen,  fo  't^a'^  man  üor 
©elbftüber^ebung  ebenfo  fieser  ift  tote  üor  8elbfterniebrigung, 
ferner  ba§  richtige  5ßer^ältni§  jur  9läc^ftenliebe  ju  finben. 
(S§  giebt  3J?enfc^en,  benen  e§  oer^ältni^mä^ig  leicht  ftiäre, 
ben  9Jäcöften  me§r  al§  fic^  felbft  5U  lieben,  luä^renb  fie  ba§ 


152  ^ei'  vomanttid)e  ©r^arafter. 

©ebot,  toeld^e»  befte:^(t,  t^n  trie  \id)  felb[t  §u  lieBeu,  nti^t 
erfüllen  fönnen.  ®em  fRomanttfer  ift  e§  eigen,  jtüifdjen 
einer  fid^  jelbft  luegmerfenben  Eingebung  an  bie  SJienfd^en 
unb  ©fei  an  i^nen  gu  fd^lüanfen.  9Jian  bergteid^e  bie  ©teile 
im  ^^§antafu§,  too  S:iecf  bon  ber  ©mpfinbung,  mit  ber  er 
im  ^lutar^  öon  großen  SJJenfd^en  lieft,  mit  einer  anbern 
in  Soöell,  tüo  S3alber  feiner  3JJenfd^enoera(^tung  5ln§bruc! 
giebt.  S)ort  fü§It  er  eine  SSett  gu  biel  unb  möd^te  fic  bem 
angebeteten  |)etben  in  ben  ©d^o^  luerfen,  ein  quätenber 
©rang  fid^  aufguopfern  befeelt  i^n.  |)ier  ^ei^t  e^:  „'üld^ 
ha^  Söraufen  bon  a)JüJ)Iräbern  ift  berftänbiger  unb  an» 
gene:§mer  aU  ba§  Klappern  ber  menfc^Iid^en  KinnbacEen;  ber 
äJJenfd^  fte^t  unter  bem  5lffen,  eben  beSwegen,  lüeit  er  bie 
©proc^e  ^at,  benn  fie  ift  bie  fläglic^fte  unb  unfinnigfte 
Spielerei.  —  .  .  .  Sd^  ftanb  in  einer  fernen  SBelt  unb 
gebot  ^errfc^enb  über  bie  niebrigen  @c^iüa|t^iere,  tief  unter 
mir  .  .  .  unb  rief  ben  gieifc^moffen  gu:  S^r  ^Irmfeligen 
—  Klumpen  bon  tobter  (£rbe  —  ^l^iere  unb  33äume  finb 
in  i^rer  Unfd^ulb  bere^rungSftürbiger  aU  bie  beräcf)tlid^e 
Sammlung  bon  ©taub,  bie  Jüir  9Jienfd)en  nennen."  ©inb 
aucE)  biefe  SSorte  einem  SBa^nfinnigen  in  ben  SJiunb  gelegt, 
fo  ^ört  man  i^nen  bod^  an,  ta'^  S'ied  fie  in  fic^  erlebt  l^at. 
Unb  man  fielet  ^ier,  loie  ©elbftberad^tung  unb  3Jienfd£)en- 
öerad^tung  fic^  gegenfeitig  bebingen. 

SSir  fe^en  ben  ®ämmerung§menfd)en,  ta§>  Si^aog,  in 
bem  bie  aJiaffen  trübe  burc^  einanber  fd^tuanfen.  S)a§  Sic^t 
ift  eingebrungen  unb  fud^t  fie  gu  t^eilen  —  noc^  luirb  e§ 
nur  al§  bie  fc^eibenbe  Tlaä)t  empfunben,  bie  au§  einanber 
fc^neibet,  lüaS  mit  bumpfem  SBol^tgefüi)!  in  ein»  berfd^mommen 
njar.  9ieic^t|um,  Harmonie,  SSoHenbung  nannte  griebrid^ 
©d^tegel  bie  brei  S^^eile,  bie  jur  reinen  5öon!ommen!^eit  be§ 
(S^arafterS   geirrten,  lüomit  nid^t§  5lnber»  gemeint  ift  at§ 


S)er  vomanti}cI}e  Gfiaraftcv.  153 

SBtllen  (Srtet),  UnbelDuBteS),  Sntelleft  (9lb[ic^t,  SSelru^tfein) 
unb  Jßereinigung  biefer  betben  ^älften  in  eine  SBelt.  ^nbem 
er  jagt,  SSoHenbung  äußere  fic^  aU  ©elbftänbigfeit  ober 
fitt(i(f)e  SteBe,  mad^t  er  e§  itn§  flar  genug,  nja§  tutr  barunter 
oerfte^en  follcn.  ®tcfe  Sretetntgfett  ift  feine  anbre  aU  bie 
^erber'§:  Sic^t,  Siebe,  Seben. 

SBenn  bie  bämmernben  3}?affen  be§  C£f)ao§  in  3:ag  unb 
S^Jad^t  gefc^ieben  jinb,  bann  er[t  fann  bie  Siebe  fte  ^armonifc^ 
tjerbinben.  äl^it  ber  einfd^tagenben  buc^ftäblid^en  S^ic^tigfeit 
fla[[i|cl^er  Offenbarungen  nannte  ber  Slpoftel  ^aulu§  hii 
Siebe  bo§  Sonb  ber  ^BoHfornmenl^eit. 


(S§  finb  man^erlei  Sräfte,  aber  e§  ift 
ein  ©Ott,  ber  ba  tnirtet  Siae§  in  «üem. 
qjautug,  fforint^cr  XIl,  6. 

Surcfi  atte  Söne  tönet 
Sm  bunten  ©rbentraume 
ein  lei(et  Xon,  gejogen, 
fjür  ben,  ber  l^eimlic^  lauftet. 

tJriebr.  ©ifilegel. 

Sl(§  ein  9}?ärd^enlanb,  wo  '3tIIe§  SBunber  ift,  benfen  tüir 
un§  bie  Stomantü;  unb  bod^  bürfte  ^ant,  bem  unerfcitt- 
Ii(^ften  Genfer,  ein  5D^onument  barin  errichtet  tüerben.  S^iid^t 
lüeil  er  in  blaue  bunflige  gerne  l^inein  bie  l§ängenben  ©arten 
feiner  inteHigibeln  SBelt  baute  ober  mit  nnburd^bringlic^em 
Säd^eln  bem  ©eifterglauben  bn§  Söort  rebete,  fonbern  lueit 
er  ben  ©d^iüer^unft  ber  ^lilofopl^ie  in  ben  9J?enfc|en  öer- 
tegte.  „dla<i)  ^nnen  gel^t  ber  ge^eimni^öolle  2öeg",  öer= 
fünbigte  fpäter  SfJoOaliS.  liefen  SSeg  |at  ^ant  einge= 
fc^Iagen.  SSon  ollen  (Seiten  ]§atte  man  in  bie  SBeltöefte 
einjubringen  gefud^t:  ba  entbedte  er  eine  fteine  übertüad^fene 
Pforte,  bie  bisher  überfe^en  tuar,  einen  unterirbifd^en  3"' 
gang  jur  ©d^a^fammer,  föo  alle  iDertfjüoHften  ©üter  auf» 
gef^eid^ert  finb.  9?un  ftürste  fid^  ber  Strom  be§  gorfd^en^ 
in  bie  bämmerige,  unabfe|bare  .'pötjle  hinein. 

^ant'§  SJJeinung  mar  gemefen,  bie  ©renjen  unfrei  @r= 
fennenl  5U  geigen  unb  bie  Unmöglirf)feit,  ba§  ®ing  an  fid^, 
ben  ^ern  bei  (Srfd^einenben,  ju  greifen,  fo  lange  mir  in 
bie   SD^alfe   unfrer    Sinne   unb   angeborenen   SSorftelliingen 


9iümantiiii)e  ^'f}iIoio|3l)ie.  155 

toermummt  finb;  luie  jiuet  ^Ritter  in  JRüftung,  tuenn  fie  fic^ 
bie  ^aiib  geben,  ntc^t  bie  ^anb  felb[t,  fonbern  nur  ba» 
iinempfinbltdöe  (Sifen  bcrüfjren  unb  füfilen.  ©o  etiua  foHten 
ficö  ber  9}?enf(^  unb  bie  Ä^elt  gegenüberfte^en:  äluet  93er- 
mäl^Ite,  benen  bie  erfte,  blinb  feurige  Umarmung  bie  er- 
träumte ^Bereinigung  unb  93efriebigung  nic^t  gebrad^t  ^t, 
unb  bie  nun,  nad^bem  fie  allmälig  öon  i^rer  bitteren  @nt* 
läufcfiung  unb  (Srfältung  jurücfgefonimen  finb,  Derjiifiten  unb 
\xä)  äu  einem  freunbfi^af Hieben,  fcbonenben  9Jebeneinanber=' 
leben  entf(^Iie^en.  2Bie  angemeffen,  tapfer  unb  berüunbernS- 
lrert|  tit^:  avid)  unter  Umftänben  fein  mag,  fo  ift  e§  boc^ 
ntd^t§  3(nbre§  aU  ein  modus  vivendi;  ber  3}?enfd^  ift  ein 
geborener  .C-ielb,  ber,  luie  ^d^iHeS,  aud^  in  lueibifd^eS  ©eluanb 
öerfleibet,  nad^  bem  ©c^iuerte  greift,  fomie  er  ein§  öon  ferne 
flirren  (jört;  ein  ^önig^fofin,  beffen  9Jatur  nad^  ber  ßrone 
§u  trad^ten,  lüie  jurüdgebrängt  fie  oud^  burd^  Su\aU  ober 
Stbfid^t  fei,  früi)er  ober  fpäler  befto  märfjtiger  |eröorbrid^t. 
5)a^  e§  bennod^  möglid^  fei,  möglicE)  fein  muffe,  hie  2Be(t 
ju  burd^bringen,  i^re  ©eele  ju  bcrül^ren,  allraiffenb  §u 
njerben,  trar  bie  erfte  bunfle  pl^ilofop^ifdEie  9iegung  im 
Greife  ber  JRomantifer. 

„®ie  ©eifteriüelt  ift  nic^t  uericfiloffen, 
®eiu  Sinn  ift  jn,  bctn  .sjerj  ift  tobt, 
?luf,  habt,  <5d}iUer,  nnüevbroffen 
5)ie  irb'icf)e  33ruft  im  TOorgcnrott)", 

biefe  ®oet§e'f(^en  SBorte  erffärte  ber  funge  griebric^  @rf)Ieget 
für  feinen  35?a(}Ifprucf).  ©oetije,  ben  SSertrauten  ber  D^atur, 
proflamirten  fie  im  Stt^enöum  al§  i£iren  gü^rer,  at§  ben 
93ertreter  ber  neuen  Seit;  neben  if)m  aber  einen  anbern 
9J?ann,  einen  Sd^üler  ^ant'ö,  ber  ha§,  iüa§  er  9latur  nannte, 
nic^tad^tenb  mit  bem  gufee  üon  fic^  ftiefe:  girfite. 

2(u§  feinen  Silbern  fetjen  un§  feine  großen  2tugen  mit 


156  9tomanti)d)e  ^^iIofo|3f)ie. 

einem  fanatifd^en,  äetjienben  ©eiftblW  an,  ber  ntd^tS  öon 
ben  wecfijelnben  farbigen  unb  |3laftijc^en  65ec\enftänben  um 
fid^  ^er  tüalrjune^men  fclieint;  man  fönnte  fic^  au§  feinen 
Stugen  feine  ^^ilofop^ie  erffären:  für  fie  giebt  e§  nid^ts  ai.§ 
ha^  Stbfolute,  ein  grofeei?  33egripgerippe  anftatt  be§  atl^- 
menben,  blutumrmen  9ZaturIeibe§.  S)a§  toHfü^ne  @t)ftem 
berührt  ben  33oben  nur  in  bem  einen  ^^unfte:  ^d)  bin  ic^. 
S5on  ha  au§  tprmt  e§  fid^  fd^iuinbelnb  empor.  2Ser  hin- 
auf flettert,  greift  oergebenS  nad^  einem  feften  ^alit  au|er- 
|atb,  babei  tüagt  er  lueber  über  nod^  unter  fid^  ju  bliden, 
h)0  ringS  ber  5lbgrunb  be§  9iid^t§  ift,  unb  bie  Suft  mirb 
bünner  unb  bünner.  (S§  leuchtet  ein,  ha^  ba»  nii^t  ^eber^ 
mann§  @ad§e  ift.  ^nbeffen  mer  geiftige  ©elcnügfeit  unb 
©nergie  genug  befiel,  um  ben  SSerfud^  nic^t  ju  fd^euen,  bei 
bem  fann  bie  :^aI§brecE)erifd^e  Uebung  fogar  gur  ^affion 
luerben,  unb  er  geiuöljnt  fid^  baran  auf  bie  (S^efal^r  {)in, 
fd^Ite^Iid^  einmal  haS^  ®mid  babei  5U  bredjen.  5;ro|bem, 
aud^  lüenn  man  annimmt,  bie  5trbeit  be»  abftratten  2)enfen§ 
fei  ber  bamaligen  Sugenb  nid^t  fo  n^ibernatürlic^  unb  |)einlic^ 
geipefen,  fd^eint  e§  erftaunlid^,  ha^  eine  fold^e  Se^re  unter 
i^r  (Spod^e  machen  fonnte,  ba§  fie,  n)ie  e§  t^atfäd^Iid^  ber 
^aU  tüax,  bie  ftürmifd^en  iungen  ©emütljer  jener  reoolutio* 
nären  S^^^  bcgeifterte.  S)ie  ^ßerlüanblung  ber  SSelt  in  ein 
Qd^,  bie  i^i<i)tt  üorna^m,  war  hk  f)eroifd^e  2:I)at,  bie  it)m 
hk  ^üngerfdjaft  ber  mobernen  ßJeifter  gemann.  5)a^in 
brängte  bie  ^eit,  e§  tüar,  ma§  jeber  in  fid^  erlebte.  ®a^ 
hk  SBelt  bei  t^id^te  nur  eine  äußere  unb  ha^  ^ä)  nur  ein 
erfennenbe§,  öorfteHenbeg,  beiuu^teä  tuor,  fein  füt)tenbe§, 
biefer  SJiangel  öerfc|nianb  junäctift  üor  ber  gorm  be§  mäd^^ 
tigen  ©ebanfenS.  @§  gebe,  fugte  gid^te,  nur  giuei  Strien 
ber  ^t)üofo|)f)ie:  bie  fritifd^e,  bie  bie  ©renje  be§  3d§=83e- 
lpuf5tfein§  nid^t  überfd^reite,  bieg  fei  bie  St'ant'fdE)e,   unb  im 


3f?omantiic^e  ^^(}tIDfopf)ie.  157 

©egenfa^  ha^n  btc  be§  ©pino^n,  uield^er  jene  ©ren^^e  ü6er- 
fcJirttten  i^ahe.  ®tne  ^äufd^ung  i[t  cl  §u  tüäfinen,  e§  gäbe 
nod^  ein  ^tu^er^alb  biefer  (SJrenje;  beim  tann  trgenb  ehüa§ 
fein  auBer  in  un[erm  Seumfetfein?  SBa§  un§  tion  un§ 
unterfd^ieben  ju  fein,  iüa§  nn§  nid^t  S<^  S"  fetn  fd^eint,  ift 
bod^  and)  mieber  nur  eine  in  un§  ejciftirenbe  SSorfteHung; 
unb  lüeit  tüir  ben  SSegriff  be§  3^  nic^t  bilben  fönnten  ol^ne 
etmal,  n5a§  ni(^t  ^d^  ift,  muffen  mir  eine  SEelt  üon  un§ 
löfen  unb  un§  banon  uutcrfd^eiben.  6ine  optifi^e  2'äufcf;ung 
gfeid^fam  öertegt  ba§  S)ing  an  fid^  naä)  aufjen;  tüir  finb  e§. 
9luc^  ber  ftumpfefte  SKenfd^  njirb  geboren  mit  einer  (Sin» 
btibunggfraft,  hit  i^m  bie  Söelt  fc^afft:  er  ift  ber  ©ott,  ber 
au§  bem  G§ao§  Sic^t  tnerben  lä^t,  ben  §immet  öon  ber 
(Srbe  fd^eibet,  ben  ®ang  ber  ©eftirnc  orbnet  unb  nad^  einem 
moralifclen  ®efe^,  ha^  er  aufftcKt,  bie  |>anblungen  be§ 
®eifte§  regelt. 

®aB  nichts  aufter  bem  ^c^  fei,  wai  ba§  ^adenbe  unb 
Unantaftbare  in  gid^te'^  Sefire;  luäre  er  nun  no^  barauf 
gefommen,  ha^  jene  ©renje  be§  S<^=S5eliniBtfein§  im  ^ä) 
fetber  liegt,  ha"^  alfo  ha§  9Jid§t-S^  tft,  aber  allerbing§  nic^t 
au§er  bem  3d§,  fonbern  in  i^m,  feine  bunfte  §älfte,  fo 
^ätte  er  in  SBirflid^feit  bie  SSelt  mit  eingefd^ (offen,  üon  ber 
er  je^t  abftra^irte  unb  ber  9latur,  bie  if)m  ie|t  nid^t§  aU 
öergänglid^e  SJJaterie  Juar,  ben  @eift  gegeben.  ®enn  ha^ 
Sd^  unb  bie  SBelt  finb,  nad^  einem  2Borte  üon  S^Joüali^, 
integrante  §älften. 

(Serabe  in  '\^xd)tt'§  ©infeitigfeit  lag  eine  üerbtüffenbe 
©röfee.  2öte  ein  blinber  9iiefe  fc^ritt  er  burd^  bie  9Jatur 
unb  üer^üHte  fie  mit  feinem  Sd^atten  bor  ben  S3(iden  berer, 
bie  \id)  i!§m  anfc£)Ioffen.  Iiinreifeenb  unb  er^ebenb  iüir!te 
fein  ßJIaube  an  ha^  ^itCtoermögen  be§  menfd^Iic^cn  ©eifteS. 
2)ie  9JJenfc^beit  fing  an  ju  aljnen,  tüa»  e§  eigentlid^  bebeutc. 


158  9tonmutii(l)e  'Jp[)iIofo|3:^ie. 

ba§  fic  jum  SSilbe  (Sottet  gefd^affeu  fei.  „SSa§  tft  benn 
unfre  SBürbe",  fc^rieb  grtebric^  ©d^Iegel,  jtuanjtgjäfirig,  an 
feinen  S3ruber,  „aU  bie  ^raft  unb  ber  Gntfrf)tuB,  ®ott  äl)n- 
lic^  gu  Serben!"  ®te§  taftenbe  ®efüt)(,  ba^  ein  unenblic^eS 
3iel  unD  eine  götlticfie  S3eflimmung  uor  bem  Tln\)d)tn  liege, 
erleu(i)tete  ?5ic|te  mit  bem  fd)arfen  Sid^te  feinet  33elnu§tfein§. 
Sin  bem  ÖJebanfen  ber  ©tnjigteit  nnb  ^öf)e  be»  9J?enfc^en 
fonnte  fic^  ber  §er6e  Genfer  beroufdien,  unb  biefe  abftraüe 
2;runfen|eit,  in  bie  er  fid)  gulueilen  in  feinen  ©d^riften 
fleigerte,  ift  luoi^t  geeignet,  fic^  bem  Sefer  mitäut^eilen.  ^d^ 
unll  ein  S3eifpiel  herausgreifen,  wo  er  folgenberma^en  über 
bie  SBürbe  be§  SJfenfd^en  fprid^t: 

„ßrft  biird^  ba§  ^d)  fommt  Drbnung  unb  |)armDnie  in 
bie  tobte  formlofe  SJJaffe.  Sldein  üom  9Jienfc|en  au§  ber» 
breitet  fic^  9legetmäBigfeit  runb  um  it)n  i)erum  U§:  on  bie 
©renje  feiner  SöeobacEitiing  —  unb  mie  er  biefe  Leiter  öor* 
rürft,  tt)trb  Drbnung  unb  Harmonie  Uorgerüdt.  ®urc^  feine 
^Beobachtung  falten  fic^  bie  2BeItförper  jufammen  unb  tüerben 
nur  (Sin  organifirter  Körper;  burd^  fie  bre^en  bie  ©onnen 
fid^  in  i|ren  angeroiefenen  S3a()nen.  SDurc^  ba§  ^^  fte^t 
bie  ungeheuere  (Stufenfolge  \)a  öon  ber  gled^te  lbi§  §um 
©erap^;  in  i§m  ift  ba^  @t)ftem  ber  ganjen  ®eiftern)elt,  unb 
ber  ü)JenfdE)  erwartet  mit  JRed^t,  iia'^  ha^  @efe^,  ha^  er  fid^ 
unb  i§r  giebt,  für  fie  gelten  muffe;  ertuartet  mit  Sfiec^t  bie 
einfüge  atigemeine  5lnerfennung  beSfelben.  '^m  ^<i)  liegt 
ha^  Unterpfanb,  ba^  öon  il)m  au^  ux'§  Unenblidie  Drbnung 
unb  Harmonie  fid^  öerbreiten  inerbc,  tuo  nod^  je^t  feine  ift; 
ba|  mit  ber  fortrücfenben  Kultur  be»  9JJenfd^en  augleid^  bie 

Sl'ultur  be§  SBeltaHg  fortrüden   merbe luaS  euc^ 

3:0b  fd^eint,  ift  feine  Steife  für  ein  ^öljereä  Seben  —  in 
jebem  SDJomente  feiner  ©i'iften^  rei|t  er  ettua§  9ceue§  au|er 
fid^  in  feinen  Slrei§  mit  fort,  hi§  er  2ltle§  in  benfelben  öcr- 


9}omantifcf)e  '^n)t{ofo)j()ie.  159 

fd^Itnge:  bi§  ade  9JJaterte  ha§^  ©epräge  jetner  (Siniuirfung 
trage  unb   alle  ®et[ter  mit  feinem  ®ei[t  (Sinen  ©eifi  au§s 

mad^en. ®a§  ift  ber  Wm'iä);  ha^  i[t  ieber,  ber  fic^ 

jagen  fann:  id)  bin  äJienjc^.  ©oHte  er  ntd)t  eine  ^eilige 
(5l;rfurd§t  üor  jid^  jelbjt  tragen  unb  jd^aubern  unb  erbeben 
bor  jeiner  eigenen  9}iaiejtät?  .  .  .  ." 

Sieje  Ueberjeugung  üon  ber  jd^öpjerijd^en  Stellung  be§ 
9Jicnjc^en  im  3KitteIpun!te  ber  SBelt,  öorgetragen  o^ne  ben 
enipürenben  Uebermnt^  be§  ®m|Dorfömmting§,  Jonbern  mit 
bem  angeborenen  58eiini^tjetn,  bof;  5lbel  öer^jlic^tet,  irecfte 
ben  tauten  SBieber^all  in  ber  S3ru[t  ber  romantijd^en  ^ugenb; 
ha''^  im  eigenen  Innern  bie  Söjung  aller  ©e^eimnijfe  unb 
ber  OuetI  aller  3u^"»ft  i^uIk,  loar  eben  i^r  ©taube  unb 
i|re  5ll^nung.  53egrünben  fonnte  gierte  bie  unert)örten 
gorberungen,  bie  er  an  bie  äJienjd^en  jteHte,  nur  burd^  ba§ 
dommanboirort:  bu  jollft!,  ba§  mit  ©teruenjd^rift  am  |)immel 
jebe§  33etüuBtjein§  ftammen  jollte,  eine  angeborene  moratijc^e 
(Sonne,  bereu  ®ajein  oorau§5UJe^en  luar. 

@§  ijt  mertiüürbig,  tüie  loenig  93eein[Iujfung  eine  ptitto- 
jo|)!^ijc^e  2e£)re  aui^übt,  Juie  jie  jelbjt  tjielme^r  üon  jebem 
©eijte,  ber  jie  auffaßt,  Umbilbung  erjal)ren  mu|.  gür 
äJJanc^en  mochte  ^id)tt'§  3lnjid^t  eine  ©tü^e  be§  ebeljten 
«Strebeng,  eine  @c^ule  ber  ©r^aben^eit  jein,  jc^mac^e  unb 
unflare  ®emüt|er  jogen  jid^  ®ijt  baraul.  Siecf,  in  bem 
fein  3ug  tnit  gierte  jl)mpat£)ijirte,  |at  im  SoöeH  unnad^- 
atimtic^  bargejteHt,  wk  gerrüttenb  bie  jtrenge  Sc^»2Bijjeu- 
j(^aft  auj  ÜDpI  unb  ©ernüt^  tüirfeu  fonnte.  ^n  ba§  gejüf)l§« 
fromme  ^erj  be§  ^üngtingä  bringt  bie  Se^re,  ha^  bie  Statur, 
bie  i§u  umgiebt,  ber  er  jid^  mit  jo  je^njüdEitiger  Snnigfeit 
i^injugeben  pflegte,  nid^t§  ijt  al§  ein  SBilb,  ha^^  jeine  @in= 
bilbunggfrajt  i§m  oor  bie  ©inne  jtellt;  nirgenbS,  nirgenb§ 
antiüortet  jeiner  2khe  ein  begegnenbeS  ®efüt}I,  jid^  jelbjt  jinbet 


160  Diomanliicfje  ^^tlofop^te. 

er  in  entfe^Iic^em  ©tnerlet,  »üo^tn  fein  berlangenbeS  ?(uge 

fie^t,  "Die  ganje  2Sett  ift  nur  ein  Spiegel,  ber  ii^m  bie  @n)igfeit 

feines  troftlofen  StUeinfeinS  öor^ält. 

„3c^  fomme  mir  nur  felbft  entgegen 
3n  einer  leeren  SSüftenei." 

3Bie  ein  Safd^enfpieler  unb  ^ou^erer  fielet  er  etnfam 
inmitten  ber  ipefenlofen  ©(Ratten,  bie  er  auf  bie  teere  loei^e 
SBanb  rt)irft,  bamit  er  fie  nur  nic^t  fie^t,  bie  aufeer  it)m 
baS  ©injige  ift,  mal  ift.  Spönnen  i^n  bie  Selüegungen  ber 
Hampelmänner  intereffiren,  bie  er  f eiber  tanken  lä^t?  @oII 
er  ben  ©prüc^en  laufd^en,  bie  bie  9}?arionetten  auffagen,  ta 
er  fie  i|nen  felbft  in  ben  3)?unb  gelegt  I}at?  ®§  efelt  i^n, 
immer  unb  immer  nur  bie  eigenen  ©tiicfe  aufführen  §u  fe^cn. 

„Oft  fc^tüebt  bie  2BeIt  mit  i^ren  SJtenfc^en  unb  Zufällig- 
fetten  tük  ein  beftanblofeS  ©d^attenfpiet  öor  meinen  5lugen. 
Dft  erfc^ein  i(^  mir  bann  felbft  tük  ein  nütfpielenber  ©d^atten, 
ber  fommt  unb  gel^t  unb  ficf)  Jnunberlid^  geberbet,  o^ne  ju 
iüiffen  marum.  Sie  ©trafen  fommen  mir  bann  nur  üor 
h)ie  Steigen  bon  nac^gemad^ten  Käufern  mit  i£)ren  närrifd^en 
93elD0^nern,  bie  SJienfd^en  üorfteHen,  unb  ber  ajJonbfd^ein, 
ber  fid^  mit  feinem  rt3e^mütf)igen  ©dEiimmer  über  bie  (Waffen 
aulftrecft,  ift  inie  ein  Sid^t,  ha§  für  anbre  ©egenftänbe 
glänzt  unb  burd^  einen  3wfatt  oud^  in  biefe  elenbe  läd^er- 
lic^e  SBelt  hineinfällt." 

^mmer  nur  fein  eigene!  Söelnufjtfein  aulfd^öpfenb,  ge- 
räf^  er  in  entfe|Iid^e  SSerarmung.  ®em  ^önig  9Jiiba§ 
ä|nlid§,  bem  fid^  §tlle§  in  (Solb  öermanbelte,  mal  er  effen 
motite,  mu^  er  berfd^mac^ten,  meit  er  feinem  ©eifte  feine 
anbre  ©peife  all  bal  eigene  ^d^  5U  geben  ^at.  SBä^renb 
für  benjenigen,  ben  eine  t^ülle  bermanbter,  befreunbeter  ober 
ber£|ü((ter  (Srfd^einungen  umringt,  bie  233elt  ein  ©d^taraffen» 
lanb  ift,  bal   aulsumeffen  er  fid^  ^a^rtanfenbe  bei  Sebenl 


Dbrnanttjclje  ^;p[)iloiopt)ie.  161 

tüünfc^t,  ftel)t  er  gelangtneUt,  öetB^uncjrtg,  ausgeleert  juüjd^cn 
ben  (Spicgelbitbern  [eine?  franfen  ^d^: 

„^d^  ^a6e  fc^on  oft  l^etmüd^e  ißeriüünfc|Hngen  au§ge« 
flogen  unb  grä^lid^e  ©prüd^e  üerfud^t,  um  bie  ©egenftänbc 
um  mid^  l^er  in  anbre  gu  öermanbeüi.  Stber  nod^  Ijat  ftd^ 
mir  fein  ©etjeimni^  enthüllt,  noi^  ]^at  bie  Statur  ntdjt 
meinen  Sejauberungen  geanttuortet;  e§  i[t  grä|Iic^,  nid^t§ 
metjr  ju  lernen  unb  feine  neue  ©rfal^rung  ju  madEien " 

3)er  3>ueifel  an  ber  2Birf(ic§!eit  ber  finnfäüigen  5Iu^en= 
n^elt  rei^t  ben  grübeinben  ÖJeift  lueiter  jum  lüa^nfinnigen 
^U'eifel  an  jic^  felbft.  SJiit  btejer  toHen  ©elbflüernic^tung 
ttjeclfelt  aber  ber  UebermutJ)  be§  ptö^ti^  Slönig  geworbenen 
^Inbeä.  5)enn  ber  bisher  aU  ein  Stebenber  unb  3[nbetenber 
im  ^eiügtl^um  ber  Statur  gefniet  !^atte,  erfäljrt  auf  einmal, 
ba§  er  üjx  iperr  ift,  ber  fie  gemad^t  ^at,  luo  fie  fcf)ön  i[t, 
auf  beffen  S^roft  fie  ^arrt,  luo  fie  9J?ängeI  i)at 

Sie  23efen  finb,  lueil  wir  fie  bacf}ten. 

^in  trüben  Sc()tnuner  liegt  bie  Titelt, 

ti^  fnflt  in  if)ve  bunfcln  ®d)nd)te 

6'in  (Scf)immev,  ben  luir  mit  nn§  bracfjten: 

SSarum  fie  nid)t  in  U'ilbe  Sriimmer  faßt? 

SSir  finb  ba^  Sdjictfaf,  ba-3  fie  nnfvec^t  t)ält! 

Dfjne  3't^etfel  fönnte  bie§  33elüu^tfein  einen  ftarfen  @eift 
§um  pd^ften  §eroiSmu§  entflammen;  aber  ben  tueic^Iic^en 
SoöeH  brücft  bie  SBürbe  balb  nieber,  balb  teilet  fie  iJ)m  hen 
SSormanb,  feinen  Seibenfd^aften  ben  ^ügel  f^ie^en  ju  laffen. 

„@o  bel^errfd^t  mein  äußerer  ©inn  bie  p^i)fifc{)e;  mein 
innerer  ©inn  bie  moralifd^e  Söelt.  2lIIe§  miterluirft  fid^ 
meiner  SBidÜir,  jebe  ©rfd^einung,  jebe  |)anbtung  fann  id^ 
nennen,  luie  e»  mir  gefällt;  bie  (ebenbige  unb  leblofe  SSelt 
f)ängt  an  ber  Jlette,  bie  mein  ©eift  regiert,  mein  gan§e§ 
Seben  ift  nur  ein  3:raum,  beffen   mancherlei  ©eftalten  fic^ 

j5uc^,  SRomantiter.  H 


162  3bmanti!cl)e  ^f)i(oiop[)ie. 

nac^  meinem  Sitten  formen!  ^d)  felbft  bin  ba§  etnjige 
Öiefe^  in  ber  ganjen  9Jatur,  biefem  ®efe|e  gel^ord^t  2llle§." 
(  (5§  ift  fetbftöerftänblic^,  ha'^  man  nidit  gid^te  bafür  öer- 
anttoortlii^  mad^en  !ann,  lüenn  junge  Seute  i^r  franf^aft 
angei'd^lüollenel,  Ieibenbe§  S<^  [einem  ^öc^ft  correften  Segriff 
unterfd)oben  uiib  bann  an  biefer  popularifirten  ^f)iIofop]^ic 
äu  ©runbe  gingen,  ^n  9bt)ali§'  fcf)önem  ©emütt)  ent^ünbete 
jeber  t)inetngef)3rü:^te  S^eenfunfe  eine  fd^Ianf  auflobernbe 
flamme;  luie  er  nic^t§  erleben  fonnte,  ha^f  il§m  ntc^t  tüo^I 
t^at  unb  t§n  ntc^t  förberte,  fonnte  er  aud)  feinen  ©ebanfen 
aufnehmen,  ber  ntd)t  neue,  lebenSüoHe  ©ebanfen  in  if)m  be- 
lebt ^ätte.  Sßie  h^unberüDlI  öermifc^en  fic^  Sirunfenlieit  unb 
S3efonnen^eit  in  feinem  ijljilofop^if^cn  ^ubelrufe:  „2Bq§  id) 
tüiU,  iia^  fann  id^.  S3ei  ben  SJJenfd^en  ift  fein  5)tng  un- 
möglich." ®§  fönnte  fd^einen,  alg  ob  ba§  f^ic^te'S  ©prad^e 
föäre;  aber  tüenn  er  unb  9^oöaItä  „xd)"  fagten,  fo  t)atten  fie 
ettüa§  ganj  SSerfd^iebeneg  im  ©inne.  5lu»  Sfteijungen  ber 
Sinne  f^afft  fid^  ber  9}^enf(^  eine  bunte,  geräufc^ooHe, 
greifbare,  ja  eine  beruünftige  5ß5elt:  er  ift  ein  tauberer; 
aber  id^  saubere,  o^ne  e§  ju  lüiffen,  alfo  bin  id)  e§  nidjt, 
fonbern  ein  anbre§  ^d^,  ba^  jenfeit  meinet  Seinu^tfeing 
i]nx\d)t,  boUsielt  in  jebem  5(ugenblic!  btefe  unerbörte  Sßer» 
tuanblung.  Söenn  el  mir  gelingt,  mtd^  biefe§  trQn§cenben= 
taten  ^d)  5U  bemäcfitigen,  bann  bin  id^  tauberer,  bann  Uli 
i(^  erft  in  2Ba^r|eit  ganj  ^d).  5tn  if)rem  pfeilgraben,  ftoljen 
galfenffuge  erfennt  man  bie  ß^ebanfen  DfJooalie'.  offenbar 
War  e§  t^m,  hal^  ber  ^ÜJenfc^  fein  innere^  ^önigreic^  nod) 
md)t  gang  fannte,  gefc^iuetge  benn  beJierrfd^te,  au§  einer 
unabfe^baren  3:iefe,  luoljin  ber  S3tidE  nid^t  bringen  fonnte, 
brang  ber  Son  mäd^tigen  2eben§,  unb  of)ne  Söeiterel  loagte 
er  ben  öerhjegenen  ^arraSfprung  hinunter.  2)ie  beiben 
9?eic^e  gu  üerbinben,  unter  ein  ©cepter  ju  bringen,  bie  un- 


9?ümnnttid)e  ^f)Uofop^te.  163 

beluuBte  3a»^erfraft  Betuu^t  unb  baburd)  fic^  erft  ju  eigen 
ju  machen,  wax  fein  Programm  für  bie  ^i'funft  ber  SJJenfd^»- 
Ijeit,  bie  ^lufgabe,  hk  er  i^r  ftettte.  90kn  foH  t^n  felbft 
fprec^en  !)ören: 

„'Ser  größte  3a»Berer  luürbe  ber  fein,  ber  fid^  jugteic^ 
fo  Bezaubern  fönnte,  ha'^  i£)m  feine  Räubereien  tüie  frembe, 
felbftmäc^tige  ©rfd^etnungen  üorfämen.  Slönnte  ha§>  mit  un^ 
nic^t  lüirfüd^  ber  gati  fein?" 

„Unfer  Körper  foH  ipitüürlidj,  unfere  Seele  organifd^ 
lüerben." 

„SSidfürlid^e  (Slieber  finb  Sinne  in  ftrengerem  Sinn. 
5ßermei)rung  unb  2tu§b.ilbung  ber  ©inne  gehört  mit  ju  ber 
Hauptaufgabe  ber  5^erbefferung  be§  9Jienfc|engef(^lec^t§,  ber 
®raber^öt)ung  ber  5D?enfc^^ett.  Silbnng  unb  SSerme^rung 
ber  ©eele  ift  ha^  tuid^tigfte  unb  erfte  Unternehmen." 

„Xn  9JJenfc^  ift  biejenige  ©ubfianj,  tüelc^e  bie  ganjc 
3fJatur  unenblidifac^  bricht,  b.  i.  polarifirt.  Sie  SBelt  be§ 
9JJenfrf)en  ift  SBelt,  ift  fo  mannigfad^,  al§  er  mannigfach  ift. 
^ie  Sßelt  ber  %^int  ift  fc^on  ärmer  unb  fo  tierunter." 

„Stunft,  unfern  SSillen  total  ju  reatifiren.  2Bir  muffen 
ben  Slörper  loie  bie  «Seele  in  unfere  (Setoalt  befommen. 
S)er  Körper  ift  ha^  SSerf^eug  gur  S3ilbung  unb  SJiobifüation 
ber  Söelt;  mir  muffen  alfo  unfern  Körper  jum  aUfä^igen 
Organ  ausjubilben  fuc^en.  SJJobififation  unfrei  SSerf^eugg 
ift  ajJobifitation  ber  5a3ett." 

„SSerfäeuge  armiren  ben  SJienfd^en.  Tlan  fann  mol^t 
fagen,  ber  SD^enfd^  öerfte^t  eine  SBelt  ^eroorjubringen,  e§ 
mangelt  i^m  nur  am  geijörigen  5tpparat,  an  ber  0er§ältni^= 
mäßigen  Strmatur  feiner  Sinne^merf^euge.  ®er  Slnfang 
ift  ba." 

„Unfer  ganjer  Körper  ift  fd^Ied^terbingg  fät)tg,  oom  ©eift 
in  beliebige  S3eroegung   gefegt  5U  n^erben.     2)ie  Si^irfungen 

11* 


164  ÜbmantiicTje  'ip^i(o)o^^te. 

ber  ^unft,  be§  @c^rerfen§,  ber  S:rauri9feit,  bc§  '^tiht^,  be§ 
3orn»,  ber  Sd^am,  ber  gteiibe,  ber  ^^antafie  u.  f.  id.  finb 
Snbifattonen  genug.  Ueberbem  (jat  man  genugsam  $8eifpiele 
üon  aJienfc^en,  bte  eine  lütllfürlic^e  ^errfc£)aft  ü6er  einjelne, 
geiüötjnlid^  ber  SBitlfür  entjogene  Sljeile  t^re§  Körpers  er= 
langt  ^aben.  ^ann  irirb  jeber  fein  eigener  ^(rjt  fein  unb 
ficl§  ein  boIIftänbtgeS,  ficfiereS  unb  genaue^  ®efü^t  feineg 
Körpers  erlüerben  fönnen,  bann  luirb  ber  DJ^enfd^  erft  \va^x= 
^aft  unabhängig  öon  ber  Statur,  tiielteid^t  fogar  im  @tanbe 
fein,  üerlorene  ©lieber  ju  reftauriren,  fid^  blo^  burc^  feinen 
Söitlen  jn  tobten  unb  baburc^  erft  lüa^re  ^(uffc^Iüffe  über 
Körper,  «Seele,  SBett,  Seben,  Sob  unb  ©eifterroelt  erlangen. 
(S§  lüirb  öicUeid^t  bann  nur  öon  if)m  abhängen,  einen  ©toff 
§u  befeeten  —  bann  trirb  er  öermögenb  fein,  fi(f)  tion  feinem 
Körper  jju  trennen,  tüenn  er  e§  für  gut  finbet." 

(äanj  tüie  gierte  nannte  9ioüaIi§  ben  menfc^Iicfien  Körper 
ben  einzigen  Sempet,  ben  e§  in  ber  SBelt  gebe:  „man  be- 
rührt ben  |)imniet,  trenn  man  einen  9Jienfd^enteib  betaftet", 
unb  ganj  lüie  i^icbte  üerlangt  er  öom  9JJenfc^en,  ba§  er 
(Sräiefier  ber  9?atur  jei,  bie  moralifd^  Jnerben  muffe  burc^ 
i^n.  5tnberfeit§  fiatie  aud^  i^iä)tt  don  ber  3:^eilbaifeit  be§ 
^d)  gefprod^cn  unb  ha^,  n)a§  er  Täd)t'^(i)  nannte,  ba§  Db' 
jeft,  aU  njieberum  tl^eilbar,  bem  t^eitbaren  ^d)  in  i^m  felber 
entgegengefel^t,  fo  ha'^  man  l^ätte  meinen  füllen,  er  ^ätte  an 
ber  ^Realität  ber  3lu^entuelt,  bie  ba§  ^d)  in  fic^  fiat,  il)r 
iüirflid^e§  2)afein  überf)aupt  unb  t^ren  ^»fooimen^ang  mit 
bem  SOZenfc^en  erfannt.  5Iber  bei  gicf)te  blieb  SÜUc^  tobter 
SSegriff,  luaS  9toöa(i§  lebenbig  machte.  SSenn  9Joüati§  fagte, 
bie  D^atur  fei  ein  encljüopäbifd^er,  fyftematifdEier  Snbej;  ober 
Pan  unfere^  ®eifte§,  fo  fonnte  Sichte  bo§  unterfc^reiben; 
aber  er  geljörte  ju  benen,  bie  \\d)  „mit  bem  b(o§en  SSer- 
jeic^ni^  unfrer  ©djö^e  begnügen"  luoUen,  luä^renb  9ioüaIiä 


9?omantiicf)e  ^^iloiop^ie.  165 

aufforberte,  fie  felbft  311  betrad^ten,  ^u  bearbeiten  uub  5U 
benü^en.  „Söa§  gatum,  ba§  iin§  brücft",  fagte  er,  „t[t  bie 
2;räg^eit  unfrei  ©eifteS.  Si^urcl^  ©riueiterung  unb  S3tlbung 
untrer  2;bätigfett  luerben  mir  un§  felbft  in  ha^  "Saturn 
üeriuanbeln.  '3ltle§  fd^eint  auf  un§  tjercin^uftrömen,  roeit 
tüir  nid^t  ^eraii§ftröinen.  2öir  finb  negatio,  lueil  n^ir  uiollen; 
je  pofitiöer  tnir  lüerben,  befto  negatioer  tnirb  bie  21'elt  um 
un§  f)eruni,  Viv  am  ©nbe  feine  9Jegation  me^r  fein  lüirb, 
fonbern  mir  Meä  in  Mm  finb.     ®ütt  luitt  ©ötter." 

@o  flö|te  9Jot)aIi§  S3tut  unb  Seele  in  "iia^  ftarre 
^nrc^engerüft  öon  gic^te'^  ©ijftem  unb  bemerfte  gar  nid^t, 
ba^  er  fefbft  ber  ©d^öpfer  biefeg  pulfirenben  2cben§  luar. 
5)a^  ba§  gic^te'fc^e  ^ä)  eine  3Serftetnerung  tuar,  lo^geriffen 
öon  bem  5ufammenf)aug  ber  lebeubigen  Statur,  empfanben 
olle  biejenigen,  bie  ben  ©trom  i^rer  unenblid§  entiuirfelnben 
Straft  in  fic^  auf»  unb  abfd^iueHen  fü|)Iten.  S3iele,  bie  fid^ 
an  ^ant  unb  5ic£)te  gebilbet  unb  bie  toiffenf^afttid^e  SKe» 
t|obc  banfbar  angenommen  l^atten,  geriet^en  in  eine  tro^ige 
2Biberfel3lic^feit,  aU  fie  inne  umrben,  ba^  ber  CueH  ber 
Siebe  in  i^nen  öerf^üttet  luerben  foHte.  ^m  ^a^xt  1796 
»erfaßte  Sranj  S3aabcr  eine  ©djrift  gegen  ^ant,  bie  bamati 
ungebrucft  blieb,  n)orin  er  beffen  moralifc^en  Soiperatio 
angriff,  ba  ein  9}?enfc^,  ber  nur  einem  „hn  foUft"  get)ord^enb 
gut  i^anble,  baneben  ein  abgefeimter  S3öfeiüid^t  fein  fönne. 
5tuf  bie  moralifc^e  SBittenSneränberung  fomme  5(f(e§  an, 
öon  ber  .^ant,  bie  Dcatur  für  unheilbar  böfe  ^altenb,  ni(^t§ 
föiffe,  unb  im  ®egenfa§  §u  bem  ßantifd^en:  lex  est  res  sui-da 
et  iuexorabilis  füi^rt  er  jiüei  Sprudle  frommer  unb  menfd^en* 
freunbtic^er  Reiben  an,  ben  be§  @eneca:  Sanabiiibus  aegro- 
tamur  malis,  nosqiie.  in  rectum  genitos,  si  sanari  velimus, 
natma  adjuvat;  unb  ben  be§  ^^liniuS:  Dens  est  moitali 
juvans  moitalem.    (Sbenfo  ©c^elling:  „9^ur  in  bem  ^unÜe, 


166  Siomanti)d)e  ^[}itoio).i()ie. 

tüo  bn§  ^beal  un§  felb[t  ganj  anä)  ha^^  23irfüc§e,  bie  ®e- 
banfeinuelt  jur  9taturipett  geluorben  t[t,  allein  in  biejem 
^un!te  liegt  bie  le^te,  bie  pd^fte  Sefriebigung  unb  SSer- 
föi^nimg  ber  ©rfenntni^,  tüie  bie  (SrfüIIung  ber  [iülic^en 
gorberungen  allein  boburc^  erreid^i  mirb,  ba^  fie  un§  nic^t 
me|r  aU  &thanltn,  §.  S.  al§  Gebote  erfd^einen,  fonbern 
jur  9Zatur  unfrer  ©eele  unb  in  un§  tüirflid^  gelporben  finb." 
Tlaii  i'ie^t,  ba§  [ic^  ^ier  ein  uralter  ^ampf  erneuern 
füllte,  benfelben,  ben  ^aulu§  gegen  ba§  (SJefe|  fämpfte  aU 
SSerÜinbiger  ber  9?eIigion,  ber  grei^eit  imb  ber  Siebe. 

®enn  burd^  ba§  ®efe|  !ommt  (Srfenntni^  ber  ©ünbe. 
©0  liatten  tuir  e§  nun,  ha'ig  ber  9)ien[c^  geredet  luerbc 
oi^ne  be§  ®efe^e§  SSerfe,  ollein  burc^  ben  ©lauBen. 

®enn  (I^ri[tu§  ift  be§  ®efe|e§  @nbe,   lüer  an  ben 
glaubt,  ber  i[t  gerecl;t. 

^Ufo   i[t  ba§   ®efe^  unfer  ^w^toieifter   gefttefen   auf 
ß^riftum,   bafj   lüir  burd^   ben  ßitauben   geredet  luürben. 
9iegiert  eud^  aber  ber  (Seift,   fo  feib  t^r  nid^t  unter 
bcm  (Siefe|. 

Sie  Siebe  tl)ut  bem  5«äc^ften  nichts  S3öfe§.  <Bd  ift 
nun  bie  Siebe  be§  ®efet^e§  Erfüllung, 
©e^t  man  für  ®cfe^  (Srfenntni§  ober  Slbfic^t,  für 
©lauben  Srieb  ober  ^nftinft,  fo  ftetjt  man,  ba^  Siebe  in 
$aulu§'  ©inne  nid^t§  anbre»  ift  aU  tva§  bie  Ütornantifer 
^Bereinigung  Don  S^rieb  unb  ?lbfid^t,  93eluu§tem  unb  Un* 
bemustern  nannten:  ift  Der  ^nftiuft  burd^  bie  (Srlenntni^, 
aU  burc^  feinen  ^ucljtmeifter,  fo  erlogen,  ba^  itjm  ta^  ®ute 
nalürtid^  geioorben  ift,  fo  ift  er  frei  bon  i^m  ober  ein§  mit 
il-jin  in  Siebe.  (S§  ift  begreiflich,  ha^  bie  9?omanti!er,  bcnen 
bie  Serüljrung  öon  Statur  unb  33euni^tfein  im  ^ä)  eigen»» 
tl^ümlic^  loar,  bie  bie  beiben  ^älften  be§  tljeitbaren  ^(i) 
gleichmütig  5U  Juertlien  Jini^tcn,  5-t^te  eine  ^^it  ^^"g  öer- 


9JomQntifcl)e  ^^fji(oK1l]ie:  167 

göttern  fonntcn  aU  geborenen  3"f^tQiet^ter,  eine  SSerförüerung 
beinah  bei  (S^eje^el,  aber  aU  er  bie  3lf[eint)errfcE)aft  be- 
anfprud^en  lüoKte,  fic^  uüberfet^ten  im  ^od^gefüt)!,  ha^  fie 
nirfjt  ber  Tla^h  £tnber  feien,  fonbern  ber  freien.  |)ötf)ft 
c^arafteri[lifd)  ift  e§,  iüie  fid)  bie  ßJIieber  be§  greunbeS- 
!reife§  gu  i^m  [teilten:  bie  beiben  ©i^Iegel,  benen  Iüie  it)m 
felbft  ein  gänslid^er  SO^angct  an  9iatur[inn  eigentl^ümtic^ 
n)ar,  öermiBten  nic^ty  Ü[i>efentlicfjeg  an  feiner  ^f)iIofD))f)ie 
nnb  tuaren  auä)  biejenigen,  bie  iJ)m  ben  S:|)ron  aufgerid^tet 
Ratten;  DIotialiS  bielt  für  fetbftöerftänbli(^,  ha^  er  ben  Ueber- 
gong  gur  Statur  nod)  einfd^Iagen  lüürbe  nnb  l^ielt  an  it)m 
feft,  folange  er  biefe  Ueberjeugnng  ^atte;  ÜSadenrober  mochte 
fic^  nie  mit  i^m  befdjäfttgt  Ijoben,  %kd  empfanb  itjn  ge= 
rabe^u  aU  tt\va§>  geinbfeligeS.  Sen  2)ämmerung»menfc|en 
tüav  er  ju  grell  nnb  fd^neibenb;  fie  tüaren  rt)ie  Slinber,  hk 
aiid)  nid^t  für  einen  Stngenblicf,  einem  furjen  abentenernben 
©treifjuge  gu  Siebe,  ha?»  fileib  ber  3Jtutter  Io§Iaffen  mochten. 
9^ur  öon  i^r  n)oIIten  fie  5l(Ie»  lernen  unb  erfai^ren.  „2Ber 
bie  @rbe  fo  Wk  eine  geliebte  SSraut  an  fi(^  brüden  üer= 
möi^te,  ha^  fie  i^m  in  Stngft  nnb  Siebe  gern  xi)X  ^oftborfteS 
gönnte!"  ^unbertnml  gurücfgeftoBen  fc^miegte  [lä)  Siecf  bod^ 
immer  lieber  an  ben  geliebten  Seib  ber  Statur,  unerfc^ütter- 
lid)  in  bem  rüt;renben  ©faubai,  fie  lebe  loie  er  unb  muffe 
ficf)  einmal  i§m  offenbaren. 

„^d)  erinnere  mid)  au§  meiner  S?inb]^eit,  ha'^  un§  bie 
lueite  ÜJatur  mit  i§ren  S3ergen  in  ber  gerne,  mit  bem  Ijo^en 
geinölbten  blauen  ipimmel,  mit  ben  taufenb  belebten  @egen- 
ftänben,  luie  mit  einem  getualtigen  (Sntfe|en  ergreifen  fann. 
®ann  ftretd)t  ber  ßieift  ber  Statur  unferm  Reifte  öorüber 
unb  rü^rt  t^n  mit  feltfamen  ©efüijlen  an,  hk  n^anfcnben 
S3äume  fprec^en  mit  öerftänblid^en  Sönen  ju  un§,  unb  c§ 
ift,  aU  Ujodte  fid)  ba§   gan^e  ©emölbe  pIöMic^  äufammen- 


1(38  9fiDinantiic[)e  ^f)iloiopf)ie. 

rotten,   mib    ha§  SBefen  unüerffeibet  fiernortreten  unb  fi^ 

jetgen,   ba§  unter  ber  SKaffe  liegt  unb  fie  belebt 

Dft  ift  mir  iet^t,  aU  luottte  ba§  ©euianb  ber  ®egen[tänbe 
entfliegen  tt)ie  üon  einem  ©turmluinb  ergriffen,  unb  D!^n= 
mächtig  fättt  mein  Ö^eift  gu  Soben,  unb  bie  @etnöl}nlic^!eit 
tritt  an  i^re  ©tette  gurücf." 

UnBefriebigt  üon  ber  SEiffenfc^aft  be?  2age§  50g  er  fic^ 
in  feine  2Balbeinfam!eit  §urücE  mit  bem  allen  ^aloh  S3ö(jme, 
beffenöerpateäRi}ftifiI}möerftnnbIic^ern)araI§gtc^te'^unbieg- 
fome  Cogif.  5)a  Ia§  er  öon  ber  einen  Statur,  bie  burd)  ta^ 
©eignen  nac^  ®otte§  Si(^t  offenbar  luirb,  üon  bem  fel^nenben 
SBitt'en  ber  S^catur,  bie  ha^  ^arabie§  in  fic^  fpürt  unb  im 
^arabie§  bie  SSottfommcntjeit,  monad)  fie  fid^  er|ebt  unb 
brängt  unb  ängftet,  in  uieldjem  drängen  fie  immer  etttja§ 
@d^önere§,  |)ö:^erea,  9Jeue§  l^eroorbringt.  „S^cun  ift  ein 
©eift  anbre§  nichts  aU  ein  aiiffteigenbcr  Söitte,  unb  ein 
SBitten  i)at  bie  5(engftli(^feit  jur  ©eburt,  unb  in  ber  ^lengfl»- 
lidlfeit  gebiert  fic^  'oa§'  geuer,  unb  im  geuer  ita^^  Sid^t,  unb 
üom  Sirf)t  tüirb  ber  SBitte  freunblic^,  lieblic^,  milb  unb  fü^; 
unb  im  fü^en  SBitten  gebiert  fid^  bie  ^raft,  unb  in  ber 
J?raft  gebiert  fic^  ha^  9?eic^  unb  bie  §errlic^feit."  ®er 
beftricfenbe  ^ou^er,  ben  bie)e  ge|eimni§ootte  SSerfünbigung 
auf  ben  Siomantifer  ausübte,  lag  o^ne  3'üeifel  barin:  ba§ 
|ier  feine  unoerfö^nlid^e  ©ntgegenfe^ung  oon  ©eift  unb 
Siiatnr  tüar,  ober  5lu§fc^tief3Uiig  be§  (Siuen,  fonbern  ha^ 
nirfjtS  tuar  au^er  ber  einen  9'Jatur,  bie  ßraft  i^re§  feEjuenben 
SBittenS  fid^  manbelt  unb  erljebt  burd^  ba§  Sic^t  gum  9teic^ 
®otte§  unb  ber  ^errlid)feit. 

3ltte§,  Jüa§  man  an  gierte  öcrmi^te,  tC)eiI§  noc^  öon  if)m 
ertuartete,  n^ooon  bie  9iomantiter  unffar  träumten,  tav 
lüurbe  I^Iöl^Iid^  burd^  einen  gang  jungen  iOJann,  üom  ßatfjeber 
Ijerob,    feft,    überlegt,    macE)lODtt   ücrfünbet    aU   eine   neue 


9iomantiicf)e  ^'f)iIo)o^:it)ie.  IGO 

SBifl'enfc^aft:  Dcaturp^llofo^j^ie.  Tlan  fann  fic^  faiim  bor- 
ftellcn,  lüie  ©c^eHing  bte  jungen  ©eifter  padtt  unb  l^tnriB; 
feine  Öet)re  luar  t^nen  eine  ^Befreiung.  Slugenblidüd^  fc^teben 
fic^  feinblic^e  Sager;  fein  gelbjug,  an  ber  ©pi^e  eine§ 
fleinen  aber  leibenfc^aftltrfjen  Sruppy,  tvat  inie  ber  etioo 
gteic^aeitige  eine»  anbcrn  ®enerat§,  S3onaparle'§,  ein  ©türmen 
üon  Sieg  ju  ©ieg.  ®a§  ®ro^e,  9ieue,  ^^adenbe  in  ben 
fleinen  ©d^riften,  bie  er  nad^  einanber  öeröffentltdjte,  mar 
nun  eigentlid^  ber  ©taube  an  bie  ©int)eit  unb  5ßernünftig!eit 
be§  2I(I§.  „Chatte  Kepler  feine  gorfdfiungen  mad)en  fönnen 
o!^ne  ben  ©lauben  an  bie  S3ernünftigfeit  be§  ©onnenfi)ftem§?" 
fagte  SSaaber  einmal,  ©ben  biefer  ©tauben  tvai  bie  ©runb- 
tage  öon  ©(^etting'»  ^^itofop]^ie.  2Sät)renb  er  nod)  burc^au§ 
gic^te'g  5{n^änger  n?ar,  fc^lüebte  i^m  ber  ©ebanfe  cor,  ha^ 
(Sintert  üon  Söiffen,  ©tauben  unb  SBotten  hav  te|te,  ^öi^fte 
^iet  ber  9}knf(^^eit  fei;  ba§  ©ein  unb  (Srfennen,  ©cgenftanb 
unb  ^ßürfteltung  im  ©runbe  ein§  feien;  ba^  bie  ©efcE)id)te 
be§  5ta§  eine  ©efc^ic^te  be§  ©etbftbert'U^ttüerbenS  fei.  (är 
biftigte,  ba^  e^id^te  in  feiner  ^^ilofoplie  öom  ^d)  ausging, 
lüie  benn  gierte  e§  auct)  nic^t  labette,  ha^  ein  Stnbrer  üon 
ber  9iatur  ausginge;  benn  S3eibe  muffen  ftdE)  ja  not^ioenbig 
treffen,  beibe  SSege  feien  gteid^  richtig,  beibe  hätten  baSfetbc 
(SrgebniB.  ®ie  Statur  nömtic^  fämpft  fic^  burd^  5um  SdE|.  / 
©c^etting'^  ^§itofopt)ie  ift  eine  (Sntiüicfetung§tet)re.  S)ie  ^ 
organifd^e  Dhitur  fa^  er  an  at§  eine  |ö^ere  ^oten5  ber 
anorganifc^en,  ipenigften§  bie  Hoffnung  liegte  er,  ba§  man 
einmal  aUt  Organifationen  at§  fucceffiö,  attmätige  (Snt= 
tt)icfetung  einer  unb  berfetben  urfprüngltc^en  Drganifation 
barfteften  fönne.  ®ie  (Sntioicfctung  gefd^ie^t  in  ber  gorm 
eines  ^Riefenfampfe»  5tptfc^en  ^tod  ©runbgetratten,  bie  auf 
unjä^tigen  ©tufen  in  uu^ä^tigen  S^erlnaubtungen  erfrfieinen: 
ber  ^ampf   ift    bie   ©efc^ic^te  ber  9Jatur  unb   be§   Seben^. 


170  9ipmanti|cf)e  'i|iI)i(ofop{iic. 

2)ie  5«atur  tft  ba§  trägfte  Stjter,  ba§  MeS  Jiafet,  lüa§  e§ 
jur  93euiegung  unb  jur  3:l)ätt9!eit  ätütngt.  SDarum  f)a§t  fie 
bie  !SuaIität,  bte  bte  Urfad^e  be§  2e6en§  i[t,  ^a^t  ba§ 
(Sefd^Iec^t,  IjaBt  haS'  Snbiüibuum,  unb  mod^te  e§  in  ten 
©d^Iummer  ber  93elüuf3tIofigktt  jurüdjteticn.  „®te  ^Jiatur 
^a^t  ba§  ©efd^Iec^t,  utib  tüo  e§  entftef)t,  ent[te:^t  e§  tuiber 
tdren  SBtHen.  S)ie  Trennung  ber  (55efct)Ie(f)ter  tft  ein  un- 
öermetblic^e»  Sc^tcffat,  bem  fie,  nadjbem  fie  einmal  organifd^ 
ift,  ficf)  fügen  mu^,  unb  ba§  fie  nie  öermeiben  fann.  — 
S)afj  fie  ba§  ^nbioibuum  nur  gejftiungen  unb  ber  ©attung 
luegen  auSbitbet,  erhellt  barau§,  ha"^,  Wo  fie  in  einer 
Gattung  ba§  ^ubibibuiim  länger  er!§alten  ju  njollen  fd^eint 
(oBgleid^  ha^  nie  ber  gaU  ift),  bagegen  bie  (Sattung  un= 
fidjrer  mirb,  inbem  fie  hk  Öiefc^ted^tcr  mittx  au§  einanber 
tjatten  unb  gteid^fam  bon  einanber  pd^ten  mu^,  ^n  biefer 
9tegion  ber  9iatur  ift  ber  Sßerfall  be»  ^nbioibunrnS  minber 
fic^tbar  fdjnell  oI§  ha,  wo  bie  (S^efd^Ied^ter  fid^  nät)er  finb, 
lüie  in  ber  fd^ncHlDelfenben  5ßlume,  wo  fie  bei  i^rem  (Snt- 
fteJien  fd^on  in  bem  ©inen  ®eld^  tuie  in  ba^  Srautbett  gefaf3t 
finb,  wo  ahn  beSraegen  auc^  bie  Gattung   gefid^erter  ift." 

S3eftänbig  brängt  bie  Sitatur  auf  ben  Drgani§mu§  ein, 
fein  Seben  t^ren  d^emifd^eu  Gräften  ju  unterlDerfen.  Slber 
eben  tt)a§  ta§  Seben  jerftören  fodte,  erl^ätt  e§;  benn  im 
Slntäm^fen  gegen  Ut  9ktur,  um  fein  (Sinjelredit  gegen  fie 
5U  behaupten,  bitbet  ber  Drgani§mu§  feine  ©lieber  gu 
immer  tüd)tigeren  SBaffen  unb  begegnet  jebem  Sieig  öon 
au^en  burd^  er^öiite,  öerfeinerte  2Bir!fam!eit.  ©o  beröiel» 
fältigen  unb  fteigern  fid^  bie  S3ilbungen  im  Ü'ampl  um'§ 
®afein. 

9Kan  fönnte  ^ier  einen  intereffonten  SSergleid^  öerfolgen: 
has,  Sebenbige  ift  ber  ^roteftanttymu§,  ber  fid^  au§  bem 
?!}?utterfc^o^e  ber  atigemeinen,  aUeinfeligmadjenben  ^ird^e  to^" 


9?omantiirf)e  ^^fnlofoptiic.  171 

geriffen  ^at,  ba§  negatiöe,  bernetuenbe,  prote[tirenbe  @(ement. 
@ie  giebt  t^ren  3Infpruc^  nic^t  auf,  immer  ftrecft  fie  t^re 
5trmc  ftel&enb,  locfenb,  üerfprec^enb,  bro|enb  nac^  ben  5lb= 
trünntgen  unb  ^e^ern  qu§.  SBenn  fie  bem  3?ufe  folgten 
unb  trenn  jebe  ^roteftation  aufi)örte,  müf5te,  h)te  fid^  ha^ 
:5eber  au§  ber  ©efdjidjte  folgern  fann,  Stufie,  S3erfall  unb 
S5erli)efung  fcfiliefslii^  eintreten. 

SBenn  ber  äußere  Stetj  ber  S^iatur,  ber  ben  Drgantömug 
angreift,  um  il^n  ju  jerftören,  aufhört,  ober  richtiger  gefagt, 
tuenn  ber  Drgani§mu§  unempfinblid)  für  i^n  Jüirb,  gteid^fam 
non  i^m  unabhängig,  ift  er  bem  (Srlöfd^en  na^e;  benn  eben 
'  tampf  unb  Senjegnng  ift  has,  SBefen  beä  Sebenö.  Sllfo  ift 
©ei^nfud^t  nai^  diü^t  ©efinfud^t  nac^  bem  2;obe. 

„^IIe§,  toaS  ba  lebt  unb  leibet,  ge^t  üu§  biefer  'äU" 
brog^nenhift  J^eroor",  fagt  $8aober,  „fie  ift  bie  getieime, 
unburd)bringli(^e,  magtfd^e  SBerfftätte  alle§  Seben§,  ha^^  ge= 
l^eime  ©^ebett,  beffen  9iein=  unb  UnbeffecEter^altung  ha^ 
feiige,  gefunbe,  beffen  SSerunreinigung  ha^i  nnfelige,  franfe 
Seben  gebiert.  Qebe  lebenbige  Kreatur  in  ieber  ©tufe  unb 
©p|äre  be§  Seben§  ift,  lüic  bie  Stitcn  fagten,  folarifc^  unb 
terreftrifi^  ober  fiberifd)  unb  elementarifd^  äugleid^,  unb  ba§ 
©aframcnt  be§  £eben§  tuirb  ifinen  5(tlen  nur  unter  biefen 
5h)eien  ©eftatten  bargereic^t."  ^uin  erften  äRale  ftettte 
©d^elling  bie»  ®rama  be§  Söeltall»,  biefen  ^loiefpatt  im 
(Sinen,  ta§  enblofe  ©td^fuc^en,  9?ereinigen  unb  5fu§einanber= 
fliegen  ber  getrennten  ^ole,  hit  ®i§:^armonien,  bie  fidfi  in 
einem  großen  :^armonifc^en  3uföQii"en!Iang  auflöfen,  mit 
überttjöltigcnbem  Ungeftüm  bar.  5(n  hk  ©teile  be§  gid^te- 
fd^en  ftarren:  ^d^  hin  —  trat  ein  unenbüd)  Ieben§üoCte§,  au§= 
fid^t»reidf)e»,  §offnung§0olles:  ^d^  luerbe.  „SBir  finb  gar 
nid^t  ^c^,  tüir  tonnen  unb  foUen  aber  ^d)  toerben,  tuir 
finb  Sleime  jum  ^c^'^Berbcn",  l^ei^t  t§>  hn  DJooali'g.     Unb 


172  9\Dmantijd)e  ^f)tlo}D:t3:^ie. 

iitd^t  (Uva  Jiatte  bte§  einige  SSerben  ctn?a§  troftfofeS  @r- 
mübenbeS:  bie  altumfaffeube  @tnf)eit  ficljt  tute  ein  befänftigen- 
ber  ©olbgrunb  i)inter  bem  bunten,  ftürmifc^  beilegten  ©e- 
mälbe,  njie  eine  ©onne  ftill  im  Steigen  ber  Planeten.  @in 
33anb  berbinbet  (5nbli(f)e§  unb  Unenbltd^e§,  S8eti»u§te§ 
unb  Unbewußtes  —  «Sd^eHing  nennt  e§  bie  Gopula  — 
bie  unenblic^e  Siebe  feiner  felbft,  bie  Su[t  be§  ©id^- 
offenbarenS,  lauter  SSeja^ungSfreube.  2)ie§  53anb  erfennt 
man  in  ber  9Jatur  al§  ©d^roere,  im  9}ienf(f)en  foll  e§ 
bollenbg  burdjbred^en  unb  ha§i  SSerbunbene  gur  5rei{)eit 
führen. 

©d^eHing  gab  bie§  SlffeS  nic^t  fljftematifd^,  fonbern  ftite 
e§  in  iljm  entftanb,  in  jpringenben  (Siiifäden,  bie  e§  i§m 
immer  !tarer  unb  ftarcr  tüerben  ließen.  ©1  iraren  lauter 
33Ii|e,  bie  fd^neH,  judenb  bie  gotbene  Unenblid^feit  be§ 
§immel§  aufriffen  unb  bann  n^ieber  öer^üüten,  fobaß  eine 
unftitlbare  ©e^nfud^t  surüdblieb.  SSietleid^t  feffelte  er  gerabe 
baburc^  fo  fei)r.  5ln  ber  ©teile  eine§  S3riefe§,  ben  ber 
junge  S^orlueger  ©teffen§  im  Qa^re  1800  an  ben  nod^ 
jüngeren  ©d^etltng  fc^rieb,  möge  man  ben  (Sinbrud  ermeffen, 
ben  feine  erften  naturp^itofop^ift^en  SBerfe  madjten:  „9Jic^t§ 
f)at  mid^  fo  begeiftert  luie  S^i'e  Sranlcenbentalp^ilofop^ie. 
®§  ift  ha^i  Umf affenbfte ,  tnaS  ic^  fenne  —  'ba^  loaljrfte 
©l)ftem  —  ein  er|abene§  ^unftiüerf  —  immer  [(ie[)t  fid^, 
\üa§  \id)  fud^en  foK  —  i^  gerietl)  iu  bie  fürd^terlid^fte 
©pannung,  uerlor  mid^,  um  bie  Ä^elt  gu  behalten,  l^ergrub 
midE)  immer  tiefer  unb  tiefer  in  bie  ^ölle  ber  ^^ilofop^ie 
f)inein,  um  bon  bort  ben  |)immel  jn  fd^auen,  h)eil  id^  t|n 
nidE)t  unmittelbar  luie  ben  bi(f)tenben  ®ott  in  meinem  93ufen 
^aU.  ^ier  fat)  id)  naä)  unb  nad^  bie  ©terne  ^eroortreten 
—  bi§  ^lö^Iid^  hk  göttlid^e  ©onne  be»  Öienie»  aufftleg 
unb  Stffe»  erJieHte.    §ier  aber  ergriff  midEi  eine  tüunberbare 


D;Dmantiicf)c  ^fiilojoptjie.  173 

1Hü(}rung.  S^rnnen  bcr  fettigen  SSegetfterung  [türmten  au§ 
meinen  ^ugcn,  unb  id)  öerfanf  in  bie  unenbltd^e  güllc  bcr 
götttid^en  Grfc^einiing.  .  .  .  C^ier  lege  ic^  ben  Sranj  öor 
Sl^re  gü^e,  ben  ein  fünftige^  Zeitalter  ^^nm  fidler  reichen 
lüirb." 

gür  bie  9f{omantifer  inat  aber  ble§  ba§  SBid^tigjtc:  'Da^ 
ba§  if)nen  angeborne  ®efü|I,  9Mtur  unb  (Seift  at§  (Sin§  ju 
feilen,  burd^  ©c^eüing  beftätigt  unb  ju  einer  röiffenfc^aft- 
lic^en  5lnfic^t  er£)oben  \vax.  (£r  tüu§te  genau,  gu  lüa§  für 
üer^ängnif^üoHen  Si^^'t^ümern  e§  führen  !ann,  tt^enn  man 
coej:iftirenbe  (Srfd^einungen  nur  aU  Urfac^e  unb  SStrfung 
öon  einanber  f äffen  !ann;  luelc^e  barbarifd^e  ^(umpl^eit  be§ 
®en!en§  fpäter  einriß.  5tl§  coei'iftirenbe  (Srfc^einungen,  bie 
fic^  gegenf eilig  erklären,  betrachtet  er  Statur  unb  ®eift, 
3nnere§  unb  ^leu^ereS.  ©in  Sieblinggfd^riftftcKer  ber  ®e=- 
brüber  @d)legel,  §emfterf)ui§,  ^atte  gefagt,  ber  Körper  fei 
geronnener  (Seift  unb  ba§  förperlid^e  Uniöerfum  ein  ge^ 
tonnener  ®ott.  griebrid;  ©d^Iegel'g  „(Seift  ift  D^atur- 
pf)i(ofo|3^ie"  unb  mehrere  2lu§fprüd^e  öon  9coöoli§:  „Sie 
SBelt  ift  ein  Uniöerfoltro^ju^  be§  (Seifte§,  ein  fl]mboIifc^e§ 
i8tlb  beSfelben",  „®er  9}?enfd^  ift  eine  ^Inalogienquelle  für 
ba§  Seltalt",  „®a§  ^teuf^ere  ift  ein  in  ©eljeimnifsjuftanb 
erhobenes  innere",  „©ie  ^ö[jere  ^^ilofo^iiie  be^anbelt  bie 
e^c  öon  9ktur  unb  ©eift",  „2Bir  felbft  finb  ein  fic^tbar 
gelüorbener  ^eim  ber  Siebe  jluifdEien  $JJatur  unb  (Seift  ober 
Sunft"  finb  lauter  berfc[;icbene,  fuuMnbe  gaffungen  be§ 
®runbgebanfen§  ber  SJaturp^ilofppl^ie,  lüie  er  in  ben  köpfen 
fid^  geregt  l^atte  unb  burc^  ©c^eüing  jum  33eh)u^tfein  ge- 
brad^t  luar.  Öiemi^  n^ar  el  burc^au§  nid^t  nur  ba§ 
tat^olifc^e  SSefen  in  Siecf'S  (Senoöeüa,  ha^  bie  S«9enb  fo 
mäd^tig  bezauberte,  fonbern  ebenfoiuoi)!  jene  ©teilen  natur= 
^^ilofop^ifc^cr  ajJtjfti!: 


174  Diomantijc^e  'ip^ifofo^'^ie. 

23a§  in  htn  §i:mnel§h'eifen  fiel)  beiuegt, 
S)a§  muß  aurf)  bilblid)  auf  bev  Grbe  malten, 
®a§  tuirb  aud)  in  bev  9Jfen)d)en  Sruft  euegt, 
9tntur  fann  nid]t§  in  engen  ®renäen  {)alten, 
Sin  5Bli^,  ber  anfiuärtS  au§  bem  Gentro  bringet, 
ßr  Spiegelt  fid)  in  jeglid)cn  ©e[talten, 
llnb  i'id)  ©eftivn  unb  ?DJenjd)  nnb  Grbe  idjnnnget 
©Icid)mQfeig  fovt  nnb  ein§  be§  anbern  Spiegel, 
'S^er  %on  buvd)  alte  Streatnren  flinget. 
Srnm  mer  bie  'Ji?ei§t)eit  fennt,  fennt  feine  3"3*^^ 
Sr  fie^t  bie  ganje  3SeIt  in  jebem  3^^'^^"' 
Qux  ©terneniuelt  trägt  i^n  ber  fül)ne  g-Uigel. 

Unb  luieber: 

Süd)  ipurbe  mir  jeüfanter  SÖeife  uerüefjen 
3n  innere  !Jiefe  ber  'DZatnr  jn  )d)auen. 
5)a  fa;^  tc^  Jüa§  getrennt  sujammenöängen, 
Unb  luaS  bent  blijben  5tuge  einig  jd]eint, 
,         ^n  ferne  ©renken  an§  einanber  f(iet)en. 

Sie  Stein  im  '^Jlügrnnb  bie  llietalle  formen, 
3Sie  ©eifter  bie  ®eiriäd)ie  fignriren, 
3Sie  fic^  ©ebant'  nnb  SSifie  forporiren, 
5Sie  ^^ß^ontafie  jum  Sern  ber  3)inge  bringt, 
Surd)  Sinbilbnng  ItnmöglidjeS  gelingt, 
3iMe  jeber  Stein  un§  ftumme  ®rüf3e  beut, 
Sine  ®inge  nur  finb  ber  ©eifteriuelt  ein  ^leib. 

Sarin  ift  aUerbtngS  me^r  öon  ^atoh  SBö^me  aU  bon 
@c^elltng'§  ®et[t.  ©»  ift  bcsei^nenb,  ha'^  Zud  2(eu^ernngen 
ber  eben  angeführten  2lrt  faft  nur  gefä^rltd^en  unb  bämo- 
nif(^en  aJJenfc^en  in  ben  Sliunb  legte:  mt)fttfd^  gcfproc^en 
!annte  er  faft  nur  bie  fd^marje  9Jiagie.  9^ur  mit  ber 
^^antafie,  luie  er  in  jenen  Jßerfen  fagt,  tüoKtt  er  jum  ütxn 
ber  2)tnge  bringen,  ©eift  in  ber  3?atur  ju  feigen,  npar  im 
©runbe  nid^tg  9^ieue§.  ®a§  ^inb,  bem  Cuell  unb  Saum 
unb  S3Iume  leben,  hit  alten  ©ötterle^ren,  bie  nid^tg  5tnbre§ 
traten  al§  bie  3fJatur  befeeten,  jeber  Siebter,  jeber  ^ünftter 


9{ümantifd}c  ^^ifofopOie.  175 

toax  lütütg  auf  biefe  Sßerittanbtung  eingegangen,  'ahn  ba§ 
ift  naiüe  Sttnblic^fett,  bie  nocfi  garniert  jiutfc^en  fic^  unb 
ber  9iatur  unteifd^eibet.  ©rft  narf;bem  bie  9J?cnf^I)eit  bie 
9?atur  entgottert  ^atte,  inbem  fie  i^x  hmä)  ben  fc^eibenben 
$ßer[tanb  ben  (Seift  ent5og,  raurbe  fie  ii)x  furd^tbar  unb  ber 
©ebanfe,  e§  fönnte  eine  ©eele  in  i^r  leben,  entfe^enerregenb. 
©obatb  man  firf)  flar  ift,  ta^  ber  ®eift,  ber  bie  Statur 
regiert,  beiuu^tlofer  ©eift  ift,  mu^  jebe^  ©efü^I  be§  ®rauen§ 
fc^minben;  nur  freiließ:  ift  e§  ©eift,  fo  fann  i^n  boc^  ber 
®eift  be»  SJ^enfd^en  berüJiren,  auf  i^n  tvixhn,  i^n  erfe^en' 
unb  fo  bie  ^raft  ber  S^Jatur  für  fic^  benu^en!  ^n  biefent 
(Sebanfen  be§  3wftti"oien^ange§  jtuifd^en  beni  SJJenfi^en  nnb 
ber  9Jatur  fliegt  ber  CuetI  aller  SBunber.  Sn  i^n  taud^ten 
5ttle,  bie  bie  ge^eimni^üolle  ^Dämmerung  liebten,  unb  luenn 
fie,  tt)ie  S;iecf,  bie  gäf)igfeit  gel)abt  l^ätten,  einmal  mit  ftarer 
Sßerftanb»facfel  in  ba§  bunfle  (Gebiet  hinein  ju  leuchten,  unb 
e§  nur  au»  lüoUüftiger  Sc^mäc^e  unterließen,  belegten  fie  fic^ 
nie  o^nt  (Setuiffeuaunrutje  barin,  bie  ha§  ©rauen  unb  (Snt« 
fe^en  eigentüd^  erft  ^eroorrief  ober  bod»  fteigerte.  5)ie 
Stnbern  öerfenften  fic^  in  biefe  SJac^tmelt  o|ne  ©c^auber, 
öielme^r  mit  ber  freubigen  S3egeifterung  be§  (£ntbeder§. 
SBenn  8(^etling  ober  33aaber  ober  Sboalil  fic^  in  ba§[ 
UnbeiuuJ3te,  hk  $ßergangenf)eit,  bie  5JJatur,  bie  9tacf)t  be§j 
2}^enfc^en  tiertieften,  gef d^a^  e§  nic^t,  um  fic^  unb  5(nbre| 
5U  bctöuben  linb  ju  öermirren,  fonbern  um  burc^  biefe! 
Pforte  in'l  innere  ber  $Jiatur  ju  bringen  unb  fie  befto 
flarer  5U  erfennen. 

SBa§  fc^abet  e§,  an  SBunber  §u  glauben,  bie  natürlich 
finb?  SInbre  gab  e§  nic&t  für  ben  ^yjaturp^itofop^en.  Stber 
gerabe  be§^alb  föaren  fie  afterbingä  bereit,  an  jebel,  M^ 
bie  SSorgeit  überlieferte,  ju  glauben.  Sie  ^örten  tk  ftam= 
meinben  p^ilofopl^ifc^en  Sräume  ber  mitte(alterlicf)en  9}Ji}ftifer 


176  9^üntanttfd)e  ^^ilofop^ie. 

mit  berfclben  S&etltia|me  lüte  bte  ftra^Ienben  ©ntberfungen 
moberner  D^faturforfcEier.  (Stnem  fpäteren  ©efd^Ied^t  iourbc 
ber  Srteb,  3ltle§  im  ©aiijen  gu  betrachten  itnb  üon  jeber 
©injel^eit  auf  ba§  Stßgemeine  ju  ge^en,  unöerftänblid^. 
griebrid^  ©(^legel'S  Semerfung,  e§  fei  luunberbar,  tnie  man 
bon  ber  ^^l)fi!  fofort  auf  ^oSmogonie,  5IftroIogie,  5:^eDfDp^ie, 
!ur§  auf  bie  mtiftifc^e  SBiffenfd^aft  öom  ©anjen  gerat£)e,  ba 
man  bod^  fein  G^lJeriment  mad^en  fönne  ol^ne  ^tjpot^efe 
unb  jebe  confequent  gebat^te  ju  einer  ^t)pot^efe  über  ha^ 
ßiange  führen  uiüffe,  njäre  i^nen  läc^erlid^  unb  üerberblid^ 
—  romantifd)  —  erfd^ienen.  (Sbenfo  lädjerlid^  unb  un« 
üerftänblic^  toäre  e§  ben  S)en!ern  unb  gorfc^ern  jener  3eit 
gelüefen,  eine  (Sinjelerfdjeinung  o^ne  §inblicf  auf  ha^  Ö^anje 
ju  ftubiren;  benn  hJeld^en  233ert£)  ^ätte  fie  an  fid^  ^aben 
fönnen?  9iaturn)iffenf(^aftlid^e  ©tubien  trieb  bama(§  jeber 
©trebenbe,  unb  ber  einjige  gro^e  3tt.ied  lüar,  in'§  innere 
ber  '^Raiüx  5U  bringen. 

$8aaber  l^atte  ber  ^ant'fd^en  Seiire  üon  ben  nott^inenbigen 
©renken  be§  menfc^tic^en  (£rfennen§  borgeluorfen,  fie  fomme 
auf  ben  Sinn  be§  alten  ^aller'fd^en  S5erfe§  §erau§:  „3n'§ 
innere  ber  9tatur  bringt  fein  erfd^affner  ®eift;  ju  glücEIid^, 
luem  fie  nod^  bie  äußere  Seeaale  tpeift."  ®iefe  ftrenge  (3elbft= 
einfd^ränfung  ^atte  W  neue  ^4>^ifofopl}ie  üon  fic§  getfian  unb 
gab  bie  SJienfd^en  ifirem  angeborenen  triebe  5ur  Slllnjiffen- 
i)tit  tüieber.  S)ie  einen  fui^ten  bie  ©eete  ber  2SeIt  brausen 
in  ber  5Ratur,  anbere  luagten  ben  bunften  2Beg  burd^  il^re 
innere  9iatur  nac^  ber  öu^eren.  Tlt^i  ober  lüeniger  beutlicEi 
fc^trebte  i^nen  al§  Stern  t^re  SBeltanfd^auung  üor:  ha'^  bie 
©iittüirfetung  ber  9?atur  ein  ©eiüu^tluerben  fei,  ha^  im  9J?enfd^en 
feinen  ^öfiepunft  erreid^e,  üon  loelcEiem  ber  Strom  n)ieber 
in  ben  Slu^gang^punft  einmüube.  ^d)  \viU  groben  geben, 
tvk  üerfc^iebene  romantifd^e  2)enfer,  9?oüati§,  Sc^eHing  unb 


9iomantiic[)e  ^Ijilüiopfjie.  177 

^ted,  bieg  ^^ilofopl^iic^e  ©laubenSbefenntniB  jeber  in  feiner 
tSßeije  bari'teHten.  Snnit  eine  3»iamnieni"tPÜung  Oon  9lotijen, 
tüte  fie  9ioöa(i§  all  ©runblage  ^u  einem  größeren  ^erfe 
niebergefd)rieben  ^atte: 

„2Bir  i)aben  jmei  (Stjfteme  Don  ©ein,  hk,  fo  oerfc^ieben 
fie  au6)  erfc^einen,  hod)  auf  ba§  Snnigfte  unter  einanber  öer- 
U'ebt  finb.  ©in  Stiftern  i^eifet  ber  Körper,  ein§  bie  ©eele. 
Senel  fte^t  in  ber  ^btiängigteit  don  äußeren  Sfteijen,  beren 
Inbegriff  mir  bie  91atur  ober  bie  ändere  SSelt  nennen, 
^tefel  fte^t  urfprünglic^  in  ber  5{b^ängigfeit  etne§  Inbegriff» 
innerer  S^eije,  hk  mir  ben  ©eift  nennen  ober  bie  ®eifter- 
toeÜ.  Tlan  bemerft  hall),  ha^  beibe  @i)fteme  eigentlid^  in 
«inem  ootifommenen  2Bec^ieIoerE)ä(tniB  fielen  füllten,  in  melc^em 
^ebel,  öon  feiner  2BeÜ  afficirt,  einen  ©tnffang,  feinen  ©tnton 
bilbet.  Sur§,  bnbt  Söeften,  fomie  beibe  S^fteme,  foüen  eine 
freie  Harmonie,  feine  2:t»^armonie  ober  SJionotonie  btiben. 
2er  Uebergang  oon  SJJonotonie  jur  Harmonie  roirb  freilid^ 
burc^  ^il^armonie  ge^en  unb  nur  am  @nbe  mirb  eine  ^ax- 
monie  entfielen." 

„2Bie  ber  Körper  mit  ber  3BeIt  in  SSerbinbung  fte^t,  fo 
t)ie  ®eele  mit  bem  Reifte.  Seibe  Sahnen  laufen  öon  bem 
SUienfc^en  au§  unb  enbigen  in  @ott.  ^titit  SSeltumfegler 
begegnen  fic^  in  correfponbirenben  fünften  i^rer  Sa^n. 
^eibe  muffen  auf  9J?itteI  benfen,  tro|  ber  Entfernung  bei= 
fammen  ju  bleiben  unb  jugleic^  gemeinf(^aftlic^  beibe  3fieifen 
ju  machen." 

„SWet£)a|3f)i)fif  unb  3lftronomic  finb  (Sine  SBiffenfc^aft. 
2)ie  Sonne  ift  in  ber  Stftronomie,  ma»  ®ott  in  ber  Tltta» 
p^t)fif  (ber  9J?enfc^  ift  eine  Sonne);  grei^eit  unb  Unfterblicö« 
feit  finb  mie  Sit^t  unb  2i?ärme.  @ott,  t^rei^eit  unb  Unfterb« 
lic^feit  merben  einft  bie  ^a^nen  ber  geiftigen  ^f]9fif  ebenfo 

§ud),  Momantiter.  12 


178  Diontantijclje  ^^f)i(ofo|:)f)ie. 

tüerben,   luie   Sonne,    Steigt   unb    SBärme   in   ber  irbifc^en 

mm-" 

„SSor  ber  5Ib[tra!tion  tft  alle§  @in§,  aber  ein  ®^ao§; 
nad^  ber  5ib[tra!tion  ift  lieber  2lHe§  bereinigt,  aber  biefe 
SSerbinbung  ift  eine  freie  SSerbinbung  felbftänbiger,  felbft= 
beftimmter  Sßefen.  5lu§  einem  Raufen  ift  eine  ©efeUfc^aft 
gelporben,  ba§  S^ao§  ift  in  eine  mannigfache  SS^elt  öer- 
luanbelt." 

„5)ie  SBelt  be§  SO^ärc^cnl  ift  ber  SBelt  ber  2ßat)r:^eit 
burcfianä  entgegengefe|t  unb  eben  barum  i|r  fo  burd^au§ 
oEintid^,  mie  ba§  G^aoä  ber  üoUenbeten  Schöpfung  ä^nlic^  ift. 
Sn  ber  fünftigen  SBelt  ift  2lHe§  h)ie  in  ber  ehemaligen  unb 
bod^  burd^auS  anberS;  hit  fünftige  SSelt  ift  ha^^  öernünftige 
(£^ao§;  ba§  (S;^ao§,  ha§>  ftc^  felbft  burc^brungen,  ba§  in  ftd^ 
unb  au|cr  fic^  ift." 

„aJlit  Snftinft  ^at  ber  SJienfc^  angefangen,  mit  Snftinft 
foH  ber  äRenfd^  enbigen.  Snftinft  ift  ha^  ©enie  im  ^ara« 
biefe  t)or  ber  ^eriobe  ber  ©elbftabfonberung.  ®cr  SJienfd^ 
fott  fid^  felbjmeien  unb  nic^t  allein  ba»,  fonbern  oud^  felb- 
breien." 

„®ie  SBelt  ift  bte  Summe  be§  SSergangenen  unb  bon 
un§  31bgelöfteu.  ©o  ift  felbft  ber  :perfönlic{)e  ®ott,  ein  roman= 
tifirteS  Unioerfum." 

„SSenn  unfre  Snieüigens  unb  unfre  SBelt  l^armoniren, 
fo  finb  njir  ©ott  gleic^." 

„Unb  toa§  |nben  h)ir  in  ber  3eit  äu  tl^un,  bereu  ^foedf 
©elbftbetüuBtfein  ber  Unenblic^feit  ift?" 

„@l  ift  ^öd^ft  begreif üd6,  tüarum  am  ®nbe  5((Ie§  ^oefie 
lüirb  —  irirb  uid^t  am  (&nhe  bie  SBelt  ©emüt^?" 

„®ie  inbioibueHe  Seele  fott  mit  ber  SBeltfeele  überein= 
ftimmenb  tüerben." 


9?omauttf(^e  $f)ito)o).i{)ie.  I79 

„Sc^t  regt  \iä)  nur  I;ier  unb  ha  ©eift;  tvann  tüirb  ber 
®ei[t  \{d)  im  ©an^en  regen?  SSann  loirb  bie  3}?enfd^^eit 
in  SJfaffe  fid^  felbft  ju  16e[innen  anfangen?" 

„5l(te  ^f)ötigfeit  ^ört  auf,  lüenn  ha?'  SBtffen  eintritt. 
2)er  3»ftfln^  'h^^  2Bt[fen§  ift  (Subämonie,  feiige  9?u:§e  ber 
93efc^auung,  ^immlifd^er  Ouieti§mu§." 

„SBir  njerben  bie  SBelt  öerfte^en,  toenn  tüir  un§  felbft 
öerfte^en,  ineil  luir  unb  fte  integrante  ^ätften  finb.  (S^otteg- 
ftnber,  göttlid^e  ^eime  finb  tüir.  @inft  irerben  toir  fein, 
ftia§  unfer  93ater  ift." 

„®Dtt  unb  D^atur  mu§  man  alfo  trennen,  ©ott  i)at 
garnid^t§  mit  ber  S^Jatur  ju  fc^affen;  er  ift  ha^^  Qid  ber 
9Jatur,  baSjenige,  mit  bem  fie  einft  tiarmoniren  foll.  ^ie 
D^atur  foH  moralifdö  werben.  ®er  moralifc^e  ®ott  ift  cttnaS 
öiel  §ö^ere§  al§  ber  magifd^e  QJott." 

3lu§  ben  beiben  ^nU^t  angeführten  @ä|en  fie^t  man, 
baB  9Zoöatil  bem  unbeiuufsten  Sf^aturgott,  ^an,  einen  ©ott 
entgegenfetjt,  ber  fid)  felbft  gauj  burd^brungen  ^at;  man 
barf  fagen:  ben  jum  üoHfommenen  @elbftben)u^tfein  ent* 
h)icfelten  2Jienf(^en.  SBelc^en  man  atlerbing§,  00m  @efid^t§= 
fünfte  ber  (Sin^eit  ou§,  öom  ^eitbegriff  abfe^enb,  all  elüig 
unb  alfo  gegeniüärtig  e^iftirenb  anjufelen  bat. 

©d^eUing  ijatk  feine  ^^ilofop^ie,  mit  ber  2lbfid^t,  bem 
Slt^enäum  einen  Seitrag  §u  liefern,  in  ^nittetüerfe  gebracht, 
bie  jluift^en  (Sd^er§  unb  58egeifterung  öorgetragen  finb; 

„ißüfjt  auä}  nldjt,  iinc  mir  üov  ber  SSelt  foHt'  graufen, 

^a  id)  fie  fennc  bon  innen  unb  auBen. 

3it  gar  ein  trag'  unb  jatimeS  2^ier, 

®a§  roeber  brauet  bir  nocl)  mir, 

iDhij?  fid)  unter  ®efet\e  fd)mieijen, 

9iuf)ig  5U  meinen  g'üfeen  Hegen. 

12* 


180  9}omanti)d]c  ^^f)i(ojo)jfne. 

Stecft  äiimr  ein  5Riefengeift  barinnen, 
3ft  aber  nerfteinert  mit  feinen  ©innen, 
ßann  nicfit  au§  bent  engen  ^anjev  fierau§, 
9Jcöd)t'  fprengen  ha^  eiferne  5?erferf)an§, 
Obgleid)  er  oft  bie  g-lüfl^t  regt, 
6id)  geiüaltig  befint  unb  bewegt, 
Qn  tobten  unb  lebenbigen  5)ingen 
X^ut  nadi  93e>üUBtfein  niäd)tig  ringen, 
S)at)er  ber  ®inge  önatlität, 
SBeil  er  brin  quellen  unb  treiben  t§ät, 

[§ier  eine  ©pur  oon  3af"&  Sö[)me] 
%k  ^raft,  luoburd)  gKetafie  fproffen, 
Säume  im  S-rüf)ling  aufgefd)offen, 
©ud)t  rco^l  an  allen  ©den  unb  Gnben 
©id)  an'§  Sidit  berauSäumenbeu, 
Säfet  ft(^  bie  9Külie  nid)t  verbrieften, 
X^ut  jel^t  in  bie  §ö^e  fdjiefjen. 
Unb  fömpfenb  fo  mit  ^-uf;  unb  §änb' 
©egen  mibrige  CSIement', 
Sernt  er  im  Kleinen  Kaum  geiuinuen, 
®artn  er  juerft  fommt  ^u  33efinnen; 
^n  einem  groei'S^"  eiugefd)Ioffen 
SSon  fd)öner  ©eftalt  unb  graben  ©proffen, 
§cif3t  in  ber  @prad)e  9.1tenfd)entinb, 
5)er  Stiefengeift  fid)  f eiber  finb'. 

SSom  erften  3iingen  bunfter  5lräfte 
33i§  gum  @rgu^  ber  erften  2eben§fäfte, 
2Ö0  5?raft  in  traft  unb  ©toff  in  ©toff  üerquiat, 
3)er  erfte  S5Iid,  bie  erfte  finofpe  fdiiuittt, 
3um  erften  ©traf)t  oon  neu  gebornem  2id)t, 
S)a§  burd)  bie  yiadji  wie  ämeite  ©d)öpfung  brid}t 
Unb  an§  ben  taufenb  9(ugen  ber  2SeIt 
®en  .'pimmel,  fo  2;ag  mie  Tiad)i  erbeftt, 
|)iuauf  ju  beö  ©ebautenS  l^i'Ö^^^traft, 
SBoburd)  9?atur  Oerjüngt  fid)  luiebcr  fd)afft, 
Sft  ©ine  ilraft,  CSin  'i}iuls;fd)lag  nur,  C£in  Seben, 
®in  SBedjfetfpiel  üon  .'pemmeu  unb  oou  Streben! 


9?omnntijcf}e  ^'f)i(oio^iI)ie.  181 

Wan  ^ört  btefen  SSerfen  an,  aud^  luenn  [ie  luentger 
fau[tifd^  Hängen,  ttjürbe  man  e§  t{)un,  ba|  bie§  eine  $^tlo^ 
fop^ie  öon  nnb  für  ©oet^e  tuar. 

^ule^t  möge  man  nod^  ^ören,  n^te  Stecf,  in  gorm  eine» 
finnöüllen  2:raume§,  bie  ^Pofo|3i)ie  üon  ber  S3erou|tlucrbung 
ber  SBelt  6e!annte:  „^c^  mar  faum  eingefc^Iafen,  aU  e§ 
mir  öortam,  bie  ganje  SSett  nm  mid^  tier  ^abe  ein  neue§ 
®e[t^t,  bie  Säume  Der^ogen  i^re  SJJienen,  bie  ernftf)aften 
S3äc§e  unb  getfen  fc^ienen  su  lachen,  bie  ©tröme  ftoffen 
mit  rauf(^enbem  ©etädjter  iljre  93a£)n  i)innnter,  bie  ^Blumen 
bel^nten  ficf)  auil  unb  ftrecften  fid^  in  allen  i^ren  garten  unb 
fc^icnen  luie  öon  einem  tiefen  Schlafe  5U  erroad^en.  @§  über= 
fiel  micf),  ba^  bie  gan^e  SSelt  in  allen  il)ren  Xtjeiten  fic^  ju 
einem  frö^Iic^en  93enni^tfein  ent^iinbe,  unb  ha'i^  ein  neue§ 
Sic^t  tk  uralten  Schläfer  anrü:§re,  in  olle  tief  öerfc^Ioffenem 
Kammern  ge£)e  unb  fie  rufe  unb  erraede.  2Bd  lüill  e§  J)inau§? 
fagte  iä)  5U  mir  felbcr  .  .  .  (gg  gefd^al^  aber  )3lö^tic§,  bafe 
au§  ber  gan5en  SZatur  ber  Sob  unb  bie  i^emmenben  Gräfte 
t)erau§genommen  mürben,  unb  nun  fc^iuang  fic^  bie  Utjr  mit 
allen  it)ren  Stöbern  geiualtfam  unb  rei^enb  ^erum,  bie  Ströme 
ftür5ten  märfitig  unb  unauf^nltfam  bie  Stiäler  l^inunter,  bie 
f^clfenftücfe  trennten  fid)  ah  unb  mürben  lebenbig  toie  S3Iumen, 
bie  grünen  Zi)äUx  i)ohtn  \\d)  unb  fanfen  medEifelnb  nieber. 
5(IIe  (SdE)ö;)fung§fräfte  rannten  unb  fliegen  mettlaufenb  bie 
albern  ber  9Jatur  J)inauf  unb  ^inab,  bie  Süume  fnofpeten 
unb  blüf)ten,  unb  Stugenbticfg  quollen  bie  grüc^te  ^erüor,  fie 
fielen  öom  ©tamme  nieber  unb  ha^  Saub  oermelfte,  morauf 
ein  rafd^er  grü^Iing  fic^  tuieber  behüte  unb  in  i^nen  trieb, 
unb  fo  jagten  fic|  grül^üng,  (Sommer,  |)erbft  unb  SSinter; 
bie  ©tröme  riffen  unb  luaren  üom  augenblicflic^en  @ife  ge- 
!)emmt,  roorauf  bie  ftürsenbe  Söoge  mieber  lebenbig  mürbe. 
©0  ängftigte  unb  ertji^te  fi^  bie  9tatur  in  fic^  felber,  unb 


182  5Romantijcf)e  ^>f)ifD)opf|ie. 

enblic^  fprang  bie  ^nofpe  ber  ^eit  unb  gab  bie  eingefeffelte 
@it)tgfett  mit  einem  geiüalttgen  Klange  frei,  ba§  ber|üHte 
i^euer  hxad)  au§  allem  S^bifc^en  ^eroor  unb  ba§  etuige  ur« 
atte  (Slement  be§  Sid^tg  ^errfd^te  luieber  über  ber  Siefe,  unb 
alle  ©eifter  rannen  in  (Sinen  (Seift  5ufammen." 

@§  irirb  bem  (Sd^Iäfer  f(ar,  bn^  er  erlebt,  tüa§  man  ben 
jüngften  ^ag  gu  nennen  pflegte. 


^ic  ticuc  Olcügiom 

3f)r  ftnunt  iiöer  ba§  3«i">'ter,  Ü6er 
bie  gä^rctibc  Stiefeiifroft  iinb  lüifst  nicfit, 
iDeI(fie  neue  ®ebiirt  \f)x  erlnarten  foHt? 
Sluferftc^ung  ber  iReüGion. 

griebr.  ©d^Iegel. 

„ 9^oc^  t[t  5(IIe§  nur  5tiibeutung,  aber  fie  berrät^ 

eine  neue  (Sefd^td^te,  eine  neue  9}?enfc^§ett,  bie  jü^efte  Um- 
armung einer  iungen,  überrafd^ten  Sird^e  unb  eine§  lieben- 
ben  ®otte§  unb  bie  innige  SmpfängniB  eine§  neuen  SKeffia^ 
in  if)ren  taufenb  ©liebern  jugleic^.  ®a§  Sieugeborene  inirb 
\)a^  Slbbitb  feine§  SSater^,  eine  neue,  golbne  ^eit  mit  buntlen 
nnenblic^en  Stugen,  eine  prop^etij^e,  Junnöert^ätige  unb 
tuunben^eilenbe,  tröj"tenbe  unb  eluigeg  Seben  entjünbenbe 
3eit  fein,  eine  gro§c  S^erföfjnungSjeit,  ein  ^eilanb,  ber  tvit 
ein  ed^ter  ®eniu§  unter  ben  SJJenfdEien  einf)eimifd^ ,  nur  ge- 
glaubt, ni(^t  gefe^en  ttterben  fann,  bod^  unter  ja^nofen  ®e» 
ftalten  ben  ©laubigen  fic^tbar,  aU  93rob  unb  2Sein  öer^eiirt, 
aU  ©eliebte  umarmt,  al§  Suft  geat^met,  aU  SSort  unb 
©efang  öernommen  unb  mit  l^immlifd^er  SBoffuft  aU  %ot, 
unter  ben  §öd^[ten  ©c^merjen  ber  Siebe,  in  ba§  innere  be§ 
berbraufenben  Seibe§  aufgenommen  n)irb." 

©0  matte  ^IJotialiS  bie  neue  3ieIigion,  bie  au§  bem 
reid^en,  toogenben  (i^aoä  ber  ^eit  auffteigen  foUte. 

Unter  griebric^  ©d^Iegel'S  bieten  planen  lüar  ber  größte 
unb  erftaunlic^fte  bie  ©rünbung  einer  neuen  ^Religion,  luo- 
bon    er,   im    begreiflichen   Strgibotin,    bie  greunbe  möd^ten 


184  ^ic  neue  Saeligion. 

ettca  fein  gro^e»  ®en)id)t  barauf  legen,  mit  befonberem 
^ad)'i)md  ^u  oerftctiern  liebte,  »üie  erni't  e§  t^m  bamit  fei. 
@r  fü:^Ite  [id^  fä|tg,  ba[ür  mie  Sut^er.ju  prebigen  unb  ju 
eifern,  tüte  9J?o^ameb  „mit  bem  feurigen  ©d^mert  be§  SSort^ 
ba§  9teid^  ber  ©eifter  ttjelteroBernb  ju  überjie^en",  mie 
ß^rifiuS  bafür  ju  fterben.  SludE)  ftac^elte  er  unermüblic^ 
bie  ©enoffen  gum  @i)mbiMifiren  an  unb  laf)  mit  ®enug= 
t^uung,  )üie  ein  SDireftor,  ber  feine  Slngeftellten  muftert, 
©(^leiermacEier  in  feine  3fieIigion§reben  unb  Zkd  in  feinen 
^atoh  SSöl^me  üertieft.  3t(§  feinen  eigentlichen  9J?itarbeiter 
aber  betrad^tete  er  9iot)ati§,  ben  ©injigen,  oon  bem  feiner 
ber  ^reunbe  bejn^eifelte,  ba§  er  Steligion  ^abe:  ein  ^unft, 
in  bem  fie  fic^  etferfüd^tig  controlirten.  @r  öert^eilte  hit 
grollen  in  ber  SSeife,  bof;  9ioöaIi§  ber  S^riftu§  ber  neuen 
Steligion  loerben  folle  unb  er  fein  ^aulu»,  mit  toeld^em 
©larüfter  er  öorjüglic^  beSi^alb  Ste^nlic^feit  ju  !§aben 
glaubte,  n)eit  „eine  geiuiffe  (Snergie  unb  {^urie  ber  SSa^r^eit 
nur  "iia  entfielen  fann,  wo  reblid^er  Unglaube  nic^t  au^ 
Unfätjigfeit,  fonbern  au§  ©d^iuerföHigfeit  öoranging". 

31I§  bie  3eit  feines  Unglaubeng  mu|te  j^rtebric^  tüo^t 
bie  ru^elofen  ^üngtingSjal^re  betrac£)ten,  tno  er  in  peinöoüem 
9ftingeu  ®ott  in  fic^  ju  bilben  fuc^te.  ®amaly  Oevlangte 
er,  ber  ©egenftanb  be§  @nt^iifia§mu§  muffe  für  ben  reifen 
ajiann  fein  eigenes  beffereS  ©elbft  fein;  ba§  fei  nic^t  (Sgoi§= 
mu§,  fonbern  ba§  ^ei§e  fein  eigner  ®ott  fein.  2)ci§  ^eran- 
bilben  beS  eigenen  ^d^  jur  SSoIIfommenI)eit  fa^  er  aU  ta^ 
roic^tigfte  ©efc^äft  be§  SJ^enfdEien  an:  ba»  S3efte,  lüaS  id^  mir 
ju  benfen  öermag,  ift  meine  S^ugenb.  Siefe  5Infid^t,  eben 
tk,  burd^  meldte  er  fic^  mit  gierte  eini  füllte,  entbel^rte 
gettii^  nid^t  ber  (£r^abent)eit.  ^ein  SSormurf  ift  ungerechter 
als  ber,  ben  man  tüo^l  mactien  ^ört,  hu  9tomantifer  Ratten 
fid^  fetbft  öergöttert,  um  ungeftroft  jügelto»  leben  ju  bürfen; 


3)te  neue  Oieügion.  185 

im  (SJegentfjeil  erlegt  haS'  Selru^tfein,  einen  göttfic^en  Seim 
in  fic^  ju  gelben,  ber  nacf)  ©nttüicfelung  brängt,  eine  SSer- 
antluorttic^feit  nuf,  bie  eine  ebenfo  grofee  Stnregung  5ur 
S^ugenb  fein  fann,  tuie  irgenb  eine  ?lu§fic^t  auf  ^immlifc^e 
S^ergeltung;  el  fommt  nur  auf  ben  ®Dtte§begriff  an,  ben 
ein  Seber  fid^  mac^t.  SBenn  griebric^  gelegentlich  baoon 
fprac^,  ha'^  ber  greife,  tugenbtiafte  SDienfc^  ©ott  öeracfiten 
fotte,  fo  ift  bamit  ber  alte  Diaturgott,  ^an,  gemeint,  ber 
©Ott,  ber  gleic^fam  bem  SJJenfc^en  gegenüberfte^t  am  5lnfaiig 
ber  ©nttüicfelung,  bte  S3afi§  ber  ^t)ramibe,  bereu  ©pi^e  ber 
SJ^enfd)  ift.  @o  unterfd^eibet  aud)  9iotiQli§  inofit  einmal 
^\ütx  ©Otter:  „®ott  unb  9iatnr  mu^  man  atfo  trennen. 
@ott  ^at  garntc^tg  mit  ber  9ktur  ju  fcfiaffen;  er  ift  tja^ 
3iel  ber  Statur,  baSjenige,  mit  bem  fie  nic^t  ]^armoniren 
foK.  ^ie  9catur  fotl  moraIif(^  loerben.  2)er  morarifc|e 
©Ott  ift  ettüa§  t)iet  öö^ere§  aU  ber  magifc|e  @ott." 

S)a§  ©efc^icf  füt)rte  nun  f^riebric^  auf  einen  Segriff, 
ber  i^m  bi§  ba^in  gönälid^  gefehlt  Jiatte:  ben  be§  Uniüer*! 
fum§.  2öa§  in  biefem  $au(u§  ben  Umfc{)U)ung  :^erbeifüt)rte, 
ipar  nic^t^  ©d^recf-  ober  ©(^merj^afteg,  öielmeljr  ha^^  @(ücf, 
ha^i  i^m  plö^Iii^  begegnete.  S3or|er  f)atte  er  ft^  immer 
Oereinjelt  gefüllt  im  Kampfe  gegen  bie  2öelt,  bie  er  fic^ 
ntd^t  5U  offimiliren  luu^te,  nun  berü()rte  fie  i^u  liebenb  unb 
oerftänbni§ooü.  (Sr  ftjar  tüie  @iner,  ber  ftarr  über  einen 
glu^  gebüdt  fein  gefpiegelteS  93ilb  betrachtet  ^at  unb  ben 
auf  etnmat  gute  ©enien  umiuenben,  fo  ba§  er  Söalb  unb 
SBoIfen,  S3ögel  unb  SJJenfc^en  fielet,  bie  hinter  if)m  iE)r 
frö^(icf)eÄ  SBefen  treiben.  ®ie  ftrenge  ©|)ra(^e  römifd^er 
(Srbaben^eit  oerga^  er  nun,  unb  an  il^re  (Stette  trat  gtütienbe 
^(nbetung  be»  Uniöerfijnig,  in  ba§  er  „fnoHig  üerliebt"  ju 
fein  mit  großem  2öot)IgefafIen  befannte. 

„Ter    ©ebanfe   be§   Uniüerfum»    unb  feiner  ."parmonie 


186  5)ie  neue  Sxeligion. 

tft  mir  @in§  unb  2lffe§,  .  .  .  .  tft  ein  getüiffer,  geje^tic^  or^ 
ganifirter  SBed^fel  jtütfc^en  Snbioibuatität  unb  Uniöerfatität 
ber  eigenttid^e  ^ulSjc^Iag  be§  ^ö^eren  Se6en§  unb  bie  erfte 
$8ebingung  ber  fittlic^en  63ejunb!§eit.  ^e  üollftänbiger  man 
ein  Snbiöibuum  lieben  ober  bilben  fann,  je  me^r  Harmonie 
finbet  man  in  ber  Söelt;  je  meJ)r  man  öon  ber  Organijation 
be§  Uniöerfumg  öerfte§t,  je  reid^er,  unenblid^er  unb  luelt- 
ö^nlid^er  tüirb  un§  jeber  (Segenftonb;  \a,  icE)  glaube  faft, 
ha^  toeife  (Selbftbejd^ränfung  unb  ftille  S3ef(f)eiben|)eit  be§ 
(^ei[le§  bem  93ienf^en  nic^t  not^tuenbiger  i[t  ali§  bie  innigfte, 
ganj  raftlofe,  beinah'  gefräßige  ^^eilna^me  an  allem  Seben 
unb  ein  getuiffeS  ßiefü^I  öon  ber  §eiligfeit  öerfc^tüenberifd^er 
gülle." 

S)a§  neugelüonnene  Suftgefül^I,  ©lieb  eine§  @an5en  gu 
fein,  eine§  großen,  elüigen,  üernünftigen  ©onjen,  tüar 
griebrid^'g  Üiciigion.  2)ie  tinblid^  ftoläe  greube,  bie  er 
über  biefe  (Eroberung  be§  Unioerfumg  empfanb,  t^eilte  \\(i) 
feiner  Umgebung  mit  unb  fitngt  in  @c^Ieiermad^er'§  9teben 
über  bie  Sf^eligion  nad^.  ®enn  tuaS  bort  nad^  allen  2tb= 
ftraftionen  ber  Sf^eligion  bleibt,  ift  aiid^  nichts  tceiter  aU 
@efü§I  be§  Uniöerfum§  ober:  menfdjIid^eS  ®efü^I,  obge5ogen 
öon  jeber  (Sinjelerfd^einung,  einzig  belogen  auf  ha§:  Uni= 
üerfum.  ©d^Ieiermad^er'g  ©rflärung,  man  folle  nid^tl  au§ 
^Religion  t|un,  aber  5llle§  mit  Steltgion,  fie  muffe  irie  eine 
SJiufif  ha^  Seben  begleiten,  ift  in  et»ua§  anbern  SBorten, 
h)a§  gi^iebrid)  in  feinem  93rief  an  S)orol|ea  fagt:  „Obgleich 
mir  aber  oud^  ta^,  \va§>  man  geiuötinlid^  ^Religion  nennt, 
ein§  ber  tounberbarften,  grö^eften  ^^änomene  ju  fein  fd^eint, 
fo  !ann  id^  boc^  im  ftrengen  Sinne  nur  haS'  für  ^Religion 
gelten  laffen,  toenn  man  göttlid^  benft  unb  bid^tet  unb  lebt, 
trenn  man  ooU  oon  ®ott  ift;  menn  ein  ^aud)  Don  2lnbacE)t 
unb  S3egeifterung   über  unfer  gan§e§  ©ein  auSgegoffen  ift; 


Sie  neue  3ielii]iou.  187 

luenn  man  nid^ty  me^r  in  ber  ^^flic^t,  fonbern  2(IIe§  au§ 
Siebe  t^ut,  blo^  lueil  man  e§  tütll,  unb  lüenn  man  e§  nur 
barum  toiU,  Jueil  e§  ®ott  fagt,  nämlti^  ©ott  in  un§." 

SBieber  finb  lutr  mitten  in  bie  ^^aulinifd^e  j^eljbe  gegen 
^ant  unb  j^ic^te  t)erfe^t;  nid^t  ein  getrenntes  ©ölten  unb 
SBoIIen  im  Tlm\d)en  ift  ha^  ^öd)'\k,  fonbern  SSerfc^meljung 
ber  betben,  bamit  nic^t  Sefe^I  unb  ©e^orjam  |errfd^e,  fon- 
bern bie  grei^cit  ber  Siebe,  ©o  erflärt  fic^,  föenn  griebricf) 
fagte,  'Oü'q  eine  @t)ntt)ef{§  öon  5tc£)tc  unb  Ö^oet^e  9teIigion 
geben  mürbe:  ^ant  unb  gtd)te  f)altn  bie  ^f)itüfo|)!^ie  öon 
ber  einen  <Bexk  bi§  an  hu  ©d^ioeHe  ber  ^Religion  geführt, 
auf  ber  anbern  lufttüanbele  ®oetI)e  in  ben  ^ropt)Iäen  be§ 
3:empelS.  Unb  irieber  benfetben  @inn  I)at  feine  93emer!ung, 
ba§  bie  antue  fReügion  bie  Sieligion  be§  SebcnS,  ba§ 
G^riftenttjum  bie  be§  2;obe§  fei,  ba'^  ahn  Job  unb  Seben 
etgentüd^  ein§  feien;  n^eg^alb  9ioöaIi§  öom  d^riftent^um 
fagte,  e§  ft^Iiefee  fid^  an  bie  3lntite  aU  ber  jiueite  ^aupt- 
flügel:  „S3eibe  tialten  'ba^  Unioerfum,  al§  ben  ^ör|3er  be§ 
(Sngelg,  in  eioigem  ©c^ioebcn,  in  eiuigem  @enuB  üon  3taum 

unb  S^i^'" 

Sin  bem  gtc^te'fd^en  (SIement  be§  2Biffen§,  be§  @efe|e§ 
fe^Üe  e§  ber  ^eit  nic^t,  man  empfanb  fogar  bie  5Rüt^s 
luenbigteit,  e§  jurücfäubrängen.  9M(f)t  (Siner  unter  ben  9to* 
manttfern,  ber  nic^t  ein  paar  San5en  für  ha§>  SBunber 
gegen  bie  ^lufflärung  gebrorfjcn  Ijätte.  @ie  fütjiten,  bof3 
ba§  Uubeluufjte,  ber  nnmberttjätigc  ß^Iauben  geftärft  loerben 
muffe,  gür  bie  uene  3eit  (jätte  man  ben  ©a|  be§  ^aulu§, 
ta^  luir  im  ©lauben  unb  nid)t  im  ©d^auen  loanbeln,  um= 
fef)ren  muffen,  ^enn  bie  Si^raft  be§  ®(auben§  pflegt  gu 
öerfümmern,  loenn  bie  be§  ©c^auen§  junimmt,  toie  ^ü' 
lüeiten  ber  ÖJeift  mäc^ft,  luenn  ber  ftörper  fd^tüinbet. 
2(ber  bie  Stomantifer  furf)ten  ben  fctjlummernben  3}iagier  im 


188  2)ie  neue  Steligion. 

SJJenfd^en  lüieber  ju  ertüecfen.  9^eue,  überiüälttgenbe  5ln- 
fid^ten  be§  ®IauBen§  unb  be§  SSunbcrS  taucfiten  in  ifjretn 
Greife  auf.  „^n  bem  51ugenbltcf",  fagt  eine  yioti^  tion 
5yJotiaü§,  „m  iä)  ©ott  glaube,  ift  er."  2Bie  bie  SSelt  ift, 
treu  man  fie  glaubt;  e§  t[t  ber  öerbtd^tetfle  Sbea(i§mu§, 
bcr  5um  uubelyufeteu  SBillen,  jur  9lctur  §urü(fgefe|rt.  ®a§ 
©temenl  ber  jc^affenben  ©laubengfraft  ift  im  ©egenfa^  pm 
proteftantifc^en  ha^  !att)oItf(^e,  im  @egenfa|  jum  c^riftlic^en 
ba§  t)eibntf(f)e.  jDie§  toar  ba§  (SIement,  ba§  bte  Statut  in 
bie  9teIigion  t)ineinfü()rte,  roetc^e  ba§  S^riftentl^um  aB 
Schein  t)erni(^tet,  an  welche  ba§  ^eibent^um  glaubt,  inbem 
e§  fie  göttlicf)  befeelt.  SBte  eine  Offenbarung  empfing  man 
©dE)eIIing'§  jubelnben  Slufruf:  ^ommt  I)er  jur  ^f)t)fif  unb 
erfennt  haS  (Smige!,  unb  bie  jatjlreic^en  (Sntbedungen  auf 
bem  (Sebiete  ber  Statur lüiffeufc^aft  famen  bem  (Sifer  ent« 
gegen,  mit  bem  man  il^m  i^olqt  leiftete.  5Iu(^  ^atte  griebrid^ 
ber  ^t)t)fif,  mit  tuetd^em  9^amen  man  bamal§  alle§  Slatur» 
njiffenfd^aftlic^e  umfaßte,  einen  großen  ^Ia|  in  feiner  9?eli- 
gton  gugebad^t:  fie  foltte  bie  ©runblage  ber  93h)t£|oIogie 
bilöen.  2Bie  biet  me^r  fonnte  man  je^t  bie  5J?atur  per» 
fonificiren,  ba  man  i£)re  Gräfte  aU  bicfelben  erfannte, 
bereu  2Birfen  man  im  eigenen  Innern  füfjite,  unb  atfo 
bie  2öiffenfcf)aft  jene  SSertüanbtfd^oft  mit  bem  SJienfd^- 
lic^en  beftätigte,  bie  ba§  Slltert^um  geahnt  §atte,  griebrid^ 
fdjIoB  feine  9lebe  über  bie  neue  9}it)t^oIogie  bamit,  ha^ 
er  hk  i^reunbe,  an  bie  fie  gericf)tet  mar,  jum  ©tubium 
ber  ^^t)fif  aufforberte:  i^r  luürbeu  bie  I)eiligften  Offen* 
barungen  ber  SfJatur  cntfpringen.  ©ine  mobern  miffen- 
f(^aftlic^e  9^aturreIigion  tonnte  man  fic^  rvoU  an^  @d^elling'§ 
5Raturp^i(ofop[}te  f)erau§bilben,  unb  tvk  fie  i^m  felber 
öorfc^njebte,  ^at  er  in  flinfen  SSerfen  5U  uerftei^en  ge= 
geben: 


5}ic  neue  5Re(iijioii.  189 

®e^e  Weber  jur  ^irclje  no(^  jur  ^rebigt, 
S8in  al(e§  ©lauben§  rein  erfebigt 
?fuf,er  an  bie,  bie  mid)  reciiert, 
aJiid)  ju  Sinn  unb  5)iditung  fül)rt, 
3)a§  iicrj  mir  lägüd)  rüljrt 
93iit  eiu'ger  |)anblung, 
S3eftänb'ger  ^erwanblung, 
C^nc  ^M)'  nodi  Sauinnii"; 
©in  Offen  (^el)cimniii, 
ein  unjterblid)  Okbid)t, 
®Q§  ju  aüen  Sinnen  fprid)t, 
Sn  beren  tief  gegrab'ncn  S^W^ 
SJiuB,  wag  \vai}\:  ift,  üerborgen  liegen, 
Surdi  Jorm-unb  iöilb  fie  ju  un§  fprid)t 
llnb  üer(ief)let  felbft  ba§  3"n'i"e  "'"^J*, 
®aß  roir  au§  ben  bleibenben  (Jbiffern 
aiUigen  aud)  bo§  Ö3ef)einie  entjiffern  — 
Savum  ift  eine  SJeiigion  bie  redite, 
Wüßt'  fie  in  Stein  unb  Wcio§gefled)te, 
^n  SBIumen,  '•Bcetad  unb  aüen  Singen 
So  gu  Suft  unb  Sid)t  fid)  bringen, 
^n  äffen  Söffen  unb  liefen 
Sid)  offenbaren  unb  £)ierügh)p()en. 

SSon  eigentlid^em  (5[}riftent^um  ift  ba  junäd^ft  feine  ©pur. 

2Ba§  für  eine  anbre  2SeIt  t^ut  fic§  un§  ouf,  tüenn  lüir 
nun  ju  9iotiaIi§  ge^en  unb  au§  feinem  befd^etbenen  SJiunbe 
SSorte  hörten  lüie  bie:  „UngHicf  ift  ber  33eruf  p  ©ott"  ober 
„Siebe  ift  biirc^au^  ^ranfljeit;  ba^er  hk  iDunberbare  Se» 
beutung  beg  (Il)riftentt)um§."  ©§  ift,  aU  ob  mx  üon  ber 
braufenben  Uepptgfeit  ber  SiaturfüUe  ^inn:)eg  in  ein  ein= 
famel,  t^ränenfü§e§  aJJenfcfienauge  fä^en.  SDie  D^Jatur  butbet 
ha^  «Sc^mac^e  nid^t;  ben  franfen  ä^ogel,  ber  nid^t  mit  nac^ 
©üben  fliegen  fann,  tobten  feine  ©efellen,  fagt  ber  $8oIf§- 
munb.  Sn  bem  ungefieuren  ^^ampfe  [)at  ^eine§  3eit  nac^ 
bem  §u  fe^en,  toa^  njunb   am  23ege  liegen   bleibt.     SZic^tl 


190  3)ie  neue  Sieligion. 

unterfi^eibet  fo  fe^r  ben  aTcenfd^en  bon  ber  ^latiix,  at§  ba§ 
er  barauf  derfaUen  fann,  ©c^nier5  unb  ^ranfiieit  gu  lieben. 
®a§  faffung^Iofe  (Srftaunen  ber  |)etben  über  ben  gefreujtgten 
ßiott,  tl^r  gefunber  ober  äft^ettft^er  5lbj(f)en  betueift,  bn^ 
etiuaS  grunbfä^Iid^  9Jeue§  barin  kg,  bem  nalürltc^en  9}?en= 
fcJien  grembeS.  (S§  tft  feiten  ober  unmöglid^,  ba§  ein  ganj 
©cfunber  bie  ©c^öntieit  in  ©dimerj,  STranfl)eit  unb  Xot) 
fe^en  fann  oi)ne  ©etüaltfamfeit  ober  ^i^ierei,  nnb  baB  ntcfit 
onbrerjeitg  ha^  efftatifd^e  SBefen  be§  Uranien,  ber  in  feinen 
Seiben  fc^luelgt,  obftö^t;  bielleid^t  mu§  man  gefnnb  unb 
fron!  gugteid^  fein,  um  fie  in  eine  fo  ernfte  ^olbfeligfeit 
Üeiben  ju  fönnen,  tüu  9^ooati§  t^at. 

©c^eHing  befinirte  ^ranffjeit  aU  5lblüei(f)ung  nic^t  nur 
üon  ber  abfoluten  Proportion  ber  Gräfte,  fonbern  anä)  öon 
ber  inbiüibuellen,  öon  ber  ein  beftimmte^  Söefen  ab^öngt. 
9J?an  !ann  fid^  nun  h^o^I  eine  geiftige  Sonftitution  benfen, 
in  ber  eine  5lbineic^ung  gar  nid^t  möglich  tnäre,  oljne  ha'^ 
ba^  gebred^ttd^e  ^robuft  gteic^  §erftört  würbe;  ober  eine 
fold^e,  bereu  Gräfte  nii^t  felbftäubig  genug  ioören,  um  au§ 
ber  9?egel  5U  treten,  ober  eine  unenttoicfelt  finblic^e,  h)o 
feine  Gräfte  fii^  entjtreien  unb  gegen  einanber  empören 
fönnen,  toül  fie  nocf)  eine  jufammengefaltete  S^nofpenein^eit 
bilben.  5llle  biefe  5trten  ber  Öiefunb^eit  finb  meber  juüer^ 
täffig  nod^  e^renöoU;  au§  loeld^em  ©runbe  auc^  in  ber 
©age  üon  ber  SSerfud^ung  in  ber  SBüfte  (Sf)riftu§  aU  ber 
©ünbe  fä§ig  ge5eigt  iuerben  follte.  O^ne  öorauSgegangene 
©ntjJüeiung  ift  nid^t  nur  feine  SSerfö^ming,  fonbern  oud^ 
feine  Siebe  mögtid^,  bie  ja  nur  giüifdjen  jtuei  ©efonberten 
entftef)en  fann.  Unb  ©onbern  ift  audf)  ein  9lblüeic^en; 
93aaber  bat  barauf  aufmerffam  gemad^t,  ba^  ©ünbe  üon 
©onbern  fommt.  ©beufo  ift  jebe  @rf)öl§ung  ber  Gräfte  eine 
3Ibiüeid^ung  unb    atfo    eine  Slranffjeit,    tuetd^e   ©etradCjtung 


Sie  neue  9ie(ic)iou.  191 

9JoliaIt§  mit  ttef[inniger  getnfiett  auf  bte  (Sntlütcfelung  ber 
Organismen  angeluanbt  liat,  inbem  er  fagt:  „^ranJ^eiten 
ber  ^flanjen  finb  5(ntmaItfationen,  ^ranffieiteu  ber  S:()iere 
9i*ationaIifationen,  ^ranfljciten  ber  Steine  SSegetationen." 
^ranf^eiten  ber  SJJenfcJjen,  fönnte  man  J)tnju  fe|en,  finb 
S5ergöttlic^ungen.  ©o  mii^  man  anbre  3(n»fprüc^e  öon 
9Jooati§  öerfle^en: 

„.^ranl^eiten  jeic^ncn  ben  3J2enfc^en  oor  ben  ^fCanjen 
unb  3;()ieren  au§." 

„Wan  fodte  ftolj  auf  ben  @(f)mer,^  fein  —  ein  jeber 
©djmer^  ift  eine  (Erinnerung  unfereS  l)o^en  Stange!?.'" 

„5t(Ie  ^ran!I)eitcn  gleicfien  ber  ©iinbe  barin,  ha^  fie 
S^ranScenbenjen  finb.  Unfre  ^ranf^eiten  finb  alte  ^^ä= 
nomene  einer  erteilten  ©enfation,  hk  in  tiöl^cre  Sltaft  über^ 
gelten  lüitl." 

5l[ier  nid^t  oUein  ba§  ift  ber  Söert^  jeber  ^tbtüeid^ung, 
©ünbe,  ^ran!f)eit,  ha'^  fie  auf  Iiö^ere  Stufen,  fonbern  ba^ 
fie  5ur  fiemu^ten  Harmonie  auf  berfelben  fiteren.  „33ebürfnife 
nad^  Siebe  öerrät^  fc^on  eine  öorljonbene  ©ntjnjeiung  in 
un§."  Unb  eben  ber  Siebe  f ollen  tüir  bebürfen  §um  3iüecfe 
ber  belüu^ten  (Sin^eit.  ®amit  tüir  Siebe  lernen,  S'raft  jur 
^Bereinigung,  finb  nac^  S^ooaliS  alle  Seiben,  9J?ängeI  unb 
Slegationen  be§  Scben§  ha.  S)ie  Disharmonie  fü^rt  au§ 
ber  aJionotonie  jur  Harmonie.  6»  ift  ha^  SSefen  ber  Siebe, 
ba§  S3ebürftige  5U  n)ä£|Ien,  tüeil  fie  baran  i()re  j^vei^eit  unb 
^raft  üben  !ann,  unb  tüeil  nur  ber  S3ebürftige  Siebe  brautet. 
Denn  ©ei^nfud^t  ift  bie  Solge  be§  äRangelä  unb  Siebe  ift 
bie  (J-rgänjung  ber  ©e^nfuc^t,  tjer^ätt  fidf)  ju  i^r  tute  ha^ 
^ofitioe  5um  9tegatiüen.  2Se§()aIb  aud)  jeber  Siebenbe  fic^ 
felbft  erniebrigt,  um  2itte§  öom  (SJeliebten  ju  em|)fangen. 
©0  nennt  9fcot)ati§  bie  d^rifllid^e  Sieligion  bie  eigentlidfie 
9teIigion  ber  SSoIIuft.     Denn:   „Die  ©ünbe  ift  ber  größte 


192  5)ie  neue  9{eIic]iDn. 

Steis  für  bte  Siebe  ber  ©otttjeit;  je  fünbtger  fic^  ber  50Zenid^ 
fü^It,  be[to  d^riftltd^er  tft  er.  Unbebtngte  SSeretntgung  mit 
ber  @ott[)eit  ift  ber  Stütd  ber  ©ünbe  unb  Siebe." 

2(tle§  5ufammenge[a|t:  um  ber  grei^eit  SBitten  mu§ 
©ntstueiung  fein,  benn  in  ber  iinentjiueiten  9?atur  ^errfc^t 
ber  3^flng  be§  SriebeS,  unb  um  ber  SSerfö^nung  SBiHen 
muB  Siebe  [ein.  2)ie[en  ©ebanfengang  fl)mboIi|irt  bie  58ibet. 
®ag  ^arabie§  i[t  tk  Unfd^ulb  ber  unbemufeteu  ^iatur,  bic^ 
SSerfü^rung  ber  ©d^Iange  ber  erfte  Üieij  be§  SSemufetmerben^. 
„^I§  ber  Tiei\\ä)  ©ott  Wtxhm  njoHte,  fünbigte  er."  (Sr 
fonberte  [ic^  ah  aU  ein  ©injeluiefen  an§  bem  c^aotijd^en 
S(ß,  ein  ftoljeg,  freoeInbe§  aber  bod^  gro^e§  S3eginnen,  gut 
unb  böfe  gugleicl,  une  ber  S^arafter  ber  ©ünbe  iiber^aupt. 
Söer  rafenbe  S^erfuc^,  au§  einem  5Üom,  einem  ©anbforn, 
einem  2:f)iere  ©ott  ttjerben  gu  tüoüen,  fann  nur  baburd^ 
gei'ül^nt  toerben,  ba^  er  gelingt.  Stber  ha^i  ®efe^,  haS'  bie 
(Srfenntni^  be§  ®uten  unb  S3öfen  aufgeftellt  ^at,  t[t  bem 
ringenben  @efrf)öpf  §u  jd^ttjer.  2)iefe  ©ejc^ic^te  erjäfjlt  ha§ 
S((te  S:eftament:  3f)^  SBiffen  beleud^tet  ben  SJJenfc^en  nur 
tf)re  Unjulänglic^feit  unb  il^r  ^ampf  erfd^eint  enbloy,  of)ne 
^u§[id^t.  S)a  er[(^eint  ein  ^immlifc^er  griebenSbote,  d^rifluS, 
ber  ©ottmenfd^.  ©eine  ©rfd^einung  öerbürgt  ben  |)offnung§= 
llofen,  'Da^  i^re  ©ünbe  nicEit  unfü[)nbar  ift:  ba§  ilTteufd^Hd^e 
ijfann  mit  bem  ©öttlicöen  üereinigt  lücrben  burd^  ein  58anb. 
S)ie§  S3anb  ift  bie  Siebe.  ®a§  33ilb,  bo§  ^?autu§  gebraucht, 
I)at  barum  einen  fo  be5aubernben  9?eali§mu§:  „lieber  2lIIe§ 
aber  jiefjet  an  bie  Siebe,  bie  ba  ift  iia^  Sanb  ber  SSod' 
fommeui^eit." 

Sft  9teligion  bie  Se^re  Don  ben  9JJitteIn,  fid^  mit  ber 
©ottfjeit  5U  üerbinben,  fo  ift  Siebe,  aU  tia^  33anb,  ha^ 
n}efentli(^e  Gfcment  ber  9JeIigion.  S)ie»  pflegte  9JooaIil  in 
feinen  Semerfungen  über  Steügion  ju  betonen: 


Tie  neue  ^Ifeligion.  193 

„^a§  |)er5  tft  ber  Sdjfüffel  ber  2BeIt  unb  be§  2eben§. 
SJian  lefct  in  btefem  f)üIfIoicn  3")"tanbe,  um  ju  lieben  unb 
SInbern  öerpfltd^tet  5U  fein.  jDurd^  UnooHfommen^eit  niirb 
man  ber  (Siniinrfung  Stnbrer  fäE)ig,  unb  biefe  frembe  (Sin«» 
n)irtung  ift  ber  Qwed.  ^n  Sranf^eiten  fönnen  unb  foUen 
un§  nur  5(nbre  lelfen." 

„®tebt  e§  liebloje  Staturen,  fo  gtebt  e§  auä)  irreligiöfe." 

(5§  tft  nun  eigentlid)  burc^auS  nic^t  überrafc^enb ,  ba§ 
für  dlomü^  bie  begriffe  (5|rtftent()um  unb  ^Religion  5U- 
fammenftelen.  5luc^  grtebriii)  ©c^tegel  Juar,  tro^bem  er 
fanb,  e»  muffe  eigentlich  fo  öiel  3teIigionen  trie  ^nbiüibuen 
geben,  ber  9J?einung,  bie  öollften  ßeime  ber  ^Religion  lägen 
im  (J^riftent^um.  ©er  unter  ben  $Romantifern  beliebte,  öiel 
gelefene  ^ahh  SSöfjme  Batte  fogar  bie  i^eiönifc^en  ^ieligionen 
unentiuicfelte§  (II)rtftent^um  genannt.  3Senn  atterbing§  ber 
ßern  bei  (I^riftent^uml  S^ernic^tung  be§  Seligen,  3(pDtJ)eofe 
ber  3ufiinft  ift,  tt)ie  9^oöaIi§  fagte,  fo  tft  nur  ber  ftrenge 
2tt^eift  ober  9JiatertaIift  •}?ic^t=Sf)rift.  Slud^  @c^Ieierma(^er 
erflärte  in  feinen  Sieben,  obmo^I  er  ba§  (Sntfte^en  neuer 
9ieIigionen  rceber  für  unmöglich  nod^  für  unerlaubt  anfa^, 
bas>  Siiriftent^um  für  bie  Unioerfalreligion,  in  bereu  Um^ 
fang  jebe  möglid^e  ^Religion  l^inein  paffe  unb  ge[)öre. 

2Iber  bie  (äntrüftung  tiieler  offizieller  S?ertreter  be§ 
©^riftent!^um§  beim  ©rfc^einen  üon  ©c^Ieierma(^er'§  SBerf 
belüeift,  ha'^  ni(^t  ^eber,  ber  ei^rlic^  überzeugt  Wax,  ein  guter 
(S^rift  §u  fein,  bie  romantifc^e  2;efinition  bittigte.  2ltter= 
bing§  mocfiten  fie  mand^e  ber  geläufigften  religiöfen  ^gegriffe 
gar  nii^t  miebererfennen,  al§  ®ott,  S^riftul,  Unfterbli^feit, 
ett)ige§  Seben.  SSon  ®ott  gab  ©c^Ieiermac^er  gu  üerfte^en, 
ta^  bie  perföntic^e  gaffung  be§  ®Dtte§begriffe§  e^er  auf 
eine  tiefere  Stufe  be»  S3ett)u^tfein§  gehöre.  93Zand^mat 
!ommt  e§  einem  öor,  al§  fönne  man  feinen  tote  grtebrid^ 

§u(f),  5Romamifer.  13 


194  S)!*^  "cue  Sieligioit. 

@c^tegel'§  (Sott  einfad^  burrf)  Uniüer)'um  erfe^en.  |]muet(en 
tuirb  beutücE)  ein  9?aturgott,  ^etioönt),  unb  ein  G^etftgott 
unter jcf)ieben;  im  ©runbe  nur  jtüet  (Seiten  be§  Sinen.  ®te 
mertluürbige  Stnfid^t  '^o'oaiW,  ®ott  muffe  :^ülf§6ebürftig 
fein,  bamit  n)ir  i^n  lieben  fönnten,  tueld^e  ?lnfgabe  eben  im 
(I|riftentf)um  getöft  fei,  beutet  auf  bte  (Srfaffung  (Siotte§  aU 
eine»  SBerbenben  ober  oom  menf(f)It(^en  Glauben  Stb^ängigen, 
Ujte  ja  benn  bie  5ßotIfommen|eit  unb  ©anjtieit  nirgenbS  ift 
al§  in  ber  Qbee  be§  9}Jenf(f)en,  ber  an  fie  gtaubt  unb  fie 
üerlüirftidien  imU.  UnD  bartn  finb  fid^  5ltle  einig,  ha'ß  e§ 
einen  au^ermeltlic^en  unb  au^ermenfd)ti(i)en  ©ott  nid^t  gebe. 
„Unter  9JJenfd^en  mu^  man  ©ott  fliegen",  fagt  9?ouaIi§ 
ebenfo  n^ie  ^atol  Söö^me:  „2öo  tuitlft  bu  ®ott  fuc^en? 
Sn  ber  Siefe  über  ben  (Sternen?  ®a  toirft  bu  it)n  nid^t 
finben.  <Suc^e  i|n  nur  in  beiner  Seele,  bie  ift  au§  ber 
einigen  9Jatiir,  barinnen  bie  göttliche  ©eburt  fte^t;"  aud^ 
bie  9Jit)fti!er  be§  Mittelalters  luaren  tton  ben  eigentlid^en 
2;|eDlDgen  angefeinbet  morben. 

SEie  eine  ^o|e  greunbeSgeftatt  Siegten  bie  9tomantifer 
S^riftu«.  @r  toar  i^nen  tute  ein  üerflärter  33ruber,  ben 
man  fid^  ä^nlic^  unb  bod^  I)od^  über  fid^  füfjlt  unb  bem 
man  gteicE)  werben  toiU.  33ei  ber  33etrad^tung  einiger  (5)e= 
mälbe  äußerte  Caroline  einmal,  fie  fe^e  ben  (Sriöfer  am 
Itebften  aU  ^inb,  ha  ha^  ®e!§eimnt§  ber  Sermifd)ung  beiber 
^fJaturen  in  bem  ©el^eimni^  ber  ^inbtjeit  am  beften  gelöft 
fei;  auc^  einem  ©^riftu§  öon  ßarraccio,  ben  fie  übrigen^ 
fe^r  bettiunberte,  fe|Ie  ber  93rennpunft,  tüo  hie  pc^fte  ^raft 
unb  S)ulbfam!eit  gufammentreffen.  D^ne  jemals  barüber 
nad^gebac^t  ju  §aben,  betrachtet  aud^  fie  ef}riftu§  aU  ©ijmbol 
ber  5(nbrDgt)ne.  Qu  feine  9)JittIerfc^aft  oertiefen  ftc^  Schleier- 
mad^er  unb  9ioöati§  mit  SSorliebe,  beibe  aber  barin  einig, 
bafe  bie  ganje  D'fatur,  58rob  unb  SBein,  Stein,  93Iume  ober 


®ie  neue  ?)ieIic]ion.  I95 

SDJenfrf;,  jum  9J?ttteIgIieb  giinfdjen  9D^enfd§  unb  ©ottfjeit  er= 
]^ot)en  lücrben  fönne.  2)ie§  toar  ber  ^unft,  mo  inonDtf)et=» 
fttfc^e»  (5^rtftent:^um  unb  pant^ei[tifc^e  S^aturreligion  in  ein* 
aitbcr  ükrgingen;  auf  nichts  aber  fa^nbeten  bie  offi^ießen 
S^eologen  mel^r  al§  auf  ©ijuiptonie  beg  ^nut|ei§mu§.  5IB 
öerfappte  ^aut^etfleu  lüurben  benn  aud;  bie  romanttfc^en 
ßfjtiften  bon  t^uen  angefe^eu. 

®urd^au§  etgenttjümtic^  \vax  t§rc  5tnfid^t  öon  ber  Un- 
fterbltc^!ett.  9(n  ein  Ueberleben  be§  2:obe§  glaubten  'äUt, 
©oet^e  etngefc^toffen,  tüie  e§  jene  marmornen  SBorte  über- 
liefert fjaben:  „@inb  benn  aud^  SDinge,  bie  mir  nic^t  an- 
flehen, fo  fomnie  iä)  barüber  gar  leidet  I^innjeg,  tt)eil  e§ 
ein  9trtt!ul  meines  ®Iauben§  ift,  ba^  Wh  hxnd)  ©tanb« 
:^aftig!eit  in  bem  gegenn^ärtigen  ^uftanbe  ganj  allein  ber 
^ö^eren  ©tufe  eine§  folgenben  merti^  Ujerben,  fei  e§  nun 
fiier  jeitlic^  ober  bort  eiüig."  ©cgen  bal  ftarfe  S3e!enntni§ 
be§  ®reife§,  Juie  reijöoH  finb  bie  feelenöolten  melobifd^en 
SBenbungen,  bie,  oiele  ^ai)u  üor^er,  ber  gu  frütjem  Sobe 
beflimmte  Jüngling  D^oöaliS  bemfelben  ©ebanfen  gab:  „®ie 
Statur  ift  S^einbin  enjiger  ^efi|ungen.  .  .  .  SBenn  aber  ber 
S'örper  ein  Gigent^um  ift,  n^oburd^  iä)  mir  bie  9^ec|te  eine§ 
attioen  (Srbbürger§  erloerbe,  fo  fann  id^  burd^  ben  SSerluft 
btefe§  @igent^um§  nid^t  mid^  fetbft  einbüßen,  ^d)  berliere 
nld^t§  aU  bie  ©teile  in  biefer  ^^ürftenfc^ule  unb  trete  in 
eine  |ö^ere  Korporation  ein,  ftiol^in  mir  meine  geliebten 
3JJitfd^üIer  nadifolgen."  @r  liebte  e§,  fic^  in  bem  füllen 
Sab^rint!^  be§  nnterirbifd^en  @otte§  5U  ergeben.  Ob  er  nun 
ben  Xoh  eine  SSeränberung  ber  Gapacität  nannte  ober  eine 
©elbftbefiegung,  bie  föte  jebe  ©elbfiliberminbung  eine  neue, 
leichtere  ß^iftcuj  üerfdiaffe,  baran  föar  fein  B^fifet»  5)a§ 
jebem  9J?enfd^en  ÖJelegenfjeit,  bie  SSoITenbung  gu  gewinnen, 
gegeben   toerbc.     „©oltte   e§  nid^t  auc§  brüben  einen  Sob 

13* 


196  ^if  "^"^  Siefigion.    . 

geben,  beffen  9?eiuÜat  irbifdfie  ©eburt  tuäre?"  Unb  mit 
yctnen  üerträumten  ®eban!en,  bte  er  fo  fc^mtegfam  au§5U= 
brüden  luu^te,  badete  ba§felbe  %kd: 

„^d)  ging  toetter  nac^  einer  alten  großen  Sinbe,  meinem 
Sieblinggpla^  im  SBalbe.  §ier  fe^te  id^  mic^  nieber  unb 
lefinte  mid^  an  ben  Stamm  be§  S3aume§.  2)er  SSinb  l^attc 
92ac^tfd^metterltnge  au§  ben  ^iüetgen  gefd^üttett,  unb  fte 
lagen  betäubt  unb  fd^Iafenb  am  SSoben  unb  jucften  nur  5U- 
tüeilen  mit  ben  e^ü^en.  Sie  frümmen  fic^  nun,  fo  fagte  id§ 
ju  mir  felbft,  unb  Jüäljen  fic^  in  bumpfer  ^Betäubung,  bi§ 
bie  ©onne  untergef)t  unb  ber  SO^onb  ^erauftritt;  fte  fd^tafen 
nid^t  unb  föad^en  nid^t.  ^[t  ha^  nidE)t  ötedeid^t  ein  S3ilb 
unfrei  rätt)fel^aften  Seben§?  Siegen  lüir  nid^t  ebenfo  am 
Söoben  gefeffelt  unb  fämpfen  unb  ringen  mit  un§  felb[t? 
®er  Xoh  ift  üietteid^t  ber  Untergang  ber  @onne,  unb  tuir 
erluad^en  tokhtx  unb  beiuegen  un§  fro^  unb  frei." 

Wart  !onn  tro^I  biefe  3lnfd^auung§n}eife  im  5iCfgemeinen 
oI§  eine  ©eelenmanberungSt^eorie  bejeid^nen,  an  bie  5I^nung 
einer  auffteigenben  ©nttnirfelung  ber  Drgcnilmen  gefnüpft. 
5)ii^t§  öon  ber  büftern  ^ärte  be§  irbifd^en  ®Iauben§  lag 
barin,  ber  bie§  SBanbern  ber  ©eele  rtiie  eine  Straf anftalt 
betradf)tet,  üielme^r,  mie  bie  ^bee  burd^au»  nac^  miffenfd^aft- 
Iid)er  Mar|eit  ftrebte,  Jüar  fie  aud^  ber  5Iu§brucf  ftol^er 
3uöerfid^t  unb  unerfättlid[;er  SebenSluft.  SQ^it  breiftcm  9iea- 
Ii§mu§  nannte  DIoüalig  bie  eigentlid^e  beffere  SBelt  bie 
3u!unft.  3^irgenb§  anber§  aU  ouf  ber  (Srbe  —  ober  benn 
auf  anbern  Ö^eftirnen  —  fuc^te  er  ben  ^immel,  unter  Weix^ 
fd^en,  bie  aller  i|rer  üerborgenen  Gräfte  |)err  geworben 
finb.  Sieffinnig  genug  luäre  alfo  ber  alte  ©emeinpla^, 
baB  bc§  ajJenfc^en  ^immetretdö  fein  SSiae  ift.  ©er  SSunfd^ 
ber  Utopiften  unb  ^Reoolutionäre,  ha^  ffitid)  ®otte§  ju  ber- 
föirtlid^en,  bon  ttjeld^em  griebrid^  ©c^fegel  ben  Einfang  ber 


5)ic  neue  Sicligion.  197 

Diobernen  ©efc^td^te  battrt,  tuäre  htmnaä)  nicE)t  an  fid^  ein 
SJJt^üerftänbnt^,  fonbern  nur  üerfrü^t  unb  überftürjt,  unb 
ta^  ®ebet,  t)a^  wix  an  ®ott  richten:  ju  un§  fomme  betn 
9tei(i),  bejöge  fic^  nur  auf  Harmonien  be§  5)ieä[eit#,  foiuot)! 
in  ber  ©eelenmonarc^te  jebeS  (äinjelnen  wit  in  ber  Siebet» 
republif  ber  gan§en  S)Jenfc^^ett. 

93ieine  93et)auptung,  ha^  bie  9tomanttfer  bte  Slnfid^t  üon 
ber  S)auer  be§  SnbtüibuumS  nidjt  nur  al§  eine  bämmerige 
|)offiiung  jc^iuelgerifc^  genätjrt  l^ätten,  ift  nun  aUerbingS 
nid^t  leidet  ju  üertbetbtgen,  wenn  man  nidjt  fd^on  hk  S^' 
»erficht,  ha^  grofee  9!Jit)[tertum  tnerbe  fid^  empirifd)  f äffen 
laffen,  in'»  ©eiüid^t  luiH  fallen  laffen.  Um  intereffanteften 
ift  58auber'ö  X^toxk  üon  ber  Unterfcfieibung  jmtfc^en  9}iateric 
unb  Statur,  qI§  einem  öergängttc|en  unb  unüergängltd^en 
Stoffe,  wdd)t  öaaber  auc^  hn  ^atoh  S3ö^me  ftreng  burc^= 
geführt  fanb,  unb  auf  loelc^er  ^aulu§  feine  Se^re  oon  ber 
Sluferfteljung  be§  gleifc^e§  gegrünbet  ^at.  S"  i>fni  berühmten 
Srief  an  bie  ©ortut^er  bejietieu  fic^  baraufbie  foIgenben@ä|e: 

„mä)i  ift  atteS  gleifc^  einerlei  greife^." 

„Unb  e§  finb  l^tmmlifc^e  Sl'örper  unb  irbifd^e  Körper. 
SIber  eine  anbre  |)errlic^fett  ^aben  bie  ^immlifc^en  unb 
eine  anbre  bie  irbifcfien." 

„(S§  tüixh  gefäet  oeriüeSlii^  unb  loirb  auferftef)en  un= 
öerineSltc^.  (£§  roirb  gefäet  in  Unehre  unb  loirb  auferftel^en 
in  |)errlid^feit.  (£§  loirb  gefäet  in  ©c^ioac^^eit  unb  ttjirb 
auferfte^en  in  ^raft.  (£^  loirb  gefäet  ein  natürlii^er  Seib 
unb  n^irb  auferfte£)en  ein  geiftlic^er  2tih.  fQat  man  einen 
natürlichen  Seib,  fo   i]at  man    aud^  einen  geiftlict)en  Seib." 

„5tu(^  loirb  t)a§  SSerroeSlic^e  nxd)t  erben  ba§  Unöer= 
n)e§Iic^e." 

„Sie^e  id)  fage  euc^  ein  ®e|eimni^:  2Bir  loerben  nid^t 
Me  entfcf)Iafen,  mir  luerben  aber  5{lle  Oerioanbelt  loerben." 


198  Sie  neue  9ieIigion. 

„®enn  ta§>  SSeriuesIic^e  mu^  anfielen  ha^  Unoenues- 
Itd^e,  unb  bo§  ©terblic^e  mu^  anjici^en  bte  Unfterbltc^fett." 

Sin  ein  Seben  au^ertjatb  be§  SVör^er§  lütrb  ^ier  burd^= 
au§  nic^t  gebadet,  nur  ha'Q  ba§  2)afein  eineg  anbern  gletjd^eS, 
au§er  bem  bertpeSlidien,  oorauSgefe^t  luirb:  ber  Stflratleib 
ber  mobernen  ©pirttiflen.  S3on  biefem  ©tanb^unfte  au§ 
burfte  Saaber  ben  SSorinurf,  bte  ^^ilojopiite  be§  ß^riften- 
tljumy  jet  f|3trttualt[tt[(^,  gurücfiüeifen;  er  nannte  fie  in  ber 
®ar[tellung  be§  ^aulu§  unb  ^aioh  33öf)me  einen  3^eoI* 
9fieati§niu§  unb  erinnerte  baran,  ba§  burc^  bie  Seigre  öon 
ber  5lufer[tel}iing  be&  gletfd^eg  ha^  ® Triften tl^um ,  nie|r  aU 
bie  |)eiben  jemaB  üermod)t  Rotten,  ben  Seib  ^eiltg  gefprod^en 
^aht.  ^enn  ha  bie  Sluferfte^ung  eigentlid^  eine  S^eriüanb- 
ümg  ift,  Ieu(i)tet  e§  ein,  ha'^  bie  93efd^ äffen £)eit  be§  „unoer= 
toeSlid^en"  Sei6e§  bon  ber  be§  natürlichen  nic^t  unabhängig 
fein  fann.  S)ie  ^erbeifüfjrung  biefer  SSeränberung  aber 
n3irb  lüenigften§  bon  S^iobali^  in  ben  SJJenfd^en  felbft  gefegt, 
nänilid^  in  bie  ©roberung  feine§  2BiKen§,  ber  noc^  in  ben 
Letten  be§  UnbeiDu^tfein§  liegt;  je^t  ift  biefer  2BiIIe  no(^ 
ber  SJiagier,  ber  bem  betüu^ten  Qc^  Seben  über  Sterben 
oftrotjirt,  Ijat  aber  ha§  ^c^  feine  boßfonimene  SBiUfür^ 
^ängt  e§  bon  i^m  ab,  feinen  SStHen  ju  füren,  fo  ift  für' 
fein  ©terbenibollen  in  i^m  me^r  9^aum,  wenn  e§  leben  UJiH. 

S^ic^t  naturIo§,  nur  naturfrei  luollten  bie  romantifd^en 
Sbealiften  fein.  S)a^  ©oettje'io  2:^eilna|me  für  ©i^Ieier- 
mac^er'g  erfte  Sieben  über  bie  9ietigion  \x6)  in  eine  gefunbe 
frö^tictie  ^Ibneigung  bermanbelte,  ie  dirifllid^er  fie  tburben, 
(ag  äum  S^eil  tt)o£)t  baran,  baB  bie  Segriffe  S^riftent|um 
unb  Slbtöbtung  be§  9^atürlidjen  i^m  nun  einmat  unjer- 
trenuürf;  berbunben  toaren,  bann  aber  bor  allen  fingen,  ta^ 
©c^leiermacf)er  felbft  feine  Statur  luar.  ©eine  ©prad^e  trar 
r^etorifti),  peintid^  |3tatonifirenb,  ganj  unromantifc^;  er  fonnte 


S)ie  neue  aicliijioii.  199 

nid^t  „au§  bem  ^nnerften  fi^rcd^en".  @r  nju^te  felbft  genau, 
baB  t^m  ®efüJ)I  für  9iatur  unb  ^unft  gänätic^  mangelte, 
aber  obluo^I  er  ben  3u]^ii»uienl}ang  btefer  (Srfc^etnungen 
mit  ber  9ieItgion  al}nte,  glaubte  er  boc^  o^ne  [ie  it)r  SSefen 
erfd^öpfen  ju  fönnen.  Stud)  erje|teu  itjm  ©eijt  unb  §er5 
ba§  ^ei)Unht  fo  gut,  ha'^  bie  9JJe:^r5al)I  ber  SJienfd^en  feine 
öerftänbigen  5tu§einanberfe^ungen  üiel  beffer  begriffen  unb 
itjititger  aufnai^meu  aU  romautifd^e  au§  bunflem  ©d^ad^t 
quelleube  Offenbarungen.  ?tber  fie  üerfiegten  balb,  unb  bie 
farbeubürfteuben  klugen  berer  üou  ber  ^ünftler^unft  der« 
mifjten,  ha'^  \id)  in  bem  ffaren  ©emäffer  ber  tiefe  |)immel 
nidjt  fpiegelte.  griebrid^  ©c^Iegel  fagte  öon  ben  Sieben 
graufam  aber  nidjt  un^utreffenb,  S^etigion  fei  nid^t  öiel 
bariu,  übrigen^  fei  e§  ein  gebilbetc§  unb  freies  S3ud;,  ein 
IIaffif(^er  (Sffat). 

?luf  oielen,  öielen  ©eiten  tjatte  ©i^teiermacEier  feine 
5tnfi(i)ten  über  Steligion  ou§  einanber  gefegt,  in  benen  er 
öon  ben  9tomanti!eru  ntc^t  abftiic^,  unb  bod^  fauben  ftc 
weniger  Sieügion  barin,  aU  oft  in  Wenigen  flüchtigen  SBor» 
ten  öon  9^oüaIi§  ober  in  SBacfenrober'S  einjigem  2Serf(ein, 
ba§,  aud)  tüo  e§  nidit  öon  ®ott  unb  göttlichen  fingen 
l^anbelt,  ganj  burc^brungen  öon  Steligion  unb  burd^feett  ift. 
3)a^  in  einem  irbifc^en  Slunftwerf  meljr  ^Religion  liegen 
fonnte  aU  in  einer  finnreic^en  Ijer^Iic^en  Stb^anblung  über 
9ieIigion,  belöeift,  ha'^  ber  CuetI  biefer  ^Religion  bem  ber 
Sunft  na£)eliegt,  im  UnbenniBten  uämlic^,  im  Drient,  too^er 
ja  aui)  aöe  9teIigionen  §u  un§  gekommen  finb.  2öenigften§ 
alle  bie,  bie  ein  tran§cenbentale»  ober  c^rifllid^e§  ßlement 
t)aben  unb  welche  man  and)  bie  Sieligionen  be§  Unbewußten 
nennen  fönnte.  (Sine  gewiffe  SDuufel^eit,  hie  infolge  beffen 
bem  romnntifd^en  9ieIigion§begriff  anhaftete,  gab  ii)n  ber 
öerftiegenen  ©d^iuärmerei    öenuorrener  ^öpfe    prei§,   welche 


200  ^ie  Hielte  9ieIigion. 

fic^  jd^Ieunig  btefe§  5lu§brucf§  Bemächtigten,  um  Slnbre 
glauben  §u  machen,  ta'^  fie  in  ti^ren  leerften  51ugenblicfen 
ettt)a§  Unfäglic^e§  empfänben.  2;iecf  l)at  ta^  fcfimantroeife 
im  &eipxäd)  glüifc^en  5Iutor  unb  S3eU)unberer  bargefteUt: 

SSeiuuiiberer:    Wilan  muf^  nur  jebcn  ^Bovial  juv  ^Religion  madjen, 
©0  !ann  man  über  bie  ganje  SSelt  Iad)eu, 
llnb  ha§  2acf)en  miife  lüieber  9?eligion  aieiben, 
Saju  bie  9catur,  bie  inir  tiabm  auf  (ivben, 
Unb  bie§  mit  gi3ttlic^cr  Siebe  uerbunben, 
(Einige  33Iumen  nod)  bineingemunbeu, 
Unb  9(IIe§  in  ^oefie  iieiidjmot^en, 
9}Zad)t  einen  fdjon  jiemlid)  ^u  einem  ©tolsen. 
5(utor:    Tlmi  roert^er  ipeir,  id)  iierfte^e  8ie  nic^t. 

SBenjunberer:   §aben  ©ie  ba^  3>erfteben  nie  bi§  3ur  üieligion  getrieben? 
^äj  bäd)te  bann  bod),  ba§  fei  ba§!  ma^re  581umen=2ieben. 
Sie  92atur  ift  immer  natür(id), 
©0  bin  id)  aud]  gleid)jam  figürlid)  .... 
3d)  mad)e  mir  51  [(eö  ^ur  9ieIigion 
Unb  fifie  bann  auf  einem  gepolfterten  Stiron. 
5tutor  (nadjbem  ber  Söeiuunberer  feine  ®ebid)te  üorgelefen  f)at): 
Qd)  bitte  ©ie,  id)  finte  um, 
S)cir  mirb  im  itopfe  gar  ju  bunim. 

SBeti'unberer:    ©ie  treiben  iuol)I  ^[)v  Quiyöxtn  bi§  ^ur  9Migion? 

Sod)  jeht  muf5  ic^  ge()'n,  benn  wenn  ic^  bleibe, 
^6)  ba§i  5lbfd}iebne^men  bi§  jur  ^Religion  treibe. 

Wlan  fönnte  bie»  bie  92ac^tfeite  ber  ^Religion  nennen. 
(S§  fei  ber  c^riftlic^en  ^Religion  eigentfiümlic^,  jagte  DJoöaüS, 
ha^  fie  ben  reinen  guten  Söitten  be§  SJJenfc^en  in  5Infprucl^ 
ne|me  unb  fic§  eigentfic^  in  Oppofition  jur  SBiffenfc^aft 
befinbe;  fie  ge^e  üom  gemeinen  Spanne  au§,  fei  ber  ^eim 
oHeg  5)emo!ratiömu§  unb  ha^  Sic^t,  tia^  in  ber  S)unfeti^eit 
ju  glänjen  anfange.  Slber  mit  biefer  i^'ölfte,  t)on  ber 
&oti^t^  „©efü^I  ift  m^^"  gilt,  t)ätte  fic^  boc|  fein  echter 
3tomantifer  begnügt.  Stu(^  SJoöali?  i^atte  ben  leb^afteften 
©inn   für   hk    griec^ifc^e  ^unftreligion    unb   ging  ernftlid) 


S)te  neue  9ieIiciion.  201 

mit  fic^  SU  9iat^e,   ob  feine  (Srfinbung  einer  neuen  9ktur= 

m^tlöctogie  fö^ig  fei. 

SBenn  man  a(te  Gfemente  überblidt,  bte  im  ®^ao§ 
ber  neuen  Üteligion  auf»  unb  obifut^eten:  SJJonot^eiS"» 
mu§,  ^ant^ei§mu§,  G^riftenti)um,  §ftbent|um,  bie  9J?t)tJ)o<' 
logien  aller  SSöIfer  unb  i^eiten,  mu§  man  jugeben,  ta^ 
e§  einer  Stiefenfauft  beburfte,  um  alle  biefe  ftreitenben 
©toffe  in  ein  S3tlb  üoH  Söai^r^eit  unb  ©c^öul^eit  jufammen« 
jufc^melsen. 

2)ie  alten  3fieItgion§ftifter  unb  3lpofteI  loaren  2J?enfd^en, 
in  benen  ba5  Unbeiüu^te  udcI^  roeit  mächtiger  inirfte,  aU 
wir  e§  unl  öorfteUen  fonnen.  SSeil  fie  nic^t  Jou^ten,  lucl^er 
i§re  Ueberjeugungen  i^nen  5uftrömten,  glaubten  fie  innigft 
an  bie  ©öttlic^feit  i^re§  Urfprung§  unb  ftanben  i^nen  auber§ 
gegenüber  aU  ber  belou^te  3J?enfd^,  bem  feine  magifc^e  S3e» 
fräftigung  oou  einem  fc^einbaren  5lu§en  ju  ipülfe  fommt. 
2)e§|alb  fann  man  siüeifeln,  ob  e§  überhaupt  im  83ereic^ 
ber  SJJögtic^feit  liegt,  ha^  moberue  a}?enfc^en  einen  ©tauben 
öer!ünbigen,  ber  für  Stiele  üerbinblic^  fein  fott.  3^  wni= 
fangreid^er  ibr  SSeiou^tfein  ift,  um  fo  e^er  fann  man  fragen, 
lüoran  fie  nic^t  glauben,  al§  luoran  fie  glauben.  ^a§  lie^e 
fic§  ettra  feftftellen,  ha'^  bie  Sfiomantifer  an  eine  S)reieinig== 
feit  glaubten,  bie  Sria§  in  ber  SJJona^,  ]^ei§e  fie  nun 
UJatur,  ©eift  unb  ©eele  ober  SSater,  ©ol^n  unb  :^ei(iger 
©eift  ober  in  ^atoh  Sö^me'l  SBorten:  „5)ie  Dual  ber 
ginfterni^  ift  ta^  erfte  ^rinci)3ium  unb  bie  ^raft  be§ 
2id)t§  ift  ba§  anbre  ^rinci|)ium  unb  bie  2tu§geburt  au§ 
ber  ginfterniB  burc^  be§  Sic^teg  ^raft  ift  bag  britte  ^rin» 
cipium." 

^ber  me  trenig  fiatte  ein  fold^ey  ©laubenSbefenntniB 
bie  t^ütle  be§  religiöfen  güfjlen^  erfcf)öpft!  Snstüifdjen,  bi§ 
griebricf)    @(f)(egel    fein   Sibelbudj    DoHeubet   |nben    loürbe, 


202  ®te  neue  Dieligion. 

crgo^    e§    \id)    öon    9iot3aIi§'    Sippen    in    bit^t)rambifd^en 
Offenbarungen,    h)ie    hk    ^eibnifc^-d;riftlic^e    Slbenbiiia^lS* 

^^mne: 

SSenige  miffen 

S;a§  ©etieimnif?  ber  Siebe, 

S-üf)Ien  llnev}ättUd)feit 

llnb  eiutgen  3)urft. 

S)e§  Slbenbma^IeS 

®ött[icf)e  S3ebeutung 

3)'t  ben  ivbifd)en  ©innen  Siäl^fel; 

5l&er  luer  jemals 

SSon  I)eif5en,  geliebten  Sippen 

§(t§em  be§  Seben§  fog, 

Sßem  fieiüge  ®lut^ 

^n  äittevnben  SSellen  ba§  ^erj  jdjmolä, 

2Bem  bay  ?hige  aufging, 

S)afe  er  be§  §immel§ 

llnergrünblidje  Sicfe  ntaf?, 

SBirb  effen  Don  feinem  Seibe 

llnb  trinten  Don  feinem  93Iute 

(Sraiglid). 

SSer  ^at  be§  irbifd)en  SeibeS 

§oben  6inn  enatt)en? 

3Ber  tann  fagen, 

®af5  er  ba§  33Iut  üevftet)t? 

einft  ift  5lIIe§  Seib, 

Sin  Seib, 

^n  f)immUfd)em  58Iute 

(Sdimimmt  ba§  feiige  '^aax. 

D  ha\]  ha§:  SBeltmeer 

©d)on  errütt)ete, 

llnb  in  bufttgeS  g-Ieifc^ 

Stufquölle  ber  g-elS! 

9cie  enbet  ha?^  füfie  Wahl, 

9Jie  fättigt  bie  Siebe  fid); 

9cid)t  innig,  nid)t  eigen  genug 

Siami  fie  b^ben  ben  (beliebten. 

58Dn  immer  jarteren  Sippen 


S)ie  neue  3?eIigioii.  203 

58erir)anbelt  wirb  haS^  ©enoffene 
Smni][id)ei  imb  nä^er. 
^eillere  ©oUuft 
S)uvd)&e£)t  bie  ©ce(c, 
Surftiger  unb  f)ungriger 
3Sirb  ba§>  ^tvy. 

llitb  fo  inöfiret  ber  Siebe  ©enuJ3 
9Son  Smigfeit  ju  (Smigfeit. 


Sett)unbert  nur  bie  feingctcönijten  ©Öfen 
Xlnb  lQ6t  aU  SKelfter,  güdrer,  grcuni)  uuä 
(Soetße'n  .... 

Uns  fanbte  (Soet^e,  btc^,  ber  ®ötter  ©üte, 
Söefreunbet  mit  ber  SBelt  burcft  jotcften  SBoten, 
©öttlict)  Don  5Wamen,  SBÜct,  (Seftalt,  ©emüt^e. 
SB.  ©c^Iegel. 

5Piir))urg[ü6nbe  SDIovflenröttje 
Sünbet  urä  bcn  SEnp,  luo  ®oet6e 
(ätiift  baS  2td)t  ber  aSelt  crblicft. 
5E8o  ber  gonäe  Gljor  ber  Wiifcit 
«Kit  bem  DJettar  tEirer  Sufeii 
3)a§  §erocnlinb  erquictt. 

gu  ®oetf)e'ä  ©eburtStag  1826. 
SB.  ©erleget. 

3)ic  9tomantifer  fingen  bamtt  an,  ©d^iHer  5U  üthm. 
©ogar  Söil^elm  ©c^Iegel  |atte  nic^t  nur  ben  S)on  ©arloä 
angeprtefen,  fonbern  tuar  fclbft  in  bte  ©c^ttter'fd^e  2trt  5U 
bii^ten  üerfallen,  womit  e§  i^m  freilid^  nic^t  glücfen  fonnte. 
S)enn  ba  ber  ibeate  ©türm  nic^t  in  i^m  brauste,  blieb  nur 
ha§  langat^mige  jc^öne  ^ehtn  unb  ein  9^id^t§  al§  flingenbe§ 
^at^o§.  Söa^rereS  SSerftänbni^  ^atte  j^rtebric^  für  ©exilier, 
tnbem  er  i^n  öor§ügIic^  Jüegen  feine§  moralifcfien  2;riebe§ 
unb  feiner  Seibenfc^aft  jum  ©luigen  öere^rte;  ja,  er  ^ielt 
bann  fogar  ftanb^nft  an  i^m  feft,  al§  ©dritter  in  ber  ab= 
fprei^cnben  'äxt,  bie  er  laben  tonnte,  luo  er  etlua^  feiner 
3fiatur  grembartigeS  ober  geinbfelige§  luitterte,  Körner  gegen- 
über ben  jungen  griebrid^  ©erleget  alg  falten  SKi^ting  d^arafte» 
rifirt  |atte.    SSoHenbete  ©c^n)ärmerei  loar  "Da^  ®efü|I,  mit 


<Bä)i(kv  itnb  ®Detf)c.  205 

bem  Ü^üöaltS  nn  ©d^tller  f)tng,  tnäljrenb  er  in  ^ena  feine 
SSorlefungen  bejud^te;  aber  a\iä)  fie  bejog  fid;  öor  'Sltlem  auf 
bie  eble  ^erfönlid^fett  be§  S)t(^ter§. 

Man  fann  fid^  aud)  leidit  ©rünbe  benfen,  au§  tüeld^en 
t)erau§  bie  3tomantifer  ©dritter  ju  i^rem  ^^ü^rer  Ratten  er» 
toä^Ien  fönnen,  luie  er  firf;  ja  felbft  aU  fenttmentattfd)en, 
ba§  Iiei^t  mobernen  ©id^ter  bejeic^net,  unb  feine  eriiabene 
UnüoHcnbung,  fein  JRiefenftrebcn  i^n  in  ber  %'i)at  üom 
^laffifd^en  ttteit  entfernte  unb  ber  3?omantif  ^ätte  öerluanbl 
unb  fgmpattjifc^  machen  fönnen.  SDiefer  Quq  Wax  ober  bei 
©dritter  au§  ber  ©ä^rung  ber  ^iigenb  entf^rungen;  feine 
fpäteren  2öer!e  finb  in  fid^  abgerunbet  unb  ermangeln  ber 
unmittelbaren  gütte,  bie  au§  ber  3:iefe  be§  ®emüt^e§  quiHt. 
2)arum  bettagte  S'iecE  e§  immer,  ba^  ©dritter  ben  2öeg,  ben 
er  in  ber  Swge"^  etngefd£)Iagen,  tierlaffen  ^abe,  unb  liefe 
eigentlid^  nur  bie  Ütäuber  oI§  grofee  Xid^tung  gelten,  bie 
aber  aud^  a(§  eine  ber  größten,  aU  nicf)t  genug  ju  be= 
tDunbern.  ^n  feinem  bon  ©d^tUer'§  fpäteren  2)ramen  finbet 
fid^  eine  ©teile,  bie  jener  5U  üergtetdien  Wärt,  too  ^art  an 
ber  S)onau  träumerifdEi  öerfunten  feiner  ^inbl^eit  gebenft  unb 
il^re  fd^märmenbcn  Hoffnungen  mit  ber  oben,  furd^tbaren 
©egenlnart  öergleicEit.  jDlefe  ©cene  empfinbet  man  fofort 
a\§  tä)t  romantifd^  burc^  ti)r  9Jaturgefü^I  unb  bie  ftar!  tjon 
i!§r  au§ftrömenbe  ©timmung.  ©in  foIc^eS  ^ufaintn^nteben 
üon  9Zatur  unb  9}?enfd^  finbet  ftd|  nirgenb§  mel^r  in  ©d^iller'§ 
fpäteren  SDramen,  aud^  nic^t  im  ^t\i,  fobiel  barin  aud§  bon 
S3ergen  unb  Statten  gefproc^en  n^irb.  S)enn  bie  Statur  lam 
überhaupt  ni(^t  ju  einem  ben)uf5ten  geiftigcn  ßebcn  in  i|m; 
burc^  unb  burd^  männlid^.  Wie  er  roar,  ging  i|m  bie  @m- 
pfänglid^feit  ab,  x^it  ^raft  anjufaugen  unb  in  fid^  auf- 
Sutöfen,  üielme^r  ging  feber  i^rer  Mä^t  hü  i^m  fogleic^  in 
^robuftionStrteb  über,   ber  raftIo§   bilbcnb  unb   geftoltcnb 


206  Sdjifler  unb  ©oetfje. 

ben  bürfttgen  ©e^alt,  ber  jic^  niemal§  anfammetn  !onnte, 
öerbrmic^te. 

Tlan  öergegenirärttge  fid^  ta§  befannte  ®enfmal,  tuo 
©dritter  neben  ®oetf)e  fielet:  tüie  männlid^  feine  ^o^e,  tnod^ige 
©eftalt  mit  bem  fd§tan!en  |)alfe  unb  bem  elaftifi^en  ©(^lüunge 
nad^  oben  fic§  gegen  bie  Ujeic^ItdEiere  be§  greunbe§  bar[tellt, 
ber  breit,  feft,  trbtfd^,  mit  feinem  geiüaüigen  Raupte  bafte^t 
unb  ben  ftiUen  S3Ii(f  grabeaug  in  ha^  unenblidje  Seben  rid^tet. 
®iefe  geftaltenbe  aRännticf)!eit  mad^te  t^n  gum  $öe^errf(^er 
ber  gorm  unb  jum  SJJeifter  be§  SDramaS;  fein  beutfc^er 
2)id^ter  üor  ober  nad^  i^m  öerfügte  über  hk  unbeluu^te 
^unft  unb  ßraft,  feine  Scenen  fo  anjutlürmen,  ha^  eine 
unbegreifli(^e  ©pannung  ben  Sefer  mit  fic§  fortreißt,  ob  er 
bie  ©id^tung  gum  erflen  ober  jum  ^unbertften  '^Mt  lieft; 
benn  fie  ift  öon  ber  ^enntni§  be§  ^n^olts  iinabpngig  unb 
entfpringt  einjig  aii§  bem  ©d^iounge  ber  gorm  unb  ber 
3ugfraft  ber  trun!enen  ©eele  be§  ®i(^ter§,  bie  ben  Sefer 
ergreift. 

Unöergleic^Iic^  oerftanb  e§  ©(^iller,  feinen  ®ramen  einen 
Körper  ju  geben;  aber  bie  .^c^rfeite  ift:  and)  bie  9J?enfct)en, 
bie  er  fd^afft,  finb  nur  Sl'örper,  bie  firf)  betüegen,  ^anbeln 
unb  geftifuliren,  lad^en  unb  n:)einen;  n)ir  fe§en  ii^re  Seelen 
nid^t,  au§  benen  au  bieä  tüirbeinbe  Seben  i^erau^quittt,  ^ören 
bie  ©p^ärenmufif  nid^t,  bie  ben  großen  steigen  be§  2öeItaII§ 
innerlid^  begleitet.  Ö^erabe  baf]  toir  nid^t  aufgeljalten  lüerben 
burc^  lodenbe  Saute  au§  ben  ^bgrünben  be§  inneren,  mad^t 
ben  bramatifc^en  gortfdjrttt  unb  bie  ^inrei^enbe  Spannung 
möglid^. 

5lber  giebt  e§  einen  mobcrnen  SJlenfdfien,  bem  bie§  panto- 
mimifc^c  «Sd^aufpicl  belegter  j^iguren  bef riebigen  fönnte? 
2)enn  ha^  innere  ju  fud^en  bei  jebcr  ^-rfrfieinung,  ha^  ift 
ja   gerabe    i^a^   ©igent^ümtid^fte    bc§    mobernen   9Jienfd^en, 


®c()if(cr  nnb  Q5Detf)c.  207 

beffen  tnimer  geller  tiierbenbe»  ^nnenbeluii^tfein  allc§  Steu^er- 
Itd^e  in  ©eiftigc«  sertegt.  ®te  reine  SO^ännttd^feit  ©c^ider'g, 
feine  beftänbig  imrfenbe  ^robuftioitot  jc§Io§  biefe  Snnen=' 
arbeit  au§.  ^n  Solge  beffen  fonnte  fic^  ein  retd^er  ^been» 
fd^a^  nid^t  in  i^ni  anfammeln ,  ba^er  er  and^  beftänbig 
über  bie  geringe  S<^^  feiner  S^een  flagte,  au§  benen  er 
freilid^  mit  feiner  nnge^euern  ©eftaltnng^fraft  me|r  ju 
mad^en  niu^te,  a(l  manc^  ein  5(nbrer  mit  unenblid^  öielen. 
@r  tüor  tüeber  d^riftlid^  nod^  germanifd^,  n^elc^en  beiben 
(X^arafteren  ba§  n^eiblicfie  S5ermögen  ber  Gm^fänglid^feit, 
ber  unerfätttirfie  S)urft,  bie  5(ii§enft)elt  in  fid^  einsnf äugen, 
ju  einem  3;^eil  be§  Innenleben»  ju  machen,  eigent^ümlid^ 
ift.  @o  tüenig  bal^er  ber  fentimentalifc^e  ©dritter  an  bie 
naioe  Slunft  ber  Eliten  erinnert,  fo  fe^r  ift  er  i^nen  burd^ 
tu  9J?ännü(^teit  be§  ^Temperamente»  äfjntid^,  tüie  i^n  benn 
aud§  griebric^  ©d^Iegel,  of)ne  ben  Unterfcf;ieb  gn  tierfennen, 
einmal  mit  2Iefct)t)tu§  unb  ^inbar  öergteid^t.  @o  ift  aud^ 
fein  beutfd^er  ®id^ter  ben  romanifd^en  ^Bölfern  üon  dorn« 
Jierein  fo  oerftänblid^  lute  (Sd^iffer  mit  feinem  $at^o§  unb 
feinem  Uebermiegen  ber  O^orm  auf  Soften  be§  ®e^alte§. 
SBo^ingegen  ©oetl^e,  obtuo^f  ftaffifd^er  aU  ©dritter  burd^ 
feine  Harmonie,  jeneg  loeibtid^e,  d^rtftIid^»germonifd^e  (Stement 
befa§,  ba§  ii)n  jum  ^beal  be§  mobernen  SDid^terö,  jum 
^aupt  ber  romantifc^en  ©cfiule  mad)te.  Tlan  mu§  bebenfen, 
baB  bie  S^aibetät  unb  |)armonie  (^oet^e'l  nur  i^rer  ^X' 
fd^einung  nac^  mit  ber  Stntife  ju  öergleicfien  ift,  in  il^rem 
SSefen  tüai  fie  bie  toiebergetuünnene,  bie  jUjeite,  in  ber 
jnjei  anfängtii^  luiberftrebenbe  ^ätften  ju  einem  befriebigten 
QJnnjen  öerfd^moljen  finb. 

?iu§  ben  föogenben  pfijd^otogifrfjen  3lnfd^auungen  ber 
3?omantifer  !^ob  \i6)  immer  beutlid^er  hav  ^bealbilb  ber 
5{nbrogt)ne,  be§  Q^anjmenfcfien,  ben  ^atoh  So^me  bie  ^hta 


208  ScI)i[Iei  unb  ®oetI)e. 

ober  (Sophie  nannte;  ©op^ie  nämltd^,  5U  beutjd^  2öei§^ett, 
trelt  bte§  2Bort  öou  „tüetfen"  lomme  unb  ber  9Zame  an= 
beute,  bafe  fie  ben  9JJenj(f)en  nadEi  bem  3iele  lücifc,  ba§  er 
ju  erreid^en  §at)e.  Unermüblid^  eiferte  griebrid^  ©d^Iegel 
gegen  bie  SSerl^errlic^ung  ber  reinen  9JJännIi(^feit  unb  2Beib- 
lid^feit:  „9iur  fanfte  SJJännlid^teit,  nur  felbftänbige  SSeiblid^- 
feit  ift  bie  redete,  toa^re  unb  fi^öne."  Ober:  „Tlan  mu§ 
ben  6^ara!ter  be§  @ejd^Iec^te§  feine§n)eg§  nod^  mel^r  über= 
treiben,  fonbern  öielme^r  burc^  ftarfe  ©egengeunc^te  ^u  milbern 
jucken."  Unb  ferner:  „^n  ber  %^at  finb  bie  äJfännlid^feit 
unb  bie  2öeit)Ii(i!eit,  \o  n^ie  fte  geh)ö§nlid^  genommen  unb 
getrieben  luerben,  bie  gefä^rli(^ften  ^inberniffe  ber  SJJenjd^- 
lid^feit,  n:)eld^e  nad^  einer  alten  @age  in  ber  SJJittc  ein^eimifd^ 
ift  unb  bod^  nur  ein  ^armonifd^e§  ©anje  fein  fann,  h)eld^e§ 
feine  Slbfonberung  leibet." 

(Sinen  Söorgänger  in  biefen  Stnfc^auungen  fanb  ^^i^iebrid^ 
in  ^lato,  burd^  beffen  ©tubium  er  föo^I  barin  beftärft  ftjurbe. 
^n  feiner  ^b^anbtung  über  SDiotima  fiitirt  er  an,  ba^  ^lato 
unb  bie  ©toifer  bie  S3eftimmung  be§  männlid^en  unb  hjeib-' 
lid^en  @efd^(ed^te§  in  ber  Unterorbnung  unter  hk  tiö^ere 
9}Jenfd^Iid^feit  gefe^en  Ratten,  tuorüber  ber  ©toifer  ^(eant^e§ 
ein  eigenes  SSerf  gefdf)rieben  'i^abe.  ^n  ©parta  fei  ber  ru^m* 
toürbige  SSerfud^  gemad^t  rtorben,  bie  SEeibtid^feit  lüie  bie 
9D^ännIid^!eit  jur  p^eren  SDJenfd^Iic^feit  ju  üereinigen;  tiield^eS 
Sbeal  in  ber  ^unft  ber  attifd^en  Xragöbie  li)ir!Ii(^  erreid^t  fei. 
„Sa§  ift  i^ä^Iid^er",  fagt  3^riebrid£i,  „aU  übertabene  SBeib- 
lid^feit;  iüa§  ift  fo  efeUjaft  at§  übertriebene  SJJännlid^fett,  bie 
in  unfern  ©itten,  unfern  3D'Jeinungen,  ja  oud^  in  unfrer 
befferen  Äunft  :^errfdE)en."  Uebertrieben  unb  pB^ic^  nennt 
er  ba§  ^errfrf)füd^tigc  Ungeftüm  be§  9}?anne§  foloie  bie 
felbftlofe  ^ingegebenpit  be§  2Beibe§. 

2)ie  £ef)re  bon  ber  ^tnbrogljue  hjurbe  fpäter  öon  bem 


Sc^iKev  unb  ÖJoelf)e.  209 

^flilofop^en  Saaber,  ber  and)  |ter  öon  Qafob  Sößme  au§» 
ging,  luiffenfrfiaftltc^  begrünbet,  unb  [)a^  Söort  3J?annluetb, 
ba§  in  un[rer  Qnt  fo  gefunfen  t[t  unb  einen  fi^Iet^ten  ß'Iang 
angenommen  §at,  bejeid^net  banac^  hk  fdEiönfte  unb  üod- 
fpmmen[te  gorm,    in   ber  ber  9J?enjd^   fid^   bar[te(Ien   fann. 

SJian  f)at  immer  angenommen,  ®oetJ)e  fei  [innli(^er  ge= 
tuefen  aU  <Bd)iütx,  n)ä()renb  e»  fid)  geiüi^  e|er  nmgefel^rt 
üert)iett;  ia,  man  barf  behaupten,  ©oet^e  fei  e§  0er[}äIlnife» 
mä^ig  menig,  ©c^tHer  ungeiiiöl)nüc^  otel  gemefen.  ®enn 
nur  berjenige,  ber  feine  ©innlic^teit  niemal»  ftörenb  em- 
pfinbet,  bei  bem  fie  im  ©leic^geiüic^t  mit  feinem  Reifte  ift, 
tuirb  fie  fo  naio,  fo  fc^ön  äußern,  inie  ©oet^e  t^ot.  SBer 
fie  öerfd^Ieiert,  befämpft  ober  mit  jenem  St)ni§mu§  ber  Offen» 
]§eit  jeigt,  ber  beloeift,  ha%  eine  ©elbftnergeinaltigung  norau" 
geöen  mufete,  tjerrät^,  luelc^e  3totIe  fie  bei  i|m  fpielt.  ®ie 
gemäßigte  ©innlic^feit  üerliei)  ©oet^e  ha^  Dh)mpi\d)t, 
beffentinegen  befonber»  bie  fpätere,  etiimg  (jijfterif^e  roman= 
tifc^e  ^ugenb  i^n  in  fo  leibenfd^aftlic^er  'Ißeife  anbetete 
ober  ^a§te. 

S3ei  atler  SSere^rung,  bie  man  für  ©editier  ^ben  fann 
unb  foll,  ift  nic^t  gu  laiignen,  ha^  er  an  übertriebener 
9JJänn(icf)feit  litt,  mag  auc^  neben  9tnberm  fic^  baburc^  be- 
Uieifen  tie^e,  ha^  er  in  ber  Siebe  al§  ©rgän^ung  hie  über- 
kbene  SBeibli^feit  fuc^te.  Gegenüber  einem  anbrogijuen 
2:t)pu§,  Jüie  Caroline  mar,  füljlte  er  fid^  e|er  unbe^agtid^. 
SBie  i)ätten  bie  SJJänner  unb  namentlich  bie  grauen,  bie  er 
fc^uf,  ben  3fiomanti!ern  genügen  fönnen?  5tuc^  I^at  nid^t 
lei^t  etma§  i^ren  ®|}ott  fo  l^erauSgeforbert,  mie  @c^iller'§ 
©ebic^t  öon  ber  'iü^ürbe  ber  grauen,  bei  beffen  53efprec^ung 
griebri(^  ®(f)(egel  fagte:  „9JJänner,  mie  biefe,  müßten  an 
^önben  unb  gü^en  gebunben  merben;  fotd^en  grauen  jicmte 
©ängelbanb  unb  gadtjut"  unb  ha^  Wilhelm  föfüid^  |jarobirte: 

^lucf),  SJomnntitcc.  14 


210  ©d}iller  unb  ©octfje. 

(Sl)ret  bie  fyrauen,  fte  ftricfen  bie  ©trumpfe, 
SSoütg  unb  warm  ju  burd)iiiaten  bie  ©ümpfe, 
g-Iicfen  .^erriffcne  ^antaIon§  au§. 
5locf)eu  bem  ^Jtaiine  bie  fräitigeu  ©uppen, 
$u0en  ben  ßinbern  bie  ineblid)en  puppen, 
|)alten  mit  mäßigem  ?Socl)engelb  §ait§. 
®Dd)  ber  9}(ann,  ber  tölpelhafte, 
ginb't  am  ^o^te"  "id)t  ©cfdjmacf, 
3um  gegofirneu  föerftenfafte 
iRaitd)t  er  immerfort  SaBac!  u.  j.  in. 

SBie  anber§  ®üetJ)e!  beffen  gauft,  SBert^er,  3«eifler, 
(Sgmont  fo  ftar!  mit  tüeibltd^en  ©lementen  öermifd^te  (S!^a= 
raftere  finb;  ber  ein  ^lärdEien,  eine  ©orotl^ea  gejc^affen  ^at, 
in  benen  fü^efter  rteiblic^er  Siebrei§  \id)  mit  männlicher 
ßraft  5U  einem  fo  ^errlid^en  ©anjen  tiereinigt,  ©er  felbft 
mit  unermeßlicher  ©mpfängüc^feit  jeben  Slnreij  be§  Seben§ 
in  fic^  auffog,  fammelte  unb  bilbete,  fo  bafe  man  feine  tjerüor- 
bringenbe  ^raft  nur  ri(f)tig  fd^ä^t,  h^enn  man  fte  an  ber 
Stoffe  mißt,  bie  fie  geftattete,  nid£)t  föenn  man  fte  mit 
(S(i)iIIer'§  üergleitf)t,  ber  fo  ungleid^  »weniger  ©toff  ju  be^- 
wältigen  l^atte.  §ier  war  ein  tioHenbeter  aJJenfd^,  ber  bie 
Strmut^  be§   einfeitigen  Ö^efcf)Iec{)te§  in   fic^  felber  ergänzte. 

®aß  e§  3um  Sruc^  gtnifd^en  ©ctjiUer  unb  ben  9Joman- 
tifern  !am,  ift  in  Slnbetrac^t  einer  folc^en  Jßerfc^iebenJieit 
ber  Staturen  nid^t  5U  oerföunbern.  ©egen  bie  58rüber  ©c£)legel 
^tte  er  ha§,  gonje  9Jlißtrauen  be§  naitieren  ©übbeutfc^en 
gegen  ben  fc^arfben!enben,  ungutmüt^igen,  Überlegenben  S^orb- 
beutfd^en.  (Sr  ftieß  fie  tion  fid^,  lueil  er  fid)  ii^rer  fonft  nid^t 
gu  ertüe^ren  gen)ußt  ^ätte;  benn  er  empfanb,  obttjo:^!  er  e§ 
fic^  nic^t  jugeftelien  n)otIte,  i^re  tnteaeftuelle  Ueberlegen|eit. 
@erabe  lüeil  er  bie  S3ef(^rän!t^eit  feiner  9Jatur  fü{)Ite,  l^ielt 
er  e§  für  nötf)ig,  fid^  nic^t  beirren  ju  laffen,  um  bie  ©id^er- 
|eit  nid^t  gu  üerlieren,  unb  n^oHte  er  fit^  nnmentlid^  nid^t 


(Bdjiikx  unb  &oüi)t.  211 

öon  jungen  Seuten  barau  erinnern  laffen,  bte  er  an  eigent* 
It(^em  Sl'önnen,  an  SOZännüc^feit  mett  überragte. 

2BiIf)efm  unb  Caroline  liefen  e§  jic^  angelegen  fein,  aB 
fie  nac^  ^ena  famen,  mit  bem  ÜJfäd^ttgen,  beffen  S3ebeutung 
fie  anerfannten,  lucnn  [ie  i^n  axiä)  \nd)t  )o  mit  ^aut  unb 
|)aaren  liebten  unb  beiuunberten  tüte  ®Detf)e,  in  ein  gute§ 
Jöerliältnife  ju  treten,  ©eine  eble  unb  rü^renbe  ©rfc^einung 
ent^üctte  bie  immer  gum  Sieb^aben  geneigte  Caroline.  Sötte, 
bie  mit  bcr  ^"9^"^  oUQtcid^  itire  ^Retje  mei^r  unb  met)r  ein- 
büßte unb  jiüijc^en  |au§bacfener  Diüc^tern^eit  unb  bager 
(Sentimentalität  f^luanfte,  mußte  man  mit  in  ben  ^auf 
nehmen  unb  bemül^te  fid^,  ta§'  S3efte  an  i£)r  f)erau§äufinben. 
^e  mc^r  aber  bie  an  Slnbetung  gren^enbe  SSere^rung  Q^ott^t^ 
guna^m,  befto  nä^er  lag  bie  5Ser[udjung,  i^n  in  öffentlicJien 
S3e[pred^ungen  burc^  $8ergleid)ung  mit  feinem  greunb  unb 
9?ebenbu|fer  §u  lieben,  oben  bie  33erjc]^teben|eit  ber  beiben 
'J)i(^ter  locfte  ^u  bele^renben  ^Betrachtungen,  luobei  eine  -"perab^ 
fe^ung  (S(f)iller'§  tjom  ©tanbpunfte  ber  Stomantif  unau§* 
bleiblic^  umr.  §ätte  ein  Stejenfent  einen  jo  großen  (Senium 
n)ie  (Schiller  ganj  mit  ©tiHfd^iueigen  übergeben  fönnen? 
9JJan  muß  e§  2öilt)etm  unb  (^riebricfi  jugefte^en,  baß  fie  fid^ 
50?ü:^e  gaben,  bcn  3(u§brucf  i^rer  5Diißbit[igung  ©dritter 
gegenüber  gu  mäßigen;  griebrid^  allerbing§  öerrietl^,  öieHeid^t 
grabe  ipeil  er  in  früherer  Qtit  ©d^iüer  eine  fo  große  SSer- 
e!§rung  gelüibmet  !^ntte,  jutüeilen  einen  finblid^en  ©tolj,  baß 
er  e§  nun  fo  meit  gebracfjt  'i)aht  im  ^unftüerftänbniß,  bem 
Serül^mten  feine  SJiängel  aufjagten  gu  fijnnen. 

©ine  tabeinbe  Stejenfion  brachte  ben  in  fid^  ruhigeren 
©oet^e  ni^t  au§  feinem  (SIeid^gen)id§t;  bielTeid^t  baß  er  fic^ 
einen  Stugenblicf  geärgert  J)ätte;  ober  baß  er  fie  mit  l^iftorifc^^ 
^ft)c^otogifc^em  ^ntereffe  ober  mit  ^umor  gelefen  ^ätte,  je 
nac^bem    ber    Snl)alt    bebeutenb    ober   nic^t    geluefen    n^ärc. 

14* 


212  Sdjtüev  unb  G>3oetl}e. 

@c|i(Ier  ^atte  fo  oiel  ©leic^mutl),  fo  niel  Sic^er^eit  unb 
Saune  nt(f)t.  ^n  feiner  fd^mer5li(f)en  Sntiüftung  tüu^te  er 
fic^  feinen  anbern  9tat^,  a(§  ben  faülierjigen  Gabler  unb 
5tffe§,  n)a§  mit  i^m  5ufammeu|ing,  tüeit  üon  fid^  ju  entfernen, 
bomit  er  fein  jerHeinernbe»,  tteblofeg  5luge  nie  mel^r  auf 
ftd^  rul^en  füllte.  (So  tüar  eine  ^anblung  ber  dlot^wtiiv, 
ta  er  fid^  auf  feine  anbre  SBeife  üor  bem  f^tembling,  ber 
i^m  öorrücEte,  iüa§  er  hod)  nid^t  änbern  fonnte,  fein  eigenfte§ 
SSefen,  5U  fd^ü^en  tüu^te. 

Ungro^müt^ig  unb  ungered^tfertigt  mar  e§,  ta'^  ©dritter 
Sßill^etm'S  unb  ^aroline'l  freunblirfie  Sitte,  nic^t  fie  für 
griebridE)'§  Unge|örigfeit  öerantiiiortlic^  5U  mad^en,  mit  fc^nei= 
benber  ©d^ärfe  abiuieS.  ©eine  SIbneigung  gegen  Staroüne, 
üon  ber  er  \id)  einrebete,  fie  fei  eine  fd^riftftellernbe  ^ntri» 
gantin,  lüar  im  ®runbe  ber  inftinftiüe  UnlüiUen  be§  9JJanne§ 
gegen  eine  f^rau,  bie  burc§  fiarmonifd^e  ^^ütle  ber  SJatur 
nic^t  nur  feinem  ^errfdf)erred^t  entrüdt  luar,  fonbern  in  ge- 
miffer  |)infid^t  fogar,  nämlid)  infofern  fie  ein  ©anjeS  mar, 
njenn  aud^  fein  fo  bebeutenbe»  luie  feine  großartige  ^alb^- 
|eit,  ein  @efü^t  öon  Ueberlegen^eit  i§m  gegenüber  l^aben 
modelte. 

$8on  nun  an  l^errfd^te  erflärte  geinbfd^aft  äiüif^en  ©dritter 
unb  bem  ©c^IegeFfdEien  Greife.  5)ie  Üiomantifer  bemühten 
fid^  nid^t  me^r  fonberlid^,  ba§  ÖJroße  in  feinen  2Ber!en  an- 
guerfennen,  fonbern  gaben  fid^  mit  Sjergnügen  i§rer  Suft 
äum  ©paßmad^en  J)in,  tüo  fein  50iangel  an  ^^^onie  i^ren 
SBi|  ^erau§forberte.  S)aß  fie  über  fein  Sieb  öon  ber  ß^lode 
fo  ^erjlid^  Iad)cn  fonnten,  mag  manrf)em  Sßeref)rer  ©cf)iE[er'§ 
eine  $RucE)Iofigfeit  bünfen;  aber  abgcfe^en  baoon,  boß  fie  e§ 
uidEit  tuie  mir  mit  einem  berffärten  S;obten  ju  ttjun  l^atten, 
erttärt  e§  fidf)  au§  eben  biefem  9)?angel  an  ^i^ouie,  biefer 
me|r  bürgerlid^en  al§  fünftlerifd^en  (ärnfttjaftigfeit,  unb  bem 


(2d)if(cv  imb  öoettje.  213 

©runbl'a^  ber  Stcmantifer,  jioar  fein  unmoraUjc^e»  Slunft- 
werf,  aber  auc^  ntd^t  jebel  moratijc^e  fd^ön  gu  finben.  2Ba§ 
für  §ene§  ©eläd^ter  mag  er[t  ber  fleine  S8er§  Jieroorgerufen 
()aben,  ben  2Bi(£)eItn  oerferttgte: 

?Benn  ^^'"fi"^  idiiualU  bie  itrcii^  unb  Cuer, 

SBq'-o  ilini  in  3inix  tomnit  ungefähr, 

Sogt  mau  in  g'^'^nheid)  uiotjl  jum  Spotte: 

II   bavarde  ii  propos  de  bottes. 

S3ei  un§  nnrb  mot)!  ba§  £|ind)niort  fein: 

■J^em  fätlt  bei  ö3locfen  33iele§  ein. 

2)ergletcl^en  Scherge  luurben  aber  nur  am  ^än^lxd)m 
^erbe  taut;  line  benn  überhaupt  ber  tabeltofe  SBit^elm  nte^ 
mala  bie  ©lenje  be»  5Inftanbe§  über[c^ritt  unb  ftet^  aU  ber 
reife  unb  geredete  Tlann  erjd^ien,  ben  lueber  periönltd)e  S5er« 
^ältniffe  nod^  Stblüeirfiungen  in  äft^etif^er  Stuffaffung  lier=' 
:^inberten,  gro^e»  SSerbienft  anjuerfennen. 

@§  n)ar  für  hk  (^reunbfdiaft  ©c^iHer'l  unb  ©oetlje'g 
eine  'ißrüfung,  ha^  eine  ^ReiEje  begabter  junger  SJJenfcEien  ben 
(Sinen  oon  i^nen  auf  Soften  be§  5(nbern  in'§  ©renjenlofc 
erhoben;  lueld^e  Prüfung  fie  rii|mlic^  beftanben,  freiließ  nic^t 
ganj  o^ne  Dpfer.  '5)enn  e§  tnar  feine  ^(einigfett,  immer 
feiner  @mpftnblic|feit  ^err  ju  bleiben  unb  feinen  5Zeib  in 
üdi)  auffommen  ju  laffen,  mäf)renb  e§  für  ©oetl^e  nic^t  gan§ 
Ieic|t  tuar,  fic^  burc^  ben  fußen  Qieruc^  be§  3Bei§rauc^§,  ber 
i!^m  geflrcut  mürbe,  ntc^t  gan§  in  ben  ^rei§  feiner  jünger 
l^ineinjiefien  gu  laffen. 

@r  ^ätte  ein  Unmenfc^  fein  muffen,  tüenn  ba§  SSerftänb- 
ni§,  ba§  §ier  für  feine  SBerfe  aufging,  i§n  nic|t  ^ätte  er^ 
freuen  follen.  ^alb  ift  e§  rü[)renb,  ^alb  peintid^  ju  fe^en, 
löie  er  feinen  Umgang  mit  ben  3tomantifern  unb  feine  9J?ei« 
nung  über  i()re  SSerbienfte  öor  ©cfiifler  geheim  ju  f)a(teu 
fucf)te,  o()ne  boc^  unt^xlid)  gegen  i|n  ju  fein,    ^uc^  ©c^ider 


214  6cl)il(ev  unb  ®oetC)e. 

j^atte  eine  richtige,  grojsartige  2lnf cfiauung  öon  feinem  g^reunbe; 
aber  in  ber  nerööfen,  reiäbaren  geinfüljligfeit,  hie  ein  grenjens 
lofeS  Sßer[tänbniB  alle§  9J?enfif)tid§en,  and)  in  feinen  5arteflen 
Slen^erungen  ermögltd^t,  luaren  bie  Sfiomantifer  t^m  foiuo^I 
n^ie  (SJoet^e  überlegen.  S)a§  gab  itinen  ein  (Sefül^I  be§  5ln=^ 
rechts,  ba§  fie  auf  i^n  Ratten.  (Sr  gehörte  i^ncn,  er  füllte 
i^r  ©Ott  unb  fie  tüollten  fein  au§ertüäf)(te»  SSoIt  fein,  ©eine 
Sliitorität  galt  fo  unbcbingt  unter  it)nen,  ha'^  jeber  Streit 
beenbet  toar,  luenn  eine  Partei  fi^  auf  einen  2tu»fpruc^ 
®oett}e'§  berufen  !onnte;  rva§>  ben  lebhaften  Steffen»  einmal 
fo  empörte,  ha'^  er  in  SSerjlüeiftung  aufrief:  „SSIeibt  mir 
mit  bem  üerbammten  ®oet^e  üom  Seibe!"  aber  gleid^  barauf 
berma^en  über  biefe  Säfterung  erfc^ra!,  ha^  hie  Stnioefenben 
noc|  mel^r  über  bieg  nad^träglid^e  ©rfc^recfen  at§  über  bie 
übrljerige  ^eftigfeit  IacE)ten.  ©erabe  in  ©teffen§'  Seben  tiatte 
©oet^e,  namentlid^  hie  SSefanntfc^oft  mit  Sauft,  ben  er  aU 
eben  confirmirter  ^nabe  guerft  Ia§,  (Spoctie  gemacht.  (£r 
fe^te  bie  S^nenfer  baburc^  in  ®rftannen,  ba|  er  ganje 
(Scenen  au^  gauft  auSluenbig  beüamiren  fonnte.  9^ur  fc§on 
ber  Stnblic!  ®Dett)e'§  ^atte  jebeS  SDial  ettt)a§  Seib  unb  Seele 
@rfd^ütternbe§  für  i§n. 

2tngeregt  burd^  bie  öerftänbui^üolle  Semunberung  ber 
munteren  iugenblic^en  ©eifter  tl)at  ©oet^e  gutgelaunt  ben  mit 
Qubel  aufgenommenen  5lu§fprud),  nun  fie  i|n  fo  öffentlich) 
unb  gerabeju  al§  ^aupt  einer  Partei  auSgefc^rieen  Rotten, 
tüoHe  er  fi(^  aud^  auf  ^onette  Söeife  a(§  ein  foIc^e§  geigen. 
^erfönli(^  am  meiften  ^in^ejogen  füllte  er  fid),  hi^  er 
Sd^elling  fennen  lernte,  ju  Söil^elm  nnb  Caroline,  aU  su 
üaren  unb  in  fid^  einigen  SJJenfdien,  bie  er  immer  ben  5lüie= 
fpöltigen  unb  tteriuorrenen,  loenn  fie  auc^  noc^  fo  bebeutenb 
n^aren,  öor5og.  @r  acJitete  Bilbelm'g  fingen,  georbneten 
^opf  unb  lie^  fi(f)  gern  Oon  i^m  über  9tl)l)tt)mif  unb  3Jletxit 


©djiüer:  unb  ®oetf)e.  215 

belehren.  Slaroline  tuar  burc^au§  eine  i^m  öerujanbte  ^JJatur: 
einfad^,  rul^ig,  liebenb,  nid^t  rtngenb  unb  ntc^t  grüblerifc^, 
nad^  fetner  ©ette  |tn  ej:trooagant  unb  ei-centrtfd^.  ®te  blieb 
i^m  aud)  hiv  an'§  (Snbe  i^re§  2eben§  treu,  lüä^renb  bte 
9(nbern  faft  alle  ftc^  fpäter  me^r  ober  njentger  entf(^teben 
öün  iijm  abfe^rten. 

2)a§  58itb,  lüte  lütr  e§  ie|t  bon  Öioet^e  in  unferm  ©eifte 
fiaben,  i[t  in  feinen  ©runbsügen  öon  ben  Stomantifern  ent= 
n)orfen.  SBer  luei^,  mie  e§  au§fet}en  lüürbe,  menn  fie  e§ 
nid^t  aufgefangen  unb  feftge^alten  Ratten!  Ülodj  ^tte 
©oet^e  im  ^ublifum  nur  einen  flüd^ttgen  ©efü^tSraufd^ 
crtoerft  burc|  feine  ©rftlinge.  2Ba§  für  Urt^etle  felbft  ®e= 
bilbete  fic^  über  ®oet:^e  ju  fällen  getrauten,  belüei[t  fener 
ajiajor,  öon  bem  ber  junge  grei^err  u.  ^lomberg  erjä^It, 
ber  fagte,  (Sgmont  fei  ha^  erbärmlidjfte  ©tücf,  ha^  er  je 
getefen,  fd^redltcf)  langweilig  unb  Ijabe  feinen  ©c^Iufe;  e» 
fei  jn^ar  oon  einem  großen  Ü)(anne,  allein  bie  großen  Ferren 
fönnten  aud^  grofie  ^ubel  fd^ie^en;  bie  äRajorin  meinte 
auc^,  man  fönne  üor  Sangemeite  bahn  fterben,  unb  im 
(Sinjelnen,  bie  gemeine  ^erfon  —  ^lärdien  —  fprec^e  gar 
ju  l^eroifd^.  Sefen  wir  je^t  2Bit^eIm'§  (gffat)  über  ^ermann 
unb  2)orDt^ea  ober  ben  öon  griebrid^  über  SBil^elm  Wti'\kx, 
fo  fd^eint  un§  ber  barin  angenommene  ©tanbpunft  ber  einzig 
rid^tige  unb  felbftöerftänblirfie;  tuir  lefen  bie  Urt|eile,  W 
mx  fertig  geprägt  überfommen  Ijaben,  tik  aber  bamal§ 
juerft  mit  folc^er  ßlar^eit  unb  (Sntf(^ieben§eit  auggefprocfien 
luurben  unb  fid^  hk  allgemeine  ©eltung  erft  erfämpfen 
mußten,  griebric^  ©cfileget,  ber  33egripbilbner  ber  roman» 
tifd^en  ©d^ule,  fiat  in  einer  feiner  ^ugenbfd^riften,  in  bem 
äußerft  reichhaltigen  5luffa^  über  ba§  ©tubium  ber  (^xkd^u 
fctien  ^oefie,  U'o  er  ha^  SBefen  ber  mobernen  ^'nnft  im 
©egenfag  jur  antifen  ergrünbet,  ßioet^e  aU  ben  ©tifter  ber 


216  (Sd)iüer  imb  ©oet^e. 

neuen  ^oefie  Befttmmt.  ®tefe  ©d^rlft  \vax  ju  ttefge|enb, 
um  \emaU  populär  511  loerben.  ®oet^e*§  Stellung  in  ber 
Stteratur  fann  niemaB  genauer  unb  julreffenber  bejetc^net 
ttterben. 

®te  ^oefie  ber  ÖJriec^en,  jagt  grtebrtcf)  ©ditegel,  fte^t 
in  füfern  unerreichbar  iiod)  über  Mem,  \va^  öon  ben  nad^' 
griec^if(^eu  33ölfern  gebii^tet  tDurbe,  aU  fie  in  \\ä)  öolteiibet 
i[t;  i^re  fct)ön[len  ^id;tungen  finb  objeftib  f(^ön  unb  beä^alb 
ein  einigei  S^orbüb.  23a§  auc^  bem  mobernen  Sefer  barin 
fehlen  möge,  fein  SSergleic^  mit  mobernen  SBerfen,  auc^  mit 
ben  über[cf)iüänglic^  rei(^[ten  nid^t,  fann  i^nen  ben  SSor^ug 
objeftioer  @(f)önf)eit  rauben.  S)iefe  ©d^önbeit  i[t  bie  ©d^ön- 
l^eit  ber  83Iume  ober  irgenb  eine§  nolürltd^en  Organi§mu§, 
ber  fic^  mafelIo§  entfalten  mu§  nacf)  inneren  ®eje|en.  SDiefe 
^unft  ift  au§  bem  5:riebe  entsprungen,  wxt  t^nebricE)  ha^ 
unbetüu^te  äöollen  nennt;  haS^  93euiu§tlyerben  ^at  bie 
organiic^e  2;riebfraft  im  SJJenfd^en  gestört.  SSom  SöetüuBt»- 
fein  auSge^enb  fel)lt  ber  mobernen  ^oefie  ba§  3lbgefc§Ioffene, 
SßoEenbete,  @in£)eittirf)e,  mag  im  Drganifd^en  jo  felb[t- 
üerftänblic^  ift:  ber  fonbernbe  SSerftnnb  jertleilt  immer 
lüieber,  tüa§  fic^  jum  Orangen  fd^tie^en  tnitt.  2)iefe§  Un= 
ooltenbete  ift  ber  Sieij  ber  mobernen  ^oefie  —  griebricö 
nennt  e»  ha^  ^ntereffante  —  nur  ein  Unöottenbete^  fann 
\a  ®e|nfud^t  fiaben,  Sefmfud^t  jum  (Sroigen,  bie  un§ 
SRobernen  al^  tia§  SSunberooUfte  an  einem  ^unftioerf  er= 
f(^eint.  2)a§  ^ntereffante  ift  aber,  nad^  griebrid^,  bie  SSor^ 
bereitung  be§  ©(^önen.  ^a,  bie  objeftiüe  ©d^ön^eit  ber 
^^(Iten  mu^  tuieber  erreirf)t  luerben,  aber  fie  loirb  reidjer 
unb  fernerer  an  fiimmlifd^er  ^üHe  fein,  li'eil  fie  burc^  ba# 
Sntereffante  ^inburd^gegangen  ift. 

SBenn  man  aber  hit  Sid^tungen  aller  SSöIfer  unb  Reiten 
burd^gei^t,  fo  fragt  man  fic§  jag^aft,  ob  beim  ba§  Ungeheure 


(Hc[)i((ei  unb  ®oetl)e.  217 

möglich  l'et,  ba^  siuei  ^tnge,  bte  fid^  aug^ufcfiüeBen  fc^etnen, 
üon  benen  ha^  (Sntfte^en  be§  (Stnen  burd^  ha§  2(uf|ören  be§ 
Stnbern  bebtngt  i[t,  üerfc^moläen  luerben.  ®enn  intereffant 
ift  etiua^  ja  eben,  »ueil  e§  ntc^t  f(^ön  ift,  nic^t  feienb,  irett 
e§  lüerbenb  tft!  SBie  foK  ba»  ^ntereffante  fc^ön,  ha^ 
SBerbenbe  reif  fein?  können  njir  ^offen,  baf3  jemals  bte 
unenblic^  ftrömenbe  güde  unfrei  ©eniütlieg  üon  ber  Ijarmo- 
nifcfien  3xunbung  ber  ?tntife  gefaxt  tuerbe? 

9JJit  ber  füf)nen  ^uöerfid)!,  bie  haS'  fc^önfte  SJferfmat 
ber  jungen  3?omantiter  tvax,  bejaht  griebrid^  biefe  g-ragen. 
Unb  bte  Sürgfc^aft  bafür,  ha^  fie  5U  bejai)en  feien,  fie^t 
er  in  ©oeltie.  ®petf)e'§  ^oefie  nennt  er  bie  SJJorgenröt^e 
echter  ^unft  unb  reiner  Sc^ön^eit.  „tiefer  gro^e  ßünftler", 
fagt  er,  „eröffnet  bie  2(u»ftc^t  auf  eine  ganj  neue  @tufe 
ber  äft{)etifc^en  S3ilbung.  ©eine  SSerfe  ftnb  eine  unintber- 
Icglic^e  Beglaubigung,  ba^  'i)a§<  Obieftioe  möglid^  unb  bie 
Hoffnung  be§  <Scf)önen  fein  leerer  2Ba!^n  ber  SSernunft  fei. 
S)a§  Dbjeftiöe  ift  £)ier  H)ir!n(i)  fc^on  erreicht." 

?Iu§  biefer  Stuffaffung  @oeti)e'l  ergiebt  fic^  ber  (Stanb= 
punft  für  feine  @dE)ägung  im  SSergleic^  gu  ©^fefpeare. 
Äein  3ttJfife^  i>of5  in  ber  intereffanten  ober  d^arafterifttfc^en, 
iilfo  in  ber  niobernen  Sunft  ©^afefpeare  über  ©oet^e  fte^t. 
„Xa§  3iel  be§  Xeutfd)en  ift  aber  ha§^  Dbjeftiöe.  ®a^ 
©c^öne  ift  ber  lüa^re  9J?a§ftab,  feine  liebengluürbigc  S)ic§= 
tung  5U  föürbigen."  (Sr  fte^t  in  ber  9J?itte  jiuifc^en  betn 
$5ntereffanten  unb  Sd^önen,  äiuifd^en  bem  5.1tanierirten  unb 
Cbieftiöen.  S)ement)^re(f)enb  rüi^mt  t^riebrtc^  an  SBil^efm 
3J?eifter  t)or  aßen  ^i^ingen  „ben  antifen  ©eift,  ben  man  hd 
näherer  Sefanntfd^aft  unter  ber  mobernen  öüUe  überall 
n)ieber  erfennt.  Siefe  gro^e  Gombination  eröffnet  eine  gan.^ 
neue  enblofe  §iu§fic^t  auf  bo§,  loaä  bie  i^öc^fte  5lufgabe 
oller  Sid^tfunft  gu  fein  fcfieint,  bie  Harmonie  be§  Sllaffifc^en 


218  ©djitter  imb  ®oetf)e. 

unb  3iomantifcl^en."  (Sben[o  fagt  er  üon  Saffo,  ba^  ba§ 
e^ara!teri[tifc§e  an  bie)'em  ©ebtc^t  ber  (Steift  ber  9tefIei-ton 
unb  ber  Harmonie  jei,  „nämlid^  ba^  5ttte§  auf  ein  Sbeal 
öon  l^avmonifd^em  Seben  unb  ^rmonifdjer  Stlbung  bejogen 
unb  fetbft  bte  ®i§!^armonie  in  ^arinonifd^em  Stone  ge= 
Italien  lütrb." 

Tlan  fie^t,  lüie  fe|r  man  \iä)  irrt  in  ber  SJieinung,  bie 
Sftomanttfer  feien  bem  ^'lafftfd^en  abfjolb  geluefen.  3Ber 
üielmel^r  ^at  bie  ©d^öniieit  be§  |)omer  unb  ber  attifc^en 
Stragöbie  flarer  erfanut  unb  ent^ufiaftifd^er  erftärt  aU  fie! 
©erabe  be^lüegen  fteltten  fie  ©oetl^e  über  ade  anbern  ®ic|ter, 
meit  er  Üaffifd^  unb  mobern,  3)cann  unb  Söeib,  unbenjufet 
unb  beiüu^t  äugleid)  rvax.  „5IIIe§  ift  gebadet  unb  gefagt 
tt)Drben  toie  öon  (Sinem,  ber  ä^G^eid^  ein  göttticfier  2)id^ter 
unb  ein  üollenbeter  ^ünftter  tüäre",  fagt  j^riebrid^  oom 
SBil^etm  SJ^etfter.  ©inen  befonberen  9Ja(^brucf  legten  bie 
9lomantifer,  at§  hk  bionljfifd^en  ®id)ter,  aUerbingg  auf  ba§ 
StpoIIinifd^e  in  ®oeti)e,  auf  ben  Sitel  „üollenbeter  Mnftler". 
2lt§  bem  befonnenen  ^ünftler  l^at  9ZooaIi§  i^m  in  feinem 
|)einrid^  ö.  Dfterbingen  ein  SDenfmal  gefegt,  loo  man  in 
bem  Siebter  ^lingSo^r  ha^,  Urbilb  ®oett)e  fogleic^  erfennt. 
SBunberoolI  unb  pc^ft  cfjarafteriftifd^  für  (Soet^e  toie  für 
bie  9iomantiter  finb  bie  Se^ren,  hit  ber  erfahrene,  lüeife 
ajJeifter  bem  ftrebenben  §einrid^  giebt.  5(uf  §einrirf)'§  33e= 
merfung,  ba§  man,  gerabe  ipenn  man  fid^  ber  9^atur  am 
innigften  öertraut  fü|Ie,  am  luenigften  öon  i^r  fagen  fönne 
unb  möge,  antwortet  ^Iing§o:§r:  „SSie  man  ha^^  nimmt, 
ein  Slnbreg  ift  e§  mit  ber  S^iatur  für  unfern  @enuB  unb 
unfer  ®emüt|;  ein  Slnbre»  mit  ber  Statur  für  unfern  SSer- 
ftanb,  für  ba§  leitenbe  SSermögen  unfrer  SSeÜfräfte.  2Jian 
muf3  fic^  lüot)!  pten,  nid^t  @in§  über  ba§  Slnbre  5U  üer= 
geffen:     ®§  giebt  üiele,  bie  nur  bie  eine  Seite  fennen  unb 


Sdjiflcr  imb  ÖJoctfje.  219 

bte  anbre  gering  fc^ä^en.  Slber  beibe  !ann  man  üereinigen 
unb  man  luirb  fid^  mot)!  babei  befinben.  ©c^abe,  ha'ß  fo 
luentge  barauf  benfen,  fid^  in  ifjrem  ^"nern  frei  unb  ge= 
jc^icft  beiuegen  jn  fönnen,  unb  bnrcf)  eine  gehörige  S^rennung 
fic^    ben    5medmä|ig[ten    unb    natürlichsten   ©ebraud^    i^rer 

@emüt^§fräfte  ju  fidfiern Sc^   fann   eud^    nid^t 

genug  anrü^men,  euren  S3er[tanb,  euren  natürlidjen  5:rieb, 
gu  lüiffen,  U'ie  2IUe»  fic^  begiebt  unb  unter  einanber  nad^ 
©efe^en  ber  f^olge  jufammenl^ängt,  mit  gleife  unb  2}Jü^e 
gu  unter[tü|en.  9?i(^t§  ift  bem  ®ic^ter  unentbe^rlicfier,  al§ 
©tnfid^t  in  bie  9tatur  jiebe§  ©efd^äfty,  S3efanntf(^aft  mit  tm 
äJiitteln,  ieben  S^^^'i  ä«  erreichen,  unb  ®egenU)art  be§ 
@ei[te§,  i\a<i)  3eit  unb  Umftänben  bie  fd^irflirfiften  5U  tr)ä|Ieu. 
S3egeifterung  o£)ne  S5er[tanb  ift  unnü^  unb  gefätjrlid^,  unb 
ber  2)id)ter    wirb   luenig    Söunber    t£)un    fönnen,    luenn   er 

felbft  über  SSunber   erftaunt S)er  junge  ®i(^ter 

!ann  nic^t  fü^I,  nic^t  befonnen  genug  fein." 

2t(§  C^einric^  fragt:  „Saun  ein  ©egenftanb  ju  über« 
fd^luengli^  für  bie  ^oefie  fein?"  antjuortet  Sünggo^r: 
„''2tKerbing§.  9^ur  fann  man  im  ©runb  nic^t  fagen  für 
bie  ^oefie,  fonbern  nur  für  uufre  irbifd^en  äJiittel  unb 
SSerf^euge.  SBenn  e§  fc^on  für  einen  einjelnen  SDid^ter  nur 
ein  eigent£)ümlic^e»  ©ebiet  giebt,  innerhalb  beffen  er  bleiben 
mu^,  um  nic^t  alle  |)attung  unb  ben  2ltf)em  gu  oerlieren: 
fo  giebt  e§  auc^  für  hk  gange  Summe  menfd)Iic^er  Slräfte 
eine  beftimmte  ©renje  ber  ©arfteHbarfeit,  über  meiere 
^inaug  bie  2)arfteIIung  hit  nöttiige  ©ic^tigfeit  unb  ©eftattung 
nid^t  beiiaüen  fann  unb  in  ein  Ieere§  täufd^eube§  Unbing 
fic^  öerliert.  Sefonbevi?  aU  Sel)rting  fann  man  nidjt  genug 
fic^  üor  biefen  2lu§fc^meifungen  ^üten,  ta  eine  lebhafte 
^^antafie  nur  gar  ju  gern  nad)  ben  ©renjen  fic^  begiebt 
unb  übermüt^ig  haS^  Unfinnltc^e,  Uebermä^ige  §u  ergreifen 


220  SdiilTev  imb  ©oet^e. 

nnb  au§5iii"prec!^en  fud^t.  Steifere  Grfa^rung  le^tt  erft,  jene 
UnDer^ättnifemä^tgfeit  ber  ©egenftänbe  5U  üermeiben  iinb 
bie  2(uf|pürung  be§  ©tnfad^ften  iinb  ^öc^ften  ber  2Bett= 
tüeil^ett  5U  überlaffen.  2)er  ältere  'Siebter  fteigt  nic|t  ^ö^er, 
aU  er  e»  gerabe  nöt^tg  £)at,  um  feinen  mannigfaltigen 
SSorratl^  in  eine  Ieic6tfa§Iid^e  Drbnnng  5U  ftelten,  unb  f)ütet 
fic^  iüo^t,  bie  9}iannigfaltigfeit  ju  öerlaffen,  bie  i^m  (Stoff 
genug  unb  auä)  bie  nötftigen  SSergIeic^ung§|3unfte  barbietet. 
^ä)  möd^te  faft  fagen,  ba§  ß^aol  mu|3  in  jeber  ©icfitung 
burd^  ben  regelmäßigen  j^Ior  ber  Drbnung  fc^immern.  Sie 
befte  ^oefie  liegt  uu;?  ganje  na^e,  unb  ein  geiüö^ntid^er 
©egenftanb  ift  nid^t  feiten  i^r  üebfter  Stoff." 

2ßie  erftauntic^  gut  ^at  9Zot)oti§  ^ier  ©oet^e'g  8inn 
getroffen,  ber  im  Sllter  feinen  ©runbfa^  ber  Söefc^ränfung, 
unb  baß  ber  Xic^ter  überfd^roenglid^e  ©egenftänbe  üermeiben 
folle,  fo  rteit  trieb,  baß  er  jungen  ^oefiebeftiffeuen,  bie  fic^ 
um  9tat^  bittenb  an  t£)n  manbten,  empfal)!,  ben  .^opfenbau 
unb  i)ü^  SBeber^anbtüer!  5U  befingen;  Uiobet  freilid^  ein 
luenig  Simonie  unter  gelaufen  fein  mag.  $ßon  biefem  felben 
fünfte  gel^t  nun  aber  auc^  hk  51ufle|nung  ber  Stomantifer 
gegen  ©oet^e  au§.  ^n  bem  angefülirten  ©efpräc^  gtüifc^en 
^einrid^  0.  Ofterbingen  unb  ^Iing§of)r  läßt  5yiDöaIi§  fftnen 
^einrid^  fagen:  „(Sben  tu  biefer  greube,  ta§,  uia§  außer 
ber  SBelt  ift,  in  i^r  5U  offenbaren,  "Oa^  tljun  ju  fönnen, 
n)a§  eigentticfi  ber  urfprünglid^e  3;rieb  unfre§  jS)afein§  ift, 
liegt  ber  Urfprung  ber  ^oefie."  2Benn  nun  alle  ^oefie 
nichts  anbre§  ift  al§  ber  ©rang,  fid^  §u  äußern,  biefer 
Xrang,  ber  ha^  ®ing  anfi^  treibt,  (SrfcJieinuug  ju  lüerben, 
ober  ©Ott  treibt,  in  ber  9iatur  firf)  bar5uftetlen,  bie  ben 
9J?eufd^en  treibt,  fic^  üon  feinem  3)HtteIpunft  aul  eine  Sßelt 
5U  fc^nffen,  eine,  in  ber  er  fetbft  ®ott  ift,  giebt  e^  bann 
tttva^,  ba§  5U  geiualtig  tüäre,    um   ficft  ber  SDJitt^eilung  ju 


(Sd)i[(er  iinb  ÖJoet()e.  221 

entjie^en?  2öa§  i[t  nidjt  in  einem  ^d)  enthalten  ober  tual 
fann  ft)enig[ten§  nidjt  bar  in  enthalten  fein!  9(ud^  l^atte 
Slingöo^r  gejagt,  nidjt  in  ber  ^oefie  fet6[t  liege  ber  ®runb, 
ta^  nid^t  atte  ©egenftänbe  burd^  bie  ^oefie  barfteübar  feien, 
fonbern  in  ben  irbifd)el\  '^Jcitteln  nnb  ä'Berfjeugen.  Ste^nlid^ 
toie  S?ant  gefagt  ^atte,  e§  gebe  luo^I  ein  2)ing  an  fid^, 
aber  unfer  irbifdjen  Grfennen  fönne  nic^t  ju  it)m  bringen. 
®egen  33eibe§  erhoben  fid^  bie  Stoniantifer,  inbem  fie  nic^t 
in  einem  unbeftimmten  JRaufc^e  öon  53egeifternng,  fonbern 
befonnen  unb  offenen  Sluge»  fagten:  unfer  Selou^tfein  um= 
fa^t  nid^t  bie  SBelt,  burc^bringt  nic^t  bie  SBelt,  aber  e§ 
mirb  fie  nmfaffen  unb  ein§  mit  i^r  irerben.  S)ie  ^oefie 
fann  ba§  Unenblic^e  nic^t  barfteffen,  aber  fie  foll  e§  lernen, 
fie  foH  ba^u  ermac^fen.  Xarnm  nannte  ^nebric^  ©d^tegel 
bie  romantifc^e  ^^oefie  eine  Unioerfa(poefie.  ©oet^e  Ijatte 
er  feines  grierf)tfd^en  £ünftlert§um§  ungeachtet  feine§iüeg§ 
baoon  au§gefd)(offen.  ©eine  S'unft,  fagte  er,  fei  burd)au§ 
^rogreffiö:  fie  ent[)alte  ben  ßeim  eine§  euiigen  gortfd^reitenS. 
S)amit  njar  aber  fc^on  au§gefprod)en,  ta^  fie  überi)oIt 
njerben  fönne,  ba^  fie  noc^  nid)t  hie  ooUenbete  S'rone  ber 
^oefie  fei.  @g  loar  nur  folgerichtig,  ha^  bie  JRomantifer 
3tt)ar  ©oet^c  aU  S3orbi(b  auffteKten  unb  al§  Bürgen,  ta'!^ 
eine  SSerfc^meljung  oon  cfiarafteriftifc^er  unb  ftaffifc^er 
^oefie  mögli^  fei,  jugteid^  aber  betonten,  föte  SSieIe§  bem 
fünftigen  Siebter  nocf)  ju  erreichen  bleibe.  Tlan  braud^t 
fid^  nur  üoräufteHen,  ha'^  bal  ©d^önfte  öon  2([lem,  rva^ 
©oet^e  auf  öerfc^iebenen  SebenSftufen  bic^tete,  in  einem 
2Berfe  bereinigt  fei,  etma  hk  unermcfelidje  güHe  gauft'S  mit 
ber  eblen  JRunbung  öon  ^ermann  unb  S)orDt^ea,  um  ein 
$8i(b  5U  geininnen,  roie  (Soet^e  nod)  übertroffen  luerben  fönnte. 
S3efonber§  all  Öoetfie,  ba  ber  pc^fte  ©ipfel  immer  nur 
ein  ^unft  ift,    anfing,  fic^  bem  ^laififc^en   auf  Soften  be§ 


222  Scfiitlcr  unb  ©oet^^e. 

SJJobernen  jujunetgen,  |iclten  fie  mit  iljter  unbebtngten  93e= 
lüunberung  inne;  lüa§  fie  um  [o  e^er  t|un  fonnten,  oI§  be§ 
9J?eifter§  (S^rö^e,  jum  ^^eil  burc^  i|r  eigene^  i8emü£)en, 
unerfcfiüttertid^  in  ber  ©efd^irfite  feftgefteKt  luorben  tüar. 
©ie  öermi^ten  all5u  fef)r  ba§  2)iont)[ifc^e ,  bie  unabjePare 
Unenblic^feit,  lüorin  feine§  gnuft  unöerglei(f)lid)er  ^au'^er 
liegt,  ©eine  Harmonie  l^atte  er,  tl^rer  3Dteinung  nadE),  §u 
treuer  erfauft. 

©c^on  in  einer  feiner  frü^eften  Slb^anbtungen  fagt 
griebrid^  ©d^Iegel:  „©oet^e  fc^iuelgt  öiel  511  fei^r  im  ®enuffe 
feines  tioUenbet  fc^önen  ©elbft,  aU  ha^^  er  bie  fc^reienbe 
§ärte  unb  empörenbe  9Jacft^eit  be§  §u  aufiic^tigen  ©^a!e= 
fpeare  ertragen  fönnte.  2öie  ©oet^e  ben  2Bertf]er  fc^rieb, 
ha  erfe^te  jener  SJJanget  bie  ^ugenb,  i^re  toetjmüt^igen 
2lf)nungen,  il^re  weiSfagenben  3:;^ränen.  S^ad^tier  Ite§  ifin 
ha^  ®ef(^icf,  ju  nac^fic^tig  mit  feinem  ©eniug,  allein."  ®a 
ift  fc^on  ber  ^eim  aller  ber  Etagen  über  ©oet^e'S  un= 
empfinblic^e  ^ölte,  mit  benen  ein  fpätere§  ©efc^Iec^t  bie 
einfeitigen  unb  ma§(ofen  (Soet^e-35eref)rer  ongriff.  2Bie 
unenbltd^  öiel  neue  Jone  nod^  angefd^Iagen  toerben  fonnten, 
tt)ie  öiete  bie  JRomantifer  felbft  fd^on  angefcötagen  ^aben, 
hjer  möchte  ftd)  auc^  baöor  öerfc^Iie^en.  9JotiaIi§,  ber 
®oet^e'§  93irb  in  ming§D^r  =  (5ieftatt  mit  fo  öiel  Siebe  ge- 
geid^net  !§atte,  hjanbte  fic^  mit  ben)u§ter  ©ntfc^iebenbeit  öon 
t^m  ab.  (£r  baifite  baran,  eine  S^ejenfion  über  SBit^elm 
SJieifter  gu  f ^reiben,  bie  ein  ©egenftüc!  ju  ber  griebrid^'S 
lüerben  füllte.  ®ie§  S3ud^,  ha^  er  faft  auimenbig  tüu^te, 
au§  bem  er  immer  nod^  lernte,  loar  t^m  bennod^  öerl^a^t 
getöorben.  @r  fanb  e§  burd^au§  antt'|joetifd^.  9Jttt  ©loff 
unb  Säppd^en  fei  ber  ©arten  ber  ^oefie  barin  nad^gemad^t. 
2ln  %kd  fd^rieb  er  öon  ber  ^unft,  mit  ber  im  SWeifter  bie 
^oefie  burd^  \xd)  fetber  öernid^tet  töirb,   „unb  mä^renb  fie 


gcfiirtcr  intb  ©oetfje.  223 

im  .^tntergrunbe  [^eitert,  bte  Defonomte  fidler  auf  feftem 
©riinb  unb  Soben  mit  i^ren  greunben  fic^  gütftd^  t£)ut  unb 
ac^iel',ucfenb  nad)  bem  SJ^eere  fie{)t."  S)er  9(u§[prud^  öon 
Dcoüaliä:  „®oetf)e  iinrb  unb  mu^  übertroffen  toerben  — 
aber  nur  irie  bie  Otiten  übertroffen  luerben  tonnen  —  an 
®e|alt  unb  Straft,  an  9J2onnigfaItigfett  unb  2:ieff{nn",  liegt 
eigentitcf)  fd^on  eingefd^Ioffen  in  jenem  früEieren:  „©oetl^e 
ift  je^t  ber  lüa^re  @tattfialter  be§  |3oetifcl^en  ®etfte§  auf 
©rben";  benn  ber  ©tatttialter  be§  (55etfte§  ift  bod^  nid^t  ber 
®eift  felbft,  fo  trenig  luie  ber  ^apft  ®ott  ift,  ber  eben  ha' 
burd^,  ba^  er  ftc^  götttid)e  fRec^le  anmaßte,  bte  9JJenf(^f)eit 
trieb,  ju  proteftiren. 

2)a§felbe,  luag  bie  3tomanttfer  an  ®oet!§e  üermi^ten, 
machte,  baß  er  feinerfeiti  if)re  Söerfe  unterfd^ä^te.  Tlan 
tüti^,  lote  oerftänbni^Io§  er  einem  ®eniu§  tük  ^leift  gegeu^ 
über  ftanb.  5luc^  biefe,  benen  er  |3erfönlid^  tooijhvDÜk, 
l^ielt  er  im  ©anjen,  folüeit  fie  al§  ®i(^ter  auftraten,  öor= 
fic^tig  t3on  fic^  entfernt;  jum  %^eil  rvaxm  bie  gelinben 
Urt^eile,  bie  er  jurüdfialtenb  fädte,  üer^ütlte  SSerurt^eilungen. 
3»t)eifeIIol  ^atte  ©oet^e  red^t,  lüenn  er  bie  Sichtungen  biefer 
fRomnntiter  aU  fotd^e  öerlrarf.  ®ol  5Sort  ^oet  fommt 
öon  bem  gried^ifd^en  -oizXv  =  mad^en,  e§  ift  alfo  billig, 
n^enn  mon  ben  Site!  ^oet  benjenigen  öerfagt,  hit  fict)  ouf 
nid^t»  fc^fec^ter  üerfte^en  aU  eben  auf  ba§  9Jtad^en.  ®aüon 
ift  aber  hit  bic^terifd^e  (ämpfinbung,  ber  ®eift,  ber  nur  nic^t 
jur  (Seftaltung  fommt,  gu  unterf (Reiben.  Unb  n;o  e§  fid^ 
barum  ^anbelte,  öer^iett  fid^  ©oet^e  gern  empfangenb  unb 
aner!ennenb.  ßolberon  unb  anbre  füblid^e  ®id^ter,  bie 
orientalifc^cn  lernte  er  burd^  bie  ^Romantifer  fennen.  S)ie 
jungen  ^^elb^erren  führten  i^ren  ^önig  burd^  alle  bie  Sänber, 
tk  fie  für  i|n  erobert  Ratten.  Unb  mie  ipufete  fein  uni» 
öerfafer  ©eift  fold^e  2(nregungen  5U  oertüert^en!  ®er  roman-= 


224  (£cf)t[Ier  unb  ©oet^e. 

tifc^en  ^tjilofopljie  öoHenbS  luar  er  nic^t  nur  geneigt,  fonbern 
er  betüittfommnete  fie  an§>  erfreutem  ^erjen.  „©ettbem  id^ 
mid^  oon  ber  hergebrachten  5trt  ber  DJaturforfc^ung  loS» 
gertffen",  fd^rieb  ®oet()e  im  2^^^^  1800  an  ©d^elling,  „unb 
mt  eine  9Jionabe,  in  micf)  jelbft  5urüdgetotefen,  in  ber 
geiftigen  9tegion  ber  SSiffenjc^aft  uml)eijc^>Debeu  mu§te,  ^abe 
id)  feiten  Ijier*  ober  bort^in  einen  Quq  üerfpürt:  §u  ^^rer 
Se^rc  ift  er  entfc^ieben.  ^<i)  luünfd^e  eine  öötlige  85er- 
einigung."  Unb  beinal^  rü§renb  ftingt  e§,  tvtnn  biefer 
gro^e  ©id^ter  unb  2)en!er  oon  bem  jungen  ©c^elling  fagte: 
„3d^  lann  i^m  nii^t  ganj  folgen,  aber  e§  ift  mir  f(ar,  er 
ift  beftimmt,  eine  neue  geiftige  ©pod^e  in  ber  ©efc^ic^te  ein= 
guleiten."  (Sine  äl}nlic^  befdfietben  anerfenncnbe  5(eu^erung 
macfite  @oet|e  über  ben  großen  9)hjftiter  granj  SSaaber, 
über  ben  er  an  ©c^ider  f(^rieb,  ba^  feine  «Sd^riften  ilim 
fe|r  tuD^I  besagten,  tuenn  er  auc^  freilid^  mit  feinen  Organen 
nicE)t  5ltte§  barin  jn  paden  föiffe. 

SSäre  33aaber  mit  bem  5tnfprnd^  aufgetreten,  ein  ^ünftler 
5U  fein,  ttJürbe  ©oet^e  i^n  nodf)  üietmel}r  aU  bie  übrigen 
3fiomantifer  nidfit  o^ne  ®eringf(^ä|ung  ^aben  fallen  taffen; 
fo  aber  erfannte  er  in  i^m  eine  it)m  felber  unjugänglid^e 
SJJad^t  an.  S3aaber  £)at  felbft  einmal  gefagt,  an_geniatifct)em 
Unbemu^tfein  fönne  e§  ber  ^^ttofopti  bem  ^i(^ter  recE)t 
njo£)I  ftreitig  mad^en.  ©ben  bieg  geniatifc^e  Unbetuu^tfcin, 
bie  föuc^ernbe  üegetatiue  Ueppigteit,  bie  an  SSaaber  fo  fe^r 
überrafdit,  ttjirfte  nid^t  in  ®oet()e'§  Seuni^tfein;  nur  feine 
Sugenb  loar  ta^  Stlfa^eft  geiuefen,  ha§i  biefen  ©tein  ber 
SBeifen  öorüberge^enb  getöft  unb  i^m  biont)fifd^e  ^runfen{)eit 
gemährt  Ijatte.  ©pöter  lag  er  in  feinem  Unterbetou^tfetn 
al§  grünbenbe  ^raft  unb  machte  i^n  gu  bem  ffaffifc^en 
Siebter,  ber  er  fonft  nic^t  tjätte  fein  !önnen.  5)enn  eine 
©eele,  bie  foüiel  binbenbe  ©elualt  ^ätte,  um  bie  ejlremfien 


©djirier  itnb  ©oet^e.  225 

©tementc,  bte  in  ber  DIatur  mögltd)  [inb,  üBerfc^metlenbeg 
ß^aoS  unb  ftreng[tcn  ®etft  ber  Drbnung  in  eine  ^armontfcfic 
(Sin^eit  5U  f äffen,  ift  nod^  ein  S^enl  ber  3w^it»ft-  Sm 
5n)eiten  5:eil  be§  gauft  l^at  @oet^e  noc^  einmal  öerfnc|t, 
eben  fo  fe^r  „götttid^er  ©id^ter"  tuie  „öollenbeter  .^ünftler" 
gu  fein.  SSic  iminberbar  ift  e§,  ba§  biefe  le^te  ©id^tung, 
bie  ta?^  Unge^enre  öerfud^t,  mit  ben  Sßorten  fdfilie^t:  „jDa§ 
6lüig=2öeiblid^e  giefit  un§  t)inan."  S)enn  ha?^  @tüig=2Beib- 
lid^e  ift  ja  ba§  ^rinjip  ber  (Srtöfung,  nämltd^  ba§  Seinuf3t- 
irerben  be§  Unbeiuu^ten,  bie  unenblic^e  9?eöoIutiDn,  bte  (Sba 
einleitete,  aU  fie  ben  5(pfet  ber  ©rfenntni^  |)f[ücfte.  9}?ag 
©oet^e  fid^  beffen  belüu^t  gemefen  fein  ober  nid^t,  W^ 
bielfad^  fo  gebanfenlo§  gebraud^te  2Bort  fiat  benfelben  Sinn- 
wk  ha^  „Wt^i  Sicf)t",  ba§  bem  ©terbenben  in  ben  9}Jnnb 
gelegt  luurbe.  9^id^t§  beloeift  ®oett)e'§  menfd^Iid^e  (SJrö^e 
met)r,  aU  ba^  er  fid^  nac^  ^ö^eren  Stufen  feinte  unb  an 
fie  glaubte. 


•kX 


r^ 


§uc6,  SJomantifer.  15 


3ft  benn  ßrien  Bon  Sie6e  fo  unjertrennlicl)  auf  Gvbeit? 
(Siebt  e5  fein  luftiflc«  ®Iüc£  uitb  teilte  glücEltcbe  3iuf)'? 
9ieiiT,  benn  fiefte  bte  (£rbe,  bie  gleichen  SKut^eä  am 

§immel 
Siüijdjen  SßcnuS  unb  SKarS  loatibcU  bie  ftürmifc^e 

SBohn. 
©c^affcnb,  bcr  Grbe  gletA,  bii  ecbgebonier,  bcmege 
Unberbroffcn  beim  ani)  bic^  äiuHcfien  t'iebe  urb  firieg. 

©c^elltng. 

(Sagt,  Wer  finb  auf  jenen  SöJatten, 

2Ö0  |o  mouAe  Slumcn  bliib'n, 

©ie  öcriüQnbten  fiillen  Schatten, 

Sic  in  fjolber  Cintracftt  jtcfj'n? 

©cfinicrs  unb  Scben  fieifecn  bclbe, 

SBeibe  finb  fiel)  nai)  üerluanbt, 

aWancfimal  gvüfjct  fie  bie  greube,  • 

Unb  ba?  Seben  reidjt  bie  §onb. 

2lber  bonn  tritt  gcfimerä  bojinnfcften, 

Scbnetl  cntflteiit  bnnu  -(U  ben  Süfcfien 

greube,  fie  ücrbirgt  fttti  in  beut  tiefflen  §oin  — 

©c^merj  unb  Scben  bleiben  ftct§  attein. 

Stect. 

„(Srünfammtne  Se^jptd^e  bie  Serge  |tnan,  mit  SSeild^en, 
©d^Iüffelblumen  unb  ^rimeln  gefticft  unb  lauter  toof^U 
riecfienben  Kräutern  burd)lpirft;  atle  93äume  in  ber  glor- 
reicE)[ten  93Iüt^e;  glteber  unb  ajJaiblumen  in  biden  Raufen; 
eine  2lrt  SOSeibe,  hit  lüie  Drangen  rieciit,  fte^t  olIent|aI6en 
auf  aKen  SBtefen  unb  Sßergen.  ®er  lebljoft  raufc^enbe  5Iu§, 
h)ie  ein  ©ptegel  l^ell;  tüarm  nom  9J?orgen  6i§  tt)ieber  jum 
SJJorgen;  eine  Suft,  bie  fic^  n)eic^,  (au  unb  Hau  um  einen 
!§er  lagert  unb  auf  ben  Sergen  tük  eine  Sede  ru|t  —  fo 
fiei)t  ber  grü^Iing  in  ^ma  aul."  Unb  aU  eBenfo  frieblid^ 
unb  freunbltd^  fd^ilbert  ©orot^ea  ba§  Seben  ber  Selüo^ner. 


£e6en.  227 

SBäfivenb  e§  fonft  in  Uniöerfitüt^ftäbten  [o  äujitgetjen  pffege, 
ha^  jarte  tarnen  ii^xen  Sdifent^att  bort  iitc^t  511  ne£)men 
tuagten,  näljme  tu  ^tna  ber  |)umamtät§ton  über^anb  unb 
man  fönne  im  ©ebirge  ftunbeniueit  allein  fpajtren  ge^en. 
S)a§  SpfJüitair  unb  hie  ^aiifmannfc^aft  in  Serlin  feien  ro^ 
gegen  hie  Senenfer  ©tubenten:  man  Ijöxe  überall  öon 
SQ3iI^e(m  SReifter,  ber  3;ran§cenbentat|3§irofo|3^ie  unb  bon 
©l)Ibenma§en  fpred^en,  baju  au§  jebem  §aufe  ©uitarren 
unb  ©eigen. 

2öäf)renb  bie  S3ö(fer  (guropaS  gegen  einanber  in  SBoffen 
ftanben  unb  @d^n)ertergetö[e  unb  Sriegggefc^rei  fid§  lüie  eine 
morbenbe  Sainine  üon  Sanb  5U  Sanb  irälgte,  fäm|3ften  über 
biegen  fanften  ^lügeln  ha^  alte  unb  ha^^  neue  ^a^rljunbert 
eine  ®ei[terjc^Iad^t. 

2tt§  2Bi(f)eIni  unb  Carotine,  neubermä^It,  im  ©ommer 
1796  bon  ®ott}a  fommenb  in  ^ena  einbogen,  too  SBill^elm 
^rofeffor  getoorben  luar,  fürchtete  er,  bie  gelfen  am  (Sin- 
gange  möchten  [ie  abfc^reden.  „%hex  icf)  ja^  nitf)t§",  fc^reibt 
Slaroline  an  i^re  greunbiu  Siiife  ©otter,  „al§  ba§  ®ute 
unb  5tngenef)me  unb  bin  jd)on  mit  biefem  romantifd^en 
Zitate  ganj  befreunbet."  2Bie  ein  trojanifc^eS  ^ferb  mar 
biefer  .s^ot^jeitg^JReifemagen,  ber  bie  erften  Umftürjter  in 
bie  af)nung§lDJe  @tabt  füfjrte;  geräufd^IoS  nifteten  fie  fid^ 
ein,  um  ben  ©insug  ber  ^ülf^truppen  borpbereiten.  (Sin 
borne^me§  .^aupt  ber  neuen  ^eit  fanben  fie  freiließ  f(^on 
bor:  gid^te. 

3IB  ber  junge  S^orloegcr  Steffens  im  «Sommer  1798 
noc^  ^ena  lam,  '^öxte  ex  naä)  einanber  bie  bebeutenbften 
^rofefforen  ber  ^^ilofopfiie  fprec^en:  Sd^eHing,  bo§  neue 
Öieftirn,  unb  gid^te,  ber  fc^on  auf  feinem  feftgegrünbeten 
9tu:^me  thronte,  dx  eröffnete  hamai^  grabe  feine  $ßor= 
lefungen   über    bie  Seftimmung  be§  9J?enfc|en.     S(^on  bie 

15* 


228  Seben. 

lurse,  ftämmige  ®efta(t,  bic  fc^neibenben,  gebietenben  3üge 
tmponirten.  5lu(^  feine  ©prad^e  wax  üon  fc^neibenber 
©d^ärfe.  Dbloo!^!  er  fid^  ade  9D^ül)e  gab,  ju  belüetfen,  n)0§ 
er  fagte,  tiatte  feine  9tebe  bod^  ettpa§  an  fid^,  al§  iDoHe  er 
burc^  einen  S3efe^I,  bem  man  unbebingten  ©ei^orfam  f(^utbtg 
fei,  ieben  Bt^eifel  entfernen.  „TltiiK  Ferren",  fagte  er, 
„faffen  ®ie  ftc^  §nfammen,  ge^en  ©ie  in  fid^  ein,  e§  ift 
I)ier  öon  feinem  3Ieu^eren  bie  $Rebe,  fonbern  lebiglic^  öon 
un§  felbft."  5IIIe  beränberten  bie  ©tefCung,  rid^teten  fi^ 
auf  ober  fanfen  in  fid^  §ufammen.  (gine  gro§e  Spannung 
l^errfd^te.  „9JJeine  ^"»erren,  benfen  @ie  bie  SBanb."  Sitte 
bauten  bie  SBanb.  „§aben  ©ie  bie  3I?anb  gebadet?  Sf^nn, 
meine  Ferren,  fo  benfen  ©ie  benjenigen,  ber  bie  SBanb 
gebadet  ^at."  SDie  SSernjirrung  unb  SSerlegen^eit,  bic  bie§ 
jtoeite  5lnfinnen  ^erborrief,  föar,  tuie  ©teffen§  erjäfjft,  fe^r 
ergö^lid^  ju  beobad^ten.  ^m  ©anjen  l^atte  ber  SSortrag 
burdö  feine  beftimmte  ^lar^eit  ettüa§  ^inrei^enbeä,  tüie  man 
el  nid^t  leidet  ä^nlid^  finben  fonnte. 

©ine  merfn^ürbige  gigur  fpiette  ber  eiferne  gid^te  unter 
bcn  gefdfimeibigen,  üppigen,  totten  $Romantifern.  2Bie  SSöget 
eine  SSogelfd^eud^e  umflattern,  etma§  fc^eit,  ettiia§  e^rfürd^tig, 
einlas  neugierig  unb  ettt)0§  mut^toittig  lüaren  fie  um  i^n 
l^er.  ©ie  ptten  i£)n  gern  einmal  au§  feiner  ftrengen  Un- 
bclreglid^feit  f)erau§genedt,  n^oüon  fie  felbft  ergö^Iid^e  93ei* 
fpiete  erjällen.  ©teffen§  lüottte  il^n  burd^au§  babon  über= 
sengen,  bafs  eine  Süge  unter  Umftänben  gu  red^tfertigen, 
fogar  moralifd^er  all  bic  SOa^r^eit  fei;  benn  ?5id§te  ^atte 
be{)auptet,  unter  feiner  58ebingung  bürfe  man  bie  Uutüat)r= 
l^eit  fagen.  ©teffen§  fe^te  nun  fotgenben  j^att:  (Sine  SBöd^* 
nerin  ift  fe^r  fronf.  S§r  Slinb  ftirbt.  ©ie  fragt  nad^  bem 
^inbc.  2Ba§  fott  man  i^r  fagen,  ba  man  lüei^,  baB  jebe 
Slufregung    fie    ougenblidflid^    tobten    fann?     ©ie   fott    mit 


Sebcn.  229 

ti^ren  fragen  abgeiuiefen  tüerben,  entfd^etbet  5i(i)te  ungerütirt. 
Steffen^:  SDa»  ^et^t  auf  ba§  93e[t{mmte[te  anttuorten,  i^r 
Ä'inb  fei  tobt,  ^d)  inürbe  lügen,  uiib  id;  nenne  gan^  ent- 
fd^ieben  biefe  Süge  eine  Söa^rl^eit,  meine  SSatjr^eit.  SBa§? 
rief  nun  gi^te  entrüftet:  TMnt  SBa^r^eit?  (Sine  fol^e, 
hit  bem  einselnen  ajfenfd^en  gehört,  giebt  e§  nid^t.  ©tirbt 
tk  t^mn  an  ber  Söa^r^eit,  fo  foll  fie  fterben. 

SSt)Ilenb§  otjne  jeöeS  SSerftänbni^  für  einanber  Juarcn 
t^ic^te  iinb  Sied,  ber  ®ämmerung§bid^ter  unb  ber  ^£)itofop^ 
ber  unerbittlich  fi^neiDenben  Sogcs^efCe.  SSenn  Sied  p^i= 
lofop^iren  luodte,  üern)ieg  i|n  gierte  gittmütl)ig  ungebulbig 
auf  feine  ^oefie.  216er  ungead)tet  er  oline  @inn  für  bie 
3fiomantif  mar,  betrad)teten  fie  i|n  gern  all  ben  g^i^igen, 
lueil  fie  ben  gelben  ber  guten  ©adie  in  i§m  el)rten.  51I§ 
im  53eginn  bei  Sfl^i^el  1799  ber  2Itfjei§mu5ftreit  tolbrac^, 
nal^men  fie  unerfd^roden  feine  Partei.  SSon  Sitten,  bie 
fid^  bei  §ofe  beliebt  niadlien  rtjottten,  bon  atten  ^rofefforen, 
bie  gierte  überglänjt  Ijatte  —  benn  er  !^atte  lueitaul  bie 
meiften  3it|örer  — ,  luurbe  er  üerlaffen  unD  gemieben. 
^Diejenigen,  bie  nid^t  tvoi)l  anberl  fonnten,  all  i^m  in  ber 
<Baä)e  Siecht  geben,  fc^rieen  über  feine  ©reiftigfeit  unb  Un= 
bcfonnenl)eit.  ©eine  unerfd)ütterlid^e  Sieblic^feit,  meinte 
Caroline,  l)abe  ^of  unb  Uniüerfität  oft  in  SSerlegenl)eit  ge« 
fe|t.  2)ie  ©tubenten  wanbten  fic^  mit  S3ittfd)riften  nad^ 
Söeimar  —  ©teffenl,  ber  S3eiüegli(^e,  ^egeifterte  ^atte  aud^ 
Unterfcl)riften  gefammelt  — ,  aber  öergeblid).  5)af3  ®oetl)e 
biefe  feige  Ungerecl)tigfeit  gefc^e^en  lte§,  fc^merjte  feine 
Qüngei;;  fie  luoflten  S^erlcgenljeit  an  i^m  bemerfen,  tuenn 
tiou  bem  §anbel  bie  Diebe  Wax.  „^er  üjadere  gid)te  flreitet 
eigeutlid^  für  unl  Sitte",  fc^rieb  2Bill)etm,  „unb  tuenn  er 
unterliegt,  fo  finb  bie  ©dieiterljaufen  loieber  ganj  nal^e 
lerbeigcfommen."     ©r,  ber  fonft  $öorfid)tige  —  namentlid^ 


230  Sebcn. 

tüenn  e§  galt,  ©oetlie  ju  fc^onen  —  fu(i)te  feinem  $Bruber 
grtebrtd^,  ber  bamal§  nocf)  in  S3erlin  tüar,  friegerifrfie 
©timmung  einjuflö^en.  2)em  fod^te  benn  and)  fd^on  eine 
Srofd^üre  im  Selbe,  )üte  er  fic^  au^brücfte,  morin  er  6e* 
fd;eiben  bartf)un  luollte,  gic^te'§  SSerbienft  befteljc  eben  barin, 
ta^  er  bie  3^eIigion  enlberft  fjaU.  3roar  tarn  biefe  ©d^rift 
nic^t  5U  ©tonbe.  2tn  SBtt^elm  fc^rieb  er  aber:  „9iic^t  bloft 
3(tl}et[ten  finb  bie  ©egner  [gid^te'»],  fonbern  pofitiüe  Wiener 
be§  @atan§,  gegen  bie  in  S)eutf(f)Ianb  jeber  ©d^riftftetter 
ein  geborener  ©olbat  i[t." 

gierte  lüu^te  benn  biefe  furcfjtlofe  3^reunb|d^aft  bomaB 
and^  iDo^t  5U  frf)ä|en.  ^n  S3ertin,  tüo  er  3u[Iud^t  fanb, 
üerfe^rte  er  öiel  mit  griebrid^  unb  ©orot^ea  unb  fprac^ 
ben  SBunfd^  au§,  ha'^  SSil^elm,  Caroline  unb  ©d^elling 
oud^  bort^in  fämen,  bamit  fie  §ufommen  eine  {^amilie  bilbeten. 

„9cä(f)ft  bem  ^ti)ei§mu§",  fc^rieb  Caroline  am  4.  (Februar 
1799  an  9ZooaIi§,  „ift  i^ier  ha^  neuefte  (Sttenement  bie  2(uf- 
füi^rung  be§  erften  %^dU§>  öon  SBaHenftein  „bie  ^iccolomini" 
in  SSeimar.  Qm  Dftober  bey  üor^erge^enben  3a§re§  n^ar 
ha^  Sager  äuer[l  in  ©cene  gegangen,  ©ans  3^"^^  machte 
fid^  auf,  um  biefem  ®reignt§  bei5Ult)o|nen.  S8eim  Sager 
hjar  haS»  9tomantiferpufIein  frö^Iid^  gufammen;  Sichte 
nött)igte  uac§  ber  83or[teIIung  Carolinen  öier  ©läfer  (5^am= 
^agner  auf.  SBil^elm  blieb  in  SBeimar;  ©c^elling  fu^r  an 
feiner  ©teile  in  ber  S^ad^t  mit  if)v  jurücE.  S3ei  ber  @rft« 
ouffü^rung  ber  ^iccolomini  blieben  ©d^elling  unb  Caroline 
in  S^na.  dlaä)^n  öerfammelte  man  ftd^  bei  Slaroline  unb 
tauf(f)te  hit  empfangenen  (Sinbrücfe  au§.  Dblpo^l  ber  correfte 
SBil^elm  gu  milbern  fudE)te,  jeigte  fidE)  boc^  bie  5tntipot^ie 
gegen  ©exilier:  t)a§:  (£nburt|eil  über  bie  tDunberboHe  ^id^= 
tung,  hk  man  aUerbiugS  nur  aU  $8rud)ftütf  feunen  gelernt 
l^atte,  tüüx  üerneiuenb. 


£eben,  231 

jj)a§  2:^eaterfpielen  Juar  eine  gefeHtge  Seibenfc^aft.  ®a§ 
befle  Seifptel  bafür  erjätilt  %kd,  luie  näniltc^  \oQav  ber 
alte  SJiicoIat  üon  btefer  SöutE)  ergriffen  irurbe.  2)a  2;iecf 
t^n  einftmal§  befuc^te,  fanb  er  i^n  gu  feinem  ©rftaunen  mit 
feinem  ©o^ne  nnb  einem  anbern  ^errn  in  einer  üerlartigen, 
:pat|etifcf)en,  ©c^illerifc^  bcciamirenben  Unterhaltung  begriffen, 
beren  Sinn  i^m  im  erften  2(ugenblicf  unfaßbar  mar;  aß» 
mälig  begriff  er,  ta^  fie  eine  ©cene  511  S)on  ßarlo^  im= 
proDifirten,  mobei  9licoIai  ben  Siönig,  fein  @o§n  ben  ÜJJarqui§, 
unb  ber  britte  ben  Sarlo»  auf  fic^  genommen  öatte.  ^üd) 
in  ^ena  mar  „ariemeit  üon  nichts  al§  2;^eater  bie  Siebe", 
mie  Caroline  fc^rieb.  ©teffen§  unb  Sterf  maren  öon  Sugenb 
ouf  an»  2:()caterfpieten  gemö^nt,  aud^  Caroline  ^atte  SJeigung 
baju.  $8ei  einer  5Iuffü^rung  üon  ©oet^e'g  ©teUa  im  (S(^ü^= 
fc^en  |)oufe  mäl^Ite  fie  ftc§  bie  StoHe  ber  (Säcilie.  2tud^ 
©op^ie  äJJereau,  bie  fpätere  ©attin  Srentano'S,  mirfte  mit. 
Sn  einem  feiner  atterliebften  Sriefe  an  bie  fleine  Slugufte, 
bie  ouf  Sefucö  im  §aufe  be§  Maki§  Sifi^betn  mar,  fc^rieb 
griebrid^:  „SBenn  bu  mieber  bo  bift,  motten  mir  au(^  etma§ 
agiren,  etma^  mie  ba§  @tücE,  öon  bem  bu  f(^reibft.  3^u 
mad^ft  bie  fc^öne,  aber  treulofe  2tngeüfa,  Xkd  ben  fteinen 
beglücften  Sd^äfer  SJieboro,  @c|etting  ben  rafenben  ^alabin, 
Crlanbo  ben  SiJüt^igen,  icfi  Slaifer  Slarl  ben  ©ro^en  unb 
SBilbelm  ben  eblen  S^^etter  9tinaIbo'ä  ö.  ajiontolban."  2Bie 
fie^t  man  fie  üor  fic§  in  btefem  ^oflüm:  bie  liebrcijenbe, 
üermö^nte,  ein  menig  fofette  kleine,  bie  ber  Sriefftetter  ^ier 
gleic^fam  mit  ii^rer  9Jlutter  in  ®in§  31:  f offen  fc^eint,  ben 
anmut[)igen  Jiecf,  ben  ungeftümen  ©c^etting,  griebric|  felbft 
Dotter  SSürbe  unb  ^eiligfett  nnb  SSill^elm,  ben  correften, 
ritterlichen.  SSenn  nic^t  Sweater  gefpielt  mürbe,  mürbe 
2:^eater  gelefen.  SBill^elm  Ia§  feine  neuen  Ueberfe^ungen  ber 
©^afefpeare'fc^en  2)ramen  üor,  Sierf  mit  SSorliebe  |)oIberg, 


232  Sebeu. 

ben  er  gletd^fam  neu  entbecft  l^atte.  %kd,  beffen  S3orIe[ungen 
in  fpäteren  ^a^ren  eine  beinatie  eurD|)ätfrf)e  S3erü§mt^ett 
Italien,  Ia§  genialer.  SSorjüglid^  linirbe  fein  SSortrag  bc* 
h)unbert,  menn  er  ettüa§  improotfirte.  ©teffen§  tvax  einmal 
in  S)re§ben  gu  33efuci^  bei  i^m,  al»  gerabe  ber  Ö5e6urt§tag 
feiner  i^van  gefeiert  lüurbe.  3"  befonber§  guter  Saune 
fünbigte  er  an,  ha^  er  ein  ©c^aufpiel  barftetlen  unb  babei 
felbft  fämmtlid^e  Stollen  übernehmen  tooHe,  ©teffen§  möge 
i^m  einen  ©egenftanb  aufgeben,  üon  bem  bie  Somöbie 
^anbeln  fotte.  «Steffens  beftimmte,  eö  foHe  in  bem  <BtM 
Semanb  auftreten,  ber  ber  Sieb^aber  unb  ein  Drang=Utang 
in  einer  ^erfon  luäre.  9tac^  einer  falben  ©tunbe  erfctjien 
S;iecf  tjor  feinem  ^nblifum  unb  trug  junäc^ft  einen  ^rolog 
Cor,  ber  bie  ßufiiiauer  an  ben  |)afen  einer  großen  ©eeftabt 
öerfe^te.  Sann  enttutdelte  fic§  hk  |)anblung,  bie  furj  barin 
beftanb,  ha'Q  ein  eigenftnniger  Starttäten:'  unb  Staturatien- 
©ammter,  5tn6änger  ber  aufgeflärten  S3ilbnng,  ber  feiner 
S^DC^ter  §anb  i^rem  beliebten  t)ern)eigert,  baburd^  überliftet 
tüirb,  bafs  ein  gerabe  au§  5tfrifa  gurücffe^renber  greunb  ben 
troftlofen  Stnbeter  aU  gebtibeten  Drang4ltang  bei  i:^m  ein= 
fü^rt.  (Sine  (Srjietiungganftalt  in  (Sierra  Seona  1:)aht  fic^ 
bie  Slufgabe  geftettt,  ntc^t  nur  ben  fogenannten  SJtenfd^en, 
fonbern  auc^  gelüiffe  Spiere,  'oit  \\6)  nad^  Slufic^t  ber* 
f(f)iebener  (Selef)rten  baju  eigneten,  5U  ebeln  unb  üerftänbigen 
SBefen  i^eranäubitben;  fie  \)abt  bereits  merfiüürbige  (Sifolge 
eräielt,  toobon  er  einen  Sert)ei§  mitgebrad^t  )^aht.  S)er  öer- 
fteUte  Orang-Utang  giebt  bie  |>ö|e  feiner  S3ilbung  burd^ 
häufiges  §erfagen  fentimeutalcr  unb  moralifrfier  Plattheiten 
ju  erfennen,  bie  ben  SSater  entjüden,  fo  t)a^  er  fid^  über» 
reben  Iäf5t,  i^m  feine  3:oc^ter  gur  f^rau  ju  geben.  92orf) 
nad^  bielen  S^^i-'en  erinnerte  fid^  Steffens  mit  SSergnügen, 
tvu  fprü^enb  bon  Sdjerj  unb  2Bit^  btefe  tede  Sinprobifation 


Sebcn.  233 

geiüefen  fei  unb  mit  luelc^er  ftaunenerregenben  ^öeireglid^feit 

unb  frf)aiifptelerifd)en  Slun[t  %mt  fie  öorgefülirt  t)abe. 

©0   jmtje   bie  65efat)r    auä)  lag,    luo    mehrere   begabte 

2)ienfd^eii  biefelben  ^if^e  öerfolgen,   unb    fo  üiel  ^anf  c§ 

aurf)  in  biefer  „Siepublit  öon  lauter  ®e§poten"  gab,  ^errj'd^te 

bocf)  eigentlid^c  (giferfud^t  nid^t.     Snt  ©egent^ett  freute  ftd) 

Seber  ber  S^orjüge  beä  5lnbern,  lua§  ^auptfäcl)lic^  5riebric|'§ 

SSerbienft  luar.     @»  fpielte  gteidjfam  ^eber  feine  Siotte  ober 

fein  S»fti'"tnent,  unb  man  loar  ftol^^,  bafe  ba§  ßoncert  gut 

befe^t   unb    lup^Itönenb    n^ar.     Siec!   toar   befonberS    „be§ 

SBt^ea  bunte»  gülI|orn  eigen".     5luc^  hierin  wetteiferte  er 

mit  SBil^elm.    @§  ift  tin  rei5enbe§  93ilb,  ha^  un§  hk  beiben 

grauen,  Carotine  unb  ^orotiiea,   aufgejeicfinet  Ijaben,   mie 

Söili^etm  unb  %kd  sufammen  ein  9iac^e*@onett  gegen  SÜtertel 

f^miebeten.     ä)Jer!eI  mar  einer  ber  üielen  ftäffenben  geinbe, 

hk  im  ©runbc  einer  Slntn^ort  nid^t  loert^  rüaren.     @ä  be» 

§eic^net  i^n,  ba§  er,  um  barjut^un,  ba^  ©c^iCter'g  ^oefie 

fd^öner  fei  al§  &ott^t'^,  @ebi(i)te  t)on  beiben  in  ^rofa  auf= 

löfte  unb  bann  jeigte,   ba^  biejenigen  ©djiHer'S   nac^  ber 

Operation  ebenfo  flar,  öcrftänbig  unb  poetifc^  feien  tuie  bor- 

j^er;  h)a§  bei  benen  ©oet^e'S  nid^t  ber  galt  fei.     ©inmal 

foHte  er  nun  boc^  einen  2)en!5ettel  Ijaben,  unb  fo  entftanb 

ta^  gel^arnifcEite  ©onett: 

©in  ^nec^t  ^aft  für  bte  ßnedjte  bu  gefdjrieben, 
6in  (Bamojebe  für  bie  ©amojeben. 

„(g§  toar  ein  geft,  mit  anjufefien,  lote  beiber  braune 
Singen  gegen  einanber  gunfen  fprü^ten  unb  mit  tüelcfier 
auSgelaffenen  ^uftigfeit  biefe  gerecE)te  9J?atice  begangen  iuurbe. 
Sie  SSeit  unb  ic^  lagen  faft  auf  ber  (Srbe  babei.  S)ie  SSeit 
fann  red^t  lachen.  ..." 

griebric^,  ber  „tiefe  greunb",  fa^  loie  ein  geiualtiger 
gelsblücf  im  SBertengefräufel  unter  ben  Uebermüt^igen,  badete 


234  üebeit. 

unb  träumte  unb  äußerte  öon  3ett  gu  3eit  feine  ^Qt^ifd^en 
Offenbarungen  —  «Stoff  ju  ©efpräd^en,  ®t§^uten  unb 
3lb{)anblungen.  Steffens  erjä^It,  e§  fei  griebrtd^,  toä^renb 
er  tief  ftnnenb  im  @tut)Ie  gefeffen  l^abe,  folgenbe  ©eberbe 
etgent^ümtid^  gemefen:  er  ^abe  mit  2)aumen  unb  ^fig^fi^flci; 
bie  ©tirn  umfaßt,  biefe  ginger  langfam  gegen  einanber  be- 
beiüegt  bil  giüifcEien  bie  5(ugen,  bann  ebenfo  (angfam  über 
bie  fdiön  geformte  9?afe  unb  enblid^  über  bie  '^a'\t  t)inau§ 
in  hk  Suft.  So,  bie  Singer  öor  ber  9^afe,  |atte  S^ieif  i^n 
auf  einer  f leinen  ^arrtfatur  gejeic^net,  ben  überfrfinellen, 
unrui)igen  Steffens  öor  i^m,  mit  Rauben  unb  gü^en  :^eftig 
geftifulirenb.  ^m  ©efpräc^  luar  griebrid^  ebenfo  uner»- 
fc^ö^flid^  tüi^ig  mie  SBiltielm  unb  S;iecf,  unb  man  mag  e§ 
am  ©nbe  begreifen,  ta^  taroIine'S  9J?utter,  eine  alte,  gräm« 
lid^e  ^rofefforeniüittme,  i^r  frei  erüärte,  fie  tvnht  fie.nid^t 
lieber  befuc^en,  ha  fie  ben  üielen  SBi^  ni(f|t  öertragen 
fönne  —  tt)ie  man  ©rbfen  unb  Sinfen  nirfit  »erträgt,  fe^te 
Caroline  ^inju.  'änä)  bie  i4iä§rige  Stugufte  lernte  ^talienifc^ 
unb  ©ried^ifc^  Ui  SBil^elm  ober  bem  „l^eiligen,  in  ©ott 
onbäd^tigen  SSater  gri|".  Seltfam  muß  e§  gemefen  fein, 
baS  ^rinjefjd^en,  bem  Stielen  unb  Sad^en  ha^  Mer- 
Itebfte  mar,  ha§  mit  füfeem  Söo^tlaut  ber  (Stimme  fingen 
fonnte,  mä)hnMd)  über  Sauft  unb  9lat£ian  ben  SSeifen 
fc|rt)n^en  ju  Ijören.  ®em  fleinen  ^^itip)?,  2)orDt^ea'0 
Sol^n  au§  i^rer  erften  ®^e,  ben  fie  nad)  Sena  mitgenommen 
^tte,  träumte  e§  einmol,  lüälirenb  griebrid)  t)erreift  toar, 
Sriebrid^  feiere  jurücE  unb  beS^alb  fei  gan5  ^tna  in  Sluf» 
ru£)r.  3unT  SSittfommen  fei  bie  Stabt  in  ber  Söeife  ge« 
fd^mücft,  ba§  alle  Käufer  unb  93äume  mit  bieten  Silbern 
öott  „alten,  geteerten  Seuten"  behängt  feien,  unter  i^nen 
GerüanteS  unb  ^JJeifter.  9??eifter  ^atte  einen  runben  §ut 
mit  golDener  SdEinur,  einen  rott)en  Scf)Ieier  unb  einen  fleinen 


Setien.  235 

Säbel  getragen,  Seroanle§  einen  breiedigen  §ut  mit  golbenen 
^lunfern,  gleichfalls  einen  rotten  ©d)Ieier,  eine  eiferne 
9tüftung  unb  einen  langen  ©äbel.  Tlan  fie^t  barau§,  \va§ 
für  S3?orte  alg  tägliche  Speife  um  ben  fleinen  ^o^f  fierum- 
fd^lüirrten. 

2)ie  einjige  2Irbeit,  ber  griebrtc^  fii^  unterzog,  toax  \)a§ 
2)ic^ten,  ha^  er  bei  feinem  33ruber  lernte.  (£r  trad^tete 
barnac^,  allmälig  alle  SJergma^e  in  feine  ©eraalt  gu  be- 
fommen.  ©orot^ea  ^atte,  um  it)ren  gtorentin  romantifd^ 
au§äuftatten,  einige  h;o|Igetungene  ©tanken  berfertigt  unb 
baburd)  eine  lua^re  ®tan5en=SBut^  unb  -©lut!^,  tuie  fie  felbft 
fagt,  über  ha^  §au§  gebracht.  2)amat§  mag  jener  pat^e- 
tifd^e  ©trom  ©c^eding'fc^er  ©tanjen  entftanben  fein,  in 
benen  er  ta^  ®e§eimni^  feiner  ber^ängnilöoUen  Seiben* 
fd^aft  für  Caroline  ftols  öerrät§: 

9U§  in  bev  ernften  friU)en  SBei^cftunbe 
?lu§  freiem  Zmb  ba§:  .Sjeil'ge  ic^  emm^It, 
^at  and)  ein  ©Ott  5U  eiuiq  fd)önein  Sunbe 
Stuf  etuig  bid)  mit  meinem  Qjeift  üermnfilt. 
SSenn  aucf)  non  unfrer  Sieb'  bie  fü^e  ^unbe 
Slein  meict)e§  Sieb  ber  fünft'gen  SBelt  erjäfilt, 
S;ocf)  wirb  au§  be§  (yebict)te§  bunfeln  Gliiffern 
©ie  hü§>  ©el)eimnif5  unfrer  Sieb'  entziffern. 

?3a§  forgfam  mir  bem  5(ug'  ber  SSelt  berbürgen, 
3)a§  ©lüct,  ha§,  nur  bie  llnficfitbareu  fe^'n, 
SSirb  an  be§  fünft'gen  2agc§  fcl)i.inem  93JDrgen 
§lu§  bem  ©e^eimnifj  glorrcid)  auferftet/n. 
^Begierig  fet)'  id)  floate  ß^iteu  I)ord)en 
®er  ^DJelobie,  bie  nimmer  fnnn  üergef)'n, 
S!enn  mit  be§  SeltallS  cm  gen  .<parmonieeu 
Si^irb  biejeö  Sieb  jur  fernen  ^iliadjmelt  jietjen. 

S)ie  luunberraürbigften  SSerfe  mad^te  aber  nad^  ^oro= 
t^ea'S   äJieinung   {Jriebrid^,   ber,   foiüie    er    einen    öollenbet 


236  Seben. 

t)atte,  bamtt  in  ii)X  ^iinoier  fam,  i§n  t|r  borIa§  iinb  in 
heftigen  ^o^^n  geriet^,  luenn  fie,  luaS  begreiflicher  SBeife 
meii'teng  ber  galt  toax,  ben  ©inn  ntc|t  fogIet(^  begriff. 
Slufjerbem  ^atte  faft  ein  Seber  feinen  3floman  öor,  2ißilt)elm 
anftatt  beffen  feine  S^afefpeare-Ueberfelung,  ipobei  Caroline 
fo  mitarbeitete,  bo^  fie  oft  ben  ganzen  Züq  nid^t  t)on  feinem 
(Sd^reibtifd^  tneg  !am.  Uebrigcn§  öermieb  e§  Caroline,  al§> 
fi^riftfteUernb  gu  erfd^einen;  fie  |abe  ba§  SSorurt^eil,  fagte 
grlebric^,  ha§  einjige,  fid^  üor  bem  Schein  ber  Unlueib* 
lid^feit  5U  fürd^ten. 

Sern  ^leife  5ugert)anbt  luar  ber  |)amburger  ®rie§,  !Iein, 
mit  füblidEigetber  ®efid^t§farbe,  lebhaft  unb  freunblid^  au§ 
deinen  Singen  blicEenb;  fo  fc^ilbert  i^n  ©teffenä.  ^einlii^c 
Drbnnng,  ©auberfeit,  io  ©leganj  :^errfc^te  in  feinem  ^immer. 
®r  fprad^  leife  unb  brücfte  fid^  jierti^  aii§.  ©eine  mit  ben 
^al^ren  immer  gune^menbe  ^aubtjeit  erfd^loerte  bie  Unter- 
l^altung;  UJegen  feine§  altjüngferlichen  2Sefen§  l^atte  man 
i§n  ein  toenig  gum  Seften.  Slber  mit  feiner  Ueberfe^nng 
be§  !3:affo  unb  Salberon  bradjte  er  bod^  eine  3J?enge  neuer 
5lnregungen  in  ben  ^rei§.  SBit^elm,  ber  guerft  auf  bie 
füblic^en  jßid^ter  aufmer!fam  gemad^t  liatte,  nalim  lebliaften 
9lntl)eil  baran,  atterbing»  nid^t  o^ne  fid^  feiner  Ueberlegen^eit 
im  Ueberfe^en  betoufet  gu  fein.  ®ie  (Sntbedung  ßalberon'§ 
mad^te  (Spodie  unter  ben  9?omantifern.  S)er  ftürmifd^e 
©d^efling  fteüte  ilin  fogleid»  über  ©^afefpeare;  ]^ier  fei  bie 
innigfle  SSereinigung  be»  Slntifen  unb  5Romanttfd^en  5U  finben. 

SSie  ber  gö^nftitrm,  ber  fid^  in  ben  Sergen  fo  plö^lid^, 
ftar!  unb  toarm  ergebt,  luirfte  ©(^eHing'g  ©intritt  in  ttn 
Slrei§  ber  9iomantifer.  5luf  bem  fiatlieber  erfd^ien  er  nid^t 
tüie  ein  ^rofeffor,  fonbern  luie  ein  fransöfifd^er  ©eneral; 
er  fprad^,  tuie  loenn  er  etioa»  nid^t  fei^r  2Bic^tige§  fd^netl 
unb  nac^läffig   mittljeilte.     1)0»  tro^ige   ©eficlit,  ro^,  ebel 


Seticn.  237 

iinb  fraftüoll  mit  ben  Breiten  33adenfnoc6en  unb  ber  etlt)a§ 
aufgeluorfenen  9^afe,  bie  Karen,  mäd^ttgen  Stugen,  2llle§ 
wtrftc  be^errfd^enb.  'äU  «gteffenö  feine  erfte  S3orIefung 
über  9kturp:^iIofD^Ijie  l^örte,  hk  neue,  feine  ^^ilofop^ie, 
wo  er  öon  ber  9iot|iuenbtgfeit  fprad^,  bie  S^Jatur  au§  itjrer 
(Stnfteit  ju  faffen,  ^atte  er  ben  ©inbrucf,  aU  fte!)e  ber 
24 jährige  junge  99^ann  mutl^ig  bem  ganjen  ^eerc  ber  ot)n- 
mäd^tig  luerbenben  alten  3eit  gegenüber,  ba§  fid^,  etmaS 
|}Dlternb  unb  fc^impfenb  gtuar,  bod^  f^eu  üor  t^m  jurücf* 
§ie^e.  ?n§  er  einmal  fagte,  er  nJoHc  fid^  einmauern,  nm 
ununterbrochen  ^u  arbeiten,  fanb  Caroline,  er  fei  efier  ein 
ajJenfd^,  nm  9)Jauern  5U  bnrc^bred^en.  'äU  Wmxal  be* 
trachtet,  fagte  fie,  fei  er  ed^ter  ©ranit,  eine  Urnatur.  «Seine 
©egenmart  fonnte  burd^  i|re  Waä)t  faft  erfd^rerfen.  Stile 
bie  lueibtic^  empfängtid^en  9}Jänner  mit  i^rer  fRetjbarfeit, 
tf)ren  unenblidE)  öielen,  unenbtid^  öerfeinerten  ^been,  em- 
pfnnben  junöd^ft  frcnbig  erftaunt  unb  n)inig  bie  Uebermad^t 
feiner  befd^ränfteren  9J?änn(idf)feit.  5Utd^  f^id^te  föar  mit  i^m 
einüerftnnben.  (Sr  crfannte  an,  ba§  toenn  fein  ®ang  ft)fte- 
matifd;er,  ber  ©c^elling'S  genialer  fei.  ®o§  i^m  angeborene 
6iefü!§(,  5l[te§  5U  fönnen,  ma§  er  njotlte,  gab  ii)m  eth)a§ 
®iegreid^e§.  3>üeifet  famen  i()m  nid^t.  SSertrauenb,  über- 
fdötnengtid^  S^ingebenb  gegen  feine  f^reunbe,  "^a^te  er  blinb- 
Iing§  nnb  rüdfic|t§Io§,  bie  er  für  feine  geinbe  J)ielt.  SBiber- 
fe^ti(f)feit,  bie  auf  üoHfommener  ^ßerftänbni^tofigfeit  feiner 
naturpi)itofop|if(^en  (Srunbibeen  beruhte,  öertrug  er  nid^t. 
Slber  menn  man  beren  9iid^tig!eit  jugab  unb  auf  i^n  ein»» 
ging,  h^ar  er  nid^t  anfpruc^§üoH  unb  Iie§  aud^  anbre  gelten. 
Ueberljaupt  imponirte  il)m  bie  loeltmännifc^e  ®e»oanbt{}eit  ber 
umfaffenben  romantifd^en  ©eifter.  Sie  Ratten  ein  reicheres, 
feineres  Seelenleben  at§  er,  fie  tüaxtn  i^m  üoran  in  ber 
Kultur,  unb  er  fonnte  üiel  öon  tlinen  lernen.     Sa§  njollte 


238  2eben. 

er  and).  @g  |c|ien  tfim  unmöglid^,  ha^  e§  etiüa§  gäbe, 
lüotion  er  ntc^t  derfte^en  follte.  @o  tüarf  er  fic^  äunäc|[t 
auf  ba§  ©id^ten.  S(n  feinem  ®etft  fiel  ber  poetifc^e  ©d^tuung 
auf,  D|ne  baB  er  be§^aI6  ein  ®ic^ter  geiüefen  luäre;  er 
:probucierte  leidet,  ieboc^  „au§  bem  ^nnerften  reben"  tüte 
bie  9tomantifer  fonnte  er  nic^t.  5I6er  eben  biefe  ^ro=» 
buüione^luft  unb  =^raft  mad^te,  ha^  er  überjeugt  toor, 
e§  !önne  t(jm  ntd^t  fe|)(en,  luenn  er  nur  tüte  bie  übrigen 
bei  SBiIf)eIm  in  bie  ©d^ule  ginge,  um  iia^'  ^ed^nifd^e  be§ 
SSerfemad^en§  gu  Belüältigen.  Steffens  fjatte  einen  ©rää^IungS- 
ftoff  au§  feiner  norbtfd^en  ^nmat^  mitgebrad^t,  ber  tjiel 
2lnffang  fanb:  hk  ©efcEiid^te  be§  Pfarrers  bon  ©rottning. 
©anj  einfam  in  ber  9läi§e  eineS  untergegangenen  SDorfe§ 
lebt  ber  Pfarrer.  S^  ^^^  fommen  bei  Slad^t  eben  gelanbete 
grembe  unb  jtoingen  il}n,  in  ber  na|en,  t)om  glugfanb  faft 
üerfd^ütteten  ^ird^e  eine  2;rauung  ju  öoKjiefien.  9iad^bem 
bie  ^anblung  tJoKenbet  ift,  brängen  fie  iijn  au§  ber  ^ird^e. 
Schnell  fd^ifft  ha§  ganje  SSotf,  taS^  eine  unbefannte  ©prad^e 
rebet,  fid^  tüieber  ein  unb  fegelt  ah.  S)te  SBraut  finbet 
man  in  ber  ^ird^e  ermorbet.  5tl§  hk  (SJefpenftergefdEiid^tett 
anfingen  9JJobe  §u  tüerben,  meinte  Caroline,  fie  fönnten 
fid^  alle  mit  bem  Pfarrer  üon  Srottning  nid^t  meffen: 
„nad^  ber  ©efc^tc^te  fönnen  fid^  je^n  S;eufel  auf's  ®rab 
fe|en  unb  locfen  feinem  (J^riftenmenfc^en  ein  Streng  ah." 
(Steffen!  bearbeitete  ben  Stoff  bramatifd^ ,  Sd^eding  in 
S^er^inen. 

9Kit  Carotine  5ufammen  lernte  Sd^elling  beim  „^eiligen 
^ricbrid^"  Staiienifd^.  @r  n^ar  ein  tüd^ttger  Sd^üter;  trenn 
er  einmal  für  etmaS  Sinn  ^aht,  fagte  griebrid^,  fei  e§  un- 
bänbig  üiel.  UebrigenS  n^ar  griebrid^  i|m  nid^t  günftig. 
5Die  ©iferfuc^t  auf  Caroline'!  offen!unbige  Zuneigung  unb 
S3etüunberung  Wax  tvo^l  nic^t  bie  geringftc  Urfad^e.     „2So 


Setien.  239 

iDtrb  ©c^elltng,  ber  ©ranit,  eine  ©rainttn  finben?"  ^aik  er 
auf  ^aroüne'i^  S^ergleid^  geantloortet;  lüentgfteng  niüffe  fie 
boc^  üon  5ßaialt  fein.  S)ann  fd^tug  er  bte  Stapel  öor,  auf 
bie  er  (Stnbrucf  gemacht  ^abe.  5(ugen)ci^einltc^  U)olIte  er  ben 
gefährlichen  ©inbringting  fo  batb  tvk  mögttd^  unfd^äblic^ 
machen. 

Sn  ber  ÖJefeUfd^aft  macfite  Steffen^  meljr  ®Iücf  ar§ 
©c^eHing.  ©d^elling  war  fc^tretg|am;  er  fonnte  nur  I)arm- 
Io§  luftig  fein  unb  !inbli(^en  Unfinn  treiben  ober  fic^  ernft 
unb  grünblid^  unterhalten,  gür  ha^  ®eiftretc§e  ober  gar 
Sronifc^e  ^atte  er  fein  Drgan  —  er  befa^  feine  Urbanität 
unb  Siberatität,  ftiürbe  gtiebrid^  gefagt  §oben.  (Steffen^, 
ben  bie  @e§nfuc§t  nad^  ber  ^errlic^en  neuen  Silbung  nad^ 
^eutfd^Ianb  gejogen  ^atte,  njollte  5t(Ie§  fe^en,  fennen  lernen, 
mitmad^en,  genießen.  (£r  luar  tnic  ein  S3eU)o£)ner  einer 
bumpfen  t^abrifftabt,  ber  einen  Serientag  benutzen  mu§,  um 
auf  ein  ganjeB  Sttljt  SSergtuft  einsufaugen.  ©eine  ©mpfäng- 
lic^feit  unb  2lnpaffung§fäljigfeit  lüaren  of)ne  ©renjen.  ©ein 
S3Iut  loar  fo  feurig,  ha^  er  für  geluöljntic^  bie  Temperatur 
leiteten  gieber»  l^atte.  ^n  ftrengfter  SBinterfälte  ging  er 
einmal  ju  gu^  öon  ?^reiberg  nad)  S)re§ben  in  ©ommer»- 
fleibung,  o^ne  ha^  e§  i^m  ju  !alt  geirorben  Jnäre. 

(^reiberg  mit  feinen  SBergtüerfen  unb  feiner  5lfabemie 
fpiette  eine  gen}iffe  9iDlIe  im  Seben  ber  3?omantifer.  ®ort 
lehrte  SSerner,  ein  SJJann,  beffen  bamalä  epoc^emac^enbe 
2;^eorie  be§  9ieptuni§mu§  sttjar  längft  umgeloorfen  ift,  ber 
aber  burd^  feine  geu^altige  ^erfönlic^feif  einen  unöerge^Iicfiett 
(Sinbrurf  auf  UKt  mad^te,  bie  i^n  fannten.  ®en  5ttten  bom 
Serge  nannte  man  if)n  ttJO^t  ober  ben  S3erggeift,  ^ol^e 
®üte  unb  befonnene  ^tar^eit  lüaren  bie  |)auptsüge  feine§ 
(S^arafterS.  Sebe  Unffarfjeit  :^atte  etrt)a§  gerabeju  Seun- 
ru^igenbeä  für  it}n.     9Jot)ati§  nannte  ifjn  einen  ®oet^e  im 


240  SeBen. 

33eoBa(^ten.  2l6er  tüeti  er  etlüa§  fo  ganj  in  ftd^  3Ifige- 
fc§Iof[ene§  toar  unb  ein  fo  be!§errfc^enbe§  UeBergetütd^t  im 
(^tlptüä)  f)aüe,  fonnte  man,  nne  «Steffens  ergä^tt,  nur  ftienn 
man  fid§  t!§m  gang  ^higat),  au§  feinem  Unterricht  SSort^ett 
gießen.  @r  gehörte  ju  ben  beutft^en  9J?ufterdjara!teren  h)ie 
Sutfier,  ®ürer,  ^e|3ler,  gierte,  bie  griebrid^  aU  ^htal  auf»' 
aufteilen  liebte.  2)a§  SöerglüerfSleben  übte  großen  San^tx 
auf  bie  9iomantifer  au§.  „SBenn  toir  bie  f entrechte  Seiter 
^erunterftiegen",  erjälitt  «Steffens,  „menn  ba§  Slau  be§ 
|)immel§  burd^  bie  Deffnung  aHmälig  üerfc^tDonb,  njenn  ba^ 
gro^e  9iab,  burd^  toelc^e»  ba§  S^ageSrtiaffer  in  Semegung 
gefegt  irurbe,  in  bem  engen  getfenraum  neben  un§  feinen 
llmfc^föung  machte,  ba§  5tnfd^Iagen  ber  (Stocfe  einen  jeben 
Umfdöluung  bejeid^nete,  n^ätjrenb  um  un§  ^erum  uub  über 
uns  bie  Stropfen  ftiH  raufd^enb,  unabläffig  |ernieber  fielen, 
fo  tüor  uns  im  5Infang  feltfam  unb  tuunberlic^  ju  9Jiut|." 
'älud^  in  DioöaliS'  SBerten  Hingt  biefer  unterirbifd^-ge|cimni§- 
bolle  Xon  ^äufig  an.  Sein  niunberöoIIeS  9f{oman*e^ragment: 
bie  Se^rlinge  ju  ©a'iS  ift  ein  S^ieberfc^Iag  ber  ?^reiberger 
3eit.  Steffens,  ber  eS  fic^  gur  ?lufgabe  gemacht  !^atte, 
Sc^eding'S  5Ipoftet  5U  fein,  ^ielt  ben  Sd^ülern  ber  3lfabemie 
SJorträge  über  S^aturp^itofop^ie. 

3n  greiberg  lernte  S'JotinliS  ^nlk  bon  ß^arpenticr  fennen. 
(SS  mar  um  btefe  Qtit,  aU  er  fid^  ber  (Srbc  unb  bem  Seben 
mieberfc^entte,  ba^  er  mit  ben  9tomantifern  in  ^ma  in 
häufige  perfönlic^e  Serü^rung  !am.  ^ud^  er  alfo  mar  in 
ber  blüf}enben  ^^rü^IingSftimmung,  bie  bitter  ©afein  bort 
mit  einem  fo  ^offnungSöolIen  ©lanj  nml^üHte.  „©enfen  Sie 
fid^  nur  unfern  ^räd^tigen  ^reiS",  fc^rieb  er  an  Caroline 
über  ben  ^fan,  bafe  fie  51lle  nad^  feiner  5?ermä£)(ung  unter 
einem  SDad^e  leben  unb  eine  ^^amilie  bilben  moHten.  „55or 
bem  ^al)xe  ftanben  B^^cl  nod^  fo  tjerloaift  t)a.    (Siner  fd^ien 


Scbeit.  241 

auf  glü^cnbem  33oben  ju  flehen.  @r  fa^  fic^  immer  um 
unb  tüer  luei§,  iüa§  ein  ^ellgef(f)ltffene§  ?tugc  oft  über  i§m 
bemerft  f)a6en  Juürbe.  ^e^t  Ijebt  i()n  eine  freunblid^e  ®e= 
ftalt,  luie  eine  ^abe  öon  oben,  iuei^enb  unb  banfbar  in  hit 
^öf)e  unb  ein  irbifdjer,  erquicfenber  ©d^tof  f^at  fein  5(uge 
für  eine  anbre  Sonne  mieber  gefd^Ioffen.  Stlfo  5urücf  in'§ 
Sanb  ber  träume  unb  nun  mit  OoHer  Seele  hd  @uc|,  treff= 
Itc^e  5D?itfci^Iäfer."  ^orot^ea  befi^reibt,  tüa^  für  ein  @r- 
eigni^  eö  loar,  al§  fie  i^n  ba§  erfte  Tlal  fe^en  foKte. 
3lüifc^en  itim  unb  xi)t  gab  el  freiließ  nic^t  biet  ®emein= 
fame§:  er  mag  i^r  ju  ätfierifd^,  fie  il^m  §u  finnen^aft  ge- 
toefen  fein.  „®r  fie^t  aber  »yie  ein  (^eifterfe^er  au§",  fc^rieb 
fie  ©d^teiermac^er,  „unb  I)at  fein  ganj  eigenes  SSefen  für 
fid^  attetn,  ta^  mu^  man  it)m  laffen."  (Sä  erregte  (Sifer- 
fud^t,  ba^  er  Sied,  ben  er  je^t  erft  fennen  gelernt  fiatte,  fo 
fic^tlid)  beoorjugte.  ^n  ber  ^oefte  öerftanben  fie  einanber 
am  beften.  ®a§  ftörte  boc^  bie  ©intrai^t  ber  jungen  9)Mnner 
im  Jansen  nic^t.  5(benb§,  ja  bi§  tief  in  bie  ^Jtac^t,  fd^luärmten 
fie  über  bie  .f)ö§en  öon  ^ena,  in  enbtofen  ®ef|3rä(^en  unb 
3ufunft§träumen  fid^  beraufd^enb. 

©{^(eiermad^er  ftanb  gtoar  nur  in  brief(id^em  $ßerfe|r 
mit  ben  j^reunben,  oon  benen  er  nur  2öenige  perfönlid^ 
fannte;  aber  feine  Sieben  über  bie  SfJeligion  öerfc^afften  if)m 
"ba^  Bürgerrecht  in  ber  5Romantifer-9tepubIif.  „®a§  ß{)riften- 
ttjum  ift  ^ier  ä  l'ordi-e  du  jom-",  fc^rieb  2)orot[)ea,  „bie  Ferren 
finb  ctioaS  toll.  Sied  treibt  bie  Üiciigion  n^ie  ©dritter  bal 
©d^idfat."  9JoüaIiy  unb  ^Ritter  ^atte  er  fid^  mit  biefem 
Sud^e  ganj  gewonnen.  5)iefe  S)rei,  ©d^Ieiermad^er,  9Jot)ati$ 
unb  Slitter,  betrad^tete  SDorotfiea  neben  fid)  unb  i^rem  griebrid^ 
aU  bie  eigentüc^e  fiirc^e  gegenüber  ben  Söeltleuten  SBil^elm, 
ßaroline,  Sied  unb  Slnbern.  ^Ritter  mar  ein  tieffinniger, 
in  fid^  jurüdtrie^enber  Sräumer.    SBenn  man  ben  bunflen 

§uc^,  Momantifer.  16 


242  Seben. 

SC3eg  in  bie  ^''ö^^e  fetne§  Qnnern  fanb,  seigte  fie  fic^  öetter 
unb  ergiebig;  um  fetbft  @tma§  aufsufud^en,  war  er  ju  ein- 
feittg  unb  5U  mtfetrauifcJi.  2öa§  er  nn  S3Ubung  Befa^,  ^atte 
er  fid^  felbft  Ipät  erfämpfeu  muffen;  "üa^  mad^te  i^n  unfid^er 
in  ber  ©efellfc^aft;  bie  ©riunerung  an  eine  f)arte  Sugenb 
ftimmte  i^n  feinbfeltg.  Caroline  fa^  er  nie;  bie  greunbe 
t)erfi(^erten,  er  mürbe  mit  i^r  iDcber  reben  fönnen  nod^ 
mögen.  Um  fo  jutrautic^er  mar  er  gegen  ®orDt|ea,  bie 
üon  i^m  fagte:  „^ä)  fann  ^Ritter  mit  9^icf)t§  öergleic^en, 
oI§  mit  einer  eleftrifd^en  geitermafc^ine,  an  ber  man  nur 
bie  ftille  ^ünftlicfifeit  bemunbert  unb  eben  9iic^t§  gleich 
ma|rnimmt  al§  ha§  Hart  Straffer.  SBer  fie  aber  öerftef)t, 
bringt  auf  ben  leifeften  ®rud  eine  fc^öne  flamme  l§eröor. 
Uebrigen§  ift  er  auc^,  mie  ber  erfte  33rief  ber  Sucinbe, 
(Schelmerei  unb  5lnbad^t  unb  (Sffen  unb  @ebet,  2lIIe§  burd^ 
einonber." 

(Sine  Zeitlang  mürbe  bie  ^agb  auf  gröfdje  allgemein, 
ba  er  grofc^fc^enfel  aU  eiettroflop  benu|te,  moran  m^^ 
Iebl)aften  Slnt^eil  na^m.  Sie  9?aturmiffenfc^aften  moren 
bamal§,  at§  fo  öiele  mid^tige  (gntbedfungen  einen  3tu§bli(f 
in  eine  gan^  neue  5lnfd^auung§me{fe  eröffneten,  \)a§>  ©tecfen- 
pferb  faft  aller  ©ebilbeten.  ®ilettantifc^  genug  mag  biefe§ 
Sntereffe  gemefen  fein,  hod)  bemeift  e§  bie  geiftige  9f{egfam- 
!eit.  ©teffen§  baute  fid)  einmal,  ba  er  gerabe  eine  gro^c 
©elbfenbung  öon  gu  |)aufe  befommen  l^atte,  eine  S3Dlta'fd^e 
©ante  au§  S^alern  unb  §atte  feia  ^tmmer  faft  ben  gangen 
Sag  öoH  oon  Sefuc^ern,  bie  fic§  öon  i^m  (Si-perimente  geigen 
liefen;  and^  gatilreid^e  Samen  maren  barunter,  ©eiir  ernftlid^ 
befrfiäftigte  fic^  Henriette  .^er^,  burc^  if)ren  Wann  angeregt, 
mit  ^f)^fif.  Sänge  9fad^mittage  brachte  fie  mit  ©c^Ieier- 
madEier  Ui  ;3£)t)fifatifdf)en  (Sj;perimenten  gu;  bem  nad^maligen 
Ä^önig  griebric^  SBil^elm  IV.,  ben  fein   ©rgie^er  aU  etma 


Scticn  243 

fünfjäljrigen  S^naben  511  biefcm  3'ufi^f  ä"  t^^  führte,  mad^te 
fie  (Si-penmentc  mit  ^^o§p^or  öor. 

®te  ©enialttät  don  9tttter'§  imlurtuiffenf^aftlirfien  Set* 
[tungen  tuitrbe  in  ber  golge^eit  unterfc^ä|t;  niemals  nju^ste 
er  feine  (Sntbedungen  jnr  ©ettnng  311  bringen.  ®a§  ^rtnjip 
ber  SSoIta'fc^en  ©äule  5.  93.  ^atte  er  jtüet  ^aEjre  öor  SSoIta 
entbedt.  ®a§  feine  5a(jlrei(^en  unb  bebentenben  SSerbienfte 
um  bie  (Snttuidelung  ber  $f)Qfif  fo  öerftecft  blieben,  fdireiben 
tit  neueren  SSertretcr  biefer  SBiffeufc^aft  bem  Umftanbe  ju, 
'Da^  er  feine  93eobad^tungen  gnnj  in  p^iIofopI)ifd^-ml)ftifd^e 
Segrünbungen  geljüllt  oortrug.  3Senn  nun  reine  ©mpiri! 
immer  leidster  fa^Iic^  ift  für  bie  meiften  äJienfc^en,  fo  er= 
fd^Uieren  bie  ^been  öoHeubS  bie  allgemeine  5lnnat)me  neuer 
(Sntbecfungen,  UJenn  fie  au§  einem  trüben,  öeriüorrenen  ^opfe 
fonimcn.  Unb  9ftitter'§  Ofetgung  jur  9Kl)fiif  fc^eint  aud^  in 
einer  geiüiffen  Unftartjeit  feinel  S)enfen§  begrünbet  gelüefen 
ju  fein.  5)en  9iomantifern  unb  Söealtften  öon  bamal§ 
machte  gerabe  bie  ^Ijilofop^te  feine  SBiffenfc^aft  erft  rec^t 
iuert§.  „9iitter  ift  9?itter  unb  ftiir  finb  feine  knappen", 
fagte  9bnati§.  $öon  Slnbern  tuirb  biefer  Stugfprud^  ©oetl^e 
jugefdjrieben. 

®oet()'e!  Sa,  er  roav  bie  |)ouptperfon,  obnioljl  er  nur 
in  ber  gerne,  im  ^intergrunbe  tt)ie  ein  geiualtigeS  93erg{}aupt 
tfjronte.  2tuc^  er  l^atte  ettoaS  9iiefenf)aftey  unb  Sm|3onirenbe§ 
unter  biefer  ftetpiütigen  ^ugenb,  n)ie  gii^te.  3lber  um  i^n 
tankten  fie  l^erum  wie  bie  erften  jünger  ber  3fteöoIution  um 
bie  grei^eitäbäume  ober  mie  ^inber  um  bie  2öei()nad^tltanne. 
9?utjeüoII  ftanb  er  in  ber  SO^itte  unb  lie^  fid^  mit  ©olb  unb 
glitter  behängen,  o^ne  ein  anbre§  Seben§seic£)en  gu  geben, 
al§  etlpa  ein  getinbe§  9Zirfen  ober  ein  njol^tmollenbe^,  ^umo= 
riftifd^e§  2ä(^etn.  51ber  fremb  mar  er  i^nen  nid^t;  fie  lüu|ten, 
luie  ber  fc^öne  33aum  im  SSatbe  raufd^en  fonnte,  unb  tv\e 

16* 


244  yeben. 

ba  bie  freie  Suft  unb  ha§:  2«albe§get[)ter  burd^  feine  ftarfen, 
immer  grünen  B^ueige  ftreifte.  S5?al  für  ein  ©reigni^  wax 
e§,  aU  an  einem  ^erbfttage,  ba  bie  ©d^tegel,  Sorot^ea  unb 
Caroline  nebft  ©c^eUing  unb  ^arbenberg  im  ^arabiefe  bei 
Sena  fpajieren  gingen,  (äoetlje  felbft,  „bie  alte  göttlid^e  (Sg- 
celenj",  com  Gebirge  |erabgelüanbett  !am.  (Sr  begrüßte  bie 
©efeUfc^aft  f)öflic^ft  unb  machte,  tting  2)orDt^ea  fic|  glücffelig 
notirte,  „an  ?^riebrid^  ein  augjeid^nenbeS  (Sefidjt".  ^m 
(iJefü^I,  ha'^,  »Denn  er  fic^  ie|t  langweile,  2ltle§  gefehlt  fei, 
fa^te  fie,  bie  SBortreid^e,  fid^  ein  ^erj  unb  fing  ein  (S^efprädö 
über  bie  rei^enben  (Ströme  in  ber  Baait  an,  tüorauf  er 
freunblid^ft  einging  unb  fie  angenef)m  unterrid^tete.  SDian 
mufete,  ha'!^  bie  9fJaturlt)iffenfd)aft  feine  2ieb[)aberet  tüar. 
2)ie  ^orputenj  feiner  (grfc^einung  enttäufd)te  ©orot^ea  ein 
ttjenig;  er  fteUte,  fanb  fie,  nic^t  Staffo  ober  SBert^er,  fonbern 
^ermann  unb  9JJetfter  bar. 

2Bie  in  '3iom  ben  ^a|3ft,  mu^te  man  in  Zs^na  bor  allen 
SDingen  ©oet^e  gefe|en  Ijaben.  9J?it  (eibenfd^aftlid^er  Un= 
gebulb  Ijatte  Steffens  nac^  feinem  5lnbticf  öerlangt.  ©§  fügte 
fid^,  aU  er  i|m  nun  ba§  erfte  9JiaI  in  ®efellf(^aft  beim 
ißud^^änbler  grommann  begegnete,  ba^  ©oet^e,  mit  'Jtnbern 
befc^äftigt,  i§n  nic^t  beac£)tete.  Steffen^  gab  ftc^  SJJül^e, 
biefen  furchtbaren  5)iieberfd^Iag  feiner  glü^enben  Hoffnungen 
ju  öerioinben;  aber  obgleid^  er  fid^  ®oet^c'§  SSort  öorfjielt: 
luenn  ic^  bi(^  liebe,  loa§  ge^t'§  bid)  an,  unb  auc^  fortfuhr 
t^n  5U  lieben,  rtar  e§  boc^,  loie  toenn  i^m  (£ttüa§  entgtüei 
gegangen  märe.  2tt§  ©c^tegers  i^m  gu  ^ülfe  famen  uub 
i|n  SU  einer  ©efeHfc^aft  einluben,  too  ©oet^e  erfd^einen 
füHte,  leljnte  er  tro^ig  ah.  5ßalb  barauf  aber  tuurbe  üom 
5tnatom  Sober  eine  S^eaterauffüljrung  5ur  geier  üon  ®oet§e'§ 
Geburtstag  oeranftattete,  loo  ©tcffenS  mitfpielte.  ®oet:^e 
leitete  fetbft  bie  ©eneratprobe,  Unirbe  auf  Steffen»  aufmerffam 


Gebell.  245 

unb  rebete  t^n  fremiblid;  an.  ^m  &t\piäd}  ergaben  fic^ 
balb  ?tnfnüofung»pun!te,  ©oet^e  naijm  ben  Sefeligten  mit 
fic^  unb  betitelt  t^n  eine  Bod^e  in  23eimar.  ©oet^e  liebte 
ben  Umgang  mit  3iaturfunbtgen  befonbcrg.  ^on  i^nen 
fonnte  er  lernen,  unb  er  tnar  hi^  in  fein  ^ol^eS  5Uter  ütel 
511  jung,  5U  naiö  unb  ^u  luenig  eitel,  um  2)iejenigen  üDr= 
jujietjen,  bie  nur  bon  i^m  lernen  fonnten.  SDer  arme  !(eine 
©rie»,  für  ben  ©oct^e  eine  (Söttercrf(^einung  luar,  beren 
leifefler  freunblid^er  2Sinf  fein  einfames  ©tübc^en  mit^immeB- 
glanj  erfüttte,  mu^te  fic^  mit  heu  furjen  gütigen  ^Kaufbriefen, 
bie  aU  2Intiüort  auf  feine  Ueberfe^ungen  eintiefen,  begnügen, 
njä^renb  ©c^eHtng  ein  ermünfd)ter  unb  oft  gelabener  ©aft 
in  SBeinmr  irar.  «Sc^elling  lüar  ®oet§e'§  Siebling  unter 
ben  9^omantifern.  ©r  allein  l^atte  nic^t  biefe  neroöfe,  fein= 
fü^Iige  Steijbarfcit,  bie  @oet:^e  fremb  n^ar,  auä)  ni^t  bie 
etioa»  beäugftigenbe  S3eref)rung,  bie  man  nur  für  «trt)a^  ber 
eigenen  9^atur  ganj  (Sntgegcngefet^te§  empfinbet.  ©rfielling 
liebte  unb  öere^rte  ®oet^e,  aber  etiua  tuie  einen  SSater,  ju» 
Irautid^  unb  fröblic^,  unb  fieser  in  bem  ©efü^I,  auc^  (Stiua§ 
ju  fein  unb  auc^  feine  (Sroberungen  ju  machen.  ?^ür  feine 
92aturp^iIofop^ie  ^atte  er  ©oet^e  fc^nell  geiiionnen.  @ie 
I)atte  eigentlich  immer  in  itjm  gelegen.  S)a§  ftjar  „geprägte 
gorm,  t)it  lebenb  fic^  entiuicfelt".  ©a§  luar  i§m  gemäßer 
qI§  gi(^te'§  tobte  2tbftroftion.  Slber  Sc^eIIing'§  terfeg  ^umo- 
riftifc^=naturp|iIofopt)if(j^e§  ©ebid^t:  @pi!uriic|  ®Iauben§- 
befenntnife  |)ein5  2Biberporften§  berbannte  er  boc^  au§  bem 
^tt^enäum.  Ueber^aupt,  obmof)!  er  fic^  aufrieben  erinnerte, 
bafe  er  ficf)  nun  aud)  frfion  eine  ftattlicfie  9\ei^e  bon  Qa^ren 
in  ber  Dppofition  befinbe,  roar  i^m  boc^  bie  unermüblic^e 
5tngriff§Iuft  feinet  |)eere»  bon  |)ei^fpornen  juiüeiten  einmal 
ungemütt)lic§. 

5ür  fie  ttjar  ber  Sampf  bie  t)errlid^fte  Söürje  be§  Sebenl. 


246  Seben. 

2)te  alte  3eit  ^^tte  auä)  i^re  2?ertreter  in  S^na  —  atier 
btc  S^Dinauttfer  fampften  mit  bem  @efü|I,  bo§  ifjuen  bte 
^ufunft  gel)örte.  2)a§  gab  t^nen  bie  Srafi,  ben  Uebermut^ 
unb  bie  (Sroßlerjigfeit  gefeiter  Sieger..  Slleinlic§  lüoren  fie 
nicfit.  ZxD^  ade»  ^erjöitlid^en,  ha^  nie  ganj  fe^It,  tt)ar  e§ 
i^nen  bo(^  öorjüglic^  um  bie  ©ac^e  §u  tf)un.  2)ie  eigent- 
licEie  ©treitmac^t  beftanb  jtoar  nur  ou§  2BtU)eIm,  grtebrid^ 
unb  ©(fietling.  ©(^eHing  ftür^te  [idj  mit  jungenhafter 
SBonne  in  ha^  ©etümmel;  man  fielet  i^n  förmtid^  3lermet 
unb  SJiand^etten  gurüdftreifen.  SBiltjetm  ^ielt  guiueiten  für 
nöt^ig,  i§n  auf  feinfte  SBeife  jur  Urbanität  ju  ermahnen. 
%nä)  ©d^Ieterma(^er,  tütnn  i^m  einmal  ein  Soften  angeiuiefen 
tvax,  fonnte  feine  ©egner  öernicfiten,  mit  fpi|en,  fd^arfen, 
unentrinnbaren  SSaffen.  S^on  9?oöaIi§  abgefeljcn,  ber  fic^ 
gar  nicf)t  betfieiligte  —  benn  über  biefen  ^leinfrieg  bid^t 
tjor  \i)m  fa^en  feine  lüeitfic^ttgen  5tugen  U)eg  —  lüar  2iecf 
ber  ©äumigfte.  ©atirifd^  mar  er  \ool]i;  aber  er  loar  ^ 
fc^r  ®i(i)ter,  um  nid^t  2l(Ie!§,  nud^  ha^  ©eringfte,  maS  er 
^erüorbrac^te,  poetifd)  einfleibeu  ju  muffen.  2)a  milberte 
fid^  benn  lüö^renb  be§  er^eiternben  ©d^affen§  bie  (Sntrüftung 
unb  feine  jjeinbe,  bie  er  ^ätte  beMmpfen  folten,  würben  t^m 
unter  ber  §anb  ju  puppen,,  mit  benen  er  fpielte.  SBitt)eIm, 
ber  ftet§  bie  ^anh  am  ©cfiipertgriff  ()atte,  fonnte  bitterböfe 
barüber  werben,  roä^renb  fein  beftäubigeS  treiben  luieberum 
%kd  rebeHifc^  mad^te.  ©inmal  trat  aber  auc^  Siecf  enevgifd^ 
oorfömpfenb  auf,  aU  in  Serlin  ein  ©tüd  5ur  5luffüt)rung 
fam,  in  bem  bie  9?omantifer  läd^erüc^  gemad)t  werben  feilten. 
®cr  SSerfaffer  ber  ^omöbie  ^ie^  S3ecf,  ta^,  ©tue!  felbft:  ha§ 
Sfiamäfeon.  2Ba§  Xkd  am  SJieiften  reifte,  war,  hd'^  Sff^an^ 
barin  bie  StoHe  be§  fc^Iid;ten,  aber  reblic^en  33iebermanne§ 
übernommen  !^atte,  ber  bie  ß^arnfterlofigfeit  ber  feid^ten 
©d)öngeifter,    bie    burc^    ©cnieuäcn    au§    ben    SCvrfen    ber 


Seben.  247 

9?ouianttfer  tenntüd^  gemacht  luarcn,  in  befto  fettere? 
£ic|t  fe|te. 

®a  Sff^ö"^  ^*c  ©ejic^ung  unb  hm  ^^üed  bc§  ©türfe§ 
fcnncn  mu^te,  glaubte  Zkd  t^n  al§  mitfc^ulbtg  an  bie[er 
öffenlttd^eii,  übrigen^  fe^r  get[t(ofen  SSerfpottung  an[et)en  ju 
mü[fen.  5luf  Stccf'g  31nflage  i^in  enlfc^to^  fic^  bie  23erliner 
^oltjei,  bic  SBieberauffü^rung  be§  Stücfe»  ju  öerbteten. 

^ie  Siomantifer  Ratten  haS^  ©lücf,  ba^  bie  SOiacfitüerfe 
i|rer  ©c^ner  fid^  burc^  ermübenbe  ©eijllofigteit  auS^eictineten. 
2)er  SBt^  beftanb  faft  immer  barin,  ta^  in  ber  betreffenben 
^offe  ober  Grjätjlung  einige  ru!^mrebige  8cötüä^er  üou  offen» 
barer  Diic^tigfeit  auftraten,  benen  jufammen^angSfog  I)erau»- 
gegriffene  unb  ba^er  finnlog  erfd^einenbe  ©teilen  au»  bem 
Stt^enäum  ober  anbern  öielgelcfenen  Schriften  ber  S^omantifer 
in  ben  Tlunh  gelegt  tnaren.  jDer  '5Uiffüf)rung  Oon  ^'oljebue*!§ 
|)l5perboräifcl^em  (Sfel  in  Seipjig,  momit  befonberS  bie  Vorüber 
©djiegel  üerfpottet  luerben  foUten,  lüo^nte  griebrid;  felbft  bei. 
S)er  iRame  beruht  auf  ber  ©age,  bn^  bie  .^tiperboräer  bem 
5(pono  einen  (gfel  ju  opfern  gepflegt  l^ätten,  an  beffen  tollen 
©prüngen  fic^  ber  (Sott  geiueibet  fjabe.  @y  luor  eine  ber 
lieben^luürbigen  (Sigenfd^aften  5riebrirf)'§,  ha^  er  über  einen 
guten  2Bi^  oui^  bann  oon  ^ergen  ladete,  luenn  er  auf  feine 
eigenen  Sloften  gemacht  luar.  |)ier  luar  aber,  tvk  fic^  Carotine 
auSbrücfte,  „platterbiug»  fein  2Bi^  a(§  ben  ©d^Iegers  it)r 
eigener."  2)er  SSeifatI  ber  einficfjtigen  ^ufdjauer  galt  benn 
auc^  burc^aug  i[}m,  ber  rubig  unb 'Reiter,  burc^aug  toürbig, 
au§  feiner  Soge  bem  ©peftafel  ^ufa^. 

2t(Ie§,  ioa§  hit  Siomantifer  gegen  ^o|ebue  auf  bem  ^erjen 
Ratten,  fa^te  SSilljelm  jufammen  in  ber  f (einen  Slomöbie: 
6f)renpforte  unb  2:riumpIjbogen  für  ben  Sljeaterpräfibenten 
öon  ß'o^ebue  bei  feiner  geljofften  'äMUiji  in'l  ^aterlanb. 

2;ie  ©cenen,  too  bie  üerfdjiebei;en  ^I;eatergeid)üpfe  ^o|e= 


248  Seben. 

bue'g  lid)  üerfammeln,  um  au^jujieljen  unb  tliren  9Jlet)"ter  au§ 
ber  nifi'ifc^en  SSerbannung  gu  befreien,  finb  nod^  je^t,  ino 
ba§  5elbgefd;rei  üerflungeri  unb  ber  Streit  längft  entfdjteben 
t[t,  überaus  er|eiternb  ju  lefen.  ®er  leichte  93au  ber  gangen 
trüntjdjen  ^omöbie  bleibt  immer  §u  beluunbern.  Un§  [tört 
im  S3erlaufe  bte  ^ä^tid^e  Sü[tern!^eit,  bie  Söil^etm  t)ier  ötel- 
leidet  jur  K^arafteriftif  feinet  .fielben  für  angemeffen  Ijielt; 
tk  übrigens  bamalS  S^iiemanbem  anftö^ig  geioejen  gu  fein 
fd^eint.  SDaS  ©atjüden,  ba^  biefer  „^i^ufc^  unb  Srpmpeten= 
fto§  be§  2Bi|e§"  erregte,  lä^t  fic^  !aum  noc^  begreifen. 
S)te  ^inber  in  ben  be!annten  (Familien  fangen  «Stellen  au§ 
ben  eingelegten  Stebern,  griebrid^  gingen  neue  Sid^ter  über 
ha^  Suftfpiet  auf,  ®oet§e  luar  fo  beluftigt  unb  gufrieben, 
baB  ©c^eHing  behauptete,  SdjiHer'S  gange  poetifc^e  Saufba^n 
'i)abe  i|m  ntc^t  fo  oiel  HJJitfreube  abgelodt.  ^  ^a,  nid^t  o^ne 
©enugti)uung  erfutjren  bie  Sfiomantifer,  iia^  felbft  ©dritter 
fid^  beifällig  über  bie  (Sf)renpforte  geöu§ert  ^abe.  Caroline 
I)ätte  alle  Urfai^e  gel^abt,  öon  ^o^ebue  luie  früher  öon  $D?erfeI 
§u  fagen,  er  fei  „ein  geliefertes  Ungeheuer". 

Sc^mergtiaft  tnaren  fold^e  Eingriffe,  bie  üon  greunben 
ausgingen,  auf  bie  man  glaubte  red^nen  gu  bürfen.  §uber, 
mit  bem  Caroline  feit  ben  2)?ainger  Stagen  bcfreunbet  mar 
—  jet^t  Juar  er  mit  X^erefen  öer£)eirat§et  —  ^atte  unter  bem 
fentimentalen  SSorlranbe,  ben  greifen  SBielanb  tjertf^eibigen 
gu  muffen,  einen  mit  freuubfc^aftlid^  fc^onenber  Salbung 
gefd^riebenen,  aber  beSiüegen  nur  umfome|r  als  Ijämifd^  em- 
pfunbenen  SIrtitel  gegen  SBittjelm  üeröffcntlid^t.  Caroline, 
tit  bamalS  fdjon  nt(^t  me£)r  mit  Siebe,  aber  befto  aufrid^tiger 
mit  famerabfd^aftlic^er  ^reue  i^rem  SJianne  gur  Seite  ftanb, 
fd^rieb  barüber  einen  langen  93rief  an  §uber,  ben  man  nic^t 
o^ne  2Bo^IgefalIen  an  i[)r  luie  an  SBil^etm  lefen  fann.  So 
et^rlid^,  gerabe,  fraflt)on,  ftolg  unb  bodj  billig  ift  bie  Sprad^e, 


2cba\.  249 

bte  fte  füf)rt,  ja  Bei  aller  .s3erbf)eit  ntd^t  oi)ne  bie  SSärnie, 
bte  SIHeS,  \va^  oon  i^r  ausging,  umftrümte.  „^dj  fenne 
©d^Icgel",  fd^rteb  fie  in  biefein  ©riefe,  „id)  bin  tvit  Oon 
meinem  Seben  baoon  überjeugt,  ha'^  ind)t  ber  ©(Ratten  einel 
perföntic^eu  ;icharaement  in  i^m  ift.  .S^")at  er  \id)  benn  ni(^t 
ade  biefe  getnbe  erft  gemad^t?  ®ie  ^(attl^eit,  bie  S^nffität, 
bie  Unpoefie  ift  iljm  in  ben  3;ob  jmoiber.  SSerfofgt  man 
bte  Sac^e,  fo  ge^t'g  bann  aud^  gegen  bie  ^erfon.  S[t  nid)t 
SSieranb'§  ^oefie  2Bietanb'§  ^^erfon?  mn  ^^rioatleben  eine§ 
fotc^en  DZenl'c^en  mlrb  fi(^  (Sc^tegcl  nie  oergreifen  —  er  felbft 
h)irb  \id)  berglei(f)en  loa^rfd^einlic^  gefallen  laffen  muffen. 
^d)  fenne  ÜZiemanb,  ber  ba§  ruljiger  jn  ertragen  im  ©tanbe 
tväu.  ©ein  ganser  ©eift  ift  Oorioärt§  geridjtet,  ber  äüiber* 
ftanb  fann  i^n  nur  me|r  beflügeln." 

S)en  grauen,  ®oxotfjea  wk  Caroline,  fam  e§  juweilen 
ptö^Iid^  in  ben  ©inn,  t^a^  bie§  gänjtid^e  Slufgetjen  i|rer 
männlichen  ^^reunbe  in  öfl^etifcfjen  ober  fage  man  »uiffen* 
fc|aftlid^en  Sntereffen  etlnaS  (5infeitige§  unb  UngefunbeS 
i)abe.  „'^ijx  reoolutionären  9}?enfcf;en",  fcf;rieb  S)orot^ea 
einmal  an  ©d^Ieiermac^er,  „müßtet  erft  mit  ®ut  unb  SBIut 
fed^ten,  bann  !önntet  i^r  um  augjuru^en  fcEjreiben  Juie  &'ö^ 
Oon  33erlic^ingen  feine  Seben§gef(^id^te."  Unb  Carotine, 
nac^bem  fie  gemol^nt)eitSgemä§  ber  deinen  Slugufte  bie  lile* 
rarifd^en  Sage§nenigfeiten  berichtet  Eiatte,  fu^r  fort:  „S)odö 
blcfe  ^änbcl  gelten  hid)  md)t§  an,  bie  3tuffen  unb  93uo- 
naparte  aber  oiel."  (Sine  fo  lebhafte  -t^eitna^me  an  ben 
potitifd^en  ©reigniffen  toar  fdjon  feiten;  eine  anbre  aU  rein 
foSmopoIitifc^e  ^tnfid^t  burfte  man  OoIIenbS  üon  S^iiemanbem 
ertoarten.  gotgenberma^en  fc^rieb  ber  junge  SSadenrober, 
ein  S3erliner,  an  feinen  f^reunb  'Umt:  „SSa§  hjitC  man  benn 
in  unfern  Reiten  mit  biefer  SSatertanb§Iiebe.  ®oc^  fdieint 
je^t  eine  geunffe  SJiobe  barin  5U  t)errfd)en.    ©emeine  @d)ul= 


250  Seben. 

Iet)rer  fd^einen  tütrfüd^  31t  glauben,  ia'iß  [ie  luer  iüet§  tüic 
grüße  gortfi^rttle  in  ber  ^äbagogtf  gemacht  (jaben,  ttjenn 
jie  i()ren  ac|tjä()rigen  Knaben  je^t  bie  33ranbenburger  ®e^ 
jd^tc^te  aU  ©efc^ic^te  bei  SSoterlanbeg  rec^t  Jüeitläufig  er» 
gä^Ien.  Gin  S3ürger  ober  fonft  einer,  ber  nic^t  @elej)rter 
nperben  tt)ill,  braucfit  hcd)  tua^irlid^  in  unfern  Stikn  im 
(Srunbe  bie  öaterlänbif(^e  ®ef(f)tdjle  fo  lüenig  a(§  eine 
anbre,  unb  e§  luürbe  nacEi  meiner  SJJeinnng  aljo  5tDecf= 
mäßiger  fein,  menn  man  irgenb  eine  intereffante  ®e= 
fc^t(^te,  oi^ne  3tücf|ic^t  ob  biefe»  ober  jene»  alten  ober  neuen 
SSoWe»,  in  unteren  ©deuten  Dortrüge." 

Sine  Ieibenfd)aftlic^e  Qkhe  für  beutfdjeS  SBefen  tvax  aber 
burc^  biefen  SJJangel  an  bem,  rva§  man  unter  ^otriotiÄmug 
üerfte^t,  nidf)t  auSgefd^Ioffen.  Tlan  treifi  jo,  ba^  hk  2öiffen=> 
fc^aft  ber  ©ermaniftif  au§  ber  $Romantif  I)erau§  entftanben  ift. 
9Iber  eben  im  germanifc^en  Söefen  fanb  man  einen  eng^erjigen 
5lbfd)lu^  gegen  anbre  SSöIfer  nic^t  begrünbet.  ^Der  (Sinsclne 
—  fo  tDCLX  e§  üon  jelier  geioefen  —  liebte  feine  Unab^öngigfeit, 
aber  foiuoljl  bem  eigenen  )üie  fremben  Staaten  gegenüber. 
„SDentf deficit  ift  ^oSmopoIitiemu»  mit  ber  fiöftigften  ^ubioi» 
bualität  gemifdjt",  lautet  ein  5tu§fprud^  Don  ^codoU». 

2tl§  ba§  ©d^iuerterfürren  fo  naöe  an  ^eno  J)eranrürfte, 
ha^  eg  nidjt  me^r  ju  überhören  gen^efen  luäre,  i^atte  fic^ 
bie  ^iri^e  fd)on  aufgelöft  unb  jerftreut.  DJtürbe  «Stellen 
loaren  Don  Stnfang  an  tu  bem  S.inbe  geluefen,  ta^  il^re 
©lieber  üerfnüpfte;  aber  i^rer  ^atte  man  nidjt  gead^tet,  ba 
e§  im  ©anjen  feft  genug  fd^ien.  Se^r  fdjunertg  luar  ha§ 
58erEjäItni^  jiüifdien  Caroline  unb  jDorotljea.  ^orot^ea  luar 
ber  Don  iljrem  3}Janne  fo  überaus  :§D(^gefdjä^ten  ©d^iimgertn 
mit  glü^enber  33elyunberung  —  lüenn  auc^  nidit  o!^ne  !^cim* 
lic^e  (Siferfuc^t  —  entgegengetommen.  ^k  nmjiDoIle  9Ru^e, 
mit  ber  Caroline  itjrem  5ieiinbf(^aft5ÜberfaII  begegnete,  er- 


Seben.  251 

jd&ien  iJ)r  fa(t  unb  |erä(o§.  Selbe  aber  waren  ju  fdig,  um 
bem  Snfiitt^t  gur  5tbnetgung  of)ne  2öeitere§  9taum  ju  geben. 
S)orot{)ca  bemunberte  bie  S"9enblic^feit,  bte  [id^  Caroline, 
mit  i[}r  gleichaltrig,  beiua^rt  i)atte,  if)re  ^äu^Iic^en  Sugenben, 
bie  ©eiuanbt^eit,  mit  ber  fic  geräufc^Io§  ben  großen  |)au§t)alt 
füEirte,  i^rc  ©erecfjtigfeit  —  bie  für  ©orot^ea  freiti(^  ettua§ 
ju  marmorn  mar.  'än\  Caroline  tüirften  jn^ar  2)orotIjea'l 
fo  gar  brennenbe  5(ugen  unb  iC)r  aUjuftarteS,  nmnnlic^e§ 
Untergefic^t  ab[to^enb,  aber  fie  erfreute  fic^  an  i^rer  fd^önen 
Stimme,  mit  ber  fie  fo  gern  unb  ^erjlic^  lat^te,  unb  betonte 
gern  öor  fic^  unb  anbern,  luaS  für  eine  öortreffücfie  ^rau 
^orot^ea  fei.  (Sbenfo  oergeblic^  bemühte  fic^  ilaroüne  i^re 
2(ntipat[}ie  gegen  Sierf'l  5lmalie,  eine  ©t^iuägerin  be§  Soni' 
poniften  Steid^arbt,  5U  überminben.  „^ä^^iid)  ift  fie  nid^t", 
f(^rieb  fie  na(^  ber  erften  ©efanntfc^aft.  „.spotte  fie  Slnmutfi 
unb  Seben  unb  ettüa»  metjr  am  Seibe  ol»  einen  Sacf,  fo 
tonnte  fie  für  pbfcb  gelten."  3lber  jule^t  entfdito^  fie  fic^ 
bod^  furjiueg,  fie  für  eine  falfc^e  ßa^e  ju  erflären.  ^ie 
leifen  ©dimanfungen  üon  3"=  ii"b  ^Ibneigung  unter  ben 
9)Zännern  l^abe  id)  fd^on  ntväf^nt  SSer^ängniBöoH  lüurbe 
ba§  mt§  erft  burd^  Sc^eüing'g  unb  S^aroüne'g  Siebe.  ^Itte, 
bie  ßtluaS  gegen  ha§>  (5ine  oon  ißeiöen  auf  bem  ^erjen 
l^atten,  glaubten  e§  nun  nic^t  me^r  unterbrücfen  ju  muffen. 
Qnbem  Carotine  fic^  oon  SBil^etm  löftr,  oerlor  fie  alle  bie 
Dtücffic^t,  bie  man  um  feinetlüillen  für  fie  gehabt  l^atte. 
Unb  ha  um  SBil^elm  unb  Caroline  ^erum  ber  ßrei§  fid^ 
gebilbet  !^atte,  ging  er  üon  felbft  au»  einanber,  aU  fie  fic^ 
trennten  unb  bal  gaftUc^e  §auä  leer  ftonb,  tuo  er  fic^  Der= 
I^nielt  ^atte. 

^^  SuQkid)  mit  bem  ^a^runbert  ging  bie  romantifc^e  3eit 
in  S^na  jnr  9ieige.  ©»  gab  bamal^  aud^  fold^e,  bie  bay 
neue    ^a^r^unbert   fc^on    mit   bem    ^a^re    180O    beginnen 


252  Scben. 

iüoHten;  man  nannte  fie  D^uttifien.  2I6er  fie  unterlagen. 
SSon  großen  geftcn  njollte  ber  |)er5og  bon  SBeimar  lüegen 
be§  @rnfte§  ber  Reiten  nichts  miffen.  (Sr  öeronftaltete  eine 
SOkSferabe,  wo  \iä)  aud^  Steffens  unb  ©c^eHing  befanben. 
9^acl^  9Jiitternac|t  gogen  \\d)  ©oet^e  unb  ©djtHer  mit  "i^m 
beiben  jüngeren  Seuten  in  ein  ^Jiebenfabinet  gurücf.  @§  luurbe 
ß^ampagner  getrunfen.  „®o  fiel  mir",  er5ä^It  Steffen^, 
„ber  id)  mit  meiner  norbifc^en  SSirtuofität  nüd^terner  blieb, 
o(§  bie  otten  |)erren,  bie  SSeronberung  auf,  bie  mit  ^tvn  fo 
bebeutenben  ^erföntic^feiten  öorging.  @5oet^e  mar  unbefangen 
luftig,  ja  übermütfiig,  mäJirenb  ©exilier  immer  ernftljafter 
tuarb  unb  fid^  in  breiten,  boctrinären,  äft|etifd§en  ©jplifa- 
tionen  erging;  fie  Ratten  bie  größte  Sle^nlid^feit  mit  feiner 
befannten  Slritif  über  ^lopftod,  unb  er  lie^  fid^  nic^t  ftören, 
ttjenn  ©oet^e  i^n  burd^  irgenb  einen  geiftreid^en  Einfall  in 
feinem  SSortrage  ju  üeumirren  fud^te.  ©d^elling  6ef)ielt  fort« 
bauernb  feine  ruhige  Gattung." 

5sn  einem  jierlid^en  bramatifd^en  ©d^erj  l^atte  2Bit§eIm 
bie  Söenbe  be§  ^a^r^unbert»  gefeiert.  5luc§  ^ier  erüang  in 
jeber  ^eife  bie  |o:^e  juberfic^tlid^c  Hoffnung,  bie  bie  Sus^nb 
in  bie  neue  ^eit  fe^te.  S)a§  neue  Sß^^^unbert,  ein  ^inb 
in  ber  SBiege,  lüitt  bie  ^ä^Iid^e  bürre  5Ute,  tk  x^m  ©d^Iaf- 
lieber  fingt,  nid^t  aU  feine  2}iutter  anerfennen,  ja  ertüürgen 
will  ba§  l^erfutifc^e  ®ing  bie  böfe  Unl^otbin.  2)ie,  um  fic^ 
äu  retten,  ruft  ben  S:eufel  an,  ber  auc^  erfd^eint,  aber  anftatt 
ber  jungen,  ber  eilten  ben  ^aU  umbre^t.  ©a§  götterfdjnelt 
:^eranmad^fenbe  Sinb  tüünfd^t  feine  lualjren  (Sltern  ju  fenuen; 
auf  feine  Sitte  erfc^einen  fie  unb  begrüben  ba§  entjücfte: 
e§  finb  ber  ®entu§  unb  bie  grei^eit. 


t)iomautif(f)c  ßicfie» 

®ie  Sle6e  ift  bcr  Sitbäiuccf  bcr  aöelt= 
flefct)ic§te  —  ba«  Slmeit  be§  Uni»crium§. 

5«otialt§. 

„5SBa§  ift  benn  nun  bte[e»  Sentimentale?"  fragt  griebrid^ 
©d^Iegel,  nad^bem  er  ben  @a^  aufgeftellt  £)at,  ba§  ein  roman- 
tifd^e§  S3uci^  ein  joIc^e§  fei,  ba§  einen  fentimentalen  ©toff 
in  pl}antaftifd^er  gorm  be^anbele;  unb  antlüortet:  „2)a§  inaS 
iin§  anfpric^t,  n)o  ba§  ®efül)I  fierrfc^t,  unb  5iiiar  nit^t  ein 
finnlic^eg,  fonbern  ba§  geiftige.  !J)ie  OueHe  unb  ©eete  aller 
biefer  Biegungen  ift  bie  Siebe,  unb  ber  ©eift  ber  Siebe  mu| 
in  ber  romantifd^en  ^oefie  überall  unfid^tbar  fic^tbar  fcE)iiieben; 
ba§  foll  jene  Definition  fagen.  ®ie  golanten  ^affionen, 
benen  man  in  ber  Sichtung  ber  2}iDbernen,  Ujie  ©iberot 
im  gataliften  fo  luftig  !fagt,  öon  bem  Epigramm  bi§  gur 
S;ragöbie  nirgenb§  entgegen  fann,  finb  babei  gerabe  ta^ 
loenigfte,  ober  üielme^r  fie  finb  nid^t  einmal  ber  äußere 
93uct)ftabe  jenes  ®eifte§,  nad^  (5ielegen^eit  auc^  n)o|I  gar 
nid^t§  ober  ettüa§  fe^r  Unliebtid^eS  unb  Sieb(ofe§.  9iein, 
e§  ift  ber  ^eilige  ^aud^,  ber  un§  in  ben  J^önen  ber  SJJufif 
berü{)rt.  @r  lä^t  fic^  nid^t  getoattfam  faffen  unb  mec^anifd^ 
greifen,  aber  er  lä^t  fid^  freunblid^  locfen  t>on  fterbtic^er 
@d^ön|eit  unb  in  fie  öerl^üKen,  unb  aud^  bie  ^aubertoorte 
ber  ^oefie  fönnen  öon  feiner  ^raft  burd^brungen  unb  be* 
feelt  n)erben.  3lber  in  bem  ©ebic^t,  Wo  er  nid^t  überall  ift 
ober  überall  fein  fonnte,  ift  er  getüifi  gar  nic^t.    @r  ift  ein 


254  Diomantifc[)e  5.'ieI3e. 

unenbltc^e§  SBefen  unb  mit  ntd^ten  haftet  unb  Hebt  fein 
Sntereffe  nur  an  ben  ^erfonen,  ben  ^Begebenheiten  unb  «Si- 
tuationen unb  ben  inbiütbuellen  S'Jeiguugen:  für  ben  toa^xtn 
S)i(^ter  tft  5tD[e§  biefe»,  fo  innig  c§  aud^  feine  (Seele  um= 
fc^üe^en  mag,  nur  ^inbeutung  auf  t>a^  §öj)ere,  Unenblid^e, 
^ierogttjp^e  ber  (Sinen  elütgen  Siebe  unb  ber  ^eiligen  2eben§- 
füHe  ber  bilbenben  S^latur." 

So  tüäre  Siebe  unb  9tomantif,  nac^  ber  3l|eorie  i^rer 
S3egrünber  ein  unb  ba§felbe.  S)a§  Sid^IoSrei^en  unb  9Iu§s 
einanbernjeic^en  be§  ^BelouBten  unb  Unbertiu^ten  im  SKen- 
fd}en,  iDomit  |)anb  in  ^anb  gel^t  feine  (Sntfernung  öon  ber 
S'iatur,  bebingt  @e!^nfuc^t  nad)  SBieberüereinigung  unb  SSer- 
fö^nung  be§  Getrennten,  fo  ba§  man  fagen  fann,  je  größer 
bie  ^erriffen^eit  unb  je  fc^neibenber  ber  9J?angeI,  befto  größer 
bie  Siebe;  ma§  ouc§  Sf^cöaliä'  2Bort  oerftänblid^  mad^t,  ha^ 
Siebe  burc§au§  S^rnnl^eit  fei.  5IIIerbing»  ift  ber  ßljarafter 
biefer  Siebe  me!^r  SDrarig  nad^  33ereinigung  aU  ^xa\t  ju 
ii^r,  olfo  me^r  Se^nfucfit  aU  Siebe;  biefe§  Slinb  oon  lieber- 
flu^  unb  3J?angeI,  tüie  ^ato  bie  Siebe  befinirt,  ^ot  mefjr 
öon  bem  negatioen  al§  Oon  bem  pofitiöen  ©lement  empfangen. 
®a§  ber  ®efdjled^tltrieb  nid^t  an  fid^  ^Beiuafjrer  ber  unfterb« 
lid^en  Siebe§feele  fei,  bie  allein  bie  romantifc^e  ift,  mürbe 
oon  griebrtd^  @d)legel  erJüä^nt;  nicEit  oon  bem  blinben 
tänbeinben  S^inbe  ift  ^ier  bie  9?ebe,  beffen  Unarten  hie  gött- 
liche 9}?utter  äutreilen  mit  ber  Ütut^e  beftrafen  mu§,  fonbern 
oon  (5ro§,  bem  älteften  unb  fc^önften  ber  (Sötter,  tüie  bie 
gried^ifdje  9Jit)t^Dlogie  i^n  nennt,  ber  au§  bem  gä^renben 
(5^aD§  entftanb  unb  hie  auSeinanber  flietjenben  Si)eile  be§ 
5Iܧ  feftljielt  unb  an  (Sine  ÜJiitte  banb.  3Benn  mon  tro^= 
bem  in  ber  ®efd)Ied^t§Iiebe,  mie  fie  im  Seben  unb  in  ber 
^unft  erfc^eint,  iljr  53tlb  ju  f äffen  fud^t,  obluoljt  fie  hpeber 
bie  einzige,  nod^  bie  rcinfte  5trt  ber  Siebe  ift,  fo  ift  c§,  weit 


^luimantijcl)e  l'icbe.  255 

fie  fic^  an  biefem  Srennpunft  hod)  am  feurigften  entjünbet, 
tücil  bie  Siebe  5tutfc^en  Tlaim  unb  grau  ba§  ganjefie, 
parfenbfte  ©tjmbol  ift  für  bie  51lle»  übermtnbenbe  Diiefen» 
leibenfd^aft  be»  (Sin§tt)erben§;  unb  gerabe  i^re  SJiiyc^ung 
au§  ©innüd^feit  unb  ©eift,  bo^  fie  bie  irbifc^e  unb  bie 
götttid^e  9?atur  im  SJJenfd^en  gleic^oiel  angebt,  t^te  anbro= 
gt)ne  9Jatur,  mad^t  fie  jum  ergiebigften  3(u§gang§|3un!t  für 
®arftellung  unb  Selrad^tiing.  ®a^  Seffing  fid^  be^iuegen 
öüu  ®oett}e'§  SBertf)er  abgeftofjen  füi^Ite,  ireil  ber  (5Jefc£)Ied)t§» 
liebe  barin  eine  bem  antifen  Seben  frembe  SBtd^tigfeit  bei- 
gemeffen  ift,  beiueift  feine  unromantifc^e  9?atur,  betüeift  aber 
nichts  gegen  bie  Sid^tung;  öielmci)r  mad^t  gerabe  bie  mafe^ 
lofe  SSergötterung  ber  Siebe  SDert^er  gu  einer  unüergäng« 
Itd^en  Grfd^einung  in  ber  mobernen  SBett.  SIuc^  ^at  man 
immer  empfunben,  ha^  in  ber  53e§anb(ung  ber  Siebe  ber 
^auptfäd^Iid^e  Unterfc^ieb  5tüifd;en  antifer  unb  moberner 
Sunft  gu  fuc^en  fei. 

SJtan  fönnte  jtuar  Dbt)ffeu§  unb  ^enelope  jum  Seiueife 
onfüljren,  ha^  auc^  ba§  antife  Seben  eine  j^ö^ere,  geiftige 
Siebe  in  unferm  Sinne  fannte;  aber  tücr  empfänbe  aud^ 
ntd^t  ben  romantifd^en  ÜQaud)  in  ber  Dbt)ffee,  ber  fie  un§ 
fo  öiet  öerftänblid^er  mad)t  aU  bie  ^üa^l  Unb  bann:  e§ 
l^anbelt  fid^  ha  bod^  meniger  um  emige  üielt  al§  um  jene 
e^elid^e  Streue,  bie  ein  Seftanbt^eil  ber  ftaatlic^en  2Bo£)Ifa^rt, 
eine  S3ürgerpflidf)t  ift  unb  eigentlid^  nur  bie  grau  angebt. 
3Jüar  ift  e§  rü^renb  unb  edEit  romantifd^,  raenn  Dbt)ffeu§ 
am  Ufer  fi^t,  unbeweglich,  mit  trauernber  @eete  über  ba§ 
SIKeer  ^inau§  bticfenb,  aber  e§  mutzet  nn§  frembartig,  Wmti 
aud^  lieblid^  sugleid^  an,  tüie  er  gteid^  barauf  in  ben  Firmen 
ber  türfigen  9ii}mpl)e  einfdfjtummert,  otjne  ba^  i£)n  ein  ein= 
jigeg  HJJat  ber  (SJebanfe  aufräufelte,  ob  nid^t  fein  8Sert)äItnife 
5U  ^enelope  baburd^  entfieiligt  lüürbe.     Sieijenb   gemi^  ift 


256  9iDmnuti}d)e  Siebe. 

bie  antife  Siebe,  lüte  unb  wo  immer  fie  erfc^eint.  ©etb[t 
bie  feelenlofe  SSonne  bie  Db^ffeu§  mit  ß^irce  unb  ^aIt)pfo 
geniejst,  ober  bie  beljaglic^e  Seibenf(^aft  be§  ^ari§  unb  ber 
^etena  erquidt  ben  «Sinn,  ol^ne  jemals  ju  beriefen.  S)enn 
alle  btefe  S3erpltniffe  i)ot)en  bie  ®e^unb()eit,  ^vraft  unb 
@rf)ön|eit  be§  S^Jaturtriebe» ,  bem  ju  feiner  33oIIfommen^ett 
nichts  gebricht  al§  bie  Sauer.  SDenn  Sitten,  ftta§  3:rieb  tft, 
ift  öergäuglii^;  mit  ber  SSergänglid^feit  l^at  e§  fidf»  feine 
(Sc^ön^eit  evfauft.  Sa§  Seiüu^tfein  fuc^t  bie  flüchtige  Statur 
ju  Derelüigen,  ober  bicfe  übernatürlti^e  S3egierbe  tuirft  5u= 
närfift  tu  i|r  aB  ein  @ift,  ha^  fie  franf  mac^t.  S)arum 
tiaben  wir  5tugenblicfe,  rvo  un§  bie  beipu^tlofe  |)errli(i)feit 
unb  unfc^ulbige  Suft  ber  antifcn  Siebe  al§  boS  Sltlerfd^önfte 
unb  StderbeneibenStDÜrbigfte  erfd^eint.  ®ie  naitte  greubigfeit 
unb  unerfc§ö|)flic^e  ©enu^fraft,  mit  ber  jene  ©ötter  unb 
gelben  ein  Stebe§feft  an  ba§  anbre  reiiien,  o|ne  fid^  i^re 
SBonne  trüben  ju  laffen  burd^  hie  (Erinnerung  an  ha^  öer-» 
gangene  unb  bie  2lJ)nung  bei  folgenben,  erregt  un§  2Bot)I= 
gefatten  ober  S3etounberung  ober  gar  S^ieib.  ®enn  ttJtr 
fönnten  ba§  nid^t  nac^mad^en,  o^ne  enttueber  rol}  ober  friool 
5U  fein;  auct)  Son  3"an  luäre  nirf)t  ber  bejaubernbe  ^etb, 
njcnn  feine  ÖJefd^id^te  nic|t  burc^  groteSfe  .^omif  gemilbert 
tüäre,  unb  tüenn  er  nid^t  anbrerfeit§  burd^  bo§  5lntrD|en 
gegen  bie  £)ö^errn  SOcäd^te,  ha§>  allein  fc^on  in  bcm  bertju^t 
3J?a§(ofen  ber  %tt^a^i  feiner  Siebeleien  liegt,  etiüa§  3:itanifd^e§ 
befäme,  tnenn  e§  fid^  aud^  in  anmutljigfter  gorm  barftellt. 
(S§  ift  bem  mobernen  S3etüu^tfein  unmögticti,  ha§>  S^eal  ber 
emigen  unb  ein5igen  Siebe  abgufd^ütteln,  biefe§  ©eftirn  öon 
unferm  ^immel  gu  retten,  ba§  toir  ^unbert  Wal  mdjx  aU 
glucl)  unb  üer^eljrenbeS  geuer  al§  fegenbringenb  empfinben. 
SSie  oft  ftellt  fic^  biefe  ©^imäre,  luie  man  fie  bann  nennen 
möd^te,  ber  (SrfüHung  oon  SBünjd^en  entgegen,  bie  o^ne  fie 


Üxomnnti)d)e  SieBc.  257 

unfc^utbtg  mären;  fort  unb  fort  loirb  i£)r  ©lücf  unb  Seben 
lute  einem  '^lolod)  geopfert.  Sro^bem,  tüenn  fid^  and^  alle 
bie  (5)etiuä(ten  jufammentpten,  um  ben  tQrannif(^en  ®ämon 
ju  entttironen,  fo  mü^te  hie  SiebeHton  boc^  unfe(}Ibar  mit 
erneuter  ^ned^tung,  roal)rfc^einüci^  fogar  mit  frcimiHtger 
Unterwerfung  ber  (Smpörer  enbtgen.  SSenn  tüir  ba§  5luge 
auf  bie  gigantifc^en  @eftalten  unb  unergrünblid^en  ©(^icf= 
fale  richten,  bie  Oom  (Seifte  ber  romantift^en  Siebe  einge- 
geben finb,  fo  öerblcid^t  bie  3lnmuttj  ber  t)eibnif(^en  Stp^robite. 
93run^ilb  unb  ©^riem|itbe,  ©iegfrieb  unb  (Subrun  tauchen 
au§  ber  S^iefe  germanifd^er  SSorjeit  —  unb  totr  füllen  er» 
fc^auernb  unb  ent5Ü(ft  jugleid^  ben  §er§fd^tag  ber  elüigen 
Siebe.  5(B  furd)tbar  mürgenbe  ©ott^eit,  ha^  ©d^lücrt  in 
ber  §anb,  mit  unerbittltdöem  2lntli|  fteljt  fie  im  SJJittelpunft 
biefer  Xid^tung.  2öa§  ift  hie  ^raftifd^e  9tadje  be§  9JJene(ao§, 
ber  ein  geraubte^  ®ut  lüieber  i^aben  unb  ben  S)ieb  beftrafcn 
luiH,  unb  ha^:  Unbetiagen  ber  bebro^ten  Helena  gegen  hen 
jerrei^enben  Samtner  (I^riemt)i(be'§,  gegen  ®ubrun'§  ätüanjig* 
jäfirige»  S;ro|en  unb  ipaffen,  gegen  93runf)i(be'§  bämonifd^e 
©eligfeit,  loenn  fie  @iegfricb'§  ©d^eiter^aufen  befteigt,  gegen 
bie  unermeßliche  SSernid^tung,  bie  mit  93lutröti§e  unb  geuer= 
fd^ein  auf  ben  Untergang  ber  Siebe  unb  Sreue  f)ereinbric^t! 
Um  ben  überirbifdjen  Urfprung  ber  Siebe  mit  i^rer  Unent- 
rinnbarfeit, iljrem  tobüberiuinbenben  ^aiittei^»  ^^i^er  geifler« 
Jiaften  Unöerle|lidf)fcit  au§5ubrücfen ,  erfanb  bie  romantifc^e 
^t)antafie  ben  Siebe§tranf,  toie  (Subrune  t^n  @igurb  rei(^t, 
mie  i§n  S;riftan  unb  Sfo^^e  trinfen.  ^n  biefen  fotoffalen 
Seibenfc^aften  tt)of)nt  ein  jarteS  geiftigeS  Clement,  in  bem 
g(ammenat[)em  ber  ftarfen  S^lecfen  tüel)t  ber  marme  ^aud^ 
feelifc^er  Siebe.  2)a  liegt  bie  SSeriüanbtfc^aft  ber  (^s^ermanen 
jum  S^riftent^um.  93eibey,  germanifd^  unb  d^riftlic^  ift  bie 
mittelalterlid^e   Segenbe    üon    ber  Siebe   be§   jungfräulid^en 

$uc§,  SRomantiter.  17 


258  Dtomantifc^e  Steße. 

^tnbe§  ju  bein  au§fä^igeit  ^Rittet,  eine  ,8ie6e  gan§  Dp[er, 
ganj  ©eete,  unb  benno(^  Ictfe  unb  iii§  eriüärmt  uon  fiitn- 
Itd^em  Stute,  '^n  bem  Scet)e  btefer  (SeftaÜen  fanben  bte 
Ütomanttfer  fic^  tüteber.  ,,0  mein  58ruber",  jagt  '^kd  im 
^^antofu§,  „geftorben,  tüte  man  fagt,  finb  Idngft  ^jalbe  unb 
©tigune,  ja  bu  läc^elft  über  mid^,  benn  fie  traben  mo()I  nie 
gelebt,  aber  ba§  aJienfd^engefc^lec^t  lebt  fort,  unb  jeber 
grül^Iing  unb  jebe  Siebe  jiinbet  oon  ^Jieuem  ba§  ^^tmmlijc^e 
geuer  an. . . ."  ^a,  in  ben  (S(f)rtften  Don  %ieä  unb  9fJooaU§ 
manbelt  [ie,  „bie  flammenbe  Siebe  mit  ben  ^eiligen  (SIut[)= 
äugen!"  (Sine  neue,  entfövperte  ober  oetfeelte  (Sprad^e  Ijaben 
fte  erfunben,  um  i^re  öt^erifd^e  (Scfd;eiimng  in  fic^  aufju» 
nehmen,  ^d^  ipitt  nur  ein  paar  Xöne  au§  ber  großen 
Siebe§jt)mp!^onie  anfd^tagen  laffen.  Da§  i[t  ou»  %kd^§ 
^^antafu§: 

„5Bie  fönntet  il}r  bod^  hk  8c^ön§eit  nur  empfinben  ober 
gar  lieben,  lüenn  fie  unüerluüftlic^  tuäre?  S)ie  fü^e  (Slegic 
in  ber  (Snt^üdfung,  bte  2Se[}f[age  um  5tboui»  unb  SSatber  tft 
ja  ber  fc^tnad^tenbe  Seufjer,  bie  moUiiftige  Xi^xäat  ber 
ganzen  Statur!  5)em  gtüd^tigen  naif)ei(en,  e§  feft^alten 
tüoUen,  ba§  un§  jelbft  in  fe[tgefc^(o[fenen  Firmen  entrinnt, 
bie§  madE)t  bie  Siebe,  ben  ge^eimnifeooden  BiJuber,  bie 
^ranf^eit  ber  ©e^nfudfit,  ba§  üergötternbe  (Sc^mad^ten 
mögli(^.  —  —  — " 

„.fi'ann  bie  Siebe  fterben,  ha^  @efü()t,  ba§  bi§  in  bie 
fern[tcn  liefen  meinet  Söefen»  bli^t  unb  bie  bunfelften 
Kammern  unb  aUe  Söunberfd^ä^e  meine§  |)erjen§  bdeu(^tet? 
5Jiic^t  bie  (S:^ün^eit  meiner  beliebten  ift  e§  ja  allein,  bie 
mid^  begtücft,  nic^t  i^re  ^olbfeügfeit  altein,  fonbern  öor=^ 
5Üglt(^  i^re  Siebe;  unb  biefe  meine  Siebe,  bie  i^r  entgegen 
gef)t,  ift  mein  fjeiügfter,  uii[terblic^fter  2Bi(Ie,  ja  meine  Seele 
fe(b[t,    Vit   \id)   in    biefem    ®e[iit)I   lolringt    üon    ber   üer- 


aiomautiidje  Siefie.  259 

bimfetnben  9Katerte;  in  btefer  Siebe  fei)'  id)  unb  fü^F  ic^ 
Glauben  unb  Unfterblicf)!eit,  ja  ben  Unnennbaren  fe(b[t  in- 
mitten meines  3Befen§  nnb  alle  Sönnber  feiner  Offenbarung." 
Unb  noc^  eine  Stelle  au»  5lbbaflal)  fe^e  iä)  l)er: 
„'Jlrf)  nein,  e§  ift  nic^t  ta^,  e§  tft  nic^t  jene§  ®efü§l, 
tia^  unfre  SDidEiter  fo  oft  befd^reiben  —  fein  a}?enf(^  :§at 
noc^  je  biefeS  ^olje,  ^eilige,  unau§fpred^li(^e  SBefen  in  feiner 
i8ruft  beherbergt,  Siebe  ift  e§  nid^t,  e§  ift  ha^  ®efü§{  ber 
©eligen,  mir  aüein  feit  (Snngfeiten  aufbelpaljrt,  mid^  au§ 
biefer  ilöelt  ^inauäjureifjen;  eine  allmächtige  2Boge  Ijat  mic^ 
auf  bie  ()ol)e,  jä^e  S^i^e  einer  flippe  gefd^leubert,  bie  SBelle 
finft  tn'§  SJJeer  jurücf  unb  id)  fte^e  fd^roinbelnb  über  2öolfen, 
öon  allen  9J?enfd^en,  bie  einft  lüuren  unb  finb,  auf  eiuig 
abgeriffen,  bie  Unenblic^feit  um  mic^  t}er.  ®ie  ©ott^eit  ^at 
Öeute  mein  Seben  öon  S^euem  berührt  unb  burd^  hie  leifeften 
S^öne  l^inburd^  jittert  ber  allmäd^tige  ©tof?." 

%m  liebften  unb  am  beften  fc^ilbert  S;iecf  Siebe,  bie  nur 
©etjnfud^t  ift,  hk  öerjücfte  ©eltgfeit  unabfe^bareu  Trennung, 
^ein  Siebe§paar  fd^eint  fo  öollftänbig  fein  S^eat  ju  öer^» 
lörpern  aU  Seofftol)  9iubett  unb  äJJelifenbe,  bereu  ®ef^id^te 
er  im  ©ternbolö  erjä^tt.  ®iefe§  tt)unberbare  geuer,  ent= 
§ünbet  in  ber  33ruft  be§  ^roubabour  burdf)  bie  S^unbe  öon 
ber  6c^ön^eit  einer  ®ame,  bie  er  nie  gefeljen,  bie  ba§  milbe 
^eer  öon  il)m  trennt;  hav  feineu  Seib  aufje^rt  luä^renb 
ber  langen  Steife  ju  i^r  l)in,  fo  ta'^  er  fte  uur  erblicft,  um 
in  i!^reu  Firmen  im  ^ugenblicf  ber  grenjenlofeften  ©rfüHung 
alle§  2Bünfc^en§  ju  fterben,  eine  folc^e  öcrflärte  (flamme  ber 
Slnbetung  ^ütet  er  im  i^eillgtl)ume  feinet  ^erjenl.  „^ie", 
fagt  ^eoffrol)  ju  ben  ftaunenben  9JJenfc^en,  bie  feine  he- 
gierbelofe  Eingebung  an  bie  Entfernte  nidjt  oerfte^en,  „luenn 
fie  mir  nun  felbft  im  (Semüt^e,  in  meinem  Innern  mo^nt, 
Jbefi^e  id^  fie  bann  nic^t  nnljer  ai^  ieber  anbre  ©terblicl)e?" 

17* 


260  9?omantifd)e  Siebe. 

Uner^c^ütterttd^  i[t  fein  &lanhe,  ha%  toenn  er  fie  nun  fe|en 
lutrb,  bie  Sßtrftid^feit  feine  3l^nung  noc|  übertrifft.  „Sa, 
fo  tüirb  e§  mit  aller  ©d^ön^eit  fein,  tüenn  fie  fid^  einft 
fc^Ieierlog  unferm  entförperten  Stuge  geigt."  3ut"  SSeföeife, 
ha^  bie§  beftänbige  Ucberfdjiüanfen  au§  ber  irbifi^en  in  bie 
^immlifd^e  Siebe  nic|t  nur  ber  (Sprache  ber  S)id^tung,  fonbern 
aud^  ber  be§  2eben§  geläufig  ttjar,  fü^re  ic^  au§  ben  Briefen 
be§  3left^etifer§  ©olger  an  feine  junge  grau  eine  ©teile 
an,  irie  fic^  ä|nli(^e  in  SJJenge  finben:  „^c^  fürchte  nid^t 
§u  fehlen,  nod^  §u  fe^r  ouf  'i)aa  ^rbifd^e  unb  SSergängltd^e 
ju  bauen,  tüenn  tc§  mein  ©lücf  in  beine  §änbe  lege.  Xenn 
bie  tua^re  Siebe,  hk  Siebe,  bie  alletn  in  beiner  reinen  (£ngel= 
feele  tuo^nen  fonn,  tft  nic^t  öergänglid^.  @ie  ift  felbft  einerlei 
mit  bem  Unfterblic^en  unb  (Stüigen  in  un§:  öon  biefer  reinen 
SBafir^eit  ift  mein  ^nnerfteS  burc^brungen,  unb  id^  fü^Ie  e§ 
oud^  in  allen  ti^ren  SBirfungen,  ta^  id§  mic^  tceber  in 
meinen  eigenen  ®efül}len  täufd^e,  noc^  in  btr.  (S§  ift  mir, 
aU  lüäre  id^  burd^  bic^  geheiligt,  aU  befä^e  id^  nun  in 
fic^tbarer  (S^eflalt  unb  al§  ben  ©egcnftanb  meiner  l^ei^eften 
S;riebe  ba§,  mag  ber  SJeligiöfe  unb  ber  ^lilofopf)  in  fremben 
SBetten  fuc^t." 

®a^  in  ber  St^at  Siebe  unb  9ieligion  ein§  fei,  ent- 
lüideüe  griebric^  ©d^Ieget  folgenberma^en  aU  S;;§eorie: 

2)en  3ufammenl)ong  mit  bem  Uniücrfum  füllen,  ha§> 
©ötttic^e  anbeten,  ift  3fteligion;  aber  \)a^  ©öttlic^e  erfd^eint 
am  reinften  im  SJienfd^en,  er  ift  ein  93ilb  beg  UniberfumI, 
f)at  eine  SSelt  in  fi^.  @ie  icerbe  geneigt  fein,  fagt  er  §u 
^orot|ea,  an  bie  er  ben  S3rief  über  bie  ^fjilofopljie  rid^tete, 
n)o  biefe  ©teile  üortommt,  im  5lnfc^IuJ3  an  biefe  Seiire  ii^m 
bie  grage  einsutuerfen :  „3Benn  e§  alfo  nur  auf  bie  Slnbad^t 
unb  auf  bie  Slnbetung  be§  ©öttliclien  antommt;  tuenn  ta§ 
3)ienfd^tic^e  überall  haä  ^ödt^fte  ift;  n)enn  ber  9)?ann  öon 


95omantiicf)e  Siebe.  261 

9tatur  ber  erhabenere  SfZenjc^  ift:  fo  luäre  e§  [a  ber  redete 
unb  wo^l  ber  iiäc^fte  2öeg,  ben  beliebten  anjubetcn  unb  [o 
bie  menf(^enüergütternbe  Steltgion  ber  menjdiüc^en  6irte(^en 
5U  moberntfiren?"  luomit  er  fic^  einüerftanbeu  erflärte,  im 
gade  nämlic^,  ba§  ber  ÖJetiebte  einer  folc^en  Stimbolifirung 
fä^tg  unb  tuertt)  fei.  „3c^  tüenig[ten§",  fo  fä|rt  er  fort, 
„fönnte  ntc^t  lieben,  o|ne  auf  bie  ©cfa^r  ber  ©^eöalcrte 
etiuaS  anzubeten ;  unb  xd)  rt)et^  nid^t,  ob  \d)  ba§  Unioerfum 
bon  ganger  Seele  anbeten  fönnte,  menn  id^  nie  ein  SSeib 
geliebt  l^ätte.  5lber  freiließ,  ia§'  Unioerfum  tft  unb  bleibt 
meine  Sofung.  Siebft  bu  moi)l,  tuenn  bu  nic^t  bie  Söett  in 
ber  ©eliebten  finbeft?" 

Su  bemfelbcn  Sc^IuB  fam  9^ooati§,  ipenn  er  bie  Siebe 
jur  ©eliebten  angemanbte  Ü^eügion  nannte,  Jüa§  bei  i^m 
freilid^  boc^  noc^  eine  anbre  33ebeutung  ^atte  aU  bei 
griebric^,  ber  bie  Siebe,  infofern  fie  ein  geiftigeS  2ßefen  ift, 
nur  mit  bem  3Serftanbe,  nic^t  mit  bem  ^erjen  erfaßte. 

2Ba§  ber  gemeine  SJienfd^enoerftanb  ©id^oerlieben  nennt, 
tüurbe  ^ier  5U  einem  SSeltenfc^icffal,  ber  ^Begegnung  gtüeier 
©eftirne,  bie  in  getjeimniBooHer  3Seife  einanber  tpec^felfeitig 
(Sonne  unb  planet  finb.  SBenn  auc^  fic^erlid^  üon  je^er 
jebe»  liebenbe  ^er§  feine  Siebe  mit  unbetüUBter  9}i^ftif 
„meine  SSeÜ"  genannt  ^at,  fo  ift  eg  boc^  nod^  ein  gan§ 
?(nbre§,  njenn  einem  benfenben  STcenfc^en  ein  SJienfc^  St)mboI 
ftiirb  für  ta§  |)öc§fte,  ba§  er  ju  füllen  unb  fic^  oorgufteHen 
fällig  ift,  ja  n^enn  er  gerabe  ba§,  loa»  über  feine  gaffung§* 
fraft  ^inauäge^t,  in  biefem  SD^enfc^en  faffen  unb  fid^  ein§ 
mad^en  luitt.  Xann  entfielt  feneS  ®efü(}t  ber  Unenblic^feit 
unb  bie  SOiaBtofigfeit,  bie  fic^  üergeblic^  in  SBorten  unb 
^eic^en  au^guörücfen  fuc^t,  unb  bie  ftiefenttic^  üerfc^ieben  ift 
bon  ber  ptaftifi^en  Umgrenjt^eit  be§  antifen  (Smpfinben§. 
SSunberooH    malt    biefen    in'»   Uneubüc^e    üerfd^iuimmenbeu 


262  9tomanlifd)e  S!ic6e. 

StebeSbrang  eine  ©teile  in  ^ied'ä  ©enoöeüa,  Wo  bie  alte 
(Sertrub  bem  ©dIo  rät^,  fid)  erft  liftig  fc^meid^elnb  in 
®enot)eöQ'§  ©unft  5U  fteljten  unb  bann  bie  i^m  ^alb  |)in- 
gec3ebene  bnrd^  fül^ne  Ueberrafc^ung  fid^  ju  erobern. 

©olo:   '^ddy  unuerftäubig  SBort  fiaft  bit  gef^^rodjen ! 

3l't  e§  mir  brum  311  tt)xm  al§  Scf)atf,  al§  ^ned)t, 
5U§  S)ieb  mir  it)re  ®unft  511  ftetjleii?    g-ü[)I[t  bu  nic()t, 

3Ba§  fie  mir  ift,  ma§  id)  i()r  luerben  möd)te? 

©ertrub:   5Sa§  motlt  if)r  beim? 

©dId:  ®a§  (Vfrite  unb  ba§  '^ai)e, 

®a§  9)töglid)e,  >iia§  bod)  umuöglid)  i[t, 
3Sa§  id)  in  meinem  ^erjen  luünjdje,  >üa§ 
S^er  tyt'iQt  nie  üefi^en  fann,  ma§  faum 
Sem  nuSenuäfiltcn  dbelften  gegönnt  ift, 
5)a§  Iieil'ge  S'^iter,  ba§  bie  ßrb'  erleud)tet,   ■ 
Sen  ©lanj  beglänjt  unb  Sid]t  ber  ©onne  lei^^t, 
SaS,  luaS  bu  nimmermef)r  öerfte[)en  luirft, 
3}a§  luaS  —  0  jd)iueig,  uer[tumme,  eitle  B^nG^' 
3Ba§  foü  ber  fyvütjling  burd)  ben  2Binter  jdjeineu? 
2Ber  luifl  bie  ßivd]e  auf  bem  SOtavfte  £)alten, 
®ie  gro^e  Dtaferei  bem  ^öbel  preb'gen? 
©ertrub:   ^a,  rafenb  feib  it)r,  fo  get)abt  euc^  mo^l. 

3^ur  ajJujif,  bie  tüefenttic^  fentimentale  tunft,  !ann  bo§ 
„aJJöglid^e,  \va^  hod)  unmöglich  i[t"  ouSbrücfen;  ba§er  5;iecf'§ 
befannter  SSer»: 

Siebe  bentt  in  juBen  Jijneu, 
9?ur  in  2önen  mag  fie  gern, 
®enn  öiebanlen  [tef)'n  ju  fern, 
5ine§,  iua§  fie  mid,  nerfdiöuen. 

(£§  berfielit  fid^  oon  felbft,  baf;  bei  einer  fotc^en  Stuf- 
faffung  ber  Siebe  f)o^e  Slnfprüc^e  an  bie  geiftigen  gä|ig!citen 
ber  (grauen  gefteHt  tnurben,  luie  benn  alle  Slomantifer  me^r 
ober  Weniger  bie  2lnf{d)t  j^riebric^  ©dl)teger§  t^eilten,  ba^ 
bie    ®efcl)lec§t§öerfc|iebent)eit    nnr    eine    5len§erlid^feit    be§ 


9?oniantiirf)e  Siebe.  263 

menfd^Itc^en  SJ^afeir^  uiib  am  ©iibe  bcrf)  ni(f)t§  luetter  fei 
al§  eine  red^t  gute  ©inrid^limg  ber  Siotiir,  bte  man  ber 
SSernunft  unlerorbnen  unb  nac^  iljren  l^öl^ercn  ®e[e^en 
bitben  bürfe.  5(nd)  bie  ^üb[cf)efle  grau  |ötte  bamal§  fein 
®Iücf  gel^nbt  ü^ne  ©eift,  unb  eine  (ViefaÜfüc^tige  jenes  QdU 
alters  l^ätte  e§  umgefel^rt  madjen  muffen  tüie  bie  be§  je^igen, 
bie  tüäl^renb  fie  mit  9}iännern  sufommen  fiub,  i^re  geiftigen 
Sntereffcn  in  einen  233infel  fdfiieben  unb  mit  einem  bunten 
SBorl^ang  jubeden.  gür  ben  in'S  tieffte  innere  taucfienben 
f8lid  be§  9^rmautifer§  tvax  nur  hie  (S(f)önf)eit  fc^ön,  bie 
eines  liebretäenben  @etfte§  buT(f)fic^tige  gorm  ift,  unb  bie, 
mit  bem  Unflerblicfieu  im  9}?enfdjcn  öerbunben,  in  i^rem 
eigenflen  SKefen  bie  tjergängltd^e  SJJaterie  überlebt.  Heber  baS 
Silter  faf)  man  mit  ben  großen  ibealiftifd^en  Singen  l^intueg. 
9J?an  lieble  mit  berfelben  |imnielflürmenben  Seibenfc^aft 
SD^atrcnen  unb  Sinber.  Caroline  tvax  35  ^a^xe  alt,  alS 
fid^  ber  24jät)rige  (Bd^elling  mit  lölnenlaftem  llngeftüm  in 
fie  öerliebte.  2(I§  fie  nad)  elf  So^rc"  al§  feine  t?rou  fiorb, 
fagte  er,  ba^  fie  bie  ®emalt,  baS  |)er5  im  9JJitteI|3unft  gu 
treffen,  bis  an'S  @nbe  beljalten  ^abt.  SJorot^ea  mar  neun 
Sahire  älter  alS  griebrid),  3aa^el  13  Sa^re  älter  ats  SSarn= 
^agen.  ®riII|3or3er  erjäljtt,  n)aS  für  einen  lüunberbaren 
©inbrnd  btefe  alternbe,  feineSniegS  Ijübfd^e,  öon  ^ranfljeit 
jufammengefrümmte  grau  auf  i|n  machte.  5luf  ber  anbern 
©cite  J)Otte  bie  fpielenbe  Zuneigung,  mit  ber  alle  9JJänner 
beS  greunbeSfreifeS  Saroline'S  Heine  ^od)ter  Slugufte  be- 
l^anbilten,  in  il)rer  ^o^^tlieit  unb  9Bärme  etn)aS  öon  Siebe. 
^arbenberg'S  S3raut,  (gopfiie  ü.  tl)ün,  mar,  alS  er  fie  fennen 
lernte,  13  ^a^re  alt,  unb  biefeS  Sinb  madjte  er  jur  ©onne 
feines  SebenS.  9llS  bie  (Sonne  erlofd^,  ätueifelte  er  ni^t, 
hü^  er  il)r  nad)  muffe,  luie  ber  Üöxpn  \\d)  auflöft,  tuenn 
ha§>  ^erj   nic^t   me^r  fdjägt.     es    ift    nichts   nner|üilcS, 


264  3f?ontantifd)e  Siebe. 

tüenn  and)  ettoaS  (Seltenes,  bof;  ein  SO^^ann  ftd^  in  ber  er[ten 

SSerj^ürtflitng    üfier    ben   Zoh    ber    (beliebten   tobtet;    aber 

5Jloödt§  badete  burc^  ben  bloßen  SSIflen  jum  Sobe,   bur(^ 

ben  mt)fti[d^en  Umgang  mit  einer  5tbgefd)iebenen  5U  [terben. 

6r  loä^nte  ober  hoffte  e§  niii)t  etma,   fonbevn  be[(f)(o§  e§. 

Ueber  bie  Siebe    ju  bem   gemalten   33{(be  eineS   9Jiäbc^en§, 

lüie  fie  %kd  fc^tlberte,  jd^tuang  fid^  fein  ®eii"t  nod^  ^inau§, 

inbem  er  fic^  ouf  en:)ig  einer  Siebten  lütbmete.     „(Sine  SSer«- 

binbnng,  bie  aud^  für  ben  Sob  gefd^Ioffen  ift,  ift  eine  ^dc^= 

jeit,  bie  un§  eine  ©enoffin  für  hk  9^ad^t  giebt.     ^m  ^obe 

ift  bie  Siebe  am  fü^eften;    für  ben  Sebenben  ift  ber  ^ot> 

eine  58rautnac^t,  ein  ©e^eimni^  fü^er  9}Jt)fterien: 

„;3ft  e^  "W)t  flug,  für  bie  9?acf)t  ein  geiefligeS  Säger  3U  judjen? 
S)arum  ift  t(üglid)  gefilmt,  luer  and)  Gntfc^Iummerte  liebt." 

2öem  träfen  biefe  Sante  nid^t  ba§  ^er5  mit  ber  @e>uatt 
fetbftüerftänblidier  SSatjr^eit?  Sebenft  man  nun  aber  bie 
Sfjatfad^e,  bafe  9?ot)aIt§  fid^  fd^on  ein  ^al^r  nad^  bem  S:obe 
feiner  S3rant  lieber  öerlobte,  ba§  ^äuftge  knüpfen  nnb 
Söfen  Don  Stebe§üer^ä(tniffen  im  Scben  ber  9tomantifer 
übert)aupt,  fo  fönnte  man  üielleid^t  ^ö^nifdE)  fagen:  ®a§ 
ift  nun  bie  ebte,  l§o§e,  emige  Siebe!  auc^  hit  burd^fid^tigfte, 
berfeinertfte  ©mpfinbung  ift  nur  ein  filberncr  2)unft,  ber 
grobe  ©innlic^feit  öerfditeiert;  ober  e§  !önnte  Siner  fragen, 
ob  nid^t  ber  fimpte  9Wann,  ber  fid^  fd^Iedjtiueg  in  ein  !^übfd^e§ 
©efidit  öerliebt,  fein  SJJäbd^en  tjeimfül^rt  unb  öielleid^t,  loenn 
fie  öor  ifim  ftirbt,  fid^  nid^t  luiebcr  0erI)eiratIjet,  lueit  i^m 
feine  fo  gut  Jpie  fie  gefällt,  fid^  nid^t  beffer  auf  bie  ed^tc 
Siebe  oerfte^t  al§  biefe  ©d^iuärmer  mit  il)ren  ^od^füngenben 
SBorten  unb  fpi^finbigen  Sljeorien.  SSorauf  gu  entgegnen 
lüäre,  ba§  eben  in  bem  Tlal^e,  aU  ta§  ^nfttnftiüe  in'§  33e- 
tüu^tfein  tritt,  e§  5unäd)ft  an  Straft  ucrliert;  Xijiere  irren 
fid^  nic^t   in   ber  2öat)I  i[)re»   SebenSgefätirten.     S)ii§  alte 


9iomantifcf)e  Cie6e.  265 

«Sprüc^luort  [agt  —  „^er  bte  2Bat)I  l^at,  ^at  bie  Dual". 
SJJtt  bem  2BäI;(enfönnen  beginnt  bte  @c^ii)ierig!ett  ber  5(u§Iefe, 
bte  SRögüc^fett  be§  Sri^^nä,  "i^a^  §tn»  unb  ^ergertffenlrerben 
jintfd^en  mannigfachen  Sorfungen  unb  Stetjungen.  2öo  einmal 
bie  2}Jeiniing  fierrfc^enb  geworben  ift,  bie  Siebe  fei  bie  ^aiipt- 
fad^e  im  Seben,  too  ber  9(nfpriid^  entftanben  ift,  ba§  geliebte 
SBefen  foHe  einem  jur  !i8erücüfommniing  unb  S^erflärnng  be= 
plfüd^  fein,  IDO  jnjet  eine  I^armonifc^e  ©in^eit  bilben  fotten, 
befommt  bie  ^erfonenfrage  unenblic^e  2Bi(i)tigfeit.  ©oU  bie 
e^rau  bem  S[Ranne  nur  ©attin  im  !ör|)erli(f)en  (Sinne,  9te* 
giererin  feine»  ^au§iuefen§  unb  SBärterin  feiner  fleinen 
,<S'inber  fein,  fo  ift  fein  ®runb,  tüarum  er  nic^t  mit  jeber 
gefunben  unb  tüchtigen  grau  jufrieben  fein  foHte.  (Btwa^ 
ganj  5lnbre§  ift  e?,  h)enn  lüir  eine  mijftifc^c  <SeeIentierbinbung 
mit  ^emanb  eingeben  luotlen,  n?enn  ha^  elieti(^e  SSeri^ältni^ 
bie  ©runbtage  unfre§  ganzen,  aud^  beg  innertid^en  ßeben§  fein 
fotf.  SBäre  nun  ein  rul^ige»  2Sä^Ien  be§  ganjen,  gefammelten 
SJJenfd^cn  tnöglic^,  luärcn  tüir  unfe|tbar,  fo  tonnte  hk  erfte 
Siebe  un§  bauernb  befriebigen  unb  hu  einzige  bleiben.  SIber 
tu  @innli(^!eit  ift  nid^t  iceniger  tt)ätig  aU  früher,  im 
©egent^eil,  ha  \iä)  hav  (beifüge  üon  it)r  abgelöft  I)at,  ift 
ber  pure  S^rieb,  ber  jurücf geblieben  ift,  um  fo  l^i^iger  unb 
gettjaltfamer.  @r  tüirft  fid^  auf  einen  beliebigen  ©egeuftanb, 
blinblingS,  |aftig,  elje  noc^  haS^  geiftige  ©efü^I  fein  Urt^eit 
bitben  ober  if)m  ®e£)ör  öerfd)affen  fann.  ©erabe  in  ber 
erften  ^ugenb  ift  biefer  2;rieb  am  unbänbigften.  2Bie  un= 
moralifd^,  \a  un^eifig  crfcfieint  e§  oon  biefem  ®efic^t§pun!t 
auö,  toenn  man  bie  erfte  Siebe  einig  machen  tnitt.  @»  ^ei^t, 
ben  SnftinÜ  fanftioniven.  S)ie  ^ird^e  luürbe  ^ier  einluerfen, 
baB  bie  (S^e  eine  erjiel^Iii^e  Einrichtung  fei,  unb  ha'\i  ha§ 
Snbioibuum  befto  grünblid^er  erjogen  tnerbe,  je  luiber* 
ftrebenbev  ba§  Stnbre  fei,  bem  e§  fid^  anpaffen  muffe.     5tber 


266  9iomanttfcf}c  SteBe. 

btefer  ftrenge,  iniprQftifc|e  S^eaü^miis,  ber  äRenfd^en  oor- 
au§fe§t,  lüie  fie  in  ber  2Strfü(f)fett  nie  ober  faft  nie  ju 
finben  finb,  ift  bcm  mobernen  9J?enjd^en  fremb.  @r  njilt 
jmar  bie  Statur  6e|errjcE)en,  aber  Unnatürliche^  unb  SBiber- 
natürtic^e§  ftö^t  il^n  ob.  5)a§  ©efü^I,  ha'^  jeber  Organis- 
mus etlpa§  Sebenbiges,  SeiDegtid^eS,  SSeränberIid§e§,  ©ic^- 
enttüirfelnbeS  ift,  burctjbringt  bie  Slnfc^auungen  auf  jebem 
Gebiete,  ^ii'if'^en  tobter  @tarrf)eit  unb  gefe|Iofer  Un«- 
gebunben^eit  fott  fid^  bie  freie  Stugbilbung  belüegen.  ©d^Ieier- 
mai^er  fprad^  fid^  über  ba§  SSorurtleil  ber  erften  unb  ein^^ 
äigen  Siebe  folgenberma^en  ai\§.  2llle§,  fagt  er,  beginne 
mit  inftinftiüen  3flegungen,  bie  fi(^  erft  burd^  Hebung  gu 
beftimmtem  SSoHen  unb  S3ert)uBtfein  entiüicfelten.  „SBarum 
foHte  e§  mit  ber  Siebe  anberS  fein  aU  mit  aUem  Uebrigen? 
©olt  etira  fie,  tk  tia^  ^öc^fte  im  9}lenfd^en  ift,  gleidE)  beim 
erften  SSerfud^  öon  Den  leifeften  Biegungen  bi§  jur  be»» 
fttmmteften  JßoÜenbung  in  einer  einzigen  S^at  gebei^en 
fönnen?  ©ollte  fie  leichter  fein  al§  bie  einfache  J^nnft  ju 
effen  unb  §u  trinfen?  5(ud^  in  ber  Siebe  mu§  e§  öorläufige 
SSerfuc^e  geben,  nu§  benen  nidC)t§  S3teibenbe§  entfielt.  S3ei 
biefen  SSerfnd^en  nun  fann  aucf)  bie  33e;^ie^ung  auf  einen 
beftimmten  ©egenftanb  nur  dwa^  3"fänige§,  ^ödfift  S3ergäng* 
Iic^e§  fein,  ebenfo  üergänglid^  oI§  ba§  ®efü^l  felbft.  Tlad) 
bir  ja  fein  foId^eS  ^irngefpinft  öon  ber  |)eingfeit  einer 
erften  (Smpftnbung,  aB  beruJ)te  nun  2ltle§  barauf,  ba§  etU)a§ 
Drbentli(f)e§  barau§  toürbe.  SDie  ^Romane,  bie  biefe»  be- 
fc^ü^en  unb  jlüifc^en  benfelben  §iüei  SJfenfd^en  bie  Siebe 
öom  erften  rollen  5tnfang  U^  jur  |öc^ften  SSoHenbung  fic^ 
in  einem  (Strich  fort  auSbilben  laffen,  finb  ebenfo  üerberbtid^ 
a(§  fie  fc^Iec^t  finb."  ©erabe  ba§,  fä^rt  er  fort,  ha^  man 
gtaube,  jeben  SSerfud)  burc^  Sreue  öereluigen  ju  muffen, 
fei  'ha§'  (Sefäf)rlict)e.     @r  öerftetgt  fid§  5U  ber  S3el)auptung, 


^'oiitnnlijcfie  2ie6e.  267 

einen  neuen  SSerfudj  mit  bemfelben  ©egenftanbe  anzufangen, 
fei  unter  Uniftänben  lueit  luibertuärliger  al§  bie  @t)e  5rt)if(f)en 
©c^U'efter  unb  33ruber. 

5luci^  @cl^Ieiermacf)er  liebte  ja,  unb  jiuar  gerabe  ftjä^renb 
er  bie§  fc|rieb,  eine  üer|eirat|ete  grau  unb  Ijot  fpäter  bie 
SBittuie  eines  üerftorbenen  greunbeS  ge^eiratl^et.  (Sr  fonnte 
an  fid)  unb  an  öielen  grcunben  bie  (Srfafirung  mad^en,  ba§ 
f|3äter  unb  mit  33enui|tfein  gefönte  Sieigungen  hk  frühen 
Sugenbüeben  an  j^i'He  unb  5:iefe  übertreffen.  ®§  ift 
luunberbar,  mie  in  biefer  3eit  tk  i)öd)ik  ^ttt  üon  ber 
SBic^tigfeit  unb  (Smigfeit  ber  Siebe  mit  ber  ftjeitiierjigften 
5yia(f)fic§t  gegen  Untreue  unb  aller^anb  Siebesirrungen  ju* 
fnmmengel^t.  Sc^eibungen  unb  SSieberüermä^Iungen  icaren 
nichts  @eltene§.  @(i)ening'§  SSater,  ein  braüer  f(f)luöbifdjer 
^aftor,  ber  au§cr  fic^  luar,  al§  fein  @o^n  auf  ber  Sifiule 
in  beu  $8erbadjt  fam,  bie  SJJarfeidaife  in'§  Seutfc^e  über- 
tragen ju  :^aben,  nat)m  feinen  ^nftanb,  i^n  mit  ber  ge- 
fd^iebcnen  gi^au  2BiIf)eIm  ©d^legefö,  bereu  tued^felootte  SSer= 
gangeuf)eit  i^m  getüi§  befannt  luar,  felbft  ju  trauen.  5(ud) 
UJenn  man  annimmt,  ba^  fiaroIine'S  SiebenSluürbigfeit 
etluaigen  SBiberftanb  in  i^m  befiegte,  bleibt  e§  boc^  be- 
merfenSiuert^,  mit  luetc^er  gren^enlofen  Siebe  unb  ^od^- 
ac^tung  bie  alten  ^farrerlleute  ftet»  öon  t^rer  ©c^n^ieger« 
totster,  bie  11  ^al^re  älter  a(§  il^r  Waxm  tvax,  fprac^en. 
SBenn  auc^  barüber  gefproc^en  luurbe,  ging  e§  borf)  unbe« 
anftanbet  ^iu,  ta^  ©c^teiermacber,  ein  Öieiftlid^er,  innig 
befreuubet  mit  ber  fdjijneu  Qübin  Henriette  ^er5  unb  i§r 
täglidier  ®aft  luar,  unb  ha^  er  hk  grau  eine§  anbren 
©eiftlic^en  liebte.  S)aB  biefe  fid^  jur  ©Reibung  öon  i^rem 
SJianne  nic^t  entfd^üe^en  fonnte,  machte  ©c^Ieiermad^er  i§r 
§um  bitteren  S^oriuurf, 

5luberfeit§  aber  lebten  biefe  9JJenfc§en  §äu§Iic^  uüb  fittlic^. 


268  S^omantijdje  Siebe. 

(Sben  ba§  ber  gefd^Ied^tltc^e  %xul  fid^  ganj  in  etiler  Siebe 
aufleben  foHte,  ha^  nichts  baoon  auf  ber  ©äffe  berfc^menbet 
njiirbe,  mad^te  tk  offenfunbigen,  gebilbeten  5Sert)ä(tniffe  fo 
ftürmifd^  unb  leibenfc^oftlid^.  ^e  me^r  bie  Siebe  in'§  S3e- 
lüiifetfein  tritt,  je  erf)abener  man  fie  auffaßt,  be[to  größer 
niufe  ouc|  bie  SioUe  werben,  bie  fie,  nid^t  nur  in  fegen§= 
reid^er,  fonbern  oud^  in  berJ)ängni^öoIIer  SSeife,  im  Seben 
fpielt.  ^m  |)erbfte  prangen  bie  ^Blumen  in  brennenberen 
garben  al§  im  Sommer,  tnäljrenb  im  grü^Iing  2öei^  unb 
btaffeS  (SJelb  unb  33tau  öortierrfd^t. 

S)ie  entfe^Iid^ften  folgen  gerabe  für  bie  Quht  ^at  tia^ 
^luiefpältige  im  romantifd^en  9JJenfd^en.  @r  möchte  in  ftd^ 
einig  fein,  möchte  in  einem  ©efü^I  2lffe§  fül^Ien,  finntid^  unb 
geiftig  äugleid^,  aber  nur  SBenigen  lüirb  ha^  ju  2;^eil.  ®a§ 
getftige  ®efü!§I,  ha§  mit  fpiritualiftifd^en  5(ugen  hk  pure 
©tnntid^feit  beobachtet,  fdfiridt  üor  i^r  jurüc!.  Unb  bann 
toieber  räc^t  fid^  bie  Statur.  (SJerabe  in  bem  Stugenblid, 
n)o  ber  SJJenfd^  burd)  bie  ©d^ioungfroft  ber  Siebe  fid^  gänjtid^ 
öon  feinem  Körper  Io§gcriffen  ju  l)aben  glaubt  —  ä|nlic^e 
SBenbungen  tommen  häufig  bei  SiecE  öor  —  unb  an  ba§ 
9fieid^  ber  ©eifter  flopft,  fü^It  er  fid^  in  t^ierifc^e  i5aunen«= 
geftalt  Oertuanbelt  unb  ftürjt,  gelähmt  üor  ©ntfe^en,  auf  bie 
(Srbe  5urü(f. 

Tlan  mu^  nidE)t  glauben,  ha^  bie  9lomantifer  bie§  2lIIc§ 
nid^t  bollfommen  getoufet  unb  burc^fd^aut  Ijätten.  „®etui§ 
ift  bie  fublimirte  9JJt)ftif  unb  bie  orbentlid^  fd^o(aftifd)e 
^ebanterie  in  ber  9J?etap!§t)fif  ber  Siebe  öider  mobcrner 
S)id^ter  üon  ed^ter  Ö^ra^ie  fef)r  loeit  entfernt",  fagt  {^riebric^ 
©d^Iegel.  Unb  9fo0ntt§:  „9J?ir  fd^eint  ein  Srieb  in  unfern 
Stagen  allgemein  öerbreitet  gu  fein,  bie  äußere  SBett  hinter 
!ünftlid)en  |)üllen  ju  üerfteden,  üor  ber  offenen  9?atur  fid^ 
gu  fd^ämen   unb   burcEi   S3er^eimlid^ung    unb   SSerborgen^eit 


9?omanlifd)e  Siede.  269 

ber  ©tnnenlDefen  eine  bun!te  ©etfterfraft  i^nen  beizulegen. 
SftDmantijd^  tft  ber  STrteb  gemt§,  allein  ber  finblid^en  Unfd^ulb 
unb  ^lar^eit  nic^t  üDrt|eU^aft;  beionber§  bei  ®efd^Ierf)tg- 
üerfiältniffen  tft  bie§  bemerüid^."  Unb  Wer  n^äre  fid^  be§ 
Urfprungä  ber  dualen,  bie  t^n  f eiber  jerfleifd^ten,  beffer 
bemüht  getoefen  aU  %ud,  ber  im  ^^anta[u§  fagt:  „'^m 
aJZittelalter  (er  Ijätte  fagen  Jollen  im  2tltert£)um)  luar  bie 
übev[innli(^e,  aii^er[innlic|e  2id)t  nod^  nic^t  oon  ber  finn» 
liefen  getrennt,  fonbern  fie  n)aven  mit  Seib  unb  ©eele  öer^ 
bunben,  in  ber  :§ö(f)ften  SSergeiftigung  gefunb,  in  bem  freieften 
©d^erje  nufd^utbig."  9?un  fielen  bie  geiftigfte  unb  bie  finn- 
lic^fte  Siebe  getrennt,  feinbjelig  einanber  gegenüber.  (Sine 
finnltd^e  ®Iut{)  entfielt  in  ber  9iomaiitif,  öon  ber  ber  antife 
SJJenfd^  ni(^t§  tt)ei§.  ^lUuei^e«  *üe|t  fie  nur  U)te  ein  feud^ter, 
fcnft  anfdjmiegenber  Stt^emjug,  suiueiten  aber  mit  bem  t)er= 
je^renben  $auct)e  be§  SBüftenluinbeS ,  ber  fi^  töbtlid^  um 
ben  blüf)enben  Steij  ber  S^iatur  tüinbet.  @§  ift  ba§  lec^jenbe 
S3erfd)mo(f)ten  be§  franfen,  ^erriffenen  SJJenfd^en,  ber  einen 
5lbgrunb  in  fic^  ausfüllen  wxU.;  be§  (SdE)attenIeibe§  im  §abe§, 
ber  S3Iut  trinfen  mu^,  um  irbtfc^e  Seben»fraft  gu  geiüinnen. 
2lu§  ben  ©räbern  be§  9J?ittetaIter§  tüerben  fie  lieber  :^erauf= 
bef^moren  hk  gelben  ber  furc^tbor  fd^öneu  Unerfättlic^feit, 
bie  eine  bunfle,  ftürmenbe  ©efinfud^t  burd^'§  Seben  jagt, 
gauft,  ber  in  feinen  eigenen  flammen  öerbreunt.  deiner 
l^at  biefe  mörberifc^e  Stebe§glut:^  fo  jerrei^enb  bargefteüt 
tüie  Sied,  aud^  (S^oeti)e  nid^t;  Ujenn  auä)  nur  bie  t^m  ange- 
borene fRücffid^t  auf  bie  ©d^öni^eit  i§n  üer^inberte,  fotd^e 
Saute  brennenber  ©innlic^feit  an5ufd)(agen.  <Sie  fo  in  fid^ 
erlebt  §u  ^ben,  luar  er  ju  !^armonifc^  üoKenbet.  ^n  S^iecf's 
^^antafuS  taucht  5uerft  has,  bleiche  öermilberte  S3i(b  be§ 
Sannijäuferg  mieber  auf.  SBeIc^e§  ©ijmbol  für  ben  mobernen 
SJ?enf(^en!     S)iefer  Jüngling,   beffcn   bämonifd^e  ©e^nfuc^t 


270  9iomantijd)e  Siebe. 

btc  @cbe  ntc^t  fätttgt,  bcm  bie  ®öttin  ber  Siebe,  ^ingeriffen, 
t[)r  unterirbtfc^e§  9leid^  öffnet!  „So  mochte  ein  ^a§r  oer- 
floffen  fein,  aU  meine  5lngft  6il  juc  SSerjtoeiffung  [tieg; 
e§  brängt  mic^  roeiter,  lueiter  ^inetn  in  eine  unbekannte 
gerne,  td^  ^ätte  nitd§  öon  ben  ^o^en  33ergen  ^inab  in  ben 
(Stanj  ber  SSiefenfarben,  in  ba§  fü^Ie  ©ebraufe  ber  Ströme 
ftür^en  mögen,  um  ben  gtü^enben  ®ur[t  ber  Seele,  bte 
Unerfättlic^feit  5U  löfd^en;  tc^  fetjnte  mic§  nad^  ber  33er^ 
ntc^tung,  unb  rateber  tüie  gotbene  äJinrgeniüoIfen  fd^roebten 
§offnung  unb  8eben§Iuj't  öor  mir  bin  unb  todten  mid^  nad^. 
S)a  tarn  td§   auf  ben   (SJebanfen,    ba^  bie  ^ötte  nad^    mir 

lüftarn  fei "     SDte  3Senu§  im  ^örfefberg  ^at  nichts 

5U  t^itn  mit  ber  gried^ifd^en  5tp^robite,  beren  9tein()eit  unD 
ru{)ige  ißollenbung  ber  mittelatterüd^e  50Jenfd§  nid^t  me^r 
öerftanb;  er  fa§  in  i^r  nur  bie  t'mt  Seite  feinet  2!Befen§, 
bor  ber  er  ftd^  furd^tete  unb  hie  i^n  locfte,  er  nannte  fie 
bie  fc^öne  ^eufelin.  ®a§  mu^  man  bei  %kd  lefen,  ft)ie 
ber  Satfam  i^rer  3Sonne  bie  ^ei^en,  bintenben  ^Sunben 
feiner  Seele  fd^tie^t,  tüte  in  einer  feiigen  SeranfcEiung  bal 
emig  brängenbe,  pod^enbe  53tut  fid^  befd^mid^tigt.  S'hin  aber, 
ba  ber  ftac^elnbe  ^ämon  eingefd^Iäfert  ift,  öffnet  ber  (Sngct 
in  i^m  feine  reinen  klugen  entfe|t  unb  jagt  ben  Sejauberten 
auf  oon  ber  meieren  33cnft,  luo  er  gtücftid^  lüar.  ®a»  ift 
bie  ÖJefd^id[)te,  bie  Xieä  meniger  lüo^t  im  öeben  aU  in  feiner 
^^antafie  erlebte.  S)a§  Oerjmeifelte  ^in«  unb  ^ergeriffen* 
fein  gmifd^en  ber  l^eibnifd^en  3Senu§  unb  ber  £)eitigen  (Slifa- 
bet^  ift  ha^  XCiema  faft  aller  feiner  ^ugenbroerfe.  ^ie 
Sd^ärfe  unb  2i3at)r^eit,  mit  ber  ha^  Problem  im  Soüett  jum 
5lu§brnc!  fommt,  mad^t  bie§  oerfd^mä^te  SSerf  fo  eigen- 
t^ümlid^  anjte^enb  unb  tüert^ood.  ^werft  bie  mt^ftifd^e 
Söonne  ber  jungen  Seele,  bie  fid^  auf  ben  unfid^tbaren, 
ftarfen  klügeln  eine§  guten  (SngeB  bnrd^  bie  golDene  (^Int^ 


Duimantifrfje  SicDe.  271 

be§  §tmiite[§  getragen  fü^lt,  lüo^in  anber»  fönnte  e§  fein, 
aU  in  ben  ©d^o^  ®otte§,  mitten  in  bie  5üffe  ber  Siebe, 
lüo  ane§  SSe^  unb  55eilangen  ^ei(t,  lüo  unerfd^öpflic^er 
Ueberflnf?  bie  irbifd^cn  äRängel  au»füfft?  91un  fommt  ber 
I)öi^[te  Slugenbltd,  wo  hk  ©eliebte  [td^  tiebegetüä^renb  bem 
anbetenbeu  5ßereE)rer  ^ingiebt.  2lber  er  mac^t  eine  fürd^ter^ 
üd^e  (Sntbecfung;  benn  ber  ®urft  ift  jloau  gelöfc^t,  aber  an 
bie  ©teile  ber  (Sd)n]üd)t  ift  feine  93e[riebigung  ber  Seele 
getreten,  fonbern  SSiij't^eit  unb  Debe.  2l(Ie§  ÖJiite,  ©d^öne 
unb  ^o^e  fc^eint  mit  ber  6e§n[uc|t  ^inmeggenommen,  ja 
ha^  Seben  felbft.  SBar  e§  benn  fein  (Sngel,  ber  t()n  fo 
leidet  über  bie  (Srbe  tüegtrug?  2Bar  e§  ein  Jiö^nenber  Seufel, 
ber  [id^  mit  i§m  berabftürjte,  a(§  er  in  bie  ^eilige  ®otte§- 
nä^e  fam?  Ober  mar  e»  nur  bie  läd^erlic^e  ©inbilbung 
bei  9tauf(^e§,  bajs  er  ju  f(^iüeben  ttjä^nte,  unb  er  £)atte 
üietleid^t  bie  ©rbe  niemall  üertaffen?  (Sl  ttjar  nid^tl  all 
gemeiner,  t:^terifd)er  junger  gelyefen,  ben  förperlid^e  ©pei[c 
ftiffte.  Soüett  ge^t  an  biefem  3toie[paIt  ^\i  (SJrunbe;  er 
fann  ben  (Slaubcn  nid^t  jurücferobern,  ben  er  öerloren  Ijat, 
all  er  jum  ersten  9)Jat  bie  ©rfa^rung  mad^te,  ba^  feine 
geiftigften  ©nt^ücfungen  auf  finnlic^e  Öieniiffe  :^tnaulliefen. 
Stecf  aber,  obmo^I  er  faum  20  ^a^re  a(t  toar,  all  er 
ben  SooeH  fc^reibt,  jieljt  bod^,  obroot}!  er  feinen  gelben 
fd^mä^Iic^  5U  ÖJrunbe  ge^en  lä^t,  nid^t  ben  ©d^tu^,  el  gäbe 
nid^tl  ©eiftigel,  (äDlel  in  ber  Siebe;  öielmeljr  fpric^t  er  ftar 
feinen  ©lauben  an  SJienfc^en  aul,  bie  finnlid;el  unb  geiftigel 
©mpfinben  in  fid^  öerfd^met^en  unb  baburc^  beibel  öerebelu 
fönnen.  „SBenn  ber  'Mmid)  fic^  in  feiner  ©tunbe  burd^ 
biefe  SSerbinbung  geftört  füp,  bann,  glaube  id),  'i)at  er 
feine  fc^önfle  SSottenbiing  all  9}iann  er^tten,  er  ift  über 
niebriger  SBotluft  unb  über  fc^ater,  fein  aulgcfponnener  unb 
langiueiliger  ^ärttic^f eit  gteidö  raeit  erl^aben." 


272  9tümanttfcl)e  Siebe. 

Slber  Stecf  ^at  feine  Siebe  unb  jugleid^  fein  Seben  nii^t 
fo  üoHenbet  geftalten  fönnen.  $ßon  feiner  „lieben  5(matie", 
mit  ber  er  fic§  qI§  |dber  ^nabe  öerlobt  ^tte,  roei^  man 
luenig;  ba§  fte  einjufc^tnfen  pflegte,  luenn  er  t|r  feine  SBerfe 
üorlaS,  tüomit  er  fonft  ^ebermann  bezauberte,  beutet  auf 
geringe  geiftige  5Regfam!ett;  au§  ber  ftüd^tigen  Slrt,  Ujornit 
bie  g-reunbe  be§  |)aufe§  fie  erUJät)iten,  möchte  man  f(f)Iie^en, 
ba^  fie  unbebeutenb  toar,  aber  gutartig  unb  befd^eiben.  STie 
SiScretiott  ber  ga^treitfien  greunbe  %ud'§>  ^at  bafür  geforgt, 
ha'^  ntc^tg  $8eftimmte§  über  fein  33erf)ättntfe  ju  ber  ©räfiu 
ginfenftein,  bie  in  feinem  |)aufe  lebte  unb  aU  ?5amitten= 
mitglieb  betrachtet  n)urbe,  befannt  gelüorben  tft;  nur  ba§  ift 
fidler,  ba§  ba§  @Iücf  be§  §aufe§  burd^  biefe  fonberbare 
SSerbinbung  jerftört  tt^ar. 

%itd  toar  ein  ©enie  ber  greunbfd^aft,  ber  Siebe  nid^t; 
bie  Sizilien  lüaren  für  t^n  ein  ©lement,  ba§  bie  finnlid^e 
|)älfte  feines  2Befen§  getüaltfam  anjog  unb  fid^  oerbanb, 
lüoburd^  er  ben  3iifnnioien^ang  unb  bie  @in^eit  in  fid^  t)er=» 
lor.  Sfiur  ber  Öilüdlic^e,  beffen  2;rieb  belüu^tlofe  SöeiS^ett 
unb  beffen  ©eift  ber  Siatur  befreunbet  ift,  fann  fic^  feinem 
^erjen  i^ingeben  unb  fein  §etl  auf  W  Siebe  grünben; 
biefe  ©ragie  unb  e^römmigfeit  be§  ^erjenS  ht\a'^  9JoüaIi§. 
2)er  5lDel  feiner  Seibenfc^aft  ^ätte  ha§:  ©eelenlofe  nid^t 
lieben  unb  bie  Ueppigleit  feinel  ©elftes  fic^  im  D^atur- 
lofen  nic^t  wo^t  füllen  tonnen.  SKenn  feine  Gräfte  nid^t 
gons  im  ©leictigelüic^t  Jüaren,  fo  lag  tit  ^Disharmonie 
barin,  ba§  "iia^i  |)imm(ifd^e  in  i^m  ba§  Uebergetoic^t  ^atte 
über  ba§  ^rbifc^e,  ober  beffer  gefagt  Sinnliche;  benn  er 
lebte  ja  gern  im  Sanbe  ber  Sinne,  —  fo  brücEte  er  felbft 
eS  aus  —  nur  nid^t  in  bem  ber  ©innlic^feit.  @S  mar  i^m 
intereffant,  fid^  hierin  mit  feinem  greunbe  e^riebrid^  ©d^Iegel 
ju  öergteic^en,  in  beffen  Sucinbe  er   eine  ^bealifirung   beS 


9iDmantiid)c  Siebe.  273 

SSegetatioen  fa^.  2In  Caroline  fc^rieb  er  barüber:  „MnU 
luürbtg  öerfd)ieben  |at  auf  m\^  httiie  bte  i)öd))ie.  Siebe  ge= 
luirft.  Sei  mir  mar  5lffe§  im  Slir(^en[ti}I  ober  im  borijd^en 
Siempelftt)!  componirt.  ©ei  i^m  ift  9l(te§  forint^ifd^."  ©eine 
eigene  ^tnfic^t  über  tia^  ©iuntic^e  in  ber  Siebe  f^at  er  in 
bemfelben  S3riefe  flar  au§gefpro(^en  in  ben  SCBorten:  „SSiel- 
leic^t  gel^ört  ber  ©innenraufcf)  jur  Siebe  tt)te  Der  Schlaf 
5um  Seben.  2)er  ebelfte  %i)di  i'\t  e§  nic^t,  unb  ber  rüftige 
äRenjd^  lüirb  immer  lieber  luac^eu  aU  fc^Iafen.  2lu^  ic^ 
fann  ben  @(i)Iaf  nicfit  üermeiben,  aber  ic^  freue  mid^  tod) 
be§  3Bac^en§  unb  münfc^te  ^cimlic^  immer  gu  tDad^en." 
9fD(^  beutlic^er  irirb  bie  33ebeutung  be§  S3tlbe§,  föenn  er 
gelegentlich  ben  Schlaf  al§  eine  Sntäie^ung  be§  geiftigen 
9ieiäe§  befinirt,  ber  für  bie  fc^mac^e  Drganifation  he§  äJien- 
fc^en  jet^t  noc|  not^iuenbig  fei;  einft  aber  würben  lüir  immer 
gugleic^  tüad^en  unb  fd^Iafen.  2Sa§  g^riebric^  ©c^IegefS 
SSerftanb  forberte,  'ba^  man  in  ber  beliebten  ©Ott  lieben 
muffe,  luar  bem  fc^önen  (Semüt£)e  ^arbenberg'g  natürlich. 
jDarum  fagte  ^aroüne,  man  luiffe  anS'  feinen  Sieben  nie, 
njen  er  liebe,  ob  e§  t)k  ^axmonk  ber  SSelten  ober  eine 
|)armonifa  fei;  ^armonifa  nannte  fie  feine  33raut,  bereu 
®afetn  fie  üermut^ete,  o^ne  iljren  !:)iamen  gu  miffen.  S)ie 
platonifdje  Siebe,  ju  ber  ein  3(nbrer  feine  Seibenf(f)aft  Diet- 
leic^t  er§ie!)t,  mar  bie  tiimmtifcfie  Sic^tnatur  feiner  elemen* 
tarften,  bunfclften  triebe,  9iici^t  nur  um  feiner  ©(^ön^eit 
SBillen  liebe  ic^  ben  beliebten,  lä^t  ^lato  feine  SDiotima 
fagen,  fonbern  lueil  er  mir  |ilft,  t)a§>  ©d^öne  ^eröorjubringen. 
SSiele  ä^nltc^e  ®eban!en  finben  fic^  hei  9?ooaIi§,  hk  fidler 
loarm  unb  unmittelbar  au§  ber  (£rfal)ruug  feinet  |)er5en§ 
ftrömten. 

„^a»  i)öc^fte  &lüd  ift,  feine  beliebte  gut  unb  tugenb- 
§aft  gu  triffen,  bie  t}ödE)fte  ©orge  ift©orge  für  i()ren  öbelfinn." 

§uc^,  Siomcintifcr.  18 


274  9iomantiid)e  i?ie6e. 

„^ebe  unrechte  ^anblung,  jebc  uinuürbtge  ©mpfinbung 
ift  eine  Untreue  gegen  bie  ©diebte,  ein  S^ebruc^." 

„(Sine  ©^e  füllte  eigentlich  eine  langfame,  continutrlid^e 
Umarmung,  ©eneratton,  malere  ^iutrition,  Silbung  eine§ 
gemeinsamen  ^armonifrfien  2Be[en§  fein." 

S)er  ©rang,  fic^  mit  ber  beliebten  gu  öeröonfommnen, 
t^r  5ur  ^ßollenbung  ju  l^elfen,  ift  bie  ©eete  feiner  Siebe; 
tiietteid^t  ift  ta§  bie  allerfeinfte  unb  atlergröfeefte  <SeIbft- 
lofigfeit  ber  Siebe,  ba§  t|m  i^re  SSottfommenfieit  mefir  om 
^erjen  lag  al§  feine  eigene.  3fJur  mu^  man  nid^t  bcn!en, 
'ba^  bie  Solge  biefeä  3öeali§mu§  jemalg  Unbulbfamteit  ge- 
luefen  fei;  feine  ^l^antofie  h)eilte  nid^t  bei  etlüaigen  9)^ängeln, 
fonbern  bei  ber  in  SSoHenbung  öorfd^lüebenben  ©eftalt,  ber 
fie  ju  gleichen  befttmmt  n^ar. 

(gg  ift  eigent|ümli(^ ,  tute  S^JoüaliS'  3luffaffung  überein- 
fttmmt  mit  ber  Siebeätljecrie  be§  9laturplji(ofop^en  Saaber, 
ben  er  jiüar  über  5itte§  üere^rte,  beffen  barauf  bejüglic^e 
©Triften  ober  erft  nad^  feinem  2:obe  entftanben  finb.  2UIer= 
btng§  ift  ber  ^'ern  öon  S3aaber'§  Se^re  nid^tä  '2(nbre§  aU 
bie  9Jil)fttf  Pato'g  unb  Qafob  S3ö^me'§,  ju  irelc^en  beiben 
atle  iRomantifer  eine  innige  ^öeriuanbtfc^aft  füljlten.  Saaber'ä 
©ebantengang  ift  etnja  fo:  2lbam,  fo  tuie  t^n  ®ott  §u  feinem 
(Sbenbilbe  gefd^affen  i^atte,  ionr  9}Zann  unb  SBeib  ^ugteic^, 
ein  ganjer  ÜJienfct).  ©r  fanf  au§  feiner  tio^eren  DJatur  in 
bie  fleifdjlic^e  baburct),  ha'^  er  nad^  bem  ^dht  in  i^m  ge- 
lüftete, unb  mit  biefer  Spaltung,  ber  Schöpfung  be§  SBeibeg 
au§  i^m,  iDurbe  ba§  ©otteSbilb  jerftört.  2)ie  SBieberooII» 
enbung  be§  ©otteSbilbeg  ift  ha^  3tel  be§  SUienfc^en.  ®teg 
Sebem  üorfc^luebenbe  33ilb  nennt  löö^me  ^hta  ober  aud) 
©op^ia,  SBeiö^eit,  nieil  e§  nämlic^  bie  9}ienfd^en  ^ur  SSoII» 
fommen^eit  lueife.  ©in  einziger  äRenfc^  ift  auf  ber  ©rbe 
erfc^ienen,  in  bem  beibe  S^laturen  (Sin§  luaren,  C£§riftu§,  ber 


9ioiunnti jd)e  SicDe.  275 

(^ottmtn'id),  ber,  tüte  Slöam,  ber  er[te  ^olbmenfc^,  am  Ein- 
gänge be§  alten  Seftamente^,  am  (Stngange  be§  neuen  fte^t, 
la^i  bie  gteligion  ber  Siebe  üerfünbet,  al§  Sürge,  ha^  ber  SKenjc^ 
'i>a^  öerlorene  ""^^arabteg  lieber  geminnen  fann.  ^ucfj  bie  ®nge(, 
bie  fein  ©ejc^Ied^t  ^aben,  finb  S^ertijrperungen  ber  2lnbrogi}ne. 

9^ur  ^teraul  lö^t  ftc^  begreifen,  marum  9ioüaIt§  eine 
fo  befonbere  greube  an  bem  9Jamen  feiner  ©raut,  ©op^ie, 
l^atte,  unb  fttarum  er  nac^  i^rem  Xobe  luie  ein  gelbgefc^rei 
ober  eine  ^arole  hk  S33orte:  (S§riftu§  unb  Sopi^ie!  in  fein 
Xaqehüä)  nteberjufc^reiben  liebte. 

Söenn  nun  eine  ä)Zanne§=  unb  eine  2Beibe§feeIe  fü^fen, 
bafe  fie  mit  einanber  ta^  üerlorene  ©ottesbilb  tierfteHen 
fönnen,  fo  entfte^t  Siebe.  ®ie  muffen  in  @e|nfuc§t  ju  ein« 
aiiber  entbrennen,  nic^t  lueil  fie  ^älften  eine§  ©anjen  finb, 
fonbern  ^älften,  au»  benen  ein  ©anjes  raerben  fann.  ®§ 
tft  bie  ^rt  ber  ^bea,  ha^  fie  bem  SJknne  al§  grau  er« 
fc^eint,  ber  grau  aU  9Jtann,  obrao^t  fie  feinet  non  beiben 
ift.  ®arau§,  ba^  ber  Siebenbe  ha^  33ilt)  ber  SßoIIfommen^eit 
burd^  bie  ©eftalt  ber  (Sieliebten  i^inburc^fc^immern  fietit, 
erflärt  Saaber  bie  ^bolatrie  ber  Siebe,  unb  er  nennt  biefe 
SSifion  ben  ©ilberbUcf  ber  Siebe,  ber  ben  meiften  9J?enfc^eu 
letber  aH^u  rafd^  entfdiminbe.  !J)enn  in  i^rem  erften  ©tabium 
tft  bie  Siebe  nur  Srieb,  fräftig,  lüorm,  einig,  aber  ge- 
brechlich. 9^iemal§  gleitet  fie  ganj  unmerflic^  in  ba§  §meite 
iiber,  wo  fie  beiüu^t  tuirb.  @l  bebeutet  baefelbe,  tuenn 
griebric^  ©erleget  einmal  fagt:  „SBas  man  eine  glücflic^e 
ö^e  nennt,  öerplt  fic^  jur  2iebt  lüie  ein  correfte»  ©ebic^t 
5U  improDifirtem  ®efang";  nur  tia^  man  oielleic^t  in  ber 
Slrt  be§  2lu§btucf§  eine  S^orliebe  für  ba§  SSolf^mä^ige  unb 
alfo  \vLi  bie  Siebe  im  ©egenfa^  jur  ßunftpoefie  unb  gur 
(5^e  mittern  fönnte,  meiere  Slnfic^t  aber  Schlegel  eigentlich 
fremb    mar.     9Jian    taufest    fic^,    fagt  33aaber,    roenn    man 

18* 


276  Ütoniantiirf)e  2ic6e. 

glaubt,  bie  Siebe  !önne  paffiö  genoffen  tcerben;  btetmeJir  ift 
fte  ein  gu  Iöfenbe§  Problem,  ®abe  «nb  5Iufgabe  äugletd^. 
(£r  fü^rt  ba§  allerliebfte  (SJIetc^nt^  Don  ben  5Iffen  an,  bie, 
luenn  fie  bie  SD'Jcnfci^en  jiifi  am  treuer  lüärmen  fe|en,  ha^ 
^wax  t^nen  nac^mad^en,  ober,  ba  fie  fein  ^olj  nad^Iegen, 
balb  frierenb  an  ber  Slfc^e  fi|en.  ®ie  5tufgobe  i[t,  ta^ 
'i)a§'  S3ilb,  ha^  ntc^t  Uxpnliö)  ift,  fonbern  nur  in  ber  ©gtafc 
ber  Siebe  nja^rgenommen  n^urbe,  fieröorgebrad^t  irerbe. 
©egenfettig  foHen  Tlann  iinb  SBeib  fic^  bel)ilflt(^  fein,  t|re 
9J?anni)eit  unb  2öetb|eit  in  etnanber  §u  überirinben  unb  ju 
ergangen,  lüeld^eS  SSort  ja  bebeutet  gang  ma^en,  trü|  ber 
©c^merjen,  bie  biefe  (gntunrfelung  mit  fic^  bringen  mu^. 
S)enn  ha§  neue  S3ilb  fann  nid^t  oollenbet  n^erben  o^ne  ^er- 
ftörung  be§  atten.  Sllfo  fommt  S3aaber  §u  bem  ©d^Iuffe, 
ta'^  \vat)xt  Siebe  nic^t  fein  fönne,  oljne  ha'^  9JJannt)eit  unb 
SBeibi^eit  i|r  geopfert  merbe;  „tt)a§  aud^  bagegen  fentimen= 
tale  ober  einfältige  2>i(^terlinge  unb  3f{omanfd^reiber  gur 
5t|30t^eDfirung  ber  3KännItd)feit  unb  SBeiblic^teit  un§  öor- 
Iciern,  loomit  fie  bod^  nur  ta^  X^kx  im  2Jienfc|en  apo- 
t^eofiren  motten." 

^emanb  fagte  einmal  öon  XiecE'g  SBerfen,  man  muffe  fie 
ntc^t  einzeln  beurt^eilen,  fonbern  atte  jufammen  at§  ein 
©angeg,  luie  man  tttva  einem  got^ifd^en  SJJünfter  gegenüber 
ücrfniiren  muffe;  bie§  lie^e  fid^  ebenfo  gut  auf  bie  Stomantif 
felbft  antüenben.  ®enn  fie  wirb  erft  bann  ju  einer  fo 
majeftätifc^en  (SrfcJieinung,  luenn  man  ba§  Sneinanbergreifcn 
unb  Sneinanberiüirfen  atter  ^hnn  fie^t,  unb  rate  ta^  @inc 
ba§  Stnbere  erleut^tet,  befräftigt,  erweitert,  fo  ta'i^  in  bem 
ganjen  großen  S3ilbe  jebeS,  toa^  für  fid)  attein  betracfitet 
oietteic^t  toittfürlid^  ober  öerjerrt  erfd^icn,  an  feiner  ©tette 
ba§  fc^önfte,  raa^rfle  Seben  ^at.  SÜßie  üiele§  §um  Söeifptel, 
ganj  unabi)ängig  öon  $8aaber  (Sntftanbeneg  öeretnigt  fid^  fo 


SRomantifd)e  Sieße.  277 

gtücf(id^  mit  feiner  5tnf(^auung:  [o  bie  5tiific^tett  ?5nebrtc^ 
@d^(egel'§  über  hk  SJJännlid^feit  unb  2öetbltcf;fett,  ha^  fie 
nämli(^  betbe  jur  I)üf)eren  SRenfdjItd^feit  gereinigt  Serben 
muffen,  unb  in  golge  beffen  feine  (Sl)mpatl)ie  für  bie  antife 
SJJeinniig,  ha'Q  eble  ober  ^immlifd^e  Siebe  nur  gtuifd^en 
9.1iännern  ^u  finben  fei;  roelrfie  9JZeinung  für  biejenigen  be= 
rec^tigt  ifl,  bie  nidit  baran  glauben  ober  nid^t  barauf  fommen, 
t>a^  ba§  ®efd)Ied)t  gtüar  nid)t  öertilgt  inerben  folle,  aber 
boc^  ber  9J?enfcf)ljeit  untergeorbnet  tüerben  fönne.  Ober 
bann,  mte  fc^ön  unb  bebeutenb  erfd^eint  auf  biefem  Öirunbe 
ber  anmutljige  ©a^  Söilljelm  ©c^legel'^:  SJi^fti!  ift,  iüa§ 
alletn  ha^  5luge  be§  Siebenben  an  bem  ©eliebten  fie|t. 
2Bie  ffar  öerftänblid^  mirb  bie  faft  (eibenfd^aftlid^e  perfön- 
lic^e  Siebe  ju  SefuI  in  9iot)aIi§'  geiftlicfien  Siebern.  ©anj 
lüunberüoll  aber  ift  e§,  luie  aud^  biefe  Unterfud^ung  Saaber'§ 
burd^au§  au§  bem  ©ruubjuge  ber  ülomantif  eriüac^fen  ift, 
ta^  Unbelüuf3te  beiuu^t  §u  machen,  au§  bem  triebe  eine 
^unft  luerben  ju  laffen.  SSie  er  immer  bagegen  eifert, 
©tauben  unb  SBiffen  aU  etmaö  notJ)iüenbig  @ntgegengefe^te§ 
5U  benfen,  fo  befäm^ft  er  ^ier  alle  hk,  luelc^e  bie 
SBiffenfc^aft  in  unb  für  hk  Siebe  al§  entbehrlich  ober 
unmöglich  ober  fd^äblid^  anfe^en;  „ba  ja  boc^  bie 
(Sc|Ied)tigfeit  be§  nur  irbifdien,  foioie  bie  25ortrefftidE)feit 
be§  l^immltfs^en  öro»  barin  befielet,  ba|  jener  blinb, 
biefer  l^ellfe^enb  ift." 

Snfofern  al§  ba§  Söefen  ber  Siebe  ©e^nfucfit  nad^  CSin^eit 
unb  bie  ft^raft  ift,  'i)a§  2lu§einanberflie^enbe  5ufammen5ufaffen, 
berut)t  ouf  ibr  bie  9JJöglic^!eit  formellen  2eben§  überhaupt; 
fo  tia^  man  in  t^atfödjlidifter  S3ebeutung  fagen  fann:  inferi 
sunt  ubi  noii  aniatur.  SBcnu  aber  mit  bem  ©rang  naä) 
^Bereinigung  ber  nad^  SSerooIIfommnung  nic^t  oerbuuben  ift, 
fo  ift  bie  Siebe  eigentlich  nic^t§  al§  ein  ^uiü^finfen  be§  oom 


278  älomanttfcTje  Siebe. 

Seien  ermatteten  SJienfc^en  in  bie  luonntge  9tu£)e  ber  Belnufet- 
lofen  9iatur  ober,  tt)a§  ba§feI6e  bebeutet,  in  ben  Sob.  ®a§ 
tft  ber  ß^cirnfter  ber  |eibni[c^en  Siebe,  bereu  tjerfü^rerifd^er 
(Sd^melj  um  jo  me^r  anjie^t,  lüeit  man  fälfd;Iic^  glaubt,  er 
muffe  nottilfenbig  bem  ^immlifc^en  örog  festen.  ®a§  mu^ 
man  aber  nie  öergeffen,  ba§  bie  9tomanti!er  burifiauS  feine 
©piritualiften  tüaren:  mit  ber  iinantaftbaren  ©eligfeit  ber 
^immlifc^en  lüoHten  fie  bie  elementare  ßraft  unb  @ü§ig!eit 
ber  trbifdien  üerfc^meljen. 

S3aaber  beflagte  e§,  ha'^  bie  Siebe  nod^  nirgenb§  in  ber 
mobernen  iTunft  unb  ^oefie  loürbig  bargefteHt  fei,  unb  lüünfc^t, 
e§  möge  fid^  ein  ®icl)ter  biefe  5Iufgabe  ftelleu;  fie  mü^te, 
fagt  er,  aU  ein  recbter  Öiegenfa^  ju  ber  Siebe  gauft'g  unb 
(Srctc^en'ä  erfd^einen,  bie  allerbingg  ade  @(f)önt)eit  be§2:riebe§ 
|at,  aber  tragifcf)  enben  mufj,  tüeil  fie  jum  Uebergang  in 
ba§  jiüeite  ©tabium  nic|t  burcfibringen  fann.  9^DöaIi§  ^at, 
lüeil  er  fein  t)oIIenbete§  SBerf  bintertaffeu  ^at,  ou^  eine 
öottenbete  ^arfteHitng  ber  Siebe  nid^t  geben  fönnen.  2Bot)r- 
fd^einlid^  l^ätte  feine  ^raft  auc^  nid^t  baju  ausgereicht.  3lber 
ber  ®eift  biefer  Siebe  lebt  überall  in  Ottern,  luaS  er  gefd^rieben 
l^at,  bnrd^Ieu(i)tet  Me§  tüie  bie  ermärmenbe  ©onne  mit  ber 
linbernben  3äi^tlid)feit  be§  9}?Dnbe§.  2Bie  ein  gotbener 
®iift  bie  SSilber  mand^er  itolienifdier  TlaUx  ganj  über,5,iet)t 
ober  n)ie  ber  mt)ftifd^e  ^arfnnfelftein  ber  morgenlänbifrfien 
5IRärd^en  in  bie  entferntefte  ®unfel|eit  glü^t,  fo  ift  ein 
©rfimelj  üon  SiebeSluft  barüber  ausgebreitet,  §iel)t  ber 
leife,  ent^ücfte  2It§em'  einer  inbrünftigen  Seele  ^inburd^. 
Sc|  tüill  a(§  93eifpiel  ba§  SiebeSgefpräc^  junfc^en  ^einric^ 
unb  9}?otbiIbe  im  Dfterbingen  anfüljren,  nacbbem  fie  fic^ 
berlobt  hahen;  o£)ne  übrigen^  beftreiten  §u  inollen,  ha^  e§ 
biefen  ätberif(^en  ©ebilben  an  fräftiger,  )3acfenber  (Sr- 
f(^einung  mangelt. 


51ioiiiantiicf)c  2tc&e.  279 

„0  ©efiebte,  ber  ^immel  f)at  ®tc|  mir  jur  SSeret^rung 
gegeben,  ^c^  bete  3)td^  an.  ^u  bt[t  bte  ^eilige,  bte  meine 
SSünfc^e  5U  6)Dtt  bringt,  bnrc^  bie  er  fic^  mir  offenbart, 
burrf)  bie  er  mir  bie  güUe  feiner  Siebe  !unb  tl)ut.  2Ba§  ift 
bte  ^Religion  aU  ein  unenblic^e§  (SinüerftänbniB,  eine  etüige 
SSereinigung  liebenber  ^erjen?  2Bo  3>uei  t^erfammelt  finb, 
ift  (£r  ja  unter  i()nen.  ^sd)  'i^abe  emig  an  ®ir  ju  at{)men; 
meine  Sruft  tuirb  nie  aufljören,  S>id^  in  fid^  511  ^ie^en. 
S)u  bift  bie  göttliche  i^ierrtid^feit,  ha^  etüige  Seben  in  ber 
lieblic^ften  ^n^t." 

„Sild)\  ^einridj,  5)u  luei^t  ba§  ©c^icffat  ber  Slofen;  n^irft 
®u  aurf)  bie  weifen  Sippen,  bie  bleichen  SSangen  mit  Bört- 
lid^feit  an  S)eine  Sippen  brüden?  2öerben  bie  ©puren  be§ 
3t(ter§  nid^t  bie  ©puren  ber  üorübergegangenen  Siebe  fein?" 

„D  fönnteft  ®u  burdf)  meine  5tugen  in  mein  ®emüt^ 
fefien!  aber  2)u  liebft  mi(f),  unb  fo  glaubft  S)u  mir  aud). 
3^  begreife  ba§  ntd)t,  tvas,  man  öon  ber  S^ergänglic^feit 
ber  SRei^e  fagt.  D  fie  finb  unöerluelftic^.  2Ba§  mid^  fo  un* 
§ertrennlid)  gu  S)tr  jie^t,  lua§  ein  etüige§  SSerlangen  in  mir 
genjecft  ]^at,  ba§  ift  nic^t  au^  biefer  3eit.  tönnteft  2)u  nur 
fe^n,  tuie  ©u  mir  erf(i)einft,  lueld)e§  lunnberbare  53t(b  S)eine 
©eftatt  burc^bringt  unb  mir  überall  entgegenleuc^tet,  S)u 
lüürbeft  fein  ^.Jllter  für(^ten.  Seine  trbifd^e  ©eftalt  ift  nur 
ein  ©chatten  biefe§  Silbel.  Sie  irbifc^en  Gräfte  ringen 
unb  quellen,  um  e§  feftsu^atten,  aber  bie  S'iatur  ift  nocf) 
unreif;  ba§  S3ilb  ift  ein  emigeS  Urbilb,  ein  S^eil  ber  un» 
befannten,  tjeitigen  2öeÜ." 

„^d^  öerftefte  Sicf),  lieber  ^einricli,  benn  i^  fe^e  etuia§ 
2(e|nlid^e§,  loenu  id^  Std)  anft^aue." 

„S«,  9J?at:^itbe,  bie  f)ö^ere  SBelt  ift  un§  näl^er,  aU  n^ir 
gert)ö^nlid^  benfen.     ©c^on  l)ier  leben  toir  in  if)r,  unb  tnir 


280  S{ümanti}d)e  Siebe. 

erbltcfen  jie  auf  ha^  Snntgfte  mit  ber  trbifcfien  ?Jatur  öer» 
hJcBt  .  .  .  2Ber  toetB,  ob  unfre  Siebe  nic^t  bereinft  nod^  5U 
glammenfittigen  tüirb,  hk  un§  aufEieben  unb  un§  in  unfre 
l^immltfd^e  ^einmt  tragen,  el^e  ba§  Filter  unb  ber  Xoh  un§ 
erreichen.  Qft  e§  nid^t  fc^on  ein  SBunber,  ha^  S)u  mein 
bi[t,  ha^  id)  ®td^  in  meinen  SIrmen  Jialte,  ba^  S)u  mid^ 
liebft  unb  eloig  mein  fein  tt)i(Ift?" 

„5tucl^  mir  ift  jie|t  3lIIe§  glaublich,  unb  id)  fü^te  ja  fo 
beutlid^  eine  ftiHe  glamme  in  mir  lobern,  lüer  toei^,  ob  fte 
un§  ni(^t  oer!(ärt  unb  bie  irbif^en  33anbe  allmälig  auflöft. 
©age  mir  nur,  ^einridi,  ob  S)u  auc§  f(^on  bag  gren^enlofe 
SSertrauen  5U  mir  £)oft,  lüaS  ic^  ju  S)ir  ^abe?  S^Joc^  nie 
i^ab'  idi  fo  etit)a§  gefüljtt,  fetbft  nid^t  gegen  meinen  SSater, 
ben  ic^  bod^  fo  unenblid^  liebe." 

„Siebe  9Jiat^iIbe,  e§  peinigt  mid^  orbentlid^,  ha'Q  id^  ®ir 
nid^t  5tlle§  ouf  einmal  fagen,  ba^  id)  5)ir  nic^t  gleid^  mein 
gan§e§  ^erg  auf  einmal  tiingeben  fann.  (£§  ift  aud^  jum 
erften  Tiai  in  meinem  Seben,  ba^  id^  ganj  offen  bin.  deinen 
©ebanfen,  feine  ©mpftnbung  fann  id^  bor  SDir  me^r  geheim 
^aben;  S)u  mufet  2tC[e#  miffen.  9J?ein  ganjeS  Söefen  foll  fid^ 
mit  bem  ©einigen  öermifd^en.  9^ur  hie  grenjenlofefte  Ein- 
gebung fann  meiner  Siebe  genügen,  ^n  i^r  befte^t  fie  ja. 
©ie  ift  ja  ein  ge^eimni^öoHeS  3"ffli"tnenflie§en  unfere§  ge=» 
l^eimften  unb  eigentpmlic^ften  2)cifein§." 

„^einrid^,  fo  fönnen  fid^  noc6  nie  jiüei  SOIenfc^en  geliebt 
()oben,  id^  fann'§  nid£)t  glauben.  @§  gab  ja  nod^  feine 
SJiat^ilbe.     9Iud^  feinen  ^timid).  ..." 

2)iejenigen,  benen  biefe  ©prad^e  unnia^r  unb  über- 
fd^toengtirf)  fd^eint,  l^aben  üielleic^t  bie  ®efü£)Ie  i^rer  S"9enb 
öergeffen;  unb  tüa§  bebeutet  e§,  bo§  hie  ®rfa!^rung  oft  ober 
metften^  bie  fd^ioinbelnben  Sraumbilber  oerjücfter  Siebe  jer» 


9iomautijrf)C  2ic6e.  281 

flört?  SBaS  5U  überfd^mängtid^  erfd^etnt,  tft  c§  oft  nur  nic^t 
genug.  SBer  ineife,  ob  ntd^t  fogar  ber  läd^erltc^en,  [id^  einig 
loieberöolenben  Säufd^ung  iebe§  Stebegpaare§,  nie  juoor  fei 
fo  geliebt  iDorben,  loeit  e§  nie  jutior  einen  f otogen  SJJann 
unb  eine  foId)e  'Qiau  gegeben  Jiabe,  eine  S^atfadie  oon  felbft« 
öerftänbüd^er  )S'Iar§eit  5U  ®runbe  Hegt?  „Sitte  SBünfc^e  ber 
Siebenben",  fagt  griebric^  ©c^Iegel,  „unb  atte  Silber  ber 
©id^tcr  finb  bud^ftäblic^  ira^r:  nämlic^  ber  flaffifd^cn  S)id^ter, 
ber  ed^ten  Siebenben."  S)a§  tuar  ja  W  Sofung  ber  9loman- 
tifer,  bie  ftotjeften  ^Ijantafien  be§  ®Iauben§  in  2öirf(i(^feit 
5U  üerfe^en.  ®rabe,  lüa§  am  Jüunberbarften  unb  bem  SSer= 
ftanbe  am  unjugänglid^ften  f(^eint,  luäljtten  fie  mit  SSorliebe 
5um  (Stoff  für  ibr  ge^arnifc^te§  ©enfen.  5)a^er  i^r  beftän* 
btge§  3ufanimentreffen  mit  ben  bunfeln,  gemoltigen  2Bei§= 
fagungen  ber  58ibel.  Sluc^  in  ^infic^t  auf  bie  Siebe  mar 
il^nen  jene  SSerfünbigung  be§  Slpüftef-^^auIuS:  „ —  unb  Ujerben 
^roei  ein  j^Ieifd^  fein.  2)a§  ©e^eimnife  ift  groB,  tc^  fage 
aber  üon  G^rifto  unb  ber  ©emeinbe";  bie  S3e^auptung  atfo, 
ba§  bie  Siebe  ^mifc^en  Tlann  unb  grau  ein  gro§e§  ©leic^niB 
ber  menfd^Iic^en  unb  göttlichen  Se^ielungen  fei,  hit  geläufige 
unb  felbftoerftänblic^e.  Söaaber  erregte  bei  9}?and^en  Slnfto^ 
bamit,  ha'Q  er  beftänbig  bie  geiftigften  reIigiö§»p;^iIofop|ifc|en 
SSorgänge  burc^  ^erbeijie^ung  erotifd^er  S3i(ber  erläuterte; 
benn  nid^t  ^eber  fonnte  bie  Sauterfeit  unb  Unbefangenheit 
biefer  Gonquiftaboren  ber  2Ba§r£)eit  begreifen.  ^a§  ©efü^t, 
ha^  bie  Sofung  ntter  S^ät^fet  im  ©e^eimni^  ber  2itht  liege, 
trieb  fie  §um  unermüblidjen  g^uge  gegen  biefc  «Sonne.  Unb 
luic  e§  faft  immer  9JoöaIiä  luar,  ber  hie  romantifc^en  ©e* 
banfenträume  in  bem  reinften  ^rt)ftatt  mieberfpiegelt,  fo  ^at 
er  auc^  biefe  Uebcrjeugung  ^ett  unb  Iieblic§  gefaxt  in  ba§ 
2J?ärd)en  üon  ^t)acintt)  unb  9iofenbtüt|c^en;  unb  noc^  fürjer 
unb  fc^Iid^ter  in  bem  fierglid^en  ^Diftic^on: 


282  a^ontantifc^e  Siebe. 

SSeltcn  Bauen  genügt  ni(^t  bem  tiefer  langenben  ©inne, 
§Uier  ein  liebenbeS  ^erj  fättigt  ben  ftrebenben  ßieift. 

2Sa§  man  al§  9JJotto  ühn  faft  alle  mobernett  Stomane 
fd^veiben  fönnte,  tüo  ba§  gelüatttge  ©rängen  unb  S^retben 
be§  gelben  ftet§  mit  einem  SSerloBungStu^  fiefc^Ioffen  föirb. 
Unb  aud^  barin  läge  atfo,  foüiel  e§  aud^  öerfpottet  ftiirb, 
eine  tiefe  SSebeutung  unb  SSered^tigung. 


HKomantifd)c  ^Viiuic» 

Senn  her  5err  Ift  Ber  ®ctft.    SSo  nbcr 
ber  ©eift  ber  §err  ift,  ba  ift  bic  greifjeit. 

2)te  ^ui),  tneld^e  auf  ber  SBiefc  tf)r  (Butter  furfit,  üer* 
btnbet  o^ne  3^i^fifel  mit  bem  Slnbltd  il}rer  fettigen  grünen 
glädöe  ein  fd^mei(^elnbe§  @iefü^I  öon  SBoHuft.  SIber  tnietiiel 
beglüctenber  ift  bie  3:I)eiInaöine  be§  SJJenfc^en,  bie  felbfllog 
über  biefer  f^Iu^  i^u£)t  unb  lüie  unenbltd^  üiel  ebler  ift  gar 
ber  ©ennfe  be§  ^inbe§,  ba§  mit  ber  SBiefe  fpielt:  bem  fie 
öielleicöt  ein  Teppid^für  tanjenbe  @Ifen  ift,  ober  ein  ^auber^ 
lüalb,  in  bem  bie  golbnen  ^äfer  aU  üertüünfc^te  ^rinjen 
^erumirren,  ober  ein  f($U'eITenber  ^önigSti^ron  für  bie  junge 
DJfajeftät.  (S§  ift  fc^merjlid^,  ha'^  bie  S)fenf(f)en  bie  Sl'unft 
ju  fpielen  fo  batb  öerlernen,  berluftig  gefien  ber  erftaun= 
lid^en  ©eiflesfraft  unb  »freibeit,  bie  bem  ^'inbe  au§  einem 
grünen  S3Iatt  nad^  93elieben  einen  5:elter  ober  einen  ^ut 
ober  einen  @cf)irm  maä)i.  S)a§  ^inb  ma6)t  bie  tobte  9?atur 
lebenbig  ober  tobtet  bie  lebenbe,  je  nad^bem  e§  fie  gerabe 
für  ba§  ®rama  fetner  ^^fiantafie  braucf)t:  ein  Saumftumpf 
fann  i^m  aU  9JJenfcö  bienen  unb  im  näd^ften  ^(ugenblicf 
ein  9JJenf(^  aU  ein  Raufen  ©teine.  2Bie  fein  fSi'örper  un- 
gemeine 2ei(f)ttgfeit  ^um  itanj  i^at,  fo  fein  ®eift,  ber  über 
bie  (5rbe  hinfliegt  mit  gärtlid^er  unb  boc^  gleirfigittiger  (Site, 
ba  fie  tbm  nic^t  all  tragenber  unb  nä^renber  ©oben  bienen 
mu^.    Uncrmüblic^  einen  bunten  33aH  in  bie  Süfte  ju  nierfen 


284  9lomantifd)e  S^^d^'^- 

unb  fid^  baran  gu  ergoßen,  tüte  bte  uürbeinbe,  immer  Keiner 
tüerbettbe  ^ugel  aufflrebt  uttb  luieber  jurücf gebogen  tt)irb, 
ftunbenlang  im  ©rafe  fi|en  unb  lüarten,  f)i§  eine  getüiffe 
Keine  ©ibed^fe  mit  rofa  Seibc^en  au§  i^rem  SSerftede  fd^tüpft 
—  n)ie  balb  tierliert  ber  DJcenfd^  biefe  glüdfelige,  man 
möd^te  faft  fagen  erhabene  Uneigennü|ig!eit  über  jttjedöoHen 
S3eftrebungen  unb  gelüaltigen  öeibenjc^aften.  SltterbingS  tft 
bieg  SSermögen  be§  ^inbe§,  bie  ®inge  an  fid^  unb  ni(^t 
nur  in  ^inblid  ouf  i|re  5(ntrenbung  unb  ^Sejie^ung  auf 
un§  gu  fc^en,  unben^n^t,  unb  nur  luenn  fie  toittfürlid^  tüäre, 
§iemte  fie  bem  reifen  SJ^enfc^en.  2(u^  ift  e§  not^tüenbig, 
bie  ®inge  benü^en  unb  befi^en  gu  njollen;  benn  n^er  etüig 
mit  ber  SBelt  nur  fpielte,  tnürbe  fid^  nie  an  i^r  reiben,  unb 
toä)  !ann  man  nur  in  kämpfen  fid^  entraideln.  SIber  nai^=' 
bem  ber  SJlenfd^  bie  tjer^öngni^üollen  Kräfte  feinet  ©piel- 
geug§  unb  bie  fc^önen,  gefährlichen  @c£)ä|e,  bie  barin  der» 
ftecft  finb,  fennen  gelernt  !^at,  lüenn  er  bann  n)ieber  mit 
t^r  fpielen  lernte!  Sßenige  finb  baju  ftarf,  frei  unb  rein 
genug.  2Bo  unter  (Srtuac^fenen  gefpielt  mirb,  ^anbelt  e§ 
ftd^  bod^  meiften§,  tvmn  man  üon  Mohe  unb  @^rgei§  ganj 
abfielet,  um  ÖJeminnen  ober  um  .Kräftigung  be§  Körpers, 
unb  fo  löblid^  aud^  ha§>  SeMere  ift,  fo  fann  man  bod^  nur 
tjon  demjenigen  npirKid^  fagen,  er  fpiele,  ber  e§  aul  ^Wed- 
lüfer  Suft  t£)ut,  bie  allein  mit  fic^  unb  ber  9^otur  einen 
^eitöertreib  machen  !önnte. 

S)ie  Slufgabe  bei  MaUx§>  fei,  fagte  SBil^elm  ©c^Iegel, 
in  ben  ©emälben,  bie  9}letifc^en  fetien  ju  leieren,  nämlic^ 
bie  ®inge  fo  ju  fet)en,  mie  fie  erfd^einen,  nid^t  lüie  n)ir  un§ 
geföö^nt  t)aben  fie  auf^yifaffen  5U  untergeorbneten  ^roeden. 
föerabe  fo  in  ber  ^oefie:  ber  !5)urd^fd^nittSlcfer  fragt  ju- 
näd^ft,  njobon  ein  S3ud^  l^anbelt  —  luie  in  ber  ?Jtaterei, 
föaS  ein  33ilb  barftettt  —  iua§  boc^  !eine§lt)eg§  ba§  SBefenttic^e 


3?oniantifd)e  ^vonie.  285 

ift.      2Ber   gern   t)i[tori[c^e   3?omane  tte[t,    au§    benen    man 
beiläufig  33eleörung  fd^ijpfen  fann,  t^ut  noc^  gro^  bamit;  2)te-- 
jenigen,  bic  ettüaS  nad)  einem  p^ilofopljifcfien  ©el^alte  fragen 
unb  ©ebanfen  aufftöbern,    glauben  öollenbg   auf  ber  ^ö^e 
ju  fein  unb  §u   ben  oberen  ^^Iintaufenb  ju  gepren.     S)a§ 
aber  mac^t  ebenfotoentg  ha^  ^unfttperf  au§,   rt)ien)o|I  ber 
^ünftler    natürlirf)    ®eift    unb    GJebanfen    ^at,    lüag    immer 
trgenbroie  jur  Geltung  fommen  luirb.     !5)a§  fd^önfte  ^'unft-  i 
Xütü  entftel)t  —  n^ie  ber  fc|önfle  Körper  —  tvtnn  bie  ^raft 
be§  5)icl^ter§  gro^  genug  ift,  mit  bem  ©toffe  gu  fluteten,  tüa§ 
befto  fc^n)ieriger,  freilief)  auc^  befto  fc^öner  in  ber  Söirfung 
ift,  je  fditoerer  unb  ge^altooller  ber  ©toff.     SBie  menn  ber  / 
SJJonb  bie  ©c^trerfraft  ber  ©rbe  übertüänbe  unb  n^itlfürtic^, 
tuie  man  e§  fic^  lüo^I  oon  öerflärten,  freigeluorbenen  ©eeten 
üorftettt,    fanft  unb    ficöer  feinen  9ting    burcf)!reifte.     Ober 
luie  lüenn   ein  ^iuD,    ftatt  feine  Drange  ju  effen,   fie   aU 
58aft  in  bie  Suft  tüirft.    S)er  SBunfi^  ju  fttegen,  ber  immer 
loieber  in  ber  9Jienfc^£)eit  auftaurf)t  unb  je^t  al§  ernftlic^er 
SSerfuc^  unternommen  luirb,  ift  auc^  nur  bie  ©e|nfuc|t,  tk 
©c^mere -'beS  ©toffe§   §u  überiuinben.     ^n  ber  Slunft  fott  ^^ 
biefe    ©e^nfud^t    Sefriebigung    finben.      S)aSfetbe    meinten 
©dritter  unb  ®oet^e,  icenn  fie  tierlangten,  ba§  bie  gorm  — 
benn  ba§  ift  ja  hk  ®eifte§!raft  be§  ®id^ter§  —  ben  ©toff 
oer^e^re.     Unb  boSfetbe  bebeutet  bie  üielberebete  romantifc^e 
Sronie,    eine    öon    ben    otelen   Segripbeftimmungen,    hk 
griebrti^  ©erleget  in   bie  Siteratur  einführte.     S)enn  ba§ 
beftänbige  SSerntc^ten  unb  5Jteuf^affen  feines  @egenftanbe§, 
moju  nac^   i^m  ber  ^ünfller  fäf)ig  fein  foll,   ift  ja  nid^tg 
2(nbre§  aU  feine  SReifterfc^aft  über  ben  ©toff,  ben  er  fic^ 
felbft  geiüä^It,  in  ben  er  fic^  öertieft  ^at,  au§  bem  er  fid^ 
aber  ieber^eit  ergeben  fann,  um  i^n  beliebig  5U  öern)anbeln 
unb  in  iebe  gorm  gu  bringen,    ©in  geiftigeS  güegenfönnen. 


286  9tomantif(^e  ^ronie. 

?te^nttd§  tüie  romantifc^e  ^oefie-ntd^tS  5lnbre§  ift  aU 
^oefte  über£)au)3t,  ^oefie  ber  ^oefie,  ber  @j;traft,  ber  naä) 
2lu§f(f)etbung  alle§  Unpoetifd^en  übrig  bleibt,  aljo  üerbic^tete 
Sichtung,  fo  ha'^  unromantifc^e  ^oefte  ntd)t§  3lnbre§  l^ei^t 
qI§  unpoetifc^e  ^oejie,  t[t  auc^  ber  S^egrtff  ber  romantifd^en 
Sronie  burd^au§  nid^t  etma§  fo  33efonbere§,  öon  ben  3toman- 
lifern  @rfunbene§  ober  i^nen  2lnl^aftenbe§,  tüie  man  oielfad^ 
gemeint  £)at.  Man  tonnte  romantifd^e  Ironie  am  S3e[ten 
mit  ®ei[te§frei^eit  überfe^en.  S^id^t  naturIo§,  aber  naturfrei 
ift  ber  tt)a^re  S^^onifer.  @r  ^at  hk  gä^igfeit,  fic^  öon  bem 
irbifdEien  ©lement,  in  bem  er  lebt  unb  n^ebt,  ju  löfen,  at§ 
ein  Suftfd^iffer  empor.'iUfteigen  unb  bie  ©rbe  aU  loinjigen 
^unft  unter  fid^  öerfc^ioinben  gu  fe^en,  bie  üer^ältniBmä^igc 
3^ic^tig!eit  ber  lebenben  ^ugel  §u  erfennen,  bie,  fo  lange 
fie  feft  unter  feinen  gü^en  tüor,  fid^  fo  breit  mochte  unb 
unerme^Iidf)  auäbe^nte.  5tuf  (Srben  fd^on  eine  foti^e  Slnfic^t 
be§  Sebeng  ^aben  fönnen  luie  ein  feiiger  ®eift,  ber  mit 
ät^erif(f)em  Selb,  ein  icel^enbeg  Öüftc^en,  über  ben  tofenben 
aJJarft  be§  Sage§  ^inftreic^t. 

9Kc^t§  ?(nbere§  fd^einen  mir  bie  üerfd^iebenen  5lu§fprüc^e 
ber  Ülomantifer  über  Ironie  ju  bebeuten,  menn  j.  S.  t5rieb= 
ric§  ©c^Iegel  fagt:  „fronte  ift  f(are§  S^eiou^tfein  ber  emigen 
Slgitität  be§  unenblic^  öollen  ©^aoS"  unb  „SSir  muffen 
un§  über  unfre  eigne  Siebe  ergeben  unb  \va^  \vit  anbeten,  in 
©ebanfen  öerntc^ten  fönnen:  fonft  feblt  un§,  lüa§  loir  and) 
für  anbere  gäfiigteiten  .i^aben,  ber  @inn  für  ba§  SBeltaH." 
%kd  bemerft  einmal,  ba^  man  einen  ©egeuftanb,  ben 
man  liebt,  erft  befi^e,  menn  man  etiuaS  Säc^erlic^eS  an  t^m 
finbe;  ba^  er  feinen  greunb  unb  feine  beliebte  l^aben  möge, 
über  bie  er  niemals  ladien  ober  Iä(^eln  fönne,  @o  ift  e§ 
teijenbe  fronte  in  ben  @rie(^en,  menn  fie  i§re  ®ötter  in 
anmut^iger  SBeife  bem  ©eläc^ter  preisgeben,  ofine  baburd^ 


3Jomanttfcf)e  3^'oiüe-  287 

t!§re  üll)nipifc^e  ^errlidjfeit  an,^uta[icn;  lute  auö)  W  ©otter 
felbft  über  %ui^  iinb  5I|3£)roi)ite  lacfien,  bie  beöluegen  bod^ 
§e^r  an  ^roft  imb  Sd^ön^eit  tu  tljrem  Greife  thronen.  Unb 
jc^Iie^üd}  beruht  el  auf  berfelben  ^raft,  luenu  man,  luie 
S^oüaliö  e0  öon  ben  älieufd^en  üerlangt,  ha^  gnnje  Seben 
h)te  eine  „fci^öne  gentalifcJie  2;äufc|uug,  ttjie  ein  Ijerrlid^e^ 
©d^aufpiel"  betrarf)ten  fann.  ©id^  alljutief  in  ben  ©c^merj 
üerfenfen  unb  in  i^m  |aften  bleiben,  erad^ten  fie  [ür  ©ünbe, 
für  S)umm6eit,  menn  man  ben  ©c^erj  auf  hit  ^inber  be- 
fd^ränfen  unb  eine§  ernften  SJZanne»  umuürbig  ad^te'n  h)itt. 
SÖSie  Xkd  im  S^^^^^o  fagt: 

„§a6t  i^r'§  jc^on  uerfudjt  ben  ©c^evä  al§  (Srnft 

3u  treiben,  ©ruft  al§  ©pa^  nur  ju  fiet^anbeln? 

9)itt  £eiben 

Unb  g-renben 

©leic^  lieölid)  ,yi  fpielen 

Unb  ©djmeräen 

3nx  ©c^erjen 

©0  letfe  3U  füllen, 

3ft  weu'gen  bejdjieben. 

Sie  iuäf)Ien  äum  g-rieben 

3)a§  eine  öon  beiben, 

©inb  nidU  ,^u  beneiben; 

Sldi  gar  ju  beid)ctben 

©inb  boc^  iljre  J^reuben 

Unb  fauni  üon  iieiben 

3u  unter}d)ciben." 

(Sinftimmig  luaren  bie  Stomantifer  in  bem  9fiui^me  ber 
SSielfeitigfeit,  bie  o|ne  gro^e  @d)neUfraft  be§  @eifte§,  mit 
ber  er  fid^  öon  bem  einen  ©egenftaube  5U  einem  anbern 
fc^luingt,  nic^t  ju  erreid^en  ruäre. 

griebrid^  ©c^tegel:  „(Sin  red^t  freier  unb  gebilbeter 
SJJenfcEi  müfele  fic^  felbft  nad^  ^Belieben  p^ilofopl^ifc^  ober 
^l^ilologifd^,  fritifc^  ober  ^oetifd^,  Ijiftorifd^  ober  rtietorifc^, 


288  9'iDmantifd)e  ^vonic. 

antif  ober  mobern  ftimmen  fönnen,  gang  tt)itlfürltc§ ,  tüte 
tnait  ein  ^nftrument  ftintmt,  5U  ieber  3ett  unb  in  jebem 
©rabe." 

S^iottaliS:  „^er  oullenbete  9JJenfc^  mu§  gteid^fam  an 
mehreren  Orten  unb  in  mehreren  SDJenfc^en  leben ,  i£)m 
muffen  beftänbig  ein  tüeiter  ^retl  unb  mannigfad^e  S3egeben=' 
beiten  gegentüärtig  fein.  §ier  bilbet  \id)  bann  hk  ma^re, 
großartige  ©egenmart  be§  ®eifte§,  bte  ben  ÜKenfc^en  sum 
eigentlid^en  SBeÜbürger  mad^t  unb  i^n  in  iebem  Stugen- 
blicfe  feines  Seben§  burc|  lüoi^It^ätige  Stffociation  rei5t, 
ftärtt  unb  in  bie  §elle  ©timmung  einer  befonnenen  X]^ätig= 
!eit  oerfe^t." 

Söenn  man  nun  fagt,  e§  fei,  gerobe  bei  S:iecf,  bie  Ironie 
(S(^ulb  baran,  baß  er  9iic^t§  recfit  etnft  unb  grünblic^  ^ah^ 
erfoffen  fönnen,  ober  hu  Simonie  fei  eigentlich  nur  Unfä^igfeit, 
ein  toarmeS,  ed^teg  ©efü^I  für  irgenb  einen  ©egenftanb  5U 
^ben,  lüesniegen  aud^  bie  romnntifc^en  ^ünftler  fid^  bei 
bem  tiefen  beutf(^en  SSoIfe  nie  fiätten  einbürgern  fönnen,  fo 
ift  baran  fo  öiel  rva^t,  ha^  ber  tieffinnige,  ernft^afte  (Seift 
feiten  fo  leidet  unb  fc^nell  ift  wie  ber  oberftäd^Iic^e  unb 
barum  oberflächlich,  Iei(^t  unb  ironifc^  oft  äufammenge^en 
unb  oielfac^  aU  unjertrennlid^  betrad^let  loerben.  Slber 
man  möge  nur  an  ©oet^e  beulen.  „9J?an  loffe  fic^  alfo  ha^ 
burc^",  fagt  griebrid^  ©d^Ieget  in  feiner  S3efpre(^ung  be§ 
S^ieifter,  „ha'^  ber  S)td^ter  felbft  hk  ^erfonen  unb  S3egeben- 
:§eiten  fo  leidet  unb  fo  launig  §u  nehmen,  ben  gelben  faft 
nie  ol^ne  Simonie  ju  eriüäfinen  unb  auf  fein  SJieiftermerf 
felbft  öon  ber  ^ö^e  feines  ©eifteS  ^erobjnläd^eln  fc^eint, 
nic^t  täufd^en,  als  fei  e§  i^m  nic^t  ber  l^eiligfte  ©ruft."  Seicht 
unb  fd^iuer  jugleid^,  naturfrei,  aber  nic^t  naturloS  fein,  baS 
ift  eben  hk  :paraboje  Stuf  gäbe,  bie  bem  Slünftler  geftellt 
n)irb;  unb  fo  oerfte^t  man  aud^  ben  gunäd^ft  etioaS  bunfel 


9?omantijcf)c  Ironie.  289 

flingenben  2Iu5|pruc^  t^ttebric^  ©d^feger^:  „fronte  t[t  bte 
gorm  be§  ^iparaboi-en.  ^araboj  ift  5IIIe§,  lt)a§  äugletd^  gut 
unb  grofe  t[t." 

@»  ift  eine  ßiimmerüc^feit,  ba^  bie  9Jien[c^en  fic^  ge= 
tüö^nt  ^aben,  an  bem  fc^äbigeii,  t)öljernen  Gntmeber^Cber 
ju  ^infen.  Sie  lüürben  niemals  glauben,  ba^  ein  ®en!er 
praftifc^  fein  fönne,  unb  n^enn  er  öor  t^ren  5tugen,  in 
2(6n)efenf)eit  feiner  S^^au,  einen  ^au§f)alt  mit  fieben  ß'inbern 
fparfam,  öernünfttg  unb  geräufc^Io§  regierte,  luürbe  man 
nac^  mie  üor  babei  bleiben,  ha^  er  jiuar  fc^iuerDerftanblic^e 
SBerfe  f (^reiben,  aber  nidjt  einen  einätgen  f leinen  Jftoffer 
leibltcö  pacten  tonne.  jDie  {^olge  baüon  ift,  'ba%  ton  nac| 
einer  geiüiffen  9iic^tung  'i)m  e^rgeijig  ift,  ba§  (Sntgegen- 
gefe^te  ober  ©egenüberltegenbe  in  ficf)  unterbrücft;  wie  benn 
junge  9Jiäb(^en  unb  junge  ßünftler  i^ren  SSerftanb  meiften» 
Derbergen,  am  liebften  ausrotten  möchten,  jene  um  für  fd^ön 
unb  naio,  biefe  um  für  genial  §u  gelten.  SInberfeit»  ^ält 
man  e§  aud^  für  überflüffig,  loenn  man  eine  &abe  ober 
Üieigung  ^at  unb  i^ier  ausgezeichnet  ift,  'i>u  anberen  Seiten 
be§  menfc^tic^en  SEefeuö  au§5ubi(bcn,  aul  gui^^t,  jene§  ju 
beeinträ(^tigen  ober  meil  e&  ja  boc^  erfolgtog  fein  muffe. 
S)a^  e§  unmöglid§  fei,  jugleic^  grofe  unb  gut  ^u  fein,  ift 
jebem  felbftöerftänblict),  fo  ha^  man  ^äufig  lefen  ober  boren 
fann,  S^manb  fei  gu  grog  gemefen,  um  gut  fein  ju  fönnen; 
njö^renb  man  oielme^r  fagen  foüte,  er  fei  nic^t  gro|  genug 
gettjefen,  um  ^ugleid^  gut  ju  fein. 

Sronie  fann  unb  fofi  jtrar  in  jeber  Xic^tung  fein;  aber 
bie  eigentliche  ßunftform  ber  Ironie  ift  bie  Somöbie.  @ie 
entfielt,  ntenn  bie  öeifteSfraft  be§  S;ic^ter§  fo  gro^  unb  fo 
beftänbtg  hjirffam  ift,  ba|  er  ba§  natürlich  Seibenfc^aftüc^e, 
iDorauS  ha^  ^^ragifc^e  t)eroorgef)t,  ooßfommen  auflöfen  unb 
in   geiftige§   ©enteren  oeriranbeln  fann.     2)arum  tritt  bie 

^ud),  9{omantifcr.  19 


290  5Romautifcf)e  3i^D"i^- 

^omöbie  aU  bie  fpätefte  S31ütlje  ber  Kultur  mit  ber  macJifen* 
ben  S3efonnen^ett  unb  bem  gretlüerben  be§  ®eifte§  auf,  unb 
ein  Jüngling  totrb  t3iel  e|er  ein  njirf[amey  S^rauerfpiet  aU 
eine  leibliche  ^omöbie  üerfaffen  fönnen.  OTe  SSerfudie  ber 
(Segenirart,  bie  tragifc^e  Ä'un[t  neu  §u  beleben,  muffen  fe|I= 
fd^Iagen,  aber  me^r  unb  me|r  n)irb  ba§  Suflfpiel,  ba§  lüa^re 
(S^iel  pd^fter  Suft,  fid^  entfalten.  S)teienige  ^omöbie,  lüo 
bie  ^eiterfeit  nur  l^ie  unb  \>a  auffladert  n)ie  glämmd^en 
auf  buntlem  ©runbe,  lä^t  fid^  bem  gcnjaltigen  @rgu^  ber 
öernid^tenben  Seibenfc^aft  im  STrauerfpiel  nid^t  gleic^fe^en; 
©nergie  unb  Seibenfd^aft  be§  ^ubelg,  ein  rofiger  f^euerftrom 
ber  greube  mu^  ha^  Sütün'\t?-'ln'\i\pitl  fein,  ba§  @^afefpeare'§ 
SJiufter  un§  a^nen  laffen.  (Sbenfo  toie  in  ber  Sragöbie  ha^ 
innerftc  ^n^  burd^  ben  erhabenen  Sflt"Dicr  unb  iinau§tt)eid^« 
baren  Untergang  be§  -Seben^  erfc^üttert  lüirb,  fo  mu|  e§  l^ier 
burd^  ben  «Sc^umng  unfterblidier  SBonne  öon  ber  @rbe  lüeg. 
geriffen  unb  unter  bie  ©ötter  t)erfe|t  icerben.  S)a§  märe  bie  neue 
S)td^tung§art,  bie  griebrid^  ©d^Iegel  ba§  (Snt5ücfenbe  nennt. 
@r  l^at  haS'  Söefen  unb  bie  3uf"nft  ber  ^omöbte  meifterf)aft 
in  feinen  ©d^rtften  über  bie  ©ried^en  bef^rodEien  unb  al§ 
i^re  5lufgabe  bejeid^net,  mit  bem  fleinften  ©d^merj  ha^ 
tjöd^fte  Seben  gu  bemirfen. 

„®ag  !omif(f)e  ®enie  üerlangt  aud^  äußere  5rei()eit,  !ann 
o^ne  biefe  ftd^  nur  bi§  gur  ©rajie,  nie  bi§  ^nm  pd^ften 
©rf)önen  erJjeben.  Sie  niirb  e§  erretd^en,  tüenn  bie  5Ibfid^t 
öieUeidit  in  einer  flöten  3u^»"ft  i^^  Öiefcf)äft  boHenbet  unb 
mit  5Ratur  enbigt,  tüenn  ou§  ©efe^mäfeigfeit  grei^eit  mirb, 
tüenn  bie  Söürbe  unb  bie  t5i^eif)eit  ber  ^unft  o^ne  <S>d)ü^ 
fi^er,  tüenn  jebe  ^^raft  bes  9Jlenfd^en  frei  unb  jeber  3)Zife- 
braud^  ber  i^rei^eit  unmögüd^  fein  lüirb.  3tt§bann  lüürbe 
aucJ)  bie  reine  greube,  ot)ne  ben  ^uf at^  be§  ©d^Ied^ten, 
tueld^er  je|t  bem  tomifcfien  notl}lüenbig   ift,   an   fid^   genug 


9{oinnntiicf)e  fronte.  291 

Dramattfd^e  (Snergte  Ijaben;  Ue  S?omööie  iuürbe  ha^  t)oII=» 
fonimenfte  afler  bramntifc^en  Sl'iinftmerfe  fein:  ober  öie(me!^r 
an  bie  ©teile  bei  ^lomtfc^en  luürbe  "öa^  ©ntjücfenbe  treten, 
unb  föenn  e§  einmal  bor^anben  iimre,  eipig  beharren." 

®ö  lag  geiütfe  nirf)t  nur  an  bem  9KangeI  äußerer  grei^eit, 
fonbern  and^  an  Xied'v  D^atur  felb[t,  bafe  fic|  fein  fomifc^eg 
®ente  nur  bt§  jur  ©rajie  erf)ob.  S3ieIIei(i)t  Ijatte  grtebrid^ 
©d^Iegel  ben  Segriff  ber  fronte  unb  ^omöbte  gerabe  be§= 
tücgen  fo  burc^bringeu  fönnen,  Jiieit  iljm,  bem  ©c^U'eren, 
^lle§  fehlte,  um  ein  ^unftiperf  in  biefem  ©eifte  fd^affen  §u 
!önnen.  5lber  fein  f^reunb  2^tecf,  üon  bem  er  mit  gut- 
müt^iger  ®eringfcl^ä|ung,  ber  ftattlic|  runbe  9J?ann,  fagte, 
ba^  er  ii)m  an  Setb  unb  Seele  gleid^  mager  öortomme, 
öerftanb  fic^  auf  ba§  Sianjen  unb  Stiegen.  Unb  njenn  auc| 
fein  ©eftiefelter  ^ater  baöon  fern  ttjar,  ta^  ^o^t  ^beal  ber 
^omöbie,  ba§  j^nebric^  aufgefteHt  ^atte,  5U  erreid^en,  fo 
fonnte  er  öod^  all  Heiner  SRorgenftern,  befd^eibener  5ßor- 
läufer  ber  ©onne  gelten  unb  rief  in  fofern  ein  beredfitigte§ 
©ntjüden  unter  ben  Stomantifern  t)eröor.  ®enn  bie§  Suft- 
fpief  njar  unrflid^  nid^t§  aU  ©piel,  eine  luftige  Gom^ofition, 
tüit  ber  ©ic^ter  felbft  fagte,  gan§  au§  @^aum  unb  leichtem 
©d^erg  beftel^enb.  ©d^on  ba§  fd^eint  ©piel,  tin  Sinber== 
mannen,  fo  ein  rec^t  finbifd^e§,  mutl)iutttige§,  fo  ernft  ju 
nehmen,  ha^  man  e§  5um  ^n^alt  eine§  ®rama§  mad^t. 
?lber:  n^arum  foH  eben  ^ntjatt  ben  Sniialt  etne§  ©ebic^teg 
Qulmad^en?  Ijat  Siecf  einmal  gefagt.  Unb  toie  nun  bie 
(Sntrüftung  be§  ^|ilifter§  über  Ut  t^öricfite  ^inberei  mit 
auf  bie  S3ü^ne  gebracht  Wirb,  bemerft  man,  ha^  e§  ftd^ 
garniert  um  ba§  Wäxd)m  ^anbelt,  fonbern  um  ha^  ^ublifum, 
ta^  x^m  5ufie§t.  ©ennod^  !ann  man  ni(^t  fagen,  ta^  auf 
eine  eigentliche  SSerf|3ottung  be§  ^ubli!um§  abgezielt  fei, 
njoburd^  in  ba§  ©piel  eine  fti3renbe  5tbfi(f)t  unb  ^erbigfeit 

19* 


292  Stomautifcfie  3'^onie. 

getragen  luürbe:  bte  bieberen,  efirenfeften  SOMnner,  bie  mit 
fo  ötel  tüchtiger  33e[treBung  unb  aUe^  ^uii[tgefüf)Ie§  bar 
tn'§  5:!^eater  ge^en,  inerben  in  SReif)  unb  ©lieb  auf  hk 
S3üf)ne  gefeilt,  unb  ha^  leije,  fier^ttc^e  ßJeläc^ter  be§  guten 
Xid^ter»  gaufeit  beinahe  niel)r  üerjc^önernb  al§  der^ölinenb 
um  ifire  breiten  giguren.  9J?an  mu§  fte  bod^  [oft  lieb- 
geiüinnen;  ben  treul^erjigen,  be|agtic^en  9}iuIIer,  ber  ftc^  fo 
rec^t  gemüt|Iicf)  für  bie  ©lüigfeit  §urec^tfe|t,  ben  Sweater* 
jettel  lieft  unb  fagt:  „^d)  ^offe  boc^  nimmerme:^r,  ha'^  man 
bie  ^inberpoffen  mirb  aufg  Sl^eater  bringen.  (£i!  ei!  nac^ 
nE  ben  2öod)enfc^ri]len,  ben  foftbaren  ^leibungen  unb  ben 
oieten,  üielen  ausgaben!  2!enn  el  ift  ba§  Zeitalter  für  biefe 
^^antome  nid)t  me§r."  ®er  aber  boc^  nie  abläBt  ha^ 
S3efte  §u  hoffen  unb  ftd^  innig  wünfc^t,  einmal  eine  rec^t 
raunberbare  2lu§ftattung§  =  Dper  o^ne  9}?ufif  ju  fe^en  ober 
benn  ein  orbentlirfieg  gamitiengemätbe.  Sann  ben  ibealifc^en 
©c^Ioffer,  ber  nac^  tieffinniger  religiöfer  ^f)iIofo^^ie  unb 
Freimaurerei  oerlangt  unb  in  bem  ^ater  ben  oerlartjten 
^räftbenten  einer  gei)eimen  ©efeUfd^aft  toittert,  ber  in  einem 
oerborgenen  Heller  für  ha^  @bte  unb  ©ute  roirft.  ®en  gefc^macf' 
Doßen  5if(^er,  beffen  fcfiarfem  SSerftanbe  feine  Unnatürlich« 
feit  unb  fein  2Biberfprud^  entgel^t,  ber  aufmerft,  ob  tit 
®§araflere  fic^  auc^  treu  bleiben,  ber  fo  garniert  praljlt 
mit  feiner  Ueberlegen^eit,  fonbern  jie  fein  unb  gefegt,  tük 
ein  paar  Drben,  bie  au§  alter  ©eioofin^eit  fd^on  mit  ^ur 
^leibung  gehören ,  fpajieren  trägt.  Unermüblic^  ift  ber 
5)ic§ter  bemüf)t,  iin§  fad^t  in  eine  gelinbe  ^ffufion  einju» 
fpinnen,  in  bem  ?lugenblicfe  aber,  lüo  »uir,  fc^merfädig  bem 
©efc^  ber  S;räg§eit  nac^gebenb,  un§  in  i^r  feftfetjen  loollen, 
fa^t  un§  ber  Seid^tfü^ige  bd  ber  ^anb  unb  mir  muffen 
it)m  folgen,  bal  ©eiuebe  jerrei^enb,  ba§  un§  eben  ben  Süd 
ju  umf(^Ieiern  begonn.    SSir  meinen  bann,  ha^  fliegen  ge= 


^Rcmantiidje  IJ^onie-  293 

lernt  ju   ^aben,   mä^renb   e»    bod^    nur    ha^    tft,    ba§    ber 
S;raumgLitt  un§  eine  23eile  mit  fic^  fütjrt. 

(Späte  e§  bie  5lb[ic^t  be§  Sic^terS  fein,  ^fieater  mit 
bem  Stjeater  gu  fpielen,  fic|  über  ben  f(^Iec^ten  ®e)(f)macE 
be§  ^ublifumg  Iu[tig  gu  mad^en,  fo  njürben  tüir,  oblüo^t 
bie  ^ic^tung  o^ne  getüid^tigen  5(njprud^  auftritt,  meinen 
fönnen,  e§  fei  öiel  Särm  um  Tdä)t^  gefc^Iagen.  Slber,  irie 
%kd  felbft  fagt,  man  fann  nid^t  über  ha^,  Sweater  fc^erjen, 
D^ne  über  bie  2ßett  gu  fc^ergen.  2Benn  ber  ^ufc^auer 
SSiefener  fi^  über  bie  ^lufaren  freut,  bie  im  ©cftiefelten 
^ater  auftreten;  „benn  e§  finb  hk  Sente  feiten  fo  breift, 
^ferbe  auf'§  2|eater  ju  bringen,  unb  ttjarum  nid^t?  @ic 
l^aben  oft  mel^r  5>erftanb  al§  bie  9J?enfd^en.  ^d)  mag  lieber 
ein  gutes;  ^ferb  fe^cn  al§  fo  mand^en  älJenfc^en  in  ben 
neueren  ©tücfen"  unb  ber  9Jac^bar  beiftimmt  unb  ^in§ufe^t: 
„fd^abe  ba^  fie  fo  balb  lieber  weggingen;  id^  möd^te  wo^ 
ein  gan§e§  Stürf  bon  lauter  ^ufaren  fe^en  —  id)  mag  tik 
^aballerie  fo  gern"  ober  roenn  ha^  ^ublifum  feine  9?u^e 
^at,  bi^  (Siner  im  ©tücf  auc^  burc^  geuer  unb  SBaffer  ge^» 
gangen  ift  tote  in  ber  ^au^erflöte,  fo  ^anbelt  e§  ftd^  ha 
feine§toeg§  allein  um  äft^etifc^e  S:umm§eit.  ^n  jebem 
Urt^eil  brücft  ber  naiö  urttjeitenbe  Tien\d)  fic^  felbft  au§, 
unb  infofern  al»  fic^  auf  ben  Srettern  immer  ein  Stücf 
Seben  abfpiett,  prt  man  im  Urt|eil  be§  ^ublifumsi  über 
ein  2)rama  feine  2Iuffaffung  bes  Seben§.  S^ied'ä  ©eftiefelter 
^ater  tok  aud^  feine  anberen  p^antaftifc^en  ^omöbien  finb 
tro^  aller  ^Bejietiungen  auf  getotffe  titerarifc^e  ^^erfönti(^* 
feiten  unb  3uftänbe  irefentlid^  ein  jubeinber  @c^erj  über 
hk  SSelt  tion  ^^iliftern,  über  bie  Unfä^igfeit  ber  SJ^enfc^en, 
fid^  über  ben  näcfiften  irbifc^en  Qwed  ju  ergeben,  über  bie 
Sße^äbigfeit,  mit  ber  fie  fic^  in  ifirem  toeic^tic^en  SKorafte 
lr>of)fgefanen,  über  hk  ^Bünb^eit,  mit  ber  fie  an  ber  2tu^en= 


294  9tomantiid)e  ^vonie. 

jeite  ber  S)tnge  fteben  bleiben.  2Bie  fie  beim  atbernften 
©efc^irä^  Stueier  SSerliebter  fo  fro§  finb,  ha^  tofi)  aud) 
einmal  etiüal  füf§  ^n^  fommt,  unb  fid^  fo  tüo^Iig  füllen, 
n)enn  fie  rec^t  n^einen  fönnen;  Jüie  fie  bie  SfiarrenSpoffen 
üerac^ten,  fid^  bielmeftr  bilben  unb  beffern  tüollen,  o^ne  bod^ 
jemals  um  einen  3ott  öon  i^rem  niebrigen  ©tanbpnnft 
n)eiter5urücfen;  tüie  ber  ^önig  nic^t  oi^ne  ein  be(e^renbe§ 
Sifd^gefpräd^  fpeifen  lüill,  berart:  „2Bie  rteit  tft  bie  ©onne 
oon  ber  (Srbc?  |)oc^ geleierter:  ^^eimati^unberttaufenb  fünf- 
unbfieb^ig  unb  eine  öiertel  9JkiIe,  fünf^el^n  auf  einen  (Srab 
gerechnet,  ^önig:  Unb  ber  Umfrei§,  ben  bie  Planeten  fo 
inigefammt  burd^Ianfen?  ^od^gele^rter:  SBenn  man  red^net, 
tt)a§  jeber  ©injelne  laufen  mu§,  fo  fommen  in  ber  SotaI= 
Summe  etn^aS  me^r  aU  taufenb  S)^itIionen  TUtUn  i^erauS. 
S'önig:  Saufenb  9}JiIIionen!  2JJan  fogt  fdEion,  um  fid^  ju 
üerJüunbern:  ei  ber  Saufenb!  unb  nun  gar  taufenb  SJJiHionen! 
Sd^  mag  bod^  auf  ber  3BeIt  nid^tS  lieber  ^ören  al§  fo  grofec 
S'iummern  —  SJiiUiouen,  Xrillioneu  —  ha  ^at  man  bod^ 
brau  5U  benfen  —  tt)ie  haS^  ben  (Seift  befd^äftigt!"  ja,  mie 
am  <S(^(u^  bie  befte  ®eforation  mit  bem  5euer=  unb 
SBaffer5auber  i^crausgerufen  nnb  beflatfd^t  toirb,  tüä^unb 
bie  ^ic^tung  burcEigefallen  ift  —  hn  adebem  benft  man 
nic^t  an  2;^eater=Siteratur,  fonbern  lad^enb  mit  bem  über- 
miitf)igen  ^id^ter:  ja  fo,  fo  finb  fie!  ^mmer  nehmen  fie 
ben  ©d^ein  für  ba§  SBefen,  niemals  luiffen  fie,  luorauf  e§ 
anfommt. 

Unb  gegenüber  ben  fd^luerfäUigen  ^Jtenfd^ent^ieren,  hk 
er  an  un§  öorbei^ie^en  lä^t,  be§  ^id^terg  eigner  Öieift,  ber, 
einem  lebenbig  quellenben  5ütt£)orn  gleid^,  unaufhörlich 
feine  mutJ)nji[Iigen  ober  tieffinnigen  (Sinfätle  um  fic^  §er 
auSfd^üttet,  ba§  mon  fid^  gunäd^ft  nur  an  ber  güHe  freut, 
lüie  njenn  man  Oor  einem  übereinanber  geworfenen  |)aufcn 


Momantlfd^e  ^vonie.  295 

Slumen  ftet)t,  o^iie  bie  eine  um  bie  anbre  ju  Betrad^ten. 
©eifenblafen  fd^einen  aufjufteigen:  mäl}renb  ber  58Iicf  ber 
einen  folgt,  bie  fo  lüonnig  fc^immernb,  (eic^t  unb  feierlich 
ba^injc^U'ebt,  linb  fc^on  anbre  i)a  unb  locfen  ta^^  Singe  ju 
[ic^,  fo  ta'^  e§  faum  geiua^r  lüirb,  tt)te  fc^nell  bie  einjelne 
jerpla^t  unb  fid^  auflöft.  SBte  reijenb  tft  e§  im  ^erbino, 
wenn  ber  SSatbbruber  beut  ung(ücflic§  nerüebten  ^e(ifanu§ 
rät^,  bie  ©infamfeit  511  fuc^en  unb  fic§  an  ber  Betrachtung 
®Dtte§  5U  tröften,  unb  ^etifanuä  fo  ungebärbtg  feinen  9lat^ 
üerfc^mä^t;  unb  tüie,  luenn  ijelifanus,  burc^  alle  unenblid^en 
SiebeSfc^merjen  aufgelöft,  enblid)  boc^  auf  ben  2tu§tt)eg  ge= 
rötö,  fic^  bem  ©infiebler  5U  ergeben,  biefer  unterbeffen  feiner 
SBefc^auIic^feit  überbrüffig  geworben  tft  unb  fic^nacf)  t^ätigen 
SSerfen  unter  ben  Tl?i\']d)tn  jurüdfelnt.  2öie  eigen  mutzet 
c§  un§  an,  tüenn  ber  finbifc^e  alte  ftöntg  mit  S3(eifoIbaten 
fpielt  unb  immer  ben  fünfzehnten  SJiann  erfc^ie^en  Iä|t: 
er  nennt  e§  Sc^icffal  fpielen. 

„C  ttje^,  ber  fc^önfte  Tlann  ge^t  jur  58ernicf)tung 
3(cf)  ja,  ta^  <Bd}id']al  kijxt  ficf)  nid]t  an  Ävoneu, 
9ln  Sd)Dn[)ett,  D{eid]t()uni  unb  Xalente  nid)tl 
S)te  unerbitt(id)  bliube  öanb,  gelenft 
SSon  einem  buntein,  rät^fel^aften  SSiüen, 
©reift  uniierfeE)n§  tiinetn  unb  fü^rt  bie  Seute 
3um  CrtU'ä,  o^ne  fie  nur  ju  6etracl)ten. 
SBenn  luir  bie  jyünf.^etju,  bie  geheime  Dieget 
3)er  ^Jäcf)te  bod)  erforfc^en  tonnten,  bie 
3Bir  nur  bie  ^immlii'djen  gu  nennen  pflegen, 
SSeit  ^immlifc^  un§  ba^  llnbetannte  auSgebrüdt." 

Unb  tuieüiet  breifter,  entjücfenber  SJJut^lüttten ,  menn 
,3erbino,  ber  9toüe,  bie  ber  ^id)ter  ifin  fpielen  lä^t,  über= 
brüffig,  feiner  Gi'iften^  ein  ©nbe  mad;en  luiH,  inbem  er  bie 
9Jiafc^ine  be§  ®tücfe§  jurücfbre^t  bt»  ]^inter  bie  ©cene,  tüo 
er  5um   erflen  SOial   aufgetreten    ift,    unb   nur   bie  öorte^te 


296  ^liomaiitifd)e  Sli'^nie. 

(Scene  luieberfommt  mit  t^ren  ^erfonen,  hie  [e^r  uniüitltg 
ftnb,  baB  fie  tl^re  üorigen  Sieben  nun  rücfmärtg  fpred^en 
follen  unb  nod^  öa^u  mit  t^ren  bamatigen  SBünfdfien  unb 
3)?einnngen  in  Sonffift  fommen;  luoburc^  fid^  aber  3fi^^tno 
ntd^t  [toren  lä^t,  ber  öielme^r  unermüblic^  bre£)t  unb  fc^raubt, 
ha'i^  t^m  ber  ©d^ioeife  öon  ber  ©tirne  läuft,  bi§  S5erfa[fer, 
^ritifer  unb  ©e^er  herzulaufen ,  t^n  übertuättigen  unb 
fiinben  unb  bann  ba§  ©tüd  fd^Ieunig  ju  (Snbe  bringen, 
e^e  fid^  bergleic^en  n)teber|oIen  fann.  9leben  bem  ©d^erj 
unb  ber  Soüf)eit  ge^t  aber  beftänbig  leife,  fü^füngenbe 
2Be|mut^ ,  f^alh  üerborgener  S^ieffinn  unb  unerfd^öpflid^e 
Siebe§ft)onne  tjer, 

(Sinem  fc^önen  O^eueriüerf,  ha^  batb  mit  Sniftern  unb 
^raffeln,  balb  fanft  unb  gemac^,  fprü^enb  unb  in  ben 
bunteften  3^arbentönen  leuc^tenb  in  bie  Siefe  be§  bunfel* 
blauen  9^ac^t^immet§  berftnft,  gleid^t  ha^  9)?ufifmärd^en  bom 
Ungeheuer  unb  bem  bejauberten  25?albe.  @§  möd^te  bem 
©eftiefelten  ^ater  an  Stunbung  unb  gtänjenber  Saune  dor= 
gugie^en  fein;  aber  im  J^'ater  fierrfrfit  bie  Ironie  bor,  ^ier 
ha^  9Kärd^en!^afte.  Ueber  ein  btlberreic^eS,  grotegfe^,  mel^r 
romanifd^e§  aU  germonif(^e§  SD'Järc^en  ift  ba§  ®anje  pn- 
gefponnen:  eine  böfe  föniglic^e  Stiefmutter,  bie  mit  §ülfe 
üon  böfeu  geeen  ben  ebeln  ^önig^fo^n  in  ein  Ungeheuer 
üerjaubert  ^at  unb  bem  stneiteu  ^rinjen  nad^  bem  Seben 
ftellt,  unb  tvk  nun  bie  ®uten  ben  ©(glimmen  entgegen- 
lt)irfen  unb  ber  iunge  ^rinj,  o^ne  e§  5U  a^nen,  ben  S3ruber 
erlöft,  inbem  er  i^n  befämpft. 

„©iebt  bie  5Selt  nocf)  anbre  3'i-eubcn 
9teben  2Setn  unb  Siimbgefang? 
5[>tag  ber  C'^clb  am  9iut)m  fiel)  »ueibcn, 
Si'einer  luirb  Ujn  je  beueibcu 
Sei  bem  füjicit  23ccl)erf(nngl" 


5Romantiic{)e  ^^■'■^nie-  297 

©0  berfe^t  un§  ein  jc^äumenbe§  Sieb,  im  ©arten  5n)i[cl^en 
Springbrunnen  unb  ©tatuen  Don  jungen  9J?ännern  unb 
e^rauen  gelungen,  gteid)  in  bie  öolle  greubenmitte  Ijinein. 
Unter  biefc  tritt  ber  bebenfüd^e  9}?intfter  ©ebaftiano,  ber  in 
einer  prächtigen  5Irie  ba§  ©ingen  qI§  eine  unerloubte 
©d^melgerei  mit  oungc  unb  (Sprache  berbietet: 

„33ei  (iof}er  Strafe  mirb  geboten 

©0  tjiei  al-i  and)  im  ganzen  iianb, 

3Seit  man  ertappet  Ü6er  'ücoten, 

S)er  tt)irb  im  9(ugenblict  üerfiannt: 

©0  f)at  ba^^  9ieid)  bitrd)  midi  erfannt. 

SSa§  foKen  bteje  Iriüertünffc, 

S)urd)  bie  man  fonft  ben  TOonb  Bejdiiüur? 

@te  [inb  ein  Siid)tS  unb  leere  ®ünfte 

Unb  immer  gegen  bie  9?atur. 

@prid)t  2eibenfd)aft  in  ^anfenfd)Iägen? 

5)er  ©d)merj  in  3'lL^tenmeIobie? 

©mpfinbnng  ge^t  auf  anbern  SSegen; 

SSa§  jagt  baju  ^f)i[ülüp^ie? 

Unnad^al^mnc^  tft  bie  fomifc^e  2Bürbe  unb  majeftätifd^e 
©infalt,  lüomit  er  öon  ben  |)eimfucf)ungen  be»  Sanbe»  er= 
5äJ)It  unb  feine  S8eforgni§ ,  man  möchte  i^rer  nie  lebig 
ft)erben,  ta  feine  (S)efunb|eit  i£im  nid^t  erlaubt,  nad)  bem 
9?ec^ten  ju  feljen;  unb  baneben  bie  Unüerblüfft^eit  be§  auf- 
gefCäitcn  9J?tnifter  Somelli,  ber  bem  Könige  bie  «Sorge  über 
ba§  Ungeheuer  unb  ben  t»er,^auberten  SBalb  bamit  au§rebet, 
ba§  biefe  ^^ntome  einer  finbifd^en  ^inagination  ja  gar* 
nid^t  ejifttren,  unb  bofe  ein  blü^enbe§,  mit  geiftreid^en 
köpfen  unb  einfic^tsnollen  Seuten  angefüHte§  Sanb  nid^t 
ein  93all  in  ben  Rauben  ber  S)umm^eit  bleiben  barf.  Unb 
bajmifd^en  ber  gänstic^  ratl}tofe  alte  Slönig,  ber  balb  biefem 
glaubt,  balb  bem  Jammer  be§  S3otfe§  unb  feurig  befd^üefet, 
ba^  binnen  Surjem  alle  biefe  Ungeheuer,  öersauberten  |)atne, 


298  SJomantifdie  fronte. 

^ropleten  unb  2Bet[fagung§feIfen  t^m  über  bte  ©renje 
tatijen  f ollen;  otine  ba§  \iä)  jemals  SRenfd^  ober  ßieift  um 
feine  93efe^Ie  fümmerte.  3ule^t  ber  3>üeifampf  im  ©ebirge: 
ber  ^rinj  ringt  mit  bem  Ungeljeuer,  jtrei  SfJebenbu^Ier 
jd^lagen  fid^  um  ein  Siebd^en,  bi°  beiben  9Jiini[ler,  meil 
Sometli  bem  ©ebaftiano  öorhJtrft,  er  ^aht  ben  ^önig  im 
^tbergtauben  an  ha^  Ungetjeuer  beftärft,  ba§  garnid^t  ei'ifttre. 
©ebaftiano  tuirb  bejiegt: 

ÜBillft  bit  bid)  ergeben? 
3c^  »xnfl  mtc^  gern  ergeßen, 
SJur  j(f)onen  ©ie  mein  fiebert  — 

im  Slugenblid  aber,  tüo  ©ebaftiano,  um  fein  Seben  §u 
retten,  einen  @d^h)ur  tl^ut,  ba^  e§  fein  Unge£)euer  gibt,  njeit 
biefc  3eit  borüber  fei,  ba  erfd^eint  e§,  unb  beibe  SOlinifter 
entfliegen  unter  entfe|Iirf)em  2Se^gef(^rei  ^aU  über  ^opf 
nac^  öerfcEiiebenen  ©eilen.  3>üifd^en  biefer  tollen  ^omif 
bo§  leife  Siebeggepfter  be§  ^rinjen  unb  5lngelifa*^,  ba§ 
(Sc^mirren  ber  guten  unb  böfen  ©eifter,  ba§  l^olbe  Sieb  ber 
bienenben  SJJäbd^en,  bie  ber  Königin  folgen: 

3ief)t,  tf)r  warmen  Süfte, 
®urcl}  bie  SBhtntenfelber  l^in, 
©tel^It  bem  g-rütjUng  ieiue  Süfte, 
Sßrtngt  fie  unfrer  jl'onigin. 
3Sd  fie  iuanbelt,  |)3ielen  ®efte, 
folgen  i^rem  fioben  ©ang, 
S5öglein  freuen  fid)  im  9?efte, 
©rüfeen  fie  mit  Sobgefong  — 

ftolgc,  fd^metternbe  SoG^fanfaren  unb  ber  reijenbe  SBal^nfinn 
be§  öerjauberten  SSaIbe§,  in  meld^em  Strappola  oHein  feinen 
SSerftanb  bel^ätt;  benn  ber  alte  ©a^  beftätigt  firf)  an  i^m, 
„baB  geföiffe  Seute  nid^t  unfinnig  luerben  fönnen,  n)enn  man 
aud)  aae  5tnft alten  bosu  trifft." 


9iDmantifcI)e  i^i'C'nie.  299 

2)a§  %ud  biefe  3(rt  don  tronifd^er  ^omöbte,  bte  fid^ 
fetb[t  aufhiebt  unb  mit  fid^  '\db\t  %))taki  \pkU,  nti^t  er* 
funben  l^at  —  bcnn  2lriftop^ane§,  ©^afefpaere,  Öioj^i, 
^olberg  tüaren  feine  Sorbilber  —  i[t  Befannt;  übrigen? 
gleichgültig,  benn  e§  tf)ut  il^rem  SBert^e  feinen  ©intrag, 
©benfo  njenig,  tvk  id)  beiläufig  itotf)  einmal  ertüä^nen  IniK, 
barf  man  ha§  gegen  fie  anführen,  ha^  atte  bie  literarifc^en 
93e§ie^ungen  un§  o^ne  Kommentar  nidjt  me^r  öerftänblid^ 
finb;  benn  fie  macf)en  ben  ^ern  ber  ®idf)tung  nid^t  au§. 
Unb  tro^bem  ift  e§  gerechtfertigt,  ha^  biefe  reatiftifc^en 
9}Järc^enfpieIe  auc^  Don  öfttietifd^en  ?5einfd§mec!ern  nid^t  5ur 
löd^fteu  ^unft  gered^net  n)erben,  ba§  i|nen  etina^  511  icünfc^en 
übrig  bleibt;  ja  felbft  ©dritter'?  Urt^eil,  ber  fie  nic^t§  oI§ 
leer  unb  gefd^lüä^ig  fanb,  fo  befd^ränft  e§  auc^  ift,  lä^t 
fic^  bo(^  h\^  ju  einem  gertjiffen  ©rabe  n}enigften§  üerfte^en. 
Sm  Prolog  5um  3ei^t)ino  fagt  3:iecE: 

„@o  ^Itet  unfer  ©piel  für  nic^tä  al§  ©^jieltuer!. 
^ein  S^ogel  barf  mit  frl)iuerev  2abung  fliegen, 
Gin  2iebe§briefd]en  tragen  \voi][  bie  IJaubeu, 
®ie  ©diinalbe  ^oHe  nad)  bem  lüarmen  9teft, 
9Zur  jenem  großen  SSogel  diod  ift  e§ 
SSergönnt,  bie  Suft  mit  fü^nem  i5'J"g  äit  t£)eilen, 
3)en  ©lepfjonten  in  ben  flauen  ^altenb." 

S)a  ^aben  n)ir  ha^  Problem  au^gefprod^en:  ber  lieber* 
menfcf),  ber  ^ufunftSmenfc^  ober  h)ie  man  ha§>  ^beal  nennen 
toitt,  bem  ftiir  entgegentrad^fen,  ift  üon  bem  ©efc^Ied^te  jene? 
fabelhaften  parabojen  !CogeI§.  Xied  iou^te,  ha^  er  felbft 
nid^t  ta^  njunberbolle  ÖJefd^öpf  tvai,  ba§  fc^mcr  belaftet  in 
bie  St'olfen  fteigen  fann;  man  mn§  bie  ^^rei^eit  feine§ 
:3nteIIc!te§  betnunbern,  bie  i^m  ermöglichte,  fidj  über  ba§ 
fo  ftar  5U  fein,  n)a§  feine  ®rö§e  unb  \va^  feine  ©c^Juäd^e 
n>ar.     Slud^  über  bie  @ef(^iDä^igfeit,  hie  ©dritter  iE)m  t)or= 


300  9lomanti}d)e  ^ronie. 

tüarf,  luuBte  er  53ef(|etb:  auf  i£)ii  felber  pa'^t,  JüaS  ber 
?iarr  in  ber  S3erfe]§rten  SSelt  jagt,  a(§  t^m  Sifette  fc^meid^elt: 
@te  brüden  fid^  fe^r  angeneljm  au§!  „^c^  fc^üttele  bie 
Söorte  ämtfd^en  ben  3ä§nen  l^erum  unb  tuerfe  [ie  bann  breift 
unb  glet(^gülttg  tüte  SSürfel  f)erau§.  ©lauten  @ie  mir, 
e§  gerät§  bem  5Renf(^en  feiten,  alte  ©eci^fe  gu  n)erfen,  er 
umg  nun  befonnen  ober  unbefonnen  fpielen."  liefen  @tn= 
brud  ^at  man  ttiirflid^,  aU  luenn  ein  übermütljiger  5ßer» 
fd^rtJenber,  beim  ©piele  fi^enb,  in  feinen  gli^ernben  Raufen 
hineingreift  iinb  auätl^eilt,  ^al^Ipfennige  unb  ©olbftüde 
burd^einanber,  mie  e§  gerabe  fommt.  @§  ifl  feiten,  'Oa'^ 
(Sinn  fo  tierfc^menberifc^  ift,  toenn  er  sugleic^  bebäd^tig  genug 
ift,  um  au§3ulefen.  SBenn  man  an  SiecE  bie  (Sebiegen^eit, 
©d^n^ere  unb  ^raft  dermi^t,  bie  im  (SI)ara!ter  liegt,  mufe  man 
boran  beuten,  ta^  er  eben  biefem  ÜJiangcI  on  ©eiric^t  bie 
entäücfenbe  Seid^tigfeit  öerbanft,  mit  ber  er  fd^n^eben  fonnte. 
@§  läuft  immer  tüieber  auf  ben  S5ogeI  diod  ^erau§;  nur 
ha^  !ann  man  ^ied  öorlüerfen,  ha^  er  ber  geflügelte  Söiüe 
nid^t  Wax,  ber  boc^  ber  ©age  nad^  nur  alle  ^unbert  ober 
taufenb  ^a^xt  erfc^eint.  ®r  ^at  felbft  unter  bem  ®efü§I 
be§  freüel^aften  Setc§tftnn§  gelitten,  ber  i^m  eigen  fei,  unb 
ber  ift  oi^ne  ^^oeifel  bie  Urfaclie,  ba^  feine  SBerfe  511  bem 
neigen,  \va^  man  fpielerifd^,  leidste  SBaare,  uned^t  nennen 
fann.  3}Jan  tann  ftd^  einen  ®id)ter  benfen,  ber  fic^  üon 
feinem  ®egenftanbe,  ben  er  leibenfd^aftlit^  an'§  ^tx^  ge= 
brücft  ]^at,  fraftooH  loSrei^t  unb  mit  bem  ©c^tuunge  ber 
Slnftrengung  fiegreid^  läd^elnb  über  i^n  ergebt,  luä^renb  %kd 
t|n  öon  born^erein  nid^t  all  etlua§  Gleichgültige«,  aber  bod^ 
al§  etrt)a§  (gntbe^rlid^eg  fd^erjenb  umflattert.  SBenn  man  ben 
Siebrei^  unb  bie  öielen  I)ö(f)ft  bid)terifc§en  Sinfätle  in  feinen 
3Jiärd)enbramen  geniest  unb  betüunbert,  fragt  man  fid^  oft, 
rtarum  tro^bem  ba§  ©anje  nur  mit  einem  glügelfd^Iage  an 


S^omantif^e  fronte.  301 

unferm  ^erjen  borüberfliegt,  töä^renb  jebe  ^omöbte  bon  S^afe^ 
fpeare  fic^  [ofort  bartn  feft[)a!t  unb  e§  innig  mitjittern  mac^t. 
igene  finb  eben  nur  booi  ®ei[te  erjeugt  unb  barum  ergreifen 
fie  aüd)  einfeitig  nur  unfern  ®eift,  nid)t  unfre  D'Jatur  mit. 

?(6er  fc^iuelgt  aiiä)  taS^  ©efü^I  ntc^t  mit  an  biefen 
©tjmpofien,  bie  Siecf'g  bramatifc^e  9}?ufe  beranftattet,  fo  ift 
bo^  and)  ber  jarte  9taiifc^  be§  ®eifte§,  ben  fie  einflößt, 
reijenb  unb  angenehm. 

„Sn  toefc^er  2:runfen£)eit  jaud^jt  unfer  @eift,  ttjenn  e§ 
t^m  bergönnt  ift,  taufenb  ibec^felnbe,  bunte,  fd^tüebenbe, 
tanjenbe  ©eftalten  gu  erblicfen,  hk  ftetS  erneut  unb  ber= 
gnügt  in  i^m  auffteigen.  2(ngerü^rt,  angelacht  bon  taufenb- 
foltiger  2kbe  widdt  hit  Seele  fic§  in  Sieber  bon  aller  garbe 
unb  jubelt  §imme(an,  ba^  bie§  träge,  aCttäglid^e  2eben  i^n 
lange  nid^t  n)ieberfinbet."  ©o  fpricfit  haS^  SlHegro  in  einer  bon 
Sted'^  33ort»(St)mpIjonien;  unb  ha^  loar  gett)iB  fein  Qbealbitb 
ber  ^omöbie. 


aile   ficutige   Sunft   beruht   auf   bent 
SRoman,  fclbft  baS  Srama. 

©olger. 

®er  9loman  tft  ein  romanttfcJ)e§  S3uc^,  fagte  griebrtd^ 
©c^tegel;  ba§  :^ei^t,  c§  ift  befttmmt,  gelefen,  nic^t  barge[tellt 
gu  njerben  toie  ba§  jDroma  unb  e§  foll  einen  fenttmentalen 
Sn^alt  in  p^antafltfc^e  gorm  fa[fen,  nömltd^  gemi[(^t  an§ 
(Srjä^tnng,  (Sejang  unb  3Sec^feIrebe.  ^eineSmegS  fei  ber 
fRoman  mit  bem  @po§  bertüanbt,  n)a§  man  barau§  fe!§e, 
ba^  im  epifd^en  <Stt)I  bie  fubjeüiüe  Stimmung  nid^t  ftd^tbar 
Serben  bürfe. 

©0  tft  mit  ber  allmäligen  ©ntiüidelung  be§  9JJenf(^en 
au§  bem  objeftiöen  @po§  ber  fubjettiöe  Sfioman  getrorben: 
ber  alte  e|Difc^e  2)id^ter,  ber  üorjüglid^  äußeren  ©inn  unb 
Söeltbeiuuj^tfein  ^at,  f(f)ilbert  ben  SJJenfifien  nur,  infofern  er 
tk  3BeIt  fc^ilbert,  ber  moberne  Sftomanbid^ter  mit  feinem 
eriüeiterten  3<^=^etün§tfein  giebt  ben  SJienfc^en  unb  in  i^m 
bic  Sßelt  —  ba§  m  luirb  ^erfon.  9lic^t  auf  bo§,  h)0§ 
ber  S)id^ter  batfteHt,  fommt  e§  alfo  an,  fonbern  i^n  felbft 
fud^en  h)ir  in  feinen  Sudlern,  unb  iüa§  für  eine  SBelt  feine 
Organe  i^m  fd^affen.  S)ariim  üerlangten  bic  9tomantifer 
nac^  ©elbftfd^ilberungen  unb  S3efenntniffen  unb  erflärten 
9touffeau'§  ©onfeffionen  für  einen  lueit  borjügltd^eren  3ftoman 
aU  feine  §eIoife.  „SJJand^cr  ber  öortrefflid^ften  9iomane", 
fagt  Sriebric^  ©erleget,   „ift   ein  ßompenbium,   eine  (Snct)- 


^Romantifc^e  58üd)cv.  303 

Kopäbie  be§  ganjen  geistigen  Se6en§  eine§  gentatijd^en  3"- 
bioibuum»;  S23erfe,  bte  has,  finb,  jel5[t  in  ganj  anbrer  Sorm, 
lüie  '^aiijan,  befommen  baburc^  einen  5(nftric|  öon  Ütoman. 
5luc^  enthält  jeber  9)ienfc^,  ber  gebilbet  t[l  unb  fic^  Inlbet, 
in  feinem  3"nern  einen  9ioman.  ®aB  er  i6n  aber  äu^re 
unb  fc^reibe,  i[t  nirf)t  nötf)ig."  Uub  e§  folgt  barau§,  tua» 
er  weiter  fagt,  bo^  e^  überflüffig  ju  fein  fd^eine,  me^r  al§ 
einen  9loman  §u  fd^reiben,  aufeer  inenn  etwa  ber  ^ünftler 
ein  neuer  90^enfc|  gen)orben  fei.  2(I§  ben  ^auptunterfc^ieb 
^mifc^en  antifer  unb  moberner  ^oefie  bejetd^net  er,  ta'^  bie 
moberne  auf  ^iftorifc^em  ®runbe  rnf)e,  nämlid^  ©elbft- 
erlebteö  fc^ilbeve:  „wa^i  gut  ift,  ha  liegt  immer  n)a^re  (Sie* 
fc^id^te  ju  (Srunbe."  Unb  finb  unfre  mobernen  großen 
9iomane  et»oa§  anbrc§  aU  58efenntniffe?  9Zur  (grlebte§  ift 
un§  fd^ön  unb  lieb:  ber  ÜJ?enfdf)  mit  unfunbigen,  ungeübten 
ober  fc^marfien  5tugen  n)ill  huxd)  ein  frembeg  ^d)  mie  burc^ 
ein  gefdE)(iffene§  ®Ia§  bie  2BeIt  fc^öner  unb  flarer  erfennen. 
S^iid^t  'ba^  ift  bie  9J?einung,  e§  fönnten  ettüa  gut  ge- 
jetc^nete,  intereffante  S^araftere  ein  S3ud^  tvext^'ootl  mad^en: 
„S)a§  bIo§e  S)arftetten  öon  SJJenfc^en,  Oon  Seibenfd^aften 
unb  |)anb(ungen  mac^t  ey  lüoljrlic^  nid^t  au§,  fo  n^enig 
ftiie  bie  fünftli(^en  gormen,  unb  h)enn  ^^r  ben  alten  ^ram 
aud^  a)Zittionenma(  burd^  einanber  njürfelt  unb  über  ein» 
onbcr  ttJäljt."  ©onbern  ber  2)uft,  ber  unfid^tbar  barüber 
fc^rtjebe,  ber  milbe  SBiberfd^ein  ber  ©ott^eit  im  9)Jenfcf)en, 
ba§,  fagt  griebrid^  ©c^tegel,  mact)e  ha§  S3ud^  romantifd^ 
unb  mad^t  e§  überhaupt  erft  §ur  ©id^tung.  ®ie  unerrne^» 
lic^e,  unerforf(^te  ^nneniDelt  be§  9J?enf(^en,  bie  atfo  foH  ber 
tieffte  ©runb  fein,  ben  bie  betöeglid^e  ajJeere§oberf(ä(^e  be§ 
1Romane§  n)iberfpiegelt  „ober,  föaS  baSfelbe  ift,  bie  ©ottl^cit 
bei  '5)id^ter§,  feine  3fietigion."  SSieberum  füt)rt  bie  roman- 
tifd^e    ^oefie   burc^    bie   ^erfon   !^inburd^   5um   Sltt.     (Sin 


304  9tomantiicf)e  $8ü(f)er. 

burc^j'id^tigeS,  beweglichem  (SIement  ift  "i^a^  romantifc^e  S3uc^, 
'ba^  in  atlen  feinen  X^eikn  burd^teuc^tet  unb  burc^feelt 
föerben  lann,  „ein  9JZeer,  bem  ber  2Biberjc|ein  ber  Siefe 
ober  be»  |)immel§  bie  garbe,  ben  ßfiarafter,  ben  2:on  giebt." 
S)ie  innerlid^e  SBelt  be§  jDid)ter§  i[l  bie  oerfunfene  «Stabt, 
bie  ber  Iräumenbe  «Schiffer  wahrnimmt,  ber  fic^  9^ac^t§  über 
ben  9{anb  be§  ©c^iffeS  beugt,  ta^  fd^ioimmenbe  ©eläut,  ta^ 
er  [el^nfü^tig  öernimmt,  oEine  ju  raifjen,  öon  too  e§  auägef)t, 
bie  farbige  SBunberiüelt,  bie  in  ber  ginfternife  be§  unbe* 
fonnten  ®runbe§  it)r  I)eiinlic|e§  Seben  fpielt.  S)a§  ©timbol 
eineg  ^c^  fann  man  furj  haS'  romantifc^e  S3iid^  ober  ben 
mobernen  9toman  nennen. 

2II§  ba§  gro^e  SJiufter  be§  9?Dmanel  betrad^ten  bie 
Stomantifer  ben  ^on  Buij:ote.  §ier  fanben  fie  hie  9J?ifc|ung 
aUer  g^ormen,  in  ben  ®ang  be§  ©anjen  eingeftreute  DJoöeHen 
unb  Sieber,  fie  fonben  jeben  Son  be»  ©rnfleg  unb  ©c^erjeg 
angefc^Iagen  unb  alle  bie  2|etle  be§  mannigfaltigen  S§ao§ 
oerbunben  burd^  ben  (Seift  be»  Sic^ter§,  ber  barüber  fc^tüebt, 
leicht  unb  mäd^tig,  frei,  J)errf(f)enb,  ein  Sic^tät^er,  ber  Sttteä 
burdibringt  unb  e§  Ijett  unb  fenntlic^  mac^t:  bie  romantifd^c 
Ironie.  |)ier  fommt  e§  eigentlid^  nic^t  auf  bie  ^anblung 
an  —  fo  retjenb  aud^  hk  bunte  SJJcnge  ber  5tbenteuer  ift 
—  fonbern  auf  ba§,  tt)a§  nirgenbm  mit  SBorten  gefagt  ift 
unb  lüal  man  bod^  überatt  in  ber  ©eete  fü^It:  ein  lebenbige^, 
unfterblic^el  ^d),  Spiegel  einer  Söelt  unb  Sleim  einer  (Sott^eit. 

Unb  nun  erfc^ien  mitten  au§  ber  ©egenroart  |erau§, 
öon  einem  befannten  unb  oerel^rten  3}ieifter  gefd^affen,  (in 
S3ud^,  ba§  niie  jum  S3eifpiet  für  bie  S^eorieen  ber  3fioman= 
titer  gemacht  fd^ien.  „2Ber  ®oet^e'§  SJJeifter  gehörig 
c^araftcrifirte",  fc^rieb  griebric^  ©d^Iegel,  „ber  ^ätte  bomit 
rao^I  eigentlich  gefagt,  roa^  e§  je^t  an  ber  ^eit  ift  in  ber 
^oefie.     (£r  bürftc  fict),  wag  poetifc^e  ^ritif  betrifft,  immer 


atomantiidje  S3üc^er.  305 

5ur  9iu:^e  fe^en."  (S»  ift  etn§  feiner  befanntei'ten  ^arabojen, 
baB  er  ben  SJfetfter  neben  ber  franjöfifc^en  9teüoIutton  unb 
?5ic^te'§  SS^iffenjc^aftele^re  für  bie  größte  Xenben,^  be§  ^af^x- 
^unbert§  erf(ärte.  So  fängt  feine  3l6i)anb{ung  über  SSil^etm 
3J?etfter  an:  „Of)ne  2{nma§ung  unb  c^ne  ©eräufc^,  njie 
bie  Sßilbung  eine»  ftrebenbeu  ®etfte§  fid^  ftill  entfaltet,  unb 
tüie  bie  luerbenbe  Söett  au§  feinem  S»"ern  leife  emporfteigt, 
beginnt  bit  flare  ©efd^ic^te;"  unb  in  biefen  SBorten  liegt 
fc^on  5lffe§  angebeutet,  wa^  hk  Sftomantifer  an  biefe§  S3uc^ 
feffelte,  mmlid),  ha'ß  e§  in  fertiger  üollenöeter  gorm  ettüaS 
SBerbenbeg  barftettte.  2Bie  fommt  im  ©runbe  2BiI!^eIm 
33?eifter  ba.^u,  baB  eine  gan5e  Sßelt  fic^  um  ii^n  bre^t,  ber 
ber  öelb  eine»  S3u(^e§  [jei^t  unb  boc^  oon  ben  meiften 
5?ebenperfonen  ber  ^anb(ung  an  (S^arafter  unb  ^üc^tigfeit 
überragt  n)irb?  „Sein  ganjeg  S;f)un  unb  2Befen",  fagt 
Sc^teget,  „befielt  faft  im  Streben,  SSoHen  unb  Smpfinben." 
©erabe  btefe  „grenjenlofe  33i(t)famfeit"  aber  unb  „oielfeitige 
(Smpfäng(id)fett"  madjt  i^n  geeignet,  §etb  einer  (SnttüicfetungSs 
gefrf)icf)te  ju  fein.  @r  tft,  iua§  ic^  einen  romantifc^en  d^a» 
rafter  genannt  i^abe;  feine  SSorfä|e  unb  ^anblungen  laufen 
—  ha^  ift  lüieber  ein  'ülusfprud^  Schlegel'»  —  in  parallelen 
Stnien  neben  einanber  J)er,  o^ne  fic^  je  p  ftören  ober  ju 
berül)ren.  25>enn  er  nic^t  ^anbeln  tann,  fo  |at  er  bafür 
bie  „5Sorempfinbung  ber  ganzen  3BeIt"  unb  burc^  i^n  l^at 
fte  ba§  ganse  S3uc^.  STcan  barf  e§  nid^t  nelimen  „al§  einen 
IRoman,  mo  ^erfonen  unb  S3egeben^eiten  ber  le^te  ©nb^toed 
jinb.  ^enn  biefeg  fc^lec^t^in  neue  unb  einige  33uc^,  n)eld^e§ 
man  nur  au§  fic^  felbft  oerfteben  lernen  fann,  nacf)  einem 
Gattungsbegriff  beurt^eileu,  ha^  tft,  a(§  loenn  ein  ^tnb 
SJtonb  unb  ©eftirne  mit  ber  £)anb  greifen  unb  in  ein 
Sc^äc^telc^en  pacfen  luiK."  (50  ift  eben  ber  moberne  9ioman, 
i)a»   romantifc^e  33uc^,   ba§,    foüicl   aucb   pon  X[)eater  unb 

^uc^,  Komaittitet.  20 


306  Dbmnntifcfie  S3ü(^er. 

Sunft  bartn  hk  $Rebe  tft,  bod^  immer  ha§  gro§e  @c|auf^tcl 
ber  aj?enjd^^ett  unb  bie  ßunft  be§  Seben§  im  2luge  |at. 

5lelter  al§  2BiI^eIm  SD^eifter  ift  SSittiam  Soüctt.  ®ie 
Sonne  ®oett)e'jc^er  ©efunb^eit  fiat  auf  ben  unheilbar  tounben 
Süngltng  ntd^t  geftfiienen:  bla^,  mit  lüe^üollem  S3(icE  au§ 
tiefen,  flacfernben  klugen,  fc^lüanfen  ©d^rilteS  tritt  er  un^ 
entgegen.  S3ie(  fd^ärfer  unb  einfeitiger  aU  bei  ®oetJ)e 
treten  ^in  bie  neuen  Senbengen  in'§  Seben:  bie  j^abel  unb 
i^r  3w!ai"Dien|ang  ift  bem  ®ic|ter  fo  glei (^gültig,  tüie  t^ 
bem  gelben  ift,  ob  er  einen  serfe^ten  Tlantd  unb  einen 
abgegriffenen  |)ut  trägt.  Stid^tg  al§  ein  SJJenfd^  ift  ba& 
gange  S3uc^  ober  beffer  gefogt:  all  eine  Seele,  hu  raftloS, 
fram)3ff)aft,  immer  unb  immer  n)ieber  öerfud^t  fid^  bar- 
juftellen,  um  fid^  fetbft  5U  erfennen  unb  erfannt  ju  Serben. 
@§  ift  eine  ©cene  in  bem  93udE)e,  fo  innig  unb  erfd^ütternb,. 
ba^  fte  fi(^  au§  ber  öerfd^luommenen  9JJaffe  be§  ©anjen 
flar  !^evau§^ebt  unb  bem  Öiebäd^tnife  einprägt,  nämlic^  tt)o 
(Sbuarb  feinem  einft  unb  nod^  immer  geliebten  greunb 
SBilliam,  ber  inglüifd^en  §um  SSerbred^er  getporben  ift  unb 
i§n  felbft  in  ber  3Bitbt)eit  feinel  franfen  ®emüt^e§  öon  fid^ 
gefto^en  ]^at,  ber  i^m  bie  ©(i)U)efter,  otjue  fie  ju  lieben^ 
nur  au§  feiner  jerftörungSfüc^tigen  SSerjiueiflung  ^erau§^ 
öerfü^rt  £)at  unb  im  93egriff  ift,  fie  ju  entfübren,  borfid^tig 
unb  treu,  ber  ©etäufc^te,  ba§  ©eleit  giebt,  um  i^m  5ur 
fidleren  gluckt  bef)üIfIidE)  5U  fein. 

„SKie  im  S:raume  ging  iä)  mit  i§m  fort,  feiner  öon 
un§  Iie|  einen  Saut  tierne^men,  tuie  gtuei  ©efpenfter  fd^IidEien 
njtr  burd^  ben  ©arten.  (S§  mar  mir  hjunberbar,  al§  toiv 
ben  Sauben  unb  ben  Saufen  Oorübergingen,  loo  id^  fo  oft 
mit  i§m  gefeffen  l^attc;  bie  33äume  neigten  fid^  lueljmütfiig, 
al§>  lüir  unter  iJiren  SBipfeln  ^intoeg  gingen.  —  5lrm  in 
9(rm  loar  ic^  fonft  l^ier  mit  Soüell  auf-  unb   abgegangen, 


9voinantt)d)e  S8ücf)er.  307 

l^ter  l^ntte  fic^  un§  mit  ©ntjürfen  bie  Söett  (S|afefpeare'§ 
aufge[d^Io[fen,  ^ier  fiatte  trf)  i£)n  am  9}^orgen  juerft  gefud^t, 
iinb  noc^  ber  SIbenb  traf  un§  in  btefen  ©ebüfd^en,  lüenn 
bie  Uebrigen  [(^on  längft  ju  bcn  ^inimern  jurüdgefe^rt 
Jimren,  —  Un  ^atte  er  mir  fein  ganjel  ^ev§  ent|üttt,  unb 
id^  i^m  ba§  meinige;  —  o!  unb  nun  gingen  föir  mit  bidit 
öerfcEiteierten  ©eelen  neben  einanber,  fein  äJJunb  öffnete  fid^, 
feine  ^anb  ftrecfte  fid^  nad^  einem  ^rurfe  au§." 

®a  fpürt  man  beutlid^,  nidEit  um  (Sbuarb  unb  SBiUiam 
^anbelt  e§  fic^  ^ier,  fonbern  Sied  felbft  ift  e§,  ber  mit 
bo^rcnben,  entfetten  Slugen  feinen  eigenen  Xämon  anftarrt, 
ber  ()Qlb  öerliüllt  neben  t^m  manbctt,  beffen  ^au^  unb 
(SinftuB  er  fü^lt,  beu  er  einmal  bentlid^  fcf)en  mocfite,  n:)enn 
ibm  aud^  graut  öor  bem  Slugeublid,  Wo  i^m  öieHeid^t  ein 
oerjerrtc's,  ()affen§n)ürbige§  5lntli^  aufginge.  Slaum  glaublid^ 
ift,  njie  ber  jDic^ter  un§  babur;^  glaubte  täufd^en  §u  fönnen, 
ja  fid^  felbft  baburdE)  tänfi^te,  bn^  er  ben  Dielen  auftretenben 
gigitren  nerfc^iebene  9^amen  anljeftete;  benn  au§  jeber  ber 
ftereottipen  SJiaSfen  glüfjen  un§  biefelben  Singen,  fprid^t  un§ 
biefelbe  jcrriffene  Seele  an.  S)er  S3Iicf  in  bie  wirre  Ueber== 
füHe  biefer  S3ruft  mad^t  cö  un§  begreifüd^,  ba^  ha  fein 
9?aum  für  bie  'sKu^eniüett  ift,  unb  nur  ein  foId^eS  ^d^  fann 
un§  auä)  bafiir  entfd^äbigen.  (S§  ift  un^njeifell^Qft,  ba§ 
ein  boHenbeter  Sljarafter  fd^öner  tuärc;  aber  njal  für  ein 
rei§enbe§  unb  be^aubernbeS  <Sd)auf|)ieI  ift  e§  aucf),  in  ha^ 
gä^renbe  ߧaD§  eine§  Söerbenben  l^ineinjufe^en.  3}fan  a^nt 
ta  bie  SOcöglidjfeit  eine§  ®enuffc§,  ber  ebenfofe^r  n^iffeu" 
fd^aftlid^  Wie  fiinftlerifc^  ift;  freilid^  im  Soöelt  a^nt  man 
fie  nur.  S)er  ^ünftlcr,  ber  biefe§  jerflie^enbe  253erf  üerluirft, 
meil  e§  feine  organifd^e  ©eftalt,  fein  förperlic|e§  2eben  Ijat, 
njirb  boc^,  mie  ]§od^  er  aud^  immer  feine  bilbenbe  ^raft 
fd^ö^en    mag,   mit  93eluunberung  ober  $Reib   auf  bie  SSer» 

20* 


308  9?omanliid)e  ä3üd5er. 

fdEiirenbung  oon  (Seele  Uiden,  bte  Ijltx  tüud^ert.  (S§  ift 
einem  beim  Sefen  ju  SJJut^e,  aU  ginge  mau  über  einen 
mit  S3Iiimen  be[treuten  ^^cftmeg  unb  mü[fe  auf  ber  §ut  fein, 
bie  ötelen  SÖIiit^en  unb  33Iätter  nid^t  §u  jertreten. 

fronte  t[t  ntc^t  im  SooeH;  n^ä^renb  er  feine  Dualen 
fc^ilbert,  fte^t  ber  2)tc^ter  immer  nod^  am  SJiarterpfa^Ie. 

SSerlüanbt  unb  ä^nlic^,  aber  bod^  cnberS  geartet  t[t 
Xicd'^  §iüeiter  9toman,  f^ranj  ©ternbatb,  ber  tüanbernbe 
SJialer,  beffen  bürgerlicher  ?iatne  SBadenrober  ift.  @in  fet)n= 
füc^tig  brennenbe»  Sluge  fie^t  un§  an  unter  einer  bemütfjigen 
(Stirn,  au§  einem  ©eftc^t  üon  rü^renber  ^arti^eit,  tia^  man  fid^ 
nur  aU  ha§,  eine§  finbüc^en  Jüngling»  beulen  tann.  HJJan 
fief)t  e§  bem  gläubigen  Sc^lüärmer  an,  ba|  er  ta^  Ttaxt 
unb  bie  aufgefpeii^erte  ^raft  ntd^t  in  fic^  I)at,  um  auszureifen 
unb  ein  Wann  gu  njerben,  unb  fo  Jüunbert  man  \id)  nid^t, 
ba^  ber  ®id^ter  i^n  üerlä^t  unb  aufgiebt,  nac^bem  er  feine 
S3Iütl§e  reict)Iid^  befungen  |at  unb  man  anfängt  auf  grüi^te 
§u  tüarten.  ®iefe  SBanberungen  finb  SeJgrja^re  iuie  9Jieifter'§, 
aber  Don  einem  gefd^rieben,  ber  nid)t  über  feinem  Stoffe 
ftanb,  fonbern  ber  felbft  ein  einfettiger  5Romanti!er  mar, 
unb  ba§  lüar  bie  Urfnc^e,  marum  ha^  junge  ©efdjlec^t  öon 
bem  grünen,  uuöoßenbeten,  unfünftlerifc^en  (Sternbafb  nod^ 
innerti($er  ergriffen  mürbe  aU  öon  bem  ®oetf)e')d^en  9JJetfter= 
unb  ayjuftermerfe.  ©ternbatb  t)alf  i^nen  me^r  fic^  felbft  5U 
fud^en  unb  ju  fiuben;  benn  er  t)at  ntd^ts  marmorne^,  ft^It- 
firte§  ober  ibealifirte§,  burd^  feine  fränflid^  burcE)fic^tige 
§aut  fie^t  man  ba§  jagenbe,  ficfernbe,  eiutg  junfc^en  braufen« 
ber  $)i^e  unb  fterbenber  ©rmattung  luec^felnbe  33hit. 

2It§  -Tiec!  unb  SBacfenrober,  jtuei  junge,  einanber  liebenbe, 
überfd^iuäiiglid^  ftrebenbe  unb  l^offenbe  SJJeiifi^cn  über  bte 
malbigen  ^ügel  9JcitteIbeutf(^(anb§  unb  burd^  bie  alterttjüm» 
lic^e  'i^ra^t  ^JiürnbergS  ftreiften,  träumte  Siect  baüon,  ber 


afioinniiliirije  SSüdjer.  309 

©ntbeder  be§  öcrgangenen,  öergeffenen  2)eutfd^Ianb§  ju 
lüerben,  tüte  e§  firf)  feinem  jc^iuelgenben  ^erjen  barfteHte, 
unb  e§  in  einem  S3nc^e  ju  fc^ilbern,  ba§  lute  eine  :§in= 
rct^enbe  ®id)tung  n^irfen  foHte.  5(nftQtt  hu\e^  S3ud^e§,  ta§> 
nid^t  gef^rteben  nnirbe,  fann  man  ©ternbalb'§  SSanberungen 
nehmen.  (Sl  ift  ein  @c^o  jener  jeligen  5rü(}Iing§tage,  ein 
ftngenbe§,  ireil  in5n)ijc^en  ber  eine  ber  luanbernben  (5)e= 
noffen  feinen  greunb  öcrlaffen  ^atle.  3"in  erflen  Tlale 
t|nt  fid)  ^ier  in  engem  3"fßQ^nien^ange  jene  mitteloltedidjc 
SSelt  auf,  bie  ta§  ©tborabo  ber  9tomontifer  lüerben  follle: 
btc  ernft^aften  frommen  9JJaIerfünft(er,  bie  reuigen  ^tlger 
unb  ftinfeltgen  (Sremiten,  bie  retfenben  ^aufleute  unb  ^unft= 
jünger,  bie  über  bie  Uipen  i^erüber  unb  |)inüber  tt)anbern, 
bie  ragenben  got§ifd)en  2^ürme,  hie  ©täbte  üoll  ©elüerb* 
flei^  unb  |)anbet§ma(^t,  bie  unergrünbltd^en  SBätber  öoHer 
^irfd^e  unb  did}t.  ®ie  erften  garten  ©üjgen  5U  einem 
foldjen  Silbe  {)attc  SCSadenrober  in  feinen  ^ergenäergie^ungen 
etne§  hinflliebenben  ^(ofterbruber§  entworfen  unb  f^atte  hk 
golbtge  mi)ftifd^e  garbenftimmung,  in  ber  bie  S^raumfiguren 
njie  in  einem  fernen  ?tbenbrot§e  Joanbern,  barüber  geljaudit. 
SJJan  meiB  längft,  tta^  ba§  tüirf(id)e  SJiittelalter  ganj 
anber§  auSfa^,  a(§  bie  erften  Siomantüer  e§  fid^  reconftruirten. 
@§  fam  iJinen  ja  aud^  nid^t  baiauf  an,  ju  ergrünben,  Wie 
e§  toirHic^  geiuefen  luar:  fie  fnüpften  nur  tt)re  Suftfc^löffer 
an  ben  9ftuinen  ber  alten  3eit  feft,  banben  iJiren  SoUon 
an  eine  got^ifc^e  2f)urmfpi|^e  unb  überliefen  fid)  ben  SBinben 
unb  Sßotfen.  S)ie  gange  mittelalterliche  2)e!oratiDn  ift  über= 
^aupt  nur  etma§  5?egatiöe§,  nämtic^  hie  ©efinfuc^t  be§ 
5)id^terl,  fid^  Don  jeber  ©c^ranfe,  bie  t^n  feft{)ält  inneri)alb 
be§  Sßir!t{d)en,  2:£)atfn(^lid;en,  gu  befreien,  ^amit  bie§  ^(^ 
nlrgenb»  anftöfet,  luirb  bie  ciHgngreifbare  ©egenirart  ^iniueg^ 
geräumt,  hie  e§  einengen  möchte,  aber  bie  golge  ift,  ha^  e§ 


310  9bmantiid}c  55iic^er. 

ou§  ÜTiangel  an  ©egenbrud  in  bte  unerme^Itd^e  ^!§antafien- 
inelt  serflie^t.  ©oet^e  ^atte  fid^'§  jugetraut,  feine  SJJenfc^en 
inmitten  ber  tiefannten  5llltag§roelt  gro^  nnb  poetifd^  er=» 
fc^etnen  5n  laffen,  allerbing§  nic^t  ol^ne  ju  atter^anb  SBnnber= 
lic^feiten  bie  3uffu<^t  h^  ne!§men,  hk  ftatt  be§  SBunberbaren 
bienen  füllten.  SiecE  flüchtete  fii^  au§  fetner  ^eit  i«  eine 
'^lid)t'Qnt',  benn  ba§  ift  eigentlich  fein  üorgeBIid^eS  SOJittel» 
olter.  2)a^  er  e§  fic^  jn  leicht  gemad^t  ^at,  räd^t  \\6)  an 
feinem  3!Ber!e,  bem  el  an  aller  3Ba|r^aftig!eit  iinb  (Sinbrnd§= 
fä^igfeit  fe^tt,  luenn  e§  and^  p^antaftifc^  genug  fein  möcfite; 
e§  tft  tt)ie  eine  fü^e  ©peife,  üon  ber  man  niifit  gu  biet  öer= 
tragen  fann  unb  bie  jtüar  fdfinell  überfättigt,  aber  nidfit  nä|rt. 
^eine§fall§  aber  barf  man  fic^  burd^  bie  frembartige  (Sin= 
Reibung  täufd^en  laffen,  aU  fei  ber  ©ternbalb  etmaS  5lnbre§ 
aU  Selbftbefenntni^  fo  gut  lüie  SCReifter  ober  SotjeH.  ®ie 
ganje  Slu^enmelt  ift  ia  nur  für  ha^  innere  ha;  \va^  au§er 
bem  ®emüt]&e  bo  ift,  ^at  feinen  anbern  3Bert^,  al§  ettna 
ben  eine»  6)ürtet§,  an  bem  man  ha§  ©d^n^immen  lernt. 
SBa§  füllen  im  (S^runbe  bie  jalillofen  ©Ratten,  bie  an  un§ 
üorüberftreifen,  hk  |)anbn)erfer,  Sauern,  Siüunen,  33ilbl)auer 
unb  (Sremiten;  roal  finb  fie  anber§  aU  ©eelenfpeife  für 
granj?  @ie  ^nben  fein  eigenes  Seben,  fie  finb  Slutomaten, 
^[)antüme,  nn  benen  er  leben  lernt.  9Jfan  rt)ürbe  i£)rer 
me(^anifcöen  ©eflüulationen  balb  mübe,  menn  nid^t  bie  tro|I' 
befannte  Stimme  be§  ®icl)ter§  beftänbig  ben  ©inn  biefeS 
^uppentl)eater§  fo  ernft  unb  rü^renb  erläuterte. 

SBer  nic^t  bie  2Infid^t  ber  3tomantifer  t^eilt,  ba§  S3tlbung, 
atfo  (Sntmicfelung  be§  ^d^,  ha§:  ^öd)fte  @ut  unb  ba§  aüein 
S'Jü^licC^e  ift,  foHte  allerbing§  ein  fol^eä  $8ud^  nid^t  in  bie 
^iinb  nehmen. 

5tlö  eine  ärgerlid^e  SJJifjgeftalt  mifc^t  fid^  bie  fonberbare 
Sucinbe  in  ben  Steigen  biefer  |)|antaftifd^en  ©ebilbe.  9^iemanb 


Stomantif^e  S3üc^er.  311 

mag  t^r  bie  ^aiib  reichen,  öereinfamt  unb  grämli^  fte£)t  [ie 
5ur  (Seite.  9Zic|t  fc^ön  t[t  fie,  nod)  retjooll,  nod^  intereffant, 
tioc^  ItebenSlüürbig,  obmo^I  fie  2tIIe§  ba§  ^u  fein  behauptet; 
öeriimc^fen,  langiueilig  unb  anfpruc^lüotl,  §at  fie  niemaB 
öermod^t,  ^n^^tn  ju  gewinnen.  Sßon  Slnfang  an  fd^redte 
bie  fe^nfüd^tig  erroartete  unb  breitfpurig  öerfüubete  Sucinbe 
fogar  bie  näd^fle  SSerroanbtfc^aft  unb  greunbfc^aft  ab.  griebrid^ 
in  feiner  naioen  ^lutorfreube  ^atte  ^erolbe  mit  Strom^cten 
bor  t£)r  ^ergefd^icft,  hie  e§  aulblafen  füllten,  tva§  für  eine 
epod^emad^enbe,  no(^niebagetuefene,  ei^t  romantifd^e  ©rfd^ei- 
fc^einung  i^nen  folgte.  9}ian  l^atte  fic^,  nid^t  o§ne  ängftlid^e 
©pannung,  auf  ctiua§  oieHeic^t  ®rote§fe§  ober  fe^r  ©eiuagteS 
ober  fd^roer  85erftänblicE)e§  gefaxt  gemad^t:  unb  e§  fam  eine 
9JJt§geburt,  feine  laiclom-  interessante,  nic^t§  ot§  ein  un^ 
anfe^nlic^er,  etroaS  roiberlid^er  Krüppel.  2BiI§etm  er!(ärte 
bie  Sucinbe  für  einen  Unroman,  in  lüeld^er  bünbigen  ^rtti! 
üüerbingg  3I(Ie§  enthalten  ift,  iüa§  fid^  barüber  fagen  Iie§e. 
„2Sa§  tüerben  Sie  ju  biefer  Sucinbe  fagen",  fd^rieb 
Caroline  an  SfJooaliS.  „Un§  ift  ha§>  grogment  im  St)ceum 
«ingefallen,  ba§  anfängt:  Sapp^ifd^e  ©ebid^te  muffen  icad^fen 
ober  gefunben  hperben.  ^<^  Eialte  noc^  ju  biefer  3ett  btefen 
9toman  nid^t  me^r  für  einen  Stoman  aU  ^tan  ^aul'ä  Sachen, 
mit  benen  id^  e§  übrigen^  nid^t  oer gleiche  — ."  Unb  9?ooaIi§ 
antraortete:  „griebric^  lebt  unb  luebt  barin.  33ielleid^t  gtebt 
c§  nur  tt)euig  inbioibueHere  33üd^er.  Tian  fie^t  ba§  treiben 
feines  Innern,  tt)ie  ba§  ©piel  ber  d^ijmifd^en  Sraft  in  einer 
5luflöfung  im  3ucfergtafe,  beutlic^  unb  Ujunberbar  öor  fid^. 
Slaufenb  mannigfad^e,  iieHbunfle  95orftettungen  ftrömen  ^er^u, 
unb  man  öerüert  fic^  in  einen  ©d^irinbel,  ber  qu§  bem 
bentenben  SOJenfc^en  einen  bloßen  Srieb,  eine  5yJaturfraft 
mac^t,  un§  in  bie  UJoUüftige  ÖEiftenj  bei  ^nftinftl  oerjüicfelt. 
^n  romantifcf)en  ^nflängen  fe^lt'g  nid^t,  inbeS  ift  bal  (5Jan§e 


312  9iomantiicI]e  58ücf)er. 

unb  ha^  (Sinselne  i\od)  nid^t  leicht  unb  einfach  unb  rein  oon 
©d^ulftaub  genug.  —  5(n  ben  Sbeen  ift  übrigen?  ni(^t§ 
au§^ufe|en.  —  S)er  3fioman  f)at  gu  früt)  ba§  Sic^t  bcr  SBelt 
erblicft.  —  ö§  müfete  ben  S:itel  ^nben:  S^t}mifc^e  ^^an= 
tafien  ober  ©ataniäfen." 

2öenn  eine  Oorfic^ttge  greunbin  fid^  fo  au^brüdt,  Siicinbe 
fei  fein  9toman,  fonbern  ein  9tomanei'tract,  barauS  nun  ^eber 
felbft  tuelc^e  matten  fonnte,  ift  im  ®runbe  bagfelbe  bamit 
gefagt:  t)k  fdjöpferifc^e  ^raft  iiat  gefei^Ü,  bie  au§  bem  (gmbrt)o 
ettt)a§  SebenbigeS  f)ötte  matfien  fönnen.  9?ur  ber  beiuu^te 
(S^ebanfe  f^at  bie§  Üinftlic^fte  iftunftmerfc^en,  tok  griebrid^ 
felbft  e§  nannte,  Ijeröorgebrad^t.  SBieberum  bezeichnete  er 
e0  at§  „ha^  tnunberfame  @emäd^§  öon  SBiUfür  unb  Siebe"; 
lüomit  r§  öoräüglic^  c^arafterifirt  märe,  inenn  man  ftatt  Siebe 
Suft  fe^te. 

2Biafürti(^  unb  ^jljantaftifd^  genug  ift  bie  gorm:  ©riefe, 
befc^riebene  ^ettel,  9J?ärd^en,  ^Betrachtungen,  ein  ^lüiegefpräc^, 
ein  ©tücfc^en  S3iograpf)ie,  9(negorien  —  ha^  irar  ber  2Bi^ 
ber  gorm,  worauf  er  fic^  fo  oiel  gu  ®ute  tl^at,  ha^  ß^aoS, 
bie  romantif(^e  SSerlüirrung,  bie  er  fo  oiet  im  5ö^unbe  fül^rte; 
nur  freilid^  nic^t  ba§  S^aol,  au§  bem  bie  3S>eIt  entfpringen 
fann.  'än<^  ift  ber  Sn^ß^t,  nac^  romantifc^er  SSorfc^rift,  nur 
©elbfterlebteg;  aber  el  l^ängt  aU  eine  fiebrige  9J?affe  an 
tf)m,  bie  fic^  nic^t  ablöfen  unb  formen  lä^t. 

S)a§  2BunberIi{^fte  ift,  'i>a'^  bie  Sucinbe  getrifferma^en  ein 
Se^rbudö  ber  Siebe  fein  foHte;  benn  aix^  einem  öcriorenen 
SSer§,  ben  ein  ^anbroert^burfcfie  fingt,  au«  einem  alten  3fteim, 
einen  ©affenbauer,  fann  man  me^r  über  'i>a^  Söefen  ber 
Siebe  erfahren.  Unb  bod^  ift  auc^  i)ier  an  htn  Sbeen,  toie 
9^oDati§  fagt,  nic^tg  augjufe^en;  tüorau;^  allein  ju  erflären 
ift,  njorum  in  ein  S3uc^,  an  lueld^em  bie  oberfläd^Iid^e  ober 
Oerberbte   ©efeflfc^aft  5Infto^   na^m,    fic^    ein   reinem  |)er5, 


9iomantiicf)e  5^üd)er.  313 

(Sc^fetermac^er  meine  i^,  mit  ©ntjücfen  Dertiefte.  2(I§  ein 
ganj  unfünftlerifc^er  SJJenfc^  naljm  er  nic^t»  auf,  al§  bie 
^blic^ten  beS  $ßerfafier§.  ^üx  ^opf  auf  ^opf  unb  topf 
auf  ©emiitf)  inirfte  ^ier;  fein  genialer  Snfttnft  lüor  ha,  ber 
ha^  Seben§unfä^ige,  hü§  Sobte  oon  fi^  flieB-  ^en  ^n'ecf 
aber  f^nei^r^'^/  öte  Siebe  barjufieffen  aU  eine  ©ott^eit 
ätt)iefac^er,  nämlic^  geiftiger  nnb  finnlic^er  ^fiatur,  bie  ©inn= 
Itc^feit  in  ber  Siebe  nictit  Ijeucöterifc^  ober  befcfiämt  ^u  Oer»» 
füllen,  fonbern  fic^  i^rer  ju  freuen,  ja  ftolj  auf  fie  §u  fein, 
ben  burc^fcfiaute  unb  billigte  er,  um  beffentiüitlen  l^aupt- 
fäc^Iic^  raar  i^m  ba§  ganje  33uc^  treuer.  2)ie  bisherigen 
®(^rift[teHer,  fc^rieb  er  in  einem  feiner  öertrauten  S3riefe, 
i^ätten  au»  ber  Sinnlic^feit  nic^t»  5(nbre»  §u  machen  gemußt, 
all  ein  nDt|menbige§  Uebel.  „^enfe  rec^t  lebhaft  baran, 
meiere  ©e^nfuc^t  un§  biefe  ©infeitigteiten  erregten,  bie  gött- 
liche ^ffan^e  ber  Siebe  einmal  ganj  in  i|rer  üDlIftänbigen 
©eftalt  abgebi(bet  ju  fe^en  unb  nicJ)t  in  abgeriffenen  Slütljen 
unb  Slättern,  an  benen  nic^tl  oon  ber  2öur5el  gu  fe^en  ift, 
meiere  ^a^  Seben  fiebert,  noc^  oon  bem  §er§en,  movaul  fic^ 
neue  33(üt^en  unb  B^^ige  entioicfetn  fönnen.  —  §ier  :^aft 
^u  bie  Siebe  ganj  unb  aul  einem  ©tücf,  ba»  geiftigfte  unb 
taS  finnlic^fte  .  .  .  auf'5  ^nnigfte  oerbunben."  S)ie  5(uf= 
gäbe  be»  mobernen  ajienfc^en  fei,  bie  au§  ber  neuen  ©nt- 
toicfelung  ^eroorgegangenen  ^been  mit  ben  alten  gu  üerbinben, 
nic^t  bie  neuen  ben  alten  entgegen^ufe^en;  fo  muffen  loir 
fuc^en,  bie  antife,  finnlidie  Siebe  mit  unfrer  inteüeftuetten 
äu  einem  ooflfommenen  ©ansen  511  oerfc^mefjen. 

'Jtuc^  Sc^teiermac^er'ö  oertraute  ^Briefe  über  bie  Sucinbe 
finb  ber  5tnfa|  gu  einem  Sfioman.  Cir  unb  ©teonore,  bie 
Don  it)m  geliebte  grau  eine§  2(nbern,  loären  bie  ^auptperfonen 
gettjefen.  griebric^'l  Sbee,  ha'^  jeber  9Jienf(^,  ber  fic^  bildete, 
einen  3ioman  in  fic^  ^ätte,  locfte  alle  greunbe,  in  bie  9}carmor= 


314  9?omantif(^e  Sucher. 

brüd^e  ober  S^ongruben  be§  Innern  einsufa^ren  unb  ein 
S3tlb  i§re§  ^d^  §u  enttDerfen.  5tber  ®d^(eiermac§er  mar  ju 
flug.  Stuf  (S(eonote'»  SBitte,  er  möge  au§  i^rer  Siebe  ein 
©egenftücf  gur  Sucinbe  mad^en,  antiüortete  er  able^nenb: 
„^id)t  jeber  Siebe  folgt  aud)  hie  ^'unft,  nid^t  jeber  ^feil, 
ben  ber  @o^n  ber  83enu§  Urnnia  abfd^ie§t,  oeriranbelt  fid^ 
in  einen  ©tiffet.  ©inen  großen  freien  @til  be§  2)enfen§ 
unb  Seben§  lieben  tütr  un§  fetbft  gebilbet,  unb  ein  garteS, 
benjeglid)e§  §er§  ^aben  un§  bie  ©ötter  gegeben.  <Bo  laffc 
un§  i^anbelnb,  tük  mir  bil^er  tl^aten,  hu  fc^öne  ^Bereinigung 
ber  ©elbftänbigfeit  unb  ber  Siebe  barflellen." 

(SbenfoDiel  Oinfic^t  unb  ©efd^macf  l^atte  Caroline,  bie 
e^  hei  einem  ^lane  jur  ©efd^id^te  i^re§  SSerbeng  bemenben 
liefe;  IÜ05U  i^r  freilid^  aud^  eine  geiüiffe  93equemli^feit  ge= 
j^olfen  ^aben  mag.  S)er  gefc^loffenfle  unb  lebenbigfte  unter 
ben  romantifc^en  üiomanen  inäre  er  nja^rfc^einlid)  genjorben. 

^oä)  eine  ©rfd^einung,  bie  öorne^mfte  oon  allen,  fet 
befc^tüoren!  2Eie  anber§  tritt  er  neben  bie  plumpe,  breit= 
^üftige  Sucinbe,  ^einrid^  öon  Dfterbingen.  ©ein  Sd^ritt 
fd^eint  über  fd^n)etlenbe  2SoIfen  ju  ftreifen.  fein  Stuge  ftrai^It 
einen  §immel  üoll  unenblid^er  Siebe  über  bie  (Srbe  au§, 
fein  §aupt  fd^eint  einem  fanften  Qu^e  nac^  oben  nad^jugeben, 
all  fauge  er  bie  lichte  Slet^ertuft,  bie  öon  ben  |)ö^en  fic^ 
ergiefet.  'i^üv  lieblid^e  diehe  unb  inbrünftige  Süffe  fc^eincn 
feine  Sippen  gefc^affen;  fie  finb  gefc^foffen,  iit§  beioal^rten 
fie  ein  grofeeS  ®et)eimnife,  aber  nur  leidet,  al§  lüoHten  fie 
el  gerne  feufctien  Seelen  anuertrauen.  SBer  fönnte  biefe 
f(^)üebenbe  ©eftalt  o^ne  9tüt)rung  unb  Sctüunberung  be- 
trachten, eben  weii  man  i^r  anfieljt,  ha^  fie  oergel^en  njirb, 
c^e  fie  i^r  ©i^önftel  unb  Xiefftel  offenbart  ^at!  ^tdmiffenb 
finb  bie  großen  5tugen,  aber  ber  garte  9Jiunb  n^irb  ba§  SBort 
nic^t  finben,   um  ha§>  Ungeheure  auSjufpred^en,  hie  affjus 


SRomantifc^e  93iid)er.  315 

fc^Ianfen  §änbe  lüerben  ba§  ©ebilbe  nic^t  formen  fönnen, 
ba§  bem  prop^etifc^en  SItcfe  üorjc^iuebt. 

9Zt(f)t  nur  tit  Qan;^t  irbtfc^e  2ße(t  fodte  ber  enge  ^a^mtn 
bei  einen  S3ncl^e§  umfaffen,  bte  ©efc^ic^te  aller  ^öölfer,  bie 
f)armonif(^e  ©d^ön^ett  ber  ®rtecf)en,  bte  brennenben  Ö^ebanfen* 
p|anta[ien  ber  Araber,  bie  älcärc^en^eit  ber  ^reujjüge,  D^orben 
unb  ©üben  —  für  alle  9iät|fel  be§  2)afein§  foßte  fic^  §ier 
bie  Söfnng  ftnben.  2öa§  un§  SBunber  fc^etnt,  ha§i  foUte  in 
felbftDerftänblic^en  @t)mboIen,  für  Stnber  fa^Iic^,  barau§ 
]^eröorgef)en;  lua§  totr  für  roirflic^  unb  alltäglich  l)alten, 
baoon  füllten  bte  äu^erften  Söurjelfafern  bloßgelegt  n:)erben, 
bte  im  Sanbe  be§  iJBunber§  ^aften.  Xa§  2)ie§fett§  unb 
Senfeit§  foöte  ber  Sefer  biefeS  Sucfiel  überbltcfen  fo  mü§eIo§, 
lote  unfer  Sluge  oon  ber  Serraffe  lierab  einen  ©arten  unb 
ta^  ©tücf  ötmmel  barüber  umfpannt. 

(Sä  luar  nic^t  jugenblic^e  Unreife,  lik  S^ooalil  einen 
me^r  alg  ^u  großen,  einen  unenblic^en  (Stoff  tüai)kn  ließ; 
€r  ^atte  bie  Ueberjeugung,  baß  bie  ©oet^e'fc^e  2Öei§i§eit  öon 
ber  (gelbftbef(^ränfung  ju  ©unften  ber  SSoÜenbung  eng^erjig 
fei  unb  ein  feigem  SSerjic^ten.  deiner  |atte  Söil^elm  9J?eifter, 
aU  er  erfc^ien,  fo  beiounbert  tük  er;  aulmenbig  gemußt 
^atte  er  i^n  beinahe.  Slber  n)ie  er  allmälig  ju  feiner  eigenen 
Snbiüibualität  oorbrang,  änberte  fic^  feine  ^Infid^t,  unb  ha§ 
cinft  geliebte  SSorbilb  ^aßte  unb  befämpfte  er  §ule|t.  @o 
lautete  fein  Urtljeil  barüber: 

„SBit^elm  9JJeifter'§  Se^rjal^re  finb  getoiffermaßen  burd^- 
au§  profaifc^  unb  mobern.  Xa§>  3tümantifc^e  gel)t  barin 
5U  ©runbe,  au(^  bie  Dkturpoefie,  ha^  SSunberbare.  S)a§ 
Sud^  ^anbett  bloß  oon  geioö^nlic^en  SDingen,  hk  9?atur  unb 
ber  3}?9ftici5mu§  finb  ganj  oergeffen.  (£§  ift  eine  poetifirte 
bürgerlid^e  unb  ^äuslic^e  ©cfc^ic^te,  ha^:  SBunberbare  barin 
loirb    auSbrücflic^    aU   ^oefie  unb   ©c^märmerei  be^anbelt. 


316  9iomantiicI)e  93iicf)er. 

minftlerifdier  3tt^etgmu§  ift  ber  ®et[t  be§  S3uc|e^.  5)te 
Defonomte  ift  merfiüürbig,  lüoburd^  e§  mit  projaifdEiem, 
tuD|tfeiIem  ©toff  einen  poettfc^en  (Sffeft  erreicht.  SSiI|eItn 
ÜJ^eifter  ift  eigentlid^  ein  ©anbibe,  gegen  bie  ^oefie  gerietet." 

©0  fc^rieb  er  feinen  Ofterbtngen  im  belDu^ten  ©egenfa^ 
§um  SKeifter.  @r  ^at  alle  a^orjüge,  bie  man  an  biefem 
bermiffen  tann.  ®ie  Unenblid)feit  ber  ^^erfönIic^tett,  i^re 
feelenluanberif(f)e  SSanbelbarfeit,  bie  SSerfö|nung  aller  (Segen* 
fä^e,  ber  Job  im  Seben  unb  ba§  Seben  im  Stöbe,  ta§  S5er» 
borgenfte  unb  ^eiligfte,  3iae§  flrömt  buftenb  au§  bem  tiefen 
S^eld^e  biefer  tüunberbaren  ®efc^irf)te.  könnte  man  fie  mit 
9Jieifter  in  (5in§  fdimeljen,  e§  gäbe  feinen  fc^öneren  9toman. 
SfJun  ift  in  Dfterbingen  uiobt  ha^  2Bir!Iic|e  in  SBunber  auf- 
gelöft,  nic^t  aber  umgefe^rt  ha§,  SBunber  in  SSirüic^feit 
Oerbidf)tet. 

gür  bie  {^orm  ^atte  S'fooaltg  'i)a§'  befannte  romantifd^e 
^sbeal  „'iJleu^erft  fimpler  @tt)t,  aber  :§öd)ft  !ü£)ne,  romanäen= 
ä^nlic^e,  bramatifc^e  5Infänge,  Uebergänge,  golgen  —  balb 
®efpräc§,  bann  Ü^ebe,  bann  ©rjöi^Iung,  bann  Steflei'ion,  bann 
SStIb  unb  fo  fort,  ©anj  ?lbbrud  be§  ®emüt^§,  tüo  ©m- 
pftnbung,  ©ebanfe,  2lnf^auung,  58ilb,  (Sefpräc^,  OJiufif  u.  f.  tu. 
unauf^örlicf}  fd^netl  roed^felt  unb  fid^  in  t)ellen  flaren  ^[Raffen 
neben  einanber  ftettt."  So  follte  fein  Dfterbingen  loerben. 
2lber  baneben  ^atte  er  and)  ein  öeultid)e§  (Sefü^I  für  ba§ 
©anje.  35ie  S3ibel,  fagte  er,  fei  ba§  ^teai  eine§  93u(^e§, 
unb  biefe  gorm  nac|5ubilben  l^at  er  angeftrebt;  nämlic^  ha'^ 
bie  jiueite  |)ätfte  bie  Erfüllung  ber  erften  fei,  toie  ba§ 
D'Jene  Seftament  bie  be§  Sitten.  2)iefe  3>üettt)eilung  foIIte 
iüoI)(  ber  entfpred^en,  W  bie  ganje  2Bett  trennt,  binbet  unb 
erbält,  eben  lueit  ja  jebeg  ^unftloerf  ^Jlbbrncf  be§  ®emüt|e§, 
alfo  ber  SBelt,  fein  foüte. 

Wü  einem  Traume  beginnt  bie  ©efcfiic^te  unb  enbet  mit 


Komantiidje  93üc^er.  317 

einem  Traume;  unaufhörlich  ge^t  fie  in'§  Wäxd)m  über, 
gemä^  ben  Uebergängen  au§  bem  (Snblic^en  in'§  Unenblid^e, 
bie  ber  SDic^ter  barftetten  sollte.  9Jian  fü|It  beftänbig,  ba^ 
nic|t  ta^,  n)a§  gefc^ie^t,  ba§  2Bid)tige  ift,  fonbern  ba§,  tt)n§ 
e§  bebeutet.  Tlan  Umxk  jagen,  e§  fei  bie  ®efc^i(f)te  öon 
bem,  ber  bie  blaue  Slume  fuc^te,  unb  Jüie  er  fie  fanb;  bie 
blaue  Slume  ift  aber  ba§,  \va^  ^eber  fuc^t,  o^ne  eg  fclbft 
5U  lüiffen,  nenne  man  e§  nun  ®ott,  (Slutgfeit,  Siebe,  ^^ 
ober  S)u.  SBenn  9?ooa(i§  felbft  jagt,  ber  9?oman  l^anbele 
öon  ber  ^oefie,  fo  ift  \)a^  nur  infofern  richtig,  aU  ^oefie 
eben  bn§  Unenblic^e,  ha^  (Stuige,  bie  blaue  33Iume  ift;  ni^t 
etira  aU  foHe  bie  ^oefie  aU  ^unft  unter  anbern  fünften 
d^arafterifirt  loerben.  äJcan  fönnte  aud^  fagen,  Dfterbingen 
fei  bie  poetifc^  gefaxte  Siograp^ie  §arbenberg'§.  ytnx  ba* 
bur(|  ift  er  fo  tierfc^ieben  öon  ben  übrigen  ronmntifc^en 
Sd^=9iomanen,  ba^  S^oüalig  ni(^t  fii^  fuc^te  —  feiner  mar 
er  fieser  —  fonbern  bie  SSelt,  ha§:  S^id^t'S'i)- 

9^oöaIi§  ^atte  mel^r  aU  bie  übrigen  9?Dmantifer  bie 
^bee  be§  (fangen  gehabt,  at§  fein  Dfterbingen  in  i^m  auf^ 
ging,  unb  man  fönnte  mit  einem  Schein  üon  ©ered^tigung 
fagen,  nur  fein  früher  Xoh  ^aht  tf)n  öertjinbert  e§  auSju- 
fü^ren.  (5§  ift  aber  bod^  nic^t  fo.  2(uc^  biefer  9toman 
n;ar  aU  Fragment  empfangen,  e§  gehört  ^u  feinem  SSefen, 
nic^t  Dottenbet  loerben  ju  !önnen.  Qu  @nbe  bringen  £)ätte 
ber  5}ic^ter  i^n  luobl  fönnen,  aber  ein  ©anjeS  toäre  er 
beSioegcn  bod^  nic^t  geiuorben.  könnte  man  nic^t  nuc^  oon 
SSit^elm  50Zeifter  fagen,  ha^  er  nur  unter  ein  DZot^bad^  ge- 
bracht fei?  2J?u^  nicf)t  oor  allen  j^ingen  ha^  ^d)  eine 
©tufe  ber  SSoftenbung  txxdä)t  ^aben,  e^e  e§  feine  ©nt» 
tüicfelungSgefc^ic^te  fc^reiben  fannV  G»  ift  fc^on  übergenug 
baoon  gefagt  morben.  5)ie  unbeiiniBte  ftraft,  hu  mit  in« 
ftinftioer  Sic^er^eit  bie  gorm  btibet,  fehlte  ben  Siomantifern. 


318  9?omanttfc^e  S8ücf)er. 

®te  tuaren  ju  mentg  ©riechen,  ©te  l^re^ten  ha§>  buftenbftc 
ät^erifdje  Del  ou§  allen  33Iumen  ber  ^eimat^  unb  grembe, 
aber  geeignete  ®efä^e  fte  ju  fammeln  Ratten  fte  nid^t  bereit 
gehalten;  nur  i^re  Singer  trieften  öon  SBo^Igerüd^en,  bic 
Balb  öerflogcn,  in  bie  (Scbe  üer[i(f erten ,  mit  ber  Suft  fid^ 
mifd^ten. 

SSie  gut  lenkten  fie  felfcft  barüber  S3e[c^eib!  ^m  ^^an- 
ta[u§  fagt  %ud,  ha  mo  öon  ©oetfie'^  ajJärd^en  bie  9tebe  i[t: 

„^ei  aller  biefer  frfieinbaren  Jßortreffltd^feit  fe^ft  bie 
bel^errfd^enbe  orbnenbe  ©eele,  bie  ber  flüchtigen  ©c^önl^eit 
ben  etüigen  SfJeig  geben  mu^.     2)er  S)ic^ter  n)ill: 

©§  \oU  \id]  ha§>  ©ebic^t  gum  ©ansen  rimben, 
Gr  luin  ntc^t  9}(ärcf)en  über  SJfärdjen  :^äufen, 
®ie  reijenb  ttnterl)n[ten  uiib  jiile^t 
SBie  Io)e  SBorte  nur  Oerftingenb  täufc^en." 

58ei  9loüaIi§  finbet  fid^  bie  Semerfung: 

„2)ie  Qbee  eine§  (SJanjen  mu^  buvdEiaul  ein  äft^etifd§e§ 
2Berf  bet^errfc^en  unb  mobificiren.  ©etbft  in  ben  launigften 
SBüc^ern.  SBicIonb,  SiidEiter  unb  bie  meiften  ^omifer  fef;ten 
^ier  fe^r  oft.  @§  ift  fo  entfe^tic^  öiel  Ueberflüffige§  unb 
SangtüeiligeS,  rec^t  eigentlid^e§  Imrs  d'oeuvre  in  i§ren  Söerfen. 
©elten  ift  ber  ^lan  unb  bie  gro§e  SSertfjeilung   äft^etifd^." 

Unb  i^riebrid^: 

„(£g  giebt  fo  üiel  ^oefie  unb  bod^  ift  nid^t»  feltener 
aU  ein  ^oem.  ®a§  mad^t  hk  SJJenge  öon  poetifdfien  ©fijjen, 
©tubien,  {Fragmenten,  ^enbensen,  Stutnen  unb  SRaterialien." 

©ine  (Sinl)eit  ^aben  aber  hit  romantifd^en  S3ruc^ftüde 
boi^,  meldte  9iotiaIi§  bie  „geiftige  Sinfjeit"  nennt,  nämlic^ 
bie  Seele  be§  ®id^ter§,  lueld^e  in  ber  @pracf)e  un§  erfd^eint. 
(Sä  hjöre  eine  tounberöolle  Stufgabe,  au§  ber  Sprache,  toic 
fic  fic^  burd^  bie  SfJomantif,  ®oet()e  aU  i§r  Slu§gang§punft 
genommen,  enttuicfelt  tjat,  gu  jeigen,  UjeldEie  (Srlueiterung  bie 


9?omantit(^e  58ücf)ev.  319 

iöeum^tfeinliuelt  fettbem  erfoljren  I)at.  SBie  ber  9ioman  bie 
moberne  gorm  ber  ®ic^tung  xaT  £;o/t,v  tft,  [o  bie  ^rofa 
bie  Sprache  ber  mobernen  S)ic^tung.  @ie  tft  ber  natürüd^e 
2lu§brucf  bei  SerDufjtfeinI,  bie  ^oefie  ber  be§  Unbeimifeten. 
S33enn  nun  ba§  ^heai  ber  ^ufunft  (SinSinerben  öon  ^nftinft 
unb  ®ei[t,  2;rieb  unb  Slbfid^t  ift,  fo  mu§  tu  Sprache  ber 
^ufunft  ^rofa-^oefie,  ha^  l^ei^t  eine  |}oetifd^e  ^roja  ober 
profaifc^e  ^oefie  fein.  Unb  loie  fönnte  man  \i(i)  üerfie^Ien, 
ba§  bie  ^oefie  meljr  unb  mel^r  öon  ber  ^rofa  üerbröngt, 
bafe  aber  biefe  bafür  immer  poetifc^er  luirb!  2öie  öiel 
ajJetobie  unb  9x^^t()mu§  ifl  in  ber  ^^rofa  ©oelfje'l,  Siecf'S, 
^arbenberg'ä!  2Bie  unenblid^  biet  poeti[d^er  tft  fie  aB  jum 
S3eifpiel  bie  gebunbene  D^ebe  <2c^iHer'§   ober   gar  2effing'§. 

Stil  ha^  äRufter  moberner  ^rofa  bejeid^neten  bie  9^0= 
mantifer  —  ba§  J^eißt  griebri(^  ©c^tegel  —  bie  be§  Ser^ 
t)ante§.  @ie  fei  burcfiauS  mobern.  ^n  feiner  anbren  fei 
bie  Stellung  ber  SBorte  fo  gan§  ©i^mmetrie  unb  SJJufif, 
feine  anbre  föirfe  in  i^ren  5tblüed^felungen,  fotnie  SDJaffen 
oon  t^arbe  unb  Sicfit.  „2)arum  ift  auc^  bie  ^rofa  be§ 
Seroantel  bem  9tpman,  ber  bie  9Jiufif  be§  Seben§  p§anta= 
firen  foll  .  .  .  fo  angemeffen,  wie  bie  ^rofa  ber  Sitten  ben 
Sßerfen  ber  Sll^etori!  ober  ber  |)iftorie." 

'änä)  hie  Sprache  alfo  foll  in  ba§  innere  bringen  — 
romantifirt  luerben;  benn  nun  foH  fie  nid^t  mc^r,  Wie  bie 
©efi^id^te  t^ut,  ©reigniffe  fd^ilbern,  ober  Wie  bie  9il)etori! 
burdE)  ftarfe  allgemeine  «Sd^tagtuörter  ben  finnlid^  befcliränften 
SJienfc^en  treffen,  fonbern  ben  langfam  an§  bem  3)unfel  be§ 
UnbeU)uf5ten  an'l  Sid^t  fd^iüetlenben  @efül)lgm äffen  foH  fie 
jur  ©eburt  Reifen.  ®arum  nennen  ja  hie  3ftomantifer  bie 
©prad^e  ^oefie,  Slllegorie,  ha§^  erfte  unmittelbare  SBcrfjeug 
ber  SJiagie,  lueil  wix  ein  2)ing  gteic^fam  baburd^  f<^öffen, 
ha^  wir  e§  benennen.     ©§  ift  in  bem  2lugenblicf,   Iüd  wix 


320  3^omantiicfie  33üd^er. 

tf)m  einen  Sf^amen  geben,  ^n  fetten,  luo  gro^e  3JJa[fen  don 
llnbeton^ten  fic^  ablöfen  unb  'i)a§  Seiuu^tfctn  5U  erfüllen 
beginnen,  mu^  bte  ©prad^e  mitftiad^fen.  Unouf^örltd^  er= 
tönt  in  bcn  (Schriften  ber  Stomantifer  bte  ^fage  über  bic 
Unjutänglic^teit  ber  ©|)rac^e.  „O  i^r  Siebenben",  ruft 
^iecf  QU§,  „öerge§t  bod^  niemals,  trenn  t§r  ein  Q5efü^t  ben 
SBorten  anüertrauen  lüoUt,  tüa§  Iä§t  fid^  benn  überf)aupt  in 
SSorten  fagen?  Sft  boc^  fo  SSieteS  f{^on  bem  S3Iid  5U  un= 
geiftig  unb  förperlic^."  Unb  ein  anbre§  9.")iot  fagt  er,  ba§ 
bte  9)?enfrf)en  fid^  nic^t  öerfteijen  fönnen,  föeti  fic  ettva^ 
9lnbre§  auSfpred^en  qI§  fie  meinen:  „in  jebem  Körper  liegt 
bie  ©eele  mie  ein  armer  ©equölter  in  bem  ©tiere  be§ 
^:^alari§,  fie  mitt  iljren  Sammer  unb  i[)re  ©c^merjen  aii§= 
brüden  unb  bie  Söne  bermanbeln  \id)  unb  bienen  jur  S3e- 
luftigung  ber  umgebenben  SJJenge."  Dber  an  anbrer 
©teüe:  „Unfre  Sprache  beftci^t  barin,  ba§  irir  ganjc 
2J?affen  öon  ©ebanfen  unb  33tlbern  ai§>  einen  S3egriff  ^in- 
fteHen,  tuir  nel^men  bie  ^(jantafie  ju  ^ülfe,  um  ber  fremben 
Seele  gu  erläutern,  n)a§  un§  felbft  nur  J)a(b  beutlid^  ift; 
unb  auf  biefe  ?lrt  entftel)en  ÖJemälbe,  bie  bem  fütteren 
(Seifte,  ber  nid^t  gefpannt  ift,  SJ^i^geburten  fd^einen.  (£» 
tft  ein  i^iud),  ber  auf  ber  ©prad^e  be§  9Jienf(^en  liegt,  ha^ 
feiner  ben  ?tnbern  öer fielen  fann,  unb  bieg  ift  bie  Duelle 
Qlle§  §aber^  unb  aller  SSerfoIgung:  bie  ©prad§e  tft  ein 
töbtlid^e§  SBerf^eug,  haS'  un§  mie  unoorfid^tigen  Sinbern 
gegeben  ift,  um  (äiner  ben  ?tubern  ju  öer(e|en."  @o  fprid^t 
hu  33itterfeit  einer  ©eele,  bie  fid^  tuunb  gerungen  l^at,  um 
Unfäglid^eS  ^n  fagen. 

5lm  ergreifeubften  unb  nm  Ie£)rre{c^ften  ift  e§,  ben  ^ampf 
ber  ©prarfjentfattung  mit  feinen  ©dfimer^en  unb  Söonnen 
in  2ßadenrober'§  33üc£)Icin  ju  üerfolgen.  ^i^^^ofe  (£m= 
pfinbungen  unb  iuerbenbe  Segriffe  beftürmen  x^n  unb  flehen 


9{omanti)cf)e  Südjcr.  321 

um  ©rlöfung  burd^  ein  3flu'^fi^^i^ort:  ha^  ift  ja  bie  Stufgabe 
be§  jDtcE)ter§,  bie  fc^luanfenbe  SBelt  be§  Unbetüu^ten  unb 
^atbbelDU^ten  §u  üeretrtgen,  boburc^  ha^  er  i§r  StuSbrud 
giebt,  fie  benennt,  fie  oerbic£)tet.  Unb  nun  fud^t  er  unb 
fliegt,  immer  letbenfd^aftlid^er  tüirb  fein  Stammeln,  immer 
munberbarer  unb  feiner  merben  bie  klänge,  mit  benen  er 
ba§  üevsaiiberte  ^eer  befd^iüört,  aber  e§  n^eic^t  ntrfit  öon 
feiner  33ruft,  mo  e§  fic^  brüdenb  lüie  ein  2IIp  gelogert  tjat. 
(Sr  oerjmeifelt  an  feiner  SDiad^t  —  nur  bie  Tln\it  fönnte 
t^n  befieien;  inonen  benn  feine  SBorte  nic^t  SJJufif  merben? 

SSie  fid^  ^rofa  unb  ^oefie  gegenüberftefien,  fo  in  einem 
tuetteren  Greife  ^poefie  unb  SJJufif,  tro  nunmehr  bie  ^oefie 
ba§  33en)uBte,  äJJufif  ba§  Unbetou^te  öertrtlt.  Hub  aud^ 
l^ier  !ann  mau  beobachten,  ha'^  bie  ^oefie  SOcufif  werben 
miU  unb  bie  3J?ufif  ^oefie:  bte  ^oefie  bemä(f)ttgt  fic^  ber 
bunften  (Stimmungen,  bie  aflgemein  mie  S^on,  garbe  unb 
(Serud^  auf  unfern  tiefften  SSefengrunb  einlüirfen,  bie  SJJufi! 
bagegen  möd^te  luie  ba§  SKort  unferm  bemühten  ©eifte  be= 
ftimmte  ^ßorftellungen  erregen. 

@§  ift  fc^trer,  ftc^  ein  anbre§  al§  ein  t)ifionäre§  Sraum- 
bilb  baüon  ju  mad^en,  loie  ba§  erfd^einen  unb  tuirfen  fönnte, 
ma»  man  öielleid^t  in  itnenblic^er  ^ufunft  ^unft  nennt, 
tütnn  e§  nur  eine  ^unft  giebt,  fo  nämlid^  ha^  lebt  (Sinjel- 
fünft  firf)  loiHig  ber  allgemeinen  i^ingiebt,  o^ne  ta^  fie  bod^ 
bie  ^raft  öerlöre,  fie  felbft  ju  fein.  Sc^on  aber  beuten 
alle  Stxd^tn  barouf  ^in,  'ba^  and)  f)ier  ba§  bemühte  ®;^ao§ 
am  ^icle  ber  ©ntuncfelung  ftel)t. 


§uc^,  SRomantitcc.  21 


^a§  9Kävrf)Ciu 

S>a§  SJJnrcfien  ift  qteicfiiam  bet  Ennon 
ber  $oefie.  2llle§  *poetifcf)e  mu6  märc6en= 
l^aft  fein.   S)er  Sicfiter  betet  ben  Qii\aü.  an. 

gJoBnIiS. 

SBenn  rotr  te[en,  tüte  3fioöaIt§  feinen  Dfterbingen  ju 
@nbe  ju  fü{)ren  gebadete:  ba§  ^einric^  in  einem  tiefen 
Sßaffer  einen  golbenen  ©c^Iüffel  finben  follte,  ber  i£)m  ba§ 
SSunberlanb  auffd^Iie^t,  Wo  ^flan§en,  Steine  unb  (Seftirne 
fprec^en  unb  l^anbeln  tüie  SJJenfd^en;  ba^  er  ftd^  in  einen 
füngenben  93aum  unb  einen  golbnen  Söibber  unb  bann 
njieber  in  ftc|  fe(bft  oertuanbett,  fo  finben  rcir  un§  aller« 
bing§,  tt)ie  e§  feine  ^Ibfic^t  war,  ööHig  im  SJiärc^en.  S^Jur 
bie  :§Dd^fte  UebertegenJieit  be§  Ö5eifte§,  bie  flügfte,  befonnenfte 
©d^reibnrt  fönnte  un§  babei  noct)  an  ben  Stoman  glauben 
mad^en. 

9^oöaIi§'  Slnfid^t,  ber  ^loman  muffe  9J^ärd§en  toerben, 
ift  nicE)t  fo  überfpannt,  toie  man  gunäd^ft  beuten  möd^te. 
SBenn  man  fic^  etiüa  öornimmt,  Ue  Seben^Iäufe  öerfd^iebener, 
beliebiger  SJienfd^en  nad^  9}iärd^enart  ju  eräö^Ien,  inbem 
man  fte  liebeöoH  genau  betradjtet,  bie  fleinen  feltfamen 
3ufältig!eiten  unb  83erfnüpfungen  fid^  nid^t  entgetien  lä^t 
unb  5ltte§  at§  bebeutenb  anf{et)t,  fo  tuirb  man  finben,  ba§ 
icbc§,  oud^  ba§  ärmfte  ßeben  fo  niunberbnr  mie  irgenb  ein 
SJJärc^en  ift.  Unb  tuill  man  nod^  bie  'iperfonififationen  unb 
n)unberbaren  ^tnfd^auungen  ber  9Jatur  ^aben,  bie  tnir  im 
HJiärd^en  getuö^nt  finb,  fo  brandneu  mir  un§  al§  ©rjäller 


3)a§  3}cor(l)en.  323 

nur  ein  Wmh  ober  einen  mit  finblic^  frifd^er  ^f)anta)"ie  be- 
gabten 3Jlm\ii)m  tjor^uftellen.  Unter  ben  neueren  Stomanen 
fomuit  üeUcx'^  grüner  ^einric^   biedern   Sbea(e  fe^r  na§e. 

2Bie  hie  3^omantifer  überhaupt  barauf  ausgingen,  hk 
Umriffe  ber  fünfte,  tüie  bie  ber  ©tnne,  gu  üenuifc^en  unb 
in  einanber  überfliegen  laffen  —  bie  romantifc^e  SSeriutrrung 
—  jo  imirbe  unter  i^rcn  ^änben  jebe  Si(f)tung§art,  auc^ 
ba§  S£)rama,  §um  äRärcfien.  2)a§  tft  ja  eben  Siomanttf, 
ta^  bem  SBunberbaren  nic^t  nur  uie^r  ein  SBinfel  im  ©arten 
ber  ^oefte  gelüibniet  fein  follte,  «Sage,  Tläxd)en  obec 
9}?i)tC)o§  benannt,  fonbern  ba^  e§  ein  einziger  SBunbergarten 
fein  foHte;  etina  mt  5JJoöa(iä  bcn  feinem  Ofterbingen  n)ünf(^te, 
ba§  gan^e  ^nd)  fülle  benfelben  ^^arben^G^arafter  begatten 
unb  an  hk  blaue  Stume  erinnern,  daneben  aber  Reiben 
hk  9iümantifer  ha^  Tläx(i)tn  bod§  aud§  a(§  befonbere 
Öiattung  be^anbelt,  ja  fogar  mit  S^orltebe;  bcnn  bi§  man 
ber  einen  großen  romantifc^en  ^^funftc^poefie  einmal  mäd^tig 
lüor,  blieb  e^  bod^  btr  5:ummelplat^,  wo  fii^  hk  fonft  überall 
burc^  bie  ÜBtrflid^feit  befc^ränfte  ^|autafie  geJ^örig  au§= 
toben  fonnte.  6»  gehört  mit  ju  ben  größten  praftifc^en 
Jßerbtenften  ber  3tomantifer,  ba§  fie  ben  öerfd^ütteten  Quell 
be§  5ßolfSmärcf)en§  Ujieber  aufgegraben  Ijoben.  ®a§  berliner 
^ur(^fcl)n{ttlpublifum  njar  rat^lo§  oeriuunbert,  bie  alten 
®efc£)ic^ten  üon  3fiotl)täppdl)en,  Slaubart,  ©eftiefeltem  ^ater, 
Don  Xied  in  ben  üerfc^iebenften  SSariationen  aiifgetifc^t  ju 
befommen. 

®er  33laubort  tft  ju  gelbe  gejogen;  ba^eim  fi|t  feine 
junge  grau  unb  reibt  an  bem  golbenen  (Sdjlüffel.  SSalb 
fc^eint  el,  aU  tüoHe  ber  33lutflecf  f(^iuinben,  balb  benft  fie, 
er  fä^e  i^n  nic^t  ober  mürbe  ben  ©dlilüffel  gar  nid^t  jurüd^ 
forbern;  aber  bie  Slngft  mäc^ft  unb  mäcl;ft,  mä^renb  fie  fid^ 
üergeblic^  mülit.     S)a  fd^let(^t  bie  alte  S)ienerin  l)erein  mit 

21* 


324  3)a§  9Kävc^en. 

i^rem  öerlintterten  .f)ei-engefid^t,  um  ein  9J?ärc^en  ju  er- 
gälten,  bamit  i^rer  Herrin  bie  ^^it  "if^t  ^^ong  lütrb.  Unb 
nun  erjälitt  fie: 

„@§  tüolinte  ein  görfter  einmal  in  einem  bicfen  2Batbe; 
ber  SSalb  tüar  fo  bid,  ba^  ber  ©onnenfc^ein  nur  immer 
in  {(einen  ©tücfd^en  ^inunterf allen  fonnte;  menn  haS  3agb- 
I)orn  geWafen  luarb,  fo  flang  e§  fürc^terlid^.  ^n  ber 
bid^teften  ©egenb  be§  gorfteg  lag  nun  gerabe  ha§i  ^au§ 
beä  SögerS.  jDie  Sinber  ttjuc^fen  in  ber  2öilbni§  auf  unb 
fa|en  gar  feine  Seute  aU  i^ren  SSater;  benn  bie  aJJutter 
ttj.ar  fd^on  fett  Sängern  geftorfcen. 

Um  eine  geföiffe  ^at^reSjeit  traf  fid^'l  immer,  ba^  ber 
SSater  fic^  ben  ganzen  Sag  im  |)aufe  eingefcfiloffen  ^ielt, 
unb  bann  fiörten  bie  ^inber  ein  fettfamel  9?umoren  um 
ba§  ^au§  ^erum,  ein  Sßinfeln  unb  S^uc^oen,  in  ©umma: 
ein  ©etärm  ttjie  öom  (eibfiaftigen  ©atonal.  9Kan  brad^te 
bann  bie  3eit  in  ber  §ütte  mit  ©tngen  unb  33eten  ju,  unb 
ber  SSater  luarnte  bie  ^inber,  ja  nic^t  l§inau§5ugei^en. 

(g§  traf  ftc^  aber,  ha'^  er  auf  eine  SBod^e,  in  bie  ber 
S;ag  grabe  fiel,  öerreifen  mu^te.  @r  gab  bie  ftrengften 
S3efef)(e,'  aber  ha^»  9J?äb(^en,  t^eil§  au§  3'ieugier,  t^eil§  töeit 
fie  ben  Sag  aug  Una(f)tfamfeit  bergeffen  l^atte,  ge!^t  au»  ber 
glitte  f)erau§.  9iic^t  n^eit  bom  §aufe  lag  ein  grauer,  ftiH- 
fte^enber  See,  um  ben  uralte  berrattterte  SBeiben  ftanben. 
S)a§  SOläbc^en  fe^t  fid^  an  ben  See,  unb  inbem  fie  ]^inein= 
fief)t,  ift  e§  i^r,  aU  menn  if)r  frembe,  bärtige  ©efic^ter 
entgegenfet)en;  ba  fangen  bie  S3äume  an  ju  raufd^en,  ba  ift 
e§,  al§  tütnn  e§  in  ber  j^erne  gei)t,  bo  fod^t  ha^  SSaffer 
unb  h)irb  immer  fd^tuärjer  unb  fdfjttiärjer;  mit  einem  TlaU 
ift  e§,  a(§  luenn  fo  Sröfdfie  barin  um^er  fiüpfen,  unb  bret 
blutige,  ganj  blutige  ^änbe  taud^cn  fii^  (jerbor  unb  h)eifcn 
mit  ben  rotten  3eigefingern  nad^  bem  SJiäbc^en  ^in"  — 


3)a§  Wdxi)tn.  325 

@tn  ©c^auber  überläuft  uns,  tuie  bte  arme  jitternbe 
e^rau  be»  33(aiibart,  über  bog  ajJärd^en  im  9JJärd;en.  9?ur  bte 
©ingangöiuorte  üon  bem  gorfter,  ber  tu  bem  bicfen,  bicfen 
SBalbe  lüD^nte  —  unb  wir  fiören  f(^on  ha§  bump[e  SSetjen 
bcr  uralten  fc^iuar^grünen  Pannen  unb  fe^en  ha§  oermummte 
«Sd^idfal  geifteri^aft  um  ha^  ffeine  tobtenftifle  ^ÜQtxl^an^ 
fc^Ietc^en.  @§  i[t  ein  S^on  ta  angefc^Iagen,  ber  alle» 
^eimlic^e,  a(}nung§t)oIIe  ©raiien  ber  33ruft  äugletc^  befd^mört. 
Gb  ober  qu§  biefem  Slnfang  ein  red)te§  ec§te§  9J?ärc^en 
l^ätte  lüerben  fönnen?  2£ie  e§  in  ben  7  SBeibern  be§  Stau» 
bart  fortgelegt  luirb,  ift  e§  nic§t§  atl  ein  oermilbertes  (Snt= 
fegen,  eine  p^antaftifc^e  5ra|e.  gaft  alle  3)iärd^en  2:iecf'l 
finb  fc^aurig.  ^di  erinnere  mtc^  be§  ^benb§,  aU  id)  jum 
erften  Wal  in  einem  oergilbten  altmobifc^en  Sefebuc^  ben 
SBIonben  (Sfbert  taS,  at()emIo§,  gluifc^en  ©raufen  unb  @nt= 
jücfen.  ^a  n^anbert  ha^  fleine  äRäbc^en  mutterfeelenaUein 
burc^  ba^  breite  ©ebirge,  tagetang,  jmifc^en  Reifen  unb 
Reifen,  o^ne  einen  Slu^gang  §u  finben,  hii  fie  in  hü§'  Zoien 
eineg  2[öafferfaII§  t)inein  hk  alte  grau  J)uften  ^ört,  hie  fie 
mit  fic^  nimmt.  Unb  nun  ha^  ftitle  Seben  im  Söatbe  bei 
ber  ge^eimniBOotten  Sitten  mit  i^rem  Sjogel  unb  i^^rem 
^ünbc^en,  auf  beffen  9kmen  ftc^  bie  ^oi^e  grau,  ba  fie 
ii^rem  SD'ianne  unb  feinem  greunbe  ii^re  finblic^en  ©riebniffe 
erjä^It,  gar  nid^t  metjr  befinnen  !ann.  3Ba§  für  ein  ®e= 
fü^I  aber,  loenn  nun  ber  9titter,  ber  ftiff  §uge^ört  ^at,  fi(^ 
ergebt  unb  inbem  er  fic^  oerabfd)iebet  ju  ber  S)ame  fagt: 
„3(^  fann  mir  Gu(^  rec^t  lebtiaft  oorfteffen,  mie  ^^x  ben 
f (einen  Stro[)mian  füttertet!"  9Jfan  begreift  e§,  ha^  fie  bor 
(Sntfegen  frant  wirb  unb  ftirbt. 

Sie  Segebentjeit  an  fic^  lüäre  nichts  o^ne  bie  liebliche 
©prec^meife,  bie  mt  ein  ©etäut  au»  ber  gerne  an  unfer 
Gt)r  ftingt,   bie  alle§  Unbebeutenbe  auSgefc^ieben  ^u  ^aben 


326-  ®a§  «märten. 

frfieint,  bem  S;ropfen  9to[enöI  öevgleid^bar,  ber  au§  ^unberten 
oon  Siofen  f)erau§gepre§t,  ba§  ©ü^efte  bar[telTt,  ha§  nad) 
SSertttgung  be§  ^Sergänglidien  übrig  geblieben  i[t:  eine  üer- 
bic^tete,  atfo  ec^te  ^i(^terfprac^e.  SBieberum  fönnte  man 
fagen,  bafe  ha§i  Siebd^en  oon  ber  2Sa(betn[amfeit,  ha^^  mit 
leti^ten  Slbiüanblungen  immer  n)iebertelf)rt,  eine  liebe  TleloW, 
bte  einen  nic^t  loSlaffen  tviU,  ber  3:ropfen  9to[enöI  fei,  üon 
bem  au§  ber  raeic^e  Siiift  fid^  gteicfimäfeig  burc^  bte  ffetne 
jDid)tung  uerbreitet;  nannte  boc|  griebrid^  ©c^Iegel  biefen 
$8er§  einen  (Sjtraft  ber  Xied'i'c^en  ^oefie  überljoupt,  ber 
(Sinem  i£)r  5Be|en  am  einbringüc^ften  gu  genießen  gebe. 

(äbenfo  fc^aurig,  aber  nod^  unftarer  nnb  unbefriebtgenber 
tft  ha^  Tiäxdjtn  oom  9tunenberge.  (S§  erjötilt  öon  einem 
jnngen  Partner,  ber  eine  traumerijc^e  (Se£)nfud^t  natf)  ber 
(Srbe  ^at,  tfirem  innersten  ©ctiofse,  tüo  bte  foftbaren  SJZetaHe 
imb  bunten  ©efteine  burc^  einanber  gfänjen.  SSon  ber  frteb- 
lic^en  Stumennjelt  föeg  jie^t  e§  it)n  gum  fteinernen  93erge. 
Unb  ha  fommt  er  ju  einer  alten,  ^alb  öerfaHenen  Stuine, 
J)orf)  oben  über  jä^em  5ib()ange,  3lad)t§,  mo  bei  Stage  !etn 
SDfJenfc^  ficf)  J)intüagt,  nnb  jietjt  bort  ein  2Beib  öon  über* 
natürüd^er  ©d^ön^eit.  S[t  e§  bie  Statur,  bie  tieimlid^  unb 
mäd^ttg  in  ber  Srbtiefe  ioirfenbe?  Sft  »^er  Slicf,  mit  bem 
ibr  bämoni|"(f)e§  Sluge  i^n  burd^bringt  unb  binbet,  ein  böfer 
ober  guter?  'ifflan  trei§  ha^  ind)t,  and^  nid^t  ob  e§  ein 
böfer  ober  guter  ®eniu§  i[t,  ber  i^n  u^ieber  fort  au§  bem 
oben  ®ebirge  unter  bie  einfad^en  9Jienfc|en  eine§  ^orfe§ 
füljrt,  )x)o  er  ein  9J?äbd^en  lieb  geiuinnt  nnb  (}eiratt)et.  3lber 
nar^  mandjciu  ^a^xt  fa^t  if)n  ber  Sergjauber  Jüieber. 
S;a§  ®oIb  fie^t  i^n  mit  tadjenben,  funteinben  klugen  an 
unb  gelrinnt  (Scloalt  über  ii)n,  unb  fort  mu§  er,  jurüd 
in  ha§!  furd^tbare  ©ebirge,  oon  Juo  er  noc^  einmal, 
berlütlbert,  uralt,  Ji)a|nfinntg,  ein  luantenbeg,  unbegreiflid^e^ 


S)a§  3JJärd)en.  327 

^^antoni,  tuteber  jurücffe^rt.  (Slenb  unb  SSerberben  t[t 
ba»  @nbe. 

2Bir  tütffen,  ba^  bo§  SJJär^en  oom  9tuneuberge  au§ 
ben  Stnregimgen  ber  9iaturpl)ilDfüpl)te  entstauben  i[t.  %itd 
mar  bamalö  mit  @teffcn§  befreunbet,  ber  no(^  im  ^o^en 
StÜer  öon  ben  jdianrigen  Sl^unbern  ber  etnfamen  nor* 
tüegtfcfjen  ®ebirg§tt)üfte  fo  lebenbig  ju  er^ä^Ien  mufete. 
Steffens  unb  9?oDaIi§  :^atten  in  greiberg  ben  S3ergbau, 
unter  SBerner  Geologie  ftubtrt;  i[)re  Erinnerungen  baran, 
mit  romantifirenbem  Sinn  aufgenommen,  fe^ren  ^äufig  luieber. 
®a§  Seben  be§  ^Bergmannes  ^atte  für  alle  3ftomantifer  etmaS 
^öd)ft  5(njie^enbeS.  2)a§  (Srbinnere,  Wo  ungefe^en  't)k  a(Ier= 
foftbarften  ^(einobien,  tobt  unb  bod^  lebenbig,  luadjfen,  hk 
(Srftitnge  ber  9^atur,  ber  9tei(i)tl^um  ber  Dbern^elt,  bo§ 
leuc^tenbfte,  farbige  Sid)t  in  ^rljftalle  gebunben,  in  ber 
f^iüarjen  Stacht,  tüo|in  bic  Sonne  nic^t  bringt,  ^eimif^; 
t)a§  ©rbinnere,  haS^  ^mneilen  geiualtfam  aufreiht  unb  bie 
inneren  Gräfte  furd^tbar  fc^ön  offenbart,  fic^  im  flüffigen 
geuer  ergteßenb,  ift  g(ei(^fam  ha^  UnbenniBte  ber  Erbe. 
(5»  ift  !ein  SBunber,  ha^  bie  Siomantifer  fid)  baoon  gefeffelt 
füllten. 

SIber  n)ä[)renb  3lot)ali^  fein  fro|e§  ftarfeS  S3erglieb 
barauS  bic^tete,  fonnte  Siecf  nic^t  au§  bem  beflemmenben 
S[)un!el  ^erauSfommen.  (Sin  SSefjerrfd^tmerben  ber  elemen= 
taren  Statur  burrf)  ben  SKenfcfien  fonnte  er  fic^  nic^t  t)or- 
fteHen;  fie  tüai  i^m  eine  grau  SSenuS  t)on  üerberblid^cr 
Sc^ön()eit,  eine  2;eufelin,  bie  ben  ^[Renfc^en  in  i^re  SIrme 
5ie^t  burc^  iljren  SttleS  überfteigenben  Steig,  aber  nur  um 
i^n  ju  tobten,  ^tur  S^erjenige,  ber  fie  tinblic^  bereljrt,  o|ne 
i^rer  ju  begebren,  ber  nie  ben  toÜfüfinen  SBunfd^  empfunben 
!§at,  i^ren  ©dileier  ju  lüften,  bem  ift  fie  bie  mütterlicJie, 
fegenfpenbenbe  ©ottin.     ^m  Seben   faf)  2;iecf   überall   nur 


328  2)n'3  5[Rävd^en. 

unlösbare  SSemtrrung.  (Sin  beftänbtge§  ängftttd^eS  ß^rauen 
über  ha§'  fteinerne  ©d^idfat  mit  bcn  feftgefd^toftenen  Si|3pen, 
ta^  bie  puppen  nac^  einem  rätl)fetf)aften  ^lane  ^ier^in 
nnb  bort:^in  fe^t,  in  einen  SBinfel  lüirft,  üertaufd^t,  um:= 
fleibet,  in  'i^ur^ur  ober  Sappen  £)üf(t,  jertrennt,  serfe|t, 
föpft  nnb  luieber  gufammennäöt,  n^ar  fein  ©efü^t  gegenüber 
bem  SJJarionettenfpiele  be§  Seben§;  eine  bämmernb  roman« 
lifc^e  Stimmung,  geeignet  gur  S)arfteIIung  be§  ©d^aurigen. 
2)enn  ba§  ©c^aurige  tft  eben  Unflar^eit,  SSettüifd^ung  unb 
Umriffe  im  ^loielid^t.  (Sttnag  ©(^rerflid^eS,  beffen  Urfprung 
unb  5(rt  h)ir  beutlic^  fe^en,  ift  nic^t  graufig;  bagegen  tuiffen 
n)ir  ja,  tt)ie,  menn  bie  9^ad§t  !^ereinbri(^t,  auc^  ha^  (Se- 
Uiö|nlid^fte  un^eimlid^  merben  fann.  ®ie  fdiaurig  bunfte 
(Stimmung  in  ben  Sied'fc^en  SJJärd^en  mad^t  fte  toirfungö» 
üott;  aber  äft^etijd^  i[t  biefe  Sc^müle  ntc|t  unb  nod^  öiel 
lüeniger  geprt  fie  in  hü§t  HJtärdEien,  toenn  man  an  bem 
l^erfömmlic^en  93egriff  feft^ölt.  @in  ^unftn)erf  mag  mo^I 
burd^  S^iac^t  unb  brauen  ^inburdEige^en,  joll  un§  aber  bod^ 
fc^tie^Iic^  5um  SidE)te  führen;  benn  bcju  ift  ber  ^ünftter  ha, 
t)a^  er  ben  bur^  3^eifel  unb  Stat^Iofigfeit  gemarterten 
SJienfd^en  bie  öern^orrenen  ©rjdEieinungen  beutenb  löfe.  ®a§ 
eigentliche  SJJärd^en  üoIIenb§  ift  immer  flar  unb  5ufrieöen- 
fteüenb;  benn  e§  ift,  minbeften^  in  feinem  Sterne,  ein  Stüd 
SSoIfgglauben,  alfo  in  religiöfen  ©emütljern  crmad^fen,  unb 
ber  ©laubige,  fei  e§  nun  ba^  er  bem  naioen  SSotfäglauben 
anfängt  ober  fic^  eine  reine  SBeltanfd^auung  erlüorben  !^at, 
fieljt  überall  Harmonie,  ®ered)tig!ett  unb  3fJDt^lüenbigMt, 
unb  fann  beS^atb,  aud^  tuenn  er  e§  iuollte,  ein  ^unftmer!, 
ba§  feinen  unbeioufsten  SBillen  abfpiegelt,  nid^t  in  einen 
SRi^flang  au§münben  laffen.  ®a§  graufam  blinbe  ©c^idfal, 
ba§  irgenb  ©inen  herausgreift,  itim  eine  ©d^ulb  anüebt, 
für  bie  er  fid^  nic^t  üerantiuortlid^  füp,  unb  burd^  bie  er 


5)a3  gKävdjen.  320 

bod^  leibet,  gehört  nic^t  in  ba§  SJJärd^en.  (S§  fctilie^t 
niemals  mit  einem  grage^eicfien.  ©§  mögen  in  einem 
SJiärc^en  hie  fürd^terlid^j'ten  iCertutdelnngen  angefnüpft  fein, 
tüie  juni  Seifpiet,  ba^  ber  alte  ß'ünig  feine  eigene  fi^öne 
^od^ter  ^eiratl^en  Will,  ober  ba^  bie  Stiefmutter  auf  ba§ 
SSerberben  ber  öerlüaiften  Sliuber  finut,  ober  ha'^  bie  böfe 
gee  einen  5Iuc§  über  bn§  unfd^utbige  Äinb  öerl)äugt  t)ot, 
immer  löft  fid^  ba§  ärgfte  5ßer|ängni^  fpietenb  nnb  fidler 
mit  .^Dc^seit  ber  @uten  nnb  §oIben  unb  Untergang  ber 
©c^Iec^ten  unb  ^ö^Ud^en.  ?iiemal§  ift  beim  SSoIfSmärd^en 
etlnaS  Enbrel  beabfii^tigt,  aU  bie  (£r5ä^(ung  einer  fc^önen, 
lüunberbaren  Gegebenheit;  ta^  ein  tiefer  Sinn  barin  liegt, 
rü^rt  ba^er,  ba^  e§  mi)tf)oIogifc^e  33rud^ftücfe  finb  unb 
SJiijt^oIogie  nid^t§  5lnbre§  aU  ©ijmbol  ift,  ja  fetbft  iuenn 
ba§  nic^t  limre,  toeil  e§  ein  ©tütf  9?atur  unb  ein  ©tue! 
Seben  ift  unb  aU  foId)e§  ©teidjuife.  Sitten  UnbeluuBte  ift 
©timbol  für  ha^  SSelüU^tfein,  haS^  e§  betrachtet. 

Wü  Staunen  unb  ©ntjücfen  fieljt  ber  Sfiomantifer  in  ber 
äJJärd^enbid^tung  jenel  luogenbe  ©£iao§,  jene  magifc^e  SSer- 
tt)irrung,  au§  ber  eine  tiarmonifd^e  SBelt  entfte£ien  !ann. 
©d^on  bie  nüd^ternen  ^öpfe,  93obmer  unb  33reittnger,  ^aben 
geal^nt,  ha'^  im  SBunberbaren  irgenbiüie  ha^  SKefen  ber  ^oefie 
liege,  luenn  fte  aud^  faum  luufeten,  n>a§  eigentlich  tüunberbar 
fei.  (äJetoi^  ift  bo§  SBunber  ein  ^lang  aul  bcni,  tüa§  mir 
3enfett§  nennen,  ein  B^iifj^w  ^^^  inteHigibeln  SBelt,  eine  $8ürg« 
fdEiaft  unfrer  grei^eit  unb  unfrer  magifi^en  Ä'röfte. 

„5ltle  SJJörc^en",  fagt  ^f^oöaliS,  „finb  nur  2;räume  öon 
jener  l^eimatlic^en  SBelt,  bie  überatC  unb  nirgenb  ift.  Sie 
^ö^eren  9J?äcE)te  in  un§,  bie  einft  at§  ©enien  unfern  SBiüen 
üottbringen  luerben,  finb  je^t  SJJufen,  bie  un§  auf  biefer  mü§= 
feiigen  Saufba^n  mit  fü^en  Erinnerungen  erquirfen." 

2)aS    SSergnügen,    tta^    bie    romantifd^en    58eluu^tfein§= 


330  2)0^3  aJcärdien. 

men[c^en  an  bem  SJJärc^enquell  be»  Unbelüu^ten  Ratten,  tuar 
ein  boppeIte§,  lüeil  in  ber  ^^(uffläriinijSjeit  af(e§  SSunberbare 
in  SSerruf  gefommen  toax  nnb  ba§  SJiärc^en  §üc^|"ten§  baju 
biente,  auf  jd^einbar  finbltd^e  2lrt  Seben§mei§()eit  ober  fatirifd^e 
5tu§fä(Ie  an  ben  Wann  gu  bringen.  ?Ug  Sied  bamit  anfing, 
feine  geliebten  3Jiärc^en  tuieber^uerjä^ten,  öon  beneu  er  n)o£)I 
tunkte,  ha^  fie  lüeit  mei)r  ^oefie  unb  333ei§^eit  entljielten, 
al§  bicfe  S3änbe  öoll  5{uf!{ärung§probu!te,  tüie  feine  Qtit= 
genoffen  fie  liebten,  t£)at  er  e§  mit  bem  !edEen  Uebermut^ 
eine»  ©c^uliungen,  ber  in  ber  ticken  ^rone  be§  $8irnbaume§ 
fi^enb  öor  ben  2Iugen  be§  bicfen  ^^ilifter§  unten  bie  fc^önfte 
i^rut^t  t)erfpeift  unb  i^m  ^k  unb  ba  eine  auf  bie  9fJafe  fallen 
läfet.  @r  erjä^tt  fie  nid^t  unbefangen,  fonbern  inbem  er 
gugleid^  ben  @pott  feinet  ^ubüfum§  öerfpottet.  2Ba§  ift 
babei  au§  S3(anbart  unb  9iDt^fäppc|en,  ber  fdEiönen  SKageU 
lone  unb  ber  fd^önen  Slietufine  unb  ben  anbern  Sagen  unb 
SSoIf^büc^ern,  hit  er  un§  neu  gefrfienft  ^at,  geworben?  Stein 
unb  lieblic^  jn^ar  ift  bie  @onntag§ftimmung  in  bem  ftiUen 
^immer  ber  ©ro^mutter,  wo  9fiotf)fäppc|en  feinen  Kud^en 
augpacft  unb  fo  altflug'finbifc^  mit  ber  alten  ^^rau  plaubert, 
bie  D^ne  eä  §u  miffen  mit  bem  fleinen  90täbd^en  biefelbe 
@eifte§ftiife  einnimmt,  auf  bem  Stücfroege  begriffen.  Unb  bai 
§er§  flopft  un§  mit  ber  jungen  S3Iau6art«frau  in  i^rer  3Ingft, 
^obe»not()  unb  Hoffnung,  luie  genau  mir  au(^  ben  2lu§gang 
fennen.  ®er  53Iaubart  felbft  f)ebt  in  einem  rec^t  märc^en" 
|aften  S3öfen)ic§t§tone  ju  fpred^en  an,  mä^renb  er  red^t§ 
unb  linfä  !öpfen  lä^t,  n)a§  i^m  in  ben  SBeg  fommt;  aber 
er  unb  nfCe  anbern  ^erfonen  üerfnUcn  auf  jeber  Seite  in 
bie  fecfe  3:iecf'fc^e  ^Rebeiueife,  bie  in  jebem  ©a^e  unjätjüge 
SBejiefiungen  anbeutet,  äugfetc^  ben  albernften  Unflnn  unb 
ben  jnrteften  2;ieffinn  anfingen  läfjt  unb  eine  grübeinbe, 
Juetjmüt£)ige  ^^itofop^ie  au»^auc^t.     25ie  n^enig  finben  luir 


Sa§  SUfärd)cn.  33 1 

^tcr   bte    melanc^olifcfi'lüeifen    ©(jafefpearifc^en    Starren   an 

SRan  barf  aber  ntc^t  beuten,  SiecE  (labe  etma  feine 
9JJärd;en  fo  eingefleibet,  lueU  er  e»  nic^t  anber§  geiuu^t 
ober  gefonnt  J)abe.  (Sr  jagt  öielmeljr  gelegentlich,  ba^  man 
ben  fcf)Ii(^ten  .ftinberton  be§  alten  33ud;e§  itnr  mit  SSor[icf)t 
unb  SO^a^en  föieber  öerinerti^en  bürfe,  lüenn  mnn  e§  lüieber» 
erjagten  n^otle;  luobet  o^ne  ^lüeifel  feine  9}?einung  mar, 
ha'i^  bem  mobernen  9Jienfcf)en  nun  einmal  bie  5(nfcl^auung§- 
njeife  eineg  öon  ber  Suttur  noc^  unberührten  nidjt  me^r 
eigen  fei  unb  er  beS^alb  gut  t^ue,  fie  fidj  nidjt  an^uempfinben, 
ba  atleä  5(nempfunbenL'  uniua^r  unD  fomit  untünftlerifc^  fei. 
'äüd)  je^t  giebt  e§  nod)  SJJenfc^en,  bie  in  einer  2öe(t  finblid^er 
S^orftellungen  leben;  aber  bie  üerfaffen  ni(^t  barauf,  SJJärd^en 
5U  erfinben.  (Sinen  SJfenfd^en,  ber  bie  Slultur  unfrer  3cit 
empfangen  f)at  unb  jugteic^  fo  urtl^ümUc^  fie^t  unb  em= 
pfinbet,  ha^  er  fe(bflerlebte,  felbfterfdiaffene  aJiärc^en  mit  ber 
öoUen  SBat)rt)aftigfeit  unb  ^^reutier^igfeit  erjäfilen  fönnte, 
t>k  un§  fo  fefjr  bejoubert  unb  rü^rt,  |at  e§  noc^  nic^t  ge=^ 
geben,  unb  er  n)irb  tüoijl  auc^  erft  in  jener  ^utunft  möglid) 
fein,  ber  ha^  SBunber  mieber  jur  jJueiten  3'iatur  unb  ta^ 
©efe^mä^ige  jum  S5?unber  geiuorben  ift. 

Wan  foÜte  meinen,  loenn  (Stner,  fo  fei  Qioet^e  naiö  genug 
geloefen,  um  ein  gute»  SJiärc^en  5U  erfinnen.  Sein  9J?ärc^en, 
njetdie»  unter  ben  9?ooe(Ien  ber  2(uggeiuanberten  feinen  ''^la^ 
I)at,  tt)urbe  bü§  9J?ufter  ber  romantifd^en.  5tuc^  fann  mon 
nid)t  anberg  af§  bie  be^agüdie  5Inmut^  unb  ben  feiigen 
gro^finn  beiounbern,  ber  biefe  gabelet  oon  innen  ^er  Der» 
golbet  unb  burc^glänjt,  mie  haS'  oerfi^tudte  @o(b  ben  bieg« 
famen  £'etb  ber  ebetn  Schlange,  hie  eine  ^auptrofle  barin 
fpieü.  Sennoc^  luinbet  fic^  hit  ®efc^id)te  ftedenloeife  burc^ 
mütjfcligen  Staub  ber  Sangemeile  unb  unoerftänblic^en  alic'  : 


332  ®"^  9Jiärd)en. 

gortfd^en  SIeinfram  unb  ha^  üoriütegenbe  ®efü^t,  am  @nbe, 
i[t  tod)  eine  gelüiffe  ©nltäufc^ung  unb  9tati)(o[igfeit.  Sieft 
man  aber  gar,  wie  ©oettje  felbft  barüber  rebele,  füfjlt  man 
fid^  üoHenbl  ernüchtert;  er  fc|rteb  nämli(^  an  @(f)iller,  ba^ 
er  nun  auc6  biefe§  gelD  gefjörtg  bearbeiten  n;oIIe  unb  etroa 
noc^  ein  ®u|enb  3)?ärc^en  gu  machen  im  Sinn  i)aht.  ©editier 
feinerfeit§  berichtet  öon  ben  ^afillofen  unb  ^öd^ft  Derlüidelten 
@rfIärung§oerfud)en,  bie  ju  bem  9J?ärc^en  fogleic^  gemacht 
tüurben,  bie  er  aber  aüe  aU  untauglich)  abtaut,  um  eine 
ebenfo  müfifam  ausgetüftelte  bagegen  uorjubringen. 

SSenn  aber  auci^  t)ou  SlHebem  nic|t§  im  SJJorc^en  i[t,  n)a§ 
man  geiuö^nlicf)  öom  Tläxd^m  erloartet,  fo  ^at  ©oet^e  boc^ 
bamit  ha^  9J?ufter  einer  neuen  unb  berecE)tigten  2lrt  auf* 
gefleUt;  unb  injofern  i[t  bie  SSegeifterung,  mit  ber  bie  @e= 
brüber  ©erleget  bie[e  S)id^tung  begrüßten,  ganj  unb  gar 
öerftänblic^.  SBarum  füllte  niclit  auc^  ber  moberne  SJienfd^ 
feine  3Jf ordnen  ^aben?  5tn  bie  man  anbre  Slnforberungen 
flellen  bürfte,  ja  mü^te  aU  an  bie  alten  SSoIf^märc^eu? 
5)er  9tomantifer  fie£)t  burc^  ba§  buntgeiuirfte  mit  feltfamen 
gigureu  beftidte  9J?är(^en!(eib  l^inburd^  mei^e,  feen^fte 
t^ormen  fc^immern;  biefe  üerborgene  ©^ön^eit  entjücft  i^n, 
bie  er  burd^  ben  finbifc^^buuten  ^u^  tjinburd^  fie^t,  ber 
allein  it|n  niemals  mel)r  reiben  fönute.  Unb  bon  biefer 
@cf)önl)eit  tjanbeln  awi)  feine  Tläiditii.  ®a§  @oet!^e'frf)e 
ajiärd^en  lä^t  ben  Sefer  feinen  5tugenblid  barüber  in  ^loeifel, 
ha'Q  e§  ft)mboIif(^  ift;  nur  fann  man  leiber  ba§  jarte  Seibt^en, 
auf  ba§  e§  bod^  aufommt,  ni(^t  redtit  erfeunen;  mag  e§  nun 
an  ungefd^idter  SSefleibung  liegen  ober,  tuaS  tüa^rfc[}einlirf)er 
ift,  bnran,  ba^  ber  ®id]ter  e§  atlju  nac^Iäffig  formte  unb 
eine  |)ütte  barüberföarf,  bie  für  ^^(tle§  auffommen  foüte. 
©0  ift  %kd'^  Urtljeit  §u  erflären,  ber  öon  bem  ©oet^e'fd^en 
dMxd)tn   fagte,    e»    tiabe  feinen    3"t)alt.     „CSin   SBevf   ber 


®a§  SRärcfjen.  333 

^l^antofie",  fagt  er  in  93e,^itg  barauf,  „joll  gar  feinen  bitteren 
SJad^gefd^nmcf  jurücflaffen ,  aber  bocf)  ein  SZad) genießen  unb 
Sf^ac^tönen;  biefe§  üerfliegt  unb  gerfplittert  ober  nod^  me^r 
aU  ein  Xraum,  unb  ic^  Ijabe  be^^atb  ba§  f)err(idje  9J?ärc^en 
öon  92oOaIi§,  fotüeit  icJ)  e»  öerftelien  fonnte,  biejem  rvtit  öor- 
gejogen." 

^n  2Bat)r^eit  leibet  ^yiobali^'  Tläxdjtn  an  bcmfelben 
@runbfeJ)Ier  mie  bo§  ©oet^e'fcfie,  nämlid^  an  Unöerftänblicf)- 
feit;  nur  ha'i^  ba§  ßleib,  ba§  ©oet^e  feinem  3}iärd^cn  über- 
genjorfen  ]§ot,  ftetteniüeife  reijcnb  genug  ift,  um  einen  allenfatt§ 
glauben  gu  mad^en,  e§  fei  bie  ^auptfad^e  unb  ©eftatt  fei 
nid^t  ta,  tt)ä^renb  ta^  üon  9^otia(i§  eine  offenbare,  unsmei* 
beutige  Stllegorie  ift,  ta^  fic^  ??iemanb  W  93?üfje  nimmt 
gu  ßnbe  ju  lefen,  ber  fid^  nic^t  für  bie  Sebeutung  intereffirt. 
©ele^rte  aJJänner  §aben  e§  fidö  angelegen  fein  laffen,  e§  au§= 
julegen,  t)ielletcf)t  rid^tig,  öietteid^t  nic^t;  febenfattS  follte 
aud^  ein  moberneS  9JJärd^en  nid^t  ber  ©ele^rfamfeit  bebürfen, 
bamit  man  e§  genießen  fönne. 

c^ie  unb  ta  etfi^eincn  in  ben  SSerfen  ber  JRomontifer 
jufäKige  2J?ärd)en  ober  5lnfä^e  gu  Tläxd^m,  bie  ba§  „^ö^ere 
SJJärc^en",  fo  nannte  e§  S^ZcöaltS,  tuenn  „o^ne  ben  (5ieift 
be§  9J?ärd^en§  5U  öerfc^eud^en,  trgenb  ein  S8erftanb,  S^'- 
fammen^ang,  SSebeutung  fjineingebrac^t  lüirb",  gtüdüdier 
oI§  bie  genannten  großen,  funft=  unb  finnreic^en  öertreten. 
©0  bei  Sied,  ta,  wo  bie  alte  ^ßu^erin,  bem  58(aubart  ju 
(S^ren,  ber  fie  in  i^rer  unterirbifc^en  ^ö^Ie  befud)t,  ein 
Surn-  unb  9titterfpiet  neranftaltet.  S)a  erfc^eint  ouf  einen 
Srompetenfto^  eine  prunföolle  SSerfammlung  üon  SSögetn 
unb  ^nfeften:  „^f^t  njurben  bie  ©c^ranfen  eröffnet,  unb 
auf  einem  ftattlid^en  ^af)n  ritt  ein  rot^efledter  Papagei 
i^incin  unb  fteUte  fi^  in  bie  SJiitte.  Stuf  einem  onbern 
©treitroB   fam    ein   blaugepanjerter  U^u,   ber  feine  Sanje 


334  ®a§  9)tävf()cn. 

gegen  ben  mulmigen  ^ajjagei  fc^iüenfte,  fie  trafen  auf  etnanber, 
unb  ber  U§u  mar  au§  bem  ©attel  gel^oben.  2:rompeten 
unb  Raufen  öerfünbtgten  ben  ©ieg  be§  fd^önen  3titter§,  unb 
oben  auf  bem  5tltan  fa^  man,  wit  \xä)  bte  Sserfammtung 
ber  ^rtnjeffinnen  freute,  lauter  bunte  S:ouben,  bte  gegen 
etnanber  mit  ben  Stopfen  tüarfelten  unb  ftd^  Söemerfungen 
über  bie  fämpfenben  Stttter  mtttljetlten.  (Bin  ©ped^t  ritt 
nun  gegen  ben  ^apagei  unb  luarb  ebenfalls  überlüunben, 
unb  fo  ging  e§  eben  einer  Slol^rbommel  unb  5n)ei  9?eb= 
p^nern;  ber  rotl^e  ^apaget  blieb  unüberiuinblicl^  unb  eine 
grünlid^e  ^aube  oben  bergo^  ^öuftge  greubent^ränen. 

^er  Papagei  blieb  aU  Sieger  übrig  unb  er  erl)ielt  ben 
®an!  be§  Sturnierg,  ber  in  einer  fc^önen  ©d^örpe  bcftanb, 
au§  ^unbert  @c^metterling§flügeln  getüebt.  SE)er  ^apagei 
fentle  fid^  e^rfurd^tSöoII  auf  ein  ^nie  nieber,  inbe§  i^m  ein 
onbrer  Stitter  biefe§  foftbare  ©efd^en!  um  ben  Seib  gürtete. 
®ann  ftanb  ein  ^a|n  auf,  ber  ein  guter  Sarbe  luar,  unb 
befang  fein  Sob  in  folgenben  feurigen  SSerfen: 

aSefjen  Sob  ift  eS,  ba§  bie  ©terne  fingen, 

3Son  tiiem  fpredjen  bie  fünftigen  ^n()re  unb  oKe  ^tWtn? 

?lnf  ben  g-Iügeln  be§  (BtnrmminbS  rautcl)t'§  ba[)er 

Unb  alle  5ßölfer  Ijovcljen  efjvfurdjtc-'üoE, 

Sem  Slütjnen,  Unübevannbücljen  fingen 

©ferne,  3^it£"'  3uf'i"U't  unb  ®egcnniart, 

(Svben,  Sonnen  unb  tanfenb  mal  tanfenb  SSötfer 

Spred)cn  nur  lam  S)ir,  ®u  bift  ber  Siebe  einjigcr  3"f)i^t. 

Sielen  nid)t,  rajd)  Don  Seinem  "Jlrm  getroffen, 

©elbft  ber  tapferfte  Uf)u,  ©pedit  unb  Sperber  nieber? 

9?iemal§  t)at  bie  uralte  geit,  bie  feit  lange 

Senten  fann,  einen  9Jcann,  einen  .Cielben  gefet)cn, 

2)ir  nur  äl)nlid)." 

®rabe,  ba§  ber  ®id[)ter  ^ier  fo  naio  offenfunbig  affe- 
gorifirt,  mac^t  bie  fleine  ©Id^tuug  erfreulid^.     ®ie  unüer- 


Sa§  gjuirdjen.  335 

ftetite  ?(6ft(^tli(^!ett  luirft  beinah  luteber  finbttrf).  ^ti  ^H^^ 
bie  ganj  überffuffige  (Srflärung,  bte  bie  3flu&erin  bem  Blau- 
bart giebt,  ftört  nid^t,  fonberu  fc^eint  burd^au§  am  ^la^e 
5U  fein.  „Sie!^",  fagte  bte  gee,  „Sir  ju  (Siefaden  ^abe 
i(fl  ein  joId^e§  (Spiel  angeftellt.  Setrad^te  bie  lebenbige, 
lüirflic^e  SBelt,  unb  e§  i[t  nic^t  anber§.  Stu^m  unb  Un* 
fterblic^feit  tft  nur  ein  .^aljnengefd^rei,  ha^  früt)er  ober  fpäter 
öerfc^altt,  ba§  bie  2Binbe  mit  ftc^  nehmen  unb  ba§  bann 
untergei)t  .  .  .  Sie  ^i^^w^ft  ftrei^t  mit  plumper  ^anb  über 
Sitte»  ^inlueg  unb  tüifc^t  e§  au§  mie  eine  unbebeutenbe 
unrid^tige  3tec^nung  oon  einer  3:afel;  bann  ift  ha^  oer=' 
jd^Jüunben,  tüa§  im  (^runbe  nie  mar,  unb  ber  leere  Otaum 
treibt  mit  ber  SSergcffen^eit  ha  fein  ©piel,  wo  fonft  bie 
irbifc^en  Xräume  ftanben." 

S)er  ©efjalt  biefer  9}Järdöenfabet  ift,  irie  faft  immer  bei 
Xkd,  ettpag  Ieid)t,  ciber  befto  grajiöfer  fc^iuebt  e§  basier. 
SSeltumfaffenb  tft  ber  ©inn  be§  deinen  9J?ärc£)en§,  ta^ 
3^oöa(i§  in  feinem  unöottenbeten  Sftoman,  ben  Se^rlingen  ju 
@ai§,  erjällt.  ^Qacintl^  unb  SJofeublütlid^en  Eiaben  einanber 
tkh.  (£r  tt)ar  red^t  bilbfrf)ön,  fa^  au§  lüie  gemalt  unb  tanjte 
tüte  ein  @c^a|.  @ie  tuar  fo  liebltd^,  bo§  mer  fie  fa^,  ptte 
üergel^en  mögen.  5(ber  auf  einmal  mar  bie  §errlic^!eit  borbet. 
(£§  fam  ein  munberlic^er  alter  dJlaxin  au§  ber  grembe,  fe|te 
fi(^-öor  ba^  |)aus,  mo  §t)acint^'§  (altern  mo^nten,  unb 
§i)acintt)  bemirt^ete  i^n  .  .  .  „Sa  t^at  er  feinen  meifscn 
S3art  öon  einanber  unb  erjälilte  bi§  tief  in  bie  ^aä)t" ; 
unb  öon  nun  an  mar  e§  mit  bem  &IM  ber  Siebe  oorbei. 
5)t)acintt)  ging  einfam  unb  forgenüott  in  bie  SBälber  unb 
befümmerte  fid^  nicE)t  um  9tofenbIüt^c^en,  obgleich  er  fie  nid^t 
öergeffen  ^atte.  S3i§  er  auf  einmal  feinen  (SItern  erftärte, 
hü^  er  fort  in  bie  Sßelt  muffe,  nur  ba§  fönne  i^n  gefunb 
machen.    Sa£)in  motte  er,  mo  bie  9J^utter  ber  Singe  mo^ne, 


336  ®fl§  S[Rärd)en. 

bie  öerf(i)Ieierte  Jungfrau;  nac^  ber  fei  fein  ©ernüt^  ent* 
günbet.  Unb  treit  ging  bie  Steife  unb  ^öi^er  )x>üä)§  bie 
©e^nfnci^t,  immer  fdjnetler  fc^ien  bie  ^eit  ju  gef)en.  ©nblic^ 
Um  er  gur  Sßo^nung  ber  ©öttin.  „(S§  bünftc  i^m  ?ltte§ 
fo  kfannt,  unb  boc^  in  niegefel^ener  ^errlid^feit ;  ha  fi^toanb 
and)  ber  le^te  irbifc^e  5lnflng,  tote  in  Suft  öerje^rt,  unb  er 
ftanb  öor  ber  i)immlif(^en  Jungfrau.  ®a  ^ob  er  ben  leidsten, 
glänjenben  Schleier,  unb  —  9tofenbIüt^c£)en  fanf  in  feine 
SIrme." 

®ie  3f{omantif  ift  eine  toerbenbe  ^oefie,  unb  ba§  ^beat 
be§  romantifd^en  9Jiärd^en§  ift  nod^  ui(f)t  errei(^t,  fo  reijenb 
and)  ha^  ift,  beffen  ^n^aft  ic^  eben  angebeutet  ^abe.  @§ 
mü^te  fo  fc^einbor  5ufammen^ng§Io§  öorübergaufeln,  tt)ie 
ba§  öon  (55oet£)e  an  manchen  ©teilen  t^ut,  unb  babei  boc^ 
fo  einfad^  reic^  fein,  tüie  bie§  Ie|te  öon  SfJooali^.  „@in 
9Kärd^en",  fagt  9fioöaIi§,  „ift  toie  ein  S:raumbilb  o^ne  3"- 
fammeni^ang.  (Sin  (Snfemble  Ujunberbarer  ®inge  unb  58e- 
geben|eiten,  5.  93.  eine  mufüalifd^e  ^^autafie,  bie  ^armonifc^e 
golge  einer  §(eoI§§arfe,  hk  Statur  felbft." 


SlQe  fieiltflen  ©picie  bcr  ffunft  finb  nur 
ferne  3iaci)bllbiinflen  »ott  bem  uncnbüc^en 
©ptelc  ber  SBelt,  bem  elüig  fid)  fe[byt  UU 
bcnben  Slunfnucrf.  Wxt  onbcrn  Söorten: 
aUe  ©c^ön^eit  tft  Slltegorle. 

5r.  ©aieflet. 

„können  ©ie  tf)m  ben  Unterfc^ieb  jlüii'c^en  aUegortfc^er 
unb  fi)mbDÜ[d;er  Seiianblung  begreiflich  machen",  jd^rteb 
(Soet^e  an  ©d^elling  in  SSejug  auf  einen  jungen  äRaler 
3fiamen§  9Jiartin  2Bagner,  „fo  [inb  ©ie  fein  2BDl)It|äter, 
tüeil  fic^  um  biefe  Slge  fo  üiet  brei)t."  D6  unb  lüie  ©d^elling 
ba§  ouggefü^rt  f)at,  toei^  td^  ni(^t  ju  jagen.  B^uei  ^eit" 
genoffen  aber,  2;iecE  unb  ber  5left^etifer  ©olger,  tuelc^e  eben= 
fn(I§  über  ha^i  SSer^ältni^  biefer  53egriffe  öiet  nat^gebad^t 
l^atten,  fanien  jn  bem  folgenben  ©djiuffe.  S)er  ^unft,  tüo 
^:§iIofopI}ie,  9teIigion  nnb  ^oefte  firfi  berühren,  tft  bie  äRt)ftif. 
9JJt)fttf  —  fo  fönnte  mnn  etwa  ha§>,  toaS  fie  meinten,  gu- 
ireffenb  aulbrürfen,  tft  ha§  unmittelbare  (Siefü|t  be§  ©inS- 
feing  mit  ber  SSelt  unb  (SJott.  Äunft  ift  ongeinanbte  9Kt)fti!. 
Stuf  ben:)u§t  angeiuanbter  3J2t)ftif  beruht  bie  ?l(tegorie,  auf 
unben)u|t  angeroanbter  bie  ©t)mboIif.  „S3eibe  ^aben  i^re 
(Sren§e",  fo  ^ei^t  e§  in  SoIger'S  eignen  Söorten,  „n^o  bie 
Slttegorie  in  bIo^e§  SSerftanbeSfpiet  unb  bie  ©i)mboüf  in 
9?ad^a§mung  ber  5Ratur  übergebt."  3>i?if<^en  biefen  beiben 
än^erften  fünften  ge{)t  benn  in  ber  Sü)ot  bie  SSeßenbetüe^ung 
ber  fünfte  auf  unb  nieber. 

S3emer!en§mert[)  tft,  ha"^  Solger  !eine§lDeg§  ba^  5lIIe» 
gorifd^e  gänjlic^  öerrt)irft.     2Sie  foHtc  er  auc^,  oll  3ögting 

§uc^,  SRomontiter.  22 


338  ©i)m6oIifc^e  ßimft. 

ber  Slümantifer,  bie  ber  bom  33erDU^tfein  geleiteten  ^unft 
ba§  SBort  rebeten,  ja,  für  bie  ba§  beiuuBt^unbeiiniBte  ©d^affen 
ber  ^ö(}e|3un!t  ber  ^imft  War.  ©rft  ba,  tüo  bie  SlHegoric 
in  58er[tanbe§f|3iel  übergebt,  öerlä^t  fie  ha§i  ©ebiet  ber  ^unft. 
@D  einfach  unb  fd^Iagenb  hk^t  Raffung  be§  Unter[(^iebe§ 
5tüif(^en  SlHegorie  unb  ©^mboltf  tft,  fo  fd^tüierig  ift  bod^ 
bie  ^(ntuenbung  im  einzelnen  S^^e,  ebenfo  f(^n)terig  lüie  tit 
unenblid^  bieten,  uuenblii^  feinen  Uebergänge  au§  bem  Un* 
bemühten  in'§  Seiuu^tfein  ju  erfennen  finb. 

2)a^  jeber  gro^e  ^ünftler  ©ijmBoIifer  getbefen  fei  unb 
fein  muffe,  burften  bie  Stomantifer,  nad)  biefer  ©rflärung 
be§  S3egrtffe§,  fügtief)  bef)aupten.  gür  ben  9J?ateriaIiften 
ift  bie  SBelt,  für  ben  ©piritualiften  bebeutet  fie  thva^, 
bem  Ütonrnntiter  —  ober  fage  man  ^ünftler  ober  S^eatiften 
—  ift  unb  bebeutet  fie  gleic^biet,  \vk  nienig  er  fic§  biefer 
inneren  Ueber5eugung  betnu^t  fein  möge,  ^m  Zeitalter  ber 
Stomantif  freilid^  mu^te  aud)  bem  naibften  9}Jenfd^en  einmal 
bon  irgenb  tbo^er  ein  ®enf=9tei5  anfliegen;  bie  meiften 
ß'ünftler  berftonben  fid^  ebenfo  gut  ober  beffer  auf  ben  ©inn 
it)rer  ©c^öpfungen  aU  auf  bQ§  ©d^affen. 

SDa  in  ber  neuen  beutfd^en  ^\inft  —  wie  anä)  in  ber 
SSiffenfd^aft  —  bie  ^t)eorie  ber  ^raj:i§  boraufge^t,  luitt  id^ 
juerft  anführen,  ibelc^e»  bie  5lnfi^ten  ber  erften  romantifd^en 
Stefttjctüer  über  bie  SJJalerei  mar.  ^n  bem  65efpräc^  über 
bie  ©emälbe,  ftio  2öitt)elm  ©erleget  unb  feine  grau  Caroline 
il}re  in  ber  2)re§bener  ©aterie  getbec^felten  SSetrad^tungen 
niebertegten,  befinirten  fie  bie  äJ^aterei  al§  bie  ^unft  be§ 
©d^ein?*)  gegenüber  ber'paftif  aU  ber  ^unft  ber  formen. 


*)  ®a§  SBort  „@d)ein"  nnif?  man  f)ier  uotürltd)  iiid)t  in  bem 
p^t[ofop()ifd)eii  ©inne  bevftefjen,  luo  c§  im  (i)c(.]cnJQ|ie  ju  6etu  90= 
lu-aud)t  ipirb.  §icr,  im  (yegcnt()ci(,  foft  ©d)cin  2id)t,  ba%  ©eienbe 
bebeuten,  im  ©egenfal?  3111-  SDJateiic,  bie  buvd)  i()ii  fidjtbar  mirb. 


(3ijm6o(ifrf)e  Äun[t.  339 

^unft  be§  @c|e{n§,  Jüeil  gärbung  unb  Sefeud^tung,  bte 
Tliikl,  tüobitrd)  hk  ^öxpa  erfdEieinen,  nt^t  dtva  nur  einen 
ncbenfärfilici^en  9?et5  be§  S3ilbe§  aulmad^ten,  fonbern  xed^t 
eigentlich  bie  ^auptfai^e  Ujären;  benn  eben  biegen  ©d^ein, 
ben  man  im  gelüö!^nli(^en  Seben,  Ujo  e§  einem  nur  auf  bie 
Körper  anfommt,  nid^t  fielet,  getuiffermajäen  fogar  unauf- 
Ijörlic^  tierniditet,  ben  5U  fe^en  foHe  ber  9JJater  un§  Ie:^ren, 
tnbem  er  i^n  tbeali[irt,  iljm  einen  Si)ör|}er  giebt.  daraus, 
ba§  ha^  (Srfi^einen  —  ba§  blofje  ^f)änomen,  tüie  Söil^etm 
fagt  —  bal  Sgefentlid^e  tft,  folgt,  ha'iß  auf  ben  Körper 
tüeniger  anfommt.  ^n  biefem  @efü§(  lüirb  ouc^  ba§  ©tiff- 
leben,  eine  ©attung,  hie  hamaU  aU  gonj  untergeorbnet 
betrad^tet  luurbe,  lebliaft  in  @c^u^  genommen.  ^iU  bte 
pd^fte  aber  empfinben  fie  bie  Sanbfd^aft.  ©anj  luurben  fic 
fic^  nid^t  barüber  flar,  luarum;  fie  meinten,  loeil  gerabe 
bort  ba§  blo^e  ^pnomen  —  bie  93eIeucE)lung  —  eine  fo 
iüic^tige  9tolle  fpiete.  Unter  ben  Sanbfc^aften  ber  ®re§bener 
©alerie  jogen  bie  büftern  ^^antafien  ©aloator  9iofa'§  fie 
am  aJJeiften  on.  5)a§  erflärten  fie  barau§,  „tüeit  er  bte  ' 
9latur  blo^  ttJte  eine  ©d^rift  gebraucht,  in  bereu  großen  . 
3ügen  er  feine  ©ebanfen  t)iniüirft." 

jöa  fielet  man  fc^on  alle  Öirunbjüge  einer  ©timbolif  bei 
einanber.  9Zic^t  ber  öergänglii^e  Störper  ift  ha^  2BefentIi(^e,  i 
fonbern  ber  erfc^einenbe  ®eift.  2)a^  ha^  o^ne  ben  Körper  • 
nld^t  mögtid^  ift,  oerfte^t  fid^  öon  fetbft.  Stber  barin  jeigt 
fiel  eben  ber  gro^e  ^ünftler,  ba§  er  bie  ^örperiüelt  ntd^t 
fo  malt,  n)ie  luir  un»  geiüö^nt  t)aben  fie  gu  fetjen,  aU  ®ing 
an  fi^,  at§  §ouptfad^e,  at»  etioag  ©eienbe§,  üielmet)r  al§ 
burd|ficf)tige  §üüe  für  ettt)a§  @ungc§.  „SSenn  ber  9KaIer 
bem  ©c^etn  einen  Slörper  gtebt,  fo  mufe  er  it)m  ja  aud^  eine 
©eele  einfjaud^en,  unb  ha§>  barf  boc^  tuo^I  feine  eigene  fein." 
SOkn  fte§t,  n)ie  fe^r  man  bie  9Jceinung  be§  S3egrünber§  ber 

22* 


340  @i)m6oIifc^e  ^unft. 

romanttfd^en  «Scfiute  mi^Oerftelen  lüürbe,  tuenn  man  backte, 
er  lüollte  ha^  S3ilb  für  ba§  üoräügticJifte  mtgefe^en  Jütffen, 
ba§  jid^  fd^Ied^ttueg  burd)  fd^öne  ^axhe  unb  ^öeleud^tung 
au§äetd§net.  2lud^  ber  ©c^etn  !ann  materiell  aufgefaßt  unb 
bargefteUt  njerben. 

'äB  einer  ber  ©rfllinge  ber  9?Dmanti!  erfcftien  balb 
nad^  bem  ©d^Iegeffd^en  ©efpräc^e  Xkd'§  3JJaIer*9tomon 
granj  ©ternbalb.  S)te  9?t)mfa^rt  etne§  @(f)üler§  öon 
Sllbred^t  5)ürer,  ber  für  bie  SfJomantifer  ta^  9JJufter  eine§ 
ec^t  beutfd^en  ^ünftlerS  Jüar,  ift  ber  Snfiatt  be§  S3ud^e§. 
9J?er!mürbig  ift  e§  nun,  lüie,  tro^  ber  grenjentofen  SSer- 
e|rung  Sürer'§,  bie  überall  anfingt,  5lffe§,  h)a§  ©ternbalb 
malt  unb  über  TlaUni  äußert,  fo  n^eltöerfd^teben  oon  ber 
^unft  feines  SO^etfter§  ift.  ®a§  aJiittelatter  tüar  für  Siecf 
nid^tg  2(nbre§  at§  ein  ©eftett,  ba§  er  mit  ^oftümen  feiner 
©rfinbung  beHeibete.  gür  bie  gnn^  moberne  ^unft,  öon  ber 
granj  ©ternbalb  träumt,  gab  e§  S3orbiIber  nur  in  ber 
^fiantafie  £iecE'§  unb  feiner  ©enoffen.  S)a§  erfte  S3ilb, 
ba§  Si^cinä  felbftänbig  entttjarf,  n^ar  für  ben  Slltar  einer 
S)orf!ird^e  beftimmt  unb  fteKte  bie  fro^e  93otfdEiaft  öon  ber 
(Seburt  be§  ^erru  bar.  @§  ^atte  glüei  üerfc^iebene  Sid^t* 
queßen:  auf  ben  S3ergen  bämmert  ein  bunfle§  5lbenbrot^  — 
bie  ©onne  ift  fd^on  lange  untergegangen  —  unb  in  ber 
gerne  fd^reiten  5tuei  (£nget  burdE)  ha^  ß^orn,  öün  benen  ein 
^immlifd^er  ©lanj  über  bie  Sanbfd^aft  auSftra^tt.  SDort^iu 
blicfen  bie  ^irten  in  fetjiifüc^tiger  SSerjüdung,  nur  ein  iunger 
fiel)t  tüe^mutljüoH  ber  untergegangenen  ©onne  nad^,  aU  fei 
mit  i^r  bie  tJreube  ber  ganjen  SBelt  tjerfunfen.  (Sin  alter 
^irte  aber  berührt  feinen  Slrm,  tüie  menn  er  t|n  ouf  bie 
^errlidjfeit  be§  neuen  Sic^te§  aufmerffam  mad^en  tüoHte, 
ba^  bereits  aufgegangen  ift.  „(Innen  foI(^  garten,  troft= 
reid^en    unb    frommen    ©inn    ^atle    gran5    für    ben    öer» 


©Dmbolifc^e  ^unft.  341 

nunfttgen  unb  füljlenben  S3efc§auer  in  haS^  ßJemälbe  ju 
bringen   gefnd^t." 

Söalöfceuen  locfen  ben  Jüanbernben  9J?aIer  befonberS. 
@r  benft  fi(^  bie  fd^attigen  ©rünbe  befeett  burc^  irgenb 
einen  Ieibenf(f)aftlid^  menfc^Iic^en  SSorgang,  jo  aber,  ha'^  bod^ 
tit  2anbfc§aft  bie  l^nuptfac^e  bleibt.  „2Benn  td^  mir  unter 
btefen  bämmernben  ©d^atten  bie  ©ijttin  2)iana  oorübereilenb 
benfe,  ben  33ogen  gefpannt,  ha§  ©eiuanb  aufgefd^ürst  unb 
bie  fdE)öneu  ©lieber  Ieirf)t  uml)ü[lt,  J)inter  i^r  bie  ?{i)inp!^eu 
in  (Site  unb  Ue  Sagb^unbe  jpringenb,  fo  lüirb  mir  ba^  Oon 
felb[t  äum  Silbe.  Dber  [teile  ®ir  üor,  ba^  biefer  gu&iüeg 
fic^  immer  bic^ter  in  ha^  ®ebüf(^  ^ineinn^inbet,  bie  33äume 
merben  immer  I)öf)er  unb  lüunbcrbarer,  plö^Iic^  ftefjt  eine 
©rotte,  ein  !üljle§  Sab  cor  un§  unb  in  i^m  bie  ©öttin, 
mit  i^ren  Segteitertnnen,  ent!(eibet.  ®a  ift  bie  (Sinfamfeit, 
®rün,  gelfen  unb  Säume  unb  bie  narfte  ©d^önljeit  maje* 
ftätifc^er,  ^et)rer  unb  jungfräulid^er  Seiber  oereinigt:  füge 
üieHeicEit  ben  5lftäon  ^inju,  fo  tritt  jener  munberfame 
©c^rerf  unb  bie  feltfame  Si^eube  uoc^  in  ha^  ©emälbe, 
in  feinen  |)unben  fannft  jJ)n  fc^on  bie  ttiierifd^c  2But^ 
unb  ben  Slutburft  barftelten,  fo  ift  ^ier  ba§  SSiber* 
fprecE)eubfte  in  ein  poetif(f)e§  Silb  not^n^enbig  unb  fd^ijn 
üerfnüpft." 

„Dber  ^ier  im  tiefen  SSotbe  bie  Seiche  eine§  fd^önen 
Süngting§,  unb  über  it)m  ein  gi^eunb  unb  bie  ©eliebte  im 
tiefften  Sc^merj,  öieHeidjt  Senul  unb  "ütbonis,  ober  ein  lieb- 
Itd^er  S*nabe,  öon  unfben  9iäu6ern  erfd^Iagen;  bie  bunW- 
grünen  ©chatten,  unter  i[)nen  bie  blenbenben  ^ugenbgeftalten, 
ber  frifc^e  9tafen,  bie  einselnen  jerfpattenen  ©onnenftraljlen 
üon  oben,  bie  nur  "iiaSi  ©efid;t  unb  einjelne  fteine  S:t)etle 
l^etl  erleuchteten,  ber  Sber  ober  bie  Stäuber  in  ber  gerne, 
n^ie  öon   ©eiuitterfdjatteu   eingetjüdt,  5l(Ie§    bieg  sufammen 


342  Si;mbo(iJd)e  Sluni'l. 

mü§te  ein  öortreffüc^eS  ©einötbe  ber  Sd^luermut^  unb  ©(iiön- 
l^eit  au»btlben.'' 

9}?an  fielet  au§  ben  legten  SBorten  beutltc^,   bafi  ntd^t 

j    ber  ©egenftanb  an  [id^  tvixtm  foUte,  jonbern  befttmmt  tvax, 

j    ben  ganj  allgemeinen   @inn  ber  Sanbjd^oft  bem  SSefd^auer 

,    befto  inniger  §u  üermitteln.     5tber   auc^   fo  finb  bie  53i(ber 

nod^  5n  gegenftönblic^ ,  §u  begrenzt.     SCSie  bie   SBirflid^fett 

eine  (Sd;ranfe  ift  für  nnfer  @ef)nen  nnb  ©treben,  fo  finb 

alle  gtgnren,  in  benen  bie  treibenbe  Statur  fid^  befd^ränü 

unb    beftimmt,   ein  ^inberni^   für   ha^^  unenblic^e  t^ü^Ien, 

ha^  ber  'SJtaln  in'§  53ilb  faffen  möd^te. 

„(£§  tüurbe  2lbenb,  ein  fcfiöner  ^immel  erglänzte  mit 
feinen  munberbaren,  buntgefärbten  SBoIfenbilbern  über  i^m. 
(Sie^,  fu^r  9iubotp§  fort,  lüenn  i{)r  TlaUi  mir  ©ergleid^en 
barfteüen  tonntet,  fo  n)oIIte  id^  euc^  eure  beweglichen  §ifto^ 
rien,  eure  leibenfd^aftlic^en  unb  öermirrten  ©arfteffungen 
mit  allen  unjäfiligen  {Figuren  erlaffen.  3)ieine  Seele  follte 
ficE)  an  biefen  gretten  (färben  oi^ne  ^ufoinmen^ang,  an  biefen 
mit  ®oIb  aufgelegten  Suftbilbern  ergoßen  unb  genügen,  id^ 
njürbe  ha  ^anblung,  Seibenfdjaft,  Som^ofition  nnb  Sitte» 
gern  oermiffen,  toenn  il^r  mir,  toie  bie  gütige  9Zatur  ^eute 
t^ut,  fo  mit  rofenrotl)em  (Sd^lüffel  bie  ^eimatt^  auffd^lie^en 
fönntet,  ipo  hk  Stauungen  ber  ^inb^eit  toolincn,  ba§  glänsenbe 
Sanb,  rt)o  in  bem  grünen,  ajurnen  Tltn  W  golbenften 
Slräume  fc^tuimmen,  too  Sic^tgeftalten  jtoifc^en  feurigen 
SSIumen  gef)en  unb  un§  bie  ^önbe  reichen,  bie  mir  an  unfer 
^erj  brürfen  möd^ten.  D  mein  (^reunb,  loenn  il^r  bod^  biefe 
n)unbeilicl)e  2)Zufif,  bie  ber  ^immel  l^eute  bid^tct,  in  eure 
SJtalerei  ^ineinlocfen  tonntet!  Slber  eud^  festen  (färben,  unb 
S3ebeutung  im  gert)ö£inlic^en  «Sinn  ift  teiber  eine  Sebiugung 
eurer  ^unft." 

Stud^    bie  SlJJaterei  atfo  fottte   ifjr  ©ebiet  erloeitern,   in 


ei)mboIifd)e  Stunft.  343 

bie  benachbarten  fünfte,  972iifif  unb  ^oefte,  überftieBen. 
mid)  ^ter  foate  atteä  Ueberflüffige,  5me§,  tpa§  nur  Seiltet 
n^ar,  befHtigt  tuerben,  bamit,  loie  eine  ^oefie  ber  ^oefie, 
eine  aJJateret  ber  8J?aIerei  entfiele.  D^id^t  alle  bie  ^ufäflig- 
feiten  ber  9iatur  foüten  ferner  me^r  in  bie  ^un[t  auf= 
genommen  irerben.  öat  hod)  bie  Statur,  um  fic^  au§' 
jubrücfen,  hie  unenblidje  3eit  im^  ^^n  grenjenlofen  3taum, 
bie  ©iml't  nur  ein  ©tücfcfien  Seinluanb  ober  ein  paar  SSerS- 
§et(en  —  n)a§  für  uerfd^iebene  (Sprachen  muffen  fie  fprec^en, 
um  gIei(f)Diet  gu  fagen!  9Jur  bie  (Sffenj  ber  (Srfc^einungen 
fann  i)k  ßunft  geben  —  ^laufenbe  unb  Saufenbe  üou  9?ofen, 
immer  me^r  mu§  man  jufammenpreffen,  um  ben  einzigen, 
fü^eften  tropfen  9iofenüt  ^n  geujinnen. 

(Sin  olter  3JJaIer,  ber  im  3flufe  fte^t  lüa^nfinntg  5U  fein 
unb  aud^  üom  |3raftifd^  bürgerlichen  ©tanbpunfte  au§  fo 
genannt  loerben  mu^,  ^eigt  3tan§  bie  ©emälbe,  bie  er  in 
feiner  lüeltabgefc^iebenen  ®emüt|§oerfunfen£)eit  enttoorfen  ^ot. 
2)ariinter  ift  ein  Dlad^t-  unb  SBalbftüd:  in  eine  faft  un» 
fenntüc^e  9Jfaffe  ^t  ba§  ®un!el  S3erg  unb  Sljal  üer= 
fdfimoljen.  S)urd^  biefe  dladjt  §ie(jt  ein  ^ilgrim  mit  Stab 
unb  HJ^ufc^el^ut,  eine  öon  üerftot)(enem  SJ^onbfc^ein  umgitterte 
einfame  ©eftalt.  SSotl  aber  ergießt  fid^  bie  glut^  be§ 
?JtonbIi(f)t§  auf  ein  Sructfi;i:,  ha§>  üom  fernen  ^^ii^d,  tvo 
ficJ)  bie  SBoIfen  tf)eiten,  f)erabglän5t.  „©ei^t",  rief  ber  2t(te, 
„^ier  ^abe  id^  ha^  seitliche  Seben  unb  bie  überirbifdje, 
^immlifc^e  Hoffnung  malen  looHen;  fe§t  ben  j^inger^eig, 
ber  un§  au§  bem  finftern  2^al  herauf  jur  monbglänsenben 
5lnf)Dl]e  ruft,  ©inb  toir  etiua§  lueiter  a(l  toanbernbe 
^itgrime?  ^ann  etmal  unfern  SBeg  erljetlen  al§  t^a^  Sicijt 
öon  oben?  SSom  Slreuje  ^er  bringt  mit  lieblicher  ©eluaft 
ber  Strahl  in  bie  SBelt  f)inein,  ber  un§  belebt,  ber  unfre 
Staft   aufrect)t    (jätt.     §ier   i)aht    icf)    gefuc^t,    bie   3^atur 


344  S^mbolifd^c  ^uu[t. 

lüteber  5U  öerluanbeln,  unb  MS'  auf  eine  menfd^Itc|  fün[t- 
lertjc^e  SBetfe  ju  fagen,  tra§  bte  S^Jatur  felber  ju  un§  rebet; 
id^  ^abe  t}ier  ein  janfteg  9tät{)[el  niebergelegt,  \)a§>  fic^  nic^t 
^ebem  entfeffelt,  'Da?'  aber  bod^  leidster  ju  errat^en  fte^t, 
üU  jene?  erhabene,  ba§  bie  9?atur  aU  Sebecfung  um  fic^ 
frf)Iägt."  3luf  granjenS  93emerfung,  man  fönne  biefeS  @e^ 
mälbe  ein  alIegortfd^e§  nennen,  ertuibert  ber  Stite,  alle  ^unft 
fei  allegorifc^.  „2Ba§  fann  ber  9}?enfd^  barftetten,  einzig 
unb  für  fid^  befle!^enb,  abgefonbert  unb  etüig  gefc^ieben  öon 
ber  übrigen  SBett,  luie  mir  bie  ©egenftänbe  oor  un§  fe|en? 
Sie  Kunft  foll  e§  aud^  nid^t.  2Bir  fügen  sufammen,  tüir 
fud^en  bem  ©ingelnen  einen  allgemeinen  ©inn  anju^eften, 
unb  fo  entfielt  bie  StKegorie.  ®a§  SSort  bebeutet  nic^tl 
Slnbreg  aU  bie  U)at)ri^afte  ^oefie,  bie  haS'  ^oI)e  unb  ©bie 
fudfit  unb  nur  auf  biefem  SSege  ftnben  fann."  ^ud)  an 
anbern  (Stellen  be§  S3udE)e§  föirb  auSgefprocfien,  ba§  ba§ 
attegorifd^e  (^emälbe  am  el)eften  erfüllt,  rt)a§  man  üon  ber 
SJJalerei  iüünf^t.  „§ier  tft  rec^t  ber  Drt,  mo  ber  9JJoter 
feine  gro^e  So^agtnation,  feinen  ©inn  für  SJJagie  ber  Sunft 
offenbaren  fann:  |ier  fann  er  gleid^fam  über  bie  (Strengen 
feiner  ^unft  I)inau§ge§en  unb  mit  bem  Siebter  luetteifern." 
31I§  ein  Seifpiel  au§  ber  älteren  ^unft  Jüirb  ba§  berühmte 
33tlb  be§  Drcagna  in  ^ifa  angeführt,  be§tt)egen  föeil  e§ 
ba§  ganje  menfc^üd^e  Seben  ftjmboIifdE)  barfteHe. 

Sn  Sied'§  9toman  malt  nid^t  nur  granj  ©ternbalb, 
fonbern  faft  ein  Seber,  ber  auftritt,  lna§  er  aud^  fei,  minbe- 
ften§  mit  ber  ^^lantafie,  eben  um  ben  SWalern  üon  33eruf 
gu  beiueifen,  tuie  ungenügenb  ißre  S?"unft  bi^^er  geloefen  fet. 
©e^t,  ruft  (Siner  au§,  ben  5:iecf  5um  eigentlirf)en  gelben  be§ 
unüodenbeten  33ucE)e§  beftimmt  3U  tfahtix  fc^eint,  üjenn  id^ 
malen  föunte,  „bann  lüürbe  id^  einfame,  fd^auerlid^e  ©egenben 
abfc^ifbern,  morfd^e,  jerbrodEiene  ^Brücfcn  über  giuei  fd^roffen 


Sl)m6D(tfcf)c  fiunft.  345 

Reifen,  einem  ^tbgrunbe  hinüber,  burd^  ben  fic^  ein  SBalb- 
ftrom  jd^äumenb  brängt:  öerirrte  2Banber§Ieute,  beren  ®e= 
Jüänber  im  feudalen  SÜSinbe  flattern,  furd^tbare  9?äuberge[talten 
au§  bem  ^oi^IiDege  f)erau§,  angefallene  unb  geplünberte 
SBogen,  ^ampf  mit  ben  9teifenben.  ®ann  lieber  eine 
©emfenjagb  in  einfamen,  furchtbaren  gelfenfitppen,  W 
fletternben  Säger,  bie  fpringenben,  gejagten  2;^iere  üon 
oben  fjerab,  bie  fd^iüinbelnben  Slbftürge.  giguren,  hie  oben 
auf  fd^malem,  überragenbem  ©teine  ©c^lüinbel  auSbrüden 
unb  fic^  eben  in  i|ren  Satt  ergeben  iDoUen,  ber  greunb, 
ber  jenen  ju  ;pülfe  eilt,  in  ber  Sterne  ha§  ru£)ige  Z^al. 
©injelne  S3äume  unb  (5Jefträud;e,  bie  bie  (Sinfamfeit  nur 
noc^  beffer  auäbrücfen,  auf  bie  S3erlaffen^eit  nod^  aufmerf- 
famer  machen.  Ober  bann  ineiter  ben  S3ad^  unb  SBaffer^ 
fturj  mit  bem  {^ifc^er,  ber  angelt,  mit  ber  äJ^ü^Ie,  bie  fid^ 
bre^t,  öom  SJJonbe  befc^ienen.  @in  üdi)n  auf  bem  SBaffer, 
auSgeiDorfene  9k^e.  ^u^ueiten  !ämpft  meine  ^tnoötnation 
unb  ru^t  nic^t  unb  giebt  fic^  nidjt  jufrieben,  um  etlt)a§ 
burc^aug  Unerf)örte§  §u  erfinnen  unb  ju  ©tanbe  5U  bringen. 
Steu^erft  feltfame  ßJeftalten  lüürbe  id^  bann  I)inmalen,  in 
einer  tjerlnorrenen,  faft  unüerftänblid^en  S3erbinbung,  giguren, 
hit  ixd)  au§  allen  S^ierarten  ^ufammenfänben  unb  unten 
wieber  in  ^ftanjen  enbigten:  ^nfeften  unb  ©ettJürm,  benen 
ic^  eine  wunberfame  5(e^nlid^feit  mit  menf(^Iic^en  S^arafteren 
aufbrüden  iDoffte,  fo  ha'i^  fie  ©efinnuiigen  unb  Seibenfd^aften 
poffierlic^  unb  bod^  furchtbar  äußerten;  id^  tüürbe  bie  ganje 
fid^tbare  Söelt  aufbieten,  ou^  jebem  ha^  ©eltfamfte  UJÖ^Ien, 
um  ein  ®emälbe  ju  mad^en,  ha^  ^jerj  unb  ©inne  ergriffe, 
ha^  (Srftaunen  unb  ©d^auber  erregte." 

^a^  ift  tk  romautif(^e  SSenuirrung,  mie  STied  fie  liebte; 
tva§>  feinen  legten  ©runb  bariu  Ijat,  ha^  bie  allmälige  SSer- 
manblung  be§  uranfänglidjen  eijaoS  in  ba§  bemühte  (I|ao§ 


346  ei)mbonicf)e  ßunft. 

bcn  (S^runbgebanfen  ber  romantifd^en  ^^tlofopl}te,  tute  aller 
(Sntli)icfe(itng§p|iIo[üpl}ie  überhaupt  bilbet. 

SKem,  ber  biefe  ^^antafien  über  TtaUxd  lieft,  brängte 
jic§  nic£)t  S3öcEItn'§  S^anie  beftänbig  auf  bte  Sippen!  ^a» 
maB,  Hör  |unbert  S^^^ren,  färbtett  biefe  ®emäIbe'S;räume 
ben  morcjeublit^en  |)immel  beä  neuen  ^atirljunbertS;  bie 
SBenbe  unfrei  ^a|r^nnbert§  fd^mücft  hie  luunberüoHe 
2Bir!Ii(i)!eit,  bie  ©rfütlung.  5(udE)  barin  ift  SBöcflin  ber 
^ünftler,  ben  bie  Stomantifer  verlangten  unb  prop^ejeiten, 
tia^i  er  3J?ater,  SJJufifer  unb-5)i(^ter  äugteid^  tft;  ni(^t  in 
ber  SBeife  ber  großen  ^ünftler  ber  3?enai[fance,  bie  oft 
mehrere  fünfte  neben  einanber  trieben:  ha^'  ^tel  be§  mo- 
)  bernen  MnftlerS  ift,  ben  ®eift  mehrerer  fünfte  in  einer 
5u  umfaffen  unb  auS^ubrücfen.  SBie  faft  jeber  ^ropl^et  ein 
9J?ofe§  ift,  bem  ha^  gelobte  Sanb  ^ö(^ften§  tjon  ferne  gu 
fd^auen  öergönnt  ift,  t)aben  auc§  bie  3fiomantifer  eine  tioHe 
SSertüir!lidf)ung  ii)rer  ^beett  ouf  bem  ©ebiete  ber  9J?aferet 
nid^t  erlebt,  unb  aU  fie  enbltd^  tarn,  loar  fie  üon  i^ren 
^eitgenoffen  nid^t  ^ei§  erfel^nt,  njurbe  nic^t  augenblidlid^ 
ernannt  unb  miflfommen  gei^eifjen;  benn  bie  9tomantif  lüor 
injtüifcEien  erft  t)era(f)tet,  bann  öergeffen,  unb  al§  njunber-» 
bare,  mi^beutete  (Srfd^einungen  gingen  Vit  erften  Söilber 
S3öcflin'§  an  ber  SJJitiuelt  vorüber. 

StUerbingg  auc^  auf  bie  ajJaleret  if;rer  Seit  tüiilten  bie 
Slomantifer.  211^  it}ren  ^been  am  meiften  entfprei^enb 
rü|mten  fie  ben  Sanbfc^aftSmaler  i^iiebric^,  ^aSpar  5)at)ib 
griebric^,  au§  ©reifSiüalb  gebürtig,  '^n  feinen  ^öilbern 
lebte  bie  Stimmung  ber  Dflfee,  feineg  Jieimatlid^eu  ©tranbes. 
©eine  S8orfaf)ren  traren  alle  biebere,  geiüerbtreibenbe  Seute 
geiüefen;  er  befa^  bie  ftrenge  Sfiec^ttii^feit,  ©rabtjeit  unb 
Slbgefd^foffen^eit  be§  nörblid^en  SSoIfe§.  9lie  l^atte  er  aud^ 
nur  oerfud^t,   eine  frembe  @pracE)e  5U  erlernen,  burd^  unb 


©l)mboni^c  ftunft.  347 

burc^  beiitf(^  Wai  er  unb  tuodte  er  fein.  (Sr  luirb  ge- 
fd^tlbert  al§  ein  SJJann  öon  hagerem,  [tarffuodjigem  ^ör^er 
mit  b(eic^em  ®e|i^t  unb  blauen  '?{ugen,  bte  tief  öerborgen 
unter  ftarf  öovfpringenben,  bui'd^tgen  btonben  Stugenbrauen 
lagen.  @r  umr  öon  meland^olifcfiem  Jem;}erament,  nie  gu- 
f rieben  mit  feinen  Seiftungen,  tt)Q§  jufammen  i^n  DieKeic^t 
ha^in  gebracfit  t)atte,  einen  Selbftmorb  ju  üerfucfien,  an 
beffen  5tu§füt)rung  er  gebinbert  Jüurbe.  (5tlüa§  bunfel  ®e- 
l^eimni^ooHeS  festen  tf)n  gu  umgeben.  Stubirt  ^atte  er, 
Jüie  e§  bamals  tiielfac^  gef(i)a£),  in  Slopeni)agen,  bann  in 
15)relben,  tvo  er  äRitglieb  ber  5tf abernte  unb  ^rofeffor  ber 
Sanbfc^aft§ maleret  tüurbe.  5tber  er  blieb  immer  einfam, 
faft  oi^ne  ^erfetir.  ®ie  Sommerung  lüar  fein  Clement, 
erää^Üe  einer  feiner  luenigen  i^^^eunbe;  t)or  bem  erften 
SJiorgentidjt  unb  nac^  Sonnenuntergang  pflegte  er  allein 
feine  ©pastergänge  gu  moc^en.  2)a§  3ii"iner,  wo  er  arbei- 
tete, luar  ftarf  bef chattet;  bort  brütete  er  ftunbeulang  über 
feinen  ^unftfd)öpfungen,  bie  eine  fc^roffe,  finftere,  eigen* 
tpmlic^  poetifc^e  5(rt  Ratten. 

©ein  ©runbfa^  war,  ein  93ilb  foHe  nid^t  erfunben, 
fonbern  empfnnben  fein;  niorau§  man  fd^Iiefien  barf,  ba^ 
bie  feinigen  'au§  einer  Itirifc^-mufifalifd^en  Stimmung  ^erau§ 
entftauben.  S^  feinen  S3efonberI}eiten  gel)örte,  ha'^  er  nie 
eine  Sfigge,  Slarton  ober  ©ntlourf  irgenb  n^elc^er  Strt  ?^\i 
feinen  iöifbern  mad^te,  loeil  bie  ^^antafie  —  in  il^rem 
erften  (5rgu§  bort  auSgeftrömt  —  baburd)  erfalte.  ©igen 
hjor  i^m  ferner  ein  entfc^iebeneg  @efüt)I  für  reine  C£oncen= 
tration  be§  Std^tS,  unb  er  behauptete  —  t|öd;ft  rfiarafs 
teriftifc^  — ,  ha"^  ein  3:raum  i^m  jnerft  bie  rechte  (£rfenntni§ 
barüber  gegeben  ijaht.  9)Jeift  matte  er  ©eebitber,  bie  für 
ben  bamaligen  ©efc^mad  barod  tuaren,  ftet§  aber  bie  ber 
Dftfee  eigcnt^ümli^en  Sic^trrirfungen  mit  tiefer  (Smpfinbung 


348  ©ijmboltic^e  5lunft. 

iDiebergafcen.  S)rei  @td)bäume  iieBen  einem  jrf)neebebec!ten 
^ünengrabe  —  S)er  9Jlönc^  am  50Jeere§[tranbe  —  S)te 
5lbtei  im  ©ic^iüatbe  in  ^Ibenbbeleud^tung  —  gelfen  mit 
einem  Slreuj  im  SJJorgennebel  —  biefe  Sitel  ermerfen  eine 
$ßor[teIlung  bon  feiner  5Irt.  (S§  tüxxh  erjä^It,  ba^  ein 
griebridEi  befuc^enber  ^unftfreunb  ein§  feiner  ©eeftücfe  üer= 
fe£)rt  auf  bie  Staffelei  geftellt  unb  ben  bunMn  SBolfen- 
l^immel  für  bie  SBeden,  ba§  SKeer  aber  für  ben  ^immel 
gehalten  ^aht.  ©in  anbrer  bamal§  berühmter  ^unftfritifer 
|ielt  ein  S3ilb  griebricfi'l,  ha§>  eine  lüeite,  neblige  ®cbirg§- 
ferne  mit  einem  einzigen  barüberfc^lrebenben  5lbler  barftetite, 
für  ein  ©eeflücf,  beffen  ©c^önl^eit  unb  tiefe  S3ebeutung  er 
antrefcnben  S^amen  erf(ärte.  2luc^  biefe  Keinen  ^üge  geben 
eine  ^bee  öon  bem  ߧara!ter  ber  S3ilber,  bei  benen  ieben= 
fall§  bie  ftarfe  baöon  aui?gef)enbe  Stimmung  ba§  Sßefent- 
Ii(^e  luar. 

Ser  eigentliche  3JiaIer  ber  3tomontif  aber,  ber  aud^ 
t^coretifd^  mit  SSelüuBtfein  ber  neuen  Sfüd^tung  anl^ing,  luar 
^§ilipp  Dtto  9iunge,  luie  gi^iebrid^  au§  bem  Dftfeegebiet, 
ou§  SBoIgaft,  ftammenb.  «Seine  greunbe  bergticEien  i^n 
mit  D^oüaliS;  tüie  ein  t^rembling  auf  ©rben  erfdjien  er 
t|neu.  (Sin  ed§t  romantifd^er  ®t)aratter  iufofern,  al§  bie 
eigentlidj  fieröorbringenbe  ^raft  il)m  fel^Ite,  aufgelöft  ttjar 
in  feinftgefaferte§  ^enfen  unb  (Smpfinbeu.  ©rabe  baburd^ 
fonute  er  me^r  aU  bie  naio  fctiaffenben  ^ünftler  anregenb 
auf  feine  greuube  luirfen,  unb  ba  überiiaupt  llnfunbige  bie 
gäi^igfeit,  ^läne  ju  entwerfen,  öon  ber  ^^ö^igfeit,  ^läne 
ou§5ufü^ren,  feiten  genau  uuterfd^eiben,  ertüartete  man  all- 
gemein ha^  §öd^fte  öon  i^m.  ^n  feinem  anbern  ber  jungen 
TlaUx  \vax  bie  Ueber^eugung  fo  lebenbig,  ba^  Sl(Ie§,  Uia§ 
man  bi§I)er  ^vunft  genannt  ^ahe,  überlebt  fei,  ta'^  ber  neuen 
Stufe  ber  Gntmicfelung,  auf  ber  mau  angelangt  fei,  aud^ 


6ljm6oIijd)e  Äunft.  349 

eine  neue  ^un[t  entfprcc^e,  bie  naturgemäß  aünmltg  ent= 
ftel^en  müffc,  S)en  dtjarafter  btefer  neuen  ^unft  ju  be=> 
fttmmen,  fie  ju  berfünbigen  unb  mit  ^erbei5u[üJ)ren,  i^ren 
triumpljirenben  (Sinjug  üorjubereiten,  tvax  ba§  Siel,  ba§  er 
fic^  gefterft  i^atte. 

S)ie  ßunft  ber  formen,  hav  luar  feine  5In[id^t,  l^ätte  Bei 
ben  (Sriec^en  i^ren  ^ötjepunft  erreii^t.  S3ergeblici^e§  336= 
mü^en  fei  e§,  jemaB  bie  ^lafti!  lüieber  5U  einer  äf)nlid^en 
Sßlüt^e  bringen  5U  lüollen.  'äud)  inner|at6  ber  SJJaterei 
]§abe  e§  eine  ^unft  ber  formen  gegeben,  nämlid^  bie  §ifto= 
rienmolerei,  bie  ben  ©i^fel  jur  Qdt  ber  italienifd^en  3fte- 
naiffance  erreid^t  Ijabe.  S)er  üleujeit  fei  e§  borbeljalten, 
biejenige  ^Irt  ber  5D?aterei  ju  entiüidetn,  bie  bie  ©ried^en 
faum  ge!annt  Ratten,  bie  mit  ber  3f{enaiffance  erft  in'§ 
Seben  getreten  fei:  bie  Sanbfc^aft. 

Unb  luarum  hie  Sanbfc^aft?  SSielleic^t  ftieil  in  i^r  ha^^ 
bloße  ^länomen  eine  fo  große  9ioIIe  fpielt,  iiatte  2BiI§eIm 
©erleget  gefagt;  ber  Tldev  giebt  ber  burd^Ieudjteten  Suft 
einen  Körper  unb  Ijauc^t  i§m  feine  Seele  ein.  ©o  p£)iIo== 
fo^l^irte  9tunge:  3uerft  fa§  mon  im  (Seifte,  nämlid^  im 
ajienfc^en,  bie  3flatur,  je^t  fieljt  man  umgefeljrt  ben  ®eift 
in  ber  Statur.  S)amat§  betrarfitete  man  ben  9[)?enf(^en  tuie 
eine  ber  uielen  ©eftattungen  ber  9Jaturfraft,  feine  |)onbIungen 
Jüie  ein  SBirfen  ber  (Elemente,  unb  biefe  Slnfd^auung  seitigte 
ba§  |)iftoriengeniäIbe.  ®ort  fommt  ja  nicfit  ba§  geljeime 
Seben  bei  inneren  SJienfd^en  gur  Geltung,  fonbern  bie 
großen,  atigemeinen  Strömungen,  bie  un§  aU  9}?affen= 
gefd^ö^jf,  aU  S^Jaturtrefen  fenn.^eic^nen.  9Kid£)eIangeIo'§  jüngfiel 
©erid^t  nennt  er  aU  ha§  |)öc^fte  unb  Sleußerfte,  lua§  au§ 
biefer  ^iinftric^tung  fjerüorgegangen  fei. 

„3e^t  fäCit  ber  Sinn",  fd^reibt  9?unge  in  einem  S3riefe, 
„me^r    auf   ba§    6iegent|eil.     2Bie   fetbft   bie   ^|ilüfop£)en 


350  Sljmlmliidje  ßimft. 

ba^in  fommen,  ha^  man  ?t(Ie§  nur  aul  ftd^  ]§erau§  imo- 
gtnirt,  fo  fe^en  ober  follen  tutr  fe^en  in  jeDer  S3Iume  ben 
lebenbigen  ®eift,  ben  ber  äJZenfc^  j^tueinlegt,  unb  baburd^ 
mirb  bie  Sanb[c^a[t  ent[te!^en,  benn  alle  Spiere  unb  bte 
S3Iumen  finb  nur  ]^aI6  ha,  fobalb  ber  Titn\ä)  nic^t  ba§ 
S3e[te  babei  ii)nt;  jo  brängt  ber  äRenfc|  feine  eigenen  ®e= 
fii^Ie  ben  ©egenftänbeu  um  fic§  l^er  ouf,  unb  baburc§  er= 
langt  Me§  Sebeutung  unb  ©praifie.  SSenn  mir  fo  in  ber 
ganzen  D^atur  nur  unfer  Seben  fel)en,  fo  ift  e§  flar,  ba^ 
bann  erft  hk  redete  Sanbfd^aft  entftel^en  mu§,  aU  ööttig 
entgegengefe^t  ber  menj'(^Iic^en  ober  f)iftorifd^en  dompofition. 
3)ie  S3Iumen,  S3äume  unb  ©eftalten  n)erben  un§  bann  auf= 
ge|en  unb  lüir  ^aben  einen  @(^rilt  nä^er  ^ur  i^axht  get^an. 
S)ie  garbe  ift  bie  le^te  ^unft,  bie  un§  noi^  immer  mt)ftifd) 
tft  unb  bleiben  mu|,  bie  mir  auf  eine  lüunberlic^  a^nenbe 
SBeife  mieber  nur  in  93(umen  öerfte^en." 

@ü  ift  berfelbe  (Sang  ben  bie  2)icf)tfunft  genommen  l^at: 
bie  SBefeetung  ber  Statur,  i§r  ajiit^ineinjiefien  in  'baS^  ®eifte§=» 
leben  be§  SJienfc^en,  öerleil^t  ber  mobernen  ^oefie  feit  ©oetl^e 
i§ren  (Stjarafter. 

25>enn  benn  bie  9tatur,  fo  etlua  lief  S^tunge'S  (Sebanfen* 
gang  weiter,  für  fid^  nid^t§  ©anjeS  ift,  erft  ber  $8efeelung 
bebarf,  ift  fie  otfo  nur  ein  ^ör^er,  eine  ^ülle,  ein  fiteib, 
unb  §iüar  ®otte§;  benn  ©ott  ift  [a  eben  ber  unenbIicE)e 
@eift.  ©Ott  aber  fann  man  nur  a^nen,  einsig  feiner  felbft 
ift  man  geiüi^:  „tüa§  bu  in  beiner  emigen  @eele  empfunben, 
ta^  ift  auc|  emig,  maS  bu  au§  i§r  gefd^öpft,  ba§  ift  un- 
üergängüd^;  ^ier  mu^  bie  ^unft  entfpringen,  menn  fie 
emig  fein  foH."  @ott  alfo,  infofern  ©Ott  in  einem  felber 
5um  Seiüufitfein  gefangt.  2)emnad^  ift  aud^  für  9iunge 
bie  9?atur  ber  2tih,  bem  ber  Jlünftfer  feine  eigene  ©eele 
eintiaud^t. 


Si}mboIii(f)e  j?utift.  351 

'äU  ßrforberniffe  eine»  Sunfttüer!»  ftefü  er  in  biejem 
©inne  folgenbe  auf: 

1.  Unfre  St^nung  öon  ®ott, 

2.  2)ie  ©mpfinbung  unferer  felbft  im  3uWi"i"e"^ii^9c 
mit  bem  ©an^en,  unb  auä  biegen  beiben, 

3.  ®ie  Steügion  ujib  bie  ^nnft;  has>  ift,  unfre  ^öcfiften 
Smpftnbungen  burc^  Söorte,  Jone  ober  Silber  augjubrücfen. 

S)a  er  tlax  empfanb,  bQ§  ha^  2i(i)i,  bie  ^axhe,  in  ber 
ßanbi'c^aft  eine  ganj  anbre  9totIe  fpiele  aU  im  ^iftorien- 
gemälbe,  tourbe  bie  Bijuihoüt  ber  garbe  im  Sie6Iing§= 
gegenftanb  feine§  'Jtad^beTifenl,  beffen  9?efu(tat  er  in  einem 
Keinen  23erf,  bie  garbenfugel  betitelt,  nieberlegte.  ^tament* 
li(i)  hki^  'üirbeit  brachte  itjn  in  SSerfefir  mit  ®oet|e,  ben 
balfelbe  probten:  bejc^äftigte.  2(uc^  über  hit  5(naIogie  ber 
tJarben  unb  3;öne  üerfa^te  er  ein  (iiejpräc^,  Ujorin  öon  bem 
(Sa|e  ausgegangen  roirb,  bie  S;DnIeiter  in  ber  ^ü]it  fei, 
tuaS  bie  Slbftufung  ber  garben  in  23et^  unb  ©dimarj. 

Spf^it  feinen  in  ®efpräc^  unb  Srtef  entlüicfelten  ^'Eieorien 
gingen  nun  aber  5^erfuc^e  ber  ^nSfül^rung  §anb  in  ^anb. 
2Jiit  befonberer  33or(iebe  malte  er  931umen,  weit  fic  bie 
Sräger  ber  garbe  feien.  @r  felbft,  fagte  er,  mürbe 
feine  33Iumen  =  (Jompofition  gan5  o^ne  menfc^(icE)e  e^iguren 
mafen,  n:)eil  bie  neue  Stunft  nod^  ju  unöerftänbüc^  fei,  um 
nic^t  ber  SSermitttung  ju  bebürfen.  @rft  allmätig  n^ürben 
bie  Sünftler  bie  @t)mboüf  ber  Dcatiir  fo  in  i^re  öetoalt 
befommen,  bo§  fie  be§  crftärenben  Seituerf»  entrat^en 
fönnten,  um  fic^  bem  58efc^auer  mitjutfietlen. 

S3e(aben  mit  fo  öiel  ^(bftc^ten  unb  ^been  liefe  fic^  nur 
fd^njer  unb  langfam  fc^affen.  SSon  einem  feiner  33ilber,  ber 
Cuede,  fagte  er,  e§  fotle  eine  DueHe  im  njeiteften  «Sinn 
be§  3Borte§  merben:  bie  DueKe  afler  Silber,  hk  er  nodö 
mad^en   werbe,    bie  Cuefle  ber  neuen   ^unft,    bie  er  fud^e, 


352  6i)m6oIt|c^e  5?unft. 

unb  and)  eine  OueKe  nn  unb  für  fid).  5Iuf  biefem  Silbe 
liegt  eine  9tl)mp]§e  an  ber  OneHe  unb  fpielt  mit  ben  gingern 
im  SBaffer,  looburc^  fid^  SSIafen  bilben;  barin  fi^en  muntere 
Senaten  unb  tooHen  £)erau§,  unb  trie  bie  93Iafen  ^erfpringen, 
fliegen  W  ^naBen  in  geunffe  ju  i^nen  gehörige  SSIumen 
unb  S3öume,  beren  S^aratter  fie  fo  üöHig  auSbrüden,  ba| 
fie  orbentlic^  för^erlic§  einen  33egriff  üon  t!§nen  geben.  (Sin 
Delgemälbe,  bie  SeJ)rftunbe  ber  9ia(^tigatl,  wav  burd^  folgenbe 
SJerfe  mopftod'S  entftanben: 

glöten  mufet  bu,  i>a\h  mit  immer  ftärferem  Saute, 

33alb  mit  leiferem,  6t§  fi^  üerlieren  bie  Söne; 

©d)mcttern  bann,  bafe  e§  bie  'SBlpid  be§  SSaIbe§  biirc^rauftfit, 

fylöten,  fföten,  In§  [id]  Bei  ben  9?ofenfno}pen 

SSerlieren  bie  Söne. 

S)a§  eigentliche  öauptbilb  fteHte  eine  hieiblid^e  (Seftalt 
bar,  bie  im  laubigen  Saume  auf  5lmor§  glöte  loufc^t.  gür 
3f?unge  n^ar  aber  beinahe  ha^:  tüic^tigftc  bie  arabeSfenartige 
Umral^mung  feiner  Silber,  „^ä)  laffe  unten  im  Silbe  ein 
©tücf  Hon  ber  Sanbfc^aft  feigen.  5)iefe  ift  ein  bic^ter  Söatb, 
n)o  fic^  burc^  einen  bunfeln  <B<i)atkn  ein  Sac^  ftürgt;  biefe§ 
ifi  baSfelbe  in  bem  (^runbe,  loaä  oben  ber  t^Iötenflang  in 
bem  fd^attigen  Saume  ift.  Unb  in  bem  SaSrelief  fommt 
oben  über  rtiieber  5lmor  mit  ber  £el)er;  bann  auf  ber 
einen  Seite  ber  ®eniu§  ber  Silie,  auf  ber  anbern  @eite 
ber  ®eniu§  ber  Stofe.  5luf  biefe  SBeife  fommt  eine§  unb 
ba§felbe  breimal  in  bem  ©emälbe  üor  unb  tüirb  immer 
abftrafter  unb  ftjmbolifc^er,  je  met)r  e§  au§  bem  Silbe 
heraustritt."  SBal^rfrfieinlid^  meinte  er  ou§  biefem  ©runbe, 
ba^  ba§  Stib  ha^'idbt  fei,  loa»  eine  guge  in  ber 
9«ufif. 

©ein  größtes  SBerf,  bie  oier  S^ageSjetten,  in  nllen 
©iuäel^eiten  grünblic^  ju  erläutern,  bebürfte  e§  (Seiten  unb 


(5ljin6otiid)e  Siinft.  353 

(Seiten.     ^ur§  gefafst  foHten   [ie   bie  öier  SJ^imenfioiien   beö 
gejc^affenen  @ei[te§  bebauten. 

®er  SJJorgen    tft   bie   grenjenloje  @r(eucf)tung   be§  Uni= 
öerfum§. 

®er   ^ag    ift    bie   grenjentofe  ö)e[taüung    ber  (;£reatur, 
bte  'öaS'  Uniöerfum  erfüllt. 

S)er  Slbenb  ift  bie  grenjenlofe  S^ernic^tung  ber  Si'ifteng 
in  ben  Urfprung  beä  Uniüerfumg. 

5)ie  '^ad}t  tft  bie  grensenlofe  2;iefe  ber  ©rfenntni^  Don 
ber  unüertilgbaren  ©riftenj  in  ®ott. 

5)a§  biefe  Silber  nur  einen  ffeinen  ^rei§  öon  greunben 
fanben,  üerftel^t  fic^  üon  felbft.  S^  biefen  gehörte  2:iecf, 
lüa§  9iunge  freiüd)  bie  ^uftimmung  bieler  ^(nbrer  erfe^en 
fonnte;  benn  {^ranj  ©ternbatb  \vax  i|m  in  feinem  erften 
bun!etn  Saften  x\ad)  ber  neuen  Kunft  eine  erlöfenbe  Offen« 
Barung  geluefen.  9JJit  ©enugt^uitng  \a^  Siecf  in  3fiunge'§ 
Sitbern  ben  ^ufaoiuifn^öng  öon  9}Jat^ematif,  SJJufif  unb 
Farben  beutlid^  t)or  5(ugen;  aber  anbrerfeitS  tabelte  er  ta^ 
aUjuroeit  gefjenbe  SIttegorifiren  unb  fa^  mit  Sebenfen, 
n)eld^e§  Uebergert)id^t  ^ier  bie  ^Betrachtung  über  bie  ^erüor= 
bringenbe  ^raft  erlangt  I)atte.  „^IKe  e(f)te  ^unft,  fei  fie 
n)elci^e  fie  lüoHe",  fd^rieb  er  i^m,  „ift  nur  5lrmirung  unfre§ 
®eifte§,  ein  gernrol^r  unfrer  inneren  ©inne,  burd^  lüelc|e^ 
n)ir  neue  (Sterne  am  t^itmamente  unfre§  @emüt^§  entbecfen 
njoHen:  ba§  gefieimfte  SBunber  in  un§,  n)elc|e§  Wix  nid)t 
au§fprecf)en,  nid}t  benfen  unb  nic^t  füllen  fönnen,  biefe 
tnnerfte  Siebe  fuc^t  ja  eben  in  tnel^mütl^iger,  liebenber 
Slcngftlid)feit  unb  jitternbem  (Sntjücfen  nac^  ben  magifd^en, 
ft)mboIif(^cn  ^eidEien  ber  ^unft,  ftedt  fie  anber§  unb  tritt 
fie  neu  gebraudien.  5lber",  fügt  er  fiernai^  maiinenb  Ijinju,  ' 
„tüenn  loir  ettt}a§  fdiaffen  luotten,  muffen  njtr  unferm  Sief» 
finn   eine   lüittfürtid^e  ©renje  fe^en;  fo    entfielt  atte  SBirf*  | 

^uc§,  Komantifer.  23 


354  ©i}mt)oliicf}e  ^un[t. 

licfifeit,    alle    Schöpfung,    ba^    bie  Siebe   ftcf)    auc^    in  ber 

!   Siebe  ein  Qid,  einen  Xoh  fet^t:  bie  liebenbe  5(ngft  jte^t  fic^ 

^Iö|Iic^  in  \iä)  jurüd  unb  übergiebt  i|r  Steb[te§  ber  ®(eid^- 

gülttgfeit,  ber  ©giften^,  fon[t  fönnte  nie  etiüa§  entflefien." 

9tunge  aber  fd^eule  fid^  ntd^t,  mit  einer  f^olgerirfitigfeit, 
bie  man  immerbin  beluunbern  mu^,  hit  än^erften  ©d^Iüffe 
aii§  feiner  Ueberjengung  öon  ber  ^unft  gn  gietjen.  '^a§ 
t^äte  e§,  toenn  ic^  ein  t^eorettfc^er  ^ünftler  n:)ürbe?  t^reien 
t[t  gut,  9tidbtfreien  ift  beffer.  @o  gebe  e§  aud^  in  ber 
^nnft  etlt)a§,  ha§>  beffer  fei  ol^  ^unftmerfe  machen.  ®a§ 
9Jiad^en,  ba§  i^m  fo  fd^ioer  tünrbe,  !onnte  i^m  oft  al§ 
etma§  e?einbfelige§,  §affen§H)ürbige§  erfc^einen.  ^mmer 
üergteid^t  er,  lüaS  man  fann,  mit  bem,  maS  man  t^un 
fönnte.  (Sr  rtiill  ja  nid^t§  al^  \iä)  äußern,  fic|  mitt^eilen. 
SSäre  ber  ^"'örper  nic^t,  biefer  fc^inere  SSor^ang,  ber  Seele 
üon  (Seele  trennt,  !^ätten  bie  9Jienfc£)en  einen  Sinn,  ber  fie 
befähigte,  fic^  gegenfeitig  unmittelbar  U)aljr5une^men,  brau(f)te 
man  feine  Itunft.  „^ct)  luollte,  e§  loäre  nicf)t  nött)tg,  ba^ 
xä)  bie  ^unft  treibe,  benn  tüir  füllen  über  bie  ^unft  t)inau§ 
«nb  man  loirb  fie  in  ber  (Siuigfeit  nic£)t  fennen." 

®ie  ^unftfrittfer,  bie  nac^  9tnnge'§  frühem  2;obe  ha^ 
SSort  über  t^n  ergriffen,  betonten  5Xtte,  ha^  feine  ^unft 
eine  ^unft  ber  3lrabegfe  fei.  Sn  ber  mobernen  Siteratur 
ift  e§  nic^t  anber§:  öiele  58üd)er  gletdien  retjenben  5Ira» 
beSfen,  benen  nichts  fe{)It  all  ber  fefte  Sern,  ben  fie  um» 
raufen  follteu.  3iei^rat§,  ^eforation,  loaS  aU  frönenber 
Sdimud  au§  bem  Stamme  berauSiuäc^ft,  ift  felbftänbig  ge= 
tüorben  unb  fd^ioanft  al§  ein  befrembenbeS  SSunber  in 
ber  Suft. 

„Unb  Joie  foHen  Juir  bie  SBeife  nennen,  in  ber  biefe 
S3ilber  gebacf)t  erfc^einen?"  9JJit  biefen  Söorten  befdilie^t 
ber  9Jil)ftifer  ©örre»  feine  begeifterte  ©efpred^ung   be§  öer= 


@l)m6oIijd)e  ^imft.  355 

ftorbenen  93?ater§.  „©offen  tülr  fie  2lral)e§fen  ^ei^en? 
Wn  ipürbeii  i£)m  Unrecht  t|un,  inbem  tütr,  tua§  tiefer  ©rnft 
unb  Sinn  gebübet,  öergleidjen  luoHten  mit  bcm,  n)n§  bloß 
au§  jptelenbem  ©d^erj  einer  Reitern  ^^ontaftif  |ert)or= 
gegangen.  SDie  9lrabe^fe  tft  SBalbblunie  in  bem  ^auber= 
lanbe,  bie  ^ö|ere  ^unft  aber  tüinbet  ßränje  au§  ben  SSIumen 
unb  frönet  bamtt  hk  ©ötterbilber. 

^Jiennen   lütr   fie   lieber   ba^er  ^ierogltip^if   ber  ^un[t, 
:|3la[tifc^e  ©ijtnbolit." 


23^ 


^ic  alte  aictigiott* 

fßlanäjt  Seute  Iftängen  tüol^I  barum  fo 
an  ber  iKotut,  reell  fie  al§  öeräogene  filnber 
ficö  Bor  bcm  SSater  fürchten  unb  ä"  bet 
aKutter  t^re  Sufluc^t  «e^mett. 

SRoBattg. 

„@in  SSeltumfegler  unfrei  Innern  irtrb  and)  tüotjt  nod^ 
etnmol  bte  Sfiunbung  unfrer  ©eele  entbecEen,  unb  ba^  mon 
notltüenbig  auf  benfelben  ^iintt  ber  2lu§fat)rt  surücffommen 
mu§,  tüenn  man  fic^  gar  ju  ttjeit  baoon  entfernen  tüiü." 
S)a§  altbefannte  SBort:  les  extremes  se  touehent  brüdt 
ba§feI6e  au0.  ©erabe  au§  bem  Greife  ber  9iomanttfer 
bieten  fid^  fo  btele  S3etf|3tele  baju,  tüeti  fie  eben  bie  2öelt= 
uuifegler  traren,  bie  mit  fiol^renber  golgertd^tigfeit  ben  beften 
©rünben  unb  ®rgebntffen  jeber  ©rfd^einung  nad^gtngen.  @o 
Ujurben  fie  gugleidö  bie  ©ntbeder  ber  öaterlänbifctjen  S3er» 
gangen^eit  niib  ber  fd^önen  grembe;  ba§  |)eimifc]^fte  njie  ba0 
9tii§Iänbifc^fte  nal^men  fie  in  bie  Sichtung  auf.  ©ie  iraren 
5ugleic§  uttra=bemofratifc^  unb  uttro^ariftofratifd^,  fd^tüuren 
ebenfo  treuer  auf  äu^erfte  S^ntürlid^fett,  tt^ie  auf  fiöc^fte 
^itnftlic&feit.  Unb  ba^in  gel^ört  e§,  ba§  i£)r  fül^ner,  alle 
©c^raiifen  ber  3(utorität  unb  be§  ^erfommen^  überfpringen= 
ber  Sorfc^ung^geift,  ber  ben  ©ebanfen  einer  neuen  S^eligion 
gu  f äffen  iragte,  bamit  enbigte,  in  ben  ^afen  ber  alten, 
ber  fat^olifc^en  einjufaufen. 

^m  Sebeu  jebe§  ©injelnen  !ann  man  ben  SÜSeg  Ujo^I 
h)at)rne(}men,  ben  feine  @eele  jurüdlegte,  um  gu  biefcm  Skh 
5U  gelangen. 


3)ie  alte  aJeligion.  357 

%kä,  ber  öon  jet)er  £)äufig  in  poetifd^e  Stimmungen 
üerfiel  imb  [id^  bann  don  feiner  aufgeftärt  öerftänbigen 
Umgebung  nic^t  oer[tanbcn  unb  angefäüet  füi^Ite,  äußerte 
al§  ^nabe  einem  feiner  Se^rer  gegenüber,  tük  gut  er  bie 
<5e^nfu(^t  eine§  t)om  Seben  oertüirrten  SJJenfd^en  mitfühlen 
fönne,  fic^  in  ein  ^llofter  gurücEäUsietien,  um  in  anbäc^tiger 
®(auben§oerfenfung  Siulje  §u  fud)en.  S)ie  (Sntrüftung  be§ 
tuül^Imetnenben  ^roteftanten,  bem  ber  tiebebebürftige  ^nabe 
nod^  ba§  meifte  SSerftänbniB  öon  Stilen  jugetraut  ^atte, 
beftär!te  iJ)n  in  feiner  SSorliebe  für  ha§  lueicfie,  tiefe  ®emüt^§' 
dement  im  ^atf)oIici§mug.  5lHen  feinen  unbeftimmten  Söün- 
fd^en  unb  ^Ijuungen,  bie  au§  ber  einfeitig  gebilbeten  ®egen- 
tuart  üerbannt  luaren,  fc^affte  feine  ^^antafie  fftaum  in  ber 
S3ergangeni)eit;  benn  bie  Slü^n^eit  unb  ^\-aft  befa§  er  ntd;t, 
mit  i^nen  hk  B^funft  ju  erobern,  if)nen  neue  formen  gu 
ft^affen.  @r  erging  fid^  mit  i^nen  in  ben  alten  Reiten, 
mit  benen  ber  ^at^otici§mu§  unjertrennlid^  öerbunben  tuar. 
@benfo  madöte  e§  fein  i^reunb  SBacfenrober.  Unbefriebigt 
öon  ber  Jslunft  ber  ©egenlrart,  befonber§  in  ber  Tiaitxd, 
tücnbete  er  fic^  uoH  Slnbad^t  jurücE  nad^  ben  alten  SJJeiftern 
unb  übernahm  ben  fatl)oIifd^en  ©lauben  geiuifferma^en  al§ 
9tequifit  ber  3eit,  in  ber  fie  lebten.  ®a|er  betonte  er 
immer  nur  ben  ©tauben  im  Sittgemeinen  aU  frud^tbar  für 
bie  ^unft  unb  i|r  öeriuanbt,  "ba^  e§  eben  ber  fattiotifc^e 
war,  unb  ba^  barau§  aUertei  gotgerungen  fii^  jie^en  tiefen, 
fiel  erft  bem  me^r  beobai^tenben  S;iecf  ein,  iüetci)er  benn 
aud^  in  ba§  Süc^tein  fcine§  greunbeS  jenen  93rief  einfügte, 
in  bem  i^xan^^  ©ternbatb  feinem  in  S^ürnberg  jurüifgebtiebenen 
greunbe  bie  SSeranlaffung  feineS  Uebertritt^  jum  fatl)otifdt)en 
<5)tauben  fd^itbert.  @r  erjä^lt,  lüie  oft  fd^on  feine  fat^otifd^e 
S3raut  in  tiebeootter  Stngft  ttin  angefleht  t)at,  feine  (Seele 
5U  retten;  loie  er  benn  einmal  in  bie  ^eter§!ir(^e  eintritt. 


358  ®ie  t^'te  9ie(igion. 

etgcntttd^  nur  um  [ie  511  fel)cn;  tüte  bann  aber  bte  g^eierltd^* 
!eit  ber  reltgiöfen  |)anblung,  bte  äRod^t  be§  ^e^ren  S3au§, 
bte  übertrbtfc^e  5[Rufi!  unb  ber  latetnifd^e  ©efang  i£in 
lriin!en  machen,  bte  tnetneftrömenbe  ^nbrunft  ber  anbetenben 
SJJenge,  ju  ber  auc^  bte  ©eltebte  gefiört,  t^n  ^inret^t,  ha^ 
er  mit  entjüdtem  unb  gerfnirf (fitem  ^er^en  gelobt,  t^ren 
Öitauben  ju  befennen.  „S)te  ^unft  l^at  mtd^  allmächtig 
^inübergejDgen,  unb  id^  barf  lüo^I  jagen,  ba^  ii^  nun  erft 
bie  S'unft  fo  rec^t  öerftei^e  unb  tnnerlid^  foffe." 

®amit,  baB  ^iecl  (Stimmungen  luie  biefe  jd^ilberte,  ift 
nid^t  betüiefen,  ba^  er  ^anblungen  tüte  biefe  ^ätte  ausführen 
fönnen.  ©elbft  tüenn  etlüa  fein  eine§  ^d)  x^n  baju  ge»- 
trieben  ^ätte,  toürbe  fein  anbre§  ©infprad^e  er£)oben  unb 
feine  entgegengefe|ten  S3ebürfniffe  geltenb  gemad^t  Iiaben. 
SBeil  er  in  bem  ftad^en  ^Berliner  ^roteftanti§mu§  S3c» 
friebigung  ber  bunfeln,  mäd^tigen  ®fauben§triebe  nid^t  fanb, 
tüottte  er  bod^  feine§ireg§  auf  bie  Siechte  feine§  feinen, 
aufmerffamen  SSerftanbe§,  auf  bie  {^reiJieit  ju  ^iroteftiren, 
öerjid^ten.  9^ic^t§  ärgerte  i^n  beSlüegen  me^r,  at§  tvmn 
fpäter  junge  Seute  mit  unfkren  mobifd^en  Uebcrtrittggelüften 
fic^  auf  i|n  beriefen.  S)a§  mag  ifim  geiuefen  fein,  al§> 
tuenn  ctma  aUe  ©elbftmörber  in  ber  SBertljerjeit  ©oet^e  für 
i^r  SSorbilb  l^ätten  erftären  Ujolten. 

@ine  biird^  unb  burd^  proteftantifd^e  5Jiatur  lüar  SBit^elm 
©d^Iegel.  D^ne  alle  SJi^ftif,  ol^ne  alle  ©e^nfud^t  nad^ 
Söitbern  unb  gormen,  bie  ettva^  unau§fpred£)Itd^  in  i^m 
Sogenbe§  aulgebrüdt  l)ätten.  @r  unb  S^arotine,  bie  mit 
i^rem  unmittelbaren  SfJaturjufammenljang  Ijeibnifc^  im  ®oet|e* 
fd^en  @inne  genannt  tuerbcn  tonnte,  tarnen  gan§  unbefangen 
unb  5ufällig  baju,  firf;  in  hk  ©d^önfjeit  ber  fatljolifd^en 
Söelt  §u  bertiefen.  'äU  fie  in  2)re§ben  bie  (SJemälbe  ftubirten, 
njurben  fie  mit  ^iotiimeubigfeit  barauf  Jiingefü^rt.  ^arolinen'ä 


S)ie  nitc  aJeliflion.  359 

?(nbad)t  öor  ber  ©ii-ttnt[d^cn  SWabonna  bercinta^te  2BiIt)eIm 
511  ber  33emerfun9:  „©ie  finb  in  65efat)r  fatloltfc^  ju 
lücrbcn",  tuorauf  fie  jur  Slntluort  gtebt:  „2Bie  bann  unb 
toann  fieibnifc^.  @§  ift  fein  ©efatjr  b,abei,  tpo  3ftafael  ber 
^rie[ter  ift."  ®a  f)at  man  gan^  ben  mobernen  SJienfdjen, 
ber  fi(f)  nad^  33elteben  fat^otifdj  ober  (jetbnifcl  [tinimen 
fann.  ^id)t§>  unterjdieibet  fo  feljr  9J?enfd^cn  ^ofier  Kultur 
öom  SfJoturmenfdjen ,  ber  etuiaä  i[t,  etlua»  fein  mu^,  meil 
er  ben  blinben  SBillen  ba^u  in  [td)  :§at;  tpir  fönnen  un§ 
unb  bie  SBelt  überblirfen  unb  in  bie  äatitlofm  SKctamor« 
^^ofen,  burd^  bie  tuir  im  Saufe  unfrer  ©nünidelung  ^in- 
burdigegangen  finb,  un§  fpielenb  |ineinträumen.  ßianj 
parteilog  oerglid)  3Bi(öeIm  ha?/  (Sntftei)en  ber  proteftantifc^en 
9ietigion  mit  bem  erften  3Iuffommen  be§  ßi)riftent^m§ 
überl^aiipt,  unb  fein  eigene^  ©efü^I  bem  ^at|Dlici§mu§ 
gegenüber  mit  bem,  roeldiem  ©exilier  in  ben  ©öttern 
(SJriec^enlanby  ?lu§brud  gegeben  ^abt. 

3Inber§  mar  e§  mit  (^riebric^.  @r  Jiatte  jmar  aU 
5ttl!)eift  begonnen,  bann  aber  einen  Umfc^Uning  erlebt  unb 
fül^Ite  ftd^  jum  9teIigion§Ief)rcr  berufen,  ^üv  bie  unge!^eure 
9J?affe  bon  3^^^"/  bie  in  i^m  aufgefpeid^ert  maren,  fud^te 
er  beftänbig  nac^  jufammenfaffenben,  einrei^enben  S3e= 
jeid^nungen,  u>enn  er  fic^  luiffenfd^aftlicE)  auSfprec^en  follte. 
Sn  ganj  äfinlic^er  SBeife  fud^te  er  nac^  ©tjmbolen  für  bie 
fünftlerifc^e  9JältI)eiIung.  (£r,  ber  fein  S)id)ter  mar,  fa^ 
bie  9)?ittet  unb  gn^igfeiten  fünftterifd^en  ©d^affenS  gu  fe^r 
in  änf^erlii^en  fingen.  ©0  fam  er  jum  ©cCituffe,  ba§  e§ 
oorne^mlidE)  an  bem  3}?anget  ber  ©tjmbote  läge,  menn  bie 
fünftferifd[)en  ^eröorbringungen  ber  9}tobernen,  mit  ben 
antifen  unb  mittela(terlid)en  nid^t  511  Dergleichen  mären. 
D^ne  3>i?eifel  ift  e§  bem  Sl'ünftler  bequem,  {a  bt§  ju  einem 
gemiffen   ®rabe  notfimenbig,   ma§  jeber  fütilt,    aber  feiner 


360  ®ie  afte  9teIigion. 

fagen  fann,  in  allgemetn  öerftänblic^e  S3ilber  einäutleiben. 
'ülüä)  blatten  ja  l^atfäc^Iid^  aUe  ®id^ter  unb  J^ünfller,  beneit 
bie  SDiabonim,  bte  ^eiligen  unb  (Sngel  be§  fat^olifd^en 
§tmtnel§  fern[tanben,  auf  bie  alten  ipeibengötter,  griec^ifc^e, 
ja  fogar  gerinanifd^e  jurüdgegriffen.  griebricf)'^  3}ieinung 
War  nun,  bie  neue  9?eItgion,  bie  un§  entfprec^e,  muffe  aud) 
ifjre  neue  9}it)t^ologie  mit  fid^  führen.  Unb  leuchtet  ha§' 
nidit  alg  ein  5utreffenber  unb  tjro^artiger  ®eban!e  ein, 
hal^  aud^  bie  $Ratur  unb  ber  ®eift  mit  itjren  Straften,  föie 
lüir  fie  fennen,  in  eiüigen  ÖJeftalten  unb  Silbern  follte 
erfd^einen  fönnen?  @§  lag  aber  um  fo  nä^er,  ficf)  ber  fd^on  hü' 
gelüefenen  ju  bebtenen,  al§  bie  näc^ftliegenbe  S^orjeit  beinah  au§« 
fd^Iie^Iid^  bie  antifen  gebraud^t  l^atte  unb  hk  mittelalterlid^= 
fat^oüfc^en  ganj  gut  für  neu  unb  unabgegriffen  gelten 
fonnten.  2)ie  9JJenfdE)i)eit  |3flegt  ja  nad^  geiüiffen  3iüif£^en- 
jjaufen  immer  il^ren  alten  §au§rat^  öon  ^hnn  ittieber  ^eröor* 
gufud^en,  fo  mie  ^inber  ein  uralte§,  t)erftaubte§,  in  ber 
9tumpelfammer  lieber  aufgefunbene§  ©pieljeug  bem  fd^önen 
neuen  üoräiel^en;  e§  liegt  ein  buftiger  ©rinnerungSgoIbglanj 
barüber.  ^uc^  SBil^elm  ^atte  im  Slnfang  mit  ^romet^eu§, 
Stp|robite,  ben  ÜJiufen  unb  ®ra5ien  ge)r)irt{)fc|aftet.  Slber 
bie  unnennbaren  unenblid^en  ©eelenftimmungen  mürben 
burd^  biefe  :plaftifd^en  ©eftatten  nid^t  gebedt.  S)a§  j^einfte 
ha^  Qaxk'ik,  gerabe  ba§  SSidEitigfte  blieb  immer  ungefagt. 
(^  S)ie  9iDmantif  mar  ja  ein  neu  erfte^enbe§  9J?itteIaIter. 
SSie  natürlich,  ha'^  mit  gauft  unb  mit  @ö|  unb  ber  i^eiligen 
SSe^me  auc^  Ö^ott  unb  ber  Seufel  unb  i^r  ganje^  ©efolge 
gurüdfeljrten.  (£§  ift  eine  Ütenaiffance  lüie  bie  be§  15.  ^a^r- 
^unbertg,  nur  ta'^  man  bamal§  ba§  5lltert§um  neu  belebte, 
tueil  man  ben  mittelalterticEien  Sbealen  entmad^fen  luar, 
je^t  ba§  SJiittelatter.  jDie  antife  unb  bie  mittelalterlid^c 
9}?t)tt)Dlogie    finb    bie    Ur-Symbole    oon   yiotur    unb   (Seift, 


35ie  olte  ÜMigton.  361 

mit  benen  bte  SRenfc^Ijeit  ablued)felu  loirb,  bt§  e§  iijx  gelingt, 
in  einer  brüten  beibe  ju  üerfdimcläen.  3(u[  (Generationen 
öon  ooräugyiueife  i^anbelnben  unb  nad)  au^en  lebenben 
9}ienfcf)en  folgten  je^t  jüngere,  bie  me^r  na6)  innen  fc^auten, 
16efct)auli(^e,  bentenbe,  jlyeifelnbe,  jluiefpaltige  ©eelen,  bie 
für  bie  öon  it^ren  ©ttern  unb  SSoreltern  oerfeljerte  Qeit 
ft)mpat§ifc^e!§  85er[tänbni^  Ijatten  unb  ben  Sinn  ber  @t)mboIe 
rafc^  begriffen,  bie  it;nen  öon  einigen  öorfc^auenbeu,  fpüren- 
ben  5tnfüt)reru  gejeigt  luurben.  ®ie  ^immltfd^e  ©eftalt  ber 
göttlichen  ^itugfrau,  ber  bie  9tomanti!er  auf  fo  öielen  ber 
beiuunberten  Silber  öergangener  Sa^v^uuberte  begegnet  lüaren, 
fd^iüebt  nun  burc^  9fJoöa(i§'  geiftlic^e  Sieber: 

2Ba§  ^ab'  iä)  9(rnier  bir  getljau? 

9?D^  bet'  \d]  btd)  üdH  ©e£)nfud)t  an, 

©inb  beine  ^^eiltgen  ÄapeUen 

5Rid)t  meines  SebenS  Ütu^eftelTen? 

©ebenbeite  i^önigin, 

Stimm  biefeS  ^erj  mit  biejem  i!eben  ^in! 

5)u  meißt,  geliebte  Königin, 

Si3te  id)  fo  gattj  bein  eigen  bin. 

^ab'  id)  nid)t  fdion  feit  langen  ^a^ren 

^m  ©tiHen  beine  §nlb  evfa£)ven'? 

2I(ö  id)  faum  meiner  nod)  Beiunfjt, 

©og  ic^  fd)on  SSliid)  an§:  beiner  fel'gen  33ruft. 

SDie  Jungfrau  9}Jaria  fing  an  biefen  ^roteftanten  ganj  Oer^ 
traut  ju  luerben.  3iac^  beut  S^obe  ber  üeineu  3Iugufte  empfahl 
2Si(|e(m  ©erleget  in  einem  jartgebac^ten  ©ebtc^te  ta§>  geliebte 
^inb,  'i)a§'  ber  järtlid^en  gürforge  feiner  irbifctien  9}?utter 
entriffen  lüar,  bem  güteoolten  ^erjeu  jener  fiimmlifd^en 
broben.  ©in  ganjeS  Panorama  ber  mittelalterlicl'fatljolifd^en 
SBelt  breitete  2iecf  in  feiner  ©enoöeoa  au§.  ®a§  ^netnanber- 
übergef^en   ber   entgegengefe^ten   2;riebe    unb  Seibenfc^aften, 


362  5)ie  oltc  9ic(igion. 

ba§  ^Ineinanbergrenjen  öon  ^eiligfett  unb  ©innltcfiteit  locfte 
tfin  511  bte[em  Segenbenftoffe.  ©ine  l^eimtidie  ©lut^  follte 
bie  93ruft  ber  feufctien  ©enoüetia,  tl^r  felbft  ^alb  unfcelru^t, 
um{)iillen;  tnbrünfttge  flammen  brennen  in  t|rem  SDMbc^en- 
l^er^en,  öon  benen  fie  jelb[t  nid^t  lüei§,  ob  fie  bem  ^etlanb 
ober  bem  unbefannten  ©eliebten  gelten.  <Sie  bebt  üor  ©d^am 
in  ben  Firmen  t§re§  üere^rten  ®ema:^I§  unb  felint  fic^  nad^ 
ber  öerje^renben,  töbtltd^  i^r  2Be[en  auffaugenben  SeibenfcEiaft 
®dIo'§,  Den  fie  fuc^t  unb  fliegt,  ©olo  felbft  foate  ber  ^elb 
fein,  bem  ade  ^erjen  gefatleu,  ben  bie  9?atur  gum  ^i)nig 
ber  @rbe  gefc^affen  i^atte,  unb  ber,  wag  SfJiemanb  anber§ 
öermodfit  ^ätte,  mit  bömonifc^er  Suft  fic^  felber  §u  ©runbe 
richtet,  um  gulelt  al§  S3ü§er  tuidig  ju  fterben.  Ueber  bem 
blüf)enbften  SebenSbrangc  fottte  ha^  ^reuj  erfd^etnen  al§ 
@t)mboI  ber  9J?arter  unb  beg  Dpfertobe§,  mit  ben  jüf3eften, 
!^infterbenb[ten  SiebeSitebern  fpldten  firf)  ©efönge  reuiger 
©ntfagung  öermijd^en.  ^Jid^t  bn§  Stied  5IIIe§  bie§  tüirflid^ 
barge[tetlt  l}ätte;  man  merft  nur,  ha'^  er  e§  beabfi(f)tigte. 
5K?enn  bie  attc^riftlid^en  gelben  in  ber  ©enoöeöo  mit  @e^n* 
l'udfit  öon  ben  frommen  50cännern  ber  SSor^eit  fpre(^en,  bie 
fie  eben  tiorfteüen  foHten,  Oerrät£)  Sied,  ha^  er  felbft  nid^t 
mitte(aIterIid^'!at§DlifdE)  empfanb,  nur  ©eljnfud^t  uad^  einem 
füllten  naioen  ©lauben  ^atte.  Unb  tüa§  tuar  e§,  ha^  bie 
Senenfer  ©tubenten  fo  entjücfte,  bie  in  ber  9!JiitteruadE)t§- 
ftunbe  ha§>  „trefflid^e  2Ber!"  unter  3lnbac^t  unb  "^s^bd  5U- 
famnien  lafen?  Sie  fa|en  eine  l^^forte  fi^  Quftljun  unb 
föftlid)  bunte  ©eftalten  barauS  l^eröorroaften  mit  einem 
^auä)  unnennbaren  Seben§,  leibenfdiaftlii^,  geiieimni^ooll; 
ha^  SJeid^  ber  UnbetnuBten ,  ba§  lange  oerfcf)üttet  geloefen 
mar,  ftieg  mieber  an'g  i^idEit  Ijcrüor.  S3iele  öon  iljnen  morf)ten 
fic^  eiubilben,  mit  ber  SBiebereinfüfjrung  be§  fat^iolifd^en 
(Staubend   mürbe  ouc^   bie  gauje  ^rojeffion  ebler  ®oltel* 


®te  nite  SicHcjion.  363 

ftreiter,  umubcrtßättger  ^eiliger,  barmherziger  grauen  Jüieber 
ü6er  bte  @rbe  jie^en. 

2Bie  menig  bie  Sftomontifer  on  eine  t£)atfäcJ)Ii(f)e  3Sieber= 
einfüörung  backten,  fann  man  an  bem  (Sinbrucf  fe^en,  ben 
eine  fletne  Schrift  Don  9fD0aIi§  mad^te,  bte  er  unter  bem 
%itet:  ®ie  (I^rt[trn[)eit  ober  ©uropa,  ein  (Fragment;  im 
Sa^re  1799  tn'§  2tt()ennum  riicfen  inoHte.  5(n  biefer  @d)rtft 
ift  üieHeicI^t  bal  aug^ufe^en,  bnf3  bte  2BeItgef(f)tcf)te  bavtn 
oon  einem  ju  f)oben  ©tanbpunfte  au§  überblicft  tütrb. 
9^ot)aIt§  betrachtet  bte  Beit  be§  nngebrodienen  ^atl}Dlici§mu§ 
aU  bie  Qdt  ber  Sintracfit  —  ber  (Sintrac^t  oor  ber  Spaltung 
—  atfo  geuiiffermaßen  ber  beiuufetlofen,  notfimenbtgen  unb 
beS^alb  üerbicnftfofen  unb  un[i(f)eren  SSof[fommenl)ett.  ®er 
$rote[tantismu§  ift  nun  bie  Spaltung,  an  [id^  t)ä§Iicf)  unb 
beflagenStüertf),  aber  not^lüenbtg  aU  9KitteI  jnm  ^^necf,  aU 
erftc§  ©Qmptom  be§  Setbltbciuu^tUierbenS.  Seüor  fte^t  nun 
eine  Söieberüereinigung  —  9^oöaIi§  glaubte  fie  fc^on  naf)e  — , 
eine  betini^te  itnb  freie  ®int)eit,  ein  neuer  ^at^oIict§mu§, 
aber  eben  ein  neuer,  ©o  öerfd^ieben  Oom  alten,  tute  be= 
lou^te  ^Südtommenljett  öon  unbetuu^ter,  wie  ein  fettiger 
oon  einem  fleinen  ^inbe.  jDaS  ift  etma  ber  nadte  ©ebonfeus 
gang  be§  ^öd^ft  farbigen,  prädf)tigen  ^rofa-^it^l)rambu§. 

„@§  mar  eine  fct)öne,  glänjenbe  ^eit,  lüo  Suropo  ein 
(^riftttc^cS  Sanb  mar,  wo  eine  d^rtften^ett  biefen  menfd;(id[) 
geftatteten  55>e(ttlKtI  beiuo^nte;  ein  gro§e§  gemeinfd^aft(ic^e§ 
^ntereffe  t^erbanb  bie  entlegenftcn  ^rottinjen  biefe§  meiten 
geiftli(f)en  3fteid)e§."  ©o  beginnt  er  mit  einer  ibealiftrenben 
©c^ttbernng  be§  9)iittelnlter§.  ©anj  perfönltc^e  (Siinnerungen 
Hingen  rü^rcnb  an,  wo  er  ben  fd^önen  menfdilic^en  @inn 
be§  üerpönten  9teliquiengtauben§  erläutert:  „@o  beiüaf)ren 
liebenbe  Seelen  Socfen  ober  ©c^rift^üge  it^rer  üerftorbenen 
(SJeliebten   unb   nähren    bie   fü^e  ®Iut£)   bamit  bi§   an  ben 


364  ®ie  alte  DJeligion. 

ttjieberöereinigenben  Sob.  Tlan  fammelte  mit  inniger  Sorg- 
falt überaß,  ioa§  bicjen  geliebten  ©eelen  angehört  ^atte, 
unb  Seber  prieg  fic^  glürflic^,  ber  eine  jo  tröftlic^e  Steliquie 
erhalten  ober  nur  berüJiren  fonnte.  §in  unb  loieber  fc£)ien 
fi(^  bie  ^immlifcfie  (SJnabe  öorjüglid^  auf  ein  feltfame§  S3ilb 
ober  einen  ®rab§üget  niebergelaffen  gu  ^aben.  S)Drtl§in 
ftrömten  au§  allen  ©egenben  ajienfc^en  mit  fd^önen  ©aben 
unb  brachten  ^immlifc^e  ©egengefd^enfe:  {^rieben  ber  ©eele 
unb  ©efunb^eit  be§  Setbe§  gurüd." 

SBenn  fid^  3^oOaIi§  aber  aud^  ein  ^'i)tai  biefer  3eit 
bilben  fonnte,  überfal^  er  boc^  nid^t,  roie  luenig  bie  SBirf- 
lid^feit  i^m  gteid^gefommen  loar:  „9iod^  loar  bie  SJienji^fieit 
für  hielte  tjerrlid^e  ditid)  nic^t  reif,  nic^t  gebilbet  genug. 
6§  wax  eine  erfte  Siebe,  bie  im  SDrude  beä  ®efc^äft§Ieben§ 
entfrfilummerte." 

SDen  @runbfe!^(er  be§  ^roteftanti§mu§  nennt  er  bte 
SSergötterung  be§  S8ucöftaben§  burc^  Meingültigfeit  ber 
S3ibel,  n)0§  bem  l^eiligen  @Jeift  bie  freie  iöetebung,  @in=" 
bringung  unb  Offenbarung  erfc^n^ert  ^aht.  Tlan  fonnte 
mit  anbern  SBorten  fagen,  e§  toar  eine  5Iu§fct)Iie^ung,  SSer- 
fd^üttung  Der  unerfc^öpflid^en  Duellen  be§  Unben)u|ten  im 
äJienfd^en  gu  ©unften  be§  58erftanbe§,  ber  o^ne  biefe 
S^ia^rung  Oerioelft  ober  erftarrt. 

2lt§  befonberg  anftö^ig  mod^te  ben  greunben  bie  merf= 
JDürbige  Stelle  erfc^einen,  too  9toüaIi§  ben  ^efuitenorben 
oerl^errlid^t:  „@mig  luirb  biefe  ©efellfcfiaft  ein  SöJufter  aller 
@efellf(^aften  fein,  W  eine  organifc^e  ©etinfud^t  nad^  un* 
enblidl)er  5ßerbreitung  unb  eiuiger  Sauer  füllen,  aber  auf 
ctoig  ein  SSeiueig,  bajs  bie  unbetoac^te  Sdt  allein  bie  flügften 

Unterneljmnngen   üereitelt ^t^t   fdilöft  er,    biefer 

furchtbare  Drben,  in  armfeltger  ©eftalt  on  ber  ©renje  oon 
Guropa,  oielleid^t  ha'^  er  oon  baf)er  fic^,  ioie  ha?:  Solf,  ba§ 


Sie  alte  akligion.  365 

tön  befc^ü^t,  mit  neuer  ®ertialt  fid^  über  feine  alte  ^etmatl), 
ötelleic^t  unter  anberm  ^lamen,  berbreitet." 

5?n  ber  ©ei^elung  ber  21ufflärung§seit  Ratten  alle  9to= 
manttfer  Hebung.  „"S^er  9tetigion§^a§  bel)nte  fic^  fet)r  na- 
türlid^  unb  folgcred^t  auf  alle  (Segenftänbe  be§  @ntf)uf{a§mu§ 
au§,  oerfe^erte  ^Jö^ntafie  unb  ©efüljl,  ©ittlic^fett  unb 
^unftliebe,  3»fu"^t  ""^  S^orjeit,  fe|te  ben  9}?en[c^en  in  ber 
fRetfie  ber  9^aturluefen  mit  9iot^  obenan  unb  mad^te  bie 
unenbli(f)e  fd^öpferifd^e  93Jufif  be§  3BeIta(I§  jum  einförmigen 
klappern  einer  ungeheuren  SJJü^Ie,  bie,  bom  ©trome  be§ 
3ufall§  getrieben  unb  auf  ii^m  fc^tnimmenb,  eine  SD^ül^Ie  an 
fic^,  o^ne  S3aumeifter  unb  Wiiüev,  unb  eigenttid^  uned^te§ 
Perpetuum  mobile,  eine  fid^  felbft  ma^Ienbe  9}?ü^Ie  ift." 

©eine  äu^erfte  ©pi|e  erreicE)t  ber  ^roteftantiSmuS  in 
ber  franjöfifd^fu  Steöolution.  SIber  eben  fie,  unb  bie§  tvax 
aud^  eine  olte  2iebling§anfid^t  griebrid^  ©d^tegel'?,  ift  ^eil» 
bringenb,  inbem  fie  ben  Umfc^inung  not^toenbig  mad^t. 
S)enn:  „2Bal)r^afte  ?(nard^ie  ift  ha§  3eugung§etemcnt  ber 
Sfieligion.  2lu§  ber  S!?erni(^tung  alleS  ^ofitiöen  l^ebt  fie  i^r 
glorreichem  ^aupt  al§  neue  SBeltftifterin  empor."  SDarum, 
nac^bem  hit  unfrud^tbare,  gerftörenbe  3eit  üorüber  ift,  ge» 
bü^rt  aud^  iljren  SSerbienften  ?tnerfennnng.  „^t^t  ftefien 
tüii  'i)oä)  genug,  um  auc^  jener  obenerträ^nten,  öorlöer»' 
gegongenen  ^eit  freunblid^  jujulöcfieln  —  banfbar  motten 
Wh  jenen  ®elet)rten  unb  ^tjilofop^en  bie  |)änbe  brücfen. 
9?ei5enb  unb  farbiger  fte^t  bie  ^oefie  tüie  ein  gefd)mücfte§ 
^nbien  ben  falten,  tobten  ©pipergen  jeneS  ©tubenöerftanbeS 
gegenüber." 

@§  folgt  jum  ©d^Iuffe  bie  cntjüdte,  fehlerhafte  ^ropl^e^ 
geiung  ber  neuen  9teIigtDn.  „©ott  ber  ^roteftanti§mu§ 
nid^t  enbli(^  aufhören  unb  einer  neuen,  bauer^often  ^ird^e 
$Ia^    madjen?    —   —  —    2)ie    ©i)riften|eit   mu^   inieber 


366  5)it  eilte  SieUgion. 

lebenbtg  unb  tnirffam  werben  unb  fid^  tüteber  eine  fid^tbarc 
Kirche  btiben,  bie  alle  naä)  bem  Ueberirbtfd^en  bur[ttgen 
©eelen  in  i^rcn  @d^o^  aufnimmt  unb  gur  SSermittlerin  ber 
alten  unb  neuen  Sßelt  tuirb." 

Sfiod^  eifrigen  Debatten  luurbe,  namentlid^  auc^  auf 
©oet^e'g  ©c^iebgfprucJ)  ^in,  hk  ©uropa  nid^t  in  ba§  ?lt^e* 
näum  aufgenommen,  hod)  tDo^I  nieil  mnn  eine  Slufforberung 
barin  fab,  jum  ^ot^olici^mu^  Surüd^ufe^ren,  ober  luenigftenS 
fürchtete,  e§  fönne  fo  aufgelegt  tuerbeu.  9J?an  lüunbert  fid^, 
ba^  biefe  (S(^rift  fo  mi^ücrftanben  lüerben  fonnte.  5ludE)  in 
fpäterer  3eit  traten  bie  proteftantifc^en  ^^reunbe  be§  oer- 
ftorbenen  ®ic^ter§  gern  etlua§  geheim  bamit,  um  5U  t)er= 
pten,  ha^  Ut  Sonoertiteu  fie  aU  93eiDei§  für  D'ioüalis' 
fat^o(ifd)e  Öiefinnung  benü|ten. 

griebric^  @dE)IegeI  war  ju  fc^U'er,  träge  unb  grünblid^, 
um  nur  ^u  fpielen;  er  marf)te  mit  ad  ben  Stimmungen, 
^^antafien  unb  ©ebanfenträumen  ©ruft.  (Sine  befonbere 
Stellung  jum  ^atJ)oliciömu§  ^atte  er,  folange  er  fid^  nod^ 
mit  ber  ©rünbung  ber  neuen  Stetigion  befd^äftigte,  nic^t 
genommen,  ©rabeju  antifat^olifd)  Ijatte  fid^  ©orot^ea  Her- 
nehmen loffen.  Sür  fie,  bie  :p!^antafieöotte,  aber  im  S)enfen 
an(e|nung»bebürftige  t^vau,  t)atte  jtoar  ber  ®ebanfe  etmag 
SleijenbeS,  einen  ©tauben  gu  t)aben,  nod^  baju  ein  unb 
benfelben  mit  j^riebric^.  @te  luäre  gern  auf  ©c^Ieier* 
mac^er'S  ißorfteHungeu  eingegangen,  ber  i^r  jurebete,  pro= 
teftantifcl)  ju  lüerben,  ^ätte  fie  nid^t  auf  i^ren  guten,  reb- 
liefen  SJiann,  (Simon  SSeit,  9tüc!)i(^t  nehmen  rootleu,  ber 
gwar  bur(^aug  fein  bef darauf ter,  uubulbfamer  ^ube  tuar, 
aber  eg,  etma  im  Sinne  be§  alten  9}iüfe§  3}?enbeI§fot}n, 
überflüffig  gefunben  ^ätte,  feine  ©laubenägenoffen  §u  oer= 
laffen,  nur  um  eine  ^orm  ju  lued^feln,  bur(^  hie  ber  eigent^ 
lid^e  ^ern  unb  SSert^  be§  9J?enfd;en  nic^t  oeränbert  loerben 


SDie  alte  9}eIigion.  367 

fonntc.  ©päter,  aU  fie  mit  grtebric^  in  ^:]ßari§  raar,  öer- 
ftänbnif5lo&  unb  uiiüerftanbcn,  üereinfami  —  f^riebrtdE)  be» 
trachtete  fic^  „aU  ^bediften  ober  ^oeten  in  partibus  in- 
fidelium"  unb  fc^rieb  feinem  S3ruber  öon  bem  ©lep^anten 
in  ber  ajJenagerie,  er  )^abe  if)m  oiel  5l(±)tung  unb  X^tiU 
nal}me  eingeflößt  unb  fei  näc^ft  i^m  unftieitig  berienige, 
tueld^er  am  n^enigften  ^ier  gu  .'^^an\t  gehöre  —  füllte  fie 
nod)  me^r  at§  fonft  ba§  Sebürfuiß  nacf)  einer  innerlid^en 
Stü^e.  @ie  Io§  öiel  in  ber  Sibel  unb  fcfirieb  an  ©c^Ieier^» 
mac^er,  'i)a§  :proteftantif(f)e  (5^riftentl)um  ge^e  fie  üiel  me^r 
an  all  ha^  fat^olifd^e,  tueli^el  Diel  Sle^nlic^feit  mit  bem 
^ubentfium  ^ahe,  „ba§  tcf)  öerabfcfieue".  Sm  ^er§en  fei 
fie  ^roteftantin,  I}alte  aber  ein  öffentltd^e§  93efenntniß  für 
überflüfftg,  tuortn  iljr  fogar  „fat^olifc^e  Dftentation,  ^errfdt)- 
fud^t  unb  ©itelfeit"  ju  liegen  fd^eine. 

Db  nun  ein  fold^er  ^ang  jur  Oftentation  atlmäüg  in 
il^r  rege  n)urbe  ober  f(^on  immer  in  t|r  oerborgen  geiuefen 
toax,  im  Sllpiil  1804  ließ  fie  fic^  proteftantifc^  laufen. 
S^lidit  §tt)ei  Qa^re  fpäter  marf  iljre  greunbin,  grau  ^rofeffor 
^aulug,  mit  ber  fie  oon  ^ena  ber  innig  befreunbet  tuar, 
i^r  üor,  fie  laffe  fic^  öon  ber  mobernen  fat^oüfc^en  2But^ 
l^inreißen,  n)orauf  5)orot^ea  fe^r  gereijt  unb  mit  einem 
DoIIftänbigen  3JJangeI  an  Sogif,  Ä'enntniß  unb  33ele§rbarfeit 
ontiuortete. 

„Ob  id)  glaube,  fragft  bu,  baß  bie  emige  ^"9^0^  im 
fat^oUfcfien  ©lauben  ftäfe?  greilid^  glaube  id)  ha^  —  — 
e§  ift  merfiüürbig  genug,  UJte  bie  fat^oüfc^en  ©icfiter  fo 
big  in  ba§  fpätefte  2l(ter  in  üoller  S^genbfraft  blühten, 
datberon  ift  über  80  ^atjxt  alt  geiüorben,  unb  feine  legten 
©ac^en  finb  öon  ben  ^ugenbfac^en  an  Slraft  nid^t  ju  unter* 
fc^eiben.  derüantel  luar  fo  olt,  al§  jegt  ©oet^e  ift,  aU 
er  ben  erften  Sf)eU  beg  2)on  Duigote  fd^rieb.    dagegen  ift 


368  2)ic  alte  Sieligion. 

in  ©^afejpeare,  bem  er[ten  ber  |)roteftantlfc^en  5)td^ter,  felir 
Bemerfbar,  nüe  [eine  ^ugenbfad^en  gegen  feine  im  5Uter 
geid^riebenen  abfledjen." 

„Sd^on  ireil  er  fo  uralt  ift,  §ie|e  id)  bcn  ^al!^Dlici#mu§ 
öor.     5me§  9^eue  taugt  nic|t§." 

„Ob  id)  glaube,  fragft  bu,  bo§  bie  fünfte  in  ^eutfcE)- 
lanb  eine  t^ol^t  be§  K'at^oIici§mu§  feien?  5lIIerbing§ 
glaube  id)  ha§.  2Senigften§  finb  fie  mit  bem  .^at^oIici§mu§ 
derfunfen,  fo  mie  fie  mit  biefem  geblüht  ^aben.  5lIIe§  ift 
fd^Iec^t  feitbem,  ja  S)eutfd^Ianb  f eiber  ift  baran  ju  ©runbe 
gegangen  unb  feine  ^raft  unb  fein  SBiffe  me^r  barin,  aB 
etttja  xiüd)  in  bem  ungtücflic^en,  iinterbrücften  unb  betrogenen 
Steft,  lüo  auc^  ein  f (einer  ©djimmer  jene§  alten  (SJIaubenS 
nod^  fparfam  glimmt." 

'äU  grau  ^aulu§  fid^  nid^t  enthalten  fonnte,  ^orot^ea 
baran  gu  erinnern,  ha^  ^^riebric^  einftmaB  eine  neue  'Ste^ 
ligion  f)abe  ftiften  tnoHen,  antn^ortete  fie  mit  ber  frö^Iid^en 
©ic^erfieit,  bie  naioen  2tugenblicfgmenfd^en  eigen  ift,  ha?' 
fönne  er  nid^t  geiuollt  fiaben;  toenn  er  öon  ^Religion  ge- 
fprod^en  l^abe,  fo  fei  e§  immer  bie  alte  gemefen.  griebric^, 
bem  geftjiegten  Genfer,  mod^te  bie  unbefangene  Selueigfül^rung 
benn  bod^  peinli(^  fein,  unb  mit  einem  9teft  feineS  alten 
greimut^g  fügte  er  i^ren  fanatifd^en  S3raöaben  bie  9f?ad^= 
fd^rift  bei:  „^n  S^re  bogmatifc^en  ©treitigfeiten  mit  meiner 
i^rau  mifd;e  id^  mic^  nid^t.  @ie  feljen  felbft,  n)a§  @ie  fid^ 
für  eine  ^srebigt  jugejogen  traben.  SSenn  Sie  un§  für 
cttt)a§  ^parteiifd^  galten  für  bie  ^at^olifen,  fo  mufe  id)  nur 
geftel^en,  ba^  ba»  jum  Z^di  ber  gati  ift  au§  perfönlid^er 
greunbfd^aft.  S)iefe  allgemeine  5ld^tung  unb  biefe  l^erjUd^e 
greunbfc^aft  fanb  ic^  nur  bei  biefen  fe^r  tjerbammten 
a^enfdjen." 

2)orot^ea  l^attc  ha^  2;afent,  fotc^e  offene  ^HQ^flönbuiffc 


S)ie  alte  DJeligion.  369 

ti^reS  Tlaxmt^  öötitg  5U  überfe^en.  Sie  wax  ftet§  bereit, 
jebc  feiner  Stbfic^ten  unb  93?einungen  Oor  fic^,  i^m  unb  ber 
SBett  §u  öerflären.  ^n  ber  Hoffnung,  freunblic|e  ^^(ufnaöme 
unb  Unter[tü^ung  in  Defterreic^  ju  finben,  ging  er  mit  beut 
^ian  um,  ein  SDrama  5U  fc^reiben,  in  bem  ^axi  Y.  oer= 
j^errtic^t  mürbe.  „2Bie  rü^renb",  fctirieb  fie,  fogleic^  geuer 
unb  Stamme  bafür,  um  i^n  in  bem  ®ebanfen  §u  beftärten, 
„mar  mir  gleich  biefer  janfte  fönigüc^e  öelb  in  feinem 
Jlampfe  gegen  bie  fc^lec^te  3eit,  bie  er  üergeblic^  aufjuEiaÜen 
bemiil)t  mar;  lüie  Iragifc^  unb  ^eilig,  ha^  er  enbtic^  er= 
mattet  unb  no(^  liebeDotl  biefen  ganjen  ^ampf  gegen  fic^ 
felbft  luenbet  unb  burc^  feine  Sü^ung  öerfuc^t,  ben  i2)iininei 
ju  öerfö^neu." 

®a§  SRerfiüürbigfte  ift,  lüie  in  bem  Tla^t,  a(»  ber 
Fanatismus  fic^  in  i^r  entiuicfelte,  jebe§  anbre  ®efüf)(,  öon 
ber  Siebe  gu  griebrid)  abgefe^en,  jeDe  ^Rücffic^t  auf  greunbe 
anb  5{nge^örige  abnahm.  2In  8c^leiermac^er,  ber  ber  neuen 
SBenbung  nid^t  ft)mpatt)i)c^  gegenüberftanb  unb  fic^  immer 
enger  an  ba§  proteftantifcfie  ^reu^en  aufc^Iofe,  fc^rieb  fie 
einen  fetnbfeligen  33rief  öoHer  SSormürfe  unb  ©rma^nungen, 
unb  mä^renb  fie  t^m  gegenüber  bet^euerte,  ha^  biefe  nur 
öon  alter  Jreunbfc^aft,  Sorge  unb  SIngft  um  i^n  eingegeben 
feien,  fc^rieb  fie  gleichzeitig  an  griebric^:  „Um  mir  einige 
©emüt^eergö^ung  ju  fcöaffen,  i)abt  id)  i^m  [Sc^teiermac^er] 
geantmortet  unb  meine  üble  Saune  in  ein  leifeis  Schimpfen 
auSjubrücfen  gefucfit;  menn  er  böfe  barüber  luirb,  ift  e§ 
oud^  gleichgültig."  'äU  griebric^  fic^  bebac^te,  ben  förm- 
lichen Uebertritt  au§äiifü^ren,  meil  er  feine  ®efc§mifter  unb 
namentlich  feine  äRutter  alljufei^r  ju  betrüben  fürchtete, 
fteKte  fie  i^m  cor,  ha^  e§  ja  gan,^  im  ©e^eimen  gefc^e^en 
fönne;  benn  „ha^  geräufc^öoCte  S3efanntmac^en  ift  gan,^  bem 
fat^otifct)en  SBefen  entgegen,  ift  oietme^r  proteftanttfc^";  a(§ 

^ucf),  Sfornoutiter.  24 


370  ®ie  alte  SJeligion. 

er  aber  ben  öoff^ogenen  Uebertrttt  nun  tütrÜid^  feiner 
gamilie  ntc|t  gletc^  eingeftanb,  trieb  fie  i^n  unabläffig  jur 
SSeröffentlid^ung  an,  bamit  burd^  fein  93eifpie(  5lnbre  — 
befonberg  tiuf  SSilljelni  i^atte  fie  e§  abgefe^en  —  ^inüber= 
gebogen  ttjerben.  5ßon  9tücfftcl^ten  bürfe  biefen  SSerpflid^tungen 
gegenüber  feine  9tebe  fein. 

^orot^ea'g  fd^iuärmerifd^e  2(n^änglt(^!eit  an  bie  fat|o- 
lifd^e  ^'irc^e  trar  übrigen^  aufrid^tig,  toie  fd^Ied^t  fie  fie 
aud^  511  begrünben  tonnte,  ©ie  tüar,  \va§  fie  anging,  fogar 
e^rlic^  genug,  jugugeben,  ha^  fie  ben  toirflidEien  eigentlid)en 
(Stauben  nid^t  §abe;  anftatt  beffen  begnügte  fie  fid^  mit 
bem  ©lauben  an  ben  ® tauben  unb  müt)te  fid^  reblid^,  t^n 
altmätig  §u  getuinnen  burd^  l^äufigen  93efud§  ber  SDieffe, 
SSeten  in  ber  ^ird^e  unb  S3eten  in  ber  Kammer,  Sefen  unb 
Sebenfen  ber  |)eiligengefd^id^ten.  5)ie  2tufopferung  be§ 
eigenen  ®enfen§,  um  ®ott  in  fid^  benfen  §u  taffen,  tüurbe 
i^r  burd^au§  nid^t  fc^toer,  bie  5lu§fid^t,  aU  So^n  bafür 
SSergebung  ber  ©ünben  ju  empfangen  unb  eine  au§ertt)ö^tte, 
auägejetdinete  ^erfon  ju  fein,  befriebigte  ben  romanhaften 
^ang,  ber  immer  in  il^r  gelegen  ^atte.  Unb  el  fam  tüo^I 
aud)  in  SSetrad^t,  ta^  i^r  SSer^ättni^  ^u  griebrid^,  bo§  auf 
burdEjaul  ungefe^tid^em  S3oben  begrünbet  tüar,  burd^  bie 
fat^oIifdEie  Äird^e  eine  nadjträgtid^e  2Bei£)e  erhielt  unb  un- 
auflöStic^  gemacht  lüurbe. 

5lm  peinlid^ften  berührt  bk  2trt,  lüie  ©orot^ea  il^re 
beiben  ©öt)ne  au§  erfter  ®|e,  QonaS  unb  ^§ilipp,  für  bie 
^ird^e  ^u  geluinnen  fucf)te.  ^^ilipp,  ber  unter  i^rem  unb 
griebric^'g  tägtic^em  ©influffe  ftanb,  gan^  mit  i^ren  Qbeen 
5u  erfüllen,  luar  nid^t  fd^luer.  @r  befam  in  Slöln  etnen 
(äeiftlic^en  jum  Se^rer,  ber  iijn  in  ben  fatI)oIif(f)en  ©tauben 
einführte;  ^orot^ea,  fetbft  fct)tug  ii^m  öor,  fie  tüoHten  in 
^Briefen   bie  Seigren   be§  ^oter§  immer  unter  bem  S^Jamen 


3)ie  alte  Sicligtün.  371 

9J?orQl  jufammenfaffen,  oi)ne  ^lueifel  bannt  ber  ma^re  S'^^^^ 
nid)!  t)errat|en  tuerbe.  ©c^tutertger  mar  es,  3ona§,  bem 
älteren  ©of)ne,  beisufommen,  ber  unter  ber  Settung  feinet 
S3ater§  aufgeluad^fen  mar;  ein  fcfilDerbtüttger,  meland^oltfd^er 
©rübler,  entf(^Io^  er  ficf)  er[t  imc^  dielen  innerlichen 
Dualen  unb  @äm)}fen,  ber  Ü)Jtutter  unb  bem  jungem  S3ruber 
nad^jufolgen.  ®ie  feetifc^en  Seiben  ©imon  SSeit'^,  ber  mit 
fd^tid^ter  ©rofemut^  ®orotl)een  aud^  in  i^ren  materiellen 
9fißtf)en  immer  ein  Reifer  tüar  unb  ber  nun  sufe^en  mu^te, 
mie  aHc  bie  ©einigen,  ein§  nacf)  bem  5lnbern,  i^n  öerlie^en 
unb  fid^  aud^  innerlid^  öon  i§m  trennten,  fd^einen  il^r  t)a§i 
©efe^rungsiuerf  nid^t  jd^merer  gemad^t  ju  ^aben,  ge[(f)meige 
benn  ha'^  baburd^  ^^üeifel  an  feiner  33ered^tigung  in  i^r 
erregt  mären. 

Sm  Stpril  1808  traten  griebric^  unb  SDorot|ea  in  ^öln 
jur  fatljolii'c^en  ^irdtje  über;  jmei  3a§re  fpäter  erft  ^^ili^l) 
unb  bann  3ona§  SSeit  in  SBien. 

©0  bered^tigt  in  öielen  j^äHen  ber  Uebertritt  gu  irgenb 
einem  $8efenntni^  fein  fann,  öon  gnebrid^  ©(^legel  mu^ 
man  e§  aU  etma§  2;ragifd)e§  anfe^en.  @r  ftrecfte  hie 
SBaffen,  er  fapitulirte  fd^mäijlid^.  SSie  ein  ©olbat,  ber  bem 
geinbe,  bem  er  fid^  ergeben  ^t,  fd^mören  mu§,  nie  mieber 
ein  ©d^mert  für  fein  SSaterlanb  ju  §iel)en.  (£r  ftrid^  felbft 
feinen  9?amen  au§  ber  Sifte  ber  guten  Kämpfer  unö  lie^ 
fid^  bie  §änbe  binben.  S3eftimmt,  für  iik  SBieberöereinigung 
ber  beiben  ®taubeu§i)älften,  ber  fat^olifrfien  unb  ber  pro»» 
teftantifc^en,  ju  einem  neuen,  üollenbeten  ß^anjen  ju  ftreiten, 
gab  er  nid)t  nur  ben  ^ampf  auf,  fonbern  fogar  bie  fd^on 
errungene  ©tufe  pret§,  um  fii^  auf  bie  tiefere  be^aglid^er 
58emuBtIofig!eit  jurücffinfen  ju  taffen.  ©ünbe  gegen  ben 
fieitigen  ®eift.  jDa^in  paffen  hk  ftrengen  SSorte  öon  S'iDOatiS: 

„S)er  StRenfrf)    befielet    in    ber  23}a!^r^eit.     (Stiebt   er  bie 

24* 


372  3)te  alte  gteltgion. 

SBa^ti^ett  prei»,  jo  giebt  er  fic^  felb[t  preis.  2Ber  bie 
SBaljr^eit  üerrätl),  oerrät^  fic^  felbft.  (S§  ift  l)ter  nid^t  bie 
Stebe  Dom  Sügen,  [onbern  oom  ijanbeln  gegen  Ueberjeugung." 

3n  etgeuttjümlid^e  Sonflifte  geriet^  ©orot^ea,  lüenn 
33efannte,  bie  i^r  früher  unlieb  waren,  gletc^fatl»  ben 
©lauben  toec^felten,  inbem  fie  fic^  Oerpflic^tet  füllte,  [ic^ 
barüber  ^u  freuen,  anbrerjett»  ober  baburt^  irre  gemacht 
unb  geängftigt  tüurbe.  @ie  §atf  fi^  bann  roo^l  bamit,  ta^ 
fie  bie  ®üte  ber  Semeggrünbe  in  ^luetfel  50g,  inbeffen 
t)offte,  bie  ^irc^e  n3erbe  nachträglich  bie  i^r  jugefattenen 
^tnber  i^rer  wert§  er^ie^en.  @o  etma  war  i^re  ©timtnung 
ben  S;iecf'»  gegenüber,  üon  benen  juerft  im  ^saljxt  1805, 
lüo  fie  fi^  in  Stalten  aufhielten,  ba§  ©erüd^t  ging,  fie 
feien  fat^olifc^  geworben,  ©ooiel  irf)  tnei^,  ift  e§  niemals 
mit  ooller  ©ic^erfieit  ju  ermitteln  geiuefen,  ob  Submig  2;iecf 
t^tfäc^üd^  übergetreten  ift  ober  nic^t;  inbeffen  f priest  Uüt^ 
bagegen  unb  je^t  wirb  9ltemanb  me^r  baran  gfanben. 
5j:iecf'»  ©c^wefter  ©DpE)ie  [}tngegen,  in  ber  ha^  @c^wan!e, 
Unffare,  ta^  im  2Befen  be§  33ruber§  lag,  nü(^  mef)r  au§= 
geprägt  gewefen  ju  fein  fc^eint,  oolt^og  ben  Uebertritt;  fie 
gehöre  nun  einmal  5U  ben  ^UQöögeln  unb  muffe  ^in,  wo 
ber  SBinb  ^inge^e,  fagte  ®orot£)ea  oon  i^r. 

SBeld^e  iCeränberungen  ha^  S^ertjöüni^  5U  alten  ^bealen 
unb  alten  ^reunben  erlitt,  ha^  machte  fic^  atlerwärtS  fcfcmerj« 
HcJ)  fühlbar.  (Erinnert  man  fic^,  wie  jDorot^ea  im  Sommer 
1799  f(opfenben  |)eräenS  ®oett)e,  ben  ^öc^ftoere^rten  9JJann, 
!aum  anjureDen  \xä)  getraute,  wie  begierig  fie  in  feinen 
SDüenen  forfc^te,  ob  er  it)rem  (^riebrtc^  wo^I  gewogen  fei, 
berührt  e^^  eigen,  511  lefen,  in  welchem  3::one  fie  fei^S  3al)re 
fpäter  über  i^n  f(f)rieb:  „'Jjcn  SBinfelmann  oon  ®oet^e  ^abt 
t§r  boc^  gewi^  fc^on  gelefen?  2Bag  fagft  ®u  ju  btefem 
fäd^fifc^=weimarifc^en    ^leibent^um?     ^d^    geftel^e   ®ir,    mir 


2)ie  alte  9ieItgion.  373 

fomtnt  ha§  ©anje  fe^r  fTod^,  ja  gemein,  ®oet^e'§  ©tt)t  un- 
erl^ört  ftetf  unb  prettö^  unb  bie  ?lnttpat^ie  gegen  ha§ 
6§rtftenti)nm  feßr  affefttrt  unb  tiebIo§  oor,  unb  tt)Q^r^afttg, 
föenn  man  alt  i[t,  jo  tft  man  noc^  lange  nicf)t  antif.  2tber 
menn  man  fidEi  fo  gemaltfam  öerfleinert  unb  burc|au§  antif 
fein  tüill,  bann  niirb  man  öielteid^t  alt." 

greilid^  jog  fic^  (Soetfie  befto  able^nenber  in  fein  ^erbe§, 
ft^tifirteS  ®riec^entf)um  surüd,  je  me^r  bie  ©c^iüärmeret 
für  bay  bunte,  lunnbermäc^tige  9J?itte(aIter  um  fic^  griff. 
3)ie  Uebertritte  fingen  an,  gatilreic^er  511  lüerben.  ^ie  ^^it 
aber  gel)ört  fct)on  nicbt  me^r  in  'i^a^  erfte  33[ütf)en alter  ber 
Stomantit,  beffcn  ®ebäcf)tnife  id^  biefen  33anb  beftimmt  ^abc. 
S)amal§  tüurbe  nur  mit  oerfd^menberifdEier  ^anb  ©amen 
auggeftreut,  ber  ^ernac^  Ut  öielen  öerfd^iebenen  e^aren, 
ungenieparen  unb  giftigen  «^rüc^te  trug.  9^ur,  ba  bie  fa- 
tfiotifcfie  Stimmung  im  ©runbe  bon  Silbern  i)er  juerft 
unter  bie  9tomanttfer  au»geftraf)It  tnar,  foHte  man  noc^ 
miffen,  n)a§  nun  bie  9)?alerei  mieberum  öon  i£)nen  in  biefer 
|>infic^t  empfing,  ^n  ben  Silbern  5riebric^'§,  be§  Sieb== 
lingSmater»  ber  älteren  9tomantif,  ift  fein  fatboIifc^e§ 
(St)mboI  ju  finben.  S)enn  inenn  er  etina  aucft  einfame 
Kapellen  ober  5(bteien  im  2öalbe  ober  gar  ?-lcönc^e  unb 
^rucifije  malte,  fo  umren  ba§  hoä)  nur  2Iu§brucf§mitteI 
für  anbäc^ttge  ober  gottfud^enbe  Stimmung. 

9tunge,  ber  bie  ^unft  burc^au§  auf  ber  Sieligion  ouf= 
gebaut  lüiffen  looüte,  ttjar  be§iüegen  bon  einer  Steigung 
gum  Sl'at^oIici§mu§  boc^  toeit  entfernt.  5(uc^  fein  greunb 
Slinfotuftröm,  ber  fpätcrbin  fat^olifc^  u^urbe,  fprad^  fic§ 
Slnfangg  fogar  nad)brücfüc^  bagegen  au§;  benn,  fagte  er, 
ta^  d^riftent^um  befiele  eben  in  ber  Bereinigung,  man 
nied^fete  mit  bem  Sefenntni^  nur  hk  i^oim  unb  foüe  nicfit 
neuen  SJJoft  in  alte  Sc^Iöuc^e  füden.    Sro^bem  bebiente  er 


374  S)ie  «fte  Steligion. 

fid^  auf  [einen  Silbern  fd^on  bnmat§  fatlöolifd^er  ©^mbole; 
öermutfilic^  and)  be§i)alb,  n^eit  er  nic^t  fo  öiel  ©rfinberfraft 
befa^  tüte  9tunge,  ber  fid^  eigene  fd^uf.  ^m  ^ai^xt  1804 
malte  er  einen  ©1.  ©eorg,  öon  bem  er  jagte,  er  !^a6e  it)n 
gons  Tomantifd^  genommen,  fnieenb  auf  einem  großen 
fpringenben  ^ferbe,  red^t^  baöon  bie  9Jiaria,  Iinf§  ben 
tanjenben  ^aöib,  bie  ©onne  au§  Söpfd^en  in  @traf)Ien 
gebilbet.  5)ie  9J?aria  mit  bem  ^tnbe  unb  bem  gefc^lrungenen 
9?aud^fa§  follte  bie  ^Religion  fein.  Ueberl^aupt  follte  ha§ 
93tlb,  nac^  feiner  eignen  (Srflärung,  bie  ftiHe  9ieIigiofität, 
bie  greube,  Siebe,  Tladjt  unb  ^errlidjfeit  berfelben  au§- 
brürfen.  2öie  ganj  religiös  er  ober  aiid^  ba§  S3ilb  angefe^en 
föiffen  tootlte,  mar  il^m  boc^  ber  @eban!e,  bie  Seute  mürben 
nid^t§  aU  eine  SSerfenfung  in  ben  ^at^oIici§mu§  barin  er- 
blicfen,  ^jeinlid^,  unb  er  ßcitte  ba§  fogar  gern  üermieben. 
5Son  ben  Srübern  Stiepen^ufen  au§  ©öttingen,  bie  fieb§e^n= 
unb  ad^tje^njäJirig  nad^  ®re§ben  famen,  um  fat^olifc^  ju 
merben,  erjä^Ite  er  Ülunge  mit  mi^billigenbem  ©pott  i^ren 
2lu§fprud^:  „SSir  ^aben  nun  ganj  ben  gried^ifd^en  @ti)I 
fahren  Inffen",  anftatt  beffen  fingen  fie  eine  9JJoIeret  in  9^ad^= 
a^mung  ber  alten  Seutfd^en  an,  gang  flnd^,  o^ne  ©(Ratten 
unb  Sic^t.  Minfolüftröm  fa|  bd  il)nen  eine  retigiöfe  ßom- 
:pDfition:  um  bie  SJJaria  mit  bem  ^inbe,  bie  auf  einem 
S^rone  fi^t,  gmei  (Sngel  mit  traurigen  ©ebärben  in  großen 
altbeutfd^en,  fteifen  Kleibern,  bie  ha^  Sllte  unb  ba§  9?eue 
S^eftament  üorftetlen  füllten.  jDa§  ^ilt  \me  bie  ganje 
3iic^tung  mißfielen  Älinfomftröm  burd^au§.  SSieIe§  fei  nur 
ber  2)rang,  auf  bie  ^niee  ju  fallen,  urt^eitte  er,  ©innen- 
trunfen^eit,  burd^  bie  neuere  ^oefie  beranla^t.  SludE)  er 
fucf)te,  roie  griebric^  ©c^Iegel  unb  ?tnbre  mit  i^m  getrau 
J)atten,  eine  neue  ^Religion;  ber  olten  lüid^  er  beinahe  mit 
einer  geluiffen  ^(engftlid;feit   au§,  aU  märe  er  fic^  Ijeimlic^ 


S)te  alte  DJeligion.  375 


ö 


fcetüu^t  getuefen,  baB  ]"ie  ein  5Irmiba='3ow^ergarten  luerben 
fönnte,  in  beffen  erjcfitaffenber  ^racfit  man  bie  (Eroberung 
be§  ^eiligen  Sanbe§  »ergäbe.  „Unb  ade  meine  Söorte 
jotten  nur  foöiel  entt)atten",  j(f)rieb  er  an  9iunge,  „ba§  ti^ 
bie  d^riftlid^e  ^ird^e  luie  meine  93raut  fuc^e,  aber  man  liebt 
toom  eignen  Slnfd^auen  unb  fann  fic^  nichts  oon  ber  Siebe 
crscl^len  ober  fic^  lehren  (äffen." 

^ie  9Kanc^em  f(^tüebt  'öa^^  ^tieal  einer  S3raut  öor,  lute 
er  fie  befi^en  möchte;  iuenn  aber  einiget  ©uc^en  erfolglos 
geblieben  tft,  nei^men  bie  9}ktften  mit  einer  jnmr  nid^t  ganj 
cntfprec^enben,  aber  boc^  gveif»  unb  genie^boren  SSirftic^feit 
öorlieb. 

Jic(f  öergletd^t  einmal  bie  äRenfc^ljeit  mit  bem  ^ubel, 
ber,  luenn  er  eine  SBeile  auf  bcn  Hinterbeinen  gefeffen  unb 
SJJännd^en  gemacht  ijat,  gCücffeltg  ift,  Jüenn  er  tuieber  auf 
bie  Jßorberpfoten  äW^^üdfaUen  unb  auf  allen  SSieren  laufen 
fann. 

^aran  mu|  man  beuten,  tüenn  man  ben  Seben§Iauf 
biefer  ftrebenben  ^bealiften  betracJjtet,  bie  bie  itnfic^tbare, 
ülle  ©eifter  umfaffenbe  ^ird^e  auf  Srben  üermtrflii^en 
iDoIIten  unb  nad^  furjem  3tingen  im  meicfien  ©c^ojie  ber 
ölten  fat^olifd^en  untergingen. 


D  iüie  finb  bte  elnft  ju  Sera  in  einem 
fletnen  ffreiä  SBcrfammelten  nun  über  alle 
SBelt  äerftreut  unb  lehren  aUe  Reiben. 

fioroltne. 

2Böf)renb  (Sd^elltng  bie  legten  ©tunben  bei  Sa^re§  1800 
in  SBeimar  5tinfc^en  Särm  unb  Su[t  jubrad^te,  in  ber  ®e- 
feUfc^aft  üon  ©oet^e  unb  ©c^itter,  fa§  Caroline  in  S3raun- 
fc^lüetg  mit  ii^rer  ©c^tpefter  allein  öor  einer  ©d^ale  ^unfc^; 
SSilfielm,  ber  fic^  ni(f)t  tüolbl  füllte,  log  in  einem  oberen 
3immer  auf  bem  Bop^a  unb  fdilief.  „S)er  ©c^Iag  jn^ölf 
überrofc^te  un§",  jd^rieb  Caroline  an  ©d^eüing,  „icf)  lüollte 
©d^Iegel  noc^  föecfen,  el^e  e§  au^gefd^Iagen,  benn  e§  lüor 
mir,  aU  fönnten  übte  golgen  barauS  entfielen,  rtenn  einer 
babei  nicfit  luac^te,  gteid^fam  aU  ob  er  ha%  ^ufainine"' 
Hingen  feiner  ©lerne  öerfd^Iiefe  —  alfo  lief  id^  f)inauf,  er 
^tte  ben  ©c^tag  gehört,  fic^  sufammengerafft  unb  ju  uji§ 
^inuntergef)en  njoHen,  atfo  begegneten  wk  un§  tvk  bie 
beiben  ^aijrfjunberte  auf  ber  S^re^jpe." 

253ie  l^atte  fid^  ba§  frotie  Seben§bilb  für  bie  e^reunbe 
OTe  oeränbert!  SDa§  ©cE)icffa(  fjatte  in  ben  Meinen  ßrei§ 
gegriffen  unb  i^n  mitten  au^einanbergeriffen.  ^m  ©ommer 
be§  ^at)re§  1800  fiatte  fid^  ^um  erften  SJiale  ein  un- 
gemünfd&ter,  furchtbarer  (Saft  in  i^rer  Tliitt  gegeigt  unb 
fid^  nirf)t  üerfd^eutfien  laffen,  ber  S^ob.  ®ie  Süngfte  unb 
Sßielgeüebtefte  l^atte  er  mit  fid^  genommen:  bie  Heine  5lugufte. 

Carotine,  bie  immer  fränMle,  loar  jur  ®rt)oIung  in  ba§ 


"^0^.  377 

fletne  ©ob  SBocflet  bei  Bamberg  gefrfiicft;  e§  üerftanb  fid^ 
öon  felb[t,  ta^  '?(ugu[te  mit  i^r  ging.  Sd^elling  geleitete 
bie  Reiben.  ®a§  er  unb  .Caroline  einanber  baumle  fd)on 
liebten,  ift  o^ne  ^lufifel.  2Sie  mar  e§  aber  mit  Slugiij'te? 
SBelc^e  SftoHe  fpielte  fie  jmifc^en  ber  über  9IIIe§  geliebten 
SRutler  unb  bem  jungen  Spanne,  ber  nirf)t  biel  J^a^re  mefir 
aU  fie  ääliftc,  al§  Caroline  älter  al§  er  mar?  6(^e[Iing'§ 
Dfecfereien  —  melc^er  üon  ben  greunben  be§  §aufe§  fpielte, 
fdierjte,  tänbette  nicE)t  mit  bem  ßinbe!  —  na!^m  fie  mit 
tro^iger  ©pröbigfeit  auf.  ^atte  fie  i^n  lieb  unb  gürnte  fie 
ibm,  ha^  er  ftatt  i^rer  bie  9}?utter  erforen  ^atte?  £)ber 
mar  fie  im  ©egentlieil  auf  i^n  eiferfüd^tig  unb  mißgönnte 
ibm  bie  ftar!e  Zuneigung  i^rer  SJJutter?  2)a§  Sediere  ift 
ma!^rfd^einti(f)er.  ®§  fdieint,  ba§  in  bem  f(f)ü(f)ternen  finb* 
liefen  ^erjen  W  Siebe  jur  SJfutter  jebeg  onbre  ®efü^t 
übermog.  „^d)  banfe  5;ir  recf)t  fe^r",  frfirieb  fie  au§  Socflet 
an  (SctieKing,  „für  ha§:  aj?ittel,  ta^  ®u  mir  an  bie  |)anb 
gegeben  ^aft,  äJJütterd^en  gu  amüfiren,  e§  fdf)Iägt  berrlic^ 
an,  menn  tc^  auc|  nocf)  fo  öiele  9Jarren§|}offen  treibe,  fie 
gu  unterhatten,  unb  e§  triff  nid^t  auf  erlagen,  fo  fage  id^ 
nur:  „mie  fe^r  er  bid^  liebt",  unb  fie  mirb  gleid^  muti^ig; 
ha^  erfte  9}(al,  aU  td§  e§  i^r  fagte,  moffte  fie  aurf)  miffen, 
mie  fe:^r  5)u  fie  benn  liebteft,  ha  mar  meine  2Bei§[jeit  au§, 
unb  id^  I)oIf  mir  nur  gef($minb  bamit,  ba§  ic^  fogte:  „me^r 
al§  3(ffe§";  fie  mar  gufrieben  unb  ic^  ^offe,  ®u  mirft  e§ 
and)  fein." 

SIber  auc^  für  ß'arcline,  bei  affer  Seibenfd^aft  für  ben 
geliebten  SOfann,  mar  ha^  ^inb  ber  SJJittellJunft  beg  5)afein§. 
@§  bat  ben  SInfrfiein,  aU  babe  fie,  bie  an  bie  9J?ögIid^feit 
einer  9?erbinbung  mit  ©d^effing  nid^t  badete,  für  fic^  ber* 
jid^tet  unb  anftattbeffen  gehofft,  er  fönne  mit  5tugufte  ba§ 
&[M,  ba§  tl^r  ein  2:raum  bliebe,  öermirflicEien. 


378  ^ob. 

1)a  Caroline  ftc^  unter  3luguj'ten'§  ^ftege  eben  ju  er- 
I)ofen  anfing,  erfranfte  )3lö|ltc^  baä  ^inb.  @§  fehlen  ntd^t 
gefä£)rlic^  ju  fein.  @(f)etttng,  ber  fic^  ütel  mit  SJJebicin 
befd^äfttgt  £)atte,  übernat)m  felbft  bie  Pflege  unb  be^anbelte 
bie  Traufe  nac^  ben  Öirnnbfä|en  fetner  eignen  X^eorte,  bie 
ju  ber  ^eit  in  Bamberg  bebeutenbe  33ertreter  ^atte.  5lber 
bie  ^ranf^eit  nai)m  rafd^  §u  unb  in  njenigen  Xagen  ttjar 
bie  kleine  tobt. 

2BiIf)eIm,  ber  mit  ber  innigften  3ärtlid^!eit,  hk  er  §u 
empfinben  fä^ig  tüar,  an  bem  Sl^inbe  gegangen  ^atte,  eitte 
nac^  Socflet.  (^uri^tbare  5Iuftritte,  beren  S^arafter  Wh 
nur  a^nen  fönnen,  muffen  unter  ben  üerjiüeifelten  SKenfc^en 
ftattgefunben  £)aben.  85on  gegnerifd^eu  ?lerjten  tuar  fofort 
bie  SBefc^uIbtgung  gegen  ©d^etling  erhoben  tnorben,  5Iugufte 
fei  infolge  feiner  S3e^anblung  geftorben.  2Ba§  für  einen 
(Sinbrud  mn^te  ha?:  ouf  Sßill^elm  machen,  bem  bie  ^n^ig- 
feit  ber  jn^ifd^en  ©ci^eHing  unb  feiner  f^rau  beftefjenben 
Zuneigung  nid^t  fremb  njar.  (Sr  Iie§  fic^  ^inrei^en,  i£)r, 
t)k  au§er  fic^,  felbft  IebIo§  faft  bor  ©d^merj  über  ben  Sier- 
luft  t[)re§  Siebtingg  niar,  btefe  ^inge  öor5un)erfen.  ©|3äter, 
aU  ®c|etling'§  f^einbe  fc^amloS  genug  Ujaren,  i^n  Ijämifd^ 
unter  ber  §anb  ju  öerbäc^tigen,  al§  ^aht  er  gleidEifam  einen 
fa^rläffigen  9JZorb  an  biefem  bod^  ouc^  ii^m  fo  t^euren 
^inbe  begangen,  tuar  SSiUjelm  ber  Slitter,  ber  fic^  feine 
@f)renrettung  angelegen  fein  lie^  unb  htn  3lngreifern  öffentlid^ 
bie  ©runblofigfeit  i^rer  33efd^ulbiguug  bart^at,  lüie  auc^  bie 
5yiieberträc^tigfeit  i§re§  58ene^meii§  öoruiarf. 

2)er  %oh  be§  Tei^öoHen  ^mtt§,  bn§  nichts  at§  Qävtüä)= 
feit,  nod^  feinerlei  "^dh  ober  ©iferfud^t  eruiecft  t)atte,  er^ 
fcfiütterte  Sitte,  bie  bem  e^reunbeSf reife  anget)ört  {)atten. 
„SJJu^te  bie§  blü£)enbe  ÜJiäbc^en  fterben  fönnen!"  fd^rieb 
^orotljea,  „e§  tft,  al§  ob  man  fid^  fd^nmen  mü^te  oor  i^r." 


Job,  379 

©er  Um[tanb,  baB  3!Bt(fjeIm  feineu  Kummer  fd^oii  fo  balb 
in  Steinte  f äffen  fonnte,  barf  bei  ifim  feinen  ^lueifet  an 
feiner  (S(^tl)eit  erregen;  benn  ein  fo  flarfe^  ©efü^t,  ba§ 
tönt  öermefirt  f)ätte,  fic^  felbft  barin  ju  fpiegeln,  fonnte  er 
über|aupt  nic^t  füllen.  S^i^enfallg  geljören  feine  ©ebic^le 
auf  i^ren  Zoh  ju  ben   empfunbenften,   bic  er  gemacht  f)at. 

Oft  luenn  fiel)  ifjrc  reine  Stimm'  er)cf)uningen, 

©cl)ücl)teni  iiub  tüljn,  unb  8aiten  brein  geraujdjet, 

4)q0'  id)  ba§  unfieluuBte  feerj  belaufd^et, 

3)a§  nu§  ber  58ruft  mefobifd)  norgebrungen. 

58üm  "i^edjer,  ben  bie  SiJeüen  eingebrungen, 

9ü§  au%  bem  '']>ianb,  ba§  £'ieb'  nnb  2;reu'  getaufd)et, 

S)et  alte  Äönig  ftevbenb  fid)  beran)d)et, 

3)Qg  mar  t>a§i  le^te  Sieb,  fo  fie  gefungen. 

3So[)l  jiemt  fid)'§,  ba^  ber  lebenSmübe  Stiitv, 

?3enn  bunfle  ^f^utlKn  ftitt  fein  Ufer  füffen, 

3n  it)ren  £d)of5  baliingiebt  all  fein  @et)nen. 

^yiir  inarb  au'3  liebeuotler  ^anb  geriffen 

®d)lant,  golben,  füfjgefüUt,  befrängt  ber  SBed)er, 

Unb  mir  ju  g-üfeen  brauft  ein  Wttv  öon  S^brönen. 

3lu(f)  Oufel  5ri|,  ber  feine  fictne  £t)ranuin  mit  fo  öiet 
gutmüt^tger  Saune  unb  uneigennü^iger  3äi^tlic|feit  üertüö^nt 
batte,  fe^te  hk  fd^luerfättige,  fünftüd)e  SJiafc^ine  feinet 
2)i(^teu§  in  S3eiüegung.  ^alt  unb  gejiert  mod^ten  alle  biefe 
SSerfe  Carolinen,  ber  untröftlic^en  Tlattet,  erfc^einen. 

^aum  ein  "^a^r  naö)  Stuguften'g  2obe  ftarb  9ftooaIi§. 
^Hm  5.  5tprtl  1800  fd^rieb  er,  ganj  in  ber  j^reube  auf  feine 
^od^jeit  mit  ^u^ie  öon  (I§arpentier  lebenb,  bie  in  furjer 
3fit  ftattfinben  foltte,  an  ben  atten  greunb  griebrid^ 
©erleget:  „9}Jit  mir  utmmt'§  l^offeuttid^  balb  ein  fröf)Iic^e§ 
Gnbe.  3ii  So^)önni§  benfe  id)  im  ^^arabiefe  ^u  fein."  S3alb 
barauf  jeigte  fic^  ein  bebenfücfier  S3Iutf)uften  an  i^m  unb 
bie  ^od^^eit  mu^te  aufgefc^oben  tüerben.    ©eine  iöraut  fam 


380  Sob. 

nad)  ®re§ben,  um  i^n  bort  ju  pflegen;  öcn  jetner  bort 
öer|etratt)eten  (S(f)n)efter  erfuhr  2BtU)eIm,  ba^  er  nur  noc^ 
ein  ©chatten  fetner  felbft  fei,  ööüig  erfd^öpft,  nid^t  im 
©taube,  an  ber  Unterlialtung  ttieiljune^men,  oft  in  ber 
(^efellfdEiaft  einfd^Iafenb,  tüo  er  bann  al§  ein  Sobter  unter 
ben  Sebenben  fi^e.  Sm  Tläx^  be§  ^a^xt^  1801  ftarb  er 
in  ben  kirnten  griebricEi'S,  ber  nac^  1)re§ben  gereift  mar, 
um  feineu  S^reunb  nod^  5U  fe^en,  unb  unter  ben  Stangen 
be§  ßlaöierS,  ba§  fein  jüngerer  83ruber  auf  feine  93itte 
fpielte.  (£r  fei  bi§  jum  legten  5lugenblicfe  öon  uut)ef(f)rei6- 
lirfier  |)eiter!ett  geluefen,  erjä^Ile  g-riebricf)  ©erleget,  ^aum 
loffe  ftd^  gfauBen,  ha'^  e§  möglich  fei,  fo  fc^ön  ju  fterben. 
S)en  öon  ber  @rbe  fc^eibenben  i^reunb  6at  SBil^elm  in 
einem  ©ebic^t,  feinem  ^inbe  im  |)immel  fd^merjtid^e  @rü§e 
§u  bringen.  2Iber  bie  ^u^ücfgebliebenen  mußten  too^I  ober 
übel  üerfucfien,  ftdE)  l^ienieben  mieber  einjuriifiten.  Sro^  be§ 
leibenfd^afttid^  innigen  ß^arafter§,  ben  bie  9leigung  @d^elling'§ 
unb  ^aroIinen'S  angenommen  ^atte,  n)orau§  fte  aud^  SBilJielm 
fein  ^e^l  machten,  badeten  bie  (Seeleute  an  feine  ©d^eibung. 
©ie  Ratten  fid^  gegenfeitig  öon  je|er  öolle  grei^ett  5ugeftan= 
ben.  3BiI^eIm  fonnte  feinen  ^ang  gum  ^ourmac^en  unb 
^ofettiren  nie  unterbrücfen,  unb  loenn  aud^  fold^e  2:änbeleien 
nid^t  fo  üerbängni^üolt  maren  toie  je^t  ^arolinen'^  ent=' 
f(^iebene§,  au§fdE)Iie^tid^e§  ®efü|I,  fo  ftörten  fie  bod^  öon 
Einfang  an  bie  ©id^er^eit  unb  ba§  SSertrauen  ber  (Sl^e. 
Caroline  madf)te  i^m  feine  SSormürfe  unb  lie^  i|n  getüä^ren; 
aber  me^r  a(l  greunbfc^aft  unb  2reue  glaubte  fte  i^m  nun 
aud)  nid^t  fd^ulbig  ju  fein.  ®iefe  gelobte  fie  fidf)  i^m  ju  balten, 
h)a§,  mie  e§  fdjeint,  ©d^eding'S  männlid^  ftürmifc^e  Siebe 
i^r  äumeilen  fctiroer  mad^te.  5lber  bie  Srauer  um  ben  Sob 
be§  geliebten  ^inbeg  flimmte  fie  jur  ^emutt)  unb  (Sntfagung. 
©rabe  it)re  S3riefe  an  Sßil|elm,  ber  o|ne  fie  narf)  Berlin 


Sob.  381 

überfiebelte,  um  bort  SSorlefungen  ju  galten,  finb  julueilen 
öon  jarter  unb  rü|ienber  SBeljmut^  überftrömt.  „'^dj  bin 
nun  fro^",  fdirteb  [ie  i^m  au§  S^na,  lüo^in  fie  im  grü^" 
ja^r  1801  5urürffe^rte,  „^ier  'ba^  ©rfte  überftanben  ju 
]^aben  unb  öerlaffe  mic^  für  ba§  ^^^ünfttge  ru^ig  auf 
2)eine  greunbfc^aft  unb  bie  ftiHe  ©ematt  meines  eignen 
guten  (SJemüt|§.  ®iefe  »uerben  fc^on  mieber  etlnag  bilben, 
€in  ^üttdjen  anbauen  unter  ben  Krümmern  alter  ^errlid^« 
feit.  D  mein  (^reunb,  \d)  baute  oft  unb  ri§  oft  ein.  ®iefe§ 
finb  nun  bie  legten  ^ii-'eige,  B'ucige  ber  lueinenben  5ß>eibe, 
bie  ic^  über  meinem  Raupte  jufammenflei^te,  um  unter 
i^rem  ©(Ratten  ben  ^benb  ju  erlüarten." 

Unb  tia  fie  fi(^  n^egen  t)erme^rter  5Iu»gaben  entftfiulbigte, 
bie  befonberS  barauä  entftanben  umren,  baß  fie  neue  ®Iöfer 
^atte  anf (Raffen  muffen,  fc^rieb  fie  in  ber  unter  S^^ränen 
läd^elnben  5trt,  bie  t^r  eigen  war:  „3«^  badete  baran,  luie 
jDu  mid^  mit  bem  erften  fplenbtben  (Sinfauf  ber  (SJIäfer 
nerfteft  unb  mu^te  läd^eln,  \va§  awd)  ebenfo  ein  Söeinen 
l^ättc  fein  fönnen,  über  biefen  Siefrain  be§  ©efc^icfy;  ®u 
luirft  gemiB  uneber  finben,  ba§  ic^  ju  ütel  gefauft  J)abe. 
^ä)  lueife  uic^t,  luarum  eS  mir  immer  mit  ben  ©läfern  fo 
ge^t.    Siefeg  foH  nun  geiui^  ni^t  mieber  fo  balD  brechen." 

©g  ift  ein  '»^Ibergtaube,  ba^  man  nic^t  ba^in  jurücffet^ren 
foH,  Wo  man  einmal  fe:^r  glücfli(f)  ttiar.  9'Jur  fünf  Si^re 
njaren  oergangen,  feit  Caroline  an  SBUbelni'S  Seite  frö^Iic^ 
in  Sena  einjog.  ^e^t  tvai  Stiles  ebenfo  traurig  unb  ba§ 
^erj  jerreifeenb  tt)ie  oor^er  Seben  unb  Hoffnung  f(^lue(Ienb. 
®a§  |)au§  loar  Oeröbet.  2l(Ierbing§  traf  fie  ©dietling,  ber 
noc^  feine  ^rofeffur  innel^atte,  unb  bie  alte  giceunbtn  Suife 
©Otter  fc^icfte  i^re  2;öci^ter,  bie  ©pielfamerabinnen  ber 
tteinen  ^ugufte,  ju  33efu(^.  Slber  njie  bitter  mußten  grabe 
tiefe  fie   an   baS   eigne  ^inb  erinnern,    unb  nne  üiel  pein« 


382  .     Sob. 

It(f)em  ®erebe  fetjle  [ie  fic§  burc^  if)ren  SSerfe^r  mit  Sd^elling 
au§,  be[onber§  ha  tl)re  getnbin  ©orot^ea  fie  fceofcad^tete. 
griebrtc^  fing  bama(§  an,  S5orIefungen  über  ^^ilofop^ie  ju 
Iialten.  ^m  ©enate  ber  ^rofefforen  ^tte  er  irenig  greunbe; 
hit  5llten  f)atten  je^t  gefiegt  nnb  bebienlen  fic§  i^rer  SJiac^t. 
93ei  ber  Disputation,  bie  feiner  §a6ilitirung  öoraufging, 
brängte  man  i£)m  Opponenten  auf,  bie  hit  ©ac^e  öiel  ernfter 
nahmen,  al§  üblich  luar,  unb  öon  benen  einer  bie  Saft« 
lofigteit  !^atte,  griebric^'S  „tractatum  eroticum  Lucinde" 
aU  33eiuei§material  gegen  t§n  ^eranjujie^en.  griebric^  be* 
n)ie§  bie  ganje  geintieit  unb  SBürbe,  tit  ii^n  bei  folcfien 
®etegen|eiten  immer  aU  ben  Ueberlegenen  seigten,  bebeutete 
bem  betreffenben  Spanne  ru^ig,  ha^  er  ein  S^iarr  fei  unb 
t)atte  alle  (Sinfic^tigen  auf  feiner  ©eite.  S3ei  feinen  SSor- 
trägen  inbeffen  fc^abete  i^m  bie  fdiioere  3)?affe  feineg  ®e- 
^irn§  unb  fein  SJiangel  an  SSirtuofität.  @r  n)ar  öiel  ju 
grünblic^.  (Sr  langtreilte  bie  Su^öxex  mit  feinen  tuü^tenben, 
grabenben  2)enfoperationen.  ©egen  ©(fielling,  ber  öiel  un» 
bebenflic^er  unb  jmeifellofer  breinfufir,  bem  aber,  mie  9cü0ali§ 
einmal  fagte,  bie  „loo^re  ©tra^Ienfraft  uon  einem  ^unft  in 
bie  Unenblic^feit"  eigen  tüar,  fonnte  er  nid^t  auffommen. 
@r  erlitt  eine  entf(^iebene  5JJieberIage.  ®ie  S3itterfeit,  bie 
ta^  einf(f)Io§,  tuar  um  fo  empfinblic|er,  aU  ©d^etting 
^aroIinen'S  greunb  lüar,  §njif(i)en  i^r  unb  2BiI§eIm,  g^iebric^'S 
33ruber,  ftanb.  2Beit  mel^r  aU  ©d^eHing  ^atte  Caroline 
unter  biefen  S^erljältniffen  ju  leiben.  Dorothea,  beren  mit 
ber  3eit  nur  unbebingter  luerbenbe  5lnbetung  i^ren  Tlann 
für  atle  aJJi^erfotge  braufjen  entfd^äbigen  mu^te,  jog  it)n 
au(f)  baburc^  immer  fefter  an  fi(i),  ba|  fie  i^n  öollenbg  öon 
Caroline  trennte,  ©eine  93efu(^e  bei  ber  einft  fo  geliebten 
unb  oereljrten  grau  tourben  immer  feltener,  bie  SBorte,  bie 
gemec^fett  mürben,  immer  fcf)ärfer  unb  üerle^enber.     Saro- 


Job.  383 

Iinen'§  ^ietätooUer  Sinn  litt  barnnter.  „9JJir  ift  felbft 
oft",  \ä)mh  fte  an  SSilljelm,  „aU  fönnte  iä)  nic{)t  ru^ig 
fterben,  oiine  mic^  mit  it)m  511  Oerfte^en.  SBenn  fie  [SDoro» 
ti)ea]  nur  S^manb  tobtf dalagen  tuoHte,  e^e  id^  fterbe." 

Caroline  fonnte  in  ber  5lbneigung  fo  ^ingebenb  unb 
auSfd^Ite^Iid^  fein  ft)ie  in  ber  Siebe. 

2Bie  e§  nun  tarn,  ha^  ha^  58er|ältni§  jUtifcfien  SBili^etm 
unb  Caroline  bo(^  nid^t  in  biefer  2Beife  beftelien  blieb,  ift 
im  (Sinjelnen  f^wer  ju  fagen.  ^m  ®runbe  freilief)  lüärc 
e§  njunberbarer,  n)enn  e§  unter  fold^en  Umftänben  ^ätte 
bauern  fönnen.  ©d^etting'ö  ungeftümem  unb  l^errifc^em 
SBefen  \vax  ha§:  Waa^,  l^a^  S^aroline  beobacf)tet  n^iffen 
woHte,  unleiblii^.  Unb  im  tiefften  Snnem  ftrebte  fie  ebenfo 
leibenfd^aftlid^  5U  il}m  mie  er  ju  i^r.  Tlan  fü^It  au§ 
jebem  SKort  ber  Briefe,  bic  fie  an  it)n  gerichtet  ^c\t,  ba^ 
fie  je^t  jum  erften  Walt  eine  öotte  Genüge  in  ber  Qkbe 
fanb;  ba^  i^r  enblicö  bie  überfc^mänglic^e  ©rgänjung  ju 
X^eit  gelDorben  luar,  nad)  ber  fie  fid^  gefeint  |atte.  SBie 
I)ätte  fid^  babei  ber  «Schein  ^ufriebner  ?^reunbf(f)aft  aufredet 
erhalten  laffen,  gumal  ha  S3eibe  an  bemfelben  £)rte  lebten! 
2)a^  SÜSil^etm,  toenn  er  auc^  feinerfeit§  natürlich  öotle 
grei^eit  genofe,  ber  ©ebanfe  an  ^arolinen'g  Umgang  mit 
©d^eÜing,  folange  fie  feinen  S^Jamen  trug,  bod^  eben  nid^t 
angenehm  war,  läfet  fid^  benfen.  Dbfc^on  er  e§  nic|t  änderte, 
»erriet^  feine  ©eret^tljeit  tod)  @iferfud^t.  SSielleit^t  mar 
fie  ibm  noc^  je^t  me^r,  at§  er  il^r  je  |atte  fein  fönnen. 
Um  ha^  gute  ©inoerne^men  neu  ju  befeftigen,  befud^te 
Caroline  i^n  in  Sßerlin.  5tber  grabe  ha  geigte  ftc^,  tük 
fe§r  fie  fic^  fd^on  auSeinanbergelebt  Ratten.  S)er  öeifall, 
ben  SBil^elm'g  SSorlefungen  gefunben  Ratten,  mod^te  feine 
(Sitelfeit  nod^  gefleigert  traben.  @§  mißfiel  SlaroÜne,  ha^ 
er  gar  fo  oie(  ^^it  „mit  SSafc^en,  dämmen  unb  Slofettiren 


384  2ob. 

brauf gelten  lie^".  S8er>uöt)nt  buri^  bie  Steben^iüürbtgfeit 
ber  33erlinei;  fd^öngeiftigen  S)amen,  irar  feine  (Smpftnblid^- 
feit  gegenüber  ^arolinen'^  aufrichtiger  ©rab^eit  auf'§  ^öc^fte 
gcret^t.  äRöglid^  ift  e§  an^,  ha^  fie  fic^  burc|  offenfunbtge 
Stufmerffamfeiten,  bie  er  öerfd^iebenen  2)amen  ertoieS  — 
%kd'§  ©t^iüefter  Sopiiie  S3ern^arbt  luar  barunter  —  ocr«» 
le^t  füJ)Ite.  ^urg,  lüä^renb  t^re§  bortigen  Seifammenfein^ 
fd^eint  e§  i^nen  flar  gemorben  5U  fein,  ha'^  fie  biefem 
^roiefpalt  bur^  Sc^eibung  ein  ®nbe  machen  müßten. 

@ie  Ratten  hahei  einen  mäcJ)tigen  |)elfer,  ber  aber  nid^t 
genannt  fein  moffte.  @§  toai  o^ne  ^^ueifel  @oet^e.  2)ie 
goffung  be»  ®efu(^§,  t)a§  fie  bem  ^erjog  einreichten,  bie 
^Darlegung  ber  S3er[}äüniffe,  mar  öon  i^m  berat^en.  Sie 
beriefen  ftc§  auf  bie  00m  ^erjoge  fur^  guoor  öolljogene 
@cJ)eibung  be§  ^rofefforg  SJiereau  oon  feiner  ^xaü  —  ber 
nacf)maligen  @attin  S3rentano'§  — ,  hk  gleid^fatl§  feinen 
onbern  ©runb  aU  mangelnbe§  ©inoerftänbni^  angegeben 
Ratten.  Um  17.  Tlai  1803  lüurbe  bie  ©d^eibung  aul- 
gefprod^en,  unb  bereite  am  26.  ^uni  mürben  ©(^etting  unb 
Caroline  öon  feinem  SSater,  ber  ^rebiger  mar,  getraut. 

@c^elling'§  junger  $Ru^m  muc^§  fd^nell.  ?tber  mit  ben 
6£)ren,  bie  eine  beneibenömert^e  Stellung  eintrögt,  nahmen 
aud)  bie  SInfeinbungen  ju.  ^e  me§r  leibenfc^aftlicije  'Hn- 
länger  er  gemann,  befto  erbitterter  mürben  feine  ©egner. 
2tn  t^rer  @pi^e  ftanb  berjeuige,  ber  bi§  üor  bürgern  ba§ 
atieinige  ^aupt  ber  ^^ilofoplien  gemefen  mar,  gicfite,  aU 
beffen  ©cEiüIer  unb  greunb  @ci)elling  feine  Saiifba^n  be- 
gonnen ^atte.  3I[tmöItg  tjatte  fic|  ba§  SSer£)äItni§  geänbert. 
211^  gierte  im  ^a^xe  1801  feinen  fonnenflaren  S3erid^t 
über  ha^  SBefen  ber  neueften  1]3^itofüp^ie  erfc^einen  liefe, 
parobirte  ©c^eKing,  ber  Carolinen  ba§  53üd^Iein  öorgelefen 
l^atte: 


lob.  385 

3tt)eif(c  an  ber  Sonne  ßlarf)eit, 
3tt)eifle  au  bcr  Sterne  Sicf)t, 
Sefer,  nur  an  meiner  Sofirfiett 
Unb  an  beiner  3)ummt}eit  nid)t. 

2)te  le^te  3et(e,  bte  bem  (S(^er§  erft  feine  anmutl^ige 
Spi^e  gtebt,  machte  Caroline,  ©oet^e,  bem  Sc^edtng  ben 
orttgen  2Bi^  fetner  greunbin  mitt^eilte,  J)atte  fein  ^erjtid^eS 
Vergnügen  baran.  S3ei  fold^cn  {)armIofen  Späten  blieb  e§ 
ober  nic^t.  Sluf  Sit^te'l  immer  gel^äffigere  Eingriffe  ant- 
tüortete  8c^elling  im  ^al^re  1806  mit  ber  „Darlegung  be§ 
föalren  SSer^ältniffeS  ber  Diaturpljilofop^ie  gu  ber  öer; 
beffecten  gic^te'fc^en  Se^re".  §ier  befi^ulbigte  er  Sichte, 
t)a^  er  oom  ©eifte  ber  3fiaturp^Uofop§ie  in  feine  eigne 
Se^re  nnfgenommen  ijaht  unb  fie  nur  ht^^alh  befc^impfe, 
um  §u  bemänteln,  n)ie  er  fid^  burd^  fie  bereid^ert  f^aht. 
SBenn  t^ic^te  gefagt  ^atte,  ba§  @t)ftem  nüchterner  (Srfa^rung 
fterbe  ab,  haS^  Softem  uniber  Sc^märmerei  mit  aK  feinen 
orbnungjerftörenben  folgen  beginne  bie  graufe  |)errfc^aft, 
entgegnete  ©c^etling,  5ic^te'§  @efül§I  gegen  W  9Zatur  fei 
ba§  be»  ro^eften  unb  öerrücfteften  5I»teten,  ber  fid^  in 
fpi^igen  dornen  tüäfjt,  nic^t  au§  ^eiügfeit,  fonbern  um 
bamit  feiner  Un^etligfeit  unb  Unreinheit  5U  entfliet)en. 

2)a§  mar  benn  aHerbing§  n)o£)I  ber  tuefentlid^e  unb  un= 
überbrücfbare  Unterf d)ieb,  ha^  ©c^eHing  eine  9Jatur  mar 
unb  Sichte  nid^t,  ha^  in  Sd^eding  t)u  dlatnv  backte,  ft)ät)renb 
gierte  nur  bie  9Jatur  beuten  fonnte.  Dber  ha^  in  gtd^te 
ber  Ouell  be§  Unbeiüu^ten  mit  einem  unbetüeglic^en  Steine 
öerfi^Ioffen  mar,  mä^renb  er  in  6c^etting,  nur  allju  \äi) 
manchmal,  auffc^äumte. 

®o  !am  el,  ba§  fie  oon  Eingriffen  auf  i^re  SSerfe  unb 
SJJeinungen  ju  Eingriffen  auf  bie  ^erfon  übergingen,  gid^te 
lüarf   ben  5Jiaturp^ilDfop£)en    üor,   fie  beraufd^ten   ober  be« 

§uc^,  3lomamiter.  25 


386  3:ob. 

geifterten  fid^,  tüenn  bte  Einfälle  ntcöt  rec^t  fiteren  tüollten, 
burc^  ^^ijfifd^e  SietjmitteL  ©cöeHtng  glaubte,  ba§  ba§  auf 
{i)n  gemünjt  fei,  ha  grabe  btefer  SSerbacfit  üon  feinen  Geg- 
nern öfter!  gegen  itjn  geltenb  gemodjt  luurbe.  @§  tourbe 
if)m  fogar  ^iropl^ejeit,  tüie  er  felbft  fagt,  ba§  er  nur  noc^ 
tuenige  ^a^re  ju  leben  fjabe.  Qn  biefem  traurigen  (Streite 
mar  Sc^elling,  aU  ber  SSörmere,  am  meiften  ju  bebauern. 
S^m  t^at  e§  wtf),  ba§  bie  einfüge  SSereörung  unb  i5reunb= 
fd^aft  in  biefe  bittere  ©ntjtreiung  öerlüanbelt  Sorben  toar. 

®oet|e§  fortbauernbeg,  ^erjlic^eg  Süßo^ittüoIIen  fonnte 
i^m  eine  überreicfitid^e  (Sntfd^äbigung  fein.  3lu(f)  brachte  e§ 
Carotinen'!  magnetifc|e§  (55emüt£)  juipege,  bo^  in  DJtünd^en, 
Uio  ©d^eHing  im  '^a1)Xi  1807  eine  ^rofeffiir  angenommen 
]^atte,  fi(^  n)ieber  ein  (5i^eunbe§frei§  um  fie  ^erum  bilben 
5U  toollen  festen.  5lber  ber  alte  ©c^tüung  toax  niefit  barin. 
'ülüd)  föenn  fic^  bie  ^reunbe  au§  ber  ^enenfer  Qtit  luieber 
btiden  liefen,  rtJoHte  bie  früf)ere  Steubigfeit  nid^t  me§r 
auffommen. 

@d^on  W  äußeren  bebrol^Iid^en  3ettereigniffe  öerfc^eud^ten 
bie  eJiematige  ©orgtofigfeit.  Surj  bebor  ber  ^rieg  ^ena 
^eimfu($te,  befurf;te  ®rie§,  ber  Ueberfe|er,  Caroline  in  2Bür5= 
bürg,  föo  @rf)elling§  bie  erften  Sa()re  nad^  il^rer  5ßer^eirat|ung 
jubracfiten.  „(Sr  reifte  nad^  ^eibelberg",  fd)reibt  STaroIine, 
unb  ging  oon  Sena  n^eg,  in  ber  5J^nung  unftreitig,  bafe 
beffen  9htin  na^e  luäre,  rt)ie  man  tüol^I  ©törd^e  unb  anbere 
]§äu§tid^e  SSögel  öorempfinbenb  bie  (Stätte  Oerlaffen  fiel)t, 
bereu  SJJauern  unb  Stürme  näd^ften§  in  Sd^utt  5ufammen= 
fallen  foHen.  SSie  l^ot  mir  felbft  fc^on  ha^  |>er§  um  S^na 
unb  alle  friebüd^en  ^ügel  geblutet!" 

^n  ä^fünc^en  fe^rte  SBil^elm  mit  i^xan  ö.  Stacf,  in 
bereu  93egleitung  er  reifte,  in  ©ct)elling'§  |)aufe  ein.  ©eine 
rittertid^e  Gorreftfieit  unb  SlaroIinen'§  2;alent  ju  lieben  er= 


Job".  387 

mögltc^ten  einen  unbefangenen,  \a  fremibfd^aftticfien  5Serfef)r, 
SSon  ©d^elling  \vai  WiUjdm  unjertrennüc^.  Slein  5tugenbli(f 
ber  Spannung  tvax  tro|  ber  petnlid^en  SSerfötcfelungeu 
glüifc^en  btefen  betben  9}Jännern  geiuefen.  (Sine  Zeitlang, 
tuä^renb  bie  ©(Reibung  im  (Sauge  mar,  trotten  fie  naä) 
(Sin[teIIung  be§  33rtefuiec^fel§  älinfd^eu  SSiliielm  unb  S?*aroIiue, 
alle§  gefdjäftlid^e  ^Jotfjlüenbige  allein  mitetnanber  öeri^anbett, 
niemals  bie  gegenfeitige  ^öflid^feit,  2l(i)tung  unb  ^'m^igung 
beifeitefe^eub.  ^u  manchen  fragen  ber  ^oe[ie  unb  ^unft 
ful^r  ©c^etting  fort  fid§  öon  SSit^elm  betet)ren  5U  laffen. 
gür  Söit^elm,  ber  ä|nlic^  tük  na^  griebtic^'S  Urt^eit 
(gd^teiermad^er,  immer  in  (55efa§r  5U  öermelfen  war,  \vax 
bie  quetteube  9iatur!raft  ©djeHing'S  eine  (Srquicfung. 

2lm  (£nbe  begfelben  ^aijn^  fanben  fic^,  tiou  Statten 
jurüdfelirenb,  ^ierf  unb  feine  ©d^iuefter  ©opl^ie  in  SRünc^en 
ein.  (5r  ift  nod)  ber  alte,  fc^rieb  Caroline  öon  i^m,  bie 
2lumut^  feiner  Sitten  t)at  fid)  nur  mit  einer  geiuiffen 
SBürbe  üermä|Ü,  bie  aber  abfonberlid^  i^reu  (Si|  in  hen 
öon  ber  (Sic^t  gefteifteu  33einen  genommen  |at.  SJiit  Sied 
5ug{eic^  taud)te  eine  problematifc^e  ^elbiu  ber  neuen  D^omanti! 
auf,  Settina  ^Brentano,  mit  bereu  potenjirter,  farriürter 
S3efonber^eit  bie  einfach  ftare  Caroline  fid^  nic^t  befreuuben 
founte.  @§  irar  t^r  ein  merfioürbiger  unb  jumeilen  abfielen» 
ber  2tnblid,  ba»  fouberbar  auSftaffirte  (S^efc^öpf  mit  bem 
franfen  S:ted  !o!ettiren  unb  jugleic^  ben  abföefenbeu  (Soet|e 
anbeten  ju  fe|en.  (Sinen  OoHcnbg  unüerftänblic^eu  unb 
roibermärtigen  ©inbrud  mad)te  i^r  ta^  fat^olifd^e  SBefen, 
ba§  bie  JReifenben  frifc^  üon  9?om  ^eimbrad^ten.  Xied'S 
©d^luefter  ^atte  in  9fJom  bie  9Jiabonna  ber  c^riftlidjeu 
^ünftler-^artei  öorgeftellt,  gegenüber  ber  ^eibnif(^en  SSenuS 
in  ber  ^erfon  ber  grau  oon  |)umboIbt.  ®ie  ^auptfad^e 
babei  loaren  Stbenteuer  unb  allerlei  Stänfe  geiüefen.    ^aro- 

25* 


388  Sob. 

Itne,  bie  in  bem  ©lauben  an  it)t  etgne§  ^erj  nnb  im  ©ic^« 
eingfüljten  mit  ber  Statur,  im  Jßertraiien,  ba|  2lIIe§,  tral 
gef(f)e^e,  gut  nnb  notl^tüenbig  fei,  eine  fd^öne  grömmigfeit 
immer  fcefeffen  §atte,  o^ne  jemals  mit  (J^riftent^um  gu 
fofettiren,  fa§  mit  S3efremben  ©opijie  ©ern^arbi  ein  großes 
9tuf§eben  tion  i^rer  ©läubigfeit  macfien  unb  bod^  in  bc- 
ftänbiger  Un^ufrieben^eit  unb  S5erlüirrung  leben. 

®o§  (Slüd,  ha§  Caroline  aU  @d^etling'§  t^rau  geno§, 
Jrar  fo  bottfümmen,  tüie  Srbengtüd  irgenb  fein  tann,  aber 
öon  !ur5er  S)auer.  SSenn  nic^t  i^re  ÄränüidEifeit  fie  mit 
bcm  ©ebanfen  be§  ^obe§  öertrout  gemad^t  ]^ätte,  fo  toürbe 
e§  bie  <Se:§nfud^t  nad^  bem  öerlorenen  ^inbe  getrau  l^aben. 
SIt§  fie  im  ^ai^xt  1805  ben  Xoh  §uber'§  erful^r,  mit  bem 
fie  fidfi  bei  einem  SBieberfe^en  in  2Büräburg  oöUig  au§- 
gefö^nt  ^atte,  ^atte  fie  einen  5;raum,  ben  ic^  fie  in  il^ren 
eignen  SBorten  ersäl^ten  taffen  wiü,  Wtxl  e§  mir  unmöglich 
fd^eint,  i§n  fc^öner  lüiebergugeben.  „3c^  9tng  burd^  eine 
©äffe  an  einem  genfter  üorbei,  luo  |>uber  ftanb;  id^  fa^ 
i]§n  nur  i^atb,  ber  §ut,  ber  mir  tief  in  ben  5lugen  fa§, 
^inberte  mid^,  ba§  ©efid^t  5U  fe^en,  aber  id^  erfonnte  hk 
©eftalt,  ben  Srfinitt  ber  Kleiber  unb  eine  3Befte,  bie  er  ju 
tragen  pflegte,  ^nbem  ic^  mid^  bemühte,  if)n  ju  fcfjen,  öer= 
ttjanbelte  fid^  ba§  genfler  in  biejenige  ®Ia§t^ür,  lueld^e  au§ 
meinem  blauen  ^immer  in  ha^  fleinere  füJirt.  ©r  ftanb 
ba^inter  unb  fam  |erein.  Unfer  (S^tifd^  fielet  bo  je^t,  ba 
id§  im  Sßinter  ha§>  fleinere  3ioii"cr  beiüoi^ne;  e§  mar  für 
brei  ober  öier  luie  gelüöiinlid^  gebecft,  er  fe^te  fid^  au§  ber 
S:|ür  l^ercin  mir  gegenüber,  luir  ertnarteten,  ba^  ©d^elling 
^erunterfäme,  unb  fprarfien  iube^  tu^ig  mit  einanber,  ober 
er  unb  id^  n)ot)I  tuiffenb,  ba^  er  tobt  lüar.  3Son  {Jreunb" 
fd^aft  lüar  nid^t  bie  9tebe.  ^d^  frug  if)n,  iüarum  er  un§ 
fo  betrübt  l^ätte  unb  id§  n)ürbe  gern  mit  il^m  getaufd^t  !§oben; 


7.ob.  389 

benn,  ^itber,  fagte  ic^,  i^  ^be  bod^  noc^  mdjx  im  §tmmel 
§u  fachen  tote  <Bk.  Wix  lag  Slugufte  im  8inn,  lüie  fie 
mir  immer  gegcnluärtig  ift.  (Sr  fagte,  ift  ha^  3^r  Srnft, 
fo  geben  «sie  mir  S^re  |)anb  —  id)  gab  fie  i^m  über  ben 
Xi'id),  bie  feinige  tt)or  gan^  lüarm,  ba§  fiel  mir  auf,  t)a  er 
bod^  nid^t  lebte,  unb  l^ierüber  njad^te  iä)  auf." 

(Srft  öierein|alb  Sa{)r  fpäter,  im  ^erbft  1809,  ftarb  fie 
in  SJiauIbronn,  tüo  fie  mit  if)rem  SJianne  gu  58efuc^  bei 
feinen  ©ttern  timr.  „®ie  ganje  leiste  3eit  ^^r  fie  lieblicher 
unb  fanfter  aU  je",  fc^rieb  «Sd^eding  an  i^ren  S3ruber 
^^ilipp;  „i^r  ganjeg  SBefen  in  ©ü^ig^eit  aufgelöft."  Wd^t 
mübe  n)urbe  ber  oer§tüeifeIte  9JJann  §u  fc^ilbern,  mie  ^imm= 
lifd^  öer!(ärt  fie  im  $:obe  geftiefen  fei,  öon  ireldöer  Slnmutl) 
befeelt  ber  erlöfc^enbe  Slörper.  S|re  ftet§  melobifdie  Stimme, 
fagte  er,  töne  toie  fanft  geftimmte  |)armonifagtocfen,  tüie 
geiftige  klänge,  immer  in  feinem  C^erjen  fort. 

Stuf  it)r  ®rabmal  lie^  ©c^eHing  bie  Sßorte  fe^en:  „@ott 
^at  fie  mir  gegeben,  ber  S^ob  faun  fie  mir  nic^t  rauben, 
©ie  unrb  luieber  mein  »nerben  ober  öielmeljr  fie  ift  mein 
aud^  in  biefer  furgen  S^rennung." 

@in  ÜJiann  üon  fo  finnlid^er  SfJaturfraft  fonnte  Siebe 
auf  bie  3}auer  nic^t  entbehren.  Tia(^  einigen  Sa§ren  üer= 
l^eirat^ete  er  fid^  mit  ^auüne  ©otter,  ber  jüngften  ^od^ter 
öon  Slarotinen'l  alter  f^reunbin,  beren  greunbfc^aft  unb 
SSeref)rung  er  toie  ein  SSermäc^tni^  ber  Sßerftorbenen  über» 
fommen  ^tte. 

(Sin  ^a^i  nac^  ^aroünen'l  Sobe  ftarb  in  9Künd§en 
noc^  ein  ?(uge{)öriger  be§  greunbeSfreifeg  ber  Sfiomantifcr 
in  ^tna:  9iitter,  ber  noc^  im  engen  SSerfe^r  mit  S5aaber 
bie  eigent;^ümli(f)ften  33eoba(^tungen  auf  bem  ©ebiete  ber 
9ca(^tfeiten  ber  9iatur  gemacht  ijatte  unb  jum  ©ntbecfer  bc§ 
Unbett)ufeten  geiuorben  n^ar.     i^on  ben  Uebrigen  trafen  fic^ 


390  Sob. 

ätt)ei:  ©c^teiermad^er  unb  ©teffens,  in  |>alle  tüteber,  wo 
Steffens  ^rofeffor  getüorben  tuax.  §alle  mar  eine  Stätte 
ber  (Srinnerungen:  am  romanttfd^en  ©iebid^enftetn ,  tüo 
3ftetc^arbt  lüo^inte,  Xtecf'S  Sc^mager  unb  ©teffenl'  ©d^meger' 
dater,  f)atte  bte  ^offenbe  Sitgfnb  utnJ)ergeic^rt)ärmt  mt  auf 
bcn  ^ügetn  oon  ^ena.  §ier  l^atte  Zkd  tu  feiner  ©tubien- 
seit  mit  bem  särttid^en  SBacfenrober  befeltgcnbe  geierftunben 
ber  Jreunbfc^aft  öerlebt.  5tud^  je^t  burd^ftreiften  l^ier  too^ 
©df)Ieiermac^er  unb  ©teffen§  in  angeregten,  ja  begeifterten 
@efpräct)en  hie  ©egenb.  2(6er  ©c^Ieiermac^er'S  S3a^n  ^atte 
bie  9iomantii  nur  eine  SKegftrecfe  taug  begleitet,  um  bann 
eine  ganj  anbere  9tid^tung  ein^ufcEiIagen.  ®ie  für  t^n 
h)efentli(^e  Qdt,  föo  er  fic^  fo  bilbete,  wie  er  auf  bie  3^od^» 
tvtit  gefommen  ift,  lag  nod^  öor  i^m.  ©teffenS,  obrt)D|t 
aud^  er  noc^  ein  langes  Seben  öor  fid^  ^atte,  betrad^tete 
hk  Sa^re  in  ^ma  immer  aU  bte  f(^önfte  unb  reic^fte 
(Spoc^e  feines  SebenS,  als  hit  Slüt^e  ber  S«genb,  SDaS 
jä§e  (Snbe,  bie  Dottftänbige  innere  unb  äußere  ^e^'f^i'euiing 
machte  bie  9tüderinnerung  an  biefe  3ett  un^  fo  fd^merjtid^er 
unb  jugleid^  um  fo  lieber,  ©ie  erfd^ien  ifjm  mie  ber  Sf}urm« 
bau  äu  S3abel,  ber  aufgegeben  tourbe,  toeil  bie  ©prac^e  ber 
Strbeiter  ficf;  untereinanber  öeriuirrte  unb  fie  fid§  ined^fc^ 
feitig  iii(^t  me^r  üerftanben.  „Sift  bu  ber,  mit  bem  id^ 
mid^  bereinigt  tröumte?  fragt  (Siner  ben  5(nbern.  S<^  fenne 
beiue  ®efid}t65Üge  nid^t  mei)r,  beine  SBorte  finb  mir  unüer»- 
ftönbtic^,  unb  ein  jeber  trennte  fic^  in  bie  entgegen  gefegten 
SBeltgegenben  —  bie  meiften  mit  bem  Söal^nfinn,  ben  Sabel- 
t^urm  bennoc^  auf  it)re  eigene  SBeife  5U  bauen."  ©0 
fd^reibt  ©teffenS  im  3ai)re  1814  an  Siedf. 

SSor  allem  erfd^ütternb  traf  i^n  ber  üoHe  (Sinbrud  ber 
SSeränberung,  ats  er  1811  Qena  n)ieber  befuc^te.  (Sr  füf)Ite 
fic^   n)ie   auf  einer  SBatjtftatt  ritterlicher  geiftiger  Kämpfer. 


%ob.  391 

Slber  Don  'Tillen  fanb  er  nur  ben  üeinen  ©rteS  tuieber,  ber 
bie  liebgeluorbene  ©egenb,  imd^bem  ber  ^'rteg  üorübergeraft 
luar,  getreutid^  luteber  aufgeflickt  I)atte.  „2I(§  id)  in  hit 
jierltc^e  Stube  |tnelntrat,  erf(f)rat  i<i)  ^efttg;  benn  Sc^ränfe, 
Stiege,  ©tüf)Ie,  53üi'ten  ftanben  grabe  luic  5eJ)n  ^a^u  früt^er, 
biefelbe  iD?agb  begrüßte  mid^,  unb  ber  fteine  Sid^ter  mit 
bem  gelben  2eint  uub  bcn  jdjiüarsen  Stugen  fa^  noc^  ha, 
@r  unb  feine  Umgebung  erfc^tenen  mir  faft  irie  einbatfamirte 
Seichen  au§  einer  fc^önen  lebenbigen  ^eit."  S"  ftiif^  anbren, 
in  erhabener  SBeife  fleüte  i^m  ©oet^e  ba§  ^Bleibenbe  im 
SBed^fel  bar.  ör  luar  berfelbe  geblieben,  aber  ftetig  iüac^= 
fenb  mit  feiner  Sdt,  fo  ba§  er  immer  gleid^  leben^öoK  unb 
gleich  gro^  erfi^ien  unb  feine  ©eiuaü  über  hk  ©eifler  nic^t 
abnahm. 

SBieüiel  jugenblic^er  erfc^eint  biefer  langfam  fid^  be= 
tucgenbe,  tuürbeöoUe  ®rei§  aU  bie  ehemaligen  ©ötterbuben, 
SSil^elm  unb  griebric^,  ha  fie  eben  erft  tk  ®ren5e  be§ 
2tltern§  ftreiften!  SSenige  SSer^ältniffe  tiaben  fo  biel  tragifct)e§ 
lüie  ber  3(u§gang  biefer  S3rüber.  ©eitbem  2öill)elm  nac^ 
S3erlin,  griebrirt)  mit  Xorot^ea  nad^  ^ari§  ging,  §oben  fie 
nie  me^r  bauernb  jufammen  gelebt.  2)ennoc^,  luie  unöer- 
ftänblid^  unb  unerfreulidf)  für  SSil^elm  aud^-  griebric^g 
Uebertritt  jur  fat^olifc^en  ftird^e  war,  hielten  fie  an  bem 
olten  S^eal  ber  S3ruber-@in^eit  be^arrlii^  feft.  2öi[^elm, 
ber  o|ne  ^äu»Iic&feit  mar  unb  meil  ibm  fein  eigner  UrqueU 
im  Innern  fprubelte,  auf  frembe  geiftige  ^ufu^r  angemiefen 
war,  |ättc,  obiuo^I  praftifc^er  unb  äuf]erlid^  lueit  glänäenber 
geftellt  a(§  griebric^,  be§  |)a(te§  ber  greunbfc^aft  hod)  niel 
me^r  aU  biefer  beburft.  9tü^renb  ift  ba§  lange  ©ebic^t, 
ta^  er  ben  i£)m  unrettbar  entfc^roinbenben,  fic^  entjietjenben 
S3ruber  nachruft: 


392  Sob. 

„O  5Bruber,  mir  ent30(]eu 
3)urc(i  frember  Siinbcr  SSciten, 
©0  umjern  einc3ebü)5t." 

®te  '^atüx  |abe  )'ie  be^^atb  gepaart  unb  ju  S3rübern 
gemad^t,  fagt  er  in  bte[em  ©ebid^te,  ba§  fie  bem  einen 
gegeben  f)abe,  iüa§  bem  anbern  gebreche.  (Sine  Stinbe  l^ält 
fie  umf d^Ioffen ,  einen  Söanm  bilben  fie,  aber  ^^riebrid^  fenft 
bie  SBurjeln  in  bie  (Srbe  unb  fangt  ^JJal^rung  für  beibe, 
Söil^elm  ftrecft  im  SBipfel  tiebeöoK  ben  ©efttrnen,  bem  9(et^cr 
bie  Strme  entgegen.  S)iefer  ^intrad^t  berbanfen  fie  ba§  ©e- 
beiden.  S)ie  ga^rt  tn'§  offene  9Jieer  tüoUen  fie  nun  toagen: 
griebric^  fott  'öa^  ©teuer  lenfen,  er  felbft  lüiff  naifi  bem 
SSetter  fpä^en  unb  hu  ©egel  rid^ten.  Ober  griebrid^  foH 
hie  eblen  ©rje  au§  ber  Stiefe  förbern,  er  felbft  luitl  fünft- 
Itc^e  ©dualen  barau§  bifben. 

SiJa^rer  unb  feiner  fonnte  bie  ?caturüerfd^ieben^eit  ber 
$8eiben  nid^t  auSgebrücft  luerben.  Unb  gett)i^  ^atte  SBil^elm 
ben  Vorüber  in  biefen  S3ilbern  nidit  bie  fdf)Iec^tere  9toIte 
fptelen  laffen.  3lber  ©orot^ea,  unfähig  ben  @tnn  ju  faffen, 
tvax  betetbtgt,  ha'^  i^r  griebridj  bie  fc^Ied^te  SBurjel  be§ 
S3aume§  fein  foHte,  n^ä^renb  SBil^elm  bie  ^rone  für  fic^ 
behielt.  Unb  unter  biefem  gutgemeinten,  bod^  nid^t  guten 
©inflnffe  ftel)enb,  öerfannte  aucEi  griebridE)  hk  SBatjr^eit  unb 
feine  (Snuiberung  be§  ®ebid^te§  entbel)rt  ber  unbefangenen 
Snntgfeit,  obiüol^t  er  ftoI§  bartn  bettjeuerte,  baf?  ber  'i)o'i)t 
Sruberbunb  t^m  ha§  einzig  geftfte|enbe  unb  ©rprobte  in 
ben  ©türmen  be§  Seben§  geblieben  fei.  ®a  nun  einmal 
bie  SBiüigfeit  ber  Siebe  fehlte,  mad^te  firf)  bie  bor^er  aU 
fo  mtUfommene  ©rgänjung  empfunbene  iSerfc^iebent)eit  nur 
nod^  aU  2tnber§fein  unb  unberföf)nlid^e§  5Ut§einanberftreben 
gettenb.  3lber  öon  beiben  ©eiten  tuurbe  ha§:  ängftlid^  öer= 
fd^tüiegen.  3Ki(^eIm  machte  nod^  einmal  einen  |)eirat^§öerfud^, 


Job.  393 

ber  ftäglicf)  fe|If(^üig.  ©eine  @£)e  mit  ©opl^ie  ^autu§,  ber 
S^oc^ter  öon  ©orot^ea'l  einftiger  t^^eunbtn,  ging  fd^on  nad) 
einigen  S^agen  in  ber  ^äfslic^ften  5trt  au§  einanber.  ^n  btefer 
peinüollcn  ^eit  ^^ar  griebrid;  bem  unglü(f(id)en  Sruber  reid^= 
lid^  mit  9iat^=  unb  S^roftbriefen  jur  .f)anb,  in  benen  er  für 
SBil^elm'^  ©efc^macf  nur  öieHeid^t  511  ^äufig  barauf  £)inuiie§, 
ba^  bie  fic|er[te  ^ülfe  unb  Serutjigung  im  @ebet  ju  finben 
fei.  ©ergleicfien  Diebelüenbungen  mod^ten  ben  alten  j^i^eunben 
anftöfjig  fein  nid^t  nur,  menn  fte  fie  mit  feinen  früheren 
Ueberjeugungen,  fonbern  borjüglid^  lüenn  fie  fie  mit  grieb^ 
xid)'^  gegeniüärtigem  Seben  liergtid^en. 

3ur  3fit  oI§  er  nod^  in  ^öln  mar,  öerna|m  man  frf)on 
öon  5riebri(^,  er  l^abe  Slntoge,  ein  J;le|erOerfoIger  5U  luerben 
unb  fülle  faft  fd^on  fo  fett,  bequem  unb  fd^melgerifd^  »nie 
ein  ÜJiönd^  fein.  (S§  ift  bejeid^nenb,  ba§  Sorot^ea  einmal 
bie  i8emer!ung  mad^te,  fie  fürchte  fid^  öor  nid^t§  fo  fe^r, 
aU  bem  9JiateriaIi§mu§,  unb  e§  gel^e  il^r  bamit  tüie  beu 
Seuten,  t)k  \id)  öor  (5iefpenftern  fürcE)ten  unb  immer  lueld^e 
ju  fe^en  unb  5U  ^ören  glauben.  Sn  t|m  luie  in  itjr  !§otte 
immer  bie  Öiefa^r  biefer  Uvt  be§  Stufend  gelegen.  2)ie 
grömmigfeit,  an  bie  fid^  ®orDt|ea  mit  üerboppelter  Stengft» 
lid^fett  ftammerte,  ba§  S3eten,  H)Jeffe^örcn,  ^iri^enbefuc^en, 
fonnte  ha^  geiftige  Sal^mroerben  uid^l  öert)inbern  uod^  öer- 
ptlen.  5II§  Henriette  ^erj  hit  ^ugeubfreunbin  1811  in 
SSien  ft)ieberfa^,  fanb  fie  ein  äufriebenftellenbeS  SSerEiältnif? 
—  „aber  mo^in  mar  bie  ^oefie  entfd^munben,  meiere  iia^ 
frühere,  öon  ber  SSelt  fo  oerpönte  burd^brungen  ^atte!  — 
(Sine§  3lbenbl  mar  2)orottjea  teibenb.  ^(^  fafj  bor  i^rem  S3ett. 
SKir  Kapierten  beibe  ein  menig  dor  gieberfroft.  ©dEiIegel 
faf5  un§  gegenüber  an  einem  Sifc^e,  a^  Drangen  unb  (eerte 
baju  eine  gtafd^e  5llicante!  ^ä)  meifj  nicf)t,  ob  er  aud^  un§ 
baburd^  Don  einiger  füblid^er  ®Iut§  ju  burd^^aud^en  fuc^te." 


394  Sob. 

deiner  oon  feinen  e^öenmltgen  greunben  fonnte  ben  alten 
griebrtd^  in  i^m  irieberfinben.  ©r  \pxa<i)  in  einem  mtjftifc^ 
meffianifd^en  2one,  l^ielt  bunfel  öerjc|nijr!elte,  unerqiiicftid^e 
S^orträge,  bei  benen  ber  Ijoi§e  fatJ)Dlif(f)e  Slbet  oornc^m  unb 
oerftänbnijärog  ^uljöite  unb  lie^  ji(^  nid^t  |erbei,  auf  bie 
^been  ber  3lnbern  einjuge^en  nod^  ben  ©inn  feiner  eigenen 
begreiflid^  5U  niod^en.  (ginige  Wönd)t,  einige  überfpannte 
junge  Seute,  einige  Samen,  bie  feine  Salbung  unb  feine 
priefterlic^e  @rf(^einung  übenuältigte,  bilbeten  feinen  intimen 
i)äu§Iid^en  SSerfel^r.  9J?an  nal^m  an,  e§  fei  i^m  im  (Srunb 
nid^tg  einft,  al§  ob  ber  SSein  gut  unb  ba«  (Sffen  gerat^en  fei. 

Snbeffen  lüurbe  er  öfterreic^ifd^er  Diplomat,  erhielt  öom 
^apft  ben  G^riftu§ürben  unb  erneuerte  ben  alten  gamilienabel. 

SBel^müt^ig  fte§t  man  jurüd  auf  feine  mübeooü  ringenbe 
Sugenb,  mo  fein  ^oc^fafirenber  ®eift  bie  ganje  SBelt  in  bie 
©d^ranfen  rief.  SBenn  er  in  feinen  legten  SebenSja^ren  tk 
Sriefe  noc^  einmal  ]^ätte  lefen  fönnen,  bie  er  all  Jüngling  an 
feinen  Sruber  richtete,  ob  fie  i^  jurSBe^mutl^  ober  gur  Tronic 
geftimmt  Ratten?  „@§  fommt  nur  auf  bid^  an,  ein  großer 
9Kenfc§  5u  werben."  „SSa§  fönnte  n)o|I  e^er  bie  @onne 
bc§  Seben§  genannt  lüerben  aU  ber  (£nt^ufia§mu§  ober 
bie  Siebe?  ^ä)  roü^te  nid^t,  5U  uia§  ein  5llter  o^ne  fie 
lebte,  all  etma  feinen  @eift  ftücfiüeife  abfaulen  5U  fe|en." 
„@§  giebt  nur  ein  unbebingtel  ®efe|  —  SSernunftein^eit; 
nämlic^  ha^  ber  freie  (Seift  ftel§  ftege  über  bie  9latur." 
®a§  füllte  in  ber  ^unft  gelten;  aber  ift  nic^t  auc^  ba§ 
Seben  ein  Sunftmerf?  ©ein  Seben  ift  ein  traurigel  3J?ärc^en, 
rao  bie  Siebenbe  ben  üennünfd^tcn  ':Prln5en  nidjt  |at  erlöfen 
fi^nnen  unb  er  nun  fernerhin  aU  ein  bumpfe§,  gierige! 
S^ier,  haS'  in  ber  ©eifterftuube  ftc^  qualöoft  feiner  Ijofien 
S3eftimmung  unb  fc^nöben  (Srfi^einung  bemüht  luirb,  ben 
3auberuialb  burd^irren  mu§. 


2:ob.  395 

@ü  traurig  ouc^  bte  erjiuungene  greunblc^oft  tvav,  bte 
SBtl^elm  unb  griebric^  etnonber  noc^  üorfptegelten,  tiefe 
©efc^td^te  [oHte  gans  untröflltc^,  ganj  uuoeri'ö^nlicf)  enben. 
^adjttm  bte  jerrei^enbe  ^^einbfeligfeit  erbitterter  Siebe  oft 
genug  au§  i^ren  Briefen  gettungen  f)alte,  fam  e§  fd^Itefjüd^ 
ba^in,  i>a'^  SBil^etm  betn  33ruber  in  einem  nierhuürbigen 
©abreiben  bie  atte  greunbfd^aft  |3erfönli(^  auffünbigte: 

„33et  ben  nodö  freien  9^ömern  pflegten  SJ^änner,  bie  at§ 
greunbe  miteinnnber  gelebt  unb  gemeinfc^aftlic^  geioirft  Ratten, 
n)enn  fie  nun  nad)  i^rer  Ueberseitgung  oon  ben  öffentlid^en 
5lngetegenl^eiten  fid^  trennen  unb  einanber  entgegenluirfen 
muf3ten,  i^re  ÖJegnerfc^aft  fic^  förmltd)  aufjufünbigen.  5)ie§ 
t^ue  icf)  ®ir  je^t  a(§  ©c^riftftetler.  '^Jlad)t  2)irf)  barauf  gefajst, 
nä(f)ften§  Eingriffe  öon  mir  auf  ©eine  fpäteren  ©d^riften, 
mit  ober  otjne  meinen  9Zamen,  in  ©eutfcfclanb  ober  au^ioärtS, 
mit  ben  SBaffen  be§  ©c^erje»  ober  ernfter  SBerebfamfeit  an§ 
Sid^t  treten  gu  fe§en.  Db  bie  $Römer  babei  bie  gefeßigen 
SSer^ältniffe  be§  ^rtüatteben§  öorbe^alten,  lüei^  iö)  ntd^t. 
Sd^  bin  aber  ber  SJJeinung,  i)a%  man  c§  t|un  tonne  unb 
muffe,  unb  lüenn  2)u  mir  burc^  einen  33efud^  bie  belegen- 
l^eit  baju  fd^affft,  fo  tt)erbe  id^  e§  burd^  bie  Si^at  belüeifen 
unb  an  ber  brübertid^en  9lufna|me  i\id)i§  feljlen  laffen," 

©ans  ber  alte  SBil^elm:  ettüa§  gefpreijt  aber  ntd^t 
gejc^madlol,  unb  fo  correft!  5tIfo  aud^  je^t  nod^  friftete 
bte  iöruberliebe  ein  trübfelig  erlogenes  ©d^attenbafein.  2Ba§ 
ben  enbgültigen  Sritd^  tierbeifü^rte,  Juar  eine  fümmerlid^e 
©elbangelegentjeit.  SBU^elm  ^atte  im  Saufe  ber  Sa£)re  bem  ftet§ 
bebürftigen  SSruber  ®elb  geliehen:  nun  auf  einmal  forberte 
er  eine  noc^  auöfteljenbe  @rf)ulb  gurücE.  @§  mod^te  il^n 
fränfen,  bafe  griebricEi  nocJ)  9?u^en  oon  i^m  sieljen,  bo  er 
bo^  fonft  nic^ta  mei)r  üon  i^m  luiffen  iuollte.  S)a  nun 
j^riebrtd^  fid^   anfteUte,   al§  l)abe  2BilI;eIm  faum  einen  3tn- 


396  Job- 

fprucf)  auf  haS»  ©elte^ene  unb  fic^  burcf)aii§  nic^t  au§  feiner 
Bequemen  öorne£)men  9tu^e  bringen  (te§,  erbitterte  [id^  2BiI|etm 
met)r  unb  me§r.  ®arü6er  jnurben  bie  93riefe,  hit  in  biejer 
erbärmtld^en  Sacfie  ^in=  unb  l^ergingen,  fpi^er  unb  fältcr; 
einige  SO^onate  üor  feinem  ptö^tic^en  Xohe,  im  (September  1828, 
empfing  griebrid^  ben  legten,  ben  er  nic^t  me^r  beantwortete. 
®a§  SBenige,  ma§  2BiI^etm  öffenttid^  über  feinen  Vorüber 
öu^erte,  derrät^  nod^  üon  ber  früheren  Siebe  unb  bem  nie 
§u  üerminbenben  ©d^merj  über  i^r  3Iu§einanberge^en.  ^u 
einer  3fit,  af§  bie  Uebertritte  jum  Sat^oIiäiSmuS  junal^men 
unb  man  auc^  SBit^etm  gan§  ungerec^tern^eife  bafür  oer= 
antiuortlid^  machen  iPoHte,  Ijielt  er  e§  für  geboten,  fic§  über 
feinen  ©tanbpunft  öernel^men  §u  laffen.  ^nbem  er  nun 
baöon  fprarf),  tüie  man  fid^  burc^  SSerjid^t  auf  bie  freie 
gorfc^ung  gleid^fam  ben  ©ebrauc^  ber  eigenen  3(ugen  opferte, 
fu^r  er  fort:  „SRand^er  ^at  t)ierbei  nic^t  öiel  ju  öerlieren, 
lüeil  er  fc^on  §uöor  b(öbfic|tig  mar.  Sßenn  aber  einmal  ein 
SIbler,  üon  ber  9?atur  beftimmt,  gerabe  in  bie  ©onne  ju 
fd^auen  unb  mit  au§gefpreiteten  gütigen  fid^  if)r  entgegen^ 
äufd^iuingen,  luenn  biefer  fid^  mit  feinen  eigenen  0auen 
blenbete,  ha^  lüäre  in  ber  3:[)at  ein  beftagenlirert^e^  @d^au= 
fpiel."  SCSieöiel  ber^altene  2iehi  fprid^t  au^  biefen  SBorten, 
bei  bencn  er  ol^ne  ^i^eifel  5nebri(^§  gebadete. 

SSill^elm  überlebte  feinen  S3ruber  um  fieb§e!§n  ^o^re. 
@r  |atte  e§  immer  empfunben,  ba^  bie  ^ugenb  fein  guter 
®eniu§  mar.  9^id^t§  i)atte  er  fo  gefürd^tet  luie  ba§  Sllt- 
merben:  er  mochte  a^nen,  ha'^  i|m  ein  langel  Seben  befc^ieben 
mar  o^ne  bie  Q)abe,  feinen  ©eift  jung  ju  erhalten.  9Ud£|t 
bafä  feine  rüftige  Sljiätigfeit  n ad) gelaffen  l^ätte.  2tber  tt)a§ 
griebric^  gemeiffagt  :§atte,  t)on5og  fic^  bui^ftäblid^:  eine  un- 
gufriebene  Slä(te  mürbe  ^errfc^enb  bei  i!^m,  3llg  er  nod^ 
ta^  frifc^e  (ämpfinben  unb  hk  reijbareren  @inne  ber  Sufl^nb 


-Tob.  397 

gehabt  l^atte,  mar  feine  ma^üolle  3>erflänbtgfeit  eine  S^ugenb 
geiüefen,  jpäter  luurbe  ein  leere»  SSirtuofenttjum  barau§.  (Sin 
fjreunb  Xkd^  burfte  i^n  mit  bem  alten  5JJift)Iai  öergteid^en, 
ber  einft  bie  ^ie^lc^ci^c  feinc§  übermütl^igen  2öi^e§  mar. 
„^er  S^eil  öon  ®c^(eget",  fd^rieb  SöbeH  an  Sied,  „raelc^er 
oft  mit  ^oraj,  S3oi(eau  unb  anbren  gelben  ber  Sorre!t[)eit 
feinen  ©pott  getrieben,  ift  öerrauc^t  unb  verflogen  nnb  ber 
übrig  gebliebene  ^at  e§  immer  |alb  unbemu^t  unb  l^eimlic^ 
mit  i^nen  gehalten,  unb  nun  fommen  biefe  ©eifter  in  feinem 
5IIter  über  i^n  unb  räd^en  fic^  für  bie  i^nen  früher  an- 
getl^ane  Sc^mac^,  inbem  fie  fic^  feiner  ganj  bemeiftern." 
O^ne  S^mpat^ie  für  bie  Übertreibenben  jünger,  bie  i^m 
aU  einem  ru^mtüürbigen  Raupte  eine  |erfömmlic^e  $ßer= 
ebrung  lüibmeten,  gan§  o^ne  Sinn  für  bie  fpäteren  Um^» 
ftürjter  anbrer  5Irt,  bas  fogenannte  Sunge  ^eutfc^Ianb, 
ftanb  er  oereinfamt,  ber  tierfteinerte  ©ele^rte  ber  3tomantif. 
Sßenn  er  au(^  ju  eitel  mar,  um  e§  gujugefte^en,  er  empfanb 
feine  SSerein^ehmg  bitter  unb  mar  mit  \id)  fo  menig  5U- 
frteben  mie  mit  ber  2Bett.  ^m  ^nnerften  feinte  er  fid^  nadi 
ber  fd^önen  SBärme,  bie  in  ber  fonnigen  Sugeubgeit  in  feinem 
Stute  gemefen  mar,  nad^  ber  grö^Iic^feit  unb  bem  ^erjüc^en 
©eläd^ter,  ha^»  einft  im  Greife  ber  gi^eunbe  erf(ungen  mar. 
3;iecf,  ber  in  S)re§ben  gid^tbrüc^ig  im  ße^nftu^Ie  fa^,  oon 
ber  (Sräfin  5tnfenftein,  feiner  gi^au  unb  feinen  S^öc^tern 
atlju  rcid^Ii(^  Dergöttert,  unb  feinen  Semunberern  jabrau§, 
jahrein  |)Dlberg,  @i)afefpcare,  dalberon  unb  anbrer  Siebter 
Dramen  borIa§,  fa^  er  noc^  jumeiten.  (5§  gab  mol^t  für  i^n 
etma§  S^ieib  unb  ©iferfud^t  ju  überminben  angefic^t§  ber 
au§gebe^nten  unb  ungemeffenen  58eliebt:§eit  unb  S3erüt)mtf)eit 
feines  einftmaligen  @c§ü|Iing§,  aber  ha§>  gab  fid^  im  Set- 
fammenfein  unb  unter  bem  ermärmenben  ©inftuffe,  ben  ba§ 
5arte     ®emüt|    be§    greunbfc^aftlfünftlerS    3:iecf    ausübte. 


398  Süb. 

SÜBelc^el  Setben  e§  aber  für  ben  tänbeinben  ©efeltfd^aftS* 
j(^metterling,  für  ben  .emtg  SSerliebten  war,  aU  er  bemerten 
mufete,  't)a'^  feine  ^utbtgungen  fein  5rauen{)er§  mel^r  fd^neller 
fc^Iagen  macfiten,  baüon  giebt  ba§  folgenbe  ©ebic^t  ^cugni^, 
beffen  befc^eibene  ^(age  unb  fd^merjenbe  2Ba^r|eit  au§  biefem 
oft  ge§ierten,  immer  bemad^ten  SJJunbe  boppelt  rüf)renb  tft: 

3u  fpöt!  gu  \püü  unb  ipodte  fic  aud)  gerne. 

Sie  ^ugenb,  bie  mein  §aupt  gehönet, 

®ie  ^oe[te,  bie  meine  93ruft  bnrd)tönet, 

©ie  ftnb  entf(Df)en.     ©§  Blaffen  meine  ©terne. 

3((f)!  U'anim  51ieB  \d)  einjam  nid)t  unb  ferne? 

Sängft  tiott'  id)  fü^em  2;rug  nid)t  mef)r  gefröönet, 

®Dd)  war  be§  9Sat;ne§  @d)ulb  nod)  nid)t  uerfötjnet, 

Unb  ^tit  ift'§,  ha%  id)  in  mir  fterben  lerne. 

(Sin  SSeib  begegnet  mir  noll  §u[b  unb  'äJJilbe, 

®od)  ift  ein  Ijett'ger  ©ngel  ifjr  ökfä^rte. 

^  barf  nid)t  bitten  unb  fte  barf  nicftt  geben, 

^(^  fd)aue  fe^nenb  nad)  beut  garten  33ilbe, 

3)a  luinft  ber  Kf)erub  mit  bem  g-Iammeufdiiuerte: 

9iimm  9lbfd)ieb  üon  ber  Siebe,  non  bem  Seben! 

S)a§  tvaic  ha§  5:ranrigfte,  ba§  er  bennoc^  ni(f)t  9Ibfd^teb 
nehmen  fonnte.  Saf?  er  ben  ©d^ein  ber  ^ugenb,  beren 
(Sntlueic^en  er  fo  beutHif)  füi)Ite,  gemaltfam  feftjulalten  fud^te. 
SSenn  fc^on  einft  Ä^arolinc  borüber  ladete,  mie  er  fid^  falbte, 
|)n|te  unb  fc^mücftc,  betrieb  er  je^t  bergteid^en  fünfte  mit 
no(^  berme^rtem  (Stfer.  9J?it  lüctc^er  feltfoLicn,  beinah  un^eim- 
lid^en  9)?ifd^ung  t»on|  Ö^edeni^afttgteit  unb  fd^merjlid^em  ^ofin 
über  hie  eigene  D^arr^eit  matt  er  feine  ©rfd^einung  tebenbig  dor 
in  einem  ©riefe  an  5:ied  au§  bem  ^aljre  1836:  „S)u  fagft, 
id^  ^olte  mid^  tapfer.  3d^  beftrebe  mic|  freiließ,  liefen 
grüi^üng  reite  id^  fogar  luieber.  5tbenb§  bei  fieHem  ^erjen* 
lid^te,  fauber  gepu|t  unb  mit  meinen  beiben  ^ompon§  an- 
get^an,  in  ber  neueften,  nod^  nid^t  fud^fig  gelrorbnen  ^er« 


^ob.  399 

rüde  bringe  tc^  noc^  eine  leibtic^e  Secoration  fierou^.  ©c^öne 
jDamen  fagen  mir,  id^  muffe  lüoljl  ein  ©e^eimni^  Befi^en, 
um  mid^  immerfort  ju  üeriüngen.  5t6er  bie  ^ffege  be§ 
Seibe»  nimmt  3eit  loeg.  ©a^u  bebarf  ic^  mi  ©d^Iaf  unb 
5U  ungelegenen  ©tunben.  ®a§  artet  juloeilen  in  ba§  SWurmel- 
t^ierifc^e  au§.  ©ei  aber  nur  nic^t  bange  öor  meiner  ©c^Iaf- 
mü^igfeit.  SSenn  id^  mac^  bin,  fo  bin  id)  e§  rec^t,  befonber§ 
h)enn  eine  gelfttge  Slnregung  l^in^ufommt,  unb  an  guten 
©pä^en  foH  el  nid^t  fehlen."  2iMe  ta§>  farriftrte  (^efpenft 
be§  l^übfd^en  3üngling§  öon  einft  rtar  er  anjufe^en,  ein 
©egenftanb  be§  ©potte§  für  bie  jungen,  bie  fid^  um  ben 
tragifi^en  ©inn  ber  läcEierlid^en  (Srfd^einung  nic^t  fümmerten. 
3m  ^a^re  1838  befud^te  SDaüib  griebrtd^  ©trauß  ben  etttja 
©iebjigiö^rigen  unb  fanb  in  bem  SSefuc^S^tmmer,  ha^  be§ 
^au§:^errn  eigene  93üfte  unb  in  Del  gemaltes  S3ilb  fd^müdfte, 
einen  elegant  in  blauen  t^xaä  gefleibeten  9JZann,  mit  brauner, 
jugenblic^  locfiger  ^errücfe,  ber  ben  3ln!ömm(tng  mit  faft 
friüoler  Setoegtid^feit,  föte  ©trauf5  fid^  auSbrücft,  begrüßte. 
SIB  ©trou§  am  5lbcnb  noc^mats  empfangen  tüurbc,  fa^  am 
ßamin  ein  alte§  SJJännc^en  im  ©c^Iafrocf,  o^ne  ^errüde, 
ha^  fa^Ie  ^aupt  mit  einem  fd^inarjfeibenen  9JJü|d^en  bebecEt. 
®afe  ber  ®ret§  ben  g^rentben  burc^  eine  SJJaffe  xa\d}  :^er= 
auSgefprubelter  ^enntniffe  5U  blenben  fud)te,  D|ne  im  minbeften 
ein  SSet^felgefpräd)  auffommen  ju  laffeu,  oeröoHftänbigte  ben 
betrübenben  ©inbrud. 

©in  anbre§,  eigenf^ümlic^  ergreifenbeS  33ilb  !^at  Henriette 
^erj  oon  bem  alten  Sreunbe  entworfen;  öieHeic^t  bafe  fie 
aU  5rau  i^n  mit  anbern  klugen  aufa^  ober  föeit  fie  i^n 
al§  ben  öeriuijfinten,  ritterlichen  5)i(^ter  in  feiner  fc^önen 
Sugenb  gefannt  ^atte.  greilicfi  mar  e§  20  "^a^xt  öor 
©trau§,  ba§  fie  i^n  in  S3onn  mieberfa^.  „2Bie  mar  er 
f^on    äuBerlid^    beränbert",  erjä^tt    fie.      „^a§    fonft    fo 


400  "Job. 

glänsenbe  Slugc  war  erlofd^en,  ber  Xeint  Ueid),  üerfd^offen, 
bie  früher  fd^Ianfe  ©eflalt  aufgebunfen,  fein  fonft  fo  geift- 
reid^eS  SBefen  luar  nur  noc^  ju  atjnen.  Wix  mad^ten  eine 
Sanb«=  unb  SBaffer^iartie  mit  Sonner  ^rofefforen  unb  i^ren 
grauen,  ©ie  lüaren  luftig  unb  laut,  aber  je  me^r  fie 
'bit§>  lüurben,  befto  ernfter  unb  fttller  luurbe  ©d^Iegel.  Q\i' 
Ie|t  fa^  er  mit  öölliger,  aber  anftänbiger  S;^etIna^mIoi'ig= 
fett  bo,  ganj  Jüie  ein  ältlicher  gran^ofe,  ber  nid^t  beutfd^ 
toerfte^t,  in  einer  beutfd^en  ®efeIIfc|oft  bafä^e,  unb  aud^  fein 
2teu§ere§  iiiiberfprad^  biefem  S3itbe  nid^t.  (gigentlic^  öer[tanb 
er  auc^  nid^t,  loaS  um  i^n  i^er  gefprod^en  luarb,  tüenn  er 
aud§  hk  SBorte  ber[tanb.  (g§  machte  einen  fd^merälic^en 
©inbrucE  auf  mirf)." 

Tlan  fann  fein  Ieb{)aftere§  unb  rü^renbere§  $8ilb  ^aben 
öon  ber  fterbenben  3?omanti!  im  ßörm  ber  neuen,  t^at- 
fräftigen  3eit.  ^amlet,  ber  bem  eifenftirrenben  gortinbraS 
ben  ^ta^  räumt,  ^a,  fie  öerfd^ipanben  fpurIo§,  t)U  ftürmen« 
ben  (gröberer,  lüie  bie  glänjenben  ©ot^en,  bie  fo  :§errlid^ 
unb  guüerfid^tlid^  begonnen  tiatten,  toie  bie  blonben  SSanbalen, 
bie  t£)re  l^eimifc^e  Straft  rafd^  unter  glü^enber  «Sonne  0er- 
f(^roelgten.  ^n  bem  Kriege  ber  3Jienfd^[)eit  mit  bem  ©c^idfat 
|atte  für  bieSmal  ha§  ©d^icffat  gefiegt.  2ßa§  barüber  STröft- 
lid^eg  unb  (Srl^ebenbeS  gebadet  werben  !ann,  liegt  alle§  in 
biefen  SBorten  Oon  DfJoOalig:  „f^ortfi^reitenbe,  immer  me^r 
fi(^  üergrö^ernbe  (äoolutionen  finb  ber  ©toff  ber  ©efd^id^te. 
2öa§  je^t  nidEit  bie  SSotleubung  erreid^t,  wirb  fie  bei  einem 
fünftigen  SSerfud^  erreid^en  ober  bei  einem  abermaligen;  ber- 
gängtid^  ift  nid^t§,  ipa§  bie  ß)efd^idf)te  einmal  ergriff,  au§ 
unjä^Iigen  SSerioanblungen  ge!^t  t§>  in  immer  reid^erer  ®e- 
ftalt  erneut  loieber  |eit)or." 


m^. 


filc^- 


■^ßim 


fi 


m^ 


ÜNIYERSITY  OF  TORONTO 
LIBRARY 


Do    not 


re  move 
the   Card 
from   this 
Pocket. 


Acme    Library   Card    Pocket 

Under  Fat.  "  Ref.  Index  File." 
Made  by  LIBRARY  BUREAU 


^»>%*>»"*^ 


.r^ 


^r^^.^^i' 


4^ 


>J' 


'^^M 


«  ^  '  ^#